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So krank ist Italien gar nicht!

Am Wochenende wurde in Kampanien der Bürgermeister  von Pollica vor seiner Haustür erschossen. Angelo Vassallo war beliebt. Er hat dafür gesorgt, dass in seiner süditalienischen Kommune, die Dinge funktionieren.  Der 57-Jährige konnte eine positive Wirtschaftsbilanz vorweisen, war engagierter Umweltschützer, der sich dafür einsetzte, dass die Schönheit des Nationalparks Cilento bewahrt wurde. Und er hat dafür gesorgt, dass in seiner kleinen Gemeinde in Kampanien, wo das Müllproblem sozusagen sprichwörtlich ist, die Mülltrennung bei 85 Prozent liegt.

Genau diese Effizienz, den Bürgersinn und die Anständigkeit hat Angelo Vassallo anscheinend mit dem Leben bezahlt. Noch weiß man nicht, wer für diesen feigen Mord verantwortlich ist. Die Camorra, heißt es. Es wird noch untersucht.

Warum erzähle ich das? Mafiamorde sind in Italien schließlich nichts Ungewöhnliches.

Nur war ich eben am selben Wochenende mit Kollegen der Stampa Estera unterwegs, Vertretern der Auslandspresse in Italien. Und dort fiel der Satz: „Italia è profondamente malata.  Italien ist durch und durch krank.“  Und  natürlich kam dann auch der Nachsatz: bei uns in der Schweiz, in Deutschland, in Frankreich hingegen …

Ich habe mich über diese Behauptung geärgert und sie als unangebrachten Allgemeinplatz abgetan. Mit dem Hinweis, dass wir nicht das Recht haben, ein Land mit den Maßstäben eines anderen zu messen, selbst wenn wir dort seit Jahren leben.  Und auch wenn sich gerade der Mord an Angelo Vassallo  als passendes Beispiel für die These vom „kranken Italien“ eignen würde, habe ich meine Meinung nicht geändert.

Für mich ist Italien nicht „durch und durch krank“.  Es stimmt.  Vieles ist krank in diesem Land. Doch hat das meiste davon mit Politik, mit Macht und den Institutionen zu tun. Ein gutes Beispiel ist das abscheuliche Sommerspektakel von Berlusconi, Bossi, Fini & co der letzten Wochen, das zeigt, dass in Italien, vielleicht mehr als anderswo, die Politik ausschließlich mit sicher selbst beschäftigt ist, während  Wirtschaft und Sozialstaat den Bach heruntergehen.

Der  feige Mord an Angelo Vassallo hingegen  bringt zum Vorschein, dass in Italien, weit weg von Rom, nach wie vor die Bürger an einer modernen, an einer zivilen, an einer gesunden Gesellschaft arbeiten.  Nur  tun sie es meist im Verborgenen. Denn etwas, das funktioniert, ist keine Schlagzeile wert.  Und vielleicht macht gerade das ihr Engagement eben auch gefährlich.

Um diesem Land also gerecht zu werden, sollten wir  von der Auslandspresse unser Augenmerk wieder mehr  auf  die Ereignisse hinter den Meldungen richten.  Denn sicherlich haben viele  von uns über den Mord berichtet, als weiteres Indiz für die These vom kranken Italien vielleicht…  Doch Hand aufs Herz! Welchem Redaktionsleiter war es anschließend die Meldung wert,  dass am darauf folgenden Tag in Pollica Tausende von Bürgern  mit einem Fackelumzug auf die Straße gegangen sind? Auf ihren Spruchbändern konnte man unter anderem lesen: Angelo, du warst unser Vorbild und wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir werden in deinem Sinne weitermachen.

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