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Die neue Redefreiheit

Das letzte Mal habe ich Rio Aling gesehen, als er mit ein paar Dutzend Bauern von den philippinischen Bergen herunter kam. Rio hatte ein Megaphon dabei, die Bauern Transparente, mit denen sie gegen die zunehmenden Übergriffe der Militärs protestierten. Als sie auf dem Marktplatz von Hilongos ankamen, sah alles friedlich aus. Erst  als sich die Augen an die gleißende Mittagssonne gewöhnt hatten, konnte man in den Eingängen der Hütten und unter den Vordächern der Marktstände rund um den Platz die mattschimmernden Gewehrläufe sehen, getragen von gelangweilten Soldaten in Kampfuniform. Sie hatten auf Rio Aling gewartet. Er wußte es. Jeder wußte es, Aling war seit Jahren ein rotes Tuch für sie, weil er jeden Übergriff dokumentierte und zu den Menschenrechtsorganisationen nach Manila schickte. 

Trotzdem hat er sich in die Mitte der Platzes gestellt und hat laut über Redefreiheit gesprochen, über die Freiheit, zu sagen, was man denkt, über Freedom of Speech. Meinungsfreiheit reicht nicht, rief Aling, man muss seine Meinung auch aussprechen.

Die Militärs haben ihn an diesem Tag in Ruhe gelassen. Vielleicht, weil die Anwesenheit eines westlichen Reporters damals auf den Philippinen noch Eindruck machte. Zwei Monate später haben sie den Menschenrechtler Rio Aling  zu Hause abgeholt, haben ihm die Hände auf den Rücken gebunden und ihn im Wald mit den Gewehrkolben erschlagen. Freedom of Speech, da könnte ja jeder kommen.

Freedom of Speech, so steht es in riesigen Buchstaben neben der Anzeigetafel im Flughafen Brüssel, darunter Fotos von offensichtlich gebildeten Menschen in Entwicklungsländern, Menschen wie Rio Aling. Die Mobilfunkfirma Base will mehr Handyverträge verkaufen und eignet sich dafür den hohen moralischen Wert der Meinungsfreiheit an. In Deutschland, wo die Öffentlichkeit sensibler auf solche Banalisierungen reagiert, beschränkt sich Base auf ein augenzwinkerndes Wortspiel: Meine neue Redefreiheit. In anderen Ländern zielt sie ganz bewußt auf die Assoziationen, die einem bei Dritter Welt und Redefreiheit durch den Kopf schießen. Freedom of Speech, heruntergekommen zur Freiheit, so lange wie möglich zu quasseln. Werbung kann manchmal zum Kotzen sein.

 

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Saufgelage im Parlament

So eine leidenschaftliche Debatte gab es schon lange nicht mehr im tschechischen Parlament: Als sich Regierung und Opposition wieder einmal heftig beharkten, verließ der erste Abgeordnete plötzlich das Feld der sachlichen Argumente. Die konservative Regierung und insbesondere der Premier, sagte ein hochrangiger Sozialdemokrat, seien dem Alkohol offenbar in übertriebenem Maße zugetan. Der Premier ergriff daraufhin höchstpersönlich das Mikrofon und blaffte genervt: „Das entspricht nicht der Wahrheit – anders als bei den Sozialdemokraten. Ich könnte ohne Probleme bei jeder Sitzung ins Röhrchen blasen!“

So entfocht sich, während die Tagesordnung irgendwo bei den Feinheiten des Staatshaushaltes stehengeblieben war, eine Debatte über die Frage, welche Fraktion wohl die trinkfreudigsten Abgeordneten habe. Die Diskussion an und für sich ist dabei weniger überraschend als die Tatsache, dass sich alle für abstinent erklärten. Eigentlich nämlich ist der Konsum von Alkohol in Tschechien alles andere als geächtet. Man ist stolz auf das süffige böhmische Bier – so sehr, dass sich die meisten Tschechen wohl lieber einen übermäßigen Durst nachsagen lassen würden als eine strikte Enthaltsamkeit. Unvergessen ist der Politiker, dessen heranwachsender Sohn einmal torkelnd auf offener Straße aufgegriffen wurde. „Er ist halt ein Tscheche“, wurde die Antwort des Vaters kolportiert, „da sind doch zwölf Bier nun wirklich nichts Ungewöhnliches!“ Ein Bier, das muss man dazu wissen, misst in böhmischen Kneipen immer einen halben Liter.

Im Parlament jedenfalls, das haben die Tschechen nach der Debatte der Abgeordneten erfahren, gelten andere Sitten als im Wirtshaus. Um das zu überprüfen, schickte die größte Tageszeitung des Landes am nächsten Tag eine Reporterin mit Alkohol-Messgerät in den Sitzungssaal der Volksvertreter. Als sie die ersten Kandidaten aufforderte, einmal fest ins Röhrchen zu blasen, stürmte sogleich der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses herbei. „Ich tue alles, um ein gutes Bild von unserer Arbeit zu vermitteln“, klagte er der Reporterin, „und dann kommen Sie mit Ihrem Messgerät!“ Nach einer längeren Debatte, so stand es anschließend in der Zeitung, gab der Mann seinen Protest auf – und ließ sich sogar selbst zu einer Atemprobe herab. Das wenig überraschende Ergebnis: Er war tatsächlich nüchtern. Den Alkoholpegel des Premierminister allerdings konnte die eifrige Reporterin gar nicht erst eingehender kontrollieren. „So einen Quatsch mache ich nicht mit“, beschied er der Dame schmallippig – und bewies mit dieser Reaktion allemal einen klaren Verstand.

 

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Nobelpreisträger Al Gore und die Geländewagen

Vor dem Grand Hotel an Oslos Flaniermeile Karl Johan lauert eine kleine Menschenmenge auf. Viele haben eine Kamera dabei und halten Stift und Papier in der Hand – Autogrammjäger. Doch sie sind nicht gekommen, um Kylie Minogue oder Robin Willams zu sehen, sondern ihr Popstar ist Al Gore. Der Amerikaner ist Freitagfrüh nach Oslo gekommen, um am heutigen Montag den Friedensnobelpreis in Empfang zu nehmen, den er sich mit dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) teilen soll. Gleich nach der Ankunft am Flughafen bewies er sein PR-Talent: Statt ökologisch unkorrekt mit einer Limousine in die etliche Kilometer entfernte Innenstadt zu fahren, nahm er den Zug. Jeder einzelne sei gefordert sich gegen den Klimawandel einzusetzen, so Gore. Anfangen könnte er gleich vor der eigenen Haus- bzw. Hoteltür: Während seine vielen Flüge im Namen des Klimaschutzes noch zu rechtfertigen sind, schließlich kann er so seine Botschaft in andere Länder tragen, scheinen sich nicht einmal die Leute, die ihn betreuen, bewusst, was jeder Einzelne tun kann. Die Wagen, die ihn und seine Mitstreiter die Tage in Oslo herumfahren sollen, sind zum Teil Benzinschlucker wie Stadtjeeps von Volvo und BMW und bereits während Al Gore noch auf seinem Hotelzimmer war, standen die Fahrer mit laufenden Motoren unten und warteten auf den Klimaretter.

 

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Südafrika zum Nikolaustag

“Elvis, komm!” keift die Frauenstimme hinter unserem Zaun. “Aber sofort!” Elvis lässt die Hacke fallen, schnappt sich seine Jacke und rennt lost. Stolpert fast. “Yes, Madam!” Rüber zur Terrasse, greift sich den Spaten, stellt ihn an die Hauswand, rennt zum Tor. Ein Auto springt an, fährt davon.

Ruhe.

Mein Blick streift über den Garten. Der Rasen auf Rasengardemaß, die Blumenbeete frisch geputzt. Unsere südafrikanische Vermieterin besteht darauf, dass alles seine Ordnung hat hinterm Haus. Und weil ich ein Herz für grünen Wildwuchs habe, hat sie den “Jungen” vorbeigeschickt, den Garden Boy.

Elvis arbeitet seit mehreren Jahren für sie und hat irgendwie keinen Nachnamen. Elvis sorgt für eine elfjährige Tochter. Elvis gibt keine Widerworte, wenn er auf Englisch angeschrien wird, in einer Sprache, die er kaum versteht.

Elvis kann sich glücklich schätzen. Er hat einen Job (für 7 Euro am Tag). Er darf seine Regierung wählen (seit 1994). Er lebt in einem Land, dessen Verfassung die Würde des Menschen schützt und so ziemlich jede denkbare Diskriminierung unter Strafe stellt (Bill of Rights, § 9 und 10).

Am nächsten Tag eine Email der Vermieterin an mich: Ich hätte Elvis unerlaubt einen Rasenmäher gegeben. Ich solle ihn doch bitte nicht behandeln, als sei er ein Gärtner. “Das ist inkorrekt. Sein Gehirn kann so etwas nicht leisten. Ich bezahle ihn dafür, dass er jeden Morgen zur Arbeit kommt. Die meisten [lies: Schwarzen] schaffen nichtmal das.”

For the record: Kapstadt, 6. Dezember 2007, achtzehn Jahre minus zwei Monate nach Mandelas Freilassung – oder wie hieß nochmal der großväterliche Afrikaner mit den putzigen politischen Ideen…

 

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Jetzt kommt der Edi

Der Stoiber Edi kommt jetzt nach Brüssel. Er soll hier die Bürokratie abbauen. Das haben zwar andere vor ihm auch schon probiert, aber der Edi ist ein Hartnäckiger. Davon kann ich ein Lied singen: Ganz egal, wo ich hinziehe, irgendwann kommt der Edi nach. Der verfolgt mich. Das ist seit meiner frühen Kindheit so. Und jetzt reist er mir sogar nach Brüssel hinterher. So wie immer. Als der Edi nach Wolfratshausen kam, da war ich auch schon da. Ich bin da aufgewachsen, der Edi ist zugezogen. Ich bin dann irgendwann nach Berlin gegangen, da wollte der Edi dann auch hin. Kam immer wieder kurz vorbei, hat alle genervt und ist dann wieder heim nach Wolfratshausen. Bis er ganz nach Berlin wollte, erst als Kanzler, und als das nicht klappte, dann eben als Superminister. Aber da war ich kurz vorher schon wieder weggegangen aus Berlin und dann ist der Edi gar nicht erst hingezogen. Ob das wirklich was mit mir zu tun hatte, weiß ich nicht. Aber auffällig ist es schon.  Irgendwann sollte der Edi dann sogar EU-Kommissionspräsident in Brüssel werden. Ich war gerade nicht da, und dann hat der Edi auch abgesagt. Jetzt bin ich wieder da, und jetzt kommt der Edi tatsächlich nach Brüssel. Ich kenn ihn eigentlich gar nicht, jedenfalls nicht näher. In meiner Jugend, als ich im Pfarrheim Wolfratshausen gejobbt habe, da habe ich ihm am Aschermittwoch einmal fast eine Maß Bier über den Trachtenanzug geschüttet. Versehentlich. Aber ich hab dann nur den JU-Vorsitzenden neben ihm erwischt. Wie gesagt, ich kenn den Edi gar nicht richtig. Wahrscheinlich kennt er mich auch nicht. Aber ich darf Edi zu ihm sagen, hat er gesagt. Das heißt, eigentlich hat er es sich nur gewünscht: In einem Interview vor langer Zeit im Münchner Merkur hat er nämlich gesagt, dass er privat gar nicht so steif ist und dass zu Hause in seiner Straße in Wolfratshausen alle nur Edi zu ihm sagen. Die ganze Straße hat gelacht. Nicht dass sie ihn dort nicht wählen würden, das schon. Aber Duzen? Den Stoiber? Wer den kennt, der duzt ihn doch nicht. Aber ich kenn ihn nicht, ich hab nur in der gleichen Straße gewohnt. Deshalb kann ich Edi zu ihm sagen. Solange ich ihn nicht kenne.

 

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Kauf mir einen Jet, Andrè

Es geht wieder um André Flahout. Das ist der belgische Verteidigungsminister, der vor einiger Zeit mit dem Kampf-Hubschrauber ins Kino nach Hasselt geflogen ist. Als das rauskam, gabs ein bisschen Wind, aber geschadet hat es ihm nicht wirklich. Flahout ist einer von diesen saftigen Politikern, wie sie heute gar nicht mehr hergestellt werden. Franz-Josef Strauß fällt einem in dem Zusammenhang ein. Und obwohl Flahout als belgischer Sozialist das andere Ende des politischen Spektrums besetzt, gibt es doch Parallelen. Die Körperform zum Beispiel, vor allem die Halspartie, aber auch die Abneigung gegen politische Prinzipien oder die tiefe Verwurzelung in einer Volkspartei, die ihren verdienten Kämpfern fast alles verzeiht. Und natürlich die Lust am Fliegen. Diesmal ist André in den Kongo geflogen, mit dem Regierungsflieger und ohne Absprache mit dem jetzt sehr aufgebrachten Außenminister. „Kabila wollte mit mir reden,“ verteidigt sich Flahout. Außerdem solle sich der Außenminister nicht so weit aus dem Fenster lehnen, sonst packe er aus und erzähle zum Beispiel, wie der ihn ständig um ein schöneres Flugzeug angefleht habe: “André, kauf mir einen Jet,“ habe er gebettelt, so einen schicken Legacy mit allem Komfort. „Der wollte so ein Chirac-Ding.“ Die alten Militärmaschinen seien ihm offensichtlich nicht gut genug und zu unbequem. In der Tat müssen belgische Premier- und sonstige Minister selbst 20stündige Flüge im Sitzen verbringen, seit die Regierungs-Boeing vor einigen Jahren mitsamt der Liegecouch ausgebrannt ist. Doch die belgische Flugbereitschaft hat kein Geld, André Flahout hat das Budget ohnehin schon um 160 Millionen überzogen. Streng dienstlich, versichert er, in acht Jahren habe er nur einmal die Familie mitgenommen, „im Gegensatz zu anderen Ministern.“ Der kleine Rundumschlag wird ohne Folgen bleiben. Flahouts Zeit ist ohnehin abgelaufen. Seine Sozialistische Partei wurde schon im Juni abgewählt, schon der Kongoausflug fiel in die Nachspielzeit. Aber solange sich die christdemokratischen und die liberalen Wahlsieger nicht auf ein Regierungsprogramm einigen können, bleibt Flahout Minister und kann noch ein bisschen herumfliegen.

 

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Die positiven Streik-News

Gibt es an Streiktagen auch positive Meldungen? Ja. Die französische Presse ist anlässlich des ersten Tages der großen Streikwelle im Analysefieber und stellt fest: Um 10 Uhr morgens hatten sich bereits 35.000 Pariser ein städtisches Leihfahrrad gemietet. Das sind doppelt so viele wie sonst. Würden jedoch noch mehr Vélibs zur Verfügung stehen, wären es sicherlich auch noch mehr Leihnahmen. Denn als ich heute morgen um 8 Uhr auf meinem eigenen Fahrrard in Richtung Gare du Nord und Gare de l'Est zu Recherchegründen unterwegs war, waren die Vélibstationen allesamt leer und die Vélibs auf den Straße.

 

 

 

 

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Politiker vs. Journalisten: Schmutziger Kampf mit legalen Mitteln

Politiker haben es nicht leicht. Schon gar nicht, wenn es im Gefüge der Regierungspartei kracht in allen Fugen, so wie gerade im südafrikanischen ANC. Da spielt sich ein formidables Hauen und Stechen um den Parteivorsitz (und damit den künftigen Präsidenten des Landes) ab. Es kocht und brodelt – nach allen Regeln der Parteidisziplin (angeblich – oder so). Es ist die Saison der Wadenbeißer und Schönredner, der Giftpfeilschützen und Aufs-Protokoll-Pocher. Und der Pressesprecher, PR-Berater und Spindoctors.

Schon nervig, wenn weniger auf ANC-Etikette bedachte einheimische Journalisten da plötzlich einen politischen Skandal nach dem anderen ans Licht zerren. Wessen politische Zukunft auf dem Spiel steht, der lässt sich halt ungern von ein paar dahergelaufenen Schreiberlingen der Lächerlichkeit preisgeben.

Was also tun, fragt sich da die arg gebeutelte Regierung in Pretoria. Redaktionsräume durchsuchen wie in Kenia? Kurzen Prozess machen wie in Simbabwe? Zeitungen verbieten wie zu Apartheidzeiten? God forbid! – wie unappetitlich.

Und um fair zu sein: undenkbar im heutigen Südafrika. Um noch fairer zu sein: Was sich Journalisten am Kap an schonungsloser Kritik leisten können, ist in vielen westlichen Demokratien alles andere als selbstverständlich. “Manto – ein Säuferin und Diebin” titelte kürzlich die Sunday Times über die durch ihre Aids-Politik diskreditierte Gesundheitsministerin. Bisher hat dieser Aussage noch niemand widersprochen. Aber die wütenden Rufe nach Maulkörben für Journalisten mehren sich stetig.

Zunächst drohte die Regierung, künftig keine Anzeigen mehr im Blatt zu schalten. Jetzt gibt es ein Angebot, die Muttergesellschaft der Sunday Times zu kaufen. Für 7 Milliarden Rand, obwohl das Unternehmen nach Angaben von Analysten weit weniger wert ist. Und wer steckt dahinter? U.a. ein Berater Thabo Mbekis und der Sprecher des Außenministeriums.

Tada! Sauber, clever, legal. So einfach ist das.

 

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Die größeren Belgier

Schweden und Norweger müssen sich jetzt warm anziehen, die Belgier kommen. Natürlich nicht nach Skandinavien, da ist es viel zu kalt und außerdem sind immer nur Bärenwurst und Rentiersteaks nichts für belgische Feinschmecker. Nein, die Belgier rücken den Skandinaviern etwa in Höhe 1,80 zu Leibe, sagt Professor Roland Hauspie von der Freien Universtität Brüssel. Solche durchschnittlichen Körpergrößen waren bisher den Nordeuropäern vorbehalten, jetzt tauchen da oben auch die Belgier auf. „Unsere Jungen sind im Schnitt vier Zentimeter größer als vor 30 Jahren,“ hat Hauspie gemessen, „und auch die Mädchen haben zwei Zentimeter zugelegt.“ Dass junge Menschen heute höher wachsen als früher, das haben andere auch schon gemerkt. Aber Professor Hauspie hat herausgefunden, dass für die Schweden und die Norweger jetzt Schluss ist mit größer werden. Jede ethnische Bevölkerungsgruppe habe ein bestimmtes Wachstumspotential, und alles deute darauf hin, dass die Schweden das bereits ausgeschöpft haben. Deshalb müssen sie zuschauen, wie die Belgier und hier vor allem die Flamen vorbeiwachsen. Sagt der Professor. Und irgendwann müssen die künftigen Ex-Hünen aus Schweden dann vielleicht sogar die Franzosen, Italiener und Spanier vorbeiziehen lassen. Die liegen zwar derzeit noch gut sechs bis sieben Zentimeter hinter Schweden und Flamen und fast zehn hinter den Holländern, aber sie wachsen zügig nach. Woran das liegt, weiß auch Professor Hauspie nicht so genau. Aber es hat in jedem Fall auch mit dem Essen zu tun, meint er. Gesunde und ausgewogene Ernährung treibt mehr als Einheitsbrei, und dauernd das gleiche Rentiersteak ist vielleich auch nicht das Gelbe vom Ei. So genau hat der Professor das nicht zwar nicht gesagt, aber er läßt das so durchschimmern.Auffällig sei zudem, dass alle Kinder im Frühjahr zweimal so schnell wachsen wie im Herbst. Was wahrscheinlich mit dem Licht zu tun habe. Und schon haben wir eine schlüssige Erklärung für das belgische Längenwachstum. Kein Europäisches Land ist so gut ausgeleuchtet wie Belgien, berichten Astronauten. Selbst wenn mitten in der Nacht vom All aus nichts mehr zu erkennen ist: das helle Dreieck da unten ist Belgien, wo sämtliche Autobahnen rund um die Uhr beleuchtet werden. Bisher haben wir das für Energieverschwendung gehalten, jetzt wissen wir, dass die Belgier bloß größer werden wollen. 

 

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Kneipenabend mit Journalistin kostet Staatssekretärin die Karriere

Alkohol, ein männlicher Journalist und ein Kuss – im moralisierenden Schweden eine Mischung, die eine Politikerin die Karriere kosten kann. Nachdem sie am Dienstagabend vergangener Woche diesen Cocktail aus den drei pikanten Zutaten genossen hatte, trat Ulrica Schenström, Staatssekretärin unter dem schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt, gestern ab. „Schon die Bilder, die publiziert wurden und die Tatsache, dass ich mit einem Journalisten gesprochen und dabei Wein getrunken habe, sind bedauernswert“, schrieb sie in ihrem Rücktrittsbrief und verschwieg, dass es wohl mehr als ein Glas war und das sie an jenem Abend für die Krisenbereitschaft Schwedens zuständig war – zweiter Fehltritt.
Für umgerechnet rund 100 Euro sollen Staatssekretärin Ulrica Schenström und der Fernsehjournalist Anders Pihlblad am Dienstag vergangener Woche Wein und Bier getrunken haben. So hoch wie die Alkoholpreise in Schweden sind, nicht genug Geld, um sich besinnungslos zu besaufen, aber ausreichend, um die Zunge zu lösen. Zumal, so berichtet das Boulevardblatt Expressen, Schenström „Domaine Lalande Merlot” getrunken haben soll, der laut Weinkarte der Kneipe, die die beiden besuchten „die Leute gesprächig“ mache. Genau das, so wird gemutmaßt, habe der Journalist gewollt.
Damit haben die beiden Betroffenen gleich zwei empfindliche Stellen der Schweden getroffen. Zum einen haben sie den Eindruck erweckt, dass sich zwei, die beruflich eine Art Gegner sind, zu gut kennen und womöglich an der Öffentlichkeit vorbei Geheimnisse austauschen. Das gilt in dem nordeuropäischen Land als Korruption; entsprechende Anzeigen sind bereits eingegangen. Zum anderen ist die Krisenbereitschaft seit Ende 2004 in Schweden ein besonders heikles Thema. Damals kamen sehr viele Schweden bei der Tsunami-Katastrophe um und die Politiker traten – weil die Krisenbereitschaft nicht funktioniert hatte – erst spät an die Öffentlichkeit. Schon damals mußte ein Staatssekretär zurücktreten. Seither ist man in dem nordeuropäischen Land sehr darum bedacht, stets eine einsatzfähige Krisenbereitschaft zu haben. Nun hat Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt den Fehler gemacht, zu behaupten, es gefährde die nationale Sicherheit, wenn er bekannt gebe, ob Schenström Verantwortliche war und verschwieg eben genau jenes bis zum Rücktritt Schenströms. So ziemlich das Dümmste, was er nach nüchterner Betrachtung hätte tun können. Nachdem Reinfeldt gleich nach Amtsantritt im vergangenen Herbst schon zwei Ministerinnen verloren hatte, weil sie keine Fernsehgebühren bezahlt und Schwarzarbeit hatten ausführen lassen, sollte er eigentlich Übung im Hantieren von politischen Krisen haben. So war denn der Kuss des Journalisten, der schnell als rein freundschaftlich abgetan wurde, wohl vielmehr ein Judaskuss. Und die Geschichte geht weiter, denn die zwischenzeitlich eingesetzte Staatssekretärin hat ebenfalls Schwarzarbeit ausführen lassen.

 

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Die Deutsche Bank sucht einen Rassisten

Die deutsche Bank sucht einen Rassisten. Natürlich nicht, um ihn einzustellen, eher um ihn zu entlassen. Denn irgendwer hat bei einer Personalagentur, die für die Deutsche Bank in Belgien Mitarbeiter rekrutiert, einen schriftlichen Vermerk gemacht, dass die Deutsche Bank wegen der Kundenkontakte bitte „keine exotischen Personen“ als Mitarbeiter wünsche. Der Zettel ist öffentlich geworden und jetzt hat die Deutsche Bank in Belgien ein Problem. Der belgische Arbeitsminister hat sofort eine Untersuchung angekündigt und überlegt eine Klage vor Gericht wegen Diskriminierung. Die Presseabteilung der Deutschen Bank ist daraufhin erst mal in eine Schockstarre gefallen, war für belgische Journalisten einen halben Tag nicht erreichbar und sucht jetzt den Schuldigen. Das Thema ist heikel, weil sich im benachbarten Ausland „deutsch“ und „Rassismus“ ganz schnell auf Nationalsozialismus reimt. Zumal deutsche Großkonzerne in den ehemals besetzten Gebieten zwar als zuverlässig bewundert werden, nicht aber als besonders warmherzig gelten. Die Deutsche Bank hat deshalb sofort eine große interne Untersuchung versprochen und den Tatort in einer ersten Stellungnahme ein Stück vor die Bank verlegt: „Das ist ein schwerer Fehler des Rekrutierungsbüros.“ Sollte allerdings jemand aus den Reihen der Deutschen Bank davon gewußt haben, versichert die Bank, dann werde es ernsthafte disziplinarische Maßnahmen geben: Man werde jetzt  alle verfügbaren Dokumente durchleuchten.Das mit den Dokumenten ist ein feiner Trick, weil alle Welt weiß, dass solche Einstellungsvorgaben gang und gäbe sind, aber nur ganz Doofe das schriftlich weiter geben. Das Rekrutierungsbüro gehört übrigens zu einer holländischen Firma, die natürlich auch versucht, den Rassisten ausfindig zu machen. Aber das kann dauern und am Ruf kratzen. Deshalb hat der der Pressesprecher der Deutschen Bank allen Belgiern versichert, dass man Exoten geradezu suche: „Wir legen großen Wert auf Diversität.“  Besonders erfolgreich scheint die Deutsche Bank dabei nicht zu sein. „Es fällt schon auf,“ meint der Direktor des belgischen Zentrums für Chancengleicheheit, „dass in der Bank doch sehr wenig Menschen mit fremdländischer Herkunft arbeiten.“ 

 

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PR-Arbeit auf Chinesisch: Deutsche Konzerne fördern kommunistische Grundausbildung

Die Schanghai Bibliothek freut sich über eine Bücherspende des deutschen Spülmittel- und Shampooherstellers Henkel, meldet Shanghai Daily. In einer feierlichen Zeremonie überreichte Faruk Arig, Präsident von Henkel China die gesammelten Werke von Karl Marx.

Insgesamt will Henkel Bücher im Wert von 150 000 Yuan spenden, umgerechnet etwa 15 000 Euro. Die Bücher werden den Chinesen helfen, die deutsche Gesellschaft besser zu verstehen, sagte Bibliothekschef Wu Jianzhong. Was der Henkel-Manager darauf geantwortet hat, stand nicht in der Zeitung.

 

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Letzte Impressionen von der Pariser Modewoche: Exotik gewinnt

Der Kampf war heiß: Am Wochenende überschlugen sich die Ereignisse in Paris. Die Modewoche und ihre Partys konkurrierten mit der Nuit Blanche (die lange Nacht der Museen) und dem Rugby-Spielen Frankreich–Neuseeland und Schottland–Argentinien. Hier die Gewinner:
Rugby schlägt exzentrische Mode und Chloe-Parfum-Party
und…Kaiser's Kaffeegeschäft-Original schlägt YSL-Fake. 

 

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Anmache, indisch

Das Nachtleben von Delhi kennt manches Lowlight. Eines davon ist die ohrenbetäubende Musik. In indischen Clubs ist es so laut, dass dagegen jedes vergleichbare Etablissement in der westlichen Welt wie ein Seniorennachmittag klingt. Dagegen kann man sich immerhin mit Ohrenstöpseln schützen, auch wenn das uncool ist.

Machtlos ist man hingegen gegen die Anbagger-Versuche indischer Männer, die sich, sagen wir einmal, nicht gerade durch Subtilität auszeichnen. Zwar kennt Indien nicht die Tradition romantischer Liebe, wie sie in Europa im mittelalterlichen Minnesang oder später in der Romantik gefeiert wurde. Aber immerhin gibt es hier das berühmte Kamasutra, dessen Autor Vatsyayana auch viel Interssantes zum Vorspiel im weiteren Sinne zu sagen hat. Doch das scheint out zu sein.

Stattdessen geht es immer gleich zur Sache, d.h. zu den entscheidenden Dingen im Leben also "mein Haus, mein Auto, meine Yacht". Und da die wenigsten so etwas besitzen, versuchen sie, Frauen damit zu beeindrucken, dass der Vater ein hochrangiger Abgeordneter der Kongresspartei ist oder "wichtige Informationen" für einen haben könnte. Wenn das fehl schlägt, kann es passieren, dass der Abgewiesene ein Empörtes: "Do you know to whom you are talking?" ausstößt.

Gestern kam ein Basecap-Träger in einem Club auf mich zu und zeigte mir das leuchtende Display seines Handys. Zum Reden war es wie immer zu laut. Darauf stand: "Du bist doch Journalistin. Was hältst Du von den steigenden Immobilienpreisen in Kalifornien?" Ich brüllte ihn an: "Warum sollte ich eine Ahnung von den Immobilienpreisen in Kalifornien haben?" Darauf brüllte er zurück: "Bist Du keine amerikanischen Journalistin?" Ich schrie: "Nein, Deutsche!" Er war sprachlos, presste ein "Sorrysorry" hervor und trollte sich an die Bar.

Offenbar wollte er mir signalisieren, dass er Immobilienmakler mit US-Kontakten ist, also Geld hat. Schade eigentlich. Hätte er das Kamasutra gelesen, hätte er Chancen gehabt. 

 

 

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Belgien ist unverkäuflich

Gleich um die Ecke, auf dem Gemüsemarkt von St. Alix, kann man jetzt zwischen Salatgurken und Radieschen auch belgische Fahnen kaufen. Nicht so kleine, wie die Schweizer und Franzosen sie manchmal auf die Käsewürfel stecken, sondern richtig große, die man aus dem Fenster hängen kann. Genau das wird seit drei, vier Wochen auch viel gemacht, ganze Wohnblocks haben ihre Balkongeländer schwarz-gelb-rot eingekleidet. „Die Tücher gehen weg wie frische Baguette-Brötchen“, freut sich der junge Mann mit den langen Haaren, der die Fahnen verkauft. „9,95 Euro das Stück, fabrikneu eingeschweißt, absolutes Sonderangebot, im Laden kosten die das Doppelte.“

Die Wohnbezirke von Brüssel sehen derzeit aus wie Berlin während der Fußball-WM. Überall belgische Fahnen. Das ist deshalb erstaunlich, weil bei der belgischen Staatsgründung vor 177 Jahren das National-Gen ganz offensichtlich nicht mitgeliefert wurde. Belgier sind stolz auf ihre Biere, auf Schokolade, auf Fritten und auf den Chicorée, den der Brüsseler Hofgartenmeister Monsieur Bresier 1846 gezüchtet hat. Auf Belgien aber sind Belgier eher selten stolz. Als die Fussball-Nationalmannschaft bei der EM 2000 im eigenen Land vorzeitig ausschied, blieben die Devotionalienhändler auf ihren belgischen Fahnen und T-Shirts sitzen. „Belgien ist als Produkt unverkäuflich,“ stöhnte damals ein ruinierter Geschäftsmann.

Doch jetzt erinnern sich viele Belgier plötzlich an ihre Landesfarben. Das hat mit den zähen Koalitionsverhandlungen zu tun, die seit über 100 Tagen keinen Zentimeter vorwärts kommen und von einer unangenehmen Musik begleitet werden. Denn nicht nur einige Politiker, auch 40 Prozent der Flamen sind nach jüngsten Umfragen der Meinung, dass man das Land besser ganz auflösen sollte. 40 Prozent der Flamen, das ist umgerechnet auf´s ganze Land jeder vierte Belgier. Da sind dann doch viele von den anderen drei Vierteln erschrocken. Die wollen nun zeigen, dass Flamen und Wallonen mehr gemeinsam haben als Chicorée und Kartoffelstäbchen. Deshalb kann man auf dem Gemüsemarkt von St. Alix jetzt auch die belgische Fahne kaufen.

 

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Pariser Modeschauen und die neuen Online-Methoden

Auch die Mode-Presseagenturen gehen mit der Zeit, wie die Agence "mpressoffice" beweist. Statt Freelancer wie mich zu ihrer Fashionshow einzuladen, schickten Sie mir einen Tag später vier Bilder (davon eines unscharf) der Show der türkischen Designerin Dice Kayek und eine vorgefertigte Kritik. Toller Service? Nein, keineswegs. Denn nur wenn man die ganze Show gesehen hat, kann man sich ein Bild von der Kollektion machen. Und ehrlich gesagt brauche ich niemanden, der mir meine Kritik vorformuliert. Die Vogue, Elle und Konsorten hatten sicherlich eine Einladung. Warum also werden wir Freelancer so abgespeist?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Impressionen von den Pariser Modeschauen 3

Was haben Mode und ein Staubsauger gemein? Nichts. Falsch gedacht! Auf den Pariser Modeschauen tat sich Designer Dai Fujiwara vom Modehaus Issey Miyake mit dem Staubsauger-Tüftler James Dyson  zusammen. Das Ergebnis der Kooperation war eine ziemlich windige Sache. Unter dem Titel "The Wind" durfte sich die Front-Row wie bei einem Haarspray-Test fühlen (Sitzt die Frisur noch?), während die hinteren Reihen auf sich bewegende Mammut-Staubsaugerschläuche blickten. Das Spektakel hatte trotzdem was.

 

 

 

 

 

 

 

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Impressionen von den Pariser Schauen: All blacks

In Paris prallen derweil zwei Welten aufeinander: die Rugby-Fans der WM (www.france2007.fr) und die Fashion-Fans der Modewoche. Doch wie man sieht, sind sie sich gar nicht zu unähnlich. Alle sind ganz in Schwarz. Siehe die neuseeländische Mannschaft All Blacks – und die Dior-Gäste…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Impressionen von der Pariser Modewoche

 

 

 

 

Die Frisur von Julia Timoschenko beim japanischen Designer Mina Perhohnen.

 

 

 

Fashion in the box beim deutschen Designer Bernhard Willhelm.

 

 

 

 

 

Magersüchtige Models? Ist uns doch wurscht. Bei der spanischen Designerin Estrella Archs.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Die Spendierhosen des Bürgermeisters

Unsere Tochter hat beim Schulschwimmen einen Pokal gewonnen. Ich erzähle das nur, weil der Bürgermeister unseres Brüsseler Stadtteils den Pokal gerne überreicht hätte und nicht darf. Unser Bürgermeister hat nämlich bis vor kurzem überaus viele Pokale überreicht. Er hat sogar Sportwettbewerbe erfunden, mit  möglichst vielen Pokalen, die er dann an möglichst viele Kinder übereichen konnte. Ich sags ungern, aber der Pokal meiner Tochter ist auch so einer. Wurde aber jetzt von einem Stadtrat überreicht.

Grund dafür ist, dass die Zeitungen sich irgendwann nicht mehr interessierten für die Pokal-Verleihungen des Herrn Bürgermeisters. Dieses Informationsdefizit musste das Gemeindeblatt „Wolu-News“ ausgleichen, benannt nach dem Stadtteil Woluwe. Vor allem vor den Kommunalwahlen kam Wolu-News daher wie das Neue Deutschland nach Honeckers Besuch auf der Leipziger Messe. 36 Bilder, 34 mit dem großen Vorsitzenden.

Aber dann hat der letzte Sozialist im Stadtrat beim Innenminister gepetzt wg. Mißbrauchs öffentlicher Gelder. Seitdem ist der Bürgermeister suspendiert und versteht die Welt nicht mehr. Haben wir doch immer so gemacht, sagt er und lässt Handzettel verteilen mit dem schönen Motto: „Wir wollen unseren Bürgermeister wieder haben.“ Hätte fast geklappt, aber der Sozialist hat nachgelegt, dass das Spendenkonto des jährlichen Wohltätigkeitsballs identisch ist mit dem Privatkonto des Bürgermeisters.

Nicht dass der Chef das Geld verprasst hätte, dafür gibt es keine Beweise. Vermutlich hat er die Wohltätigkeit einfach nur wahltaktisch eingesetzt. Klientelismus war bis vor 15 Jahren der Humus der belgischen Parteienlandschaft. „Macht hat man, um sie zu mißbrauchen“, hat ein belgischer Vizepremier noch vor 20 Jahren gesagt, und niemand hat sich aufgeregt. Die Zeitung „Le Soir“ hat dann aber rausgefunden, dass alle anderen Brüsseler Stadtteile inzwischen richtige Spendenkonten und offene Buchführung pflegen. Nur unser Bürgermeister  will noch immer nicht sagen, wen er nach dem Ball als bedürftig eingestuft hat. Das sei seine Sache, wettert er aus der Verbannung, er habe immer Gutes getan und nie darüber geredet.

Aber den Pokal an unsere Tochter hätte er schon gerne öffentlich überreicht, damit „Wolu-News“ ein Bild machen kann.

 

 

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Worte zählen mehr als Taten

Der nordeuropäische Börsenverbund OMX sieht seine Zukunft im internationalen Geschäft. Das wurde einmal mehr klar, als Aufsichtsratschef Urban Bäckström und Vorstandsvorsitzender Magnus Böcker heute zur Pressekonferenz riefen, um sich zu den Plänen der Börsen Nasdaq und Dubai mit OMX zu äußern. Zwar gab es keine abschließende Bewertung, um man nun von der Dubaier Börse gekauft werden will, nur um gleich danach an die Nasdaq weitergereicht zu werden, doch Böcker und Bäckström hielten sich nicht zurück, Vorteile dieser Lösung zu preisen. Schließlich will man international gerne weit vorne mitspielen. Das OMX – das bis auf Oslo alle nordischen Handelsplätze betreibt – aber weiterhin noch sehr Nordeuropa zentriert ist, offenbarten die beiden ungewollt: Nur kurz nachdem Böcker gelobt hatte, dass die Nasdaq dazu führen würde, dass nordische Unternehmen international mehr gesehen werden würden, begann die Fragerunde der über das Internet international ausgesendeten Pressekonferenz. Und plötzlich vergaßen die OMX-Vertreter ihre Internationalität und wechselten ins Schwedische. Das dürfte das internationale Image nicht unbedingt gefördert haben.

Aber vielleicht haben die zwei auch nur daran gedacht, die wichtige Rolle der Auslandskorrespondenten zu unterstreichen. Solange es wichtig ist die Sprache der Region zu verstehen, macht das Internet diese nämlich nicht überflüssig.

 

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Kein Spaß mit Hitler-Pizza

Dass die Neuseeländer so entspannt sind und alles sehr locker sehen, ist angenehm. Unangenehm wird es jedoch, wenn sie auch die jüngere deutsche Geschichte auf die leichte Schulter nehmen. Adolf Hitler hat im angelsächsischen Raum zuweilen den Status eines grotesken, bösen Comic-Helden. Das demonstrierte bereits Prinz Harry, als er mit Hakenkreuz-Binde auf einer Kostümparty erschien. Was immer wir Deutschen Schreckliches mit dem Nazi-Herrscher verbinden, verblasst, je weiter man sich von Europa entfernt. Der Durchschnittskiwi ist davon eher unbeleckt, zumal Geschichte auch kein Pflichtfach an neuseeländischen Schulen ist. Als Scherzfigur taugt „the Fuehrer“ allemal.

Britische Nachbarn von uns fanden es witzig, eine Figur in ihrem Fenster stets nach Jahrestagen oder Festen zu dekorieren: Mal als Osterhase, mal als Weihnachtsmann. Der beste Gag kam am Anzac-Day, als der Truppen gedacht wurde, die in der Dardanellen-Schlacht gegen die Deutschen kämpften: Prompt wurde aus der kleinen Schaufensterpuppe ein Kerl mit Hitler-Bart – egal, dass die Schlacht im ersten Weltkrieg stattfand. Deutsch bleibt deutsch bleibt Nazi. Und wer sich daran stört, hat halt keinen Humor – besonders die „Germans“ nicht.

Besondere Geschmacklosigkeit in Sachen „WWII“, wie der 2. Weltkrieg gerne abgekürzt wird, bewies eine Werbeagentur: „Hell Pizza“ startete letzte Woche eine Plakat-Kampagne, die unter anderem Hitler mit einem Stück Pizza in der ausgestreckten Hand zeigt. Als die Pizza-Kette im letzten Jahr Kondome in Briefkästen verteilte, um für ihre „Lust“-Pizza zu werben, rief sie einen Proteststurm hervor: Die Katholiken im Lande forderten, die Höllen-Pizza fortan zu boykottieren.

Doch als in den vier größten Städten Hitler-Plakate aufgehangen wurden, blieb es erstaunlich ruhig. Erst, als sich einige jüdische Mitbürger bei der Werbeaufsicht beschwerten, wurde das Plakat abgehängt – um es an anderer Stelle wieder anzubringen. Der Chef der Werbeagentur fragte öffentlich, warum sich die Juden denn so aufregen würden – Hitler sei doch schließlich deren „Aushängeschild“. Was einen wirklich ausgeprägten Sinn für Humor verrät.

 

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Erwischt! Bertrand Delanoë wütet vor meiner Haustür

August ist traditionell der Monat der Bauarbeiten in Paris. Wenn sich die Einwohner an der Küste sonnen, herrscht in der Stadtbaubehörde Hochbetrieb. Das geringe Verkehrsaufkommen wird genutzt, um die Stadtautobahn Périphérique auszubessern, Kanalisationsarbeiten durchzuführen oder um ganz still und heimlich des Bürgermeisters Verkehrspolitik durchzusetzen. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2001 hat Bürgermeister Bertrand Delanoë über 3000 Parkplätze in Paris gekillt. Er schuf stattdessen Sonderbuchten für Lieferanten, Bus- und Taxispuren, breite Gehsteige und vor allem neue Sackgassen und Einbahnstraßen. Klingt gut, aber für Autofahrer ist es die Hölle. Denn es kann passieren, dass man nach dem Urlaub seine eigene Wohngegend nicht wieder erkennt. Genau das ist mir passiert. Um nach einer Woche Urlaub zu meinem Auto zu gelangen, musste ich um rund 15 neue Bauzäune herumgehen, über aufgerissene Löcher in den Straßen steigen und vor allem gegen die anschwellende Panik ankämpfen, dass mein Auto längst nicht mehr dort steht, wo ich es vor dem Urlaub abgestellt hatte. Ich hatte Glück, es war noch da. Der Bauzaun und das nigelnagelneue Halteverbotsschild endeten wenige Meter vor meiner Stoßstange. Wütete Delanoë bisher nur in der Innenstadt und in den nördlichen Wohnvierteln, so hat er nun seine Fühler auch in mein Arrondissement ausgestreckt – einem einstigen Paradies der kostenlosen Parkplätze. Einziger Trost: Nicht nur in der armen Stadtrandvierteln werden die Straßen aufgerissen, sondern angeblich gegen Herbst hin auch in den reichen Vierteln links der Seine. Na, wenigstens herrscht Gerechtigkeit.

 

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Radl-Notstand

"Stimmt es, die Dinger sind unauffindbar?" Auf die Frage des Motorrad-Typen neben mir nicke ich nur. Ich stehe an der Straße wie bestellt und nicht abgeholt. Mein eigenes Fahrrad in der einen Hand, ein Velib (www.velib.paris.fr) in der anderen. Ich warte. Auf meinen Freund, für den ich das Velib gemietet habe und der nun – per Handy über meinen Aufenthaltsort informiert – zu mir rennt. Fünf Stationen bin ich abgeradelt, um das letzte Leihfahrrad im Viertel zu mieten. Sieg! Der hinter mir hatte Pech.

Bereits zwei Wochen nach dem fulminanten Start ist das neue Leihfahrrad-System in Paris das Opfer seines eigenen Erfolgs. An der Seine herrscht Radl-Notstand. Wer bei schönem Wetter noch ein Velib will, muss früh aufstehen. Gestern zum Beispiel, am zweiten schönen Wochenende überhaupt in diesem Sommer in Paris, hieß es: Rien ne va plus. Kein Velib weit und breit. Und die, die eines ergattert hatten, gaben es nicht mehr her.

Normalerweise werden Velibs nach einer kurzen Fahrt innerhalb einer halben, kostenlosen Stunde wieder an eine Station angeschlossen und sind dann frei für einen neuen Mieter. Bei 30 Grad im Schatten jedoch hört die Mitmenschlichkeit auf. Sollen doch die anderen laufen. Dass ein Velib nach der dritten halben Stunde 4 Euro pro 30 min. kostet, juckte niemanden mehr. Auch uns nicht. Wer bitte, will bei dem Wetter schon die Metro nehmen. Heute übrigens regnet es seit den Morgenstunden. An den Velibstationen stehen die Räder und warten. Auf die Sonne und die Mieter.

 

 

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Sex im Weltall

Haben Sie schon einmal Kokusnuss-Brandy von den Malediven getrunken? Wahrscheinlich nicht, denn die Flasche wird derzeit für eine Million Dollar angeboten – zusammen mit einem Besuch in der Destillerie und Unterkunft in einem Fünf-Sterne-Ressort. Das Ganze ist eine Werbemaßnahme. Wenn das Getränk im Herbst dieses Jahres auf den indischen Markt kommt, wird es vermutlich ein bisschen billiger sein.

Willkommen in der Welt der Neureichen Indiens! Frisch gegründete Lifestyle-Magazine namens „Envy“ oder „Spice“ überschlagen sich derzeit auf dem Subkontinent mit Tipps für Neo-Millionäre, wie sie ihre frisch erworbenen Rupien wieder ausgeben können: Sex im Weltall gehört ebenso dazu wie ein vergoldeter Grill. Nicht zur vergessen: Wein und Spargelessen – sündhaft teuer und den meisten Indern unbekannt. Dabei verdienen auch die Medien nicht schlecht: jeder Verlag hat inzwischen eine Lifestyle-Beilage. „Vogue“ will Ende des Jahres mit einer eigenen Ausgabe herauskommen.

Für das Land Mahatma Gandhis ist das ein völlig neues Phänomen. Bisher übte sich die Mittelklasse in Bescheidenheit. Geld wurde gespart, um den Kindern eine Ausbildung zu finanzieren und höchsten bei deren Hochzeit unter die Leute gebracht. Linke Publizisten betrachten den zur Schau gestellten Reichtum daher als Perversion in einem Land, in dem noch immer 80 Prozent der Menschen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen.

Die Journalistin Madhu Trehan etwa wirft ihren Hochglanzkollegen vor, „Gehirnwäsche“ zu betreiben, damit „die Menschen Dinge kaufen, die sie nicht brauchen.“ Der Werbefilmer Prahlad Kakkar hingegen analysiert kühl. „Diese Magazine bereiten den Markteintritt von Marken wie Dolce & Gabbana, Hermès und Gucci vor.“

In der Tat ist Indien mit einem Wirtschaftswachstum von neun Prozent ein riesiger Markt. Nach einem Bericht von Time Asia, verdienen 1,6 Millionen Haushalte in Indien rund 100.000 Dollar im Jahr und geben ein Zehntel davon für Luxusgüter aus. „Die Leute haben mehr Geld zur Verfügung. Warum sollten sie es nicht ausgeben dürfen?“, fragt A.D. Singh, Besitzer des Luxusrestaurants „Olive“ in Neu-Delhi.

Ja, warum eigentlich nicht? Es gehörte zu den sympathischen Seiten Indiens, dass die Kluft zwischen Arm und Reich für ein Entwicklungsland relativ klein war. Die hitzige Diskussion über die Lifestyle-Magazine ist ein kleiner Rest des Gandhi’schen Ethos. Er ist vom Aussterben bedroht.

 

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Ein Riesen-Spaß (oder: das ist ja zum Auswandern!)

Danke, danke, wir haben es mitbekommen, selbst an entlegenen Globusrändern wie Australien wissen wir: Deutschland wandert aus was das Zeug hält. Von deutschen TV-Sendern auf allen Kanälen begleitet, von jeder anderen Medienart beschrieben und erzählt, von Unrast getrieben. Und wir? Wir, die wir an denen angeblich so begehrten Fluchtzielen leben, können dann wohl einfach sehen, wie wir damit klar kommen, wie? Naja, das geht schon ok. Auch wenn ich mich zuweilen insgeheim frage, wie es wird, demnächst nach Deutschland zu kommen – und peng: da ist keiner mehr. Alle futsch. Good-bye und Tschüs. Logisch, ich weiß, ein paar bleiben. Muss ja. Schon allein die, die all die Serien schreiben und filmen oder angucken müssen. Und die nämlich, die haben super viel Spaß in Deutschland zur Zeit. Eine Riesengaudi. Monsterjux.

Woher ich das weiß? Auch dank des Auswanderer-Booms. In Deutschland wird nämlich längst nicht mehr für Geld gearbeitet. Kein Scherz. Gerackert wird aus lauter Spass an der Freude, aus schierer, purer Lebenslust! Lohn, Honorar, Bezahlung? Pah, das ist doch was für Nörgler und Auswanderer. Oder für Korrespondenten am Ende der Welt, die noch nix von der neuen deutschen Spass-Gesellschaft gehört haben. Für Hinterwäldler wie mich. Die angemailt, angerufen,  angetextet werden um den deutschen Medienauswandererboom zu füttern. Mit frischen Fällen. “Sind Sie doch bitte so nett, bis Anfang der Woche bräuchten wir ein Single aus Bayern …”  “Würden Sie bitte mal schnell… – Ah, nee, Sydney hatten wir schon so oft, können Sie nicht wen auftreiben, der ins Outback  gezogen ist?” “Na, das klingt doch super, aber wäre schon besser, wenn die Familie auch Haustiere hätte… “ Lustige Recherche-Arbeit eben. Durch den Kontinent telefonieren, Leute überreden, Kontakte auswringen, wieder telefonieren. Mach ich ganz gern mal zwischendurch. Vorher teile ich den deutschen TV-Mitarbeitern meinen Tagessatz für derlei Dienste mit. Und dann hört der Spass ganz abrupt auf. Oder fängt so richtig an, wie man’s nimmt. Bezahlen ist nämlich (siehe oben) von gestern. “… haben wir eigentlich leider nicht die Möglichkeiten, Honorare zu zahlen…” lese ich dann, oder “…teile ich Ihnen mit, dass wir Vermittlungen dieser Art in der Regel nicht vergüten…” Und zuletzt höre ich: “Wir sind auf die Mitarbeit von Kollegen angewiesen, die Spaß an der Sache haben und uns gerne unterstützen möchten.” Einen Riesenspass hatte ich. Danke, Channel X! Selten so gelacht. Sorry, aber unter uns: Wenn ich Spaß brauche, geh ich dann doch lieber surfen als für deutsche Sender honorarfrei am Telefon zu hängen (auch Telekommunikation ist übrigens in Australien noch gebührenpflichtig). 

PS: Mit welchen Spaß-Moneten, in welcher Lach-Währung bestreiten deutsche Fernsehredakteure eigentlich inzwischen ihren Alltag? In Sydney, falls das eine der Auswanderer-Serien interessiert, werden altmodische Sachen wie zB Miete – total vorsintflutlich – immer noch in Dollar gezahlt. 

 

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Napoleon hat wieder verloren

Das waren noch Zeiten, als die Völker Europas noch nicht im Ministerrat in Brüssel aufeinander losgingen, sondern 20 Kilometer vor der Stadt, drüben bei Waterloo. Manchmal machen sie das heute noch, vor einigen Tagen zum Beispiel. Da pflanzten die Preußen die Bajonette auf und rannten auf die Franzosen los, denen auf der anderen Seite die Engländer und die Holländer mit ihren Kanonen schwer zusetzten.

Es ist erstaunlich, wieviel Tausende von Menschen ihre Wochenenden damit verbringen, in sengender Hitze oder auch mal im knietiefen Schlamm alte Schlachten zu schlagen. Es wird weit mehr gekämpft auf Europas Wiesen als das Fernsehen übertragen will. In Waterloo werden Napoleons Truppen alle fünf Jahre niedergemacht, immer so um den 18. Juni herum. Dazwischen wird anderswo belagert und gemetzelt. Die meisten Hobby-Soldaten kennen sich von Valmy, von Austerlitz, von Jena und Auerstedt und frühstücken zusammen, bevor sie schweres Geschütz aufeinander richten.

Auf die Nationalitätenkennzeichen kann man sich so wenig verlassen wie damals, als die Söldner anheuerten, wo das Essen besser war. Heute entscheidet eher die Uniform. Charles-Henry, der daheim in Brandenburg Karl-Heinz heißt, hat vor langer Zeit bei einer Kostümauktion eine französische Uniform ergattert und muss jetzt immer bei Napoleon mitmarschieren. Obwohl er im Herzen Preuße ist. Sein Freund Pierre aus Sachsen dagegen hat auch innerlich angeheuert und denkt manchmal sogar in französisch, sagt er, was nicht leicht ist, wenn man nur 30 französische Wörter zur Verfügung hat.

Für die Zuschauer ist das Spektakel eher beschaulich. Manche sagen auch langweilig, weil es doch Stunden dauert, bis Blücher seine Truppen den ganzen Bogen von Wavre raufgeführt hat. Da versteht man den Herzog von Wellington, der gesagt haben soll: „Ich wünschte es wäre Nacht und die Preußen kämen endlich.“ Richtig aufregend ist es allerdings für die Hauptdarsteller. Beim letzten mal musste Napoleon morgens um sechs mit Herzinfarkt vom Platz getragen werden. Die Schlacht ging trotzdem aus wie immer: Napoleon hat wieder verloren.

 

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Seid freundlich zueinander!

Gestern war in Paris der Tag des Tourismus. Die Aktionen richteten sich vor allem an Tourismusprofis und nicht an die Touristen, die davon ja nichts wussten. Das ist ja schon mal sehr zielgerichtet! In der Stadt tummelten sich ein paar, in Orange gekleidete Abgesandte (Die Farbe Orange macht gute Laune), die bei der Bevölkrung dafür warben, zu Touristen freundlicher zu sein. Eine gute Initiative, schließlich ist Paris eine der unfreundlichsten Städte der Welt. Nur, war soll diese Aktion? Nach einem Tag wird kein Pariser plötzlich lächeln und dem Touristen ein akzentfreies "'ello, 'au arrrr yuuuu?" zuflöten. Vor allem nicht, wenn es dabei aus Kübeln regnet und Gewitter Kurzschlüsse erzeugen. Seit nunmehr zwei Monaten leben die Pariser im Dauerregen, die Stimmung ist auf dem Nullpunkt, alle wollen nur noch eines: Flüchten aus der Stadt und diesem Sommer. Der erste Schwung ist in die Ferien bereits abgereist. Die Stadt leert sich und die Abreisenden rufen den orange gekleideten Tourismus-Propheten zum Abschied hinterher:"Sollen doch die anderen freundlich sein, wir hauen ab!" Die anderen, die Übriggebliebenen, das sind die armen Tröpfe ohne Villa an der Küste und die Touristen selbst. Okay, Touristen seid also freundlicher zueinander, wenn ihr in Paris Station macht. Ist es das, was die Stadt will? Fazit: Diese Aktion der Tourismusbehörde ist im wahrsten Sinne ins Wasser gefallen. Tomber à l'eau, sagt man dazu übrigens auch im Französischen.

 

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Rollmops und Rollenkoffer für Europa

Der Rollmops und die Bratzwiebel liegen mir immer noch im Magen. Dafür habe ich jetzt eine hellblaue Krawatte, ein Geschenk von Deutschland. Von Finnland hängt noch eine schrill-grüne im Schrank und eine orangerote vom Großfürstentum Luxemburg. Im Dezember kommt wahrscheinlich eine portugiesische dazu, mit Korkeichenmuster oder so.

Krawatten gelten offensichtlich als Zuwendungen unterhalb der Bestechungsgrenze. Früher haben die Regierungen bei den EU-Gipfeln noch richtige Geschenkpakete für die Journalisten geschnürt. Aus Amsterdam sind alle mit einem schicken Rollenkoffer nach Hause gekommen, die Iren haben uns Whiskey und Wildlachs mitgegeben, und in Wien haben einige im Hotel festgestellt, dass sie am Flughafen den falschen Koffer vom Rollband genommen hatten. Da hatten viele noch die Koffer aus Amsterdam, die alle gleich aussahen.

Die Geschenkhuberei war Teil des Reisezirkus, der die Brüsseler Journalisten alle halbe Jahre zum Europäischen Rat in irgendeine Hauptstadt lotste. Seit die EU-Gipfel der Einfachheit halber alle in Brüssel stattfinden, gibt es keinen Grund mehr für großartige Gastgeschenke. Eine Krawatte oder ein Halstuch, ein paar Schreibblocks und Gummibärchen, das ist es dann. Die wenigsten Journalisten sind darüber traurig. War doch etwas peinlich, wenn man im Pressesaal so in der Schlange stand, um den Rucksack oder die Aktentasche abzuholen. Aber liegenlassen wollte es auch niemand.

Der Rollmops und die Bratzwiebel sind von der Reisetradition übriggeblieben. Für die Gipfelverpflegung ist die jeweils gerade amtierende EU-Präsidentschaft zuständig, und die deutsche Regierung hat sich auf Rollmops festgelegt. Für 2000 Journalisten mit Zwiebel, für 27 Regierungschefs mit grüner Soße. Wird in der Gegend um Frankfurt viel gemacht: Ein paar Kräuter in den Mixer, draufdrücken, fertig ist das Hessen-Pesto.

Kulinarisch gab's schon schlimmere Präsidentschaften. Vor drei Jahren haben die Holländer in der Disziplin Miese-Küche sogar die Briten geschlagen. Den Haag ist zum Glück erst wieder 2016 dran, die Briten 2017. Die Sache ist ohnehin entschärft, seit die Gipfel in Brüssel tagen. Die EU-Präsidentschaft bestimmt, was auf den Tisch kommt, gekocht wird es von belgischen Köchen. Und richtig schlecht kochen, das können die Belgier nicht mal nach Rezept.

 

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Der lügende Holländer

Zuerst die schlechte Nachricht. Belgien hat jetzt die internationalen Vorfahrtsregeln eingeführt. Bislang galt zwar auch in Belgien rechts vor links. Aber das Gesetz sagte auch, wer zögert, verliert die Vorfahrt. Diese etwas vage Regelung passte gut zum belgischen Gemüt: Die Entschlossenen sollen schon mal losfahren, die Zauderer brauchen sowieso noch etwas Zeit zum Überlegen. Viele Belgier fürchten, dass die kalte Rechts-vor-Links-Regel Unheil bringen wird.

Jetzt die gute Nachricht: Zwei von drei Belgiern finden, dass sie keine Ahnung vom Kochen haben. Auf den ersten Blick ist das kein Grund für Lob. Auf den zweiten schon. Denn die Umfrage wurde auch in Holland durchgeführt, und dort haben fast die Hälfte der Befragten behauptet, sie könnten lecker kochen. Dass nördlich der Schelde besser gekocht würde als im Gourmetparadies Belgien widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch meiner Erfahrung in den letzten 15 Jahren.

Die einfachste Erklärung wäre, dass die niederländischen Geschmacksnerven schlimmer degeneriert sind als wir alle bisher angenommen haben und den Unterschied nicht mehr erkennen. Oder es verhält sich so, dass die Niederländer, wenn sie leckere Matjesfilets auswickeln, das schon für Kochkunst halten.Weil ich aber auch nette Holländer kenne, weise ich solche Erklärungen zurück. Ich habe mir deshalb die Küchenumfrage noch einmal angeschaut. Und da steht, dass Belgier der Selbsteinschätzung zum Trotz am gesündesten kochen.

Im Gegensatz zu allen europäischen Nachbarn, Deutsche eingeschlossen, bringt der Durchschnittsbelgier mindestens dreimal die Woche frische Zutaten auf den Tisch. Außerdem kochen 86 Prozent der Belgier mit viel Olivenöl, was schon mal beweist, dass 86 Prozent tatsächlich kochen und nicht nur Fertigsuppen einrühren.

Die Auflösung kann deshalb nur heißen: Belgier stellen einfach höhere Anforderungen an ihr Können. Das wird auch durch Verkehrsumfragen gestützt: Belgier sind die einzigen Europäer, die zugeben, dass sie nicht gut Auto fahren können. Deshalb sind viele Belgier überzeugt, dass es Unheil bringt, wenn sie auf der Kreuzung keine Zeit mehr zum Nachdenken haben.

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