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Piep, piep, piep

Um es als Tier in deutsche Nachrichten zu schaffen, muss man sich als Giraffe im Zoo verfüttern lassen oder zumindest Knut und Eisbär sein. Entweder niedlich oder gefährlich – Hai geht auch. In Neuseeland ist das anders. Wir werden flächendeckend über den langweiligsten Vogel der Welt informiert, der nicht mal fliegen oder trällern kann, aber dicke Eier legt. Scheu ist er auch und nachtaktiv, daher bekommt man ihn außer auf Briefmarken und Souvenir-Tassen fast nie zu sehen. Für so viel Abwesenheit produziert der Kiwi aber verdammt viele Schlagzeilen.

Es vergeht keine Woche ohne brandheiße Vogel-Meldung. Ich trage aus meinem zoologischen Archiv zusammen: Die Kiwis im Willowbank-Park von Christchurch mussten auf Diät gesetzt werden, allen voran das 13jährige Weibchen Merekara. Tatsache. Zwei Kiwi-Eier wurden dort für ein neues Züchtungsprogramm angeliefert. Das war eine eigene Meldung. Darüber stand was über vier lästige Bergpapageien, die von einem Campingplatz flogen, weil sie die Gäste nervten. Dann der Hammer: Neun Kiwis starben im Zoo von Wellington, weil sie eine Wurmkur nicht vertrugen. Mannomann. Tierotier.

Investigatives gibt’s auch. Unsere Sonntagszeitung brachte einen Skandal über Plüsch-Kiwivögel, die in den Touristen-Läden der Naturschutzbehörde DOC verkauft werden. Sie kommen nicht mehr aus Rotorua, wo sie aus ökofreundlichem Possum-Fell hergestellt werden, sondern werden in China produziert. Aus Synthetik. Da tröstet doch die Nachricht, dass es seit kurzem ein Kiwi-App als Spiel fürs Smartphone gibt. Der gefeierte Wappenvogel liefert sich einen Kampf mit „Zombie-Possums“. Vierspaltiger Artikel. War aber auch der 2. Januar, da war die Nachrichtenlage eher dünn. Fast übersah ich später die Überschrift „naked Kiwi“, so vogelgesättigt war ich. Aber es handelte sich diesmal um „naked Kiwi woman surfer“, eine nacktsurfende Neuseeländerin in Australien. Schöne Abwechslung, wenn auch das Foto dazu deutlich kleiner war als das all der Tiere, wie Gott sie schuf.

Die letzten Wochen waren eine mediale Vogelschwemme. Eine Nachricht tragischer als die andere. Heather One, ein abgemagertes Kakapo-Küken, wurde von Auckland 1600 Kilometer gen Süden geflogen. Dort sollte es im Zuge der Genesung  zwei Gefährten im Zoo von Invercargill treffen. Heather hatte Schlimmes durchgemacht: Erst einen Zyklon, dann eine Lungenentzündung. Ihr Schicksal wurde zwei Tage später von der halbseitigen Exklusiv-Geschichte über Sharkey, den „tapfersten Pinguin der Welt“, übertroffen. Die reinste Seifenoper: einem Hai entkommen, geschieden, dann verwitwet und um ein Haar verhungert, aber mit 17 noch immer „gut drauf“.

Unter die Haut ging die letzte Schlagzeile: „Hund killt jungen Kiwi“. Der Unglückliche hieß Otautahi, wie der Maori-Name Christchurchs, denn er wurde dort kurz nach dem schweren Erdbeben von vor drei Jahren geboren. „Hätte er sein ganzes Leben gelebt, hätte er 20 Junge zeugen können“, hieß es in seinem Nachruf. Piep piep piep, wir haben sie alle lieb.

 

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Verurteilte Korrespondenten in Ägypten sofort freilassen!

In Kairo sind heute drei Korrespondenten des englischsprachigen Programms des Fernsehsenders Al Jazeera zu sieben bzw. zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die Weltreporter fordern: Die verurteilten Korrespondenten müssen umgehend freigelassen werden!

Die Bundesregierung muss massiven Druck auf die Regierung Ägyptens ausüben, damit dieses ungeheuerliche Urteil zurückgenommen wird – die verurteilten Journalisten haben nichts anderes getan, als ihren Beruf auszuüben und damit ein fundamentales Menschenrecht zu verwirklichen.

Sie muss das Urteil alleine deshalb mit aller Schärfe verurteilen, um auch in Zukunft eine kritische Berichterstattung über Ägypten zu ermöglichen. Wenn die Bundesregierung nicht ihr ganzes Gewicht für die Freilassung unserer Kollegen einsetzt, müssen in Zukunft auch deutsche Korrespondenten fürchten, ohne Grund verhaftet und verurteilt zu werden – ein unhaltbarer Zustand!

Nach Ansicht von Menschenrechtlern und anderen unabhängigen Prozessbeobachtern wurde zur Rechtfertigung des Urteils kein einziger plausibler Beweis vorgelegt. Das am Montag gesprochene Urteil hat offenbar vor allem ein Ziel: die Einschüchterung von Korrespondenten. Vor Ort ist bereits zu sehen, wie bei manchen Berichterstattern die Schere im Kopf ansetzt. Auch deshalb ist es so wichtig, von politischer Seite Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben.

Weltreporter.net gehören derzeit 66 Mitglieder an, die aus 160 Ländern für verschiedene deutschsprachige Medien berichten, darunter auch aus Ägypten. Das Netzwerk gibt es seit 2004. Ziel des eingetragenen Vereins ist die Förderung eines hochwertigen Auslandsjournalismus, zu dem sich alle Mitglieder bekennen.

 

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L´Energiewende in Frankreich

Mit großer Aufmerksamkeit beobachten die Franzosen, wie der Nachbar Deutschland seine Energiewende meistern will. Vielleicht schafft es das deutsche Wort ja noch in den französischen Wortschatz: „L’Energiewende“ taucht oft in französischen Zeitungsartikeln auf. Die Medien berichten vor allem über steigende Energiepreise und Entlassungen bei Stromkonzernen. Die Bürger in Deutschland zahlten einen hohen Preis für den Atomausstieg, heißt es immer wieder. Die sozialistische Regierung weiß: Viel höhere Strompreise sind in dem krisengeschüttelten Frankreich zurzeit kaum durchzusetzen. Entlassungen im Nuklearsektor auch nicht. Das Thema Energiewende ist also ein höchst sensibles in dem Land, das derzeit 75 Prozent seines Stroms aus seinen 58 Atomkraftwerken bezieht.

Kein Wunder also, dass die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Energiewende ein Jahr länger dauerte als geplant. Nach langen Beratungen hat nun Umweltministerin Ségolène Royal die großen Linien dem Kabinett vorgestellt. Die „Transition énergétique“ (Energieübergang) werde Frankreich helfen, aus der Krise zu kommen, sagte sie.

Präsident François Hollande hatte mehrmals betont, dass dieser Gesetzestext einer der wichtigsten seiner fünfjährigen Amtszeit sein werde. Schon während seines Wahlkampfs hatte er eine für Frankreich kleine Revolution angekündigt: Denn der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung soll bis 2025 um 25 Prozent reduziert werden.

Der Entwurf umfasst nun 80 Artikel. Fünf große Punkte prägen ihn: Neben der oben genannten Reduktion des Anteils der Atomenergie im Strommix soll der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 1990). Im selben Jahr sollen 40 Prozent der Energieproduktion in Frankreich aus erneuerbaren Quellen stammen. 2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent. Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden.

 Geplant ist auch das Ziel, den Energieverbrauch in Frankreich bis 2050 zu halbieren (Vergleich zu 2012).

Kritiker werfen Royal bereits vor, eingeknickt zu sein – vor allem gegenüber der Atomlobby. Denn die Grünen hatten gefordert, dass in dem Gesetz das Recht des Staates festgeschrieben wird, aus energiepolitischen Gründen Atomreaktoren stilllegen zu können. Das ist nun nicht der Fall. Auch eine maximale Laufzeit von 40 Jahren  für Frankreichs Reaktoren ist nicht im Text verankert. Welche Reaktoren und wie viele abgeschaltet werden – keine Angabe. Gerade im Elsass hatten viele Atomkraftgegner gefordert, dass die Abschaltung von Fessenheim Schwarz auf Weiß festgehalten wird. Präsident Hollande hatte die Stilllegung bis Ende 2016  angekündigt. Doch der Name Fessenheim taucht nicht auf.  „Das ist ein Versprechen des Präsidenten“, sagte Ségolène Royal nun der Zeitung Le Monde. Vermutlich befürchtet die Regierung enorme  Entschädigungsforderungen von Seiten des börsennotierten Konzerns EDF, würde man die Stilllegung ins Gesetz schreiben.

Die Regierung verfolgt eine andere Strategie. Festgeschrieben in dem Entwurf wird nun eine Kapazitätsobergrenze bei der Atomenergie von 63,2 Gigawatt – das entspricht dem Stand von heute. EDF als Betreiber der Atomkraftwerke und Vermarkter des Stroms soll in Zukunft einen mehrjährigen, nach Energiequellen gegliederten Stromplan vorlegen, der mit dem Gesetz in Einklang stehen muss. Diesen werde dann der Staat (größter Aktionär von EDF mit einem Anteil von 85 Prozent) prüfen. Der erste Plan betrifft den Zeitraum von 2015 bis 2018. In dieser Periode soll der neue Europäische Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal in Betrieb gehen.  Will die EDF dafür vom Staat die Starterlaubnis, wird sie wohl mit Blick auf die Obergrenze ein anderes Kraftwerk stilllegen müssen – etwa Fessenheim.

Royal bezeichnet die Energiewende als wichtigen Hebel Frankreichs zum Ausstieg aus der Krise. Ziel sei es, in den kommenden drei Jahren 100.000 Arbeitsplätze mit Hilfe der Ökologie- und Energiewende zu schaffen. So soll es zum Beispiel für energetische Sanierungen Steuererleichterungen bis zu 30 Prozent geben. Haus- und Wohnungsbesitzer sollen künftig verpflichtet werden, bei Dach- oder Fassadearbeiten solche Sanierungen vorzunehmen. Haushalte mit geringem Einkommen sollen Energieschecks erhalten, die Regionen Eigentümern Kredite geben können, Biogasanlagen gefördert werden. Bis 2030 werden zudem sieben Millionen Aufladestationen für Elektroautos errichtet.

Die Transition énergétique kostet vermutlich 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich: Wie das genau in Zeiten leerer Kassen finanziert werden soll, ist noch unklar. Im Herbst 2014 soll das Parlament über den Entwurf debattieren. Im Jahr 2015, wenn in Paris die UN-Klimakonferenz stattfindet, soll das Gesetz spätestens Wirklichkeit werden.

 

 

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Kompost eisgekühlt

In der New York Times stand, die Teilnahme sei freiwillig. Ich glaube, das war ein Missverständnis. Uns hat jedenfalls keiner gefragt. Eines schönen Frühlingsmorgens stand der kleine Henkelmann vor der Tür. Hellbrauner Plastikkörper mit schneeweißem Griff, überraschenderweise nicht in China gefertigt, sondern in Kanada.

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Ein paar Tage später kam der große Bruder, braun mit orangefarbenem Schnappverschluss, und der Aufschrift „NYC Organic Collection“.

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Sie ahnen es: New York probt den Einsatz der Biotonne.

Dass in den Pilotversuch mit 70 000 Haushalten unser Viertel Park Slope einbezogen wurde, könnte mit dem von mir bereits in einem früheren Blog erwähnten Umstand zu tun haben, dass Bill de Blasio in der Nachbarschaft wohnt, seit Januar Bürgermeister von New York City. Nach monatelangen Zögern ringt sich die Familie de Blasio jetzt allerdings doch zum Umzug nach Gracie Mansion durch, der traditionellen Bürgermeistervilla an der Upper East Side. Dass es dort besser sein soll als hier, können wir stolzen Brooklynites uns nun gar nicht vorstellen.

De Blasio zieht also weg und wir behalten die Biotonne. Ich finde, das ist kein schlechter Tausch. Es war zwar nicht ganz einfach, die empfohlenen kompostierbaren Beutel aufzutreiben, obwohl die Stadt dem Henkelmann vier Coupons unterschiedlicher Hersteller beigelegt hatte. Und es ist wohl auch noch wenig Preisdruck auf dem neuen Markt, denn 25 Beutelchen kosteten 5.49 Dollar. Trotzdem freue ich mich, dass meine Küchenabfälle nun eine sinnvolle Nutzung erfahren.

Mit meiner Zufriedenheit bin ich allerdings ziemlich allein. Die Nachbarn stört ein ganz banaler Umstand: Der Küchen-Kompost stinkt. Für etliche Großstädter ist dies offenbar eine neue Erkenntnis. Und so werden Tipps ausgetauscht, wie sich die Geruchsbelästigung verhindern lässt. Bei einer Umfrage der New York Times empfahlen die einen ein Duftspray der Marke Febreze, aber nur mit Zimtaroma – Vanille verschärfe das Problem. Ob die mit Chemieduft besprühten Abfälle wohl genauso gut rotten wie unbehandelte? Andere Mitbürger verstauen den Henkelmann in der Eistruhe – Kompost eisgekühlt. Bei allem Umweltbewusstsein, wir sind immer noch in Amerika.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Psssssst! Der König ist…

Spaniens König dankt ab – und kurz darauf kündigen acht spanische Karrikaturisten ihren Job. Nicht, weil ihnen ihr Lieblingssujet und somit die Inspiration abhanden gekommen ist, sondern aus Protest: Ihr Arbeitgeber, der Verlag RBA, hatte 60.000 frisch gedruckte Exemplare der Satire-Zeitschrift El Jueves einstampfen lassen, weil auf dem Cover der royale Rentner zu sehen war, wie er seinem Sohn eine ramponierte Krone überreicht.

 

El Jueves Rey

Gemessen am Skandalpotenzial des Königshauses (Elefantenjagd, Corinna-Affäre, Steuerhinterziehung, Korruptionsverdacht und derzeitige Sympathie-Werte von 3,72 auf eine Skala von 1 bis 10)  eigentlich ziemlich harmlos. Dem Verlag aber stank die Karrikatur gewaltig. “Setzt auf keinen Fall den König auf den Titel”, soll die Verlagsleitung die Redaktion angewiesen haben. Die leistete Folge – und fast alle Stammautoren des Blattes gingen.

Schon erstaunlich: Jeder journalistische Instinkt gebietet, das Top-Ereignis der Woche an herausragender Stelle zu würdigen. Dem Verlag RBA aber galt es als Faux-Pas. Und nicht nur dem. In Spaniens Medienlandschaft greift dieser Tage ein Reflex, der schon überwunden schien: Bloss nix Schlechtes über JuanCa, bloss nix gegens Könighaus…

Dass bereits am Abend der Abdankung  in allen grösseren spanischen Städten Zehntausende Spanier die Abschaffung der Monarchie forderten, war den grossen (Print-)Tageszeitungen und staatlichen Rundfunkanstalten nur eine Randnotiz wert. Ein Königshaus-Experte hatte in einer der vielen Talkrunden schon einmal vorausschauend geurteilt, es gäbe jetzt bestimmt viele Bürger, die im Überschwang der Gefühle Dinge sagten (z. B. “España mañana será republicana”  “Morgen ist Spanien republikanisch”) und täten (z. B. demonstrieren und oben genannten Sprechchor anstimmen), die sie eigentlich gar nicht dächten oder wollten. Wer so allwissende Analysten hat, braucht auch keinen Beichtvater mehr.

Ach ja, schon einmal war ein königliches El-Jueves-Cover zensiert worden. 2007 waren auf dem Titel Kronprinz Felipe und Letizia beim Zeugungsakt zu sehen, es ging um das frisch eingeführte (und längst wieder abgeschaffte) Kindergeld. Damals hatte ein Richter darin eine “Ehrverletzung” gesehen und die Auflage beschlagnahmen lassen. So viel Brimborium war diesmal gar nicht nötig. Selbstzensur ist ja so effektiv. Und dazu noch Kosten sparend.

 

 

 

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Vom Führer und siine Fru

Rebellierende Rockstars, Rassisten und ein phillipinisches Pin-up: Es ist High Noon in Kimdotcomland. Das bedeutet verschärftes Fremdschämrisiko. Bisher fühlten wir Deutschen uns am schönsten Arsch der Welt vor peinlicher Polit-Prominenz sicher. Doch wenn Kim Schmitzens Supersize-Skandale weiter eskalieren, muss ich mir ein sicheres Drittland suchen. Oder meine Herkunft verleugnen.

Ausgerechnet mein lokaler Lieblingsmusiker Aaron Tokona steigt als Kämpfer gegen den Gründer der neuen Internet-Partei in den Ring. Der Jimi Hendrix Neuseelands ließ sich wie andere Kollegen von Mr. Mega-Upload für gutes Geld anheuern, um dessen schlechte Musik aufzumöbeln. Die Wochen im Tonstudio waren nicht nur künstlerisch eine Qual, sondern eine bizarre Reise ins Reich Kim des Bösen. Tokona, der den vom FBI gejagten Internet-Krösus vorher als eine Art Robin Hood geschätzt hatte, verlor in kürzester Zeit jeden Respekt vor dem „narzisstischen Megalomaniac“. Der habe angeblich keinen Gang zum Klo ohne Bodyguards bewältigen können, werfe obszön mit Geld um sich und behandele Menschen wie Dreck. So weit, so schlecht, so normal im Showbusiness. Wenn da nicht das unheimliche Deutsche wäre: Narziss oder Nazi?

Das Image klebt an Dotkom, seit er prahlte, Hitlers „Mein Kampf“ zu besitzen und sich als „War of the Worlds“-Fan in SS-Helm ablichten ließ. Letzte Woche dann Tokonas Enthüllung: Im Tonstudio habe Kim fröhlich bei einem von den afro-amerikanischen Produzenten ausgerufenen „Rassistentag“ mitgemacht. Ein Insider-Scherz, der vielleicht ohne Folgen geblieben wäre, wenn der Boss die Musiker – darunter Printz Board von den Black Eyed Peas – nicht mit politisch unkorrekten „Golliwogs“ überrascht hätte. Das sind zu Recht geächtete „Negerpuppen“ aus Kolonialzeiten.

In den USA sind darüber noch keine Proteste entbrannt. Aber der linken Mana-Partei hier im Lande, die hauptsächlich aus Maori besteht, dürfte der Golliwog-Gag aufstoßen. Ausgerechnet mit der bodenständigen Proletarier-Truppe will Dotcoms Partei koalieren, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen – ein Duett, in etwa so stimmig wie Conchita Wurst singend mit dem Papst.

Kaum wurde die braune Wäsche im Wahlkampf gewaschen, da erreichte uns diese Nachricht aus „Coatesville Reichstag“, wie Kims Feinde seine protzige Villa außerhalb Aucklands nennen. „Mona und ich haben uns getrennt“, twitterte Dotcom an seine Fans. Eine „Familienangelegenheit“, er bitte um „Privatsphäre“. Die Mutter seiner fünf Kinder hatte er in einer Bar in Manila kennengelernt. Im Internet kursierten zuletzt Monas voreheliche Nacktfotos aus einem Herrenmagazin. Jetzt wird über die Finanzlage der Internet-Partei spekuliert. Denn Mona, die Handtaschen in der Preisklasse von Kleinwagen liebt, hat Anteile am Dotcom-Vermögen.

Zwei Tage später dann die Schock-Schlagzeile: „Kims exekutierte Freundin tritt im Fernsehen auf“. Was hat unser Big Bad Boy noch alles in petto? Welche Frauenleichen lagern im Party-Keller? War aber diesmal nur Nordkorea. Der kleine Kim.

 

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Schlaglöcher in New York

 

Diese Woche wurde unsere Straße geteert.

Sie fragen sich, wo da der Nachrichtenwert liegen soll? Dann waren Sie noch nie in New York.

Eine anständige New Yorker Straße hat ungefähr alle zwei Meter ein Schlagloch, einen Riss oder einen Buckel. Sie ist bereits 32mal notdürftig repariert worden, was man ihr auch ansieht. Diese Fotos habe ich gestern mal eben auf dem Weg zum Supermarkt gemacht.

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Dabei lebe ich in einem respektablen Brooklyner Viertel namens Park Slope, in dem auch Bill de Blasio zuhause ist, seit Januar neuer Bürgermeister von New York. Es ist nicht ganz abwegig, einen Zusammenhang zwischen seiner Wahl und den plötzlichen intensiven Straßenreparaturarbeiten in Park Slope zu vermuten. Unser Viertel erfreut sich seit der Bürgermeisterwahl gesteigerter Aufmerksamkeit. Seit Januar ist Park Slope auf der Wetterkarte des populären Fernsehsenders NY1 verzeichnet. Auf den Avenuen wurden neue saubere Recycling-Eimer aufgestellt, und wir sind jetzt Pilotbezirk für die Biotonne.

Doch zurück zu den Schlaglöchern. David Letterman, Moderator der Kult-Fernsehsendung Late Night Show, witzelte mal, in New York seien die „potholes“ so tief, dass einige ihre eigenen Andenkenläden hätte. Warum die Straßen so schlecht sind, ist ein auf Stehempfängen gern diskutiertes Thema. Die Republikaner machen die Gewerkschaften verantwortlich und die Demokraten zu niedrige Steuern. In der deutschen Expat-Gemeinde herrscht wie stets die Ansicht vor, dass die Amerikaner „es“ einfach nicht können. Ich halte das schon deshalb für eine Unterstellung, weil ich beispielsweise im Mittleren Westen und sogar im Bergland von Montana ganz ausgezeichnete Straßen befahren habe.

Was immer die Ursache, die Konsequenzen sind eindrucksvoll. Im vergangenen Jahr zahlte New York City wegen schlaglochinduzierter Schäden 5,5 Millionen Dollar Schadenersatz an Autofahrer, enthüllte kürzlich die New York Times. Dafür könnte man eine ganze Menge Straßen reparieren. Tatsächlich sind die Schäden noch viel größer, denn die Stadt haftet erst, wenn sie von der Existenz eines Schlaglochs schriftlich unterrichtet wurde und nachgewiesenermaßen mehr als 15 Tage untätig blieb.

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Der Bundesstaat New York vermeidet solche komplexen Statuten. Dort gilt ein Gesetz, das den Staat von der Haftung durch kaputte Landstraßen komplett freistellt, sofern sich Achsbrüche und Unterbodenschäden von Mitte November bis Ende April ereignen. Das ist sehr wirkungsvoll. 2013 zahlte der Staat New York lediglich 13 386 Dollar an Autofahrer.

Jetzt gibt es eine Initiative, das Gesetz abzuschaffen. Ergriffen hat sie Thomas Abinanti, ein demokratischer Abgeordneter aus Westchester County, einem Bezirk nördlich von New York City. Es ergab sich nämlich, dass Herr Abinanti im Januar auf dem Taconic State Parkway unterwegs war und derart über ein Schlagloch bretterte, dass ein Reifen ersetzt werden musste. Kurze Zeit später passierte ihm das gleiche auf der Interstate 95. Die beiden neuen Reifen kosteten ihn rund 700 Dollar. Das ärgert den Politiker. „Ich verstehe nicht, wie der Staat sich aus der Haftung stehlen kann“, findet er. „Das Gesetz ist unfair.“

Bis sich das notorisch zerstrittene und phlegmatische Parlament in Albany auf eine Revision geeinigt hat, werden aber vermutlich Jahre vergehen. Dann dürfte auch unsere Straße in Park Slope erneut reparaturbedürftig sein, denn der schöne neue Belag fängt an den Rändern bereits an auszufransen. Hoffen wir, dass Bill de Blasio dann noch Bürgermeister ist.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Freedom Rocks – Berliner Mauer Fragmente in Los Angeles

Berliner Mauer Los Angeles

Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
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In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.

“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”

Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks

 

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Kiffer fliegt, Nigella landet

Ich lebe im Land der langen, weißen Rauchwolke. Das ist keine Übertreibung: Die Hälfte aller erwachsenen Neuseeländer hat schon mal einen Joint gepafft. Ist sogar statistisch belegt. Für das Rollen einer stinknormalen Zigarette wird man hier eher sozial geächtet als für das Stopfen seines Pfeifchens. Ja, das sind fast jamaikanische Zustände „down under“ – vor allem an der wilden Westküste, wo die eigene Hanfplantage so systemimmanent ist ist wie der Schrebergarten im Ruhrpott. Nur nicht ganz so legal.

Letzten Samstag, am „J Day“, rauchten daher Tausende von Kiwis in öffentlichen Parks Cannabis, verkauften Gras in Tütchen und demonstrierten für die Legalisierung von Marihuana. Es ist Wahlkampf, und das „Smoke-In“ war der Kampagnenauftakt der Aotearoa Cannabis Partei. Falls sie nicht zu bedröhnt ist, kann sie sich gleich ihres ersten Falles annehmen, der womöglich gar die bilateralen Verhältnisse zwischen Neuseeland und Deutschland belastet: Ein deutscher Austauschschüler versuchte sich in seiner Freizeit unter größter Anstrengung den nationalen Rauchgepflogenheiten anzupassen und soll dafür aus dem Lande fliegen.

Von der Schule flog der arme Kerl bereits. Der 17jährige, der lieber anonym bleiben möchte, war bis vor kurzem internationaler Schüler am Tauranga Boys College. Am 7. März schnappte er sich sein Motorrad und kaufte für 80 Dollar Dope, das er sich mit vier anderen deutschen Jugendlichen in einem Park teilte. Angeblich nahm er nur einen Zug und spürte nichts davon, als er nach Hause fuhr: „Ich konnte nicht richtig inhalieren und musste husten, weil es weh tat. Es war nichts für mich.“

Doch der Schulleiter bekam Wind von den Möchtegern-Kiffern und knöpfte sie sich vor. Dem 17jährigen wurde gesagt, ihm drohten keinerlei Konsequenzen, solange er die Wahrheit sage. Kaum hatte er gebeichtet, flog er jedoch 24 Stunden später von der Schule. Damit droht ihm auch die Abschiebung aus dem Lande, falls er nicht eine neue Schule findet.

Seine Familie argumentiert, dass der Junge bereits in seiner Gastfamilie in Tauranga mit Marihuana in Kontakt gekommen sei. Seine Unterstützer sind empört, dass an ihm ein Exempel statuiert und mit zweierlei Maß gemessen würde: Kein Kiwi-Kid fliege wegen eines Joints von der Schule, falls er außerhalb der Schule geraucht würde und niemand Schuluniform trüge. Das sei allein Sache der Polizei.

Am Wochenende reiste übrigens Fernsehköchin Nigella Lawson unbehellingt in Neuseeland ein. In die USA lässt man die Britin dagegen nicht mehr, seit sie gestand, die ein oder andere Nase Koks und ein paar Lungenzüge Gras genommen zu haben, als es ihr schlecht ging. Wer woanders nicht einreisen darf, bekommt auch kein Visum für Neuseeland. In ihrem Fall machten die Behörden jedoch eine Ausnahme – Nigella muss in Aotearoa einen Werbespot für eine Schokoladenfirma drehen. Solange sie keine Haschkekse backt, ist alles im grünen Bereich. Neue Hoffnung für den Abschiebe-Schüler?

 

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Conchita ist es Wurst

Wieder einmal findet der European Song Contest in Nordeuropa statt und wie letztes Jahr kümmere ich mich ein paar Tage nur am Rande um Wirtschaft und Hochkultur, sondern widme mich vor allem Europas größter Fernsehshow und allem, was drumherum so passiert. Besonders telegen ist die Österreichische Teilnehmerin Conchita Wurst. Groß, Wespentaille und Riesenwimpern – da spielt jemand mit dem Klischee des (Barbie-)Püppchens.

Wurst ist die weibliche Rolle von Tom Neuwirth und nicht nur in Kopenhagen, um zu singen, sondern auch, um für Toleranz zu werben – eigentlich seit langem ESC-Tradition. Einigen Osteuropäern missfällt das und womöglich auch einigen Westeuropäern. Es kam zu Boykottaufrufen, weil die sexuelle Orientierung als nicht telegen angesehen wurde.

Conchita Wurst lässt sich davon nicht allzu sehr berühren. Morgen tritt sie im zweiten Halbfinale auf. Ich habe Conchita Wurst schon einmal in Kopenhagen getroffen und für The Wall Street Journal interviewt. Den Text und sogar ein Video gibt es hier. In dem Film erklärt sie übrigens, was es mit ihrem Namen auf sich hat und was ihr Wurst ist.

 

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“We want Jürgen!” US-Fußball-Fans in Klinsmann-Euphorie

Klinsi-Ultra-Fan

Seit Juli 2011 ist Jürgen Klinsmann Coach der US-Nationalmannschaft. Sein Anfang war etwas holprig, voller Experimente und deshalb auch mit einigen schwachen Spielen. Doch im Gegensatz zum Rest der Welt, wo das zur Ruck-Zuck-Entlassung des Trainers geführt hätte, bekam in den USA kaum jemand was mit vom schwachen Start. Die Stadien waren halb leer, nur eine Handvoll Reporter – davon mehr als die Hälfte von hispanischen Medien – berichtete darüber und die raren Fernsehübertragungen der Spiele schaltete sowieso kaum jemand ein. Trotzdem gab es einen Spieleraufstand – die alteingesessenen Profis fühlten sich übergangen und US-Spieler insgesamt ungerecht benachteiligt gegenüber Neuzugängen mit doppelter Staatsbürgerschaft aus Zentralamerika und Europa.

Doch jetzt ist alles anders und viel besser im US-Fußball, der hier ‘soccer’ genannt wird. 16 Mal haben die USA während der WM-Qualifikation gewonnen, davon zwölf sogar in Serie am Stück. Das gab’s noch nie in der Verbandsgeschichte. Sie haben den Gold Cup gewonnen und sich frühzeitig für die WM qualifiziert. Halb leere Stadien gibt es nicht mehr. Dafür sorgen die ‘American Outlaws’ – eine Fanorganisation, die vor ein paar Jahren von 40 Fans in Nebraska gegründet wurde. Ländlicher als Nebraska geht’s eigentlich nicht mehr. Football mag man da und NASCAR-Autorennen. Fußball? Das ist was für Weicheier! Deshalb auch der Name ‘Outlaws’ – Außenseiter ja! Weicheier nein! Zu jedem Spiel der Nationalelf reisen sie, inzwischen zu Tausenden. Insgesamt haben sie über 17 tausend Mitglieder in rund 150 Ortsverbänden. Gemeinsam marschieren sie von der Vor-Party auf dem Parkplatz in die Stadien, singen stehend 90 Minuten lang patriotische Fußballsongs – und LIEBEN Jürgen Klinsmann.

https://soundcloud.com/soundslikerstin/we-want-j-rgen-us-soccer-coach

Beim ausverkauften Freundschaftsspiel gegen Süd Korea hab ich das selber miterlebt. Mehr Stimmung gibt’s auch in deutschen Stadien nicht. Von den Fans, die ich dort getroffen habe, werden mehr als 600 nach Brasilien reisen, um das Team bei der WM anzufeuern. Die Outlaws haben Flugzeuge gechartert und Hotelzimmer reserviert, um der Nationalelf gemeinsam zu folgen. Auch das ist eine absolute Neuheit für den US-Sport. Das gab’s noch nie im Fußball und gibt es in keiner anderen Disziplin. Football, Basketball, Baseball, Eishockey haben starke lokale Fanclubs. Bei Olympischen Spielen können Basketball und Eishockey Patriotismus wecken, aber rund ums Jahr einer Nationalmannschaft hinterherreisen? Das gibt’s sonst nirgendwo.

Klinsi Fans

Dass es so gut aufwärts geht mit dem US-Fußball hat auch viel mit dem Trainer zu tun, da sind die Fans sicher. Klinsmann öffnet Türen – zu Spielen auf höchstem internationalem Niveau, zu Spielern im Ausland, die ins US-Nationalteam wollen und zu Veränderungen im System, die Nachwuchs fördern. Deshalb lieben sie ihn.

Am 26. Juni trifft Klinsmanns Elf auf die von seinem ehemaligen Ko-Trainer Joachim Löw. Klinsi sagt: er wird beide Hymnen singen aber danach ist für 90 Minuten Schluß mit der Freundschaft. Er will nichts lieber, als an dem Tag Deutschland besiegen.

 

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Safety in Paradise

Seit die Malaysia-Maschine vom Radar verschwand, macht man sich vor dem Fliegen so seine Gedanken. Ich bin in den in den nächsten Wochen viel im Lande unterwegs. Meine Vorkehrung heißt:  Spruchbänder und Megafon ins Handgepäck. Vielleicht noch  Proviant, falls wir gar nicht abheben. Denn in den ersten Minuten an Bord könnte es zu Tumulten kommen. Von Menschen, die aus Protest aufstehen und demonstrativ den Rücken zu den Bildschirmen drehen. Dann ist Solidarität gefragt. Denn dann zeigt Air New Zealand sein neuestes Sicherheitsvideo.

Normalerweise sind diese Bordfilmchen kulturelle Großereignisse. Kiwis sind immer sehr happy, ihr schönes Land beworben zu sehen. Unsere nationale Fluglinie lässt sich stets was Feines einfallen: Stewards in Bodypaint oder Rugby-Stars. Doch diesmal bin ich aufs Schärfste vorgewarnt. Das neue Air-New-Zealand Video ist ein Eklat. Es ist sexistisch. Es ist der diesjährige Aufreger der antipodischen Luftfahrt. Ein Schocker, der die Titelseiten dominierte, während Kim Dotcom kurze Verschnaufpause machte. Dazu Schlagzeilen von Sydney bis CNN: „Turbulenzen für Air New Zealand“!

Ich bin aufs Schlimmste gefasst, als ich endlich in die nächste Maschine steige. Mit internationaler Frauenpower gewappnet schnalle ich mich an. Vielleicht sollte ich aus weiter Ferne live an #aufschrei tweeten? Davon muss die Welt erfahren. Das Video springt an: „Safety in Paradise“. Polynesische Musik erklingt. Ich traue mich kaum, hinzugucken. Vier Schönheiten aus dem „Sports Illustrated“-Sortiment flanieren auf dem Sand der Südseeinsel Rarotonga. Eine Unverschämtheit: Auf den Cook-Inseln sieht es nicht überall so paradiesisch aus! Aber um Postkartenklischee contra polynesische Realität geht es jetzt nicht. Also doch hingeschaut. Tut auch kaum weh. Die Models werfen verführerisch die Haare zurück, schlürfen aus Strohhalmen Kokossaft und demonstrieren nebenbei, wie der Anschnallgurt zwischen Tanga und Blumenkette straff sitzt. Vier Minuten lang weichgespülte Bikini-Posen. Ich hab’s überlebt. Die Langnese-Spots früher waren auch nicht schlimmer.

Ginge es nach Deborah Russell, Dozentin an der Massey Universität, wäre mir dieser Affront besser erspart geblieben. „Safety in Paradise“ schade der Sicherheit der Frau, so die feministische Streiterin. Leider hat sie wohl übersehen, dass in dem hirn- und harmlosen Filmchen auch ein paar Island Boys vorkommen – knackig, dumpfbackig und natürlich nackt bis zur Hüfte. Sie bestechen auch nicht gerade nur durch ihr Hirn. Aber egal. Wollen wir nicht kleinlich sein, wenn’s ums Große geht.

Der Sturm über den Wolken schlug Wellen: 1,2 Millionen Klicks des Videos auf YouToube in nur fünf Tagen. Vielleicht bleibt neben der knappen Bademode auch die wichtigere Botschaft hängen: Notausgänge, Atemmaske, Schwimmweste! Noch ist die Nacktfleisch-Kalkulation nicht ganz aufgegangen. Ein früherer Air-New-Zealand-Spot mit „Golden Girl“-Star Betty White erzielte weit mehr Zuschauer. Die alte Dame ist 92 und komplett bekleidet.

 

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Basteln an Frankreichs Karte

 

Frankreichs Landkarte war in den vergangenen Wochen oft in den Zeitungen und im Fernsehen zu sehen. Sie war unterlegt mit Farben für die Regionen, versehen mit Pfeilen, die in verschiedene Richtungen zeigten. Der Grund: Staatspräsident François Hollande hätte die Karte gerne ein wenig anders.

Der Präsident kritisiert die Verwaltungsstruktur im Land mit ihren drei Gebietskörperschaften: Im Mutterland existieren 22 Regionen, 96 Departements und über 36700 Gemeinden. „Die Organisation der Verwaltung ist zu kompliziert, zu schwer, zu teuer“, sagte der Präsident. Seine Kritik ist nicht neu. Immer wieder verweisen Experten auf den aufgeblähten Verwaltungsapparat. Die Bürger wüssten längst nicht mehr, wer für was zuständig sei. Nicht selten kommt es vor, dass sich Kommune, Departement und Region um dasselbe kümmern – etwa beim Tourismus oder bei der Wirtschafts- und Kulturförderung.

Ziel der französischen Regierung ist es nicht nur, das Wirrwarr an Kompetenzen zu beenden. Die Krise, in der das Land steckt, verlangt auch, bei den öffentlichen Ausgaben zu sparen. Fusionieren die Regionen, gibt es weniger Abgeordnete und weniger Beamte. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Regionen fit zu machen. Sie bräuchten mehr Gewicht in Europa, heißt es immer wieder. Sie litten an Kompetenzschwäche und an zu wenig Mitteln, um ihre wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben zu können. Frankreich brauche eine Art „Deutsche Bundesländer à la française“.

Tatsächlich haben die französischen Regionen viel weniger Kompetenzen als die deutschen Länder. Sie sind zum Beispiel verantwortlich für Raumplanung, Berufsausbildung, den regionalen öffentlichen Schienenverkehr oder für die Finanzierung, den Bau und den Unterhalt der Gymnasien. Für die Collèges (Sekundarstufe I) allerdings sind die Departements zuständig, für die Grundschulen die Kommunen. Ein verwirrender Unsinn, sagen Kritiker.

Noch ist kein konkretes Datum für Fusionen gefallen, und vor den Regionalratswahlen im kommenden Jahr wird man sowieso noch abwarten mit genauen Plänen. Allerdings ist eine Zahl im Gespräch: Aus den 22 Mutterland-Regionen könnten 15 werden.  Auch diese Zahl ist nicht neu. Immer wieder gab es Berichte und Arbeitsgruppen. Bereits Präsident Nicolas Sarkozy wollte Änderungen bei den Gebietskörperschaften und beauftragte Edouard Balladur im Jahr 2009, Vorschläge zu unterbreiten. Die Planer skizzierten eine Landkarte, die unter anderem so aussah: Eins wurden die beiden Regionen der Normandie (Haute-Normandie  und Basse-Normandie), die Bourgogne und Franche-Comté sowie die Departement Loire-Atlantique und die Bretagne. Auch das Elsass und Lothringen sollten zusammengehen wie Aquitaine mit Poitou-Charentes. Zudem war eine Aufspaltung der Picardie in der Diskussion. 600 Millionen Euro sollten dadurch jährlich gespart werden.

Viele Franzosen haben Vorbehalte gegenüber diesen Gebietsehen – nicht nur wegen der Mentalitätsunterschiede. Eine Fusion der Bretagne und des Departements Loire-Atlantique dürfte einen Hauptstadtstreit zwischen Rennes und Nantes auslösen, eine Fusion der beiden Normandien eine Debatte, ob die Präfektur in Rouen oder Caen sitzen soll. Und natürlich werden Abgeordnete um ihre Posten kämpfen: „Die Barone halten an ihren Hochburgen fest“, kommentierte die Zeitung Le Parisien. Deswegen soll das Prinzip der Freiwilligenheirat gelten. Allerdings wird überlegt, fusionswillige Regionen mit Boni zu belohnen.

Eine Fusion kann nicht einfach von oben entschieden werden: Ein Gesetz zur Dezentralisierung von 2010 verlangt, dass die Bürger befragt werden. Mindestens 25 Prozent der im Wahlverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten in beiden Gebietskörperschaften müssen an dem Referendum teilnehmen. Damit es zur Fusion kommt, braucht es mehr als 50 Prozent der Stimmen.

Manche fordern inzwischen, die Departements ganz abzuschaffen und mit den Regionen zusammenzulegen – so der Vorsitzende der konservativen Partei UMP, Jean-Francois Copé. Statt 6000 Abgeordnete für die General- und Regionalräte zu bestimmen, könnten es in Zukunft dann nur noch 4000 Regionalräte sein. Mit diesem Schritt könne man Milliarden sparen, behauptet Copé.

Präsident Hollande sprach sich bereits gegen die Abschaffung der Departements aus: Die Departements, vergleichbar mit den Kreisen in Deutschland, dienten dem sozialen Zusammenhalt, sagte er. Tatsächlich haben sie die Gesamtverantwortung für die Gewährleistung staatlicher sozialer Hilfen. Gerade für die ländlichen Gebiete sind sie wichtig, denn sie unterstützen die Gegenden, die weit entfernt sind von den Wirtschaftszentren.

„Eine Abschaffung der Departements wäre ein großer historischer Fehler“, sagt der Demograph Hervé Le Bras. Sie seien sehr sorgfältig und wohl überlegt bereits in den Jahren der Französischen Revolution zugeschnitten worden. „Fährt man raus aus der Region Ile-de-France, sind die Departements Teil dessen, wie die Franzosen ihr Land verstehen“, sagt Le Bras. Dass die Franzosen an ihnen mehr hängen als an den Regionen, hätte die Einführung der neuen Autokennzeichen gezeigt. Als bekannt wurde, dass die Departement-Nummer in Zukunft fehlen würde, gab es fast einen Aufstand. Daraufhin wurde beschlossen, dass auf dem Schild ein Eck für das Departement bleiben durfte.

 

 

 

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Neue Heroinwelle erfasst Amerika

Es begann damit, dass ein Nachbar 311 wählte und sich über Lärm beschwerte.

Zwei Polizisten klingelten darauf hin an der Haustür von Frank Giardina. Der Mann empfing sie freundlich, eine schmauchende Pfeife in der Hand. Den Gesetzeshütern kam der Geruch verdächtig vor. Was in der Pfeife drin sei, wollten sie wissen. Die freimütige Antwort: „Ach, das ist Gras“ – Marihuana. Nun fanden es die Uniformierten an der Zeit, die Personalien des Mannes festzustellen. Der blieb ein Gentleman und bat die Polizisten in die Wohnung, während er seine Papiere suchte. Auf dem Küchentisch: ein Berg von Heroin. Über fünf Pfund waren es, wie die Wägung später ergab, mit einem Marktwert von mehr als 400 000 Dollar. Mr. Giardina war offenbar so high, dass er geglaubt hatte, die Polizisten würden das Pulver höflich übersehen.

Als Szene in einer Kriminalkomödie ließe sich über den tumben Drogenhändler kräftig lachen. Doch die Geschichte hat sich nach einem Bericht der New York Times vergangenen Woche tatsächlich zugetragen, im New Yorker Stadtteil Queens, in einem Viertel, das die Polizei bis dato für drogenfrei gehalten hatte. Sie steht, leider, für einen beunruhigenden Trend: Heroin ist in den USA wieder auf dem Vormarsch. Und das, nachdem es lange Zeit so schien, als seien die Gefahren der Droge so bekannt, dass sie dauerhaft zur Randerscheinung würde.

Als am 2. Februar der Schauspieler und Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffman an einer Überdosis starb, nachdem er über 25 Jahre clean gewesen war, machte das Schlagzeilen. Doch für den steigenden Konsum von Heroin sind weniger rückfällige Alt-Junkies verantwortlich. Vielmehr sind es junge Leute, die die 1970er und 1980er Jahre höchstens noch aus Filmen kennen und verheerende Suchtfolgen wie Verelendung, Prostitution und Tod verdrängen. Das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft hat, was den Konsum harter Drogen angeht, nachgelassen.

Ein Bericht des Weißen Hauses von diesem Februar nennt alarmierende Zahlen: 2006 gaben Amerikaner für Heroin schätzungsweise 21 Milliarden Dollar aus, 2010 bereits 27 Milliarden (neuere Zahlen liegen nicht vor). Die Zahl der Junkies wuchs im gleichen Zeitraum von 1,2 auf 1,5 Millionen. Auch die Menge des – vor allem an den südwestlichen Grenzen der USA – beschlagnahmten Heroins stieg steil an, von 1867 Kilogramm im Jahr 2007 auf 3291 Kilogramm 2010.

Es ist nicht nur ein Problem der Großstadt. In  ländlichen Gebieten ist Heroin auf dem besten Weg, die illegalen Schmerzmittel abzulösen, die die dortige Drogenszene lange dominiert haben. Der Gouverneur des Bundesstaats Vermont, Peter Shumlin, widmete dem Problem Anfang Januar seine komplette Neujahrsansprache. Er sprach von einer „ausgewachsenen Heroin-Krise“, die Einwohner „in jeder Ecke des Bundesstaats“ bedrohe. Die Zahl der Drogentoten steige kontinuierlich und habe sich 2013 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Fast 80 Prozent aller Gefängnisinsassen seien süchtig. Jede Woche werde Heroin im Wert von zwei Millionen Dollar nach Vermont geschleust.

Es kommt vor allem aus Mexiko und wird zu Preisen gedealt, bei denen der Einstieg leicht fällt: In Großstädten kostet ein Beutelchen rund sechs Dollar. Auf dem Land lässt sich mehr verlangen, weshalb ein regelrechter Dealer-Tourismus nach Neuengland eingesetzt hat. Dass die Droge billig ist, ist freilich nicht der einzige Grund für ihre Renaissance. „Wer Drogenabhängigen zuhört, weiß, was viele in die Sucht treibt: Hoffnungslosigkeit und ein Mangel an Chancen“, sagt Gouverneur Shumlin. Die zunehmende Ungleichheit und die Rezession der vergangenen Jahre, für viele mit Arbeitslosigkeit und Zwangsversteigerung verbunden, haben der Drogenmafia neue Kundschaft beschert.

In Vermont will der Gouverneur nun mehr Geld für Prävention und frühzeitige Behandlung von Abhängigen zur Verfügung stellen. Vor allem aber rief er seine Mitbürger auf, Drogenkonsum nicht in erster Linie als Verbrechen, sondern als Krankheit zu sehen. Eine neue Erkenntnis ist das eigentlich nicht, doch vielleicht gilt auch hier, dass das kollektive Gedächtnis nach Jahrzehnten eine Auffrischung braucht. Für Frank Giardina allerdings, den Gentleman-Dealer aus Queens, kommt sie wohl zu spät.

Christine Mattauch

 

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Panik vor Iren im Suff

Morgen steht uns der Tag des heiligen Patrizius ins Haus. Oh dear – oh Danny boy! Mangels Töchtern schließe ich wohl besser die Hündin weg. St. Patrick’s Day, der Nationalfeiertag der Iren, ist weltweit eine karnevaleske Ausgeburt an froschgrünen Hüten, Gnomen-Bärten, Kleeblättern und Fideln. Diese feucht-folkloristischen Umtriebe kleiner Immigranten-Gemeinden konnte man bisher getrost ignorieren. Aber seit dem Erdbeben, das letzten Monat seinen Dreijährigen feierte, ist das Volk komplett iritisiert – also von Iren irritiert. Statt mit all den Paddys fröhlich ein Ale zu trinken, schieben wir lieber Panik. „Hibernophobie“ heißt das korrekt – Angst vor den Auswanderern von der grünen Insel.

Anti-irische Stimmung weltweit gibt es schon seit dem Mittelalter, denn die Iren waren stets ein Immigrantenvolk. Hunderte von keltischen Bauarbeitern lockte auch der Wiederaufbau Christchurchs. Oft teilen sie sich zu mehreren eine Bude. Das stößt Vermietern auf, die Spuren exzessiven Alkoholkonsums auf ihrer Auslegeware befürchten. Auf der größten Baustelle der südlichen Hemisphäre sind die zugereisten Handwerker als harte Arbeiter beliebt, aber nach Feierabend vor allem für eines berüchtigt: Spaß, Suff und Sex.

Letztes Jahr kam es nach einem Rugbyspiel zum Eklat. Die irischen Zuschauer im AMI-Stadion seien die größten „trouble maker“ gewesen: fünf Verhaftungen, 16 Rausschmisse und 30 Fans, die wegen ihres Alk-Pegels erst gar nicht reingelassen wurden. Der Polizeikommissar tönte danach öffentlich, Christchurchs Iren hätten „große Probleme“ mit Alkohol. Welch ein Schock, welch ein Affront in Aotearoa, dem Land der konsequenten Abstinenz, wo besonders in jungen Jahren das als „binge drinking“ bekannte Kampftrinken schärfstens verpönt ist! Kiwis sind auch im Ausland für ihre vorbildliche Nüchternheit bekannt. Davon kann man sich besonders beim Münchner Oktoberfest, bei den Anzac-Feiern in der Türkei und beim Londoner „pub crawl“ am Waitangi Day überzeugen. Oder hat man sie dort immer mit den Australiern verwechselt?

Seit dem Rugby-Krawall wehren die Iren sich gegen ihr schlechtes Image. Anfangs wurden sie nur mit Klischee-Sprüchen genervt – „sag doch mal ‚fiddle-dee-dee potatoes‘ mit deinem lustigen Akzent, haha!“ -, und Christchurchs Single-Frauen sind den gut verdienenden und gut gelaunten Kerle trotz oder wegen ihrer Aussprache durchaus zugeneigt. Aber seit Monaten hat sich das Stereotyp gewandelt. Das ging so weit, dass ein irischer Zimmermann sich an die Behörden wandte, weil er auf seiner Arbeitsstelle ständig angepöbelt wurde. Man sprach ihm schließlich 13.000 Dollar Schmerzensgeld zu.

Geld allein wird jedoch nicht reichen, um die größte Gefahr zu bannen, die angeblich von den Söhnen Irlands ausgeht: Geschlechtskrankheiten. Laut Gesundheitsamt explodiert gerade die Zahl der irischen Patienten, die wegen Chlamydien und Gonorrhoea in Behandlung sind. Hilfe! Nächste Woche besser nichts Grünes tragen und Beine fest zusammen.

 

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Im Ausland ist alles so anders…

Au weia, erst können die Russen kein Englisch und dann ist auch alles noch “ganz anders als in Deutschland”. “Verloren” fühlten sich die eingeflogenen Reporter! Das muss ein Schock für die Kollegen vom Spiegel gewesen sein. Einer, der immerhin die erste Seite wert war.

IMG_2332Hoffentlich konnte Kollege Bidder aus Moskau den eingeflogenen Reportern ein bisschen unter die Arme greifen, eventuell gar in der Landessprache das Fremdeln erleichtern.

Um künftige traumatische Erlebnisse in der Fremde zu vermeiden empfehlen wir: Freie Korrespondenten im Lande (wie sie zB über das Weltreporternetzwerk leicht zu finden sind), kennen sich gut aus, sprechen die örtliche Mundart und haben bereits funktionierende Internetanschlüsse.

 

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Sama Wareh – Hoffnung und Kunst für syrische Kinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.

“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”

 

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Nicht nur ein schlechter Traum

Gestern war der sechste Tag, an dem Peking unter einer fetten Smogglocke lag. Sechs Tage, an denen die Sonne wie in einem apokalyptischen Film nur als fahle Scheibe am braun-grauen Himmel klebte. Das sieht nicht nur schlimm aus, sondern fühlt sich auch so an. Wenn reine Luft zum Atmen fehlt, werden Menschen nervös, reizbar, depressiv oder krank.

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Inzwischen auch wütend und aufmüpfig. Die chinesische Regierung hatte zwar viel versprochen, als sie im Oktober 2013 ein Aktionspaket gegen die Luftverschmutzung vorlegte. Doch passiert ist dieses Mal so gut wie nichts. Einige wenige Fabriken wurden geschlossen, das war’s. Regierungsautos blieben nicht in der Garage, Schulen wurden nicht geschlossen. Der Trick war einfach – die offiziell verkündeten Luftwerte lagen unter dem notwendigen Grenzwert. Die tatsächlichen freilich weit darüber.

Gestern Nachmittag erreichte mich eine SMS aus Deutschland. „Wie lange haltet ihr es da noch aus?“, lautete sie. Gute Frage. In Phasen, wo der AQI (Air Quality Index) permanent im tiefroten Bereich verharrt, will man natürlich nur eines: weg. Doch noch (!) gibt es sie, die Tage mit knallblauem Himmel, an denen die AQI-App auf meinem Handy dieses hübsche Froschgrün für gute Luft anzeigt. Und es sind gar nicht mal so wenige. Mit der aufgehenden Sonne steigt die Stimmung, alles geht einem leichter von der Hand. Heute ist so ein Tag. Über Nacht hat ein kräftiger Nordwind eingesetzt, der Peking von dem gesundheitsgefährdeten Feinstaub befreit hat.

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Dann guckt man aus dem Fenster, und denkt, es war alles nur ein schlechter Traum. Leider kehren Albträume öfter wieder als einem lieb ist.

 

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Im Netz von Kim dem Großen

Ich lebe nicht mehr in Neuseeland, sondern in Kimdotcomland. Es vergeht keine Woche, in der der berühmteste Deutsche im Lande mich nicht auf Trab hält. Seit dem algerischen Flüchtling und vermeintlichen Terroristen Ahmed Zaoui hat kein Fremder mehr diese Nation so aufgemischt, und das ist zehn Jahre her. Keiner außer Kim Dotcom, geboren Kim Schmitz. Kein Grund mehr zum Schämen, sondern Trittbrettfahren. Vielleicht sollte ich „embedded journalist“ in der Schlacht um das Reich Kim des Großen werden?

Es gehört zu meiner Korrespondentenpflicht, Schmitzens alte Heimat – voran die demnächst als Pilgerstätte geplante Wiege Kiel-Mettenhof – an dieser Stelle regelmäßig über den Wirbel zu unterrichten, den Mr. Mega-Upload inszeniert. In den Buchläden steht seine Biographie, „The Secret Life of Kim Dotcom“, mit einem Cover, das einen von Supermächten gejagten Weltall-Messias suggeriert. Auch von Aucklands Bussen grinst er breit, neben dem Titel „Good Times“: Kims neuer Song, dem Musikkritiker halbe Seiten gewidment haben, wenn auch nicht nur anbetend. „Ansteckend wie ein Tripper“ seien die Beats, der Text so „dumpf wie ein Eimer Sand“.

Bei so viel dubioser Promi-Präsenz bitte nicht angewidert wegklicken, sondern mit mir den Platz in der ersten Reihe einnehmen. Die Show geht jetzt erst richtig los. Wann jemals wieder wird es diese transkontinentale Achse der Internet-Befreiungsfront geben? Welcher Landsmann wurde je im Exil mit solchem Tamtam gefeiert und gleichzeitig vom FBI gejagt? Also: hinsetzen und megamäßig staunen, was man mit Chuzpe, Bullshit, dickem Polster und schlauen PR-Beratern alles aus sich machen kann. Oder zu deichseln versucht, um seine Auslieferung in die USA zu verhindern.

Sollte ich plötzlich nicht mehr auftauchen, dann gibt es dafür nur einen Grund: Auch ich bin plötzlich in „Dotcoms Netz“ gefangen. So nennen es hier die Zeitungen. Gerade kam heraus, dass Grünen-Chef Russel Norman Meetings mit dem digitalen Sonnenkönig hatte, um ihm die Gründung seiner Internet-Partei auszureden. Für die würde laut Umfrage jeder Fünfte im Lande stimmen. Dafür versichert die Opposition dem jetsettenden Anti-Öko, der dicke Wagen im PS-Rausch liebt, Unterstützung im Kampf gegen Hollywood. Auch der ehemalige Außenminister Winston Peters war mehrfach in Kims Villa. Über die Treffen schwieg er sich aus, es sei „Vertraulichkeit“ vereinbart worden. Er wiederum behauptet, von offizieller Seite beschattet worden zu sein. Der reinste Politthriller. Ende offen, in jeder Hinsicht.

Sollte dieser Blog plötzlich Aussetzer haben, was so tief embedded im Jahr des Großen Kim wahrscheinlich ist, dann steckt der neuseeländische Geheimdienst SIS hinter der Störung. Die Spionage-Firma ist zwar ab sofort in den Händen einer kompetenten und menschlich astreinen Frau. Aber trotz neuer Chefin traue ich den Agenten, die Dotcom illegal abhörten, alles zu. Wenn Menschen oder Texte verschwinden, liebe Whistleblower: Ich habe an dieser Stelle gewarnt. Bis dahin „Good Times“!

 

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Alltag am pazifischen Feuerring

Es rieselt so leise wie Schnee und sieht in der ersten Morgendämmerung auch fast so aus, wenn die Blätter von Bananenstauden und Hibiskusbüschen schwer beladen unter einer hellgrauen Ascheschicht tief hinunterhängen. Leider hören da die Ähnlichkeiten auch schon auf. Schnee verteilt sich nicht bei jedem Luftzug in jeder Ritze des Hauses, zwischen Autositzen und auf dem Spielzeug meiner Kinder. Auch brennt Schnee nicht so in Nase und Augen wie die warme Vulkanasche, die uns heute über Nacht komplett zugedeckt hat. Dabei wohnen wir in der zentraljavanischen Stadt Yogyakarta 200 Kilometer entfernt vom wenig bekannten Vulkan Kelud, der gestern allerdings explodierte wie ein ganz Großer. Der Knall sei auch bis hierher zu hören gewesen, behaupten die Nachtwächter. Dem Dreck zu entkommen, ist gar nicht so einfach – alle Flüge sind bis auf Weiteres gecancelt, Zugtickets aus der Stadt waren am Mittag bereits ausgebucht und über Land fahren ist keine gute Idee: selbst im Schritttempo wirbelt jedes Fahrzeug so viel Staub auf, dass man nur noch wenige Meter weit sieht. Schule fiel heute aus, viele Büros waren geschlossen und die sonst so überfüllten Straßen beängstigend leer – Weltuntergangsstimmung. Bleibt zu hoffen, dass der Vulkan sich bald wieder beruhigt, der Wind dreht und ein großer Regen alles wieder sauber wäscht. Sonst müssen wir bald Animateure für unsere quengelnden Kinder engagieren, die sich momentan rund um die Uhr im klimatisierten Schlafzimmer verschanzen müssen. Noch ein Gegensatz zum Neuschnee, bei dem selbst jeder Stubenhocker hinausrennt.

 

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Krawall im Sperrbezirk

Alice Schwarzer ist zwar weit weg, aber Nuttenalarm haben Neuseeländer auch – wenn frau das so salopp sagen darf. Unsere Probleme mit der Prostitution sind jedoch anderer Natur. Genauer, seismischen Ursprungs. Seit wir keine richtige Stadt mehr haben, weil vor drei Jahren ein Erdbeben Christchurch platt machte, haben auch die Sexarbeiterinnen ihren sicheren Arbeitsplatz verloren.

Kurze historische Nachhilfe: Neuseeland hat vor elf Jahren die Prostitution entkriminalisiert und ist seit der Reform schwer fortschrittlich, was das älteste Gewerbe der Welt betrifft. Fürsorglich geradezu. Aber wo seit dem Beben keine richtige Straße, da auch kein Strich:  In der dunklen, halbabgerissenen Geisterstadt, der unbewohnten „Roten Zone“ von Christchurchs Zentrum, will sich nachts keine Straßenschwalbe mehr einnisten. Zu unheimlich. Der Stadtrat will jetzt darüber entscheiden, wo die Frauen flanieren dürfen – und muss für ausreichende Beleuchtung und Sanitäranlagen sorgen.

In der Zwischenzeit jedoch hat sich der Strich von der Innenstadt in ein Wohnviertel an der nördlichen Manchester Street verlagert. Und da flogen die Fetzen, als das horizontale Treiben unter freiem Himmel letztens einer Anwohnerin zu bunt wurde: Die Frau, in ihren 50ern, schlug eine Prostituierte in ihrem Vorgarten nieder. Dort fand sie immer öfter Kondome und Fäkalien, von der Geräuschkulisse ganz abgesehen. Sie hatte ihr Opfer und deren Kollegin zuvor konfrontiert, worauf die beiden auf die Hausbesitzerin losgingen. Die Prostituierte zog den Kürzeren und musste ins Krankenhaus.

Seitdem wird an allen Fronten vermittelt. Aber das Problem besteht, solange der Wiederaufbau läuft. Berühmt ist mittlerweile der Fall der Straßenarbeiterin, die sich mit ihrem Hund, ihrer Matratze und einem Stapel Liebesroman-Heftchen auf den interkonfessionellen Friedhof an der Barbadoes Street verzog. Das Stöhnen ihrer Kunden störte jedoch die Bewohner des Nachbargrundstücks, die die Polizei riefen.  Sie konnte jedoch nichts ausrichten, da der Friedhof öffentlich ist – siehe progressives Prostitutionsgesetz. Erst als Tierschützer alarmiert wurden, um sich um den angeblich verwahrlosten Hund zu kümmern, räumte die Dame das Feld. Oder das Grab.

Anna Reed, Sprecherin des Prostituierten-Kollektivs, hat inzwischen neue Sorgen: Durch die vielen ausländischen Bauarbeiter in der Stadt aus „anderen Kulturen“ würden ihre Kolleginnen schlechter behandelt, öfter bedroht oder betuppt – „weil sie glauben, dass wir als ‚gemeine Nutten‘ nicht zur Polizei gehen würden, wie in so vielen anderen Ländern.“ Da haben die fiesen Freier aber nicht mit Christchurchs Beamten gerechnet. Das Gesundheitsamt gab prompt eine Broschüre heraus, die erklärt, wie das in Neuseeland korrekt läuft mit dem bezahlten Sex und wo es entsprechend Rat und Hilfe gibt. Sie wird in Backpacker-Hostels, Herbergen und auf Baustellen verteilt. Damit auch niemand zu kurz kommt, liegt jedem Heftchen ein Kondom bei. Nur bloß nicht in den Vorgärten entsorgen!

 

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Cornelia Funke spukt im Getty Museum

Es begann bei einer Party, erzählt mir Cornelia Funke bei einem Espresso im Büro von Thomas Gaehtgens, dem Leiter des Getty Research Centers. Einer Party, zu der sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil die super erfolgreiche Schriftstellerin gar nicht auf Hollywood-Partys steht. Aber sie ließ sich überreden.
“Und wen sehe ich als Erstes kaum komme ich zur Tür rein?” Der Ton legt nahe, dass es sich um ein dreiköpfiges, schielendes, sabberndes Monster am Buffet handeln muss. Wenn nicht schlimmer!
“Brad Pitt!”
“Aha!” denke ich, ich habe Cornelia missverstanden. Sie war dann doch froh, dass sie zur Party gegangen ist. “Nein!” widerspricht sie und verdreht die Augen. Dieser Anblick bestätigte nur dass es eine Feier genau der Sorte sein würde, der sie möglichst aus dem Weg geht. “Aber Brad Pitt sieht ja auch tatsächlich von Nahem sehr gut aus und ist auch sehr nett!” fügt sie dann noch hinzu.

Cornelia Funke und Thomas Gaehtgens

Cornelia Funke und Thomas Gaehtgens

Viel wichtiger war aber die Begegnung mit Gaehtgens. Mit dem sprach sie über ihre Bücher und deren Charaktere aus verschiedenen Jahrhunderten, über Projekte, Inspirationen und Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Leiter des Research Institutes lud sie sofort ein, das Getty-Archiv zu nutzen. Das Institut ist offen für jede Form der Recherche.
Mehrere Notizbücher hat sie inzwischen gefüllt mit Fotos von Charakteren des Getty-Archivs: furchterregend, verführerisch, geheimnisvoll, bucklig, zart, klein, kostümiert, nackt… Sie alle erweckt sie in ihren Büchern zu neuem Leben. Wann immer Funke ins Institut kommt, liegen da schon neue Bücher bereit. Als Dank für Offenheit und Hilfe des Instituts erfand Cornelia Funke den Piraten William Dampier. Genauer gesagt: Dampier lebte tatsächlich von 1651 bis 1715. Dank Funke spukt er jetzt als Geist durch die weiße Getty-Festung über dem Pazifik. Sie hat eine Piraten-Geschichte erfunden rund um Landkarten, Sternenkarten, Silbermünzen, Muscheln und Mumien für die jungen Besucher der neusten Ausstellung des Instituts: ‘Connecting Seas – A Visual History of Discoveries and Encounters’. Die folgt Reisenden, Neugierigen, Abenteurern, Erfindern, Aufschneidern, Wissenschaftlern, Kolonialisten und Ausbeutern über die Weltmeere vom 17. Jahrhundert bis heute.
Mir gaben die beiden eine Tour durch die Ausstellung. Ziemlich beeindruckend! Nicht nur, was ich da zu sehen bekam sondern auch, wie die beiden ganz unkompliziert und unbürokratisch mit Hilfe von mehreren Kuratoren das Projekt auf die Beine gestellt haben.
Der Geist von Pirat Dampier soll auch in Zukunft durch Austellungen spuken und Kinder in den Bann von Forschung und Geschichte ziehen. Die Broschüre mit seiner Geschichte liegt kostenlos aus und auch Erwachsene nehmen sie gerne mit.
Die Show zur Erkundung des Globus über die Weltmeere ist noch bis zum 13. April offen.

 

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Trauertag für Australiens Great Barrier Riff

coalreefEinen Funken Hoffnung gab’s noch für Australiens Great Barrier Reef, den löschte die Great Barrier Reef Marine Park Authority (GBRMPA) heute aus. Die konservative Regierung unter Tony Abbott hatte schon im Dezember beschlossen, drei neue Kohlehäfen in unmittelbarer Nähe des Weltkulturerbes zu genehmigen, dafür drei Millionen Kubikmeter Meeresboden auszubuddeln und über den Korallen zu verschlammen. Die GBRMPA musste jedoch auch noch zustimmen. Das wollte sie eigentlich bis 24.Dezember tun, hielt ihre Entscheidung dann aber wohl für kein passendes Weihnachtsgeschenk und vertagte auf heute.

Fischer, Anwohner, Menschen die gern tauchen und/oder die Natur schätzen und viele Umweltschutzorganisationen hatten eine heiße und verzweifelte Kampagne geführt. Erfolglos. Heute gab die GBRMPA  ihre Entscheidung bekannt und die heißt: JA zu Kohle, ‘Dredging & Dumping’ und NEIN zum Schutz des Welterbes. In ihrer Begründung sagt die Behörde (deren Job eigentlich ist, das Riff zu erhalten und zu schützen): die strengen Umwelt-Auflagen für das Projekt würden die Biodiversität, sowie das Erbe und die soziale Bedeutung des Riffs gar noch verbessern. Das liest sich fast schon orwellianisch zynisch. Außerdem, so ein GBRMPA-Sprecher, sei das Riff ja viel größer als die Oma aus Wagga Wagga sich vorstelle, kurz, das falle gar nicht so auf und man solle sich mal nicht so anstellen.

Der größte Kohlehafen der Welt ensteht – mitten im größten Korallenriff der Erde.

Seit Antritt der neuen Regierung ist dies nicht die erste schlechte Nachricht für die Zukunft von Australiens Umwelt: Tasmaniens Tarkine Wildnis, gerade erst zum Schutzgebiet erklärt, ist dabei hunderttausende Quadratkilometer bisher geschützen Regenwaldes zu verlieren, das Wissenschaftsministerium wurde als aller erstes nach dem Wahlsieg abgeschafft. Tourismusbeschäftigte und Naturinteressierte sehen fassungslos und entsetzt zu.

Aber offenbar ist der Regierung wichtiger, noch mehr Bodenschätze so schnell und lukrativ wie möglich aus der Erde zu buddeln. Australien ist der weltgrößte Kohle-Exporteur. 2010 exportierte der Kontinent knapp 300 Millionen Tonnen Steinkohle. Hauptabnehmer sind Japan und China. Was wir Australiens Kohle rundum noch so verdanken, hat Bill McKibben im Monthly aufgeschrieben.

 

 

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Frostige Zeiten

Wenn man zehn Jahre in den Tropen gelebt hat, kann einem der Winter nach einem Umzug in ein Land der nördlichen Hemisphäre zu schaffen machen. Zumal, wenn es ein Winter in Peking ist. Denn zu den wochenlangen, lausig kalten Temperaturen, kommen dann noch jene Tage, an denen der Horizont getrübt ist von dieser berüchtigten, grau-braunen Dunstschicht, die „dicke Luft“ bedeutet.

Glücklicherweise war es bisher aber, jedenfalls wird uns Neulingen das so erzählt, eher mild (also nur rund 30 Grad kälter als wir es um diese Jahreszeit in unserer alten Heimat, den Philippinen, hätten). Auch Tage mit richtig mieser Luft hat es noch nicht so viele gegeben wie vergangenes Jahr im Januar.

Es gibt also keinen Grund, sich im Haus zu verbarrikadieren. Ganz im Gegenteil, dank Väterchen Frost weitet sich der Kanon der möglichen Outdoor-Aktivitäten aus. Sehr populär sind beispielsweise Wanderungen auf bis zum Grund vereisten Flüssen.

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Einheimische machen es sich auf zugefrorenen Seen beim Picknick gemütlich, oder nehmen eine Abkürzung quer über die Eisfläche nach Hause.

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Und dann ist da natürlich der Klassiker: Schlittschuhlaufen. Am Stadtrand von Peking geht es ganz ohne Massenandrang, entspannt und stundenlang.

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Das einzige, was zum Glück dann noch fehlt, ist eine Bude, an der es Glühwein gibt. Aber das könnte ja ein Projekt für den nächsten langen Winter sein.

 

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Lars von Triers Nymphomaniac, Henrik Ibsens Nora oder im Körper von Charlotte Gainsbourg, Stacy Martin, Joe und Elvira Friis

Im Kino gewesen. Auf der Leinwand gesehen wie Charlotte Gainsbourg sich auspeitschen lässt. In einer anderen Szene hat sie Sex mit Shia LaBeouf, der später mit Mia Goth schlafen wird – aber erst nachdem sie mit Gainsbourg im Bett war.

„Nymphomaniac“, der neue Film von Lars von Trier, hat jede Menge Sex-Szenen. Kaum ein Charakter, gespielt von oben genannten Schauspielern und anderen wie Stellan Skarsgård und Sophie Kennedy Clark, der mehr als ein paar Minuten auftaucht, hat nicht irgendwann in dem Vierstundenfilm Sex.

Eine ersten Blick habe ich für The Wall Street Journal‘s Speakeasy schon im Dezember auf „Nymphomaniac“ geworfen, der Kurztext (auf Englisch) steht hier, unten eine ausführlichere deutsche Fassung. In den vielen mehr oder weniger expliziten Szenen sind die Körper der internationalen Stars durch Double ersetzt, die ähnlich Stuntmen dort einspringen, wo die Berühmtheit nicht mag. Über Elvira Friis, das dänische Körperdouble von Stacy Martin und Charlotte Gainsbourg, gibt es hier meinen Text bei The Wall Street Journal (ebenfalls auf Englisch).

Monate-, wenn nicht jahrelang haben die Medien verrückt gespielt wenn es um den „Filmporno“, das „Sex-Epos“, den „Sexfilm“ oder das „Porno-Drama“ ging.

Allerdings, nach Besuch einer der ersten vorab Filmvorführungen in Kopenhagen, weiß man: „Nymphomaniac“ wegen der Sex-Szenen zum Porno zu küren wäre wie „On the road“ der Kategorie Action zu zuordnen, nur weil Autofahren ein essentieller Part ist.

Natürlich geht es in dem Film um Sex; unter anderem. Sex ist Teil der Handlung, aber nicht alles.

In einem klassischen Pornofilm gibt es die Handlung, die alle Szenen verbindet, vermutlich nur, um dem Zuschauer auch einmal eine Pause zu gönnen.

„Nymphomaniac“ dagegen zeigt, wie die Hauptperson Joe (in ihren jungen Jahren gespielt von Stacy Martin, im Alter von Charlotte Gainsbourg) versucht, zwischen dem ganzen Sex nicht zu lange Pausen zu haben.

Anfangs streunt die junge Joe zusammen mit ihrer Freundin B. (Sophie Kennedy Clark) in einem Zug umher und jagt die Männer in den Abteilen mit ihren Blicken. Die zwei Mädchen haben einen recht ausgefallenen Wettbewerb: Diejenige, die während der Zugfahrt am meisten Männer erlegt, gewinnt eine Tüte Schokoladenbonbons.

Es wird nur angedeutet oder in Soft-Porn-Versionen gezeigt, wie Joe ihre Männer niederstreckt, wie sie durch ein Fellatio gewinnt, ist hingegen komplett zu sehen. Allerdings recht kurz.

Den Zuschauer zu erregen ist die Kernidee eines traditionellen Pornofilmes, aber wie von Trier in „Nymphomaniac“ den Geschlechtsakt zeigt und in welcher Kürze, deutet darauf hin, dass er dem Zuschauer nicht einmal die Möglichkeit geben möchte, erregt zu werden.

Statt langsam und gefühlvoll oder zumindest mit erotischen Bildern sich dem Höhepunkt zu nähern, zeigt von Trier Sex als einen mechanischen Akt. In manchen Szenen sind Nummern eingeblendet, die zählen, wie oft der Mann auf der Leinwand Joe stößt – das unterstreicht wie wenige Emotionen involviert sind.

B. entdeckt kurz nach der Zugfahrt für sich, dass Liebe Sex noch genussreicher machte – und taucht dann nicht mehr in dem Film auf. Joe jagt weiter.

Sie kommt nie zur Ruhe. Während in einem klassischen Porno Sex zumindest dem Anschein nach, die Menschen glücklich macht, ist dies für die Nymphomanin nicht der Fall.

Joe wirkt nie glücklich, sondern stets einsam und auf beinahe romantische Art auf der Suche. Sex scheint sie nicht länger als für die Dauer des Aktes zu befriedigen.

Dreimal ist sie nah dran, ihren Wunsch erfüllt zu bekommen, aber jedes Mal entfaltet der Sex-Drang zerstörerische Kraft. In „Nymphomaniac“ sind Menschen nur glücklich und friedlich, wenn sie keine sexuellen Begierden haben – wie der Buch-Liebhaber Seligman, dem Joe ihre Geschichte erzählt, und vielleicht auch zeitweilig ihre Partner Jerome und Mia.

Von Trier zeigt, dass Sex-Lust menschlich ist, aber auch, dass sie dazu führen kann, dass die Menschen sich unmenschlich verhalten, ihr Kind verlassen und dessen Tod riskieren oder den einzigen wirklichen Freund verletzen. Traditionelle Porno-Filme klammern so etwas aus und fokussieren darauf, wie erfüllend Sex sein kann. Dunkle Seiten haben dann keine wirklichen negativen Auswirkungen, sondern sind nur luststeigernd.

Trotz allem, ist „Nymphomaniac“ einer der leichteren, unterhaltsameren, phasenweise lustigen Filme von Triers. So sollte das Ende auch nicht allzu düster gesehen werden, auch wenn wie in anderen Filmen des dänischen Regisseurs, „Antichrist“, „Dogville“ oder „The Kingdom“ etwa, alles gegen Ende hin immer schlimmer wird.

Die letzte „Nymphomaniac“-Szene ist eine radikale Version von Ibsens Schauspiel „Nora“.

Während Nora sich selbst befreit und mit dem Stigma ihre Ehe zerstört zu haben, gehen kann, ist der Preis den Joe zahlt, erheblich höher.

Nachdem die Lust sie jahrelang verfolgt hat, trägt sie eine andere Bürde und der Film endet mit einer Ambiguität, wie sie dem klassischen Porno-Genre unbekannt ist.

Bild: Elvira Friis – Foto: Lasse Egeberg

 

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Willkommen bei McAufruhr

Da mag Barack Obama eine große Rede zur Abhörpraxis der NSA halten und Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihren Vizechef feuern – Tagesgespräch in New York ist eine kleine McDonalds-Filiale im Stadtteil Queens. Genauer gesagt in Flushing, einem Viertel mit vielen Einwanderern aus Korea. Über die Jahre hat er sich zum Treffpunkt von Senioren entwickelt. Die ersten kommen schon am frühen Morgen. Sie kaufen einen Kaffee für 1,09 Dollar, setzen sich und klönen. Neuankömmlinge werden freudig begrüßt. Das geht so bis zum Abend.

McCafe-Premium-Roast-Coffee

Was in dem Cafè eines Altenheims ein liebenswertes Ritual wäre, hat sich für McDonalds-Filialbetreiber Jack Bert zu einem echten Problem entwickelt. Denn die netten alten Herren verzehren nicht nur wenig, sondern blockieren die Tische angeblich in solcher Zahl, dass andere Burger-Fans oft keine Plätze finden. „Sie können sich wohl vorstellen, dass es für jedes Unternehmen eine schwierige Situation wäre, wenn einige Kunden andere behindern“, sagt Bert. Er hat versucht, sich zu wehren – bat die Herren zu gehen, erst höflich, dann harsch. Er hängte Schilder auf, wonach eine Mahlzeit innerhalb von 20 Minuten verzehrt sein muss. Als alles nichts half, wählte er die Notrufnummer 911. Und dann kam die Polizei.

Die richtete zwar auch nicht viel aus gegen den Stammtisch. Die Senioren verließen das Lokal, drehten eine Runde um den Block und kehrten in den McDonalds zurück, sobald die Luft rein war. Aber Angehörige und Nachbarn reagierten empört: Wie konnte es der Filialchef wagen, die Großväter mit Staatshilfe zu vertreiben? „Ältere Bürger sollten nicht wie Kriminelle behandelt werden“, sagt Christine Colligan von der Korean Parents Association von New York.

Der Konflikt ist auch ein Kampf der Kulturen: Für die meisten Amerikaner ist die aushäusige Nahrungsaufnahme eine kurze und zweckgebundene Angelegenheit. Nach dem Essen gemütlich sitzen zu bleiben, ist selbst in normalen Restaurants nicht üblich – die Rechnung wird nicht selten schon während des Essens gebracht. Das hat seitens der Gäste mit Effizienzdenken zu tun – weshalb sitzen blieben, wenn die Mahlzeit beendet ist – und seitens der Restaurantbetreiber mit hohen Mieten, die es erfordern, die Tische möglichst schnell wieder zu besetzen.

In Korea geht es, wie Einwanderer erzählen, wesentlich entspannter zu beim Essen. Vor allem aber ist, wie in allen asiatischen Kulturen, die Achtung vor dem Alter stark ausgeprägt. Es ist eine Selbstverständlichkeit – mehr noch: eine Pflicht –, Senioren respektvoll und freundlich zu behandeln. Die Polizei zu holen, weil einer seinen Kaffee nicht schnell genug austrinkt – undenkbar. Christine Colligan und ihre Freunde haben deshalb zum Boykott von McDonalds aufgerufen – weltweit.

Dem Fast-Food-Konzern droht Imageschaden. Nachdem zunächst nur koreanische Zeitungen über das gestörte Sit-In berichteten, brachte diese Woche auch die New York Times eine große Geschichte, und jetzt hat die Boulevardpresse das Thema entdeckt. „This is McMayhem“, schrieb die Daily News, was sich ungefähr mit „Willkommen bei McAufruhr“ übersetzen lässt. Ein Lokalpolitiker namens Ron Kim hat sich eingeschaltet und versucht zu vermitteln. Spätestens im Frühling allerdings dürfte sich die Situation von selbst beruhigen. Der Margaret Carman Park mit vielen Bänken ist gleich um die Ecke. Und weitaus schöner als ein steriles Fast-Food-Restaurant.

Foto: McDonalds

 

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Gayet-Gate: Alle reden drüber aber kaum jemand ist beeindruckt

Seit Tagen berichten alle Medien drüber: Präsident Hollandes angebliche Affaire mit der Schauspielerin Julie Gayet. Derzeit ist sie eines der beliebtesten Klatsch-Themen in Frankreich. Nicht, dass sich jemand wirklich darüber aufregte. Denn eine gelegentliche Affaire gehört für den französischen Mann eigentlich zum guten Ton. Zumindest ist sie nichts moralisch Verwerfliches. Aber es ist eben eine „histoire de cul“. Darüber tratscht man gerne. Drum konnte das People-Magazin „Closer“ mit der Geschichte seine verkaufte Auflage seit vergangenen Freitag glatt verdoppeln.

Hollande hat sich entrüstet über die Einmischung der Medien in sein Privatleben, dementiert hat er die Affaire nicht. Einer Umfrage des „Journal du Dimanche“ zufolge hat die mutmaßliche Affaire für 84% der Befragten ihre Meinung über den Präsidenten nicht verändert. 77% der Franzosen halten es für seine Privatangelegenheit. Damit würde die Story vermutlich schnell im Sande verlaufen. Hätten wir nicht bald Kommunalwahlen in Frankreich. Und natürlich versuchen die Opposition und die ihr nahestehenden Medien die Nummer auszuschlachten. Hat der Präsident für seine sexuellen Begierden seine Sicherheit aufs Spiel gesetzt? Oder hat er sich mit einer Bande von Mafiosi eingelassen, weil er deren Wohnung als Liebesnest benutzt hat?

Während sich die regimetreuen Medien Gedanken machen, ob es sich hier nicht um ein politisches Komplott gegen François Hollande handeln könnte. Hat vielleicht ein immer noch Sarkozy-treuer Sicherheitsmann des Elysée die Geschichte durchsickern lassen?

Eigentlich leid tun kann einem nur Valérie Trierweiler, Hollandes offizielle Partnerin. Sie wird in einem Pariser Krankenhaus wegen eines nervösen Schocks behandelt. Ihr Pech ist es, dass sie nie eine große Sympathie-Trägerin war. Sonst würden sich jetzt zumindest ihre Fans aufregen. So erhält sie von nur wenigen sehr verhaltenes Mitleid. Dass ihr diese ganze Medienkampagne sehr viel mehr zusetzt als Mr. Le Président, darüber scheint sich niemand Gedanken zu machen. Ob man sie nun mag oder nicht, ich stelle es mir schrecklich vor, wenn man erst als gestandene Journalistin plötzlich „première dame“ wird und sich deshalb vom Protokoll und den Pressekollegen gründlich zurecht stutzen lassen muss. Und nachdem sie das mit mehr oder weniger Haltung überlebt hat, erfährt sie nun eine öffentliche Degradierung und Schmach, weil „le président normal“ eben ganz normal war und sie betrogen hat.

Schon zerreißen sich die Klatschspalten die Mäuler darüber, ob sie jetzt auch ganz normal sein darf und ihn in den Hintern treten darf. Oder ob sie staatsfraulich mit Hollande nach Washington reisen muss, um sich beim Damenprogramm von Michelle Obama bemitleiden zu lassen.

Während die französischen Medien weiter schmutzige Wäsche waschen, hat die Mehrzahl der Franzosen ganz andere Sorgen. Um die sollte sich der Präsident kümmern. Nicht um Croissants für seine Geliebte, wenn es sie denn wirklich gibt (und vieles deutet darauf hin). Oder um die Verteidigung seiner Privatsphäre. Da darf man sich nicht wundern, dass das jüngste Stimmungsbarometer des Forschungszentrums Cevipof herausfand: 87 % der Franzosen sind der Ansicht, die politischen Verantwortlichen kümmerten sich nicht um sie und ihre Belange. Und 69 % der Franzosen meinen, die Demokratie funktioniere nicht mehr richtig.

Das sollte den Politikern und den Medien in Frankreich zu denken geben. Wenn sie es ernst nähmen, hätten sie vermutlich gar keine Zeit mehr für Affairen dieser Art.

 

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Hollande / Gayet: Eine Maitresse ist total normal

In Frankreich beherrscht gerade ein Thema die Medien: Francois Hollande angebliches Liebesverhältnis zur Schauspielerin Julie Gayet. Das Gerücht, Ende letzter Woche vom People-Magazin Closer aufgeworfen, aber bereits seit Monaten ein Thema auf Blogs in Frankreich, hat zum Rauschen im Blätterwald geführt.

Was immer auch dran sein mag am Gerücht, interessant ist, wie die Diskussion in den Medien geführt wird. Denn das ist schon sehr französisch. Das recht angesehene Magazin Le Nouvel Obs hat die People-Expertin Viginie Spies zu Wort kommen lassen, die in einem nicht ausdrücklich gekennzeichneten Kommentar ihre ganz persönliche Meinung zum Besten gibt unter der Überschrift: “Francois Hollande, Julie Gayet und Closer: jetzt prominent, der Präsident endlich normal”. Weiter unten heißt es dann: “Francois Hollande ist ein normaler Mann, der Präsident der Küsschen.” He? Soll das heißen, dass es völlig normal für französische Männer ist, eine Maitresse zu haben. Oder heißt das, dass es völlig normal ist für den französischen Staatspräsidenten, eine Maitresse zu haben?

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Blicken wir kurz zurück: Über Nicolas Sarkozy und Carla Bruni braucht man kein Wort mehr zu verlieren. Jacques Chirac hat ein uneheliches Kind in Japan. Am Grab von Mitterand poppte auch plötzlich eine neue Tochter auf. Selbst dem immer sehr distinguierte Giscard d’Estaing wird eine recht eigenartige Beziehung zu Lady Di nachgesagt und bei den Pompidous ging nbicht er, sondern sie fremd – im Porsche des Mannes, der nur mit seinen Autos fremd ging und sich weigerte, ein französisches Automobil zu fahren.

Also alles ganz normal im Hexagon. Business as usal. Warum regt sich eigentlich noch irgendjemand darüber auf? Das ist halt so in Frankreich.

Besonders gerne nimmt man sich in der Präsidentenetage Damen aus dem Showbiz: Gayet, Bruni, Sagan, etc. Wie kommt’s? Valérie Trierweiler, inzwischen aufgrund einer Depression rund um das Skandalgerücht  im Krankenhaus, konnte nie wirklich die Herzen der Franzosen gewinnen. Zu streng, zu intelligent. Auch Madame Chirac trat eher auf wie eine eiserne und meist eher schlecht gelaunte Lady an der Seite eines geborenen Charmeurs. Im Vergleich dazu dann Carla Bruni: Das Ex-Top in ihren schicken Dior-Kostümchen und den Louboutin-Kitten-Heels-Sonderanfertigungen für große Frauen an der Seite kleiner Männer: Sie plapperte in fünf Sprachen und gab auf Fragen wie “Was steht denn bei dem Weltwirtschaftgipfel gleich auf dem Programm? so hinreizend banale Antworten wie “Oh, ein Cocktail!”. Sprachs, lachte ihr 10 Mio.-Euro-Top-Model-Lächeln und winkte, bevor sie zum Cocktail entschwand. Frage ist: Wollen das die Franzosen? Vielleicht.

Julie Gayet ist keine Carla Bruni. Die Schauspielerin, die eigentlich nur im französischen Kino eine Rolle spielt, aber gerne ab und an bei dem Chanels Show in der ersten Reihe glänzt, hat inzwischen Klage eingereicht. Closer musste das Gerücht von der Website nehmen, was das Ganze aber nicht mehr ungeschehen macht. Der PR-Effekt ist längst erledigt: Der Präsident gilt nun als “normal” gilt, was er vorher scheinbar nicht war, und reiht sich ein die Reihe seiner Vorgänger. Kein Grund zur Sorge. Sie alle blieben im Amt. Die medialen Wellen werden sich legen und irgendwann beim nächsten Staatsempfang ist dann eben eine Neue am Arm des Präsidenten.

Foto; Screenshot Le Nouvel Obs

 

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Wut und Ehre: Yasukuni-Schrein spaltet Asien

Vor drei Wochen der Premier. Vor zwei Wochen der Innenminister. Und nun ich. Alle privat – versteht sich. Wir haben den umstrittenen Yasukuni-Schrein besucht: Shinzo Abe, weil er für den Frieden betet. Shindo Yoshitaka, weil er Neujahr feiert. Und ich, weil mich Zero Jagdbomber an meine Kindheit erinnern – ich war fanatischer Papiermodellbauer.

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Selfie mit Mitsubishi:  Der A6M Zero hatte eine Kill-Rate von 1:12. 

Der Yasukuni-Schrein ist ein schintoistisches Heiligtum in dem 2,466,532 „Seelen“ geehrt werden – die Gefallenen aller Kriege und 14 verurteilte “Klasse A” Kriegsverbrecher. Neben dem Schrein steht das  „Yushu“ Museum. 100,000 Kriegsartifakte sind dort ausgestellt. Yasukuni-Besuche von japanischen Politikern bringen Anrainerstaaten zur Weissglut. Verständlich,  denn sie waren Opfer von Japans Expansionspolitik und ihren Folgen: Massaker, Zwangsprostitution und biologische Experimente an lebenden Menschen.

Umgemünzt auf deutsche Verhältnisse, würde der Schreinbesuch des japanischen Premierministers so aussehen:

Merkel betet vor laufenden Fernsehkameras im Kölner Dom für den Frieden, gedenkt aller Gefallenen, die für Kaiser und Hitler ihr Leben liessen. Auch die „Opfer“ vom Nürnberger Prozess schliesst sie in ihr Gebet mit ein:  Göring, Hess, Bormann, Kaltenbrunner und Konsorten. Gleich neben dem Dom ist Kriegsgerät ausgestellt, darunter eine  Messerschmitt, zwei Vergeltungswaffen (V1 und V2) sowie ein Typ XVI U-Boot mit dem Spitznamen „Milchkuh“. Die Beschilderung schwärmt vom germanischen Heldentod neben Insignien der SS.  Die Überfälle auf Polen und Russland werden als „Geschehnis Polen”  und „Geschehnis Russland“ bezeichnet. Kaum ist Merkel in ihre Audi-Dienstlimousine gestiegen, treffen die ersten Protestschreiben ein, unter anderem aus Polen, Russland und Frankreich. Amerika ermahnt den Verbündeten zur Mässigung. Merkel betont, dass sie nur für den Weltfrieden gebetet habe.

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Schrein des Anstosses: Jährlich besuchen hunderttausende Japaner den Yasukuni-Schrein, ehren gefallene Verwandte. Die Trennung von Kirche und Staat ist in Japan zwar strikter als in Deutschland und Österreich – hat aber die Kontroverse um den Yasukuni-Schrein nicht verhindern können. 

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Geschütz mit Einschusslöchern im Yushu Museum.

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 Symbolische Reinigung vor dem Schrein: Hände waschen, Mund spülen.

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Der Drache garantiert Aufstieg, bringt Glück: Für 100 Yen lasse ich mir vor dem Shinto-Heiligtum in den Kopf beissen.

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Softdrinks als Opfergabe: Neben dem Schrein steht ein lebensgrosser Kamikaze-Pilot aus Bronze. Die japanischen Selbstmordkommandos heissen offiziell immer noch : „Spezialangriffstruppe“.

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Früh übt sich: Schiessbude vor dem Schrein.

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Das macht auch der japanische Premierminister: Geld in die Truhe werfen, zwei mal verbeugen, zwei mal klatschen, dann beten.

 

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Los Angeles – soviel mehr als Hollywood

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Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, IMG_3708 die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts

Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!

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