Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Kein Lagerfeuer zu Weihnachten

Ja, heiß ist es auch, ist schließlich Sommer in Australien. Vor allem aber ist es derzeit rauchig um mich rum. Seit zwei Wochen fackeln in der Nähe Naturschutzgebiete ab, nicht groß genug für die Weltschlagzeilen, (“Waldbrände? Ich dachte, es brennt nur in Kalifornien?”), aber schon einigermaßen bedrohlich.

Wir husten, die Feuerwehren und Hubschrauber löschen, und die heimische Tierwelt versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Nicht immer mit Erfolg,

Koalas beispielsweise sind auf der Flucht vor Flammen eher langsam. Ein Team von Rangern und Tierschützern päppelt überlebende Beutler nach solchen Ereignissen wieder auf. Wenn sie zu retten sind. Der “Busch” – wie Australier die waldigen und eher ungezähmten Ecken der Natur jenseits der Großstädte nennen – regeniert sich. Beuteltiere, Reptilien und Vögel meist nicht. Das erinnert mich dran, dass mein Rauch-Gejammer ein Elitär-Problem ist: Die Augen sind rot, der Brandgeruch nervt, und die Hubschrauber über dem Office lassen die Tastatur vibrieren. Aber immerhin hat’s mir nicht das Fell versengt.
Zumal die “Bushfire Season” – ja, das heisst in Australien wirklich so – noch gar nicht richtig angefangen hat. Von Mai bis Oktober gab es in vielen Regionen die höchsten Temperaturen seit eh und je, Klimaleute veröffentlichen Aussichten auf einen besonders heißen Sommer, und damit geht die brandgefährliche Jahreszeit in den meisten Teilen des Kontinent jetzt erst richtig los. Na dann,…
Wir machen jedenfalls dieses Jahr zu Weihnachten kein Lagerfeuer. Etwas Regen wäre auch schön, falls jemand eine Wolke übrig hat…

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Leben auf dem Vulkan

Vor einer Woche sah es so aus, als stünde ein Ausbruch des Gunung Agung, des größten Vulkans auf der indonesischen Insel Bali, unmittelbar bevor. Drei Tage lang fand sich der heilige Berg der balinesischen Hindus in den Weltmedien wieder, wo er kurzfristig zum größten Vulkan Indonesiens aufstieg (in Wirklichkeit gehört er nicht einmal zu den Top Ten im Land mit den meisten Vulkanen der Welt). Als die Behörden vergangenen Montag die höchste Alarmstufe ausriefen, mussten fast hunderttausend Bergbewohner aus eine Zehn-Kilometer-Zone rund um den Berg evakuiert werden. Natürlich wurde das in den meisten Berichten auch kurz erwähnt. Das Hauptaugenmerk lag allerdings auf den ausländischen Touristen, die auf der beliebten Ferieninsel „festsitzen“, weil der Flugverkehr aufgrund der Aschewolken aus dem Vulkan eingestellt worden war. Für viele ein recht komfortables Intermezzo, da sich die meisten großen Reiseveranstalter kulant zeigten und Hotelbuchungen in den sicheren Touristenzentren kostenlos verlängerten.

Gunung Agung zu ruhigeren Zeiten

Weil sich der Vulkan nun offenbar doch noch etwas Zeit lässt mit seinem Ausbruch, konnten die Touristen nach zwei Tagen Reisesperre wieder abfliegen. Hätten sie übrigens auch vorher gekonnt – zugegebenermaßen mit einigem Mehraufwand – indem sie per Mietauto, Bus oder Bahn zum nächsten Fährhafen und von dort auf eine der Nachbarinseln übergesetzt hätten. Denn auch auf Java und Lombok gibt es internationale Flughäfen.

Die Bewohner des Gunung Agung dagegen sitzen weiterhin fest. Der Berg hat sich zwar etwas beruhigt, aber brummelt weiter. Kein gutes Zeichen: Die Vulkanologen warnen davor, dass sich im Inneren des Stratovulkans immer mehr Druck aufbaue, weil unter dem brodelnden Magma, das bereits im Krater zu sehen ist, Gase eingeschlossen seien. Obwohl immer noch höchste Alarmstufe besteht, fahren die Bauern mittlerweile wieder in die Evakuierungszone, um ihre Tiere zu füttern, um ihre Felder zu bestellen. Sie halten es nicht aus, einfach nur in überfüllten Turnhalten oder feuchten Zeltlagern herumzusitzen und abzuwarten. Ganz davon abgesehen, dass es dort nicht annähernd so bequem ist wie selbst in den einfachen Hotels der Touristenzentren im Süden Balis.

Die balinesischen Bergbauern sind diejenigen, die der Ausbruch des Gunung Agung wirklich betrifft. Doch der Berg ist ihnen heilig, auch wenn er ihnen Angst einjagt. Wo jetzt Asche und Geröll ihre Ernte zerstört, wird später besonders fruchtbare Erde entstehen. Deswegen werden sie bleiben und wieder von vorne anfangen. Und beten, dass die Götter ihnen dabei helfen. Und vielleicht auch ein wenig die Touristen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Deutschstunde mit Richard Spencer

„Broke but sexy“ – arm aber sexy – heißt der Dokumentarfilm der Schriftstellerin Julie Hill über Kiwi-Künstler und -Musiker in Berlin, getreu nach Klaus Wowereit. Fünf Jahre vor den Dreharbeiten war die germanophile Neuseeländerin mit einem Stipendium des Goethe-Instituts in der Hauptstadt. Und mit wem drückte sie dort im Jahre 2006 die Schulbank? Mit dem damals noch gänzlich unbekannten, aber bereits gänzlich unausstehlichen Richard Spencer.

Wir kennen ihn als rechsradikalen Führer der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, der bei Trumps Amtseinführung eins in die Fresse bekam. Julie Hill kennt ihn als Mitstudenten, den Lehrer wie Schüler hassten. Auf „The SpinOff“, Neuseelands meinungsfreudiger Webseite für Politik und Pop-Kultur, plauderte sie jetzt aus dem Nähkästchen. Über ein Jahrzehnt lang hatte sie den gefährlichen Sprücheklopfer vergessen.

Der Groschen fiel, als sie den Film „Angry, White and American“ eines Kollegen vom Guardian sah, in dem Spencer seine rassistischen Thesen über eine „ethnische Säuberung der USA“ in die Kamera sprach.

„Einen Tag lang waren wir Freunde“, erinnert sich Hill. Denn Spencer war der einzige andere Angelsachse im Goethe-Kurs – charmant, eloquent, geschniegelt und gegelt. Der Doktorand der Duke Universität in North Carlonia sprach gutes Deutsch und half ihr mit der schweren Grammatik. Beim Abendessen – vietnamesisch – erzählte er ihr von den „Farmen“ seiner Familie in Lousiana – ehemalige Sklaven-Plantagen. Den minimalen Rest seines Essens ließ er sich zum Mitnehmen einpacken: „Er konnte sich nicht mal einen Toast machen, weil er zu vornehm zum Kochen war.“

Als bei Spencer ein Zimmer frei wurde, zog Julie Hill ein. Am Küchentisch zog er gegen Mexikaner in den USA und behaarte Berlinerinnen („Lesben oder nur Deutsche?“) vom Leder. Hill ging angewidert ins Bett. In der Nacht stand Spencer in Boxershorts in der Tür. „Hi“, sagte er erwartungsvoll. Sie: “Fuck off”. Ab dann wurde “Richie” ihr Feind: ein “Backpfeifengesicht”, das sie im Deutschkurs sogar einmal anschrie. „Spencer hatte etwas Tragisches“, so Hill. „Er wusste, dass er von uns allen abgelehnt wurde, aber schien das gewohnt zu sein.“ Eine Freundin fand er jahrelang nicht. Doch an Hills Geburtstag tauchte er zu einer Party in der „Wohnzimmer“-Bar mit einer großen, blonden Lettin auf. „Sie saßen da wie Ken und Barbie.“

Letztes Jahre wurde der Rechtsradikale in Washington auf einer Nationalisten-Konferenz begeistert mit dem Hitler-Gruß empfangen. Im Mai führte er die zündelnden Neonazis in Charlottesville an. Sein letzter Akt im Berliner Deutschunterricht war eine Rede, die er über Nietzsche halten wollte – aber alle gingen lieber raus, ein Bier trinken. Julie Hills pikante Enthüllungen wurden auch von der britischen Daily Mail und der Huffington Post aufgegriffen. Hat sie Angst vor Richies Reaktion? „Er ist solch ein Narziss – ihm gefällt das wahrscheinlich.“

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Bettina Rühl ist neue Vorsitzende von Weltreporter.net

Hamburg, 15.11.2017 – weltreporter.net, das größte Netzwerk freier deutschsprachiger Auslandskorrespondenten hat einen neuen Vorstand.

Bettina Rühl wurde zur neuen 1. Vorsitzenden von Weltreporter.net gewählt. Sie arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten über Afrika, seit 2011 von Kenia aus. Für ihre Features, Reportagen und Berichte wurde Bettina Rühl vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Medienpreis der Kindernothilfe„ dem Medienpreis Entwicklungspolitik und dem Preis der Leipziger Medienstiftung. Die Auszeichnung ehrt Journalisten, Verleger und Institutionen, die sich mit hohem persönlichem Einsatz für die Freiheit und Zukunft der Medien engagieren.

Neue 2. Vorsitzende ist Sarah Mersch. Sie lebt und arbeitet seit 2010 in Tunesien, wo sie seit 2011 den politischen Umbruch, erste demokratische Gehversuche und Rückschläge beschreibt. Neben ihrer journalistischen Arbeit trainiert sie für die DW Akademie junge Journalisten in Nordafrika und im Nahen Osten.

Zum neu gewählten globalen Vorstandsteam gehören außerdem Christina Schott (Jogjakarta) als Schatzmeisterin sowie Kilian Kirchgeßner (Prag) und Mathias Peer (Bangkok) als Beisitzer.

 

 

Bettina Rühl dankt dem scheidenden Vorstand unter Kerstin Schweighöfer (Den Haag) für seine Arbeit: „Mit dem neuen Vorstand wird das Netzwerk Weltreporter weiterhin für qualitativ hochwertige Auslandberichterstattung stehen.“

Auch wenn Journalisten in den vergangenen Jahren unter Konkurrenzdruck der kostenlosen sozialen Medien geraten sind – für den mancherorts bereits angestimmten Abgesang auf die klassischen Medien sei es zu früh, sagt Rühl: „Das Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung einer redaktionellen Qualitätskontrolle wächst wieder. Wir wollen das Neue mit gestalten um sicher zu stellen, dass auch in einem neuen Umfeld gut recherchierte und spannend erzählte journalistische Inhalte möglich sind.“

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Kalifornien – Spitze des Trump-Widerstands

In der Nacht, in der Donald Trump über Hillary Clinton triumphierte, konnten viele Menschen nicht einschlafen.

Ich war so ein Mensch.

Auch die Sprecher des kalifornischen Kongresses waren lange wach. Senatssprecher Kevin de Léon und Kollege Anthony Rendon aus dem Abgeordnetenhaus telefonierten hin und her. Am Morgen gaben sie eine gemeinsame Erklärung heraus, die mich aufatmen ließ. Ehrlich gesagt, machte sie mich mal wieder richtig froh, in diesem Bundesstaat zu leben. Und diesmal nicht wegen des Wetters.

Sie schrieben:

“Heute morgen sind wir mit dem Gefühl aufgewacht, Fremde im eigenen Land zu sein. Denn gestern haben US-Bürger Ansichten über eine pluralistische und demokratische Gesellschaft ausgedrückt, die absolut unvereinbar mit den Werten der Kalifornier sind. … Wir sind stolzer als je zuvor, Kalifornier zu sein. Donald Trump mag die Wahl gewonnen haben, aber er hat unsere Werte nicht verändert. Wir werden den Widerstand gegen jeglichen Versuch, unser gesellschaftliches Gefüge oder unsere Verfassung zu zerstören, anführen. Kalifornien war nicht Teil dieses Landes als seine Geschichte begann, aber offenkundig sind wir heute der Wächter über seine Zukunft.”

Nur etwas mehr als 30 Prozent der kalifornischen Wähler hatten Donald Trump ihre Stimme gegeben. In Los Angeles waren es kaum mehr als zwanzig Prozent und in San Francisco sogar weniger als zehn Prozent.

Deshalb ist es nur folgerichtig, dass Kalifornien seit einem Jahr den Widerstand gegen die Politik von der anderen Seite des Landes anführt – in Sachen Immigrations-, Bildungs-, Gesundheits- und Klimapolitik. Kaliforniens Justizminister Xavier Becerra reichte mehrere Dutzend Klagen gegen Trump-Erlasse ein. Gouverneur Jerry Brown bezeichnete die Entscheidung von Präsident Trump, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen als “verrückt”. Er reist durch das ganze Land und die Welt um Klima-Allianzen zu schmieden. Trump poltert gegen die Kritik von der Westküste, revanchiert sich mit verbalen Tiefschlägen und Erlassen, die Kalifornien besonders negativ treffen. In einem Interview mit seinem Lieblingssender FOX sagte der US-Präsident Kalifornien sei “seit langem außer Kontrolle, wie man ja wisse”.

Kaliforniens Gouverneur beschäftigt sich glücklicherweise nicht lange mit Tiraden und Attacken aus Washington. Lieber schafft er Tatsachen im bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten US-Bundesstaat. Gerade tourt er durch Deutschland und Europa, um weitere Verbündete zu finden im Kampf gegen die Erderwärmung. Für nächstes Jahr lädt er die Welt zum Klima Aktions Gipfel nach San Francisco ein.

Es tut gut, buchstäblich auf der anderen Seite der USA zu leben. Nicht nur wegen des Wetters.

Mehr zum Widerstand aus Kalifornien in meiner Sendung für SWR2 Wissen

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Maori-Gandhi-Tag

Wer an diesem Sonntag nach Neuseeland kommt, glaubt, es sei Silvester: Überall wird geböllert, dass es nur so kracht, denn es ist Guy-Fawkes-Nacht. Das alljährliche Feuerwerk am 5. November findet zu Ehren eines Terroristen statt, der im Jahre 1605 das britische House of Lords abfackeln wollte. Seitdem hat er einen Platz im Kalender, auch in den Kolonien. Warum, hat jahrhundertelang niemand in Frage gestellt. Denn mit Neuseelands ureigener Geschichte hat das herzlich wenig zu tun. Deshalb fordern immer mehr Kiwis: Wandelt das Raketenfest lieber in einen Feiertag um – und zwar für Parihaka.

Parihaka ist ein kleiner Ort im Westen der Nordinsel, im Schatten des schneebedeckten Mount Taranaki. Eigentlich sollte die ganze Welt diesen Namen kennen. So wie Stalingrad für Krieg steht, steht Parihaka für Frieden. Oder Frieden als Antwort auf Krieg. Denn am 5. November 1881 marschierten rund 1.600 bewaffnete Polizisten und ihre Helfer in das Dorf ein, in dem 2.000 Maori lebten. Sie vergewaltigten Frauen, verwüsteten Behausungen. Zuvor hatte man den Stammeshäuptling Te Whiti O Rongomai unter Druck gesetzt, sich mit der Konfiszierung von 150.000 Hektar Land abzufinden.

Doch Te Whiti wollte nicht weichen. Aber statt zu kämpfen, stellte er sich mit seinen Mannen der Staatsmacht friedlich entgegen. Das war revolutio­när – der erste gewaltfreie Protest weltweit. Die Maori-Kinder boten den Kolonialisten sogar Brot an und sangen tapfer Lieder, während die Täter in Parihaka wüteten. Te Whiti und sein Kompagnon wurden verhaftet und ohne einen Prozess auf die Südinsel verbannt. Andere Männer wurden eingekerkert und leisteten schwerste Sträflingsarbeit. Die Mauern, die sie bauten, stehen noch immer.

Mahatma Gandhi hat der passive Widerstand in Parihaka nachweislich inspiriert. Strenggenommen stand damit nicht er, sondern das rebellische Maori-Dorf Pate für alle Sit-ins mit Gesang in Wackersdorf und die Montagsdemos vor dem Fall der Mauer. Aber weiß man das in Aotearoa, das bisher immer für seine kämpferischen Maori-Krieger bekannt war? Bis auf vereinzelte Gedenkfeiern, ein paar Bücher und Dokumentarfilme gibt es nichts, was offiziell an die antimilitaristischen Helden erinnert. Der alte Inder Gandhi steht sogar als Statue im Bahnhof der Hauptstadt Wellington. Häuptling Te Whiti O Rongomai aber nirgendwo.

Das wird sich ändern. Die Bewegung, den Guy-Fawkes-Tag zum Parihaka-Tag zu machen, nimmt jedes Jahr zu. Und vor ein paar Monaten gab es eine offizielle Entschuldigung des Staates im Namen der Queen für das Unrecht, das den Menschen in Parihaka damals angetan wurde.

Es flossen viele Tränen, denn für Maori sind die Urahnen immer präsent – ob 50 oder 500 Jahre später. Neun Millionen Dollar an Entschädigung werden an Te Whitis Nachfahren ausgezahlt. Davon kann man eine ganze Menge Böller kaufen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Unabhängigkeit! – Das Buch der Weltreporter zum Thema Separatismus

Der eskalierende Streit um ein unabhängiges Katalonien, die Auseinandersetzung um einen Kurdenstaat im Norden Iraks, die Referenden für mehr Autonomie im Norden Italiens: Kein Thema ist derzeit so heiß wie Separatismus.

“Unabhängigkeit! Separatisten verändern die Welt”, erschienen im Verlag Christoph Links

Die Weltreporter beleuchten das Thema in ihrem aktuellen Buch von allen Seiten, in Berichten aus 18 Staaten und solchen, die es werden wollen. Was hat die katalanische Unabhängigkeitsbewegung so stark gemacht, wie steht es um die schottischen Separatisten und warum erkennt niemand die seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreichen somaliländischen Separatisten an? Wie immer waren wir vor Ort, haben mit den Menschen gesprochen und ihre Geschichten und die Hintergründe aufgeschrieben.

Das Ergebnis: 272 Seiten mit Reportagen aus allen Ecken der Welt und vielen Antworten auf Fragen, für die in kurzen Artikeln und Aufsagern kein Platz ist.

“Unabhängigkeit! Separatisten verändern die Welt” ist erschienen im Verlag Christoph Links und bei jedem Buchhändler sowie online erhältlich.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Der Königsmacher

Zeitgleich mit Deutschland haben wir im Land der grünen Hoffnung gewählt, und genauso perplex sind wir jetzt. Die AfD hat es auch bei uns aufs Podium geschafft, nur heißt sie hier NZ First. Ist gleich: Winston Peters. Der Anführer der Rechten, die sich als Zentristen sehen, ist eine One-Man-Show mit Dauerpublikum – und Neuseelands Königsmacher. Ende dieser Woche, wenn die letzten Stimmen aus dem Ausland gezählt sind, will er sich endlich entscheiden, mit wem er ins Parlamentsbett steigt. Solange spielt er Diva.​

Da Winston Peters das Zünglein an der Waage der neuen Regierungsbildung ist, becircen ihn zur Zeit gerade Labour- und National-Partei. Das grelle Rampenlicht nutzt der Populist jetzt, um die ach so bösen Medien zu verteufeln, die sich so gar nicht damit abfinden wollen, dass er ein xenophober Rassist ist. Da hilft auch nicht, dass er Maori ist und sogar mal neuseeländischer Außenminister war. Indigene Abstammung und internationales Parkett schützen eben nicht vor Ausländerhass. Oder genauer gesagt: Asiaten-Bashing.​

Der Frauenheld und Sprücheklopfer, trinkfreudig und stets gut frisiert, legte schon einst bei der Wahl 1996 seine wahre Gesinnung bloß. Chinesische und koreanische Einwanderer bezeichnete er als „Asian Invasion“, die gelbe Flut. Neuseeland sei die „letzte asiatische Kolonie“ und bald „nicht mehr wiederzuerkennen“. Laufe man die Dominion Road in Auckland entlang, müsse man sich fragen, ob man nicht im Ausland gelandet sei – nur chinesische Lokale. Hallo, Pegida!​

Peters ist zwar kein Freund anderer Kulturen, hat aber ein Herz für den „besten Freund des Menschen“. Hundezüchter, die Tiere nach Asien importieren, wo sie als Aphrodisiakum verspeist würden, nannte er „Monster“. Und gegen die „importierte kriminelle Aktivität“ von Einwanderern, die „Chaos“ im heilen Aotearoa erzeuge, forderte er eine Polizei-Spezialeinheit.​

Als Winston Peters Neuseeland als Außenminister vertrat – nicht der ideale Job für Fremdenfeinde – da schwieg er, als sein damaliger Stellvertreter einer Parlamentarierin zurief: „Geh zurück nach Korea!“ Er schwieg auch, als ein anderer NZ-First-Abgeordneter gegen „frauenfeindliche Höhlenmenschen aus Wongistan“ wetterte.​ Er meinte Moslems.

Die Liste geht weiter, getopt durch Peters’ legendären Scherz „Two Wongs don’t make a white“ („zwei Schlitzaugen machen keinen Weißen“) – eine total lustige Verdrehung von „two wrongs don’t make a right“. Es ging dabei um den zunehmenden Landbesitz von Chinesen in Neuseeland. Die Journalisten, die nicht mitlachen konnten, waren in den Augen des Spitzenpolitikers „die politisch-korrekte Nazi-Polizei“. Quasi Lügenpresse.​

Vorerst letzter Akt von Winston Peters, bevor er die neue Regierung mitbestimmen darf: Er will verhindern, dass Sikhs in seiner Heimat mit einem traditionellen Dolch herumlaufen können. Da hört für ihn Religionsfreiheit auf. Jetzt warten wir darauf, dass er eine Jagdhund-Krawatte trägt.​

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

WR Podcast #2 – Fremde Heimat, vertraute Fremde

Kennen Sie das: Wenn die Fremde vertraut wird, und die Heimat eher befremdlich? Wir Weltreporter erleben dieses seltsame Spannungsverhältnis häufig, privat ebenso wie während Recherchen für Reportagen. Identität – was macht uns aus, was ist wo vertraut? Wie funktioniert dieses Phänomen “Heimat”, wenn man sich an vielen Orten zuhause fühlt – oder nirgends so richtig? Im Weltreporter-Podcast #2 ist das Podcast-Team für Sie diesen Fragen nachgegangen.

Die Idee entstand durch eine Geschichte, die Afrika-Weltreporterin Bettina Rühl aus Somalia mitbrachte. Bettina hatte in Mogadischu Menschen getroffen, die trotz Krieg in die somalische Hauptstadt zurückgekehrt sind: Von sicheren Orten, an die sie geflüchtet waren, zurück an einen sehr riskanten.

Abdullahi Muse Hassan in seiner Druckerei in Mogadischu.

Warum geht man in die Heimat zurück, auch wenn es gefährlich ist? Warum gehen andere nicht zurück – wie viele Weltreporter?

In Skype-Gesprächen über das Thema Identität zwischen London, Kairo, Durban, Südfrankreich und Kalifornien kamen die WR-Podcaster auch schnell darauf, warum sie genau dort sind, wo sie sind – und was sie manchmal dort vermissen. Und sie haben andere Reporter gefragt, was ihnen – außer Vollkornbrot – fehlt: einen richtig schönen deutschen Streit, Gemütlichkeit, Biergärten, deutsche Buchläden, Schnee und Radwege spielten in den Statements aus aller Welt ihre Rollen.

Birgit Kaspar, Weltreporterin in Frankreich, hat schon an vielen Orten gelebt. Für sie ist “Identiät” auch ein Spannungsfeld zwischen Polen. “Identität” schmeckt für sie manchmal orientalisch oder klingt Kölsch, zuweilen ist sie auf ewig “l’Allemande” und zugleich französische Nachbarin. Außerdem hat Birgit Kaspar mit Youssouf gesprochen – er gehört zu denen, die nicht zurück wollen.

Kirstin Ubesleja und ihre drei Pässe

Youssouf ist einer von einem Dutzend Somaliern, die in Saint Martory auf ihre Papiere warten und Französisch lernen, damit sie sich im Gastland integrieren können. Was er trotz einiger Hürden an der Fremde liebt, hören Sie im Podcast.

Wer Gespräche über die doppelte Staatsbürgerschaft knifflig findet, sollte Kerstin Zilm zuhören. Die Reporterin hat in Los Angeles Kirstine Upesleja interviewt, eine Frau, die staatenlos geboren ist und heute gleich drei Pässe hat. Kirstine Upeslejas Eltern stammen aus Lettland, sie ist in Münster aufs lettische Gymnasium gegangen und hat eine “emotionale Beziehung” zu dem Land, das sie oft besucht, in dem sie aber nie gelebt hat. Sie lebt in Amerika, spricht aber (ihrer Ansicht nach) nur deutsch perfekt. Im Podcast erzählt sie, wie die mit einem derartigen Identitätenmix klarkommt.

Jürgen Stryjak isst echt deutsch: Original German Döner Kebab.

Seit über 25 Jahren ist Jürgen Stryjak Korrespondent in Kairo, und für den Podcast hat er sich mit dem wichtigsten aller Themen der Heimatferne beschäftigt: Mit dem Essen. Er verrät, was Ägypter meinen, wenn sie so richtig ägyptisch (zum Beispiel KFC) essen gehen wollen. Und er lädt ein zum ersten “echt deutschen Döner Kebab” in Kairo. “Überfremdung” im Doppeltwist, oder upside down würde ich sagen – aber hier unten auf meiner Globushälfte fließt das Wasser ja eh andersrum ab, heißt es.

Viel Spaß mit dem zweiten Podcast der Weltreporter, diesmal zusammengestellt von Kerstin Zilm, Jürgen Stryjak, Birgit Kaspar, Leonie March und Sascha Zastiral.

PS: Sie haben den ersten WR-Podcast verpasst? Hören Sie ihn in der Soundcloud an. Alle drei Monate erzählen weltreporter von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark und laden ein zum Blick hinter die Kulissen, mitten in den Korrespondentenalltag.

Im Podcast #1 treffen Sie einen Weltreporter-Gründer, hören, welches Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält, welche Eigenschaften zum Job gehören und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Frauke Petrys Blaue Zukunft gibt es schon: in Finnland

Farbenspiele im winterlichen Helsinki (Foto: Bomsdorf)

Farbenspiele im winterlichen Helsinki (Foto: Bomsdorf)

Frauke Petry verlässt die AfD und gründet angeblich eine neue Partei mit “blau” im Namen. Schon ihr Vorwurf an die neuen Chefs (wenn man Gauland, Weidel so bezeichnen mag), dass sie ihr zu rechts geworden seien, erinnert sehr an Finnland. Nun also angeblich auch der Name “Die Blauen”.

In Finnland wählten die Wahren Finnen (auch Basisfinnen genannt) mit Jussi Halla-aho im Juni 2017 einen neuen Parteivorsitzenden, der seinem Vorgänger, Außenminister Timo Soini, zu rechts wahr und zwar so viel, dass er die Partei verließ und damit die Regierung rettete. Soini hat dann die Blaue Zukunft gegründet. Die Abspaltung ist in gewisser Weise mit der von Petry zu vergleichen, einmal war es der frühere Vorsitzende, der in der Regierung war, einmal die amtierende Vorsitzende, die samt ihrer Partei erstmals in das nationale Parlament kam.

Der Blauen Zukunft werden weniger als 2% der Wählerstimmen vorausgesagt während sich die Wahren Finnen noch bei mehr als 10% halten. Womöglich wird Petrys Neugründung auch dieses Schicksal blühen. Einen Artikel von mir zu Dänischen Alternativen für Deutschland gibt es hier.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Alternativer Nobelpreis statt “Alternative Facts”

Khadija Ismayilova (Foto: Right Livelihood Award)

Khadija Ismayilova (Foto: Right Livelihood Award)

Journalistenpreise gibt es viele, Nobelpreise wenige. Und dann gibt es da noch den Alternativen Nobelpreis des Schweden Jakob von Uexküll, offiziell heißt die Ehrung Right Livelihood Award. In diesem Jahr wird damit unter anderem eine Journalistin ausgezeichnet: Adija Ismayilova aus Aserbaidschan. Das hat auch mit Deutschland zu tun.

Ismayilova erhält die Auszeichnung „für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit, Korruption auf höchster Regierungsebene durch herausragenden investigativen Journalismus aufzudecken“, wie es seitens des Right Livelihood Awards heißt. “Ich nehme die Auszeichnung im Namen aller Journalisten und Verteidiger der Menschenrechte in meinem Land an, die trotz schwierigster Bedingungen unermüdlich weiterarbeiten”, lässt sich Ismayilova zitieren. Als Weltreporter wissen wir, es braucht mehr dieser Journalisten. Überall.

Laut Right Livelihood Award ist “Khadija Ismayilova ist die bedeutendste investigative Journalistin Aserbaidschans. In den vergangenen zehn Jahren hat ihre Berichterstattung den Umfang der korrupten und lukrativen Geschäfte der herrschenden Elite Aserbaidschans dokumentiert, in die auch Familienmitglieder von Präsident Aliyev involviert sind.

Sie hat Beweise für Korruption auf höchster Regierungsebene gefunden, die auch multinationale Unternehmen wie TeliaSonera betrafen. Ihre Recherchen und Dokumentationen zeigen auf, wie der Reichtum der Nation geplündert und ins Ausland geschleust wird. Mit dem Geld werden zum Beispiel europäische Politiker beeinflusst, wie der aktuelle Fall der CDU-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe Karin Strenz zeigt: Die Politikerin äußerte sich gegen hohe Zahlungen aserbaidschanischer Lobbyfirmen positiv über das Regime, lobte im Gegensatz zur OSZE-Beobachtermission die Wahlen 2010 und stimmte als einzige deutsche Abgeordnete im Europarat gegen eine Resolution zur Freilassung politischer Häftlinge in Aserbaidschan. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte Ismayilova: “Solche Leute ermöglichen es dem Regime, unsere Freiheit zu unterdrücken und uns ins Gefängnis zu bringen.“


Für die Veröffentlichung von Artikeln über staatliche Korruption wurde Ismayilova mit Schmutzkampagnen, Schikanen und Strafgeldern verfolgt. Trotz einer eineinhalb Jahre währenden Gefängnisstrafe hat Ismayilova sich nicht zum Schweigen bringen lassen und schreibt weiter. Ismayilova widmet sich auch der desaströsen Menschenrechtsbilanz in Aserbaidschan, schreibt über politische Gefangene und unterstützt deren Familien. Während die Regierung weiterhin Journalisten einschüchtert und verhaften lässt, bleibt Ismayilova standhaft und fordert in ihren Artikeln ein verantwortungsvolles Regierungshandeln in Aserbaidschan.”

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Dänische Alternativen für Deutschland

Rechtspopulistische Parteien sind keine Neuheit in nationalen Parlamenten. In Dänemark sitzt die Dansk Folkeparti (DF), die Dänische Volkspartei, schon seit fast 20 Jahren im Folketinget.

Das muss man erstmal schaffen: Parteigründung 1995, erstmals ins Parlament eingezogen 1998 – und in der Opposition de facto Regierungsmacht 2001 bis 2011 sowie seit 2015. Die Dänische Volkspartei ist seit langem ein bedeutender Faktor in der dänischen Politik – sehr zum Schaden vor allem der Sozialdemokraten. „Die DF hat ihnen Themen weggenommen. Seit sie aber bereit sind, auch strammere Integrations- und Flüchtlingspolitik zu diskutieren, stabilisiert sich die Lage der Sozialdemokraten“, urteilt Kasper Hansen, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Kopenhagen.

Die DF ist auch so stark geworden, weil die klassischen Parteien lange nicht über Herausforderungen der Migration reden wollten und es versäumt haben, ihre eigenen Lösungsvorschläge zu präsentieren. Nun treibt die Partei Sozialdemokraten wie Konservative vor sich her.

Aus dem Erfolg der Rechten in Dänemark kann gelernt werden. Vor allem, dass Wähler nicht technokratisch von oben herab behandelt werden wollen, dass sie und nicht nur die Politik Agenda setting betreiben wollen und dass es nicht viel nutzt, irgendwann auf einmal die harte Linie der Rechten quasi zu kopieren. Was der langanhaltende und fast stetig größer werdende Erfolg der Dänischen Volkspartei über den Umgang mit der AfD und deren Wählerpotenzial lehren kann, habe ich in einem längeren Beitrag für “Internationale Politik und Gesellschaft” erläutert. Online hier zu lesen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Katalonien: Vergiftetes Klima – auf Jahre

Soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst. Seit Jahren zanken sich die katalanische Regierung Generalitat und die Zentralregierung in Madrid um ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region im Nordosten. Keine Seite wich von ihrer Maximalforderung zurück: Barcelona setzte auf „Referendum, si o si“; Madrid hielt am „Ist rechtlich nicht möglich“ fest und verweigerte politische Zugeständnisse jeder Art.

Vor dem Büro des katalanischen Vizepräsidenten demonstrieren Unabhängigkeitsbefürworter gegen Festnahmen

Jetzt spitzt sich die Lage von Tag zu Tag zu. Mit der Organisation des für den 1. Oktober angesetzten , umstrittenen Referendums beaufragte Beamte der katalanischen Regionalregierung wurden zeitweise verhaftet. Madrid sendet 5000 Beamte der Policia Nacional und der Militärpolizei Guardia Civil, an die viele noch ungute Erinnerungen aus der Franco-Zeit haben, in die renitente Region und stellte auch die autonome, katalanische Landespolizei Mossos d’Esquadra unter zentralstaatliches Kommando. Und auf den Straßen rufen die Menschen „Raus mit den Besatzungskräften“. Die Hafenarbeiter weigern sich, die auf zwei Kreuzfahrtschiffen untergebrachten spanischen Polizisten zu beliefern und veranstalten frühmorgendliche Hupkonzerte. Dass das umstrittene Referendum stattfindet, ist so gut wie ausgeschlossen: Die Wahlkommission hat sich aufgelöst, Wahlzettel und -listen wurden beschlagnahmt. Unter diesen Bedingungen ist höchstens irgendeine Art von Protestwahl möglich.
Das politische Klima aber wird auf Jahre vergiftet bleiben. Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Menschen gesprochen, die mit dem Traum von einer unabhängigen katalanischen Republik eigentlich nicht viel am Hut hatten, jetzt aber wütend und empört über das Verhalten aus Madrid sind. Schlechter hätte die Regierung Mariano Rajoy die Katalonienfrage nicht lösen können.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Schwein mit Lippenstift

Wahrscheinlich hat’s im deutschen Wahlkampf niemand mitbekommen, aber wir fuehren gerade auch einen. Ja, Zufaelle gibt’s: Wir waehlen sogar fast am selben Tag. Im Gegensatz zum Bratwurstland ist in Kiwi Country eigentlich schon klar, wer diesen Samstag gewinnen wird – wenn uns kein Schwein beisst, das Lippenstift traegt.

Aber keine voreiligen Prognosen. Denn was im August passierte, konnte auch niemand vorhersehen: Drei SpitzenpolitikerInnen verschwanden ploetzlich von der Buehne. Ein Erdrutsch mit Shitstorm, wie ihn das politisch eher schlaefrige Neuseeland noch nicht erlebt hat. Angefangen hatte es mit Meteria Turei an der Spitze der Gruenen.

Turei ist Maori-Vorzeigefrau mit untypischer Geschichte: ohne Schulabschluss, junge Alleinerziehende, Kuechenhilfe – aber brachte es zum vollendeten Jura-Studium. Ein „working class hero“. Im Juli beichtete sie dann ploetzlich eine Jugendsuende. Als sie in den 90ern Sozialhilfe kassierte, machte sie falsche Angaben ueber ihre Wohnsituation, um finanziell ueber die Runden zu kommen. Fuer viele wurde sie damit zur Maertyrerin.

Doch es kam noch was nach. Meteria Turei hatte sich damals auch unter einer falschen Adresse angemeldet, um den Wahlkreis zu wechseln. Das war dann selbst ihrer Partei zuviel. Tureis Schummel-Vita zwang sie zum Abtritt, die Gruenen sackten auf ein historisches Tief. Nebenbei schmiss Peter Dunne das Handtuch – mit 33 Dienstjahren Neuseelands zaehester Politiker und Kopf der Mini-Partei United Future.

Als das Wahl-Chaos fast perfekt war, ging die groesste Bombe hoch: Andrew Little, farbloser Spitzenkandidat der Labour-Partei, warf einen Blick auf die desastroesen Umfragen und haute anderthalb Monate vor der Wahl in den Sack. Und damit brach in Aotearoa „Jacindamania“ aus: Auftritt von Jacinda Ardern, gerade mal 37 und nebenbei DJ. Quasi ueber Nacht wurde sie das neue Fraeuleinwunder der Linken, wenn man sowas ueberhaupt noch sagen darf.

Was man ganz sicher nicht sagen oder stellen sollte, ist die Baby-Frage. Als Ardern in ihrem ersten TV-Interview von einem altbackenen Moderator gefragt wurde, ob sie vielleicht im Amt schwanger werden koennte, kanzelte sie den Mann so souveraen ab, dass ihre alle Frauenherzen zuflogen. Ploetzlich wurde der tranige Wahlkampf wieder sexy. Arderns Freund gab ein spassiges Radio-Interview mit Rollenverteilung, in dem er sich den typischen Fragen an Politikergattinnen zu Hobbys und Frisoer stellte.

Jeder Hype hat seinen Spielverderber: Gareth Morgan, philantropischer Millionaer, der mit seiner pragmatischen Opportunities Party den Gruenen ernsthaft Konkurrenz macht, erlaubte sich einen Faux-Pas. Jacinda Ardern sei nichts anderes als „lipstick on a pig“: das rostige Schiff Labour mit hellem Anstrich, aber dennoch morsch. Auf deutsch haette man es „Zuckerguss auf der Scheisse“ genannt, was fuer Gareth Morgan besser gewesen waere. Jetzt steht er wegen des Lippenstift-Bonmots als Sexist da.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

1 Billion Dollar für alle Norweger

Ein Mercedes für alle Norweger? Im Ölfonds wäre mehr als genug Geld dafür. (Foto: Bomsdorf)

Ein Mercedes für alle Norweger? Im Ölfonds wäre mehr als genug Geld dafür. (Foto: Bomsdorf)

Eine Billion US-Dollar, diesen auch in Ziffern geschrieben (1.000.000.000.000) schier unvorstellbar hohen Betrag erreichte der norwegische Ölfonds gestern, am 19. September 2017. In das Investmentvehikel des norwegischen Staates fließen seit rund 20 Jahren die Einnahmen aus dem Geschäft mit Öl- und Gas des nordeuropäischen Staates. Nunmehr sind es pro Kopf der Bevölkerung rund 190 000 US Dollar.

Dass diese hohe Summe erreicht wurde, liegt am stetigen und wohl durchdachten Investieren der Norweger, aber auch daran, dass die US Währung in letzter Zeit so schwach ist. Damit ist das international in Aktien, Anleihen und Immobilien investierte Geld in Dollar gerechnet mehr wert als wenn die Währung stärker wäre.

Der Fonds berechnet die Performance aber in einem Währungskorb und das Volumen wird üblicherweise in Norwegischen Kronen angegeben – schließlich ist das Geld für die norwegischen Bürger angelegt. Zum Halbjahresbericht gab der Fonds erst im August bekannt, dass seit Auflage eine jährliche durchschnittliche Rendite von 5,9% erzielt worden sei. Da würde sich so mancher Sparer ziemlich drüber freuen.

Über die Jahre habe ich mehrere Manager des nunmehr Billionen schweren Fonds informiert und Dutzende von Artikeln darüber geschrieben. Eine Auswahl:

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Lyrik aus dem Irak – “Inana” am 15.9. in Berlin, am 18.9. in Leipzig

Saddam Husseins Sturz liegt mittlerweile 14 Jahre zurück, seitdem wird das mediale Bild des Landes fast nur durch Berichte von Terror und Bombenanschlägen dominiert. Der Alltag hingegen spielt selten eine Rolle.

Die vor zwei Jahren von Birgit Svensson herausgegebene Anthologie „Mit den Augen von Inana“* erschließt eine andere Welt – Schriftstellerinnen aus dem Irak publizieren in der Anthologie, die mittlerweile zu einem großen Erfolg geworden ist. So gibt es neben der irakischen und der deutschen auch eine französische Ausgabe.

Im September sind die Autorinnen Amal Ibrahim al-Nusairi und Aliya Talib zusammen mit Birgit Svensson wieder in Deutschland und lesen ausgewählte Texte, die ihren Alltag beschreiben: Liebe in Zeiten des Terrors, Auseinandersetzung mit Gewalt, ihre Hoffnungen und Wünsche.

Wer sie hören und erleben will:

  • Auf Einladung des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in BERLIN am Freitag, 15. September, 19.30 Uhr, MedienGalerie, Dudenstr. 10, U-Bhf. Platz der Luftbrücke, Bus 104
  • und in LEIPZIG bei der Interkulturelle Woche am

    Montag, 18. September, 19.30 Uhr,
    Frauenzentrum Lila Villa, 5 Euro

 

  • übrigens: „Inana“ ist die sumerische Göttin des Himmels, der Erde, der Sexualität und der Liebe, vergleichbar der akkadischen Ishtar, der hebräischen Ashera oder der phönikischen Astarte. Eine zweite Herleitung sieht den Ursprung im Sanskrit als den Weg spiritueller Erkenntnis.
 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Eine wird gewinnen?

Oslo am norwegischen Nationalfeiertag, 17. Mai 2017 (Foto: Bomsdorf)

Oslo am norwegischen Nationalfeiertag, 17. Mai 2017 (Foto: Bomsdorf)

Heute ist Wahltag – in Norwegen. Gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl bemüht sich Ministerpräsidentin Erna Solberg um Wiederwahl. Die Chancen der konservativen norwegischen Regierungschefin stehen nicht ganz so gut wie die von Angela Merkel. Die aktuelle Minderheitsregierung aus Solbergs Høyre (H) und der rechtsliberalen bis rechtspopulistischen Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei, FrP) würde laut öffentlich-rechtlichem Sender NRK eine hauchdünne Mehrheit erzielen. So hauchdünn, dass diese alles andere als gewiss ist. Zumal die zwei Parteien, die die Koalition stützen nicht so begeistert sind, mit FrP zusammenzuarbeiten. Details dazu in meinem Beitrag für die aktuelle Ausgabe von Das Parlament (37/2017) und hier:

Dabei stehen die Wirtschaftsdaten auf Wiederwahl. Gemäß der Theorie, dass in stabilen ökonomischen Zeiten eine Regierung bestätigt wird, dürfte Erna Solberg sich eigentlich keine Sorgen machen. “Unsere Partei hat Norwegen durch den schlimmsten Ölpreisfallin 30 Jahren gesteuert. Nun ist es wichtig, dass die Modernisierung Norwegens nicht stoppt”, so die Ministerpräsidentin in der Zeitung Aftenposten des Landes, das für Deutschland einer der wichtigsten Energielieferanten ist.

Tatsächlich kann die Regierungschefin darauf verweisen, dass das ohnehin wohlhabende Norwegen dabei ist, die leichte ölpreisbedingte Krise hinter sich zu lassen. Seit einem Jahr fällt die Arbeitslosigkeit laut Statistikbehörde SSB wieder und hat zuletzt 4,3 Prozent erreicht. Das pro-Kopf-Einkommen liegt in Kaufkraft berechnet 50% über dem EU-Schnitt und Anfang des Jahres verkündete die UN sogar, dass in Norwegen die glücklichsten Menschen leben.

Glücklich, aber unentschieden, könnte man sagen. Denn trotz dieser Daten sind die Parteien des “Blauen Blocks” rechts der Mitte unter Führung von Solberg in den Umfragen in etwa gleich auf mit der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und deren Partnern. In Norwegen werden häufig Minderheitsregierungen eingegangen. So koalierte Solbergs Høyre in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode nur mit der rechtsliberalen bis rechtspopulistischen Fortschrittspartei (FrP). Die beiden ließen sich von der christlichen Volkspartei KrF und der sozialliberalen Venstre V stützen. Gemeinsam kommen sie allenfalls auf eine hauchdünne Mehrheit und dabei ist noch nicht einmal sicher, ob KrF und V den Sprung über die Sperrgrenze von 4% schaffen.

Offiziell koalieren wollen die beiden mit der derzeitigen Regierung ohnehin nicht. Sie stören sich an der FrP.  Vor allem deren Einwanderungs- und Integrationsministerin Sylvi Listhaug ist dafür bekannt, gegen Migranten zu polemisieren. Ihre heftigen Kommentare erwecken für KrF-Chef Knut Arild Hareide den Eindruck, dass sie den integrierenden Teil ihrer Arbeit vergessen habe. “Wenn Integration gelingen soll, ist Vertrauen sehr wichtig, das muss sie schaffen und Radikalisierung und Ausgrenzung verhindern”, so Hareide in der Zeitung Dagbladet.

Lange sah es so aus, als würde FrP daunter leiden, an die Regierung gekommen zu sein. In den meisten Umfragen seit der Wahl vor vier Jahren lag die Partei weit unter dem Wahlergebnis von 16,3%, meist gar nur bei rund 12% oder weniger. Es sah also aus, als habe sich einmal mehr bewahrheitet, dass populistische Oppositionsparteien an Unterstützung verlieren, wenn sie eingebunden werden und Verantwortung übernehmen müssen (generell zur rechten im Norden hier in meinem Beitrag für das Berlin Policy Journal / IP). Doch zuletzt hat FrP wieder aufgeschlossen und könnte das Ergebnis von vor vier Jahren gar knapp übertreffen während Høyre voraussichtlich etwas auf um 25% abfällt.

Nicht nur die Grundlinien der Integrationspolitik, auch bei den Themen Öl und Klima gibt es unter den vier Parteien des “Blauen Blocks” Uneinigkeit. So fordern KrF und V, dass vor den Lofoten-Inseln auch in Zukunft nicht nach Öl gebohrt wird. Weil sowohl die Natur als auch die Ressourcenwirtschaft in Norwegen besonders wichtig sind, ist dies seit Jahren ein zentraler Streitpunkt, der aber immer dringlicher wird. Denn mit der Erschließung neuer Gebiete steigt die Chance länger eine reiche Ölnation zu bleiben.

Links der Mitte gibt es den selben Streit. Dort steht die Arbeiterpartei Ölbohrungen vor den Lofoten am offensten gegenüber. Das aber dürfte nicht der Grund dafür sein, dass die Partei vermutlich eines der schlechtesten Wahlergebnisse ihrer Geschichte erzielen wird. Ein Problem für die Sozialdemokraten ist, das deren Lieblingsthema Beschäftigung für die Wähler angesichts der guten Arbeitsmarktlage nicht nur nicht so relevant ist, sondern sie dort Høyre Umfragen gemäß auch mehr zutrauen. Obwohl Norwegen eine kleine Grenze zu Russland hat, spielt das Verhältnis zu dem Nachbarn im Wahlkampf keine wirkliche Rolle.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

“Ein Jahr in Frankreich” – das Buch

Ein schönes Gefühl, es nun auch selbst in der Hand zu halten: Vor kurzem ist mein Buch „Ein Jahr in Frankreich“ im Herder-Verlag erschienen. Nun hat die Bücherkiste auch den Weg ins ferne Belloc gefunden. Das haben wir gefeiert! Kater Mishmish hat sogleich den leeren Karton zu seinem neuen Schlafplatz erkoren, seine Form der Liebeserklärung. Das Lesen überläßt er anderen. Denn was interessieren ihn die Geschichten über das Alltagsleben im französischen Südwesten, über die sehr erträgliche Leichtigkeit und Gemächlichkeit des Seins, über schwindelerregende Höhenpfade in den Pyrenäen, über die Hauptstadt des Parfums und französische Kommunalpolitik… Mir hat es sehr viel Freude gemacht, diesmal meine sehr persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben statt wie sonst die Geschichten anderer Menschen zu erzählen. Hoffentlich haben meine LeserInnen genauso viel Spaß.

Birgit Kaspar, „Ein Jahr in Frankreich“, Herder-Verlag

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Talk und Lesung: “Coming too close”

Als in Auckland im August zum fünften Mal die Jahreskonferenz des neuseeländischen Centre for Investigative Journalism (www.cij.org.nz) stattfand, war auch Weltreporterin Anke Richter wieder mit dabei – diesmal aber mit einem langen und sehr persönlichen Vortrag zum Thema „coming too close“. Sie erzählte, wie nah sie während einer zweijährigen Buchrecherche an die Opfer der Sex-Sekte Centrepoint herangerückt war und sich die Grenzen verwischten, bis hin zur Re-Traumatisierung. Das „making of“ hatte sie später unter anderem in dieser Magazin-Geschichte verarbeitet: http://www.noted.co.nz/currently/social-issues/berts-labyrinth-revisiting-centrepoint/.

Auch über Richters letzte Titelgeschichte für das Sunday Magazine wurde beim CIJ diskutiert, die sie ebenfalls in einen Gewissenskonflikt gebracht hatte: Sie kannte die Hauptakteurinnen eines betrügerischen Schenkkreises gut, den sie schließlich enthüllte – mit unangenehmen Folgen. (http://www.stuff.co.nz/life-style/87103322/spiritually-transmitted-disease-the-poison-lotus).

Über diese Themen wird Anke Richter während ihrer anderthalbstündigen Lesung auf dem Campfire-Festival für Journalismus und neue Medien am 8. September in Dortmund reden – angereichert mit ein paar satirischen Einlagen aus ihrem Buch „Was scheren mich die Schafe“.

 

https://campfirefestival2017.sched.com/event/BYE7/seismik-sex-und-schafe-als-korrespondentin-am-schonsten-arsch-der-welt

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Russian Angst

Als meine Frau und ich Anfang Januar 2012 nach Moskau zogen, war die Zeit, in der Menschen in Europa Angst vor Russland haben mussten, eigentlich vorbei. Nicht nur das, auf den Straßen Moskaus demonstrierten mehr als hunderttausend Menschen für demokratische Reformen und gegen die Machtclique um Vladimir Putin. “Ihr habt so ein Glück”, sagte eine Freundin, “Ihr habt 1992 angefangen, über Russland zu berichten, als das Land am Boden lag. Und nun seid ihr Chronisten der Phase, in der Russland zu einer demokratischen Bürgergesellschaft wird.”

Ich wollte nie ein Buch schreiben, schon gar kein Korrespondentenbuch. Doch wir wurden Zeugen, wie Russland in eine Art moderne Diktatur oder Autokratie umgebaut wurde, wie die Angst in und vor Russland zurückkehrte.

 

“Ermordet für die Wahrheit” –  Boris Nemzow

Ich schrieb “Russian Angst” als eine politische Reiseerzählung. Ich erzähle von Nachbarn und Verkäufern, von Putin und Lawrow, von Kosaken und der Nationalen Befreiungsbewegung, von Addi, meinem Nachbarn in Hamburg, der Stalingrad überlebt hat, und von Margarita Weiß, meiner Erdkundelehrerin aus Leningrad.

 

 

 

Und nun ist “Russian Angst” unter den 30 besten Büchern unabhängiger Verlage, und Sie können es noch bis zum 22.8.17 wählen (wofür ich sehr dankbar wäre):

https://www.hotlist-online.com/wahllokal-polling/

Einblicke in das Buch bekommen Sie hier:

http://www.russianangst.de

https://www.facebook.com/russianangst.de/

Thomas Franke

Im Winter 2011/2012 sagte jemand von den Älteren, die den Krieg noch erlebt haben, zum Abschied: “Nach Moskau zieht man nicht, da ist man froh, wenn man heil weg kommt.” Irgendwie klingt das nach, wie ein fernes Telefon aus alter Zeit, an das immer noch niemand ran gegangen ist.

 

Turbinenhalle Irkutsker GES

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Weetagate zum Frühstück

Mit typisch neuseeländischer Küche kann man als Eingewanderte hadern. Wer sich wie ich nach kulinarischen Kindheitserinnerungen sehnt, schmuggelt Maggi-Flaschen oder Marzipan ein. Britische Ex-Pats, die eigentlich für jede Veränderung ihrer historisch berüchtigten Ernährung dankbar sein müssten, haben gar eigene Läden im Lande, um weiterhin ihre Lieblingsmarken aus der Heimat zu beziehen. Doch diese Versorgung ist akut bedroht: Neuseeland steckt tief im Weetagate-Skandal.

„A Little Bit of Britain“ heißt der Shop in Christchurch, wo Besitzerin Lisa Wilson (Foto) neben essigsauren Chips und englischer Schokolade (ein Oxymoron, aber angeblich essbar) solche bewährten Abartigkeiten wie „Steak and Kidney Pie“ in der Dose verkauft. Und natürlich auch Frühstücksflocken wie das traditionelle Weetabix. Das ist ein staubtrockener Weizenkeks, der sich durch Milch in blasse Pampe verwandelt. Briten lieben sowas, aber die haben ja auch den Brexit.

Kiwis lieben sowas auch, aber wir haben hier Weet-Bix: ähnliches Produkt, ähnlicher Name, aber nicht gleich, schon gar nicht im Geschmack – behaupten Kenner, ich nicht. Als Lisa Wilson sich letzten Monat ihre Ladung Weetabix aus Übersee schicken ließ, wurden die 360 Schachteln vom Zoll beschlagnahmt – auf Geheiß der Firma Sanitarium, die Weet-Bix herstellt. Sie fürchtet Konkurrenz.

Sanitarium ist ein Riesenkonzern für vegetarische Fertigprodukte. In China sind deren Cerealien besonders beliebt, seit sie in der TV-Serie „Ode to Joy“ auftauchten. Bis zu 40 Euro kostet dort eine Packung. Da die Firma jedoch den Sieben-Tages-Adventisten gehört, gilt sie als wohltätig und muss in Neuseeland und Australien keine Steuer abführen.

So weit, so fragwürdig. Lisa Wilson von „A Little Bit of Britain“ bekam einen Schrieb von Sanitarium, sie dürfe ihre Import-Bixe nur verkaufen, wenn sie den Namen überklebe und „Weetabix“ auch auf ihrer Webseite lösche. „Das ist Schikane“, sagt Wilson. „Wir sind ein kleines Unternehmen, das der Multimillionen-Dollar-Konzern in die Knie zwingen will. Die Produkte sind verschieden, die kann niemand verwechseln.“

Sanitarium hat sein heiliges Weetbix nicht mal erfunden, sondern Name und Rezept in den 20er Jahren von einem englischen Hersteller gekauft. Dass der Arm der Sekte so weit reicht, dass eine kleine Lieferung Weizenstaub wie ein Drogenfund am Zoll abgefangen wird, ist der eigentliche Skandal. Mit ähnlichen Bully-Methoden hat die Firma schon mal ihr Monopol verteidigt, als nach dem Erbeben in Christchurch die dortige Sanitarium-Fabrik nicht mehr den salzigen Brotaufstrich Marmite herstellen konnte. Ein Laden, der die Hefe-Schmiere aus England importierte, weil das hungrige Volk nach Marmite verlangte, wurde in einen langen Rechtsstreit gezwungen.

Auch Lisa Wilson will bis vors höchste Gericht ziehen. Egal, ob sie den Fall gewinnt oder nicht: Sanitarium hat bereits Kunden verloren. Seit Weetagate werden die Sekten-Produkte boykottiert – nicht nur von Engländern auf der ganzen Welt, sondern auch von Kiwis.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Zum Tode von Liu Xiaobo: So wurde er 2010 in Abwesenheit mit dem Friedensnobelpreis geehrt

Ein leerer Stuhl, eine rotes Kleid, heruntergelassene Rollläden – so symbolisch wie 2010 war die Zeremonie zur Verleihung des Friedensnobelpreises wohl selten. Damals sollte der chinesische Dichter und Dissident Liu Xiaobo geehrt werden, vor Oslo in Oslo wurde deutlich, welche Bedeutung der aktuelle Tträger des Friedensnobelpreises für die internationale Politik hatte. Aus Anlass seines Todes mein damaliger Bericht aus Oslo (und hier geht es zu meinem damaligen Artikel für Die Welt):

“Wie jedes Jahr sind auch an diesem 10. Dezember internationale Persönlichkeiten und hochrangige Vertreter der mächtigsten Staaten in das Rathaus der norwegischen Hauptstadt gekommen. Vor dem monumentalen Backsteinbau dicht am Hafen liegt Schnee, die Luft ist trocken und kalt – das Thermometer zeigt minus 11 Grad. Die geladenen Gäste gehen seit 12 Uhr ins Rathaus rein, korrekt nach Zeitplan betritt 59 Minuten später das Königspaar den Mittelgang und setzt sich ganz nach vorne auf zwei dort platzierte Stühle, schräg dahinter Botschafter, Menschenrechtsaktivisten, Politiker – rund 1000 Menschen sind anwesend.

Doch ganz vorne auf dem Podium bleibt ein Stuhl leer. Die Hauptperson ist abwesend. Liu Xiaobo, der mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis geehrt wurde, ist nur durch ein Foto vertreten. Lächelnd zeigt ihn das riesige Bild, das an der Wand hängt. Doch er selber sitzt gefangen in China.

Nicht einmal ein Familienmitglied durfte nach Nordeuropa kommen und statt seiner den Preis annehmen. Deshalb wird der Friedensnobelpreis dieses Jahr zum zweiten Mal in seiner Geschichte nicht ausgehändigt.

Und deshalb spricht Torbjørn Jagland, Vorsitzender des Nobelkomitees und norwegischer Parlamentarier, nur über, aber nicht zu Liu Xiaobo. Gleich zu Anfang seiner Rede sagt er den simplen Satz „Wir gratulieren Liu Xiaobo zum diesjährigen Friedensnobelpreis“. Kaum sind die Worte gefallen bricht heftiger Applaus aus, der schnell in stehende Ovationen übergeht. Diese Art der Unterstützung ist nicht üblich am 10. Dezember in Oslo. Natürlich wurde auch in den anderen Jahren applaudiert, aber es nicht aufgestanden.

Ganz vorne im Mittelgang steht Königin Sonja und klatscht in die Hände. Sie trägt ein rotes Kleid – obwohl die Heimat des Preisträgers die Zeremonie boykottiert und keinen Regierungsvertreter geschickt hat, ist die Nationalfarbe Chinas im Osloer Rathaus also unübersehbar.

Statt des Preisträgers hält Liv Ullmann eine Art Ersatzdankesrede und liest einen Text von Liu Xiaobo vor. Nicht irgendeinen, sondern seine Verteidigungsrede, gehalten vor einem Gericht in China im Dezember 2009. „Meinungsfreiheit ist die Grundlage der Menschenrechte, die Quelle der Humanität und die Mutter der Wahrheit. Freiheit zu strangulieren bedeutet die Menschenrechte mit Füßen zu treten, Menschlichkeit zu ersticken und die Wahrheit zu unterdrücken“, trägt Ullmann Liu Xiaobos Worte vor.

Liu Xiaobo hat sein Beharren darauf seine Meinung zu sagen bereits mehrfach ins Gefängnis gebracht. Derzeit sitzt er in Haft, weil vor zwei Jahren von ihm und etlichen anderen Intelektuellen die Charta 08 präsentiert wurde. Die Unterzeichner forderten in ihrem Land grundlegende Menschenrechte ein. Genug für die Machthaber Liu Xiaobo als zentrale Person im Jahr darauf zu einer elfjährigen Gefängnisstrafe zu verurteilen. Man habe an ihm ein Exempel statuieren wollen und durch die Verurteilung einer der zentralen Akteure andere abschrecken wollen ähnliches zu tun.

Liu Xiaobo hat sich gewünscht, dass diese seine Worte vom Prozess vor einem Jahr nun in Oslo nochmals verlesen werden, denn so wendet er sich an die Öffentlichkeit. Immerhin, diesen Wunsch nach draußen zu tragen, konnten die chinesischen Behörden nicht verhindern.

In Oslo gibt sich die Volksrepublik zugeknöpft. Zwar werden auf der Homepage der Botschaft jede Menge Statements gegen die Preisverleihung veröffentlicht, doch niemand geht in der Vertretung des Landes ans Telefon. Stünden nicht die Autos vor dem Botschaftsgebäude im noblen Westen der norwegischen Hauptstadt und wären da nicht die frischen Spuren im Schnee, man könnte meinen, China hätte sich aus Norwegen zurückgezogen.

An allen Fenstern sind die Rollläden heruntergelassen, kein Mensch ist zu sehen. Das sah am Vortag noch anders aus. Donnerstag waren immerhin die chinesischen Regimegegner zur Stelle und protestierten vor der Botschaft für Liu Xiaobo. Mit dabei war Leung Kwok-hung, regimekritischer linker Politiker aus Hong Kong. Am Tag der Zeremonie steht er vor dem Osloer Rathaus und ruft mit anderen Chinesen im Chor „Release Liu Xiaobo“ (Lasst Liu Xiaobo frei) und „Democracy for China“ (Demokratie für China). Sie halten ein Spruchband und ein Schild mit dem Foto des Preisträgers in den Händen. Es ist keine große Gruppe an Demonstranten, die sich da zusammengefunden hat, aber sie kriegen jede Menge Aufmerksamkeit von Polizei und Presse und die einflussreichen Geladenen, die keine hundert Meter entfernt zur Zeremonie ins Rathaus laufen, hören die Rufe noch. „Man darf niemals aufgeben“, sagt Leung Kwok-hung. Er glaubt nicht, dass Liu Xiaobo alsbald freikommt, aber ist zuversichtlich, dass seine Rufe nicht überhört werden. „Ich bin auch zur Zeremonie eingeladen, glaube aber, dass ich mehr bewirken kann, wenn ich hier draußen stehe und demonstriere“, sagt er.

Protestler Leung Kwok-hung und Preisträger Liu Xiaobo sind nicht die einzigen Geladenen, die nicht ins Osloer Rathaus gekommen sind. Selbstverständlich hat China keine offiziellen Vertreter geschickt. Das mächtige asiatische Land hat sich aber auch bemüht, möglichst viele andere Staaten dazu zu bringen, der Preiszeremonie fernzubleiben. Bei siebzehn weiteren war Liu Xiaobos Heimatland erfolgreich. Unter anderem kamen die Vertreter Russlands, Vietnams und Kasachstans nicht. Anders als Liu Xiaobo haben sie aber die Wahl gehabt, hätten kommen können. Doch statt durch Anwesenheit setzen sie lieber durch Abwesenheit ein Zeichen. Es ist ein stiller Protest, eine unsichtbare, aber wahrnehmbare Solidaritätserklärung mit der chinesischen Regierung. Wirtschaftliche Gründe dürften dabei eine große Rolle gespielt haben.

Auch Teile der norwegischen Wirtschaft hatten die Wahl Liu Xiaobos anfangs kritisiert. Wie für so viele andere Länder ist China auch für Norwegens Unternehmen in erster Linie ein großer Markt. Die Wirtschaftszeitung „Dagens Næringsliv“ stützte am gestrigen Tag der Preisverleihung in ihrem Leitartikel die Entscheidung des Nobelkomitees. Norwegen habe zwar schon eine Strafe zu spüren bekommen, nämlich den Aufschub eines Freihandelsabkommens. „Aber genau deshalb ist der diesjährige Friedenspreis so wichtig und so richtig. Wenn ökonomische und strategische Interessen die Wahl des Kandidaten diktieren, gibt es eine große Gefahr, dass der Friedenspreis seine Bedeutung verliert“, heißt es in dem Leitartikel. Der diesjährige Preis handle von so etwas grundlegendem wie, dass niemand wegen seiner Meinungen im Gefängnis sitzen solle. „Das ist ein Prinzip, das wir verteidigen müssen, unabhängig davon, wieviel es kostet“, so der Kommentator.

Bereits viermal zuvor hatte ein Geehrter nicht nach Oslo kommen können, um den Preis anzunehmen. Doch selbst die Diktaturen in Polen, der Sowjetunion und Burma konnten nicht verhindern, dass Verwandte von Andrej Sakharov, Lech Wales und Aung San Suu Kyi den Preis entgegennahmen.

Deshalb wird China dieser Tage immer wieder gleichzeitig mit der Nazidiktatur in Deutschland genannt. Denn Deutschland unter Hitler ist der andere Staat, der einen Preisträger nicht aus der Gefangenschaft entlassen wollte, um nach Norwegen zu reisen.

Carl von Ossietzky, der 1936 den ihm im Jahr zuvor anerkannten Nobelpreis entgegennehmen sollte, saß damals im Konzentrationslager. Wie China heute, so versuchte Deutschland damals, möglichst viele von der Teilnahme an der Zeremonie in Oslo abzuhalten. Diese Parallele wird von den Medien immer wieder aufgegriffen, das Nobelkomitee aber hält sich mit diesem Vergleich zurück. Chinas Gebahren mit dem Hitlers zu vergleichen könnte zu sehr danach aussehen die beiden Regime auch nur ansatzweise gleichzusetzen.

Dafür erinnert Jagland daran, dass selbst der Iran im Jahr 2003 die damalige Preisträgerin, die iranische Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi, nicht daran gehindert habe, nach Oslo zu reisen, ja, damals sogar der iranische Botschafter in Norwegen zur Zeremonie gekommen sei. Solche Mahnungen müssen der chinesischen Führung, die international sonst besseres Ansehen genießt als die iranische, wehtun und – so hofft Jagland vermutlich – sollten ihr zu denken geben. Gleichzeitig lobte er China für die enorme wirtschaftliche Entwicklung, die das Land durchgemacht hat. Es müsse sich aber auch sonst öffnen, mahnt Jagland an.

China wird die Rollläden an der Botschaft in Oslo irgendwann wieder öffnen müssen, vielleicht darf dann auch Liu Xiaobo Medaille und Preisgeld abholen. Wenn er seiner Frau davon dann als erstes ein Kleid rot wie das der norwegischen Königin kauft, so wäre es nicht nur ein Liebesbeweis an seine langjährige Partnerin, sondern auch an China und die Freiheit.”

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Grandios: Hamburg und die 20 Granden

 

Auf der Bühne des Nachtasyls im ausverkauften Thalia Theater haben die Weltreporter am 30. Juni – eine Woche vor dem G20-Gipfel – in Hamburg gefragt: Welche Fragen bewegen die Welt wirklich?

Denn Putin, Erdogan, Merkel, Trump, Juncker und all die anderen Mächtigen an einem Tisch hätten zwar genügend Probleme zu lösen gehabt. Die entscheidenden Fragen aber wurden von ihnen gar nicht erst gestellt. Das übernahmen stattdessen die Korrespondenten des Netzwerks Weltreporter – und boten aus ihren jeweiligen Berichtsgebieten auch Antworten an. Kurz, zugespitzt und meist mit einem Augenzwinkern berichteten die Korrespondenten live auf der Bühne, was die Menschen überall auf der Welt über diese 20 Granden denken, um die sich die Welt vermeintlich dreht.

Kerstin Schweighöfer (Den Haag) und Marc Engelhardt (Genf) begrüßten im Thalia-Theater das Publikum (zum Hören: Auf das Bild klicken)

Kerstin Schweighöfer (Den Haag) und Marc Engelhardt (Genf) stellten die Weltreporter vor und führten durch den Abend, der von vier Fragen und einer Publikumsrunde bestimmt wurde.

Vier Weltreporter zur Frage: Wer führt künftig die Welt (zum Hören auf das Bild klicken)

Wer führt – nach dem Ausfall der USA – die Welt? Das war die erste Frage, die die Weltreporter beschäftigte. «Großbritannien, wenn es erst mal von Europa befreit ist», antwortete Peter Stäuber (London) mit typisch britischem Humor. «China, als Teil einer multipolaren Welt», berichtet Hilja Müller (Peking). Für Eric Bonse (Brüssel) steht fest: «Die EU zeigt, dass die Welt alles braucht, aber keinen Führer.» Das sieht man in Russland anders, wie Thomas Franke (Moskau) berichtet: «Endlich wieder Großmacht», so das vorherrschende Gefühl dort.

Zur Frage “Wohin führt die Flüchtlingsrevolution” äußern sich vier Weltreporter (zum Nachhören auf das Bild klicken).

Wohin führt die Flüchtlingsrevolution? Mit dieser Frage bezogen die Weltreporter sich auf ihr Erfolgsbuch, «Die Flüchtlingsrevolution», und die vorgebliche “Flüchtlingskrise”. Wohin sie führt? «Zu Trumps Mauer jedenfalls nicht», so Kerstin Zilm (Los Angeles), die leider nicht in Hamburg sein konnte und deshalb in einem vorproduzierten Film über die Ängste bei Auswanderern in den USA berichtete. «Erdogans Drohungen sind hohl», befindet Philipp Mattheis (Istanbul): Millionen Syrer werden ihm zufolge in der Türkei bleiben, auch wenn Erdogan die Grenze öffnet. «Für die meisten Flüchtenden endet die Flucht ihn eigenen Land», berichtet Bettina Rühl (Nairobi). Und Sarah Mersch (Tunis) warnt vor den Internierungscamps in Libyen, dem vermeintlichen Partner der EU bei der Flüchtlingsabwehr.

Drei Weltreporter-Stimmen zur Frage: Ist der Weltfrieden in Gefahr? Zum Anhören auf das Bild klicken.

Ist der Weltfrieden in Gefahr? Auf diese Frage kennt Jürgen Stryjak (Kairo) nur eine Antwort: «Ja, und zwar am Golf.» Marc Engelhardt, der von den UN aus Genf berichtet, ist der Meinung: «Ja, die USA bedrohen den Weltfrieden, weil sie die UN demontieren.» Und Hilja Müller (Peking) fürchtet, dass Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un den Weltfrieden in Gefahr bringt – wenn China ihn lässt.

Wie retten wir die Demokratie? Die Berichte der Weltreporter hören Sie, wenn Sie auf das Bild klicken.

Und schließlich die Frage: Wie retten wir die Demokratie? «Mit mehr Demos statt Wahlen», glaubt Weltreporterin Birgit Kaspar (Toulouse). Jürgen Stryjak (Kairo) plädiert dafür, die «Clanisierung» der Politik zu bekämpfen. Die Niederlande zeigen: «Mit mehr Monarchie, bindenden Volksabstimmungen und weniger Regierung lässt sich die Demokratie retten», berichtet Kerstin Schweighöfer aus Den Haag. Und Thomas Franke (Moskau) bilanziert: «Die Demokratie lässt sich am besten ohne Marktwirtschaft retten.»

Fragen an die Weltreporter: Wenn Sie wissen wollen, was die Zuschauer für Fragen hatten, klicken Sie auf das Photo.

Der Rest des Abends gehörte den Zuschauern im Thalia, die Fragen nicht nur an die Weltreporter aus G20-Ländern, sondern gerade auch an die Berichterstatter aus anderen Regionen hatten, die bei den “großen” 20 nicht vertreten sind.

Photos: Julica Jungehülsing; Aufzeichnung: Thalia-Theater

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Folterfreundlicher Botschafter war Nacktmodell

Als US-Staatssekretär Rex Tillerson Anfang des Monats seinen Antrittsbesuch in Neuseeland machte, war nicht nur das Wetter miserabel. Auch die Begrüßung auf der Straße fiel frostig aus: Kiwis zeigten Tillersons Karosse, die ihn durch Wellington chauffierte, vor allem den Mittelfinger. Denn gerade mal 15 Prozent im Lande hegen Sympathien für Amerikas Präsidenten. Trumps nächster Abgesandter beugt daher lieber vor, um sich Volkes „fuck off“ zu ersparen. Scott Brown, neuer Botschafter für Neuseeland und Samoa, hat für uns eigens ein schönes Heimvideo zum Kennenlernen gedreht.

Früher war er mal Senator, international noch ein unbeschriebenes Blatt. Damals ließ er gerne Trucks in seinen Wahlwerbungen auftauchen. In seinem Sympathieträger-Spot für die Kiwis sehen wir den 57jährigen vor und in seinem Haus in New Hampshire, die ganze Familie um ihn herum: Ehefrau Gail und die erwachsenen Töchter Arianna und Ayla, die letztere Country-Sängerin. Selbst Hund Gracie ist im Bild. Heile Welt, heiles Amerika.

Nein, in Neuseeland war bis vor drei Tagen noch keiner von ihnen. Aber schön soll es ja dort sein, die Berge, der Strand. „Angeblich das freundlichste Land der Welt“, schwärmt Mrs. Brown vor der Kamera. Außerdem sei Sport bei ihnen in der Familie „riesig, riesig“, genau wie down under. Scott Brown liebt Triathlon und kann daher den Antritt auf seinem Südsee-Posten kaum erwarten. Tochter Ayla verrät begeistert, womit Daddy die neuen Landsleute begrüßen wird: einem echten „American Barbecue“.

Am meisten versucht Brown mit seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen zu punkten. Seine Eltern waren mehrfach geschieden. „Ich bin 17 mal umgezogen, bis ich 18 war.“ Er hatte mit betrunkenen Stiefvätern zu kämpfen, Schlägereien in der Familie. „Ich musste meine Mama und Schwester öfters retten, und ich glaube, das hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.“ Nämlich seit 30 Jahren glücklich verheiratet. „Diese Werte bringen wir mit in Ihr Land – jemand, der weiß, was es heißt, der Underdog zu sein.“

Die filmische PR-Aktion hat einen Grund. Denn als erstmals bekannt wurde, wen uns Donald Trump ins Haus oder genauer, die amerikanische Botschaft schickt, überschlug man sich in Kiwi Country: Scott Brown, der optisch Harrison Fords kleiner Bruder sein könnte, posierte während seines Jura-Studiums nicht nur als Model nackt für Cosmopolitan in einem Wettbewerb als „America’s sexiest man“, sondern hat ein Verfahren der Fox-News-Mitarbeiterin Andrea Tantaros gegen sich laufen, die er nach einer Fernsehsendung sexuell belästigt haben soll.

Ach ja, und Waterboarding verteidigt der Politiker auch, der sich gleich nach seiner Ankunft im Regen aufs Mountain-Bike schwang. Laut Paul Buchanan, früherer US-Sicherheitsberater, ist Folter-Freund Brown „nicht die hellste Leuchte“ und seine Versetzung ins humanitäre Aotearoa daher eine „Beleidigung“. Als Senator sei er „unbrauchbar“ gewesen, von Neuseeland wisse er nichts. „Es wird wie ein verlängerter Urlaub für ihn sein. Neuseeland verdient etwas Besseres als diesen Kerl.“ Aber jetzt erst mal Angrillen mit Familie Brown.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Podcast #1: Die Weltreporter persönlich

Die Weltreporter im Gespräch – Ab sofort lassen wir Sie noch näher ran, an unsere Arbeit in aller Welt: Im WR-Podcast erzählen künftig alle drei Monate Korrespondenten von Jobs und Recherchen zwischen Durban und Dänemark, geben einen Einblick  in den Korrespondentenalltag, live & lebendig. Wir schalten unsere Mikrophone für Sie auf Empfang und laden ein in unsere Schreib- und Tonbüros auf fünf Kontinenten. Der erste WR-Podcast führt hinter die Kulissen des größten Korrespondenten-Netzwerks freier Auslandsjournalisten, das über 47 deutschsprachige Reporter in fast ebenso vielen Ländern vereint.

Kerstin Zilm im per Wolldecke isolierten Studio.

Wer sind die Weltreporter-Journalisten und was bewegt sie? Erfahren Sie, unter welchen Bedingungen Geschichten entstehen, die Sie später gut gemischt online oder im deutschen Radio hören. Verbringen Sie 20 Minuten mit uns – jenseits der Schlagzeilen. In diesem ersten Podcast treffen Sie einen Weltreporter-Gründer, hören, welches amerikanische Geräusch unsere Kollegin in Los Angeles zuweilen von der Arbeit abhält und was Kollegen in Krisenregionen auch in schwierigen Zeiten zum Durchhalten motiviert.
Ganz nebenbei bekommen Sie Antworten auf eine Reihe von Fragen, die Sie sich vielleicht noch nie so gestellt haben 😉 Zum Beispiel:

  • Wie lange dauert es, einen Dänen kennenzulernen?
  • Wer ist die erfolgreichste Immigrantin der Niederlande?
  • Wo treffen sich Karel Gott und Prager Hochkultur?
  • In welcher Region ist ein Plan B überlebenswichtig?
  • Was bedeutet Reporterglück in Tunis?
  • Und wie genau klingt es, wenn ein südafrikanisches Nashorn ins Mikrophon atmet?

Ägypten-Korrespondent Jürgen Stryjak während des Volksaufstandes 2011 auf dem  Tahrir-Platz.

Der erste Weltreporter Podcast widmet sich aber auch ernsteren Themen: Im Interview berichtet Jürgen Stryjak, der seit 17 Jahren in Kairo arbeitet, vom Arbeit und Leben in einem Land, in dem Anschläge und Unterdrückung zum Alltag gehören. Er schildert, welche Spuren es hinterlässt, wenn man tagein tagaus über Menschen berichtet, die Gewalt oder Terror erleben, die desillusioniert oder hoffnungslos sind. Jürgen Stryjak erzählt auch, was ihn motiviert, sich von schwierigen Situationen nicht unterkriegen zu lassen. Er erzählt von einer Begegnung mit Amir Eid und seiner Indie-Band Cairokee, die er bei Proben in Kairo traf. Auch sie lassen sich nicht einschüchtern. Eines ihrer jüngeren Lieder heisst Akhr Oghniyya – zu deutsch: »Das letzte Lied«. Selbst wenn dies mein letztes Lied wäre, singt Amir Eid im Refrain, selbst dann würde ich noch von der Freiheit singen.

Janis Vougioukas nach der WR-Gründung im Jahr 2007 während einer Recherche über Folgen der Umweltverschmutzung in China.

Außerdem lernen Sie Janis Vougioukas kennen. Janis ist heute Stern-Reporter in Shanghai. Er war es, der im Jahr 2000 mit einer Handvoll anderer Journalistenschüler die Idee hatte, das Weltreporter-Netzwerk zu gründen. Im Gespräch erinnert sich Janis daran, wie damals auch die Einsamkeit als Freischaffender mit ein Motiv dafür war, das Abenteuer Weltreporter zu wagen. “Wir waren überrascht, wie viel man über Internet-Abstimmungen und Skype effizient, global und günstig organisieren konnte”, erzählt Janis Vouigoukas als ihn Kerstin Zilm über diverse Zeitzonen hinweg während einer Recherche in Hongkong erreicht. Damals begann die Medienkrise, und er und die 20 ersten Weltreporter waren begeistert, wie rasch sich die Existenz des weltweiten Reporternetzwerks in den Redaktionen herumsprach: “Es war toll zu sehen, wie dankbar die Redaktionen, die nicht mehr selbst schnell jemanden losschicken konnten oder wollten, unser Angebot angenommen haben.” Heute gehören zum Netzwerk 47 freie Korrespondenten in aller Welt und 27 Kollegen, die inzwischen nicht mehr als freie Journalisten arbeiten oder wieder von Deutschland aus berichten.

Leonie March interviewt einen Fährtenleser.

Zusammengestellt haben diese “20 Minuten Weltreporter persönlich” unser Podcast-Team in drei Kontinenten und diversen Zeitzonen. An Mikro und Mischpult agierten Kerstin Zilm in Los Angeles, Leonie March in Durban und Sascha Zastiral in London.

Viel Spaß beim Zuhören, und bis zum nächsten Podcast – in spätestens drei Monaten.

Im Helikopter über Durban

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

EUROPA UND DIE 20 GRANDEN

Ein Abend mit den Weltreportern in Hamburg am Freitag, 30. Juni 2017, 19 Uhr 

Putin, Erdogan, Merkel, Trump, Juncker und all die anderen Mächtigen an einem Tisch: Probleme gäbe es für die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten Anfang Juli genug zu lösen. Beispiele gefällig? Klimaschutz: Den hat der US-Präsident gerade aufgegeben. Ein Ende von Krieg und Chaos: Nicht nur Saudi-Arabien heizt die Lage global weiter auf. Der Kampf gegen Ungleichheit und Armut: Doch die Europäer wollen nur, dass die Armen bleiben, wo sie schon immer waren. Vor dem G20-Gipfel in Hamburg gibt es nichts als Fragezeichen.
Eine Woche vor dem Spitzentreffen laden deshalb die Korrespondenten des Netzwerks Weltreporter zu einer Runde Ausrufezeichen ein: Was denken die Menschen in Russland, der Türkei oder Ägypten über diese 20 Granden, um die sich die Welt vermeintlich dreht? Was sind in den G20-Staaten und darüberhinaus die wirklichen Probleme? Und wer führt künftig die freie Welt an: Macron? Xi Jinping? Oder etwa das Volk?
Kommen Sie und sprechen Sie mit uns: Wir laden Sie ein zu kurzen, knackigen Live-Berichten von Korrespondenten aus der ganze Welt, die (nicht nur) dort leben, wo die G20 regieren. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion mit Ihnen und eine Abstimmung zum Schluss.
Weltreporter.net ist das größte Netzwerk deutschsprachiger Auslandskorrespondenten und berichtet insgesamt aus 160 Ländern weltweit. www.weltreporter.net 
Europa und die 20 Granden
Freitag, 30. Juni, 19 Uhr
Thalia Nachtasyl
Alstertor 1
20095 Hamburg
Eintritt: 7 Euro
Karten bekommen Sie auf der Webseite des Thalia-Theaters

 

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Maori-Autobahn mit Zungenbrecher

Dass man in Neuseeland nichts bauen darf, das den Sitz eines Naturgeists namens Taniwha zerstören könnte, ist einer der oft kolportierten Mythen im magischen Reich der Bikultur. Völlig falsch. Erst kürzlich wurde der neue Kapiti-Expressway eröffnet, für Kiwi-Verhältnisse eine Autobahn, entlang der unteren Westküste der Nordinsel. Sie führt schnurstracks durch heilige Stätten der Ureinwohner. Doch das ist nicht der Skandal. Sondern wie sie heißen soll.

Kurz vor Waikatane auf dem Weg nach Wellington kommt eine Linkskurve. Da steht eine Betonwand mit Maori-Malereien. Dahinter liegt das Land der Schriftstellerin Patricia Grace, eine der hochangesehensten Literatinnen im Lande. Die Maori-Aktivistin musste lange vor Gericht kämpfen, um den Grund und Boden zurückzubekommen, den die Kolonialmacht einst ihrem Vorfahren Wi Parata Te Kakakura stahl. Ihre Vorfahren liegen dort begraben.

Auf der anderen Seite ist ein Hügel. Dort sind noch die Steine einer traditionellen Grabstätte der polynesischen Ureinwohner zu sehen. Sie sind fast so alt und heilig wie Patricia Grace. Wie immer man es dreht und wendet: Die Autobahn ist praktisch, denn die Staus in und aus der Hauptstadt waren bisher ein „pain in the ass“. Aber politisch korrekt ist sie nicht.

Rassisten und Rednecks regen sich dennoch auf. Denn der Expressway wird in sieben Teile unterteilt, und die sollen allesamt Maori-Namen bekommen. Einer davon: Kakakura Road, nach Patricia Graces Vorfahren. Volkes Zorn überschlug sich: Kann niemand aussprechen! Kann niemand verstehen! Ein Straßenname muss doch Bedeutung haben! Verdammt, wer soll denn all den Kram auswendig lernen? Vorher hieß der längste Abschnitt der Straße nur Main Road, ein Teil davon Main Road South, einer Main Road North. Und jetzt stattdessen all diese Zungenbrecher. So wie Katu Road.

Dabei wäre es doch viel einfacher, den ehemaligen State Highway 1 durch einen simplen englischen Nachnamen zu ersetzen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Klavierstimmer St. John Majoribanks Cholmodeley-Featheringstonehaugh, der aus Worcestershire (sprech das mal einer korrekt aus!) nach Raumati emigrierte. Oder die berühmte Bardame in Waikanae mit irischer Abstammung, die den ersten Ceilidh (das ist ein Volkstanz) in der neuen Heimat einführte: Siobhan Caoimhe Niamh O’Coughlan.

Stattdessen der hochkomplizierte Straßenname „Unaiki“. Im Gegensatz zum Ceilidh wird jeder Buchstabe in „Unaiki“ genauso gesprochen, wie er geschrieben wird. Aber vielleicht sollten neue Straßennamen nicht Verflossenem Rechnung zollen, sondern lieber Gegenwärtiges beschreiben. Wie wäre es der Einfachheit halber mit “Road Rage Road” für all die Tobsüchtigen hinterm Steuer, die sich über Staus und Straßentaufe erzürnen?

Für Otaki, ein 6000-Seelen-Nest an der Kapiti-Küste, werden diese Fragen wichtiger denn je. Otaki soll der erste bilinguale Ort Neuseelands werden: alle Schilder auf Maori und Englisch. Eine Studie fand vor 40 Jahren heraus, dass es in dem Städtchen keinen einzigen jungen Maori mehr gab, der seine Sprache noch flüssig sprechen konnte.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Rückkehr der Angst – Feature bei SWR2

2017 ist Putin seit fünf Jahren wieder Präsident Russlands. In der Zeit hat sich viel verändert. Am schlimmsten ist, dass die Angst zurückgekehrt ist.
Wie das geht und welche Folgen das für Demokraten hat, erzählt das Feature anhand von vier Menschen, die ich seit dem Winter 2011/2012 immer wieder getroffen habe. www.russianangst.de

Die Sendung kann man hier hören:
http://nachmoskau.de/archives/2997

Und man kann das Buch lesen, das die “Russian Angst” beschreibt.
http://www.russianangst.de

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Frankreich wählt – weiter

Der Zeitungsverkäufer ist guter Laune – obwohl er heute am Feiertag arbeiten muss. „Neun von zehn Parisern haben für Emmanuel Macron gestimmt“, sagt er erfreut und ist stolz auf seine Stadt. Er sei erleichtert über das Wahlergebnis. „Das ist ein Sieg für die Republik und für Europa.“ Der symbolhafte Auftritt Macrons mit der Europahymne „Ode an die Freude“ vor dem Louvre habe ihm gefallen nach den vergangenen Wahlkampfwochen voller Aggressionen und Hassparolen. Doch dann runzelt er die Stirn und sagt: „Wir haben ja leider noch den dritten und vierten Wahlgang vor uns.“

Er meint damit, dass im Juni noch die beiden Wahlgänge der Parlamentswahlen bevorstehen. Wird Macron mit seiner Bewegung „En marche“ es dann auch schaffen, eine Regierungsmehrheit zu holen? Eine erste Umfrage von Ipsos/Sopra Steria hat ergeben, dass 61 Prozent der Franzosen nicht wollen, dass der neue Präsident mit seiner Partei in der Nationalversammlung eine absolute Mehrheit hat. Wird der neue Präsident tatsächlich die Macht haben, seine Reformen durchzusetzen oder werden ihn die Franzosen ausbremsen, weil sie ihm einen Premier aus einem anderen Lager zur Seite stellen? Macron habe erst gewonnen, wenn er am 18. Juni eine Mehrheit habe, kommentierte ein Politologe am Wahlabend.

Tatsächlich geht der Wahlkampf schon längst weiter. Politiker der traditionellen Parteien bringen im Fernsehen ganz schnell ihre Glückwünsche für den neuen Präsidenten über die Lippen, um dann für sich zu werben. Der stramme Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon von „La France insoumise“ sprach bereits von „résistance“, Marine Le Pen will den Front National umbauen und sieht ihre rechtsextreme Partei als erste Oppositionspartei im Land. Die Republikaner sinnen auf Rache – hatten sie doch vor einem halben Jahr bereits an den sicheren Sieg geglaubt. Und auch die Sozialisten wollen Macron „keinen Blankoscheck ausstellen“.

Zudem machen folgende Zahlen deutlich, dass Macrons weiterer Marsch kein leichter sein könnte: Zwar hat er 66,1 Prozent der gültigen Stimmen erhalten. Aber nur 44 Prozent der eingeschriebenen Wahlberechtigten haben für ihn gestimmt, 22 Prozent für le Pen, 25 Prozent sind nicht zur Wahl gegangen, neun Prozent der Wähler haben einen weißen Zettel in den Wahlumschlag gesteckt oder einen ungültigen Stimmzettel – das ist ein Rekord. Und klar ist auch: Sehr viele Wähler haben am Sonntag für die Republik gestimmt und gegen die rechtsextreme Le Pen, nicht unbedingt für Macrons Wahlprogramm.

Und dennoch: Der jüngste Präsident Frankreichs macht vielen Franzosen Hoffnung. Immer wieder ist von einem Generationswechsel die Rede, von einer Chance für die jungen Franzosen. Vor vier Jahren hatte noch niemand diesen Mann auf dem Schirm. Dass er jetzt Präsident ist, grenzt in diesem fest gefügten Politik-System an ein kleines Wunder. Wer das geschafft hat, der sorgt vielleicht noch für andere Überraschungen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Tag der Pressefreiheit – nicht überall

Der 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. Um die allerdings ist es nicht sonderlich gut bestellt. Der Verband Reporter ohne Grenzen (ROG) hat zu diesem Termin eine überraschende und teils erschreckende Rangliste mit vielen Hintergründen zur Pressefreiheit in der Welt zusammengestellt.

Es ist ein hochspannendes und informatives Dokument, viel mehr als eine Liste.
Ein Blick auf die interaktive Weltkarte der ROG-Kollegen ist extrem aufschlussreich. Denn in der Übersicht geht es nicht nur darum, wo Journalisten, die ihre Arbeit erledigen wollen, dabei behindert oder sogar festgenommen werden.
Es werden auch Manipulationen und Monopole angesprochen – und keineswegs nur Einschränkungen in Diktaturen.

„Besonders erschreckend ist, dass auch Demokratien immer stärker unabhängige Medien und Journalisten einschränken, anstatt die Pressefreiheit als Grundwert hochzuhalten“, sagt ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske zu dem Ranking, für das vor allem Ereignisse und Daten aus 2016 zusammengetragen wurden.

Zur Verschlechterung der Lage für Journalisten tragen weltweit auch medienfeindliche Rhetorik, beschränkende Gesetze und politische Einflussnahme bei. Deutschland hält sich auf der Liste unverändert auf Platz 16. Australien steckt zwischen Surinam und Portugal auf Platz 19. Nicht zuletzt weil in meinem Berichtsgebiet Journalisten beispielsweise nicht unbehindert über die Flüchtlingspolitik berichten dürfen.

Newsletter

Es gibt Post!