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Getürkt

Das Thema Türkei lässt in Deutschland kaum jemanden kalt, wie die aktuelle Debatte um den EU-Beitritt des Landes wieder einmal zeigt. Manche Leitartikler argumentieren für den Beitritt, andere dagegen – doch egal ist diese Frage kaum einer Zeitung. Für Türkei-Korrespondenten ist das erfreulich, weil viele Medien ihr Publikum in dieser Debatte mit gut recherchierten Berichten aus erster Hand besser informieren wollen.

Frustrierend ist es dagegen, wenn eine große Zeitung auf solche Informationen verzichtet und ihre Berichterstattung aus der Türkei frei erfindet, um ihre Meinung zu stützen. „In dieser Woche wurde an einem türkischen Strand eine junge Frau im Bikini von aufgebrachten Islamisten erschlagen“, beginnt der Chefredakteur der Rheinischen Post seinen Kommentar zur Türkei.

Das ist ganz einfach erlogen: In der Türkei ist nichts dergleichen geschehen, schon gar nicht in dieser Woche. Der Kollege erinnerte sich vielleicht an die drei Monate alte Agenturmeldung über einen Streit zwischen türkischen Bikini- und Kopftuch-Trägerinnen in Karaburun bei Izmir im August dieses Jahres, der sich an herumliegenden Windeln entzündete.

Erschlagen wurde freilich auch damals niemand. Dass die Rheinische Post in ihrem Kommentar auch noch ein neues EU-Kriterium erfindet – der Regierungschef eines Beitrittslandes muss sich demnach mit dem Papst getroffen haben – ist nur lächerlich. Fakten frei zu erfinden, ist nicht mehr komisch. Ich bin mal gespannt, wie weit diese Ente noch paddelt, sprich: Wie oft dieser angebliche islamistische Mord noch kolportiert, zitiert, beschworen und für politische Entscheidungen herangezogen wird. Als Auslandskorrespondent fragt man sich da: Was machen wir hier eigentlich?

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