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Zu Besuch bei Letterman (Teil eins)

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„Lettermaaaaan“ – mit diesem Urschrei beginnt an jedem Wochentag die Late Show auf CBS. Sie ist eine Institution in den USA, ein Kult: Die erste Spätsendung mit David Letterman, die Tagesrückblick mit Comedy verbindet, lief am 30. August 1993, und noch immer schalten durchschnittlich vier Millionen Amerikaner ein. Auch viele Deutsche kennen sie, zumindest indirekt, denn sie stand Pate für die Harald Schmidt Show. Wie genau die deutsche Version vom amerikanischen Vorbild kopiert ist, wurde mir erst hier in den USA richtig klar: Bis in kleinste Gesten hinein ahmt Schmidt sein Alter Ego nach. Was die interessante Frage aufwirft, ob auch Letterman seine Rolle nur spielt oder er authentisch ist.

Die Show wird im Ed Sullivan Theater in Midtown Manhattan produziert. Vor Jahren entdeckte ich zufällig, dass, wer sie live sehen möchte, sich via Internet bewerben kann. Die Teilnehmer würden „zufällig ausgewählt“, heißt es nebulös, was bei mir den Verdacht entstehen ließ, dass das Publikum hauptsächlich aus Freunden und Bekannten des Showpersonals besteht. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass ich nie eine Antwort bekam, wenn ich gelegentlich, mehr aus Jux, das Formular ausfüllte.

Eines schönen Junimorgens jedoch fand ich eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: Ich möge „John“ von der Late Show anrufen und mein Wunschdatum bestätigen. Ich glaubte erst an einen Witz, oder an Abzocke. Aber schließlich wusste außer mir keiner von der Bewerbung. Also rief ich zurück, derartig nervös, dass mein Englisch ungefähr dem Niveau einer Vierjährigen entsprach. John klärte ein paar Formalien und sagte dann, ich müsse eine Frage beantworten, um zu beweisen, dass ich ein echter Fan sei: „Wer ist Tony Mendez?“

Mein Kopf raste. In meiner Panik fiel mir überhaupt nur ein Mitwirkender ein, ein junger Mann, der zur Gedächtnisstütze des Moderators Stichwortkarten hochhält. Stotternd versuchte ich dessen Funktion zu erklären. John lachte. Es klang so, als sei ich auf dem richtigen Weg. Ich atmete tief durch und versuchte es mit „The teleprompter guy“ John lachte noch mehr und sagte dann: „Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Du musst schon den richtigen Begriff sagen.“ Das fand ich ungerecht. „Ich bin Deutsche, wie kannst du erwarten, dass ich so eine ausgefallene Vokabel kenne?“ „Weil der Ausdruck in jeder Sendung fällt“, antwortete John streng. Dann hatte er ein Einsehen. Oder Mitleid. „Bleib in der Leitung, ich rede mal mit meinem Vorgesetzten.“

Was nun geschah, wird die technikaffine jüngere Generation nie verstehen. Weil mir schien, dass die Verbindung unterbrochen sei, versuchte ich, die Lautstärke hochzustellen. Und erwischte dabei den „Aus“-Knopf. Noch nie war ich so wütend auf mich selbst. Denn natürlich würde John diese radebrechende, ungeschickte Deutsche nicht noch einmal anrufen. Bestimmt hatte er Tausende von enthusiastischen, echten Fans auf seiner Liste, die nicht nur den richtigen Begriff aus dem Effeff wüssten, sondern auch noch beschreiben könnten, welche Farbe das T-Shirt von Tony Mendez in der Show von vor drei Wochen gehabt hatte. Während ich halblaut vor mich hinschimpfte, klingelte das Telefon. John. „Alles klar, du kannst kommen. Sag einfach, dass du auf meiner ‚Gold List’ stehst.“ Ich konnte mein Glück kaum fassen und bedankte mich überschwänglich. John wehrte ab. „Tony Mendez ist übrigens unser ‚cue card boy’“, sagte er noch. „Der Ausdruck ist mir unbekannt“, sagte ich aufrichtig. Es entstand eine Pause. Dann sagte John spitz: „Dass die Sendung auf Englisch ist, weißt du aber schon?“

 

Was es mit Johns „Gold List“ auf sich hatte und wie viele Regieassistenten bei Letterman auf der Bühne stehen, erfahren Sie in meinem nächsten Blog.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Mafia, Maori, Maasdamer

Picture 2Manchmal ist doch wunderbar, wenn die Welt klar, kompakt und Entscheidungen einfach sind. Ich zb wüßte genau, was ich machen würde, wenn ich am 1. August um 20 Uhr nicht in silly Sydney, sondern ausnahmsweise circa 16500 Kilometer weiter nördlich wäre: Ich würde in die Rudi-Dutschke-Straße 23 in BerlinKreuzberg radeln, mich im taz-Café an einen schattigen Tisch setzen, zuhören, am Kaltgetränk nippen und viel und laut lachen.

Dann und dort nämlich lesen drei Weltreporter aus ihren extrem kurzweiligen Büchern: Anke Richter (Christchurch), Kerstin Schweighöfer (Den Haag) und Martin Zöller (Rom/München) lassen bei ihrer Culture-Clash Lesung übrigens auch mit sich reden und diskutieren. Das Motto des Abends ist sommerlich freudvoll alliteriert und geht so: “Mafia, Maori und Maasdamer”. Aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken 😉 es wird garantiert ein urkomisch vergnüglicher Abend! Viel Spass und gute Unterhaltung!

Ps: der Eintritt ist übrigens frei.

 

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Die Magie der Welle

Venice Beach
Als ich vor zehn Jahren als ARD-Radiokorrespondentin nach Kalifornien kam war ich sicher: ich gehe jeden Tag ins Meer. Ich lerne surfen. In ein paar Monaten stehe ich sicher auf einem Surfbrett. Denkste Puppe! wie Freunde in Berlin sagen würden. Erstens hatte ich gar nicht genug Zeit, jeden Tag zum Meer zu gehen und zweitens – war es viel zu kalt! Kälter als verregnete Urlaube in der Nordsee! Ich bin im März in Kalifornien angekommen: weitgehend sonnig, angenehme Lufttemperaturen – und gefühlte Pazifiktemperatur von höchstens 15 Grad. War also erstmal nichts mit jeden Tag Schwimmen und Eroberung der Surfwelt. Doch es bestand Hoffnung: es wurde wärmer, draußen und im Meer. Im Juli versuchte ich es wieder. Ich hatte komplett die Unterströmungen, die Wellen und überhaupt die Gewalt des Wassers unterschätzt. Das war anders als Urlaub am Mittelmeer oder Konfrontation der dunklen Nordsee an Vaters Hand.
Es ist nie was geworden mit mir und dem Surfen obwohl ich es noch mehrmals versucht habe. Ich geh zum Schwimmen ins öffentliche Schwimmbad, zum Rumspielen, abkühlen und boogieboarden ins Meer. Die kleinen Boogie Boards sind perfekt für mich. Im Geschwindigkeitsrausch düse ich in der Gischt zum Strand.
Ein Interview hat jetzt allerdings wieder Surf-Sehnsüchte geweckt – vielleicht sollte ich mich doch mehr anstrengen. Norman Ollestad saß mir gegenüber, erzählte aus dem Leben mit seinem Vater, der ihn permanent und vorsätzlich in Extremsituationen brachte beim Surfen und beim Skifahren. Schon als Baby musste Norman auf den Rücken des Vaters geschnallt mit aufs Surfbrett. Als Vierjähriger sauste er eisige Pisten in Sankt Anton hinunter. Als er elf Jahre alt war stürzte Norman in einem kleinen Flugzeug in den vereisten Bergen bei Los Angeles ab. Sein Vater starb bei dem Absturz. Norman musste allein von der Bergspitze runter ins Dorf kommen, in einem Schneesturm, bei Minustemperaturen, ohne Handschuhe und Mütze, in Stoffturnschuhen. Er hat es geschafft weil er Extremsituationen kannte. Während Norman sich an all das erinnerte, erzählte er auch von einem Erlebnis mit seinem Vater an der Küste von Mexiko – als er zum ersten Mal in einer Welle surfte, wie sich dieser Tunnel vor ihm öffnete, wie er gleichzeitig Frieden und eine ungeheuerliche Kraft fühlte in der Mitte von gezähmter Energie. Er beschrieb es so eindrücklich, dass ich plötzlich wieder surfen lernen wollte. Wieder zu Hause wurde mir schnell klar: ich bin zu verweichlicht, um durch all den “shit” zu gehen, der laut Norman notwendig ist, um diese wahren goldenen Momente zu erleben. Ich wollte doch unbedingt diese garndiose Beschreibung der Magie des Surfens in einer Welle zu Gehör bringen für alle die, die wissen wollen, wie sich das anfühlt und vielleicht gerade noch einen Schubs brauchen, es selbst zu versuchen:

Norman Ollestad erzählt von der transformierenden Kraft des Wellentunnels

Normans Erlebnisse werden übrigens derzeit von Sean Penn verfilmt.

 

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Roskilde das erste Mal

Obwohl ich nun schon seit ein paar Jahren in Dænemark lebe (und wie man sieht derzeit auf einer lokalen Tastatur schreibe), bin ich erst dieses Jahr das erste Mal zum Roskilde Festival gefahren. Das Festival hat æhnlich viele Szenen wie es Tage dauert und uber 100 000 Besucher (davon tausende von Freiwillige). Mit dabei waren dies Jahr auch Rihanna (mit einer schwachen Performance) und Ingrid feat. Lykke Li (kaum besser). Erheblich mehr Kraft hingegen hatten EL-P und da sie auf einer kleineren Szene spielten war es ohnehin das groessere Erlebnis. Das Festival ruft schon wieder, deshalb ausser dem nuchternen Intro schnell ein Link zu meinem Artikel fur The Wall Street Journal’s Speakeasy.

 

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Tageszeitung montags geschlossen

Es ist Montagmorgen. Ich krame in meinem elektronischen Briefkasten nach der Tageszeitung. Den Courrier habe ich abonniert, weil er das Versprechen “l’essentiel autrement” – das Wesentliche anders erzählt – jeden Tag aufs Neue einlöst. In Genf, der drittteuersten Stadt der Welt, berichtet nur der Courrier etwa von der wachsenden Bewegung des “Freeganisme” – von denjenigen also, die aus wirtschaftlichen wie aus ideologischen Gründen in den Müllcontainern der Supermärkte das ‘ernten’, was die Konsumgesellschaft weggeschmissen hat. Von den Rentnern, die ihre Geburtsstadt wegen der hohen Mieten verlassen müssen. Und vom Irrsinn der Pläne, einen guten Teil der Genfer Altstadt abzureißen, um den Bahnhof zu erweitern. Allerdings sind solche Nachrichten nicht einmal 8.000 Genfern (und Westschweizern generell) 2,70 Franken am Tag wert.

Immer wieder wird orakelt, dass der Courrier nicht mehr lange zu leben hat. Und an diesem Montagmorgen scheint es so weit zu sein: kein Courrier. Ich checke bei Google, ob im Waadtland (ein Teil der Redaktion sitzt in Lausanne) Feiertag ist – in der Schweiz wie beinahe alles kantonal geregelt. Fehlanzeige. Gedankenverloren schaue ich auf die Ausgabe vom vergangenen Samstag. Und sehe auf einmal diesen kleinen Hinweis auf der Titelseite:

courrier

Wie jeden Sommer seit 2001, heißt es da, erscheint der Courrier bis Ende August am Montag nicht. Als Sparmaßnahme. Ein paar Hefte vorher war auf einer Seite die Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres abgedruckt: 106.801 Franken Miese. Für 2013 ist schon in der Planung ein Defizit von fast 11.000 Franken prognostiziert. Doch anders als die Zeitungen der großen Medienholdings, die in der Schweiz den Markt weitgehend unter sich aufgeteilt haben, spart der Courrier nicht an den Autorengehältern. Es gibt keine Entlassungswelle, und Freie werden so bezahlt wie früher auch schon – nicht üppig, aber immerhin. Stattdessen ist meine Genfer Lieblingszeitung zwei Monate lang montags geschlossen.

Während die Kaffeemühle surrt und der zweite Kaffee des Tages in die Tasse läuft, denke ich: irgendwie ist das okay so. Lese ich heute halt ein Buch.

 

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Neulich in Tiflis

In Tiflis im Taxi 1

Ein Taxi reiht sich ans andere.
Flugplatz.
Ein Schild: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Kurze Kontrollfrage.
Bei ihm koste es 35. Das Schild sei nicht für ihn. Sein Auto sei besser, deshalb teurer.
Also alles wieder ausladen, es geht ja irgendwie auch ums Prinzip.

Der nächste Fahrer (gleicher Autotyp). Ja. 25 Lari.
Ich freue mich. Ein ehrlicher Taxifahrer! Ich werde ihm 5 Lari Trinkgeld geben.

15 Minuten später im Zentrum. Er sagt: 30 Lari. 25 koste es nur bis da vorn. Hierher sei etwas anderes.


In Tiflis im Taxi 2

Sonntag Morgen. 8 Uhr. „Die Fahrt zum Flugplatz kostet 25 Lari.“ Feststellung vor Fahrtantritt! Der Fahrer schweigt irgendwie apathisch.
Ich steige hinten ein.
Wir fahren.
Er ist unsympathisch.
Er fährt langsam. Ein bisschen.
Das ist sympathisch.
Wenn die Ampeln bald umspringen, bremst er ab. Anfahren etwas verzögert.
Die Straßen sind leer. Klar, Sonntag Morgen.
Aber ist das ein Tifliser Taxifahrer?
Er fährt über eine unwichtige rote Ampel. Ja, er ist ein Tifliser Taxifahrer.

Wir schweigen weiter.

Ab und zu schlingert das Auto ein wenig. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern.

Die Schnellstraße. Es geht geradeaus. 3 Spuren. Er fährt zwischen zweien. Ganz normal bei Tifliser Taxifahrern. Es ist ja Sonntag Morgen und nichts los. Dann fährt er in der Mitte. 60 Km/h, 50, 40…
Hier fahren die Autos 100, Taxis 120. Und es ist Sonntag Morgen.

Ich sehe in den Spiegel.
Seine Augen.
Sind zu.
Sie bleiben zu.

Hallo!
Die Augen sind auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen auf.
Fallen zu.
Ich stoße ihn an.
Augen halb auf, fallen zu. Ich stoße ihn an. Auf, zu. Soll ich fahren?
Keine Reaktion, offene Augen.

Der Abzweig zum Flugplatz.
Seine Augen sind weit offen. Er pfeift was.
Ich schaue in den Spiegel, permanent. Beobachte seine Augen. Es kann nicht mehr weit sein.
Warum sitze ich hinten, vorn hätte ich mehr Einfluss.

Endlich, der Flugplatz.
Er gibt kein Wechselgeld. Bei ihm kostet die Fahrt in die Stadt 30 Lari.
In Tiflis im Taxi 3

Wieder Flugplatz. Ankunft. Die Schilder sind weg: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Wo wollen Sie hin?
Ins Zentrum.
Wo dort?
Das ist die falsche Frage. Was kostet es?
Wieder: Wo dort?
Nein, das ist die falsche Frage. Die Frage ist: Was kostet die Fahrt mit Ihnen in die Stadt?
Wo wollen Sie hin?
Das ist die falsche Frage: Was kostet es?

Gewonnen: „Die Fahrt in die Stadt kostet 25 Lari.“
Dafür fährt er 140.

 

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Rauch vorm Rundfunk

Für einen Augenblick wird mir flau, als ich mich dem Gebäude des griechischen Staatsrundfunks, ERT, nähere. Vor dem Haupteingang steigt eine dicke Rauchsäule auf. Von Krawallen hatte ich nichts gehört, ich hatte auch keine erwartet. Es dauert etwas, bis ich mehr sehen kann – der Verkehr auf der Mesogeion-Straße geht schon seit Stunden nur noch stockend voran. Dann Erleichterung: Die griechische Welt ist noch in Ordnung. In Windeseile sind nicht nur Tausende Bürger zum Funkhaus geströmt, sondern auch die obligatorischen Souvlaki-Bratbudenbesitzer. Keine Demonstration in Griechenland ohne Souvlaki. Trotz des Schreckens, der in die Menschen gefahren ist, als ihre Bildschirme plötzlich schwarz wurden, geht es auf dem Gelände der ERT zu wie bei einem Festival. Nicht einmal die Junta habe die ERT abgeschaltet, das sei in ihrer 75-jährigen Geschichte nur einmal vorgekommen, nämlich als die Nazis in Athen einmarschiert sind, schimpft ein Demonstrant. Und die Misswirtschaft bei der ERT, die es doch zweifelsohne gegeben hat? Das bringt die Demonstranten erst recht zum Rasen. Die gleichen Politiker, die nun das Fanal der Transparenz hochhalten, seien doch die, die jahrzehntelang ihnen gewogene „Berater“ bei der ERT eingestellt haben. Berater, die am Ende des Monats, dicke Gehaltsschecks bezogen. Politische Günstlinge gebe es hier außerdem in allen Betrieben der öffentlichen Hand, sagt ein anderer. Wolle man nun auch die Strombehörde, die Krankenhäuser etc. schließen? Und so reihen die Menschen, die sich hier eingefunden haben, die Schließung des Staatsrundfunks ein in eine Serie von Angriffen auf alles, was staatlich oder öffentlich ist. Auf dem Podium wechseln sich Sprecher und Musiker ab, ein großer Bildschirm überträgt das Fernsehprogramm, das drinnen produziertg und nunmehr über Internet verbreitet wird. Es ist absurd: das griechische Staatsfernsehen ist als Piratensender on air. Noch absurder ist das, was manche Demonstranten sagen: „Endlich hat auch Griechenland einen öffentlichen Rundfunk“, denn allen ist klar, dass die ERT, deren Direktoren von der jeweiligen Regierung eingesetzt wurden, nur bedingt unabhängig sein konnte. Dennoch wurde hier auch ausgezeichnetes Programm gemacht, informative Hintergrundsendungen mit herausragenden Gesprächspartnern, gesellschaftspolitische Analysen und engagierte Dokumentationen. In den vergangenen Jahren konnte man außerdem beobachten, wie sich die Journalisten zunehmend von der politischen Führung emanzipierten. Trotz aller Mängel war die ERT ein Lichtblick in der griechischen Medienlandschaft. Das wird diese Tage von der Bevölkerung honoriert. Auf der Rückfahrt zappen wir uns durch die Radioprogramme, eine Sendung ist nervtötender als die andere. Schalt die ERT ein, sage ich zu meinem Beifahrer in einem alten Reflex.

 

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Karikaturenstreit um Maori

  • Immer hinken wir Europa hinterher. Mit zwölf Jahren Verspätung haben auch wir unseren Karikaturenstreit. Es geht um Rassismus, nicht um Religion. Nicht um Mohammed, sondern um Maori, Milch und Frühstücksflocken.

    Letztere fielen einigen Menschen aus dem Mund, als sie morgens die Zeitung aufschlugen und sahen, was Al Nisbet diesmal verbrochen hat. Nisbet ist Karikaturist der ‚Press‘ in Christchurch und schaut „dem Volk aufs Maul“. Hübsch ist das selten. Manchmal ähnelt es eher einer Darmspiegelung.

    Was war passiert? Die regierende National Partei hat mit viel Lärm ein Programm namens „Kick Start“ gekickstartet, das in einkommensschwachen Gegenden ein kostenloses Schulfrühstück serviert. Schlappe zwei Millionen Dollar für Milch und Weetbix wandern in die Münder der armen Kleinen, und nebenbei gibt’s wunderbare PR für den umstrittenen Milchmogul Fonterra, der unsere Flüsse vergüllt – voll sozial für einen Premierminister, der da, wo andere Hirn und Herz haben, Firmenlogos sitzen hat.

    Bei den Kinder, die nicht richtig lernen, weil sie hungrig in die Schule kommen, herrschen oft auch desolate Zustände zuhause: Eltern im Knast, auf Drogen oder Stütze. Und diese wiederrum sind überproportional häufig Maori und Samoaner. Ob man die mit Weizenpampe vor den Spätfolgen der Kolonialisierung rettet oder sie und ihre Brut mit so viel Wohltätigkeit erst recht in die Gosse treibt, war das Tagesthema zwischen Links und Rechts. Womit wir wieder bei Al Nisbet sind.

    Der signiert seine Werke so, dass das „S“ in seinem Namen wie das der „SS“-Runen anmutet – was natürlich reiner Zufall ist. Genauso, wie es Zufall ist, dass die dicken, dunkelhaarigen Figuren mit runden Augen und breiten Nasen, die letzte Woche aus Nisbets Stift flossen, aufgrund ihrer Physiognomie für Polynesier oder Maori gehalten werden könnten. In der umstrittenen Karikatur wandern diese asozialen Prototypen – Fluppe, nackter Hängebauch, Tattoos – Richtung Schule, mit einem Ranzen auf dem Rücken und einem Schälchen in der Hand. „Psst – wenn wir damit durchkommen, haben wir mehr Kohle für Alkohol, Kippen und Spielautomaten!“ raunen sich die Essenerschleicher in der Sprechblase zu.

    Am nächsten Tag legte Nisbet in einer anderen Zeitung nach: Eine ähnlich derbe Truppe sitzt rülpsend und rauchend um einen Tisch voller Tippscheine, Aschenbecher und Bierdosen und lobt das kostenlose Staatsfrühstück: „Es lindert unsere Armut und ernährt die Kinder!“ Da half auch nicht mehr, dass in diesem Unterschicht-Idyll ein paar der fetten Gören mit helleren Haaren ausgestattet waren. Das waren die Alibi-Weißen. Die Botschaft war klar und der Aufschrei der Leser entsprechend. Sich über soziales Elend zu mokieren ist keine Ironie, und Maori zu verspotten ein Tabu. Der Chefredakteur musste sich rechtfertigen. Bei der Menschenrechtskommission gingen Rassismus-Beschwerden ein. Doch niemand denkt bei all dem Streit an die wahren Opfer von „Kick Start“: laktoseintolerante Kinder mit Glutenallergie.

     

 

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Mein Schweizer Konto

Ich gebe es zu: auch ich habe ein Schweizer Bankkonto. Seine Nummer ist neunstellig, das Guthaben leider nicht. Auch deshalb habe ich mein Konto nicht bei einer der zahlreichen renommierten Schweizer Privatbanken wie Vontobel, Pictet oder Julius Bär eröffnet, sondern bei der Raiffeisen-Bank Genf-West. Das Verfahren, um ein Konto zu eröffnen, war bislang hie wie dort aber gleich: bei der Kontoeröffnung wird nach dem Personalausweis gefragt. Dass ich Steuern zahle, war meiner Bank egal.

Heute wäre das wohl anders. Denn inzwischen häufen sich Berichte darüber, dass Ausländer ihrer Schweizer Bank nachweisen müssen, dass das auf ihrem Konto befindliche Geld versteuert ist: “Weißgeldbeweis” nennt sich das. Während eine Mehrheit im Schweizer Parlament bis heute für das Schweizer Bankgeheimnis streitet, als wäre es Teil des älplerischen Gründungsmythos, führen viele Banken den so umstrittenen automatischen Informationsaustausch einfach selber ein. Selbst alten Kunden würden im Fall fehlender Kooperationsbereitschaft die Konten gekündigt, lässt die Großbank Credit Suisse verlauten. Die Steuererklärung allein genügt nicht – Kunden auch bei anderen Banken, vor allem solche mit großen Vermögen, müssen einem Informationsaustausch zustimmen. Die Angst ist groß, auf der nächsten Steuer-CD zu erscheinen.

Handfeste Folgen hat das für einen amerikanischen Bekannten, der seit ein paar Monaten in der Schweiz lebt. Dass sein Konto durchleuchtet wird, kann ihm nicht passieren – er bekommt nämlich erst gar keines. Als Amerikaner sei man unerwünscht, gaben ihm Angestellte gleich mehrerer Banken zu verstehen – denn die US-Steuerbehörde verhängt pauschale Strafsteuern für Banken, die sie nicht umfassend mit Daten versorgen. Um diese Strafen zu umgehen, verzichten viele Banken lieber ganz auf die Kunden aus Amerika – und immer mehr Amerikaner auf ihren Pass: mehrere hundert Amerikaner, die auch den Schweizer Pass besitzen, sollen im vergangenen Jahr auf die US-Staatsbürgerschaft verzichtet haben.

Meinem verzweifelten Bekannten bleibt jetzt noch die Schweizer Post – die einzige Bank, die jedem ein Konto gewährt, zuletzt etwa auch Wikileaks-Gründer Julian Assange. Dessen Guthaben ist allerdings seit einiger Zeit gesperrt. Wegen angeblicher Formfehler hatte der Finanzdienstleiter der Post persönlich Assanges Konto eingefroren. Ein bisschen Risiko bleibt also bei jeder Bank.

 

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Le hopisme

Der Weinhändler läuft zum Regal und zieht eine Flasche Côtes du Rhône heraus. „Hop“, sagt er und fragt, ob es noch etwas sein dürfte. Selbst der Kaminkehrer sagt hop, als er die Quittung aus dem Block reißt. Und dem Schüler in der Klasse entfährt ein hop, wenn er für die Lehrerin den DVD-Player anwirft. Im französischen Alltag hopt es ständig. Frankreich erlebt in der mündlichen Sprache eine Art Hopismus.

Warum hop? Das h bleibt bei der Aussprache natürlich mal wieder stumm, so dass sich das wie „op“ anhört. Gerne haucht man auch nach hinten raus: “opahh”.

Das hop gibt es auch ganz offiziell. Air France gab seiner neuen Tochtergesellschaft den Namen „Hop!“. Der Slogan der regionalen Billigflug-Linie: “Von einer Region zur anderen hüpfen.” In Straßburg werden die Leihräder der Stadt „Vélhop“ genannt („Et hop – un vélhop!“) Ließen sich die Franzosen vielleicht beeinflussen von dem Film „Hop – Osterhase oder Superstar?“, ein US-Zeichentrickfilm über einen hoppelnden Hasen? Hop kommt in der Netzwerktechnologie vor – so nennt man in Rechnernetzen den Weg von einem Netzknoten zum nächsten. All das bringt uns aber nicht wirklich weiter.

Hop, her mit dem Hörer und ein Anruf beim Linguisten Alain Lemarechal von der Universität Paris IV. Bonjour Monsieur Lemarechal, comment-hopez, äh allez vous? Herr Lemarechal sagt, dass das Hopen die Franzosen erst in den vergangenen drei bis vier Jahren so richtig erfasst habe. Natürlich gibt es hop schon länger, wenn Eltern etwa den Kindern einen Befehl geben, schneller zu machen (“Hop, au lit!”). Aber dieses hop zu sich selbst während einer Aktion, das vermehre sich. Er fragt sich, ob dieses Wörtchen vielleicht bei der Berufsausbildung einfach oft benutzt wird? Jedenfalls betone man damit gerne Schnelligkeit beim Bedienen. Eine kleine, lautmalerische Interjektion, in der steckt: Nichts einfacher als das, das machen wir – da haben wir es schon. Ein Gefühl von Leichtigkeit. Hepp würde es rechtsrheinisch heißen.

Wenn es also im Geschäft hopt, ist Kundenfreundlichkeit und Zackigkeit mitten unter uns. Denn dann hoppelt der Franzose gerne für jemanden. Vive le hopisme.

 

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Flughafen-Penner

Tourist sein kann jeder. Aber um sich Backpacker zu nennen, muss man Initiationsriten durchstehen. Nein, nicht Bungeespringen und Kampftrinken. Sondern kostenlose Härtetests, die Insiderkenntnisse und Weltläufigkeit beweisen. Früher waren das: Vollmondparty auf Ko Pha Ngan, überfallen werden in New York, Amöbenruhr in Indien. Heute ist es eine Nacht am Flughafen von Christchurch. Die schlägt alles an Tortur und globalem Wir-Gefühl. Damit kommt man sogar in die Schlagzeilen.

Christchurch ist die größte Stadt der Südinsel Neuseelands und hat einen schick umgebauten Terminal, wo man gutes Sushi bekommt. Ein internationaler Umsteigeplatz ist der Flughafen jedoch nicht. Dagegen aber ein internationaler Einschlafplatz. Unter den Travellern hat sich herumgesprochen, wie gut man dort auf dem Boden und den Bänken ruht – und sich damit das Geld für ein teures Hotel in der Nähe spart.

Reihenweise rollten sich junge Reisende im Ankunftsbereich in ihre Schlafsäcke, in den Toilettenräumen wurde sogar auf Campingkochern gekocht. Bis zu 200 betuchte Obdachlose pro Nacht: wunderbare Globetrotterwelt, warm und mit WiFi! Doch damit hatte es vorletzte Woche ein jähes Ende. In einer unbarmherzigen Nacht- und Nebelaktion beschloss die Flughafenverwaltung, die Campierer vor die Tür zu setzen, da zwischen Mitternacht und Morgengrauen keine Flüge mehr starten.

Übernächtigte Rucksackreisende, die für die Stunden bis zum nächsten Flug nicht eigens in ein Hostel in der Stadt fahren wollten, lernten gleich zur Ankunft den schönsten Arsch der Welt von seiner unschönen Seite kennen. Das Flughafenpersonal warf sie bei Minustemperaturen hinaus in die kalte Nacht. Auch aus der Raucherecke im Freien wurden sie vertrieben. Die Flughafen-Penner saßen ihre Nacht frierend in Bushaltestellen und auf Grünstreifen ab.

Eine mitleiderregende Odyssee hatten vier Deutsche hinter sich, die mit dem letzten Flug am Abend gelandet waren und früh morgens um acht als erstes ihr Wohnmobil abholen wollten. Erst verkrochen sie sich unter die Treppe des Parkhauses, wurden aber auch dort aufgestöbert. Dann wanderten sie schlaftrunken zum nächsten McDonalds . Da wollte man sie am Drive-Through-Schalter nicht bedienen, weil sie kein Auto hatten.

Als das gesittete Christchurch die Bilder der herumirrenden Karawane in der Tageszeitung sah, war es geschockt. Nichts trifft einen Kiwi schlimmer, als wenn man ihn für nicht gastfreundlich hält. Der erste Eindruck von Aotearoa – ein Fußtritt in die Kälte? Die Empörung war groß. Die Stadt fürchtet, noch mehr Touristen zu verlieren, wenn sich diese Art der Begrüßung herumspricht.

„Wir sind keine Herberge“, verteidigte sich Flughafen-Chef Jim Boult und behauptet, manche Rucksackreisende würden ihren Zwischenstopp dreist auf mehrere Tage ausdehnen. Damit hat es jetzt ein Ende. Wer landet, darf zwar auch nachts im Terminal bleiben – aber nur mit einem Abflugticket für den nächsten Morgen. Insider-Tipp: McDonalds gilt es weiterhin zu meiden.

 

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mai in moskau – geschichte wird gemacht

Ein Bild von © Thomas Franke, nachmoskau.de

 

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Soft Sydney: Reportagefotos zensiert

Tourismuswerbung will vor allem die schönen Seiten des Lebens zeigen, logisch. Reportagejournalismus zeigt zuweilen auch andere: Nachdenkliche oder gar unattraktive Aspekte. Das müsste sich eigentlich auch bis Sydney rumgesprochen haben. Doch dort überlappen sich im Moment so viele Events, dass die Touristiker von Destination NSW offenbar den Überblick verloren. Lieblingsevent der Stadtwerber ist derzeit Vivid, das Festival der Lichtspektakel. Und in das bezogen sie diesmal ein hochkarätiges Fototreffen ein, das Reportage Photography Festival. Nur irgendwie übersah dabei jemand, dass die Arbeit von Fotografen namhafter Agenturen wie Magnum, Noor und Contact nicht ausschließlich hübsch ausgeleuchtete Lichtbilder von glücklichen Momenten darstellt. Manchmal lichten sie auch Überschwemmungen ab, oder weinende Frauen in Ägypten. Oh, hm nö, das wollen wir aber lieber nicht so gerne, fanden die Stadtbeleuchter, und noch ehe die Bilder Samstag auf die Open Air Leinwand geworfen wurden, waren sie auch schon zensiert. “Too distressing” – zu bedrückend. Nur 14 der ursprünglich 37 Bilder durften bleiben.


Unter den angeblich nicht familien-freundlichen Exponaten waren auch legendäre Bilder wie David Burnett’s Iranfotos von 1970 oder Andrew Quiltys Aufnahmen von Landschaften nach Waldbränden. Die Fotofestival-Organisatoren finden die Entscheidung peinlich, der Sydney Morning Herald schuf eine Online-Galerie “Reportage uncensored”, der Rest wundert sich: Womit hatten die Tourismuswerber wohl gerechnet, als sie eine Schau mit Arbeiten von Reportage- und Kriegsfotografen sponserten? Vielleicht sollten sie nächstes Mal gleich auch das Thema vorgeben, etwa “Stimmungsvolle Naturbilder”. Dann aber nur von Flora und Fauna, die noch nicht bedroht ist, das könnte ja sonst auch wieder bedrücken.

 

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Wem der Hurrikan nutzt

„Bereiten Sie Ihr Haus für die Wirbelsturmsaison 2013 vor“, lautet die Überschrift über der Pressemitteilung. Darunter steht der Hinweis auf eine „National Hurricane Preparedness Week“ vom 26. Mai bis 1. Juni. So etwas liest man als Journalist, zumal nach dem Tornado in Oklahoma am vorvergangenen Wochenende, der 24 Menschen tötete und mehr als 12 000 Häuser zerstörte.

Es fängt ganz interessant an. Eine Metereologin namens Jill Hasling vom Weather Research Center in Houstin (Texas) prognostiziert für dieses Jahr eine 70prozentige Chance für einen großen tropischen Sturm an der Küste zwischen Lousiana und Alabama. In der Region von Georgia und North Carolina beträgt die Wahrscheinlichkeit immerhin noch 60 Prozent. „Unser Rat an Hausbesitzer ist, sich während der National Hurricane Preparedness Week Zeit zu nehmen um ihr Haus sturmfest zu machen“, ist Frau Halsing zitiert.

Wie das geschehen kann, darüber informiert anschließend Mark Clement, Moderator einer Radiosendung mit dem denkwürdigen Titel „MyFixitUpLife“. Ich lese, dass es sich bei Herrn Clement um einen professionellen Handwerker handelt. Und zwar um einen mit ausgeprägten Produktvorlieben, wie sofort klar wird. In den nächsten zehn Absätzen der Pressemitteilung preist er das Kunststoffschieferdach Da Vinci Roofscapes, das er für sein eigenes Haus verwendet habe, Fensterglas der Firma Simonton („extrem energieeffizient“) und Eingangstüren von Therma-Tru („ein hervorragender Schutz“). Spätestens jetzt ist klar: Die fürsorglich warnende Pressemitteilung ist in Wirklichkeit eine Gemeinschaftswerbung, geschickt zusammengerührt von einer PR-Dame namens Kathy Ziprik. Ein Foto hat sie auch beigefügt, es sieht so aus:

 

Ob das Wetterinstitut, der Handwerker-Moderator oder eine der Firmen es zur Verfügung gestellt haben, bleibt unklar.

Es interessiert mich, ob es Medien gibt, die auf diesen dreisten PR-Trick hereingefallen sind, und ich google ein paar Schlüsselbegriffe aus dem Presseinfo. Beruhigenderweise wird nur ein Blog der Fensterfirma Simonton ausgeworfen, die an dem Projekt selbst beteiligt ist. Scheint so, als hielte sich der Nutzen für die Werbepartner in Grenzen. Frau Ziprik freilich wird sich ihre Dienstleistung mit einem schönen Honorar vergütet haben lassen.

 

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Finale der Oblehrer – “Vaidenfellere” und andere deutsche Monster

Es war Ende April und schlimmer konnte man es sich nicht vorstellen: keine italienische Mannschaft im Halbfinale der Champions-League, und dazu auch noch zwei deutsche! Nicht nur, dass damit die Euro-Krisen-Oberlehrer nun auch noch als Fußball-Oberlehrer herumstrebten; vor allem hatte man an vier Spielen mit Wortmonstern wie “Vaidenfellere” und “Emullere” zu kämpfen. Ganz zu schweigen von Obermonster „Esvainstaigere“.

Und doch, es geht noch schlimmer. Die Steigerung erleben wir am heutigen Abend. 90 Minuten ein Spiel mit der maximal denkbaren Anzahl von deutschen Nachnamen auf dem Platz und drumherum! Ein Albtraum. Die Folge: Ich bekomme seit Tagen Anrufe von Sportjournalisten. Denn früher gab es die Radio- und Fernsehübertragung in der „RAI“ und später auf „SKY“. Heute gibt es unzählige Wettanbieter und Regionalradios, die vom Fernsehbild aus das Spiel kommentieren. Meistens kommen die Kollegen ohne Umschweife rasch zur Sache:”Come cazzo si pronuncia questi nomi?”, etwas geglättet übersetzt mit: „wie zum Teufel spricht man diese Namen aus?” „Allora“, „also“, sage ich dann und stelle mich auf eine gute halbe Stunde Deutschkurs ein, ich baue von Zeit zu Zeit Eselsbrücken: „Neuer“, spreche man aus wie „Noia“, „Langeweile“, sage ich dann. Die Eselsbrücke? Neuer sei im Vergleich zur Bestie Oliver Kahn vergleichsweise langweilig. Konstruiert? Wirksam! Beim Dortmunder „Weidenfeller“ muss das Lautbild „Vaidenfellere“ dagegen buchstabiert werden: „V“ wie „Venezia“, „A“ wie „Ancona“, „I“ wie „Imola“, „D“ wie „Domodossola“, „E“ wie Empoli, „N“ wie „Napoli“….und so weiter. Jedesmal eine kleine Italienreise. Ein kleiner Urlaub, allein durch die Wörter.

Doch die Kollegen denken nicht weit genug: Denn beim Champions-League-Finale geht es ja nur zum Teil um diesen silbernen Pokal. Es geht ja auch um das „sich präsentieren“: Jeder, der in den 90 Minuten des Finales zu sehen ist, und sei es der Vize-Masseur auf der Trainerbank, muss damit rechnen, vom Fleck weg von einem Groß-Club verpflichtet zu werden. Steht nach den „Legionären“ von Lothar Matthäus bis Thomas Doll jetzt die nächste Wanderung über die Alpen an? Um nicht zu weiterer Verunsicherung bei den geschätzten Radiokollegen zu sorgen, habe ich dieses Szenario bisher nicht erwähnt. Sollen sie erst einmal den Samstagabend ohne Zungenkollaps überleben! Die Fans sind da schon deutlich weiter. Auf einem Fan-Blog von „Lazio Rom“ findet sich der schöne Eintrag eines gewissen „Lucio“: „Thomas Hitzelsberger ist 2010 gegangen und ich weiß immer noch nicht, wie man ihn schreibt oder ausspricht. Wenn irgendwann einmal Schweinsteiger kommen sollte, buona notte, gute Nacht.“

Um den Kollegen ein positives Gefühl zu geben, nenne ich zum Schluß immer den Namen des bayerischen Abwehrspielers „Dante“. Auf die Wirkung ist stets Verlass: „Dante Alghieri! Göttliche Komödie!“, kommt dann sofort und ein Kollege aus Palermo fing sogar an, einen Vers aufzusagen: “Nel mezzo del cammin di nostra vita…“ Und schon ist man als Italiener wieder obenauf. Weltgeschichtlich bleibt auf lange Sicht von Italien einfach die Kultur. Von den Deutschen nur die Wortmonster.

 

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Katzenkiller und Vogelfreunde

„Pussy Riot“ haben wir auch. Ganz ohne Putin und bunte Hauben, dafür mit Hinrichtungen und echten Katzen. Gegen die laufen seit Wochen Pogrome der übelsten Art. Eine Mordwelle hat im Norden des Landes begonnen und breitet sich aus, es kommt zu Ausschreitungen und Übergriffen. Wir stehen knapp vor der Zwangseuthanasie der kleinen Lieblinge. Wo bleibt der internationale Aufschrei? Miau!

Der Mann hinter dem Felinozid ist Gareth Morgan – Haustier-Hitler für die einen, mutiger Naturschützer für die anderen. Er ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner, Finanzmanager und Philantrophen Neuseelands, baute Schulen auf den Solomon-Inseln, unterstützt Umweltprojekte in der Antarktis und half dem Pinguin ‚Happy Feet‘ wieder auf die Flossen. Anfang des Jahres startete er seine neueste Kampagne „Cats to go“, und seitdem wird er mindestens so gehasst wie verehrt. Denn Morgan fordert: Neuseeland muss katzenfrei werden. Ein ethisches Dilemma.

Jeder zweite Haushalt in Aotearoa hat eine Katze. Insgesamt sind es 1,4 Millionen, was uns im Pro-Kopf-Durchschnitt angeblich zum Land mit den meisten Miezen macht. Ganz schön schnurrig, wenn da nicht all die einheimischen Vögel wären. Oder waren. 40 Prozent von ihnen sind bereits ausgestorben, neun Sorten insgesamt. Der Rest ist bedroht, und wer ist schuld daran? Vor allem streunende Katzen, so Gareth Morgan. Eine allein könne pro Woche an die hundert Vögel erlegen. „Das kleine flauschige Bündel, das Ihnen gehört, ist ein ‚natural born killer‘“, so Morgans Appell. Er plädiert dafür, sich keine Katze mehr anzuschaffen, wenn die alte ins Gras beißt. Auch Einschläferung im Dienste der guten Sache sei „eine Option“.

Da sträubt sich bei Frauchen oder Herrchen das Fell. Die Fronten zwischen Vogel- und Katzenfeinden haben sich in den letzten Monaten verhärtet. In Pahia, einer Kleinstadt in der Bay of Islands, kam es in den letzten Wochen zu hässlichen Szenen. Es geht vor allem um eine Kolonie heimatloser Katzen, die vom Tierschutzverein auf einem Grundstück der Stadt durchgefüttert werden. Die Miezenfreunde bezeichnen sich als „Soldaten“ im „Kampf um Pahia“. Ihr Feind: Die Naturschützer von „Bay Bush“. Letztes Jahr drückte eine 70jährige Katzenoma Carol Davis aus Kerikeri gegen die Wand drohte ihr: „Du bist in dieser Stadt unerwünscht!“ Davis ging zur Polizei.

Die Stadtverwaltung hat jetzt die Fütterung der wilden Katzen verboten. Doch auch die Vogelfreunde sind nicht zimperlich. Gruselfotos auf Facebook zeugen von ihren Massakern: Katzen, die in eigens dafür umgerüsteten Possum-Fallen zu Tode gekommen sind; eine baumelt am eigenen Kiefer. „Gut gemacht“, freut sich ein Betrachter in einem Kommentar darunter. „Ich frage mich, wie viele Baby-Kiwis diese bösartige Katze getötet hat.“ An welche Romanfigur fühlt man sich bei solchen Worten erinnert? Richtig, an den fanatischen Walter aus Jonathan Franzens Buch „Freiheit“. Der kämpft gegen Hauskatzen, um die aussterbende Grasmücke zu retten. Wir können auch Bestseller in echt.

 

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Bei Waldbrand mit der Plane in den Pool

Ginger Harold hat in den 70 er Jahren mit Freundinnen vor dem Rathaus Büstenhalter geschwenkt und für Gleichberechtigung demonstriert. Sie hat eine Tochter verloren, Erdbeben und eine schwere Krebserkrankung überlebt. Wenig kann sie noch beeindrucken – und bestimmt nicht die dicken weißen Ascheflocken, die vom Buschfeuer am Berg hinter ihrem Haus auf sie niederregnen oder das gespenstisch gelb-rote Leuchten der Flammen, das durch eine dicke graue Rauchwolke scheint. Die 74 Jahre alte Naturliebhaberin wird diesen Berg hinaufsteigen sobald Asche und Rauch, die ihn jetzt komplett verdecken verschwunden sind. Bestehende Evakuierungspläne hält sie für einen Witz, für völlig veraltet. Sollten die Flammen doch den Mini-Bunglow erreichen, in dem sie alleine wohnt oder Funken die ausgetrocknete Eiche erfassen, deren Äste über sein Dach hängen, wirft sie sich eine Plane über und springt in den Pool. Das ist ihr Plan. Gepackt hat Ginger nichts für den Ernstfall. “Ich wüsste nicht was ich packen sollte. Nichts ist wichtig und alles ist wichtig,” sagt sie, zuckt mit den Achseln, lacht und rückt die Atemmaske über Mund und Nase zurecht.
Ginger ist der Typ, den Feuerwehr und Polizei in Kalifornien fürchten und dem sie allzu oft begegnen: sture Senioren, die ihre Häuser trotz Evkuierungsaufforderungen nicht verlassen. Müssen sie gerettet werden, bringen sie andere in Gefahr und stehen möglicherweise vor der gewaltigen Aufgabe, ohne Hab und Gut ganz von vorne anfangen zu müssen. Eine Prognose, die Ginger nicht erschreckt. Sie ist sicher: die Flammen werden ihr Häuschen nicht erreichen. Warum? Oben auf den Hügeln wohnen die Superreichen auf riesigen Anwesen mit Pferdekoppeln und privaten Wanderwegen. “Sie rufen den Gouverneur an und schon bald werden hier so viele Wasserflugzeuge am Himmel sein, dass sie den Flugverkehr regeln müssen.” Sie lacht wieder. “Das ist wahr. Ich hab es schon oft erlebt. Und Gott sei Dank dafür!”

 

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Das zweitbeste Bier der Welt?

Das Timeing ist nicht ganz optimal, aber wenn es um Alkohol geht, ist das vielleicht gar nicht so wichtig. Jedenfalls ist es gerade ein Woche her, dass das Kopenhagener Restaurant Noma von der Position 1 der vielzitierten Liste der besten Restaurants der Welt verschwunden (und auf Nummer 2 geworden) ist, da wird publik, dass das von Noma Chefkoch Rene Redzepi initiierte Nordic Food Lab Carlsberg helfen will, Bier zu brauen. Die Zutaten sollen aus der nordischen Natur stammen – Seetang zum Beispiel. Aber vielleicht sogar Bienenlarven? Immerhin hat das Nordic Food Lab mit diesen schon Granola hergestellt. Klingt nicht nach dem besten Bier der Welt, aber vielleicht wird es ja wie das Noma das zweitbeste. Nur um die Medienaufmerksamkeit hingegen geht es Carlsberg wohl nicht, dagegen spricht, dass das Bier nur in der Heimat lanciert wird und der Markt ist mit 5.5 Millionen Einwohnern doch arg klein.

Details zu Carlsberg und Nordic Food Lab habe ich hier bei The Wall Street Journal beschrieben.

 

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Den Maori kommen die Dänen

Was war das schön, als Neuseeland die Homo-Ehe absegnete. Das gesamte Parlament erhob sich spontan und sang „Pokarekare Ana“, ein Liebeslied der Maori. Ob braun, weiß oder regenbogenfarben: Noch nie saßen so viele Kiwis gerührt vor dem Fernseher, ohne dass es um Rugby ging. Das Ständchen ging um die Welt und dürfte einer Dame im Norden so richtig den Pölser versalzen haben.

Marie Krarup ist Abgeordnete der Dänischen Volkspartei, Prädikat Ausländerfeindlichkeit. Die stramm nationalistisch gesinnte Politikerin war Teil einer Delegation des dänischen Verteidigungsausschusses. Auf der Marine-Basis in Auckland wurde die Truppe offiziell von staatlicher Seite begrüßt. Wie es sich für hohen Besuch gehört, fand der traditionelle Festakt namens ‚powhiri‘ im zur Marine gehörenden Versammlungshaus der Maori statt, dem Te Taua Moana Marae. (Für alle, die bisher nichts über Neuseeland wussten, so wie es vielleicht bei Marie Krarup der Fall war: Aotearoa, wie der Name schon sagt, ist ein zweisprachiges, bikulturelles Land. Es liegt nicht in Europa, sondern südöstlich von Australien. 15 Prozent der Bewohner sind indigener Abstammung und das Grundgesetz sieht vor, dass deren Kultur lebendig bleibt. Okay, weiter!)

Die Redner, Tänzer und Offiziere warfen sich ins Zeug, um den Nachfahren der Wikinger zu zeigen, was „Haere Mai“ heißt: Herzlich willkommen! Es wurde gesungen, gestampft und getanzt, dass es eine martialische Pracht war. Marie Krarup jedoch war anderes gewohnt, zum Beispiel zackige Paraden und Stechschritt. Ziemlich maorisch kam ihr die Begrüßung des Kriegervolkes vor. Anstatt daheim in Kopenhagen endlich einen Reiseführer zur Hand zu nehmen, um sich in Sitten und Gebräuche des Gastlandes einzulesen, schrieb sie sich lieber in der Zeitung „Berlingske Tidende“ ihre Eindrücke von der Seele. Getreu nach Karl Valentin („Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“) war sie geschockt. Wie viel Exotik kann einer xenophoben Militaristin mit eurozentristischem Weltbild zugemutet werden?

„Grotesk“ fand sie den Erstkontakt mit den Fremdlingen. „Wir wurden nicht per Handschlag oder einem Salut von Uniformierten empfangen“, entrüstete sie sich. „Nein, wir wurden mit einem Tanz begrüßt, von einem halbnackten Mann im Grasrock, der auf Maori brüllte.“ Weitere „seltsame Rituale“ musste sie über sich ergehen lassen: Der Mann streckte die Zunge heraus. Wie „ein Idiot“ habe sie sich gefühlt, als einer dieser Barbaren ihr auch noch einen Nasenkuss aufdrücken wollte. Die Maori-Lieder, die die Marinetruppen zu Gitarrenklängen vortrugen, klangen für sie wie „Darbietungen im Kindergarten“.

Damit war der Kulturschock noch lange nicht vorüber. Krarup schaute sich kritisch prüfend im „Maori-Tempel“ um, wie sie den Marae bezeichnete, und erblickte Furchtbares: Holzschnitzereien von „Gottheiten mit wütenden Gesichtern und großen erigierten Penissen.“ Da hilft nur eins: Starkes Nisseöl (Elfenbier – für die, die Dänemark noch nicht so gut kennen).

 

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Neulich in Moskau: In der Sauna

„Ist es okay, wenn ich giesse?“ „Ja.“
Ich giesse.
„Was ist das für ein Akzent?“ – „Ich bin Deutscher.“
„Ah, ein deutscher Spion.“ – „Klar. Was sonst.“
95° Celsius.
„Ich bin ein deutscher Spion und Sie ein russischer“, sage ich.
Ironiefrei.
Er denkt.
Er sagt: „Das ist paradox. Ich ein russischer Spion in Russland.“
„In Russland ist nichts paradox.“

© thomas franke, nachmoskau.de

 

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Krise, Kürzungen, Kanzlerin …

“Überfahren” – “Überrollt”- “Exekutiert” … von der sonst der spanischen Sportpresse eigenen Kreativität, wenn es um Schlagzeilen geht, war nach den haushohen Niederlagen des FC Barcelona in München und des Real Madrid in Dortmund kaum etwas übrig. Auch der Titel “Palizowski” – übersetzt so etwas wie “Prügelowski” – unter dem Bild des vierfachen Torschützen der Borussen wirkte mehr als gezwungen. Der Schock saß wohl einfach zu tief, um spät in der Nacht noch gute Aufmacher zu gestalten. Jahrelang daran gewöhnt, Europa im Clubfußball und zuletzt selbst mit der Nationalmannschaft zu beherrschen, kam das Debakel wie ein heftiger Schlag aus heiterem Himmel.

Krise, Kürzungen, Kanzlerin und jetzt auch noch das … die Depression war am Donnerstag in den Bars und Kneipen Madrids zu spüren. Nach Jahren der Siegermentalität war sie wieder da, die alte spanische Weisheit, nach der Fußball ein Spiel von elf gegen elf ist, und am Ende immer Deutschland gewinnt. “Merkel nimmt uns einfach alles weg”, lautete das Urteil an so manchem Tresen.

 

Waren es die kleinen Freuden der Europameisterschaft, die drakonische Sparmaßnahmen der Regierung des Konservativen Mariano Rajoy zumindest für ein paar Tage vergessen machten, scheinen die Spanier nach dem Debakel von Deutschland endgültig in der Krise und der Depression angekommen zu sein. Dass Europa auseinaderfällt und Spanien nicht einmal mehr im Fußball dazu gehört, wurde plötzlich traurige Realität. Dass im Radio seit Tagen von einem neuen Sparpaket und selbst von einer Anhebung des Rentenalter auf über 67 Jahre die Rede ist, verschärft die Diskussionen noch. “Und da erzählt Rajoy, im Bankenrettungspaket gebe es kein Kleingedrucktes”, lautete einer der Tausende von enttäuschten Nachrichten auf Twitter kurz nach dem Abpfiff.

Es ist von jeher eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Ablehnung, wenn es um die Deutschen – die Quadratschädel – aus der Mitte Europas geht. Jetzt wo jährlich Zehntausende junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit von 27 Prozent Richtung Deutschland fliehen, verschärft sich diese Hassliebe. Merkel-Hitler-Vergleiche werden wohlwollend kommentiert. Die deutschen Touristenmassen, die sich Wochenende für Wochenende dank Billigflieger und guter Konjunktur zu Huase durch Madrids Innstadt wälzen, werden längst wieder misstrauisch und mit Ablehnung beäugt, wie einst in den 1980er Jahren vor dem Boom, der Spanien wirtschaftlich “in die Champions League” brachte, wie das Rajoys Vorgänger der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero gerne ausdrückte. Es schmerzt einfach Kneipen zu sehen, in denen fast nur noch Besucher aus Nordeuropa sitzen.

Fußball war bis Anfang dieser Woche so etwas wie die Rache des kleinen Mannes. Das Bild wie Merkel völlig ungehemmt den Sieg gegen Griechenland feierte machte in Spanien die Runde. Der Titelgewinn der Roja war die ausgleichende Gerechtigkeit. Es war die Lektion der PIGS für die Berliner Lehrmeisterin, die in Karikaturen immer wieder als gestrenge Domina in Lederkluft und mit Peitsche dargestellt wird.

Die Deutsche Welle auf Spanisch verbreitete vergangenes Wochenende ein Zitat der Kanzlerin aus einem Interview. Sie schwärmte von einem rein deutschen Champions-League-Finale. Die Presse auf der Ibersischen Halbinsel griff dies auf. Doch da waren sich in Madrid noch die meisten sicher, dass vielleicht der FC Barcelona gegen die Bayern ausscheiden werde, aber Real gegen Dortmund … undenkbar. Jetzt ist dies fast schon Gewissheit, auch wenn die Sportzeitung AS mit dem Mut der Verzweifelten zur “Operation 3:0″ beim Rückspiel im Bernabéu trommelt.

 

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Kostbare Geschenke

Es war eine verheißungsvolle Aufschrift: „Gift of Music“, Musikgeschenk, stand auf dem Briefumschlag. Er kam vom Orchestra of St. Luke’s, einem New Yorker Klassikensemble. Ich kannte es, denn der beste Ehemann aller Zeiten hatte in der vergangenen Saison eine Konzertreihe von St. Luke’s gebucht. Offenbar wollten sich die Musiker für unsere Treue bedanken – und wie vornehm! Eine silbrige Klappkarte samt Pergamenteinlage lud zum Dinnerkonzert am 6. Mai im distinguierten Plaza Hotel ein. „Honorary Chairmen: Renée Fleming, Plácido Domingo“. Oha. Ich versuchte mich zu erinnern, was unsere Plätze gekostet hatten, dass wir so ein Dankeschön verdienten. Nun, warum nicht… ich sah mich im Zwiegespräch mit den Opernstars, die Vor- und Nachteile der Met erörternd… Dann entdeckte ich die Zahl. Ich machte die Augen zu und machte sie wieder auf. Die Zahl stand immer noch da: $75,000.

Wie hatte ich nur annehmen können, dass uns in New York jemand etwas schenken würde? Natürlich sollten wir etwas geben, zu Gunsten des Orchesters, das vor zwei Jahren eine eigene Spielstätte in Manhattan bezogen hat. Es handelte sich um einen klassischen Fundraiser: Damit das Spenden leichter fällt, ist es mit einer Gegenleistung verbunden, in diesem Fall ein Konzert in prominenter Gesellschaft. So etwas ist in den USA gang und gäbe und nicht nur eine sympathische, sondern auch eine notwendige Sitte, weil sich der Staat wenig an der Finanzierung von Kultur beteiligt. Die Großzügigkeit, mit der Amerikaner spenden, ist ziemlich ansteckend.

Ein „Chairman’s Challenge Table“ für 75 000 Dollar übersteigt überraschenderweise das Budget deutscher Journalisten, aber im Laufe der Jahre haben wir uns zu allerlei Mitgliedschaften und Dauerspenden verpflichtet. Unter anderem sind wir Freunde der Carnegie Hall, des Prospect Parks und des Brooklyn Botanical Gardens. Wir unterstützen den Klassikradiosender WQXR und das Museum of Modern Art, stiften Konserven für die Obdachlosenhilfe CHIPS und nehmen an der jährlichen „Thanks for Sharing“-Aktion von Macy’s teil. Vergangene Woche sind wir spontan dem Cinema Club des BAM beigetreten, einer unabhängigen Kultureinrichtung. Es war eine einmalige Gelegenheit, denn im Rahmen einer Sonderaktion wurden 13 Dollar, der Preis einer Kinokarte, von den 130 Dollar Jahresgebühr abgezogen. Wir haben also richtig gespart.

Gute Taten werden belohnt. Das Klassikradio sandte uns ein Poster, das zu „Beethoven Awareness“ aufruft. Der Prospect Park lädt zum Fledermausgucken ein und die Carnegie Hall zu einer kostenlosen Führung. Und man kriegt Restkarten zum Sonderpreis, was einen dazu verleitet, noch mehr Konzerte zu besuchen und sich der Institution noch stärker verbunden zu fühlen, so dass man vielleicht vom Friend (100 Dollar im Jahr) zum Fellow (150 Dollar) aufsteigen möchte oder sogar zum Associate (300) oder Sustainer (900).

In dieser Woche kam Post vom Orchestra Underground. Es vertont Komponisten der Gegenwart und feiert im Mai sein zehnjähriges Bestehen – natürlich mit einem Fundraiser. Die Veranstaltung war ordentlich als „Spring Benefit“ gekennzeichnet, Missverständnisse konnten nicht aufkommen. Das war mir sympathisch. Und ich dachte, dass es die Musiker mit den schrägen Stücken, die sie spielen, wahrscheinlich ziemlich schwer haben. Mitleidig fischte ich die Antwortkarte heraus. Ich studierte die Alternativen: „Leader Table at $10,000“, „Table at $5000“, „Tickets at $500“. Wie schön, dass zeitgenössische Tonkunst so potente Verehrer hat. Auf mich müssen die Musikanten diesmal verzichten.

Fotos (2): Richard Ten Dyke; Orchestra of St Luke’s

 

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Das ist doch gar keine Stadt!

Ich verstehe ja, dass sich Los Angeles auf den ersten Blick schwer verstehen lässt. Als ich das erste Mal am Flughafen ankam erschien mir auch alles chaotisch und abgesehen von Palmen am Wegesrand wenig attraktiv.

Inzwischen hat sich das natürlich geändert – und das nicht nur weil das Wetter deutlich besser ist als in Berlin. Los Angeles ist ein großartiges Feld zum Austoben aller Abenteuerlust auf Geschichten und Begegnungen, das jedes Reporterinnenherz höher schlagen lässt.

Vor wenigen Tagen traf ich bei einer meiner Entdeckungsreisen auf unerwartet enthusiastische Unterstützung für meine Liebe zur Metropole am Pazifik: Professor Thomas Gaehtgens, Direktor des Getty Forschungsinstituts erklärt einfach, anschaulich und bodenständig was Europäer so sagen wenn sie zum ersten Mal herkommen und was sie verpassen, wenn sie nicht genauer hinschauen.

Ein Ausschnitt aus meinem Interview zur neuen Kunstinitiative des Getty: Pacific Standard Time Presents gibt es hier: Modern Architecture in Los Angeles

 

 

 

 

 

 

 

 

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Krise und Tratsch

Wenn die Krise in Spanien eines lehrt, dann: Nichts bleibt, wie es war. Das gilt nicht nur für Sozialleistungen, Löhne, Schulbildung und Gesundheitssystem. Das gilt auch für die Fernsehgewohnheiten der Spanier.

Vorbei sind die Zeiten, als die ganze Woche über – neben der Liga versteht sich – die letzte Ausgabe des Programms Salsa Rosa – Rosa Soße – die Gespräche am Arbeitsplatz und an der Theke bestimmten. Die Sendung, in der Stars und Sternchen, sowie allerlei von Berlusconis spanischem Telecinco selbstkreierte TV-Monster ihre Streitigkeiten, ihre Anschuldigungen und ihre peinlichsten Seiten zum Besten gaben, musste El Gran Debate – Der Großen Debatte – weichen. Plötzlich hat Spanien neue Themen und neue Stars, am Arbeitsplatz am Tresen und in den sozialen Netzwerken.

Es sind Menschen wie der Kellner Alberto, der beherzt Demonstranten in Schutz nahm, als diese vor einem völlig überzogenen Polizeieinsatz Zuflucht in seiner Kneipe suchten. Er kam zusammen mit einem Rentner zu Wort, dem die Polizei einen Arm brach, als er an eben jenem Tag verhaftet wurde. Es ist der ehemalige Vorsitzender der Vereinigten Linken, der ganz offen gegen die Monarchie und für eine Dritte Republik eintritt. Oder es sind Menschen wie Ada Colau, die Aktivistin der Vereinigung der Zwangsräumungen betroffenen Kreditschuldner. “Banker sind Kriminelle”, gibt sie zum Besten und fast ganz Spanien stimmt zu und kommentierte dies die ganze Woche über.

Auch Liveschaltungen zu den großen Demonstrationen, die oft zeitgleich zum Programm die Straßen Madrids und vieler Provinzhauptstädte füllen, dürfen nicht fehlen. Selbst in den allmorgendlichen Hausfrauenprogrammen hat es sich ausgetratscht. Als der Gerichtshof der Europäischen Union kürzlich die Praxis der Zwangsräumungen von Wohnungen teilweise für unrechtmäßig erklärte, feierten die Aktivisten den Richterspruch live im Studio.

Immer öfter geht es um Korruption oder werden Krisenopfer zur Talkshow geladen. Besonders tragische Fälle werden in Kurzreportagen vorgestellt. Und wenn es um eines der Lieblingsthemen der Morgenprogramme, um das spanische Königshaus, geht, sind es keine Promo-Reportagen mehr. Die Rede ist dann von Jagdunfällen des Monarchen, von seinen Liebschaften und Geschäften , sowie um die Machenschaften seines Schwiegersohnes, gegen den ermittelt wird.

Die Realität hat das was in Spanien Telebasura – Müllfernsehen – hieß, abgelöst, ohne dass die Einschaltquoten darunter leiden würden. Bei 6 Millionen Arbeitslosen und rund 400.000 zwangsgeräumten Wohnungen ist die Krise in einem Land, wo die Glotze ständig läuft, im Herzen der Gesellschaft – und damit des Fernsehpublikums – angekommen.

Eine internationale koffeinhaltige Brause und die Tratschpostille Pronto gehen gar noch einen Schritt weiter. Sie nutzen die Empörung der Bevölkerung für ihre Marketingkampagnen. Der Getränkehersteller installierte an öffentlichen Plätzen verblüffend echt aussehende Geldautomaten, die auf Knopfdruck 100-Euro-Scheine verschenkten, nachdem der Empfänger bestätigt, das Geld für not leidende Nachbarn einzusetzen. Die so Bedachten wurden dann gefilmt, wie sie Windeln, Lebensmittel oder Spielsachen an arbeitslose Nachbarn verschenken. Und die Zeitschrift Pronto legte jüngst einer Ausgabe Aufkleber gegen Zwangsräumungen bei, die mittlerweile in so manchem Treppenhaus kleben.

 

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Pazifikölsch für die Damen

Hergehört, männermüde Wesen, die ihr weiblich und unwiderstehlich seid! Ihr wollt beim Ausgehen nicht mehr angebaggert werden? Ihr habt genug davon, als Sexobjekte gesehen zu werden? Dann sage ich euch, welcher Trick zumindest in einer neuseeländischen Kneipe funktioniert: Bestellt euch ein Bier.

Es geht so einfach, wirkt aber genauso effektiv wie Mundgeruch im Endstadium: Jeder Kerl – es sei denn, er nippt auch gerne mal am Piccolöchen – lässt dich mit deinem Frischgezapften in der Hand sofort in Ruhe. Oder gibt einen Spruch von sich, der keiner Anmache mehr würdig ist. Warum? Weil Biertrinken laut kiwianischer Testosteron-Logik zutiefst unsexy ist. Genauso könnte man sich den imaginären Sack kratzen und dazu rülpsen. Wer einer Frau nicht die Weinkarte, sondern ein Dosenbier reicht, kann sie auch gleich fragen, wie oft sie sich rasiert. Für den Mann dagegen wurden unzweideutig klingende Sorten wie „Massive Knockers“, „Double D Blonde Ale“, „Panty Peeler“ und „Golden Shower Pilsener“ erfunden.

Frauen, die Bier trinken, haben im weiß Gott nicht abstinenten Aotearoa etwa den gleichen Sozialstatus wie Frauen, die unter Tage arbeiten. Und viel mehr sind es auch nicht: Gerade mal 13 Prozent der weiblichen Bevölkerung bekennen sich zu ihrem unattraktiven Laster, während im trinkfesten Irland 36 Prozent der Einwohnerinnen das Nationalgebräu schätzen und im schwer flirtösen Brasilien gar 38 Prozent. Waren es nicht Frauen, die im Jahre 1700 vor Christi den Gerstensaft miterfanden? Unterlag der Gärungsprozess nicht der Biergöttin Ninkasi? Irgendwas läuft bei uns eindeutig schief.

Schuld ist die sexistische Bierwerbung. Besonders hervorgetan hat sich ‚Lion Red‘, eine Marke, die „man points“ an echte Männer vergibt. Punkte gibt es für den Besitz eines Geländewagens, für den eigenhändigen Bau einer Holzveranda und für Pies zum Frühstück. Punktabzug gibt es fürs Eincremen des Gesichts, den Besitz eines Pudels und das Wachsen von allem, was nicht Ski oder Surfboard ist. Ach ja, und der Liebsten Blumen zu schenken – es sei denn, man hat wirklich was verbrochen. So ein blaues Auge geht ja nicht von heut auf morgen weg. Nette Marke, Lion Red.

Tapfer kämpfen Neuseelands Edelbierfans gegen das Macho-Image an. Wendy Roigard, die in Auckland die Bierverkostungsfirma ‚Lady Glass‘ führt und am liebsten aus Tulpengläsern trinkt, arbeitet emsig an der Feminisierung des Biertrinkens. Auch sie greift dabei auf alte Tricks zurück: „Es hat mehr Vitamine und Mineralien und weniger Kalorien als Wein!“ Damit kriegt sie mich noch nicht rum. Mir schmeckt Chardonnay nun mal besser als Lager.

Letztens jedoch sah ich im ‚Twisted Hop‘, einem neuen Pub in Christchurch, überm Zapfhahn ‚Pazifikölsch‘ angeschrieben. Meine bikulturelle Identität, elegant vereinigt – genial! Darunter stand ‚Sauvinpilsner‘, was sicher bei frankophilen Tschechinnen zieht. Ich bestellte sofort einen Probierschluck, ganz Dame.

 

 

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Frauen – Macht ja, Meinung weniger

Interressant: Frauen haben im vermeintlichen Kumpel-Kontinent Australien politisch zwar die Top-Jobs, in den Medien allerdings sind sie eher still. Staatsoberhaupt ist nach wie vor Her Majesty Queen Elisabeth II, daneben lenken Premierministerin Julia Gillard, Generalgouverneurin Quentin Bryce ( das ist die Stellvertreterin, wenn QEII in England gebraucht wird) und Sydneys Bürgermeisterin Clover Moore. Selbst die Staatsfinanzen regelt eine Lady, Penny Wong, und falls Macho-Stralja noch einen braucht, selbst Penny’s Partner ist eine Frau. Von Gina Rinehart, der mit Milliarden Abstand reichsten Frau des Landes mal ganz zu schweigen.

In der Medienwelt, hält sich die Stimmkraft der Frauen indes seltsamerweise in Grenzen. Die Kollegen vom online-Magazin New Matilda haben gezählt, gepunktet und gewertet und eine extrem umfangreiche Studie über Frauen als Meinungsmacher in den Medien zusammengestellt. Ein paar Ergebnisse sind auch jenseits Australiens interessant: Von 26 Tages- und Wochenzeitungen (stattliche 17 davon gehören übrigens Herrn Murdoch) hat nicht eine einzige eine Chefin. Den Sydney Morning Herald leitete mit Amanda Wilson bis letztes Jahr eine Chefredakteurin, die erste in 180 Jahren auf vergleichbarem Posten. Seit sie ging, herrscht wieder Kerle-Country. In der Meinungsecke sieht’s wenig anders aus, laut new-matilda-Studie stammen nur ein Drittel aller Kommentare in den 26 Zeitungen von Frauen, Wirtschaft und Sport wo sie noch deutlich geringer punkten nicht mal mitgezählt.
Die deutsche Frauen-in-die-Medien-Initiative Pro Quote hätte auf der Südhalbkugel also noch gut zu tun.

 

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Frühling? Frühling!

New York ist in diesem Winter fast schneelos, trotzdem seit Wochen kalt und ungemütlich – ähnlich wie in Deutschland. Normalerweise zeigen sich um diese Zeit schon überall Knospen und Blüten, doch diesmal – keine Anzeichen von Frühling. So zumindest schien es mir, bis ich heute nachmittag im im Brooklyn Botanical Garden spazieren ging. Es war der erste halbwegs warme und sonnige Tag seit langem. Aber die Natur hat vorgearbeitet, oder sich bei den ersten warmen Sonnenstrahlen ganz irrsinnig beeilt. Wie konnte ich nur glauben, dass dieses Jahr nichts blüht?

Liebe deutsche Freunde, er kommt auch zu Euch, der Frühling. Habt nur noch ein klein wenig Geduld.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Der Tag, als sie Daddy abgeholt haben

“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.

Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.

Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.

Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.

Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.

Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica

 

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Was New Yorker Leergut und Hollywoods Oscar-Verleihung verbindet

Diesen verwunderten Blick der Kassiererin, ich werde ihn nie vergessen. Wir lebten gerade eine Woche in Brooklyn, und es hatte sich die Frage gestellt, wo wir unsere Pfandflaschen abgeben. Wie viele andere amerikanische Bundesstaaten, so erhebt auch New York ein „Deposit“ von fünf Cent auf Coladosen, Limonaden- und Bierflaschen. Einen Rückgabeautomat wie in Deutschland hatte ich in unserem Lebensmittelladen allerdings nie gesehen. Eine Verkäuferin hatte mich an die Kasse verwiesen. Dort stand ich nun, mit meinem prall gefüllten Flaschenbeutel. Und hatte das klare Gefühl, etwas falsch zu machen.

„Stimmt irgendwas nicht?“ fragte ich die Kassiererin. „Nein, nein, alles in Ordnung“, beeilte sie sich mit typisch amerikanischer Höflichkeit zu versichern. Und rief nach dem Manager. Der nahm meinen Beutel in Augenschein, addierte leise vor sich hinmurmelnd das Pfand und sagte dann der Kassiererin, was sie vom Bon abziehen sollte. Was für ein antiquiertes, zeitraubendes Verfahren, dachte ich. Es sollte sich im Laufe der nächsten Wochen wiederholen. Mehr und mehr wurde mir allerdings bewusst, dass ich aus der Reihe tanzte, denn niemals sah ich andere Kunden Pfandflaschen abgeben.

Und dann wusste ich warum. Denn dann sah ich ihn. Den Mann im Parka, der die Recyclingtonne durchforstete, in der wir Altglas und Plastikflaschen sammeln – die ohne Pfand, hatte ich bisher gedacht. Aber nun sah ich die riesigen Plastikbeutel, die der Mann hinter sich her zog, voll mit Pfandflaschen. Und in einer blitzartigen Erleuchtung wurde mir klar, dass das Leergut der gesamten Nachbarschaft – vermutlich der ganzen Stadt – auf diese Weise abtransportiert wird. Die Rückgabe erfolgt, wie ich heute weiß, an Sammelstellen in Industrievierteln oder an der Rückfront großer Supermärkte.

„Canner“ oder „Gleaner“ werden diese Sammler genannt, und wenn heute abend in Hollywood die Oscars verliehen werden, dann ist in der Kategorie Dokumentar-Kurzfilm eine Reportage über sie nominiert. „Redemption“ (Rückzahlung) heißt der Film von Jon Alpert und Matthew O’Neill, den sie über zweieinhalb Jahre hinweg in New York gedreht haben. Während es früher hauptsächlich Obdachlose waren, die mit Pfandflaschen ein minimales Einkommen verdienten, sind es heute auch Mütter mit Kindern, Großväter deren Rente nicht reicht und junge Leute die keinen Job finden. Sie transportieren ihre Beute in Kinderkarren, in Einkaufswagen, in Beuteln über der Schulter oder an Schulterstangen. „Wir werden immer mehr“, beklagt im Film ein muskulöser Typ mit grüner Baseballmütze. Ein anderer sagt lakonisch: „Man tut, was man kann, um zu überleben.“

Es ist ein bedrückendes und eindrucksvolles 35-Minuten-Porträt einer Szene, die in New York und anderen Großstädten ebenso alltäglich wie abgeschirmt ist – die meisten Passanten schauen weg, wenn ihnen ein „Canner“ begegnet. Ob der Film einen Oscar verdient hat? Hier finden Sie Ausschnitte und die Regisseure erzählen, wie sie von der Nominierung erfuhren:

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Die zwei vom Syndicat des Eaux – oder: Wie man ein Dorf in eine Dauerbaustelle verwandelt

Da ist er wieder. Der weiße Laster des Syndicat des Eaux, der seit ein paar Tagen die Wiese auf der gegenüberliegenden Straßenseite unseres Hauses in eine Mondlandschaft verwandelt. Schlimmer noch, er wirft jüngst einen Stein- und Lehmhaufen von einer Höhe auf, die mich dazu zwingen könnte, nur noch auf der Rückseite des Hauses aus dem Fenster zu sehen. Es handelt sich um den Abraum, der beim Buddeln tiefer Löcher entlang Bellocs einziger Straße entsteht.

Jeden Morgen gegen 9:30 Uhr rattern sie über diese einzige Straße unseres Weilers, die beiden Helden des Wasserwerkes von Saint Lizier. Einer mit dem Laster, der andere mit einem gelben Bagger. Nach mehr als sechs Monaten Pause haben sie sich dem monatelangen Drängen von Robert, im Gemeinderat für die Wasserversorgung zuständig, gebeugt. Den ganzen Sommer über gab es angeblich Wichtigeres in anderen Gemeinden zu tun. Denn die unterirdischen Wasserrohre stammen nicht nur bei uns aus den 50er Jahren. Wenn eine bricht, muss das Syndicat des Eaux ran. Leider hält man dort offenbar keine dem Zustand des Versorgungsnetzes angemessene Reparaturmannschaft vor. Die Wirtschaftskrise fordert ihren Preis.

Dabei wird allgemein immer die moderne französische Infrastruktur als einer der ausgewiesenen Standortvorteile dieses Landes gelobt. Wer immer diese Losung ausgibt, war mit Sicherheit noch nicht im Département Ariège. Zugegeben, es ist eines der ärmsten in Frankreich. Hat dafür sehr viel Charme und sehr schöne Landschaften. Immerhin funktioniert das Internet. Meistens. Wenn nicht gerade ein Sturm einen der Telefonleitungsmasten umgeblasen hat. Oder ein Baum auf die Überlandleitung gekippt ist. In dem Fall gibt es auch keine Telefonverbindung mehr. Nach Unwettern fällt zudem der Strom gerne mal aus. Das hat zur Folge, dass selbst das Mobiltelefon tot ist, weil der nächste Sendemast am gleichen Netz hängt. Durchschnittlich 75 Minuten Stromausfall pro Kunden in 2012 verzeichnet die ERDF, die französische Netzagentur. In Deutschland waren es 2011 nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 15 Minuten pro Abnehmer.

Aber gut, dafür hat Frankreich den viel gelobten TGV. Der fährt zwar Defizite ein, aber das wissen im Ausland nicht so viele. Auch von den häufigen Verspätungen, welche die französischen Pendler an den Rand des Wahnsinns treiben, berichtet kaum jemand. Wenn der TGV keine Panne hat, schießt er wie ein Pfeil durch die Landschaft. Das ist beeindruckend und sieht auf Werbefilmen überzeugend aus. In diesen Fällen sind die Reisenden sehr schnell am Ziel. Man sollte auch nicht so viel meckern.

Du darfst sie nicht unterbrechen“, sagte vor Jahrzehnten mein Freund Bruno zu mir angesichts eines Straßenkehrers, der einen Bürgersteig in Toulouse fegte. Im Südwesten gelte: Wer einmal angefangen habe zu arbeiten, der werde besser nicht abgelenkt, sonst wisse man nie, wann er wieder anfange. Die Weisheit dieser Worte aus der Studentenzeit wird mir es heute so richtig bewußt.

Nach einer ersten zweimonatigen Bauphase im vergangenen Frühjahr kehrte nämlich wieder Stille in Belloc ein. Der gelbe Bagger und der weiße Laster wurden nicht mehr gesehen. In den mit rot-weißen Absperrungen verzierten, offenen Baugruben am Straßenrand, wuchsen bereits Blümchen. Bald, so erwartete ich, würden sich Brombeerranken oder Efeu der Metallgitter bemächtigen. Die Natur holt sich hier besonders schnell zurück, was der Mensch vernachlässigt. Und im Winter, wenn der Frost Einzug hält, würde uns eben dank der immer noch offenen Gruben der Wasserzufluss einfrieren. Die meisten Bellocois waren sich sicher, dass das Syndicat des Eaux sich erst im kommenden Sommer erneut die Ehre gäbe.

Aber schließlich, zu Jahresbeginn, überraschten sie uns. Von wegen unser Dorf soll schöner werden. Voller Elan verwandelten die beiden Wasserwerker Belloc in eine große Matschlache. „Was für eine Idee, die Bauarbeiten in den kältesten und nassesten Monaten des Winters wieder aufzunehmen,“ schimpft Jerome. Er versucht immer noch, sein graues Kleinauto durch ständiges Waschen präsentabel zu halten. Das habe ich längst aufgegeben. Erwartungsgemäß werden die Arbeiten immer wieder durch Frost und Schnee behindert. Sprich: Unterbrochen. Was die bedauerliche Matsche in Belloc zu einem nunmehr lang anhaltenden Vergnügen macht. Die beiden Männer vom Syndicat des Eaux können trotz all ihrer Freundlichkeit nicht all zu viele neue Bewunderer in Belloc gewinnen.

Die Bewohner unseres kleinen Dorfes wünschen sich inzwischen nur noch, dass dieser Wasserrohr-Albtraum schnell zu Ende gehen möge. Dass den neuen blauen Rohren ein sehr langes, pannenfreies Leben beschert werde. Obwohl – und das sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben – ihnen jetzt schon eine neue Gefährdung innewohnt: Sie werden nämlich oberhalb der alten Rohre verlegt. Mit anderen Worten, sie liegen noch knapper unter der Erdoberfläche als die alten und sind damit noch leichter von hartem Frost außer Betrieb zu setzen. Aber, pssst! Das sagen wir lieber nicht zu laut, sonst bleibt die zwei vom Syndicat des Eaux mit ihren Kies- und Abraumbergen am Straßenrand sowie den fröhlichen rot-weißen Absperrungen womöglich noch ein weiteres Jahr zu Gast in Belloc. Das könnte selbst unter den 35 friedliebenden Bellocois zur Revolte führen.

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