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Der Tote mit den Gummistiefeln

Seit letzter Woche hängen die Fahnen auf Halbmast. Wir trauern um John Clarke, den es mit 68 Jahren dahingerafft hat. Den Namen hatte ich bis dahin auch noch nicht gehört, aber den seines berühmten Alter Egos Fred Dagg schon kurz nach der Einwanderung. Eine bessere Einbürgerungshilfe kann man sich als kiwikulturferner Mensch gar nicht wünschen. Fred Dagg war für Neuseeland, was Monty Python für England und Loriot für Deutschland waren: feinste Satire, frisch von der Schafweide.

Farmer Fred stapfte meistens in Gummistiefeln durchs Gras. Es waren die 70er, er trug lange Haare unterm Anglerhütchen, eine Kippe in der Hand und stets ein ärmelloses schwarzes T-Shirt. Sein Dorf hieß Taihape und all seine sieben Söhne, die er mit einer „good old Sheila“ gezeugt hatte, hießen Trevor. Gefühle für seine Frau raunte er lieber Richtung Abendhimmel: „Is’n verdammt schöner Sonnenuntergang!“; und wenn das Telefon klingelte, folgerte er blitzgescheit: „Muss das Telefon sein!“ Ein Held vom Lande.

Fred Dagg verkörperte die kiwianische Volksseele in all ihrer hinterwäldlerischen und rebellischen Verschrobenheit – lakonisch, selbstironisch und liebevoll. Er schrieb Humor-Geschichte, als es außer Billy T kaum ernstzunehmende Komiker „down under“ gab und im In- wie Ausland der oft zitierte Spruch kursierte: „Neuseeländische Comedy ist ein Oxymoron.“

Dabei hatte es Schauspielerin und Psychologin Pamela Stephenson in den 80ern nach Hollywood geschafft und glänzte dort bei „Saturday Night Live“ als erste Frau, die nicht in Amerika geboren war. Auch John Clarke, der schlaue Kopf unter Fred Daggs Bauernmähne, verließ das Land der Schafe und setzte sich nach Melbourne ab. Beim Radiosender ABC wurde er bald gefeuert, weil er „zu satirisch“ war. Aber auch im Land der Kängurus hinterließ er grandiose Schlammspuren als politischer Verarscher in Film und Fernsehen.

Jetzt, wo John Clarke tot ist, stellen alle noch mal fest, wie sehr sie ihren Fred Dagg geliebt haben. Hätte man es ihm zu Lebzeiten öfter sagen sollen? Das antipodische „tall poppy“-Syndrom verbietet überschwängliches Lob – wer zu hoch hinauswächst, wird schnell abgesägt. Immer schön auf dem Boden bleiben. Hauptsache egalitär, nicht elitär. Das bekamen auch „Flight of the Conchords“ zu spüren, die Kiwi-Comedy auf Weltniveau produzieren. In der Heimat konnten die beiden Musiker nicht so recht landen, also setzten sie sich erst nach Edinburgh und dann New York ab.

Der Rest ist Geschichte: Eine eigene HBO-Serie, ein Grammy, ein Oscar – FOTC sind der beste Export aus Aotearoa seit Jahrzehnten. Daheim verschmäht zu werden hat der Karriere des Duos enorm geholfen. Das sollte aber bitte kein Ansporn sein, weiterhin Talente klein zu halten. Nächste Woche startet das New Zealand International Comedy Festival. Im Programm auch die „Beste Comedy-Show auf Erden“ – endlich mal unbescheiden. Fred Dagg bekommt echte Nachfolger. Sicher alles Trevors.

 

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Nach Stockholm: Ein Beitrag zur Debatte um Terror und Journalismus

Vorvergangenen Freitag, 7. April 2017, wurde ein Anschlag in der Stockholmer Innenstadt verübt. Ähnlich wie in Berlin raste ein LKW durch die Fußgängerzone und der Fahrer ermordete so vier Menschen. Vier Menschen, die ihren Angehörigen entrissen wurden und deren Leben durch Terror gewaltsam beendet wurde. Eine schreckliche Tat, die dazu geführt hat, dass viele Schweden öffentlich ihr Mitgefühl ausgedrückt sowie der Polizei gedankt haben.

Kommentare zu meinem DW-Kommentar

Kommentare zu meinem DW-Kommentar (Screenshot)

Über die Hintergründe des mutmaßlichen islamistischen Terroristen habe ich unter anderem für Zeit online (hier über die schwedischen Reaktionen und hier unmittelbar nach der Tat) berichtet und auch einen Kommentar für die Deutsche Welle geschrieben. Auf Artikel und Kommentar wurde wiederum mit einigen Leserkommentaren geantwortet. Die Debatten, die das Internet ermöglicht, sind eine hervorragende Möglichkeit, das Meinungsmonopol (wenn man es denn so nennen möchte) der Journalisten zu brechen.

Ziemlich häufig jedoch, geht es längst nicht um Debatten, sondern was in den Kommentarspalten zu lesen sind, sind Pauschalverurteilungen und Wutausbrüche. Als Antwort auf einige Kommentare unter meinem Kommentar für die Deutsche Welle habe ich selber eine Antwort verfasst. Denn Debatten sind es, die nötig sind, und nicht Pauschalvorwürfe. Hier also meine Antwort (die bei DW nicht mehr veröffentlicht werden konnte, da die Kommentarfunktion nur kurzzeitig offen ist):

“Vielen Dank für die zum großen Teil kritischen Kommentare, auf die ich gerne kurz antworten möchte. Die Angehörigen der Opfer dieser grausamen Tat verdienen unser aller Mitgefühl und denen, die in Stockholm getötet worden sind, gilt es zu gedenken. Das ist bei einer solchen Tat eine Selbstverständlichkeit und anders als manch Kommentator schreibt, meine ich nicht, dass „die Opfer und ihre Familien schnell vergessen werden müssen“. Derartiges steht in meinem Kommentar nicht. Das wird jedem, der diesen wirklich gelesen hat, klar sein.

Was ich in meinem Kommentar hingegen tue, ist auf die gesellschaftlichen Folgen einer derartigen Terrortat zu fokussieren. Das heißt ganz und gar nicht, die schrecklichen Folgen für die Familien in Abrede zu stellen. Dass manch ein Leser es so gelesen hat, gibt mir zu denken, manchmal kommt man nich umhin zu erwägen, ob es Leser gibt, die aus einem Text nur das herauslesen, dass sie lesen möchten. Für eine Familie ist es grausam, einen Angehörigen durch eine derartige Terrortat zu verlieren, diesen gilt unser Mitgefühl.

Im Text erwähne ich auch andere Taten und Unfälle, die in Teilen dem aktuellen Attentat ähneln. Immer wieder wird einem bei Vergleichen der Vorwurf gemacht, gleichzusetzen. Doch vergleichen und gleichsetzen sind verschiedene Dinge. Von daher wird in diesem Text Terror nicht mit einem Unfall gleichgesetzt. Verglichen werden kann, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das mag manchmal schwieriger sein als einfach gleichzusetzen, doch es sind die differenzierten Betrachtungen, die Diskussionen ermöglichen, die Politik und Gesellschaft weiterbringen können. Wer die Terrorgefahr überhöht und andere Risiken verdrängt (so sind alleine im Januar auf Deutschlands Straßen 234 Menschen ums Leben gekommen – Tendenz glücklicherweise fallend), hat einen großen Wunsch der Terroristen womöglich schon erfüllt: panisch und irrational zu reagieren.

Zuletzt noch kurz zum Zitat des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Es handelt sich selbstverständlich um eine Art bildhaften Vergleich. Ihm geht es explizit darum, was derartiger Terror (die Fliege) mit Europa (der Porzellanladen) macht. Auch Harari spricht also von gesellschaftlichen Auswirkungen und nur weil er die schrecklichen Folgen für die einzelnen Familien nicht erwähnt, negiert er diese noch lange nicht. Es geht auch ihm um eine Betrachtung der möglichen gesellschaftlichen Bedrohung. Das gesamte Interview mit ihm ist im Spiegel 12/2017 erschienen und auch online zu lesen (derzeit jedoch nur gegen Bezahlung). Dass Terrorismus (die Fliege) bekämpft werden sollte, dafür würde sich sicherlich auch Harari aussprechen.

Dass Terror durch geschlossene Grenzen nicht verhindert wird, zeigen Beispiele der letzten Jahrzehnte wie NSU und RAF. Und: Nein, andere (rechts- wie linksxtremistische) Terrortaten zu erwähnen, ist weder Gleichsetzung noch Verharmlosung islamistischen Terrors, sondern lediglich ein differenzierter Beitrag zur Debatte.”

 

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Kiwi-Nazis und die Redefreiheit

Immer gibt’s nur Kauziges aus klein Kiwi-Country zu berichten. Denkste! Wir ziehen endlich mit der großen Politik mit. Zwar haben wir weder einen Trump-Besuch noch einen Terror-Anschlag zu vermelden, und auch Flüchtlinge haben es dank unserer beschämenden Aufnahmequote bisher kaum ins Land geschafft. Dafür schlagen wir uns jetzt mit richtig harten Themen herum: Neo-Nazis und Kriegsverbrechen.

An der Uni von Auckland machte sich im März ein neuer Club bemerkbar: die „European Students Association“ trommelte für Mitglieder. Was genau mit „europäisch“ gemeint war, wurde klarer, als man die keltischen Runen und germanischen Motive auf ihren Postern sah. Spätestens der Slogan „Kraft durch Ehre“ in gotischer Schrift ließ die Frage aufkommen, ob es dem Verein vielleicht mehr um Völkisches als um Völkerverständigung geht.

Die Neo-Nazis in Aotearoa, die alle Jahre wieder bei diversen Anlässen als südlichster Außenposten der „National Front“ aufmarschieren, konnte man bisher locker an drei Händen abzählen und an ihren Hakenkreuz-Tattoos erkennen: Herrenmenschen im Asi-Look. Doch die Studententruppe in Auckland – angeführt von einem Südafrikaner – entstammt einer anderen sozialen Gattung: akademisch gebildet, modisch gewandet, rhetorisch gestählt.

Als sie empört als Rassisten angegriffen wurden, wehrten sich die „Europäer“, dass es schließlich auch indische, chinesische oder Maori-Clubs an der Uni gäbe. Sie wollten nur vernachlässigtes Kulturgut fördern – mit Kochen und Musik. Da ihnen das niemand abnahm und die Prostete bis hin zur Gewaltandrohung gingen, tauchte die Gruppe unter. Die Menschenrechtskommission schlug im Zuge der Aufruhr ein Gesetz gegen „hate speech“ vor. Was wiederum Intellektuelle von links bis rechts auf den Plan rief, die sich um unsere Redefreiheit sorgen. 27 hochkarätige Namen, darunter ein ehemaliger Premierminister, appellierten in einem offenen Brief an die Regierung, keine Zensur jedweder Art zuzulassen.

Wenn ein Mann wie Nicky Hager mundtot gemacht wird, dann mache auch ich mir um unsere Redefreiheit Sorgen. Der mutigste investigative Reporter im Lande, der seit Jahren ein Sandkorn nach dem anderen ins Polit-Getriebe wirft, hat in seinem neuen Buch präzise enthüllt, dass die Spezialeinheit SAS der neuseeländischen Armee vor sieben Jahren ein Massaker an Zivilisten in Afghanistan zu verantworten hatte. Bisher standen die Kiwi-Truppen als Friedensstifter weltweit vorbildlich da. Entsprechend allergisch reagierten Patrioten auf Hagers Alarm: Wer wagt es, unsere Helden einfach Mörder zu nennen? Ein Nestbeschmutzer.

Der Racheakt gegen afghanische Rebellen, bei dem auch ein dreijähriges Mädchen umkam, wurde laut Hagers Recherchen von oben vertuscht. Der Journalist fordert eine Untersuchung von offizieller Seite. Die wurde diese Woche von der konservativen Regierung abgeschmettert. Auch wenn sie es anders formulierte, kam die Botschaft rüber: „Shit happens“. Den Haufen kehrt man schön unter den Teppich. Doch er stinkt.

 

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Hamburg und die 20 Granden

Wer rettet die Welt vor Putin, Trump und Co.?

Am 7./ 8. Juli kommen in Hamburg die Staats- und Regierungschefs der G20 zusammen. Eine Woche vorher treffen sich die Weltreporter – Korrespondenten, die aus den G20-Staaten berichten – in der gleichen Stadt.

Wir warnen: Weltrettung ist vom Club der 20 reichsten Länder nicht zu erwarten, eher im Gegenteil. Wladimir Putin schürt die „Russian Angst“, Theresa May macht die Grenzen dicht, die EU zerreißt sich selbst. Indonesiens Regierung lässt ihr Land abholzen, Trump ist Trump – und als neue Führungsmacht der Welt macht sich ausgerechnet China startklar.

Wohin soll das führen? Und was halten eigentlich die ganz normalen Türken, Briten, Europäer, Indonesier, Chinesen, Russen und Amerikaner davon? Ein spannender Abend mit Reportern, die dort leben, wo die G20 regieren.

Ort: Thalia Nachtasyl
Zeit: Freitag, 30. Juni, 19 Uhr
Eintritt: 7 Euro

 

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London nach dem Terror: Keine Lust auf Einschüchterung

„Londoner werden sich nie einschüchtern lassen vom Terror“, sagte der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan gestern abend, als sich Tausende auf dem Trafalgar Square versammelten, um den Opfern des Anschlags zu gedenken. Damit sprach er etwas aus, das für Millionen von Anwohnern eigentlich selbstverständlich ist: In Panik auszubrechen oder wegen eines Terrorangriffs gar die Alltagsroutine zu ändern, käme den Londonern nie in den Sinn.

Westminster Bridge

Am Tag nach dem Anschlag ist Westminster noch immer in weiten Teilen eine Sperrzone, auf den Straßen und vor wichtigen Gebäuden und vor den Bahnhöfen sind bewaffnete Polizisten zu sehen, aber ansonsten macht die Stadt weiter wie zuvor. Auf dem Weg vom Stadtteil Kilburn ins Zentrum ist wenig zu spüren von der angeblichen Spaltung der Gesellschaft, von der Nervosität, die manche Kommentatoren zu sehen glauben. Vor dem Supermarkt quatscht eine Muslimin mit Kopftuch munter mit einer älteren Irin, und die Schulkids auf dem Heimweg sind so laut wie immer. Sicher, als drei Polizeiautos mit heulenden Sirenen an der London Central Mosque im Regent‘s Park vorbeibrausen, zucken die Passanten etwas zusammen, man schaut den Autos noch eine Weile lang nach. Aber auch dieser Moment ist schnell vorbei. In der prächtigen Halle der Moschee sitzen Männer auf dem blauen Teppich, manche lesen, andere beten.

Ein paar Häuser weiter südlich haben sich Polizisten aufgestellt, Fernsehkameras sind zu sehen. „Hier findet ein Event statt, die Duchess of Cambridge hat einen Auftritt“, informiert einer der Ordnungshüter. Auch die Royals scheinen zur Routine zurückgekehrt zu sein. Und die Touristen: Vor Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett zieht sich die Menschenschlange hundert Meter am Gebäude entlang. „Jene, die unsere Lebensweise zerstören wollen, werden niemals Erfolg haben“, sagte Sadiq Khan an der Mahnwache – und keiner der 8.6 Millionen Londoner wird daran zweifeln.

 

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Der Fluss als Mensch

Die Welt hat den Kiwis viel zu verdanken: das erste Wahlrecht für Frauen, Bungy-Springer und die Pavlova-Baiser-Torte. Aber als Trendsetter galt mein kleines Völkchen am untersten Rand des Globus‘ bisher eher nicht. Meistens hinken wir Jahre hinterher. Alter Scherz: „What’s the time in New Zealand?“ – „Still 1995“. Doch jetzt setzen wir Weltrekorde: Erstmals wurde hier ein Fluss zur juristischen Person benannt.

Der Whanganui auf der Nordinsel ist der drittlängste Fluss Neuseelands. Von den Maori wird er Te Awa Tupua genannt und tief verehrt. Was war passiert? War jemand in ihm ertrunken und wird er dafür nun verklagt? Kann alles noch passieren, inklusive Schmerzensgeld, denn der Fluss ist jetzt reich. Letzte Woche stufte ihn das Parlament in Wellington als lebende Einheit ein, „mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten“. Das gab’s noch nirgendwo. Indien zog darauf gleich nach und gab – angelehnt an unser Vorbild – den Flüssen Ganges und Yamuna menschlichen Status.

Zum Whanganui gibt es eine tiefe spirituelle Verbindung. Jeder Baum, jeder Berg, jeder See ist für einen Maori genauso wichtig und lebendig wie ein Mensch. Ein bekanntes Sprichwort der Maori, und davon gibt es viele, heißt: „Ich bin der Fluss und der Fluss bin ich.“ Im Wasser tummelt sich außerdem gerne der taniwha – ein Geist, mit dem nicht zu spaßen ist. Aber nicht übernatürliche Kräfte waren bei dem historischen Sieg im Spiel, sondern vor allem teuer bezahlte Anwälte.

Seit 170 Jahren kämpft ein Stamm der Ureinwohner bereits um seine Rechte an dem heiligen Fluss. Es ist der längste Rechtstreit in der Geschichte des Landes – alles im Rahmen der Wiedergutmachungen unter dem „Treaty“, dem Vertrag von Waitangi, der indigene Kultur, Rechte und Landbesitz schützen soll. 80 Millionen Neuseeland-Dollar (über 52 Millionen Euro) bekam der Stamm als Entschädigung, dazu 30 Millionen, um den Fluss wieder flott zu machen. Und noch eine Million für die juristische Abwicklung des Ganzen.

Für Kiwi-Rednecks ist das „politisch-korrekter Wahnsinn“ und rausgeworfenes Steuergeld. Viele der Meckerer sind jedoch genau die Milchbauern, deren Abertausende von Kühen die einst so klaren Flüsse entlang ihrer Weiden mit Gülle verseuchen. Dem Whanganui, der jetzt zumindest auf dem Papier und vor Gericht ein eigenes Leben hat, stehen etliche andere gegenüber, die bald tot sind: voller Algenschleim und Koli-Bakterien. „Clean and green“ – dieses Image hat die Agrarnation sich Kuhfladen um Kuhfladen ruiniert.

Wasser hatte die konservative Regierung bislang „nicht auf dem Radar“ – so drückte es die stellvertretende Premierministerin Paula Bennett letzte Woche aus. Sie meinte jedoch nicht die sterbenden Flüsse, sondern eine Firma aus China: Die will in Zukunft pro Tag fünf Millionen Liter Wasser bei uns abzapfen – umsonst. Denn Wasser ist hier so frei zu haben wie Luft zum Atmen. Das könnte sich bald ändern. Vielleicht redet der Whanganui da ein Wörtchen mit.

 

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Mannomann, was für ein Mann!

Weißes Hemd, aufgerollte Ärmel, schwarzer Lockenkopf – Jesse Klaver, der charismatische frische Spitzenkandidat der niederländischen Grünen, gerade mal 30 Jahre alt. Wie ein Popstar hatte er sich während des Wahlkampfes feiern lassen, und deshalb fand auch die Wahlparty der Grünen in angemessenem Rahmen statt – im bekannten Amsterdamer Rockpodium “Melkweg”. Dort bedankte sich Jesse als erstes mit einem innigen Kuss bei seiner Frau Jolein, die ihn in den letzten Monaten so gut wie nie gesehen hat: “Ich hoffe, das Ergebnis gefällt dir!” so ihr überglücklicher Mann.

Daran dürfte es keinen Zweifel geben, die Grünen sind die eigentlichen Sieger dieser spannenden Wahlen: Sie konnten die Zahl ihrer Sitze im 150 Mandate starken Abgeordnetenhaus mehr als verdreifachen von 4 auf 14. “Wir haben mehr Sitze gewonnen als wir je im Abgeordnetenhaus hatten”, jubelte Klaver, der wegen seiner Ähnlichkeit mit dem kanadischen Premierminister oft “niederländischer Trudeau” genannt wird.

Weit nach Mitternacht hing ich immer noch hingerissen vor dem Fernsehschirm. Das offizielle Wahlergebnis lässt nach wie vor auf sich warten, aus Angst vor Hackern werden alle Stimmen per Hand gezählt, das dauert.

Um heute morgen in aller Früh wieder im Einsatz zu sein und den Hörern und Lesern von SWR3, Standard oder Focus zu erläutern, weshalb sich die Niederländer für Stablität und Sicherheit entschieden habe, gegen das Schwarzsehen und Schwarzmachen von Wilders und gegen das Chaos, das er anzurichten drohte. Denn der Rechtsaussen im Polderstaat ist weit abgeschlagen hinter dem bisherigen Ministerpräsidenten Mark Rutte auf dem zweiten Platz gelandet – und wird da bleiben, wo er ist: in der Opposition. Das nächste Dominosteinchen nach Trump und Brexit ist hinter den Deichen jedenfalls NICHT umgefallen. Oranje boven!

 

 

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Kollegen hinter Gittern

Dieses Foto stammt aus dem Frühjahr 1998, als wir den Kollegen Ragip Duran aus dem Gefängnis im nordwesttürkischen Saray abholten. Ragip sollte einer der letzten Journalisten sein, die in der Türkei wegen ihrer Berichterstattung eingesperrt wurden – so hofften wir damals. Doch heute sitzen wieder mehr als 150 Journalisten hinter Gittern, viele ohne Prozess und sogar ohne Anklage. Der Fall der Brüder Ahmet und Mehmet Altan, die seit fast einem halben Jahr ohne Anklageschrift im Gefängnis sitzen, wird jetzt vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg aufgegriffen. Inhaftiert wird ohne Rücksicht auf Alter oder Gebrechen: So sitzt die 73jährige Kolumnistin Nazli Ilicak seit dem vergangenen Juli im Gefängnis, ohne dass bisher Anklage erhoben wurde; ebenso der gleichaltrige Kolumnist Sahin Alpay. Auf die Freilassung werde auch der deutsch-türkische Korrespondent Deniz Yücel voraussichtlich noch länger warten müssen, glaubt der türkische Jurist und Oppositionspolitiker Sezgin Tanrikulu, der Yücel bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung beigestanden hatte. „So schnell kommt er wohl nicht wieder raus“, sagt Tanrikulu.

 

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Am 7. März: “Inana” in Paris

Am 7. März stellt Birgit Svensson in Paris zusammen mit den irakischen Autorinnen Rasha Fadel und Gharam al-Rabi’i die franzöische Übersetzung ihrer Antholologie “Inana” vor.

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Dank an Trump und Heiko Maas und Brangelina und und und

Besonders wenn es um Kunst und Architektur geht, komme ich nicht umhin, den Norden Europas zur Berichterstattung auch einmal zu verlassen, um Ausstellungen anzuschauen. Meist reise ich dann nach Deutschland oder Italien und nicht selten tauchen auch dort nordeuropäische Künstler in den Museen und natürlich erst recht auf den Biennalen auf.

Geschlechterkampf Munch-RaumGeschlechterkampf Munch-Raum im Frankfurter Stäfel (Foto: Bomsdorf)

In der aktuellen Ausstellung Geschlechterkampf im Frankfurter Städel Museum ist gleich ein ganzer Raum fast nur mit Bildern des Norwegers Edvard Munch gefüllt. Die Schau habe ich zuerst zur Eröffnung im November gesehen, damals mir den Katalog aber nicht genau genug angeschaut. Jedenfalls war mir nicht aufgefallen, dass dadrin auch Donald Trump gedankt wurde! Der war damals noch nicht US Präsident. Das war auch gar nicht entscheidend für den Dank, denn, so das Kuratoren-Duo aus Felicity Korn und Felix Krämer: „Bei der Vorbereitung unserer Ausstellung mussten wir häufig erklären, weshalb eine Ausstellung zum Geschlechterkampf in der Kunst zwischen 1860 und 1945 wichtig ist und dass es sich bei der Problematik weiterhin um eine gesellschaftliche Realität handelt. Durch seine Äußerungen im US-Wahlkampf hat Donald Trump – unfreiwillig – zahlreiche dieser Skeptiker überzeugt, dass der Geschlechterkampf ein hochaktuelles Thema ist.“

Deshalb also gebührte ihm zugegebenermaßen etwas ironisch Dank. Ähnlich überraschend wurde übrigens Justizminister Heiko Maas gedankt und noch ein paar weiteren. Wer sich nicht nur für Kunst interessiert, sondern auch für aktuelle gesellschaftliche und politische Diskussionen, wird sich denken können, warum. Und natürlich danken die beiden einigen auch ernsthafter. Dazu habe ich nach meinem zweiten Besuch der Ausstellung Ende Januar eine ganz kleine Geschichte für The Art Newspaper geschrieben, zu lesen hier. Zur Ausstellung geht es hier.

 

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Der Millardär, der hat’s hier schwer

Diese paranoiden Superreichen! Erst bauen sie sich Bunker in ihren Luxusvillen in Florida oder Palm Springs, im Falle eines Armageddon. Dort sitzen sie im klimatisierten Privatkino mit Alufolie um den Kopf und Panik-Knopf in der Hand, fürchten den totalen Zusammenbruch und gucken zur Ablenkung „Herr der Ringe“. Dabei fällt der Cent: In Mittelerde, da ist die Welt noch in Ordnung.

Noch nie vorher von gehört, von dieser grünen Insel hinter Australien, außer bei John Oliver. Aber Forellen angeln kann man da, und der Chardonnay ist ganz passabel. Immobilien mit eigenem Wasser und lebendem Frischfleisch in Form von Schafen – das klingt nach guter „doomsday prep“, der Vorbereitung des Ernstfalles. Dazu freundliche Eingeborene. Heile, heile Hobbit! So kommt es, dass der schönste Arsch der Welt von Wall Street bis Silicon Valley plötzlich ein hochkarätiges Fluchtziel geworden ist.

Multimilliardär Peter Thiel, der aus Deutschland stammende IT-Unternehmer und Business-Freund von Donald Trump, wirbelt seit zwei Wochen die Politik mit seinem Neuseeland-Exil auf. Ob Bloomberg oder Financial Times: Alle berichteten, dass der 49jährige sich für fast 10 Millionen Euro als kleines Rettungsboot ein 193 Hektar großes Anwesen am Wanaka-See auf der Südinsel gegönnt hat. Um Aotearoa vor dem internationalen Ausverkauf zu bewahren, darf man das als Ausländer eigentlich nur mit besonderer Genehmigung.

Was jedoch viel spektakulärer ist und erst jetzt ans Licht kam: Das sagenumwobenen Tech-Wunderkind Thiel – Mitgründer von PayPal und früher Facebook-Finanzier – konnte alle bürokratischen Hürden down under überspringen, da er überraschenderweise als einer von 92 gutbetuchten Investoren 2011 die neuseeländische Staatsbürgerschaft bekam. Überreicht im Konsulat in Santa Monica. Das geht aus einem 149-Seiten-Dokument aus Wellington hervor.

Die egalitären Kiwis erbost daran, dass sich Thiel in den fünf Jahren zuvor nur ein paar Mal in seiner neuen Wahlheimat aufgehalten hat. Eigentlich muss man 70 Prozent seiner Zeit dort verbringen, um „citizen“ zu werden. Dafür investierte er in einen Venture Capital Fonds, mit dem er dick abkassierte, und spendete eine Million nach dem Erdbeben in Christchurch. Riecht nach gekauftem Pass. „Ich betone gerne, dass ich kein anderes Land gefunden habe, das mehr im Einklang mit meinen Zukunftsvorstellungen ist als Neuseeland“, erklärte er gestelzt. Seltsam, dass er das bei all der Liebe sechs Jahre lang still für sich behielt. Weil es im Weißen Haus nicht gut ankommt?

Ein xenophobischer Kolumnist rief letzte Woche zum Mob-Angriff auf die betuchten Eskapisten aus Übersee auf: „Explosionen auf euren Super-Yachten“, drohte er, „ein Brandanschlag in eurem kleinen 16-Zimmer-Versteck“, vielleicht gar ein Kidnapping – niemand Neues könne sich hier im Lande unter nur vier Millionen Einwohnern verstecken. Hoffentlich kennt Peter Thiel die Zeile aus dem alten Eagles-Song: Call some place paradise – kiss it goodbye.

 

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Aarhus – Europäische Kulturhauptstadt schaut aufs Umland

 Gleich am Tag nach dem Donald Trump zum US-Präsidenten gekürt wird, übernimmt das dänische Aarhus die Rolle als Europäische Kulturhauptstadt 2017 (zweite im Bunde ist dieses Jahr Pafos in Zypern). Kurz nachdem einer, der von der EU wenig hält, seine Position an der Spitze der US einnimmt, versucht ebenjene Institution bei Ihren Bürgern einmal mehr ein Gemeinschaftsgefühl entstehen zu lassen.

Dass Aarhus zur europäischen Kulturhauptstadt 2017 in Dänemark ernannt wurde, hat in Norddeutschland viele enttäuscht. Schließlich hatte sich Konkurrent Sonderburg mit Flensburg beworben und hätte so – obwohl noch gar nicht wieder an der Reihe – auch Deutschland zu ein wenig europäische Kulturhauptstadt verholfen.

Theater in der Kulturhauptstadt Aarhus (Foto: Bomsdorf)

Theater in der Kulturhauptstadt Aarhus (Foto: Bomsdorf)

Nun also Aarhus und auch das hat für Norddeutschland seinen Reiz. Schließlich ist es von Hamburg in nur ein paar Stunden zu erreichen. Zudem wird ein großer Teil Dänemarks mit einbezogen.

Zu einer Zeit, wo immer mehr von abgehängten Randgebieten die Rede ist, setzt Dänemark auf die weniger bekannten Ortschaften und versucht Gäste dorthin zu locken und den Einheimischen etwas zu bieten.

Die bildende Kunst nimmt einen ziemlich großen Raum ein. Internationale Zugpferde wie Olafur Eliasson (darf in Dänemark, wo er aufgewachsen ist, eigentlich nie fehlen), Barbara Kruger und Thomas Hirschhorn werden mit weniger bekannten Namen kombiniert.

Gleich zu Anfang, ab 21. Januar, wird Signe Klejs für „Hesitation of lights“ eine zentrale Brücke in Aarhus in wechselndes Licht tauchen. Sie bezieht sich auf den dänischen Astronomen Ole Rømer, der herausfand, das Licht sich bewegt. Viele Besucher werden aber wohl eher an Eliassons bunte begehbare Installation auf dem Dach des nahen Museums Aros denken.

Randers wird mit seinem Gaia Museum für Outsider Art einbezogen und in Silkeborg eröffnet die Osloer Schau, die Asger Jorn und Edvard Munch zusammenbringt.

In Herning, nicht weit von der bei Surfern und Familien aus Deutschland so beliebten dänischen Nordsee wird die diesjährige Ausgabe der „Socle du Monde Biennale“ ins Programm einbezogen.

Auch das Dänemark fernab der Großstadt Aarhus wird mit ins Programm aufgenommen. (Foto: Bomsdorf)

Auch das Dänemark fernab der Großstadt Aarhus wird mit ins Programm aufgenommen. (Foto: Bomsdorf)

Das dortige Kuratorenteam ist ganz anderen Biennalen würdig, so gehört dazu auch Daniel Birnbaum, früherer Venedig Biennale Kurator und jetzt Direktor des Moderna Museet in Stockholm. Die Biennale in Herning ist – der Titel lässt es erahnen – dem italienischen, aber etliche Jahre in Dänemark lebenden Piero Manzoni gewidmet. Der hat einst in Herning einen Sockel aufgestellt auf der die ganze Erdkugel ruhen soll. Im kommenden Jahr wird die Ausstellung sich dem Thema „Scheiße und Körper“ widmen. Das steht zwar so nicht offiziell im Programm, so fasste es im Gespräch in Aarhus aber eine Mitarbeiterin mit der vielen Dänen so üblichen bodenständigen Offenheit zusammen.

Wer die Liste der beteiligte Künstler anschaut, kann sich schon denken, warum sie die Thematik so zusammengefasst wird. Wim Delvoye wird sein künstliches Verdauungssystem „Cloaca“ zeigen und Pierre Manzonis „Merda d’artista“ gehört ohnehin zum örtlichen Museum.

Im Jorn Museum in Silkeborg wird ab Mitte Februar die Schau “Jorn + Munch” aus dem Osloer Munch Museum gastieren (zum Konzept der Ausstellungsserie mehr in meinem Artikel für The Wall Street Journal zur Ausstellung Melgaard + Munch).

Natürlich ist auch der in Dänemark aufgewachsene und in Berlin arbeitende isländische Künstler Olafur Eliasson mit von der Partie in Aarhus (nicht aber in Herning). Er ist durch seine Mitarbeit am Bühnenbild für das aus New York kommende Ballet „Tree of Codes“ vertreten. Tickets dafür versucht Aarhus 2017 seit Wochen wie ein Circus unter die Leute zu bringen, indem behauptet wird, es sei nun aber wirklich bald ausverkauft.

 

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Aufgerüttelt – Die Bewegung für soziale Gerechtigkeit unter Trump

Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde diese Worte zu schreiben: US-Präsident Donald Trump. Egal, in wenigen Tagen ist es soweit. Und es gibt viele Gründe, sich große Sorgen nicht nur um die USA zu machen.

Ich erlebe die direkten Konsequenzen unter anderem, wenn ich in einer Schule jungen Autoren als Tutorin helfe und wir einen Großteil unserer Zeit damit verbringen, auf Ängste von Jugendlichen einzugehen. Sie befürchten, dass sie selbst oder ihre Eltern bald abgeschoben werden, weil sie keine Papiere haben. Diese Ängste sind hervorragendes Material für Geschichten, die Mitgefühl, Wut und Verständnis auslösen. Sie sind keine gute Grundlage für konzentriertes Lernen und produktive Pläne.

Was mir Mut macht: Kalifornien wird ein Bollwerk gegen eine Regierung sein, die Umweltschutz-Regulierungen und universelle Krankenversicherung abschaffen will, die ankündigt, Millionen von Menschen abzuschieben, auszugrenzen und eine Mauer zu bauen.

Zwei Geschichten, die ich in den vergangenen Wochen innerhalb und außerhalb des Westküstenstaates recherchierte, haben außerdem meinen Optimismus geschürt.

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Da war zuerst mein Besuch im Standing Rock Camp von North Dakota. Aus einer kleinen Ansammlung von Zelten und Tipis wurde ein Lager, in dem zeitweise mehr als 7000 Menschen friedlich gegen die Dakota Access Pipeline demonstrierten. Bis heute kommen an der Flussmündung von Missouri und Cannonball River Jung und Alt zu Gebeten, Zeremonien und Gesängen zusammen. Hier haben erstmals US-Kriegsveteranen die ersten Völker der USA um Vergebung für Zerstörung ihrer heiligen Stätte und ihrer Kultur.

Der Chef der Pipeline Firma Energy Transfer Partners hat angekündigt, weiter zu bauen. Er rechnet damit, dass er die Genehmigung zur Vollendung seines Projekts bekommt, sobald Trump das Amt übernimmt.  Gegendemonstranten bezeichnet Kelcy Warren lachend als naiv. Der Milliardär aus Texas hat mehr als 100 tausend Dollar in Trumps Wahlkampf investiert, der will die Förderung von fossilen Brennstoffen verstärken, der ehemalige Exxon-Chef wird vermutlich Außenminister und Rick Perry, ehemaliger Gouverneur von Texas, wird Energieminister. Perry ist im Vorstand von Energy Transfer Partners.

Und warum genau macht mich das optimistisch?

Weil trotz alledem – oder genauer gesagt: gerade deshalb – die Bewegung zusammenhält, weiter Zulauf bekommt, die Unterstützung für das Standing Rock Camp nicht nachlässt und weil Menschen aus aller Welt in das eiskalte North Dakota kommen, auch um von dem Vorbild für gewaltlosen Widerstand zu lernen. Mir sagte einer der Älteren, Lakota Johnnie Aseron, dass wir alle Gesprächskreise gründen sollten, um gemeinsam zu überlegen, wie wir am besten mit verschwindenden Rohstoffen und wachsender Bevölkerung umgehen. Ich habe viele junge Leute getroffen, die genau das tun wollen, die füreinander einstehen, über gemeinsame Werte diskutieren und nach ihnen handeln. Sie sind entschlossen, die Veränderungen herbeizuführen, die ihnen keine Wahl und keine der bestehenden Parteien gebracht hat. Das macht mich optimistisch.

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Dann kam vergangenes Wochenende: nicht nur protestierten im ganzen Land Tausende gegen die Abschaffung der Krankenversicherung und gegen Diskriminierung, für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Pressefreiheit. Ich interviewte eine Woche vor der Amtseinführung von Donald Trump Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Theaterdirektor Tim Robbins über die Aufgabe von Kunst in Zeiten von tiefer gesellschaftlicher Spaltung und einem Präsident Trump. Der Bernie-Sanders-Anhänger startete an seinem Theater eine Serie von Foren zur Stärkung zivilen Diskurses. Robbins plädiert für Bescheidenheit und dafür, nicht anderen die Schuld am Ausgang der Wahl zu geben. “Etwas hat nicht gestimmt, etwas war krank in unserer Gesellschaft und die Antwort auf die Frage, was das war, liegt bei uns.” Für den Umgang mit dem neuen Präsidenten warnt er vor Provokationen. Er vergleicht die Situation mit der Konfrontation einer Klapperschlange: wenn man sie provoziert, beißt sie zurück, wird noch größer und strahlt mehr Macht aus. “Wir brauchen einen Dialog, eine Bewegung, die diese Klapperschlange umgeht und nicht die provoziert, mit denen wir nicht einer Meinung sind.”

Dieser Dialog ist noch sehr chaotisch. Aber er findet statt auf vielen Ebenen und die Wahl von Donald Trump hat ihn paradoxerweise gestärkt. Und das macht mich sehr optimistisch.

 

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Zygmunt Bauman ist tot, sein Wunsch noch nicht erfüllt

Der ältere, sehr ruhige sprechende, aber doch energische Herr, der mir vor etwas mehr als fünf Jahren in Breslau für eine gute Stunde zum Gespräch gegenübersaß, war mit Sicherheit einer der beeindruckendsten Interviewpartner, die ich je gehabt habe. Natürlich, weil er so klug war, aber nicht nur deshalb, sondern auch wegen seiner Milde und Nachdenklichkeit, wird mir Zygmunt Bauman und wird mir das Gespräch sicher auf ewig in Erinnerung bleiben. Dass die manchmal so vertrackte Autokorrektur des Computers aus seinem Nachnamen gerade Batman machen wollte, passt da. Die Künstlerin Shirin Neshat, die norwegische Königin – das sind zwei weitere Gesprächspartner, die lange nachwirkten.

Batman traf ich am Rande, schon wieder der dubiose Autokorrektur-Fehler. Also: Bauman traf ich während des Europäischen Kulturkongresses in Breslau 2011 (hier der Link zu seinem Abschlussvortrag). Ob Polen heute noch so eine Veranstaltung machen würde? Ich weiß es nicht. Baumans Wunsch von damals jedenfalls ist weiterhin aktuell: Zerschneiden wir den Gordischen Knoten, sagte er mir für das Interview in Die Welt:

“Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist ein gordischer Knoten. Er kann nicht gelockert werden. Wenn er zusammenbleibt, wird er nur fester. Wie Alexander der Große uns gelehrt hat, kann er nur durch Zerschlagen gelöst werden. Es ist ohne Frage sehr riskant, Palästina die Unabhängigkeit zu erlauben, denn das wird auf die eine oder andere Art zu einer neuen Front führen. Aber ich denke, das Risiko einer weiteren Verweigerung der Unabhängigkeit ist größer. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist geprägt von lebhafter Feindschaft, vom Unwillen, miteinander zu sprechen, Kompromisse einzugehen und so weiter. Wenn die aktuelle Situation beibehalten wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation.

Die Welt: Sie meinen, den Palästinensern Eigenständigkeit zuzusagen, würde den gordischen Knoten durchschlagen?

Zygmunt Bauman: Lasst es uns versuchen und den Palästinensern eine Stimme geben. Auch aus israelischer Sicht sollte es die bessere Lösung sein, denn zumindest haben die Palästinenser dann eine Wahl. Was sie dann machen, wird ihre Entscheidung als Staat sein. Sie werden dafür verantwortlich sein, was sie tun. Das sind sie jetzt nicht, denn sie sagen: ‘Wir sind besetzt, wir können nichts tun.’ Es geht hier nicht nur darum, palästinensische Wünsche zufriedenzustellen, sondern den Konflikt zu lösen. ”

Heute ist Zygmunt Bauman verstorben, der Konflikt aber dauert weiter an, ja, hat sich sogar verschärft. Auch seine Hoffnung für und seine Aufforderung an Europa, so richtig die Analyse natürlich ist, ist heute – Anfang 2017 – der Realisierung nicht näher gekommen:

“Der einzige Bereich, in dem Europa der Welt wirklich etwas bieten kann, ist die Kultur. Das meine ich in einem anthropologischen Sinne. Vielleicht sollte man besser von einer europäischen Zivilisation sprechen. Europa hat die schwere Kunst gelernt, jahrhundertealte Konflikte, Vorurteile und Feindschaften hinter sich zu lassen.”

Dieses Jahr, wo in Frankreich und in Deutschland gewählt wurde, auch nochmal Baumans Hinweis auf die zwei zentralen europäischen Akteure und ihre gemeinsame schreckliche Historie sowie positive Gegenwart:

“Europa kann dem Rest der Welt und vor allem dem Nahen Osten etwas bieten. Schauen Sie sich Frankreich und Deutschland an, heutzutage lieben diese Länder sich. Es ist also machbar und kein Wunder.”

Das ganze Interview erschien im September 2011 im Feuilleton von Die Welt und ist heut so lesenswert wie damals. Hier nochmal der Link zum Interview in Die Welt.

Noch ein letzter Ausschnitt, der ein wenig Vorlauf braucht und in dem Bauman so souverän mit möglichen Zuspitzungen von Journalistenkollegen umgeht, wie es häufiger sein sollte:

“Die Welt: Kürzlich haben Sie der polnischen Zeitung “Polityka” ein Interview gegeben, das auch in Deutschland Reaktionen hervorrief. Es geht vor allem um eine Passage. Da ich nur aus einer Übersetzung zitieren kann, korrigieren Sie mich bitte gegebenenfalls. Sie sagten, dass die von Israel erbaute Mauer …

Zygmunt Bauman: Da gab es eine Verzerrung. Ich wollte darauf hinaus, dass die Erinnerung an das Getto tief im jüdischen Bewusstsein ist. Ich überlegte, ob es den Regierenden in Israel in den Sinn gekommen wäre, eine Mauer zu bauen, wenn es dieses Trauma nicht gäbe. Immerhin haben Ihre Landsleute, die Deutschen, ihre Unannehmlichkeiten gelöst, indem sie eine Mauer gebaut haben und sich abgrenzten. Das Gleiche wurde von den Israelis mit der palästinensischen Mauer getan. Ich habe nicht impliziert, dass hinter der Mauer wie im Falle von Warschau Massenmord stattfindet. Die Israelis stellten fest: Hier sind Leute, mit denen wollen wir nicht kommunizieren, von denen wollen wir uns abgrenzen. Da kamen sie auf die Idee, eine Mauer zu bauen.

[…]

Die Welt: Günter Grass hat in einem Interview mit “Ha’aretz” kürzlich von sechs Millionen deutschen Kriegsgefangenen gesprochen, die in Russland ermordet worden seien. Das ist ihm zum Vorwurf gemacht worden.

Zygmunt Bauman: Ich habe davon gehört, aber das Gespräch nicht gelesen. Meine Worte sind verzerrt worden, also denke ich, da hat auch jemand seine Worte verzerrt. Solange ich es nicht von ihm gehört habe, möchte ich mich nicht dazu äußern. In jedem Fall stimmt es, dass der Krieg unglaublich unmenschlich ist. Das habe ich auch im Interview mit “Polityka” klargemacht, aber es ging dann leider unter: Ich bin besorgt über die moralische Verwüstung, die die Besetzung Palästinas bei den Israelis anrichtet, besonders bei Jüngeren, die direkt als Teil einer Besatzungsmacht geboren werden. Krieg ist für beide Seiten zerstörerisch, es gibt keine Sieger. Wer angefangen hat, ist eine andere Frage, aber sobald der Krieg einmal begonnen worden ist, gibt es auf beiden Seiten Opfer.

Die Welt: Eine solche Aussage heißt aber nicht, die Singularität des Holocaust infrage zu stellen?

Zygmunt Bauman: Nein. Der Holocaust war eine organisierte, bürokratische Operation mit klarem Zweck. Es waren keine spontanen Tötungen, es war organisiert und geschah über Jahre hinweg. Das Ziel war eines, das den Sowjets mit den deutschen Kriegsgefangenen nicht in den Sinn kam: die Vernichtung einer ganzen Nation und nicht nur des Militärs. Ich habe Günter Grass nicht gelesen, aber nehme nicht an, dass er eine Gleichsetzung im Sinn hatte. Vermutlich meinte er: ‘Ja, wir sind schuld am Holocaust, aber viele von uns sind auch ermordet worden’, und das stimmt. Es gibt bei einem Krieg nicht die Möglichkeit, dass eine Seite ohne Verluste bleibt. Deshalb muss Krieg ein für allemal beendet werden. Das ist genau das, was Europa dem Rest der Welt bieten kann.”

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