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Hilferuf aus Bagdad

Manchmal spielt der Technikteufel Streiche und transportiert nicht das, was man abschickt. So auch der untenstehende Hilferuf der Organisation für die Verteidigung der Pressefreiheit im Irak für einen Journalisten-Kollegen in Not. Ich bekam den Notruf gestern und hatte ihn postwendend in den WR-Blog überstellt. Heute nun musste ich feststellen, dass der Hilferuf auf der Webseite nicht ankam. Also deshalb nochmals, hoffentlich mit Erfolg.

Die Organisation für die Verteidigung der Pressefreiehit im Irak ist nach dem Sturz Saddams gegründet worden und überwacht seitdem die durch die US-Administration eingeführte Pressefreiheit im Zweistromland. Dabei muss sie in den letzten Monaten immer mehr Verstöße feststellen. Nach wie vor ist der Irak eines der gefährlichsten Pflaster für Journalisten auf diesem Planeten. Es werden immer noch Kollegen bedroht, angegriffen, angeschossen und ermordet. Laut “Reporter ohen Grenzen” ist einzig die Situation in Somalia für uns Medienvertreter schlimmer als im Irak. Deshalb erscheint es mir wichtig, den Kollegen in Not zu helfen. Ich tue was ich kann, um das Schicksal von irakischen Kollegen publik zu machen und Hilfe zu organisieren. Mit diesem Blog möchte ich in die Welt fragen, ob jemand Rat weiß, damit Ibrahim al-Katib wieder als Journalist arbeiten kann.

Hier der Hilferuf aus Bagdad im Wortlaut:

Seit ca. neun Monaten leidet einer unserer Kollegen an einer Querschnittlähmung
infolge eines Terroranschlags. Da er weder Geld noch die erforderlichen Beziehungen hat, liegt er seither im Bett und wartet auf die Gnade Gottes.
Der staatliche TV-Sender Iraqiya, für den er als Korrespondent gearbeitet hatte, sah
es nicht als erforderlich an, unserem Kollegen Ibrahim Al-Katib zu helfen oder gar
ins Ausland zur Behandlung zu schicken.
Die Gesellschaft für die Verteidigung der Pressefreiheit und seine Kollegen haben
keinen Weg gescheut, um Hilfe für ihren Kollegen zu bitten. Sie haben leider nur
leere Versprechen geerntet.

Verstehen Sie/ Versteht bitte diese Zeilen als einen Appell!

Helfen Sie/ helft uns, unseren Kollegen einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen,
damit er wie früher seinem Land und Volk durch das freie Wort dienen kann!
Wir suchen nach einer humanitären Hilfsorganisation.

Ende des Aufrufs.

Wer Rat weiß, wende sich bitte an mich – Svensson@weltreporter.net

 

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Zehn Karriereoptionen für Auslandskorrespondenten

Bin während der Feiertage zufällig auf Thomas Crampton’s Medienblog hängen geblieben. Im September hat Crampton den Autor, Journalisten und Blogger Eric Weiner interviewt.

Weiner war selbst viele Jahre Korrespondent und redet in dem Interview über die zehn Berufsalternativen für Auslandskorrespondenten, denn nach dem besten Job der Welt kann nicht viel kommen. In der Medienkrise ist die Liste aktueller als je zuvor. Das sind unsere Möglichkeiten:

 

1. einfach weitermachen

2. Ressortleiter werden (oder „Mein Büro ist größer als deins“) – endlich hast du es nicht mehr mit unverhältnismäßigen Auslandsredakteuren zu tun, du bist jetzt selbst ein unverhältnismäßiger Auslandsredakteur.

3. Die Thomas-Friedman-Option, also Kolumnist oder Autor werden. Im Prinzip muss man nichts tun als jeden Tag mit klugen Leuten Mittagessen zu gehen und sich ihrer Ideen zu bemächtigen, die man später unter eigenem Namen in Kolumnen und Büchern vermarktet.

4. Professor werden

5. PR-Mensch werden – „die dunkle Seite“ des Karrierewegs. Zwar bekommt man dabei seinen Kaffee an den Schreibtisch gebracht. Doch das kann die Schuldgefühle und das schlechte Gewissen nicht ausgleichen.

6. Eine Bar in Kairo oder Bangkok aufmachen. Vorteil: Man ist immer noch im Ausland. Nachteil: Man wird für die aktiven Korrespondenten zur lebenden Erinnerung, dass man irgendwann zurückkehren sollte.

7. Ein Bed&Breakfast aufmachen – vielleicht im Nappa Valley, zum ersten Mal im Leben mit den Händen arbeiten. Die Aufregung der Großstadt wird man dabei immer vermissen.

8. Tod

9. Steve Rattner werden – vom New York Times-Journalisten zum Investmentbanker und vielleicht der einzige Journalist, der den Wechsel in die Business-Welt geschafft hat.

10. Irgendetwas digitales machen.

 

 

 

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Die Geschichte vom Moslem, der Weihnachten verbieten wollte

Yussuf Al-Qaradawi ist so einflussreich wie umstritten. Der populäre muslimische Gelehrte hat Terroranschläge wie die von New York, Madrid oder London verurteilt, aber gleichzeitig palästinensische Selbstmordattentate gegen Israelis als Akt der Selbstverteidigung gebilligt. In der weiblichen Genitalverstümmelung sieht er keinen islamischen Brauch, sondern ein »Werk des Teufels«. In einem islamischen Rechtsgutachten (Fatwa) erklärte er zum Beispiel den Genuss geringer Mengen von Alkohol für statthaft – und wurde dafür von Predigerkollegen gescholten. Seine wöchentliche TV-Show auf Al-Dschasira erreicht Millionen in der arabischen Welt, wird aber, so hört man es aus dem Sender, im Hause selbst von nicht wenigen mit großer Skepsis beurteilt.

Bettina Gräf vom Zentrum Moderner Orient in Berlin beschreibt den schillernden Prediger als »moralisch-konservativ und missionarisch, aber nicht dogmatisch«. Als sicher kann wohl gelten, dass Al-Qaradawi erzkonservativ ist, in einer Art, die man auch bei Katholiken findet (z. B. Ablehnung der Homosexualität).

Aber will Al-Qaradawi jetzt Weihnachten verbieten? Kurz vor dem Fest tauchte bei ‘Spiegel Online’ eine entsprechende Meldung auf, die durch die deutschsprachigen Medien irrlichterte und bei der ‘Welt’ zum Beispiel als »Hetze gegen Christentum« landete. 

Einmal mehr kann das Eigenleben bewundert werden, das Meldungen dieser Art mit atemberaubender Geschwindigkeit entwickeln. Tarafa Baghajati von der Initiative muslimischer ÖsterreichInnen hat das in einer Rundmail gut beschrieben. Nach Rücksprache mit dem Autor möchte ich hier seine Mail veröffentlichen:

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Eingehend ist festzuhalten, dass jeder jeden kritisieren kann und soll. Das ist in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Muslimische Persönlichkeiten sind davon natürlich nicht ausgenommen. Allerdings sollte eine kritische Meldung, insbesondere wenn sie von Qualitätsmedien kolportiert wird, auf überprüften Quellen basieren. Insbesondere was Islam und Muslime betrifft,  gehören falsche Übersetzungen und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate zu den beliebtesten Instrumenten, um Muslime und ihre Religion zu diffamieren. Der Übersetzungsdienst MEMRI ist in diesem Zusammenhang bereits auffällig geworden und kann nicht als seriöse und objektive Quelle angesehen werden. Darauf hat Brian Whitaker bereits im August 2002 in seinem im ‘Guardian’ veröffentlichten Artikel Selective MEMRI aufmerksam gemacht.

Ausgerechnet zur besinnlichen Weihnachtszeit haben nun zahlreiche Medien die Meldung verbreitet, dass der islamische Gelehrte Yussuf Al-Qaradawi ein Verbot des Weihnachtsfestes fordere. Ursprungsquelle dieser Zeitungsente ist der Übersetzungsdienst MEMRI. ‘Die Welt’ beispielsweise schreibt: »Der einflussreiche islamische Gelehrte Yussuf al-Qaradawi hetzt gegen die Christen. In der islamischen Welt müsse das Weihnachtsfest verboten werden, fordert der 83-Jährige in einer Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten. Die Hassrede des Predigers ist in einem Video auf YouTube zu sehen.«

APA, Standard, ORF und viele andere Medien haben ungefähr den gleichen Inhalt wiedergegeben. (‘Der Standard’ hat sich inzwischen korrigiert. – J.S.) ‘Der Spiegel’ titelte mit »Heiligabend-Attacke«, BILD wusste von einem »Angriff auf Heiligabend« zu berichten. Wer die Originalrede auf Arabisch hört, findet allerdings keinerlei Hinweis darauf, dass Qaradawi Christen das Weihnachtsfest verbieten möchte. Scheich Qaradawi kritisiert in seiner Predigt die lokalen muslimischen Geschäftsleute, die »die Geburt Jesu, Friede sei mit ihm, genannt Christmas zelebrieren […] mit ihren vier bis fünf Meter hohen Weihnachtsbäumen« nur um des Kommerzes willen (»nur für den Gewinn, für Geld«). Dies sei für Muslime unstatthaft und unpassend (»ein Fest einer Religion zu feiern, die nicht die Eure ist, währenddessen andernorts der Bau von Minaretten Muslimen verboten wird.«). Der Zusammenhang von Minarettverbot in der Schweiz und der Kritik an der Verbreitung von kommerziellem Weihnachtskitsch in der muslimischen Gesellschaft, erschließt sich auch mir nicht recht. Von einer »Hassrede« kann allerdings keine Rede sein, irgendwelche verbale Attacken gegen Christen fehlen gänzlich. Qaradawis Kritik ähnelt der Kritik an Halloween oder Santa Claus (im Gegensatz zum Christkind), wie sie bei uns immer wieder laut werden. Interessant ist, dass in der MEMRI-Wiedergabe das Lob Jesus mit den Worten »Friede sei mit ihm« durch Qaradawi zur Gänze fehlt, warum wohl?

Beim Nachrichtenmagazin ‘Der Spiegel’ ist einem Redakteur die Phantasie gänzlich durchgegangen. Dort heißt es: »Und auch jenseits von Weihnachten sähe der einflussreiche Prediger die Rechte der Christen gern beschnitten: ‘Kirchen dürfen keine Kreuze mehr tragen. Kirchenglocken dürfen auch nicht mehr läuten’, forderte er weiter.« Das ist eine reine Erfindung und findet sich nicht in der MEMRI-Übersetzung und schon gar nicht in der Originalrede.

Es ist äußerst bedauerlich immer wieder feststellen zu müssen, dass negative Schlagzeilen zum Islam sich von Medium zu Medium wie ein Lauffeuer verbreiten, ohne dass die vielen beteiligten verantwortlichen Redakteure auf die Idee kommen würden, ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Stattdessen wird die Geschichte auch noch ausgeschmückt und angereichert. Es gibt auch im deutschsprachigen Raum genügend arabischkundige Menschen und Experten ohne ideologische Mission, für die es ein leichtes wäre, derartige Meldungen zu verifizieren bzw. zu falsifizieren.

Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass ich Scheich Qaradawis Ansicht nicht teile. Der Islam wird durch ein paar Weihnachtsbäume nicht gefährdet. Im Gegenteil; die Länder mit muslimischer Mehrheitsgesellschaft können bei aller berechtigten Kritik an der Kommerzialisierung religiöser Anlässe stolz darauf sein, dass christliche Feste sich in ihrem Straßenbild widerspiegeln. Das Fernsehprogramm vieler arabischer Sender liefert ein spezielles Weihnachtsprogramm. Es ist ein Zeichen dafür, dass religiöse Gruppen nicht nur friedlich nebeneinander existieren können, sondern darüber hinaus auch in der Lage sind, ein harmonisches Miteinander zu finden. So überflüssig die »Islamisierungsdebatte« in Europa ist; so unnötig wäre es vice versa eine »Christianisierungsdebatte« in der muslimischen Welt vom Zaun zu brechen.

In diesem Sinne besinnliche Feiertage und ein schönes neues Jahr 2010, aber auch ein schönes Jahr 1431 nach Islamischem Kalender, das am 18. 12. 2009 begann.

Tarafa Baghajati, Wien 26. 12. 2009

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Verlogen

Ehrlich gesagt: Ich habe die Nase voll von Politikern, die sich mit der Aussage hervortun, man könne Afghanistan nicht in eine “Musterdemokratie” verwandeln. Verteidigungsminister Guttenberg ist nur der (vorerst) Letzte in einer Reihe, die zu dieser Erkenntnis kommen. Sie ist zumeist gepaart mit dem dringenden Wunsch, mit den Taliban zu reden.

Was ist wohl eine “Musterdemokratie”? So eine Art platonische Idee, oft versucht – nie erreicht?

Sollen sie doch sagen, dass Demokratie und Menschenrechte in Afghanistan ihnen völlig egal sind, solange sie nur endlich die Truppen abziehen können.

Aber der Musterpolitiker, der sich traut seinen eigenen Zynismus offen zu legen, muss wohl noch geboren werden.

 

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Driving home for Christmas

Tagelang ging mir dieser Song nicht aus dem Kopf. Mit „Driving home for Christmas“ hat Chris Rea einst die Charts gestürmt und so etwas wie einen Kultsong geschaffen. Denn Weihnachten zu Hause zu verbringen, das ist so etwas wie Kult. Immerhin 42 Prozent der Deutschen wollen an den Festtagen die Familie besuchen, heißt es in einer aktuellen Forsa-Umfrage. Da wollten wir auch mal mitmachen, zum ersten sollten unsere Kinder eine deutsche Weihnacht erleben. Mit allem, was dazugehört. Daran konnten uns weder ein 12-Stunden-Flug in einer viel zu engen Economy Class noch Scharlachfieber bei der Jüngsten oder die Schlepperei nahezu berstender Geschenkekoffer hindern.

Und es wurde eine perfekte Inszenierung.  Am ersten Morgen begrüßte uns Väterchen Frost mit knackigen minus 16 Grad. Beim ersten Weihnachtsmarktbesuch schneite es, und wie. Genug, um am nächsten Tag die Schlitten zum Einsatz zu bringen und vom Feldberg bis fast vor die Haustür zu rodeln. Deutschland, ein Wintermärchen. Die Festtage taumelten wir zwischen Glühwein, Geschenken und – natürlich – Gänsebraten hin und her. Kommentar meiner neunjährigen Tochter: „The best Christmas ever!“ Na also, man muss eben nur an Weihnachten nach Hause fahren. Chris Rea hat völlig Recht. Wenn auch nicht unbedingt alle Jahre wieder.

 

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Das Alle-Jahre-Wieder-Chaos

Alle Jahre wieder rege ich mich auf, wenn in Indonesien nichts mehr läuft, sobald die Regenzeit einsetzt: Straßen sind gesperrt, Flughäfen außer Betrieb und keiner auf das allzu vorhersehbare Chaos vorbereitet. Dabei vergesse ich viel zu schnell, dass es in Deutschland kaum anders aussieht: Alle Jahre wieder bricht der gesamte Nah- und Fernverkehr zusammen, wenn der erste Schnee fällt – so als sei Schnellfall im Winter etwas absolut Unvorhersehbares. Wenn ich dann auf dem Weg zum Weihnachtsfest am Frankfurter Flughafen von mehreren hundert ausgefallenen Flügen in den letzten Tagen höre oder mal wieder in einem total verspäteten Zug der Deutschen Bahn sitze (Begründung: schlechte Witterungsverhältnisse), kann ich mich ganz beruhigt zurücklehnen, denn: Ich fühle mich ganz wie zu Hause, egal ob hier oder da. 

 

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Facebook zindabad!

Eigentlich hatte ich nicht die Absicht an Weihnachten zu bloggen. Besonders nachdem ich gerade gehört habe, dass das Bloggen Kai Diekmanns Ehe zerstört hat. Aber das ist wirklich zu schön um es für mich zu behalten:

Ich habe gerade in meinem Facebook account eine Nacnricht erhalten, auf Schwedisch und von einem Mann der irgendwie afrikanisch aussieht. Ich antwortete ihm, dass mein Name zwar Skandinavisch sei, ich aber leider kein Schwedisch könne weil ich Deutsche bin. Und wer er denn eigentlich sei?

Da schreibt er mir zurück – jetzt kommts – dass er meinen Namen auf der Freundesliste von Pervez Musharraf gefunden hat und nur mal “hallo” sagen wollte! Wow, das ist die erste Facebook-Freundschaft, die ich dem pakistanischen Ex-Diktator verdanke! Es lebe das Internet! Es lebe Facebook! (Urdu: Facebook zindabad!)

Wenn Sie jetzt die berechtigte Frage stellen, warum ich eigentlich mit Militärdiktatoren Freunschaften pflege? –  Das hat natürlich rein berufliche Gründe.

 

 

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Attentat auf Presseclub in Peshawar

Heute wurde auf den Presseclub in der pakistanischen Stadt Peshawar ein Selbstmordanschlag verübt. Drei Menschen wurden getöten und 17 verletzt als ein Mann mit einem Sprengstoffgürtel sich vor dem Haupttor des Clubs in die Luft jagte.

Ich scheibe dies, weil es in Pakistan inzwischen so viele Attentate gibt, dass diese Meldung es bestimmt nicht in die deutschen Nachrichten schafft. Und weil ich den Club oft besucht habe. Ich gebe regelmäßig Kurse für Journalisten in Pakistan; seit 2008 betreibt meine Organisation Initiative Freie Presse e.V. zusammen mit der Mediothek Afghanistan e.V. und der Universität Peshawar dort auch ein Medienhaus für Kollegen aus den paschtunischen Stammesgebieten.

Die Arbeit dort wird wegen des Aufstands der Taliban für Medien immer schwieriger. Gezielte Tötungen von Journalisten (so genannte “target killings”) sind inzwischen an der Tagesordnung. In kaum einem Land der Welt kamen 2009 nach Zahlen von Reporter ohne Grenzen so viele Journalisten ums Leben wie in Pakistan.

All jene, die in Deutschland gern das dumme Argument ins Feld führen, dass diese Art von Terrorismus zur Kultur der Region gehört, möchte ich daran erinnern, dass die Freiheit immer und überall gegen Gewalt und Despotismus erkämpft werden muss. Wer der Meinung ist, dass er mit den Kämpfen der anderen nichts zu tun hat, soll von den Menschenrechten in Zukunft schweigen.

 

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Eisfieber

 

 

   Es ist jedes Jahr dasselbe: Sobald es mehr als drei Nächte hintereinander friert, macht sich in den Niederlanden das Eisfieber breit – eine Epidemie, die – egal, ob gross oder klein – in einem angsterregendem Rekordtempo die gesamte Nation erfasst und auch die Sprache drastisch beeinflusst. Ist doch auf einmal von Eistransplantationen die Rede, von Eismeistern – und vom Elfstedentocht, jenem heroischsten Schlittschuhlauf der Welt, auch „Lauf der Läufe“ genannt, gut 220 Kilometer lang entlang der elf friesischen Städte. Zehntausende nehmen teil, auch wenn es einige immer ein paar abgefrorene Zehen oder Finger kostet und sich viele erst weit nach Mitternacht mehr tot als lebendig über die Ziellinie schleppen.

Dank Klimawandel wird vielen diese Peinigung erspart, der letzte Elf-Städte-Lauf fand im Januar 1997 statt. Aber gehofft wird halt jedes Jahr, auch jetzt wieder. Immerhin könnte der plötzliche Wintereinbruch den Niederländern Bilderbuchweihnachten bescheren. Die ganze Nacht hat es geschneit, auch heute vormittag noch. Momentan liegt hier an der Nordseeküste bei Leiden mehr Schnee als zuhause bei meinen Eltern in Baden-Württemberg. Ich habe die Wohnzimmertür in den Garten kaum aufgekriegt, das hat es noch nie gegeben. Und vor der Haustür, auf den Kanälen, haben sich schon gestern die ersten aufs Eis getraut, bei blitzeblauem Himmel.

Beim Anblick solch fröhlicher Eislaufzenen werde ich von einer geradezu hemmungslosen Liebe zu meinem Wahlheimatland erfasst. Sämtliche Kritik, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hat, schmilzt wie Schnee in der Sonne. Erstens scheint das schatsen, wie das Schlittschuhlaufen auf nederlands heisst,  das Beste im Holländer zum Vorschein zu bringen, denn auf einmal sind alle überaus freundlich, hilfsbereit und so richtig gut drauf – bei Temperaturen über Null wartet man darauf zuweilen vergeblich.  Zweitens geht es hier dann zu wie auf den Gemälden Alter Meister, die schon im Goldenen 17. Jahrhundert das bunte Treiben der Eisläufer verewigt haben – und daran kann ich mich nicht sattsehen: Genauso wie vor 400 Jahren schieben Ungeübte auch heute noch einen Esszimmerstuhl vor sich her, um nicht dauernd hinzufallen. Kinder nehmen ihre Schlitten mit aufs Eis, Jugendliche spielen Hockey oder flitzen um die Wette, rechts und links am Rand machen sich Buden mit Glühwein oder warmer chocolademelk breit. Am schönsten ist das alles im Grachtengürtel altholländischer Städte wie Leiden oder Amsterdam, vor der Kulisse historischer Grachtenhäuser aus dunklem Backstein, die mit ihren prächtig verzierten weissen Giebeln alle aussehen wie Lebkuchen mit Zuckerguss. So manche Kneipe rollt dann einen Läufer aus, damit die Schlittschuhläufer auf Kufen in die Kneipe stolpern können, um sich bei einem borrel aufzuwärmen.

 Weniger glücklich sind die Hausbootbesitzer. Beim letzten strengen Elfstedentocht-Winter 1997 lagen ihre schwimmenden Heime so fest im Eis, dass sie sich vorkamen wie Entdeckungsreisende auf Nova Zembla. Auch müssen sie sich, sobald es friert,  auf ungebetene Gäste gefasst machen: Viele Schlittschuhläufer schauen ungeniert bei ihnen durchs Fenster rein. Manche setzen sich sogar ganz dreist oben aufs Deck, um sich die Schlittschuhe anzuziehen. Und Anfänger nutzen die Boote als Halt oder  höchst willkommene Notbremse.

 Allerdings hat das Eis auch seine Vorteile: 1997 konnten die Hausbootbewohner wochenlang um ihr Heim herumspazieren, um in aller Ruhe die Fenster zu putzen oder längst fällige Reparaturarbeiten zu erledigen. Normalerweise müssen sie das von einem schwankenden Beiboot aus erledigen. Und je tiefer die Temperaturen, desto wämer das nachbarschaftliche Verhältnis: Man trifft sich viel häufiger mit den Hausbootbewohnern vom anderen Ufer.  

 So wie der Rest der Nation wünscht sich deshalb auch so mancher Hausbootbesitzer inbrünstig, dass es nach 13 Jahren Warten endlich wieder zu einem Elfstedentocht kommt – und der Eismeister nach wiederholtem Messen der Eisdicke wie immer auf friesisch die drei erlösenden Worte sprechen kann:  „It giet oan – es kann losgehen!“

 

 

 

 

 

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Alles eine Frage der Einstellung

Das ist eine Filiale der französischen Supermarktkette Carrefour in Paris und das sind die Einkaufswagen, die direkt an einer mehrspurigen Kreuzung stehen, langsam vor sich hinverdrecken und von Passanten als willkommenes Abfalllager genutzt werden (siehe der Müll im zweiten Wagen).

Und nun die Frage: Würden Sie ihr Kind in diesen Kindersitz setzen? Nein? Dann sind wir schon beim Thema, denn eine Französin würde es. “Et hopp, hinein und los gehts zum Einkaufen!” Denn alles ist eine Frage der Einstellung und das bekomme ich gerade am eigenen Leib zu spüren bei meinem wöchentlichen Besuch in der Geburtsvorbereitung im bayerischen Oberland, südlich von München.

Nicht nur, dass ich mit weitestem Abstand die Älteste im Kurs bin, nein, ich bin auch die, die am ehesten entbinden wird. Denn ich habe viel zu spät mit dem Kurs angefangen und es kann mir passieren, dass ich ihn auch nicht zu Ende führen werde, weil das Baby vorher kommt. Ich bin auch die einzige, die noch arbeitet. Obwohl das liegt daran, dass Selbstständige sich einfach keinen Mutterschutz leisten können. Bei 13 Euro am Tag von der Krankenkasse ist man eben nicht in der komfortablen Situation einer Gehaltsempfängerin. Meine Mithecheler im Kurs sind zum Großteil Angestellte und die meisten sind, weil sie beim Tierarzt oder im Kindergarten arbeiten, auch schon seit Monaten aus Ansteckungsgefahren von der Arbeit frei gestellt. Haben die es gut. Ich beneide sie.

Doch was sie für die Zeit danach planen, wundert mich. Die meisten wollen nach der Geburt zwei bis drei Jahre mit dem Kind zuhause bleiben. Und das mit Ende 20 oder Anfang 30 und diversen Eltern und Großeltern in Reichweite. Wenn ich dann erzähle, dass ich mir das gar nicht leisten kann und in Frankreich es eh üblich ist, dass das Kind nach drei Monaten in fremde Hände gegeben wird, dann kommt immer die gleiche Reaktion: “Ja, in Frankreich gibt es ja auch so viele Krippenplätze und für alles ist gesorgt.” Wenn die Damen wüssten. Das Ganze ist ein großes Märchen. Die Kinder-Rundherum-Versorgung in Frankreich ist ein Vorurteil, das sich in Deutschland hartnäckig hält nach dem Motto: Woanders ist es besser. Doch leider schaut die Realität anders aus: Krippenplätze sind Fehlanzeige – wenigstens in Paris. Ich kenne keine, ich wiederhole keine, die je einen Krippenplatz bekommen hätte. Alle organisieren sich selbst, mit Kinderfrauen, Familienkrippen, Eltern-Babysitting etc. Was bitte ist sonst organisiert? Gar nichts. Während man hier in Deutschland Kindergeld bekommt und das nun sogar auf über 180 Euro im Monat erhöht werden soll, gibt es in Frankreich fürs erste Kind gar nichts. Null Euro. Erst ab dem zweiten gibt es was und das liegt weit unter dem Betrag von Deutschland. Elterngeld? Auch das Fehlanzeige. Unterstützung für Väter? Fehlanzeige.

Schon in der Schwangerschaft müssen die Französinnen blechen: Ein Ultraschall in Deutschland kostet um die 30 Euro, in Frankreich 100 Euro. Wer nicht in Frankreich versichert ist, der ist schnell mit fast 2000 Euro dabei, wenn er eine “normale” Schwangerschaft durchlebt. So wie ich. Was zu ewigen Diskussionen mit meiner deutschen Krankenversicherung führt, die mir bis dato GAR NICHTS zurückerstattet hat. Wahrscheinlich denken die das Gleiche wie meine Schwangerschaft-Kolleginnen: In Frankreich ist doch alles eh rund um Geburt und Kinderbetreuung geregelt, was braucht die dann noch Geld zurück.

Ach, träumt nur alle weiter und ich setze inzwischen dann mein Baby in den Carrefour-Einkaufswagen. Aber wahrscheinlich erst nachdem ich in typisch deutscher Gründlichkeit ihn mit einem feuchten Tuch abgewischt habe. Denn alles ist wirklich nur eine Frage der Einstellung und irgendwie kann man wohl doch nicht aus seiner deutschen Haut.

Foto: Barbara Markert

 

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Kein Fest für Fische

Große Christen sind sie nicht, die Tschechen – nirgendwo anders in Europa ist die Quote der Nicht-Gläubigen höher als hier. An der liebsten Weihnachtstradition ihrer Vorfahren halten sie dennoch eisern fest: an den Festtags-Karpfen.

Und so ändert sich ein paar Tage vor dem Heiligen Abend das ganze Stadtbild in Prag: An fast allen Straßenecken bauen Händler ihren Stand auf, der aus zwei oder drei großen Wannen besteht und einem Campingtisch. Über dicke Schläuche fließt vom nächstgelegenen Hydrant, den die Stadt zu diesem Zweck freigegeben hat, frisches Wasser in die Becken. Darin tummeln sich dicht gedrängt die Fische; stattliche Exemplare sind es von beachtlichem Gewicht.

Die eigentliche Weihnachtstradition nun geht so: Man erwirbt einen solchen Karpfen, trägt ihn lebendig in einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte nach Hause und lässt ihn dort die Badewanne beziehen. Ich habe von Familien gehört, in denen sich einige Tage vor Weihnachten niemand duscht, weil ja die Wanne blockiert ist. Und an Heiligabend ist es die vornehme Pflicht des Familienvaters, zuerst die kleinen Kinder aus dem Raum zu schicken und dann den Karpfen zu meucheln. Die Mutter muss anschließend die Schuppen abschaben und den Fisch pfannenfertig zubereiten, damit das Abendessen gesichert ist.

Soweit die Tradition. Bei den Tschechen jedenfalls löst der Anblick der mächtigen Wannen an den Straßenecken allein schon weihnachtliche Gefühle aus. Nur einen Fehler sollte man nicht machen: auf die Preisschilder an den Verkaufsständen schauen. Darauf sind die Einzelposten aufgelistet: Ein Kilo so und so viele Kronen, eine Plastiktüte so und so viel. Und dann, gewissermaßen als Zusatzangebot: „Zbavení zivota“ – das „Entledigen vom Leben“. Fünf Kronen wollten sie im vergangenen Jahr dafür. Mal schauen, ob die Inflation vor diesem Weihnachtsfest auch den Karpfentotschlag erfasst hat.

 

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Kampf dem Weihnachtsbaum

Im Geburtsland Jesu ist das Weihnachtsfest Anlass zum Kulturkampf. Denn im jüdischen Staat wird fast zeitgleich das jüdische Lichterfest Chanukka gefeiert. Mit einer Chanukkiah, die Platz bietet für acht Kerzen plus eine, einem Kreisel (Sevivon), auf dem die Buchstaben Nun, Gimel, Hej und Pej (für „ness gadol hajah poh“, „ein großes Wunder ist hier geschehen“) eingeprägt sind, und natürlich Sufganiot, süßen Schmalzkrapfen. Für Weihnachtszauber ist da kein Platz. Jedenfalls nicht im öffentlichen Raum.

Die „Lobby für jüdische Werte“ hat jetzt den Weihnachtsbäumen den Kampf angesagt. Sie hat Briefe an Restaurants und Hotels verschickt, in denen sie androht, jegliche Zurschaustellung christlicher Symbole mit dem Entzug des Kosher-Zertifikats zu ahnden. Eine Sanktion, die einen Hotelier oder Restaurant-Besitzer teuer zu stehen kommen kann. Außerdem verteilt die Werte-Lobby Flyer, in denen sie zum Boykott dieser Einrichtungen aufruft: „Das Volk Israel hat über alle Zeiten hinweg seine Seele dafür gegeben, die Werte der Torah und der jüdischen Identität zu bewahren. Sie sollten diesem Weg der jüdischen Tradition treu bleiben und sich nicht der närrischen Atmosphäre hingeben, die am Ende des säkularen Jahres um sich greift. Und vor allem sollten Sie nicht die Geschäfte unterstützen, die diese albernen christlichen Symbole verkaufen.“

Die Modekette Zara musste kürzlich ihre Schaufenster im ganzen Land umdekorieren. Kunden hatten sich über die vielen Weihnachtsbäume in den Auslagen beschwert. Hierzulande sei schließlich Chanukka angesagt und das könne Zara aus dem katholischen Spanien nicht einfach so ignorieren, hieß es. Daraufhin hat Zara eine interreligiöse Schaufensterdekoration kreiert: Friedlich glitzern jetzt die Lichter am Plastik-Weihnachtsbaum neben den elektrischen Flammen auf der Chanukkiah.

 

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Weihnachten kam mit einem Knall

Da saß ich gemütlich bei einer Tasse Tee mit einem Diplomaten zum Hintergrundgespräch in einem Café, als wir plötzlich von einem fürchterlichen Knall aufgeschreckt wurden. Es klang wie eine heftige Explosion – und mehrere weitere folgten. Bestürzt liefen die Kellner zur Tür, um hinauszusehen. Statten die Israelis uns zu Weihnachten einen unangekündigten Besuch ab? Oder sind irgendwelche Terroristen am Werk? Als die Kellner strahlend wieder rein kamen und Entwarnung gaben, wurde klar: Es war ein mächtiges Feuerwerk. Wenn der Krieg nicht zu uns kommt, dann sorgen die Libanesen eben selbst für entsprechenden Lärm. Es hat mich immer zutiefst verwundert, warum die Menschen in einem Land, das so viele Kriege ertragen musste, Knaller und Feuerwerke so sehr lieben. Sind wir sensiblen Ausländer die einzigen, die sich dann immer wieder erschrecken und an das Schlimmste denken? Ich kann es mir kaum vorstellen.

Doch sei es wie es ist. Wir hatten also gestern mal wieder das Vergnügen eines massiven Feuerwerks im Zentrum Beiruts. Es erleuchtete den Nachthimmel zwischen dem Märtyrer-Denkmal und der Mohammed el-Amine-Mosche, besser bekannt als Hariri-Moschee (weil Rafic al Hariri  diese überdimensionierte Moschee vor seinem Tod hatte errichten lassen – als Symbol der sunnitischen Macht im Libanon, heißt es) in allen denkbaren Farben und war wunderschön. Der Grund: Saad al Hariri, der Sohn Rafics und Libanons neuer Premierminister, eröffnete die Weihnachtssaison in Beirut. 

Der Märtyrerplatz ist nun dekoriert mit 86 kleineren Weihnachtsbäumen und einer Riesentanne, bestehend aus 500 eigens dafür abgeholzten Nadelbäumen. An dieser Stelle ein Gruß von Beirut nach Kopenhagen, wo gerade die weltweite Klimaveränderung beklagt und vielleicht sogar bekämpft wird. Hariri wird Anfang der Woche auch dorthin kommen und sicher besorgte Worte finden. Aber jetzt und hier zu Hause erfreuen wir uns der Weihnachtssaison, denn die Konjunktur soll ja auf Hochtouren laufen. Um das zu erleichtern brennen auch auf den Weihnachtsbäumen auf dem Märtyrerplatz 1150 Lampen während 20 Projektoren die Mega-Tanne mit verschieden farbigem Licht zusätzlich anstrahlen. Tag und Nacht versteht sich. Minus drei Stunden täglich, denn für diese Zeitspanne fällt in Beirut jeden Tag der Strom aus, weil die Electricité du Liban nicht genug Strom produzieren kann. Wie das alles zusammenpasst, fragt man sich im Libanon besser nicht. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Die Libanesen sind also ganz auf’s Fest eingestimmt, alle Geschäftsstrassen sind weihnachtlich dekoriert, übrigens auch im überwiegend moslemischen Westen der Stadt. In den Läden wimmelt es von Festtags-Schnäppchen – der Kommerz ist König! Sozusagen als vorweihnachtliches Präsent bekamen die Libanesen auch noch kurz vor Jahresende endlich eine neue Regierung – nur sechs Monate nach den Parlamentswahlen im Juni. Die neue Mannschaft der nationalen Einheit wurde vom Parlament nach einer Marathondebatte von knapp 99 Prozent der Abgeordneten bestätigt – ein Rekord.

Und das, obwohl die pro-westlichen Christenparteien allesamt gegen Paragraph 6 der Regierungserklärung waren, der besagt: Der Libanon, sein Volk, seine Regierung, seine Armee und sein Widerstand (d.h. Hisbollah) haben das Recht, das gesamte libanesische Territorium mit allen legitimen Mitteln zu befreien. Mit anderen Worten: Niemand rührt die Waffen der Hisbollah an. Das finden nicht alle im Zedernstaat klasse, aber das ist nun erneut Regierungspolitik. Die Zeichen stehen auf Ruhe und Ausgleich, vorerst jedenfalls. Nach Ansicht des Abgeordneten Fadi al-Awar ist die allgemeine Atmosphäre so gut, dass einer Arbeit im Interesse der Bürger eigentlich nichts im Wege steht. Na, das sollte einem schon ein lautes Feuerwerk wert sein.

 

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Ho! Ho! Ho! I'm hot.

Auch nach fast acht Jahren in Sydney fällt mir schwer, Santa ernst zu nehmen. Ich fürchte, das liegt an etwas peinlich Oberflächlichem wie seinem Outfit. Santa (eigentlich Santa Claus, aber wir kürzen hier unten gern ab), sind jene Herren, die in rotem Samtvelours gewickelt mit dichtem weißem Bart und kuschlig warmer Mütze seit ein paar Wochen umherwandern, in Shopping Malls sitzen und Geschenke verteilen. Dazu rufen Santa Clause zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit “HO!HO!HO!”

Das ist australische Mundart, aber was es heißt hat mir noch kein Einheimischer erklären können. Meine alltagskulturelle Beraterin Christine sagt: “Santa kommt samt zwölf Rudolph (Rudy) genannten Rentieren vom Nordpol. Mit Hohoho vermeidet er Smalltalk, für den er keine Zeit hat, weil er ja um die ganze Welt muss.” Mehr weiß sie über den dröhnend dargebotenen Dreisilber auch nicht. Das “Australian Phrasebook” des bekanntlich immerschlauen Lonely Planet bemüht sich erst gar nicht um eine Erklärung.

Ich glaube, das dreifach-Ho ist mitnichten ein Lachen, sondern Santas Art uns mitzuteilen, dass er es santafeindlich findet, bei über 30 Grad in dicken roten Mänteln rumzulaufen: “HO!HO!HO ist mir heiss!” “Ho-ho-hot is it here…” Nach gut 220 Jahren weißer Besiedlung des Kontinents könnten wir doch eigentlich klimatisch passendere Kleidung für den Hochsommergast vom Nordpol finden.

Immerhin – Dieses Jahr zieren die allgegenwärtigen, bunten Advents-Straßenbanner in Sydney nicht wie sonst die beliebten Eissterne-Motive und Schneemänner. Diesmal schmücken die im Dekorations-Rausch befindliche Innenstadt lokale Flora und Fauna.

Das gibt Hoffnung. Wer weiß, in ein paar Jahrhunderten darf sicher auch der australische Santa Surfshorts tragen. Vielleicht in Dunkelrot mit weißem Puschelrand. 

 

 

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Hoffnung und Verzweiflung

Die Hoffnung war mit Händen zu greifen, vor wenigen Wochen noch. Erstmals seit Ausbruch des PKK-Krieges vor 25 Jahren schien eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes in der Türkei möglich. Erstmals brachte eine türkische Regierung den Mut auf, die Probleme beim Namen zu nennen und statt auf immer weitere Gewalt auf demokratische Reformen zu setzen, auf mehr kulturelle Rechte für die Kurden und mehr Freiheitsrechte für alle. Und erstmals seit Ausbruchs des Konflikts hattte sie dafür einen Großteil der Gesellschaft hinter sich, bis hin zum vom Dauerkrieg frustrierten Militär.

Jetzt liegt das alles in Scherben. Drei schwere Schläge hintereinander hat die neue Kurdenpolitik der Regierung Erdogan in den letzten Tagen versetzt bekommen. 1) Den Ausstieg der kurdischen Nationalisten aus dem Projekt – angekündigt von der Co-Vorsitzenden der Kurdenpartei DTP mit dem Satz „Für uns ist die Sache vorbei“ und vollzogen von der PKK am vergangenen Montag mit der Tötung von sieben Wehrpflichtigen im nordtürkischen Tokat, fernab vom Kurdengebiet. 2) Das Verbot der DTP durch das Verfassungsgericht wegen übermäßiger Nähe zur PKK und mangelnder Distanz zu deren Terror und Gewalt am gestrigen Freitag. 3) Den heutigen Abzug all ihrer Abgeordneten aus dem Parlament durch die DTP, die mit ihrer letzten Amtshandlung zumindest symbolisch die Spielregeln der Demokratie kündigte – so lückenhaft diese in der Türkei sein mag.

Wie es jetzt weitergehen soll, das fragen sich Millionen Menschen in der Türkei. Für viele von ihnen, vor allem im Westen des Landes, ist es eine theoretische Frage, eine politische Frage, eine ideologische Frage. Für Millionen andere geht es dabei aber um Leben und Tod, um Not, Elend und Ausgrenzung oder ein menschenwürdiges Leben. Für sie sind die Entwicklungen der letzten Tage eine Katastrophe. Ich denke an Figen in Diyarbakir und an Abdullah in Sirnak, ich denke an Kasim Tokay und seine Leute in Aziziye, ich denke an den Eselsattler Fevzi und den Milizionär Ali, und ich denke an Zehra und all die anderen Mütter, die ihre Söhne jeden Tag auf dem Friedhof besuchen. Ich denke an all die von dem Konflikt betroffenen Menschen, die mir in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten ihr Vertrauen und ihre Gastfreundschaft geschenkt haben, die nichts anderes wollen als Brot, Frieden und ein menschenwürdiges Leben für ihre Kinder, und die in den letzten paar Monaten erstmals Hoffnung schöpfen konnten.

 

 

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Geburtshaftanstalt an der Wolga

Als wäre ich in eine missglückte russische Filmkomödie geraten: Ich stehe auf der Bordsteinkante zwischen einem steif gefrorenen Rasen und einem Asphaltweg und spähe hinauf in die Abenddämmerung. Genauer auf eine dunkle Silhouette im hell erleuchteten Fenster 4 Stockwerke über mir. Die Silhouette ist der Kopf meiner Frau, die seit heute Vormittag im Roddom, im „Geburtshaus“, eingesperrt ist. Sie blickt zu mir herab, ihre Miene ist nicht mal zu ahnen. „Wir sind jetzt nur noch zu dritt im Zimmer“, ihre Stimme klingt unverdrossen, „einem Mädchen ist schon Wasser gekommen, die haben sie abgeholt, zum Kaiserschnitt.“ Ich frage nicht, was für Wasser ihrer Schicksalsgenossin gekommen ist, ich frage, ob die Einkaufstüte Obst gut bei ihr angekommen ist. „Soviel Obst, das kriege ich gar nicht mehr alles aufgegessen“, antwortet es tapfer von oben.

Ich aber fühle mich plötzlich sehr sowjetisch. Ein argloser Westler, vom russischen Schicksal gepackt und zurück geschossen in trübsten sowjetischen Alltag: Der Schweinegrippe haben wir es zu verdanken, dass das eigentlich hochmoderne „Republikanische Natale Zentrum“ in der Wolga-Stadt Tscheboksary die totalitären Regeln sowjetischen Quarantänewahns wiedereingeführt hat: Keine Schwangere, keine Wöchnerin darf aus dem Geburtshaus, kein Verwandter, kein Vater rein. Man kommuniziert durchs Fenster, fuchtelt und winkt, wenigstens gibt es Handys, man muss nicht mehr schreien wie die traurigen Heldinnen und Helden des Sowjetkinos, dessen Drehbuchautoren zugesperrte Gebärhaftanstalten zu einem der unwitzigsten Komödienklischees Russlands gemacht haben. 

Mann ist draußen. Das sich anbahnende Wunder findet drinnen statt, hier draußen scheint es beiläufig zu werden und fremd, man ist ihm so fern wie jeder fröstelnd vorbei eilende Passant. Übermorgen kommt meine Tochter zu Welt, sehen werde ich sie erst Tage später, auf dem Bildschirmchen einer digitalen Kamera, die meine Frau drinnen voll geschossen hat.  Meine Tochter liegt verpackt wie ein Paket auf einem Blechregal, mit einem Pappzettel dran. Adressiert, weiß Gott, an wen. Manchmal ist das Leben in Russland zum Heulen lieblos.

 

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Skaten und Skaten lassen

Er sieht aus wie ein stinknormaler Skatepark. Doch ich vermute dahinter ein geheimes städtisches Testgebiet. Tief im Süden der Stadt gelegen ist die Anlage. Sie ist eine der ältesten in London. Bisher war sie ein mäßig besuchter Abhängtreff für Schulschwänzer, mit schlechten Graffiti und miesem Beton. Doch dann wurde der Park geschlossen, Bauarbeiter rückten an und rissen die alte, gescheiterte Gemeindetristesse heraus. Plötzlich wuchsen dramatisch die Hügel aus Beton in die Höhe und stürzten wieder hinab in tiefe Becken. Ein Skaterparadies im Stile der endlosen Sommer im Kalifornien der Siebziger. Oder so in etwa war es wohl angedacht.

Und je neuer und steiler der Beton sich in seinem eingegrenzten städtischen Territorium gefiel, desto auffälliger ändert sich seitdem allmählich auch das Publikum. Leute aus Londons kreativem, viel zu coolem Osten setzen sich in die U-Bahn, um ganz freiwillig in den uncoolen Süden zu fahren und hier skaten zu können. Und vielleicht hat auch die Finanzkrise ihren kleinen Beitrag dazu beigetragen, denn plötzlich bekommt man als Anwohner in der Nähe des Skateparks ab mittags keinen Parkplatz mehr. Alles wird blockiert von Familienkutschen, aus denen lässige Endvierziger mit ein bisschen mehr Zeit steigen. Manche von ihnen schleppen alibimäßig ihre Söhne mit, andere trauen sich allein auf den Beton. Unterm Arm tragen sie die alten Boards aus der harmlosen Teenagerzeit, auf das sich zwanzig Jahre lang der Staub des Vergessens legen konnte.

An ein Testgebiet muss ich denken, weil man sich jeden Tag fragt, ob das auf Dauer gut gehen kann, wenn Väter plötzlich ihre eigenen Jugenderinnerungen auf dem Terrain ihres Nachwuchses ausleben wollen. Dort, wo heftig pubertierende Jungs vor den weiblichen Zuschauern eigentlich reichlich Testosteron loswerden wollen. Stattdessen müssen sie höflich bremsen, ihr Tempo drosseln und geduldig warten, wenn sich ein Mann im Alter ihres Vaters vor ihnen nicht traut, in den Pool hinab zu fahren. Doch die jungen Männer regen sich nicht einmal mehr auf, sondern tolerieren die graumelierten Gäste. So sieht sie also aus, die aktuelle Form von pubertärer Abgrenzung, Version 2009. Selbst jeden jugendlich-vernichtenden Zynismus verkneift man sich hier, wenn ein Boarder von Mitte fünfzig seine üppige Schutzausrüstung anlegt. Skaten und skaten lassen.Die Jugend präsentiert ihre Schürfwunden wie Schmuckstücke, und die Älteren schnallen ihre Knie- und Ellbogenschoner an. Wie eine Knautschzone zwischen der Sehnsucht nach Leichtsinn und einer ganz realistischen Angst vor der Arbeitsunfähigkeit.

 

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China: Internetnutzer jagen falsche Armeeoffiziere

Es gibt keinen so rohen Ort wie Chinas Straßen. Dort gilt uneingeschränkt das Recht des Stärkeren (und Größeren und Teureren). Ganz oben in der Hackordnung stehen die Autos mit den weißen Nummernschilden, denn die sind vom Militär. Oder sollten es zumindest sei

Die weißen Kennzeichen beginnen mit einem roten Schriftzeichen je nach Zulassungsort und Militärdistrikt. Es folgt ein roter Buchstabe, ein Gedankenstrich und eine fünfstellige Zahl, die das Fahrzeug identifiziert.

Mit einem weißen Nummernschild darf man auf Chinas Straßen: alles. Denn nie würde sich ein Verkehrs-Polizist trauen, einem möglicherweise einflussreichen Offizier einen Strafzettel auszustellen. Früher habe ich mich in Peking immer über die Militärfahrzeuge und Polizeiautos amüsiert, die man an Wochenenden beim Familienausflug beobachten konnte. Oder die Umzüge im Krankenwagen.

Jetzt haben chinesische Internetnutzer die Militär-Nummern miteinander verglichen. 

 

 

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Zeitschriften zum Schleuderpreis

Was mir an den Polen schon immer gefallen hat, ist deren Sinn fürs Improvisieren und fürs Geschäft. Sobald es ein paar Stunden regnet, verkaufen Strassenhändler direkt vor den grossen internationalen Einkaufstempeln am der Warschauer Marszalkowska-Strasse auf ihren Klapptischen Regenschirme und Ponchos aus Plastik. Beginnt es zu schneien, werden die Schirme von bunten Handschuhen, Mützen und Schals verdrängt. Schnürsenkel und Bettbezüge sind immer angesagt.

 

Private und staatliche Sicherheitsorgane versuchen diesem grassroot- kapitalistischen Treiben seit über zehn Jahren Herr zu werden und die fliegenden Händler zumindest aus der Innenstadt zu vertreiben. Doch gelungen ist dies bisher höchstens für ein paar Wochen. Der Anblick improvisierter Verkaufstische zieme sich einer europäischen Hauptstadt nicht, wird immer wieder von Neuem argumentiert. Doch das Volk kauft weiter Schirme und Schnürsenkel auf der Strasse.

 

Für Korrespondenten und andere Leseratten besonders interessant sind dabei die Bahnhöfe. Unverkaufte Wochenmagazine und Fachzeitschriften landen in Polen nämlich nicht im Altpapier sondern bei den Strassenhändlern. Diese verkaufen dann die letzt-, vorletzt- und vorvorletzwöchigen Politmagazine Wprost, Newsweek Polska oder Polityka für rund einen Drittel des Preises. Gleiches gilt für polnische Monatszeit- und Quartalszeitschriften. Wer also wie ich wegen der kleinen EU-Normbriefkästen der Polnischen Post (www.poczta-polska.pl) kein Jahresabo hat, spart bei jeder Rückkehr aus dem nicht-polnischen Berichtsgebiet gleich dreimal. Es sei denn er erwerbe den letztwöchigen SPIEGEL – der kostet höchstens noch einen Fünftel.  

 

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Pollo, Res und Aguacate – Werbung als Sprachunterricht in Los Angeles

Einmal die Woche liegt Werbung meines Supermarktes um die Ecke im Briefkasten. Auf den ersten Blick sieht die aus, wie jede andere Supermarkt-Werbung in den USA. Bunt, viele Bilder und natürlich super, super günstige Angebote. Bei genauerem Hinsehen, ist aber alles anders.

 

Die Werbung ist die perfekte Ergänzung zu meinem Spanischunterricht bei Makela, Tangotänzerin aus Bunos Aires

Ist schon praktisch, wenn man an einem Ort wohnt, wo man neu erworbene Sprachkenntnisse direkt anwenden kann. Da lerne ich also ganz anschaulich beim Frühstück: naranja = Orange, aguacate = Avocado und elotes blanco = weißer Mais. Obwohl, da frag ich besser Makela nochmal. Mir kommt es vor, als müsste es elotes blancos heißen… 

Alle sind super-freundlich im Supermarkt, abgesehen davon, dass sie nur ungern mit mir spanisch sprechen. Bin wohl zu langsam. Vor allem an der Kasse kommen sie lieber auf englisch schneller zur Sache. Manche freuen sich aber auch, wenn ich erkläre, daß ich spanisch lerne und üben muss. Die Gespräche auf spanglisch plus Zeichensprache verkürzen das Warten in der Schlange ungemein. Ich schau mit Begeisterung dem Supermarkt-Bäcker zu, der von morgens bis abends am sprichwörtlich laufenden Band Tortillas produziert und zwischendurch vor Kitschfarben strotzende rechteckige Cremetorten verziert. Überwältigt bin ich vom Bohnen-Angebot. Frijoles gibt es in viel mehr Farben und Formen, als ich mir je hätte träumen lassen. Die Kunden bedienen sich mit Riesenschaufeln aus Riesencontainern. Für das Einkaufen an der Fleischtheke bin ich nicht hartgesotten genug. Die Massen an Hühnerbrustfilet (pechuga de pollo sin hueso) und Steak (troso de res – müsste das nicht trozo heißen, Makela?), die da zu super-günstigen Preisen übereinander liegen, bereiten mir spürbares Unwohlsein. Irgendwie halte ich es besser aus, nicht über die Herkunft supergünstiger Limonen nachzudenken als über die Lebensbedingungen der Sparpreis-Hühner und -Rinder. Leider darf ich im Supermarkt keine Photos machen. Das würde ich gerne mal zeigen. Die Bohnen und die Fleischtheke und die verzierten Torten des Tortilla-Bäckers.

Makela möchte ja lieber, dass ich Zeitungen auf spanisch lese als Werbung. Am liebsten El Pais oder ähnlich Anspruchsvolles, weil deren Sprache besser ist als La Opinion aus Los Angeles. Ich lese lieber La Opinion. Weil es einfacher ist und ich besser mitbekomme, was die Latinos in Kalifornien und den USA beschäftigt. Da finde ich gleich Stoff für die nächste Geschichte!

 

 

 

 

 

 

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Klima, Kunst und Kopenhagen

Klima, Klima, Klima – in Kopenhagen ist kein Entrinnen. Der am morgigen Montag beginnende Klimagipfel COP15 ist schon seit Monaten auf Bussen, in Zügen, auf Taxen und und und angekündigt worden. In letzter Zeit bekomme ich täglich gefühlte 23 500 Pressemitteilungen und –einladungen, die mit dem Klimagipfel zu tun haben. Die neuen Elektro-Renaults soll ich ebenso probefahren wie den Tesla, mir die Bürgermeister anschauen, die sich zum eigenen Klimagipfel treffen ebenso wie die Kinder. Gleich eine hand voll der bedeutendsten Museen locken mit Klimaausstellungen, mal mehr mal weniger deutlich wird die Kunst in den Dienst genommen, um auf den drohenden Klimawandel aufmerksam zu machen. Nicht ganz unwichtig dabei ist auch, Kopenhagen zu Markte zu tragen. Zu den zurückhaltenderen Ausstellungen gehört „The world is yours“ im Kunstmuseum Louisiana vor den Toren Kopenhagens:

Vier Worte prangen in Leuchtbuchstaben auf dem Museumsdach: „The world is yours“. Garde Einar Einarssons Werk hat der aktuellen Großausstellung mit zeitgenössischer Kunst den Titel gegeben. Die Welt gehört Dir wird für gewöhnlich als „Du hast alle Möglichkeiten“ verstanden. Die Kuratoren von Louisiana und ihre 24 Künstler jedenfalls nutzen sie.

Gleich im ersten Raum endlich einmal ein Eliasson, der begeistert. Der Island-Däne attackiert mehr als nur den Sehsinn. Hinter einer schweren Tür in einer auf minus zehn Grad gehaltenen Kältekammer steht sein für BMW hergestelltes Werk „Your mobile expectations: BMW H2R“. Das Fahrzeug ist kaum zu erkennen, eine filigrane Eisstruktur umschließt es – ein ästhetischer Genuss. Beim Eintreten gibt es einen Kälteschock. Das Objekt visuell wahrnehmend kommt die Erkenntnis: hier hat Eliasson BMW ein Schnippchen geschlagen. Er ist kein Futurist, der der Schnelligkeit des Automobils huldigt. Nein, Eliasson zeigt, dass diese Art der Fortbewegung – auch wenn wasserstoffbetrieben – von gestern ist, als stamme sie von vor der letzten Eiszeit. „The world is Yours“ hat er sich wohl gedacht: Nimm die Chance wahr, die BMW dir bietet, und zeig den Autobauern, was Sache ist.

Das alle Träume haben, illustriert die Chinesin Cao Fei. Sie filmt monoton in einer chinesischen Osram-Fabrik arbeitende Arbeiter. Dann treten die gleichen Menschen plötzlich als Tänzer oder Sänger auf – sie haben für Fei gezeigt, dass sie mehr als Fabrikmenschen sind. Die dänische Künstlergruppe Superflex zeigt in einem Film, wie ein McDonald’s Restaurant langsam überflutet wird. Auch die Überflussgesellschaft ist unsere Welt. Wie der Titel verspricht, gibt die Ausstellung Einblicke in die Tendenzen unserer Zeit.

Das Museum verlassend hat man Garde Einar Einarssons Leuchtbuchstabensatz „The world is Yours“ im Rücken. „The world is Yours“ ist eben auch eine Mahnung, die man im Hinterkopf haben sollte: Die Welt gehört Dir, mach was draus!

 

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Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?

Im Kühlregal vom Supermarkt mache ich eine Entdeckung. Das neue Klimasiegel – ein grüner Baum und das Kürzel „CO2“ – ziert einen Yoghurt-Becher. Erstaunlich, denn die Kuh an und für sich steht nicht im Ruf, dem Klima gut zu tun. Das Rindvieh pupst Methan in die geplagte Atmosphäre. Wo es sein Gras rupft, wächst kein Regenwald. In Schweden haben sich die vermeintlichen Zeichen des Fortschritts und der Aufklärung rasant vermehrt. Sie prangen auf Lebensmitteln im Supermarkt und auf den Menükarten von Restaurants. Und in Zukunft wird dort genau aufgelistet sein, wieviel Treibhausgas eine Ware produziert, versprechen die Zertifizierungsfirmen Svenskt sigill und KRAV, die der Bauernkooperative nahe stehen.

Für mich als gemeinen Verbraucher wird die Lage nicht übersichtlicher. Allerhand Tabellen zu Kalorien, Fett und Zusatzstoffen gilt es zu studieren. Hinweise zur sozialen und politischen Verträglichkeit der Ware wollen beachtet sein. Und nun also soll ich auch noch den Planeten retten. Die allmächtige Lebensmittelbehörde empfiehlt mir, lieber Mohrrüben als Gurken und Tomaten zu essen, weil die in nördlichen Breiten in beheizten Gewächshäusern aufwachsen. Fisch ist zwar gesund, wird aber nur in Maßen beworben, weil die Fischgründe Europas leergeplündert sind.

Die Idee zum Klimasiegel geht auf eine Studie des Umweltrats zurück. Dessen Forscher hatten berechnet, dass sich in einem Industrieland wie Schweden rund ein Viertel der Kohlendioxid-Emissionen auf die Produktion und Transport von Nahrungsmitteln entfallen. Mit einem Ablass in Form von Pflanzungen im Regenwald wirbt in Schweden seither sogar eine Fastfood-Kette. Da erfährt man, dass uns der Burger mit drei Kilo Kohlendioxid belastet, das Truthahn-Sandwich wäre unter dem Aspekt, unser Überleben zu sichern, die bessere Wahl gewesen. „Die Telefone stehen nicht still. Ihre Kollegen rennen uns die Bude ein“, frohlockt ein Sprecher auf Anfrage.

Die Musterschweden haben es mal wieder geschafft: So kurz vor dem Gipfel in Kopenhagen ist ihr Klimasiegel in aller Munde. ARD, BBC, New York Times, alle stürzen sich auf die Geschichte. Da spielt es kaum noch eine Rolle, dass Umweltorganisationen wie der Naturschutzbund größte Zweifel hegen. Vergessen wird auch, dass die allermeisten Ökolabels in erster Linie das eine Ziel verfolgen: zweifelhafte Produkte auch in Zukunft unter die Leute zu bringen. So war es schon als uns die Schweden ihre hochtourigen und tonnenschweren Volvos und Saabs – Saurier des fossilen Zeitalters – urplötzlich als Zukunftsgefährte mit Biopower anpriesen. Getreu dem verlogenen Motto: „Pack die Wälder in den Tank!“

Ohnehin  neigt der gemeine skandinavische Verbraucher im Winter kaum zum sparsamen Gebrauch von allerhand Trocknern, Saunen und elektrischen Heizlüftern. Die Lichter brennen die ganze Nacht. Der Pro-Kopf-Verbrauch der Schweden zählt zu den höchsten der Welt. Die Prasserei fällt nur deshalb in den Statistiken nicht auf, weil man über sprudelnde Wasserkraft, verlässlich desolate Atommeiler und Bäume in großer Zahl verfügt.

Wie man – ganz ohne Ökolabel – Verantwortung übernehmen kann, hat der britische Forscher Anthony Allan schon vor Jahr und Tag am Beispiel des Wassers aufgezeigt. Vegetarier begnügen sich im Alltag mit der Hälfte des benötigten Wassers, das vor allem in der Nahrung steckt. 2500 statt 5000 Liter Wasser pro Tag. Durch eine schlichte Änderung der Gewohnheiten, lässt sich die Hälfte sparen. Das gilt auch für die ganz privaten Emissionen.  

 

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Malaria

Das schönste an unserem Beruf ist es ja, immer wieder Neues kennen zu lernen. Nicht ganz so schön sind die Dinge, die man kennen lernt. Seit anderthalb Wochen lerne ich beispielsweise eine Krankheit kennen, die ich in den sechs Jahren seit meiner Ankunft in Afrika erfolgreich vermieden habe: Malaria. Allen Besuchern habe ich immer im Brustton der Überzeugung versichert, dass eine Prophylaxe Quatsch ist, weil sie im Fall der Erkrankung die Entdeckungs- und Behandlungschancen herabsetzt. Stattdessen reise ich stets mit einer Packung Doxycyclin im Gepäck, dem von der WHO empfohlenen Stand-by-Medikament. Vorvergangene Woche habe ich sie erstmals geöffnet.

Um kaum eine andere Krankheit ranken sich bei Expats in Afrika so viele Mythen wie um Malaria: wer sie einmal hat, bekommt immer sie immer wieder (stimmt nicht, jedenfalls nicht in unseren kenianischen Breiten), die Leber wird im Nullkommanichts zerstört (stimmt auch nicht, wenn man rechtzeitig behandelt) und man ist wochenlang geschwächt und kommt zu nix mehr (das stimmt, auch wenn dieser Blog eine rühmliche Ausnahme darstellt). Fast schon zynisch die Tatsache, dass ich mir den entscheidenden Mückenstich vermutlich bei der Recherche zu einer Geschichte über eine anstehende Malaria-Impfung geholt habe – die Mücken am Viktoriasee sind für ihre Aggressivität besonders berüchtigt.

Können Sie sich vorstellen, nach so wenig Zeilen schon wieder müde zu sein? Ich auch nicht. Ist aber so. Noch ein paar Tage, sagt der Doktor, dann ist auch das vorbei. Dann lesen wir wieder mehr voneinander. Bis dahin: lassen Sie sich nicht stechen!

 

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Der Pawlowsche Reflex des Nachrichtenredakteurs

Mediensoziologen machen ja vor nichts und niemandem Halt. Manche setzen sich mitten in den Newsroom und beobachten, nach welchen Kriterien Journalisten Informationen auswählen, die sie dann als Nachricht in die Zeitung, ins Fernsehen oder wohin auch immer bringen.

Hin und wieder, das hat Gaye Tuchman 1973 mit eigenen Augen beobachtet, landet auf dem Schreibtisch des Nachrichtenredakteurs ein besonders ungewöhnliches, wunderbar saftiges Informationshäppchen, das in die Kategorie ‘What a story!’ (Was für eine Geschichte!) fällt. Was dann passiert, liest sich bei Tuchman später so:

“Das Ausmaß, in dem diese Typologie selbst Routine ist, zeigt sich symbolisch in der fast stereotypen Art, in der verbale und nonverbale Gesten den Ausruf ‘Was für eine Geschichte!’ begleiten. ‘Was’ wird betont. Der Sprecher verstärkt diese Betonung, in dem er langsamer als normal spricht. Er verstärkt sie noch weiter, indem er langsam mit dem Kopf nickt. Dabei grinst er und reibt seine Hände.”

Nur sabbern tut er nicht, jedenfalls nicht unter Beobachtung…

 

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DER SCHRANK, DER RETTER

Der Hörfunkarbeiterin fern der Heimat fällt es besonders schwer einen guten Ton  zu zaubern, der die Arbeitgeber überzeugt. Denn das, was in Deutschland „über den Sender geht“, entsteht in Hausarbeit.

Die üppigen, gut gepolsterten, muckmäuschenstillen Studios des NDR und WDR, in denen die Radiotöne entstehen, gehören längst der Vergangenheit. Auch die Butzen von Radio Belgrad, die man hier Studio nennt, sind nicht mehr aktuell.  Denn: kein Schwein geht mehr ins Studio.

Der Radiomensch, vor allem wenn er in der Auslandspampa sitzt, macht heutzutage alles selbst. Der erste Schritt des entstehenden Radiobeitrags beginnt wie eh und je: die Person, die etwas zu sagen hat, wird interviewt. Doch ab hier ist alles anders, als es einmal war: kein Tontechniker steht bereit, der Toningenieur auch nicht. Und von einem Studio kann man nur noch  in den stillen Nächten träumen. Der Reporter macht sich an die Arbeit, speichert das Gespräch im Computer ab, wählt aus den Tönen aus, was in die Reportage eingebaut wird, schnippelt das Ganze mit einem entsprechenden Schnittprogramm ab, schreibt den dazugehörigen Text, druckt ihn aus.

Der Text soll nun gesprochen werden, möglichst, eben, in Studioqualität der Heimatsender.

Leichter gesagt, als getan.

Denn, die Aufnahme findet in den heimischen vier Wänden statt, zwischen Klo und Küche, je nachdem, welcher Raum die bessere Akustik vorzuweisen hat. Mein Belgrader Domizil hat große Atelierfenster und keine Gardinen, hohe Wände und keine „raumschluckenden“ Gegenstände. Am Schreibtisch surrt der Laptop, in Klo und Küche hallt es wie in den Alpen.

Was tun?

In den Schrank gehen. Das Mikrofon zwischen Wintermantel und Sommerhose placieren, Klemmlämpchen einschalten, loslegen und hoffen, dass die Katze nicht in diesem Moment in den Schrank will.

Geschafft.

Die Tonqualität wird gelobt, die Methode In-den-Schrank-gehen hat sich mittlerweile rumgesprochen. Die Kollegin vom Deutschlandradio lacht sich schlapp: „Nee, so was habe ich noch nicht gehört. Von Eierkartons war schon die Rede, von dicht zugezogenen Gardinen, aber diese Variante ist mir bis jetzt unbekannt gewesen“.

Ja, mir auch, aber Not macht eben erfinderisch.

 

 

 

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Armes Deutschland

“Junger Mann, müssen Sie zufällig nach Essen?” Ich stehe am Düsseldorfer Flughafen und will mir gerade am Fahrkartenautomaten einen Fahrschein ins Ruhrgebiet kaufen als wie aus dem Nichts ein freundlicher älterer Herr auftaucht und mich anspricht. Ich stutze. “Naja, ich muss schon Richtung Essen, aber eigentlich noch weiter”, antworte ich irritiert. Der Herr ist auffällig fein gekleidet, mit Jackett und rot gestreifter Krawatte. Warum er sich für mein Reiseziel interessiere, will ich wissen. “Isch kann Sie mitnehmen”, sagt der Kauz im feinen Zwirn und in breitem rheinländischen Dialekt. “Also isch bin Kölner, wie man vielleischt hört, und isch kann Sie mitnehmen wohin Sie wollen.”

Ich verstehe noch immer nicht und höre mich sagen: “Aber Sie wissen doch gar nicht, wohin ich will.” “Dat spielt doch jar keine Rolle, isch fahr Sie dahin, wohin Sie wollen”, antwortet er. Als ich ihn noch immer verständnislos anschaue, wird er deutlich: “Auch wennet für Sie nit danach ussieht, aber isch bin Rentner, kann aber nit davon leben.”

Er zückt seinen Behindertenausweis und schlägt mir vor, dass ich ihm neun Euro gebe statt für zehn Euro einen Fahrschein zu ziehen. Dafür würde er mich bis zu meinem Endbahnhof begleiten. “Sie müssen sisch keine Sorjen machen, dat is serijös. Hundertprozentisch,” sagt er und erklärt mir, dass er mit seinem Ausweis noch eine zweite Person mitnehmen könne.

“Also gut”, sage ich. Schweigend gehen wir zum Bahnsteig. Ich bin völlig erstaunt und innerlich entsetzt. Dass in Deutschland ein Rentner noch Geld dazu verdienen muss, um über die Runden zu kommen, hätte ich nicht gedacht. Zweimal pro Woche, so erzählt er mir, würde er das tun, was er soeben bei mir erfolgreich gemacht hat: Wildfremde Leute ansprechen und darauf hoffen, dass es klappt. Sein Kapital: Der Schwerbehindertenausweis. Und um gleich einen guten Eindruck zu machen, zwängt er sich mit Jackett und Krawatte in feine Schale. Denn, das weiss er: Wenn er jemanden anspricht, ist der erste Eindruck entscheidend.

Aber häufig klappe es eben nicht. Viele Leute würden ablehnend reagieren, sagt er. “Sie glauben ja gar nicht wie erniedrigend dat für mich is. Dat halt isch selbst im Kopp nit us.” Dann erzählt er mir seine Lebensgeschichte: Hans, 69 Jahre alt, alleinstehend, 40 Jahre im Strassenbau malocht, 1995 den Job verloren. Das Arbeitsamt habe ihn dann in den Vorruhestand geschickt. Gegen seinen Willen, sagt er. Sonst hätte man ihm die Arbeitslosenhilfe gestrichen. Heute lebt er von 612 Euro Rente und 109 Euro Wohngeld. Nach Miete und Nebenkosten von 340 Euro bleibt ihm also nicht mehr viel zum Leben.

“Dit is ja eijentlisch Bettelei, wat ich da jetzt mache”, sagt Hans verschämt, nachdem wir in Witten, meinem Reiseziel, angekommen sind. Ich drücke Hans zehn Euro in die Hand, spendiere ihm noch einen Cafe und lasse ihn am Bahnhofsbuffet zurück.  Armes Deutschland.

 

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Traumstädte mit Strom und Wasser

Mein neues Zuhause liegt im English Village, im englischen Dorf, eines der unzähligen Neubauviertel, die im nordirakischen Erbil derzeit wie Pilze aus dem Boden wachsen. Während Dream City, das amerikanische Dorf, die New Zealand City oder wie sie sonst alle heißen noch mehr einer Baustelle gleichen, ist das English Village bis auf einige Häuser fast fertig. Wie Stadtvillen sehen die eng aneinander stehenden Gebäude aus. Innen sind sie geräumig, nach oben offen, einstöckig. Ein von der Hitze des Herbstes ausgebrannter Rasen zieht sich wie ein Handtuch um jede Villa. Eine englische Baufirma war hier federführend und hat dem Ensemble einen Vorstadtcharakter gegeben. Doch mit der gewohnten britischen Vorstadtidylle hat das British Village in Erbil nicht viel gemein. Hinter der Umzäunung wachsen wilde Müllkippen, die ein vermehrtes Fliegen- und Mückenaufkommen hervorbringen. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten im Dorf, nicht einmal ein Pub. Trotzdem zieht es immer Menschen hierher, denn der ausschlaggebende Punkt hier zu wohnen, ist ein in Europa zur Selbstverständlichkeit gewordenes Phänomen: Es gibt 24 Stunden Strom und ausreichend Wasser.

Wer in den letzten Jahren im Irak gelebt hat, weiß dies zu schätzen. Mehrere Stunden werden täglich nur damit verbracht, Generatoren in Gang zu halten, das zuweilen rare Diesel auf dem Schwarzmarkt zu besorgen, Ersatzteile für die verschleißten Maschinen zu beschaffen und jemanden aufzutreiben, der den Generator zum fünfundzwanzigsten Mal repariert, bevor man sich einen neuen leistet. Nirgendwo im Irak gibt es derzeit eine lückenlose Stromversorgung. Mit Wasser sieht es nicht besser aus. Erbil, die Hauptstadt der drei nordöstlichen Provinzen, die schlechthin als Irak-Kurdistan gelten und weitgehende Autonomie genießen, ist seit dem Sturz Saddam Husseins um fast das Doppelte gewachsen. Heute wohnen hier 1,3 Millionen Menschen. Der rasante Zuzug vor allem aus dem vom Terror geplagten Bagdad und den an die Hauptstadt angrenzenden Provinzen, hat die Stadtplaner vor schier unlösbare Probleme gestellt. Strom und Wasser wurden aufgeteilt und in einigen Vierteln so knapp, dass eine Welle des Protestes über die Stadtväter hereinbrach. Inzwischen ist ein neuer, privater Stromerzeuger aufgetreten und ans Netz gegangen. Doch die technischen Voraussetzungen für die alten Stadtviertel müssen erst noch geschaffen werden, um die Zufuhr zu gewährleisten. Für die neu entstehenden „Traumstädte“ ist dies schneller wahr zu machen.

 

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Schwarzer Peter im Glashaus

Als ich am Morgen des 6. Juli, einem Montag, ins ARD-Hörfunkstudio Kairo kam, fragte mich eine ägyptische Mitarbeiterin, ob ich von dem Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht gehört hätte und warum die deutschen Medien und deutsche Politiker die Tat immer noch verschweigen würden. Tun sie sicher nicht, erwiderte ich und schaute später in den Archiven nach. Ich wollte der Kollegin das Gegenteil zu beweisen. Es gelang mir nicht, sie hatte recht. In den fünf Tagen nach dem Mord an der Ägypterin, der am Mittwoch zuvor stattfand, waren Meldungen außerhalb der Vermischtes-Seiten oder des Polizeireports die Ausnahme, vom Tathintergrund ganz zu schweigen.

Noch am selben Tag produzierte ich einen Hörfunkbericht mit O-Tönen, der die Reaktionen in ägyptischen Talkshows, Zeitungen und von Passanten auf Kairos Straßen zusammenfasste. Eine knappe Woche nach der Tat meldete sich dann endlich auch die Bundesregierung in Gestalt des Regierungssprechers zu Wort, mit enttäuschend hinhaltender Rhetorik: Sollte es sich herausstellen…, so werde man… aufs Schärfste verurteilen… usw… Andrea Dernbach fragte im Berliner »Tagesspiegel«: »Warum ist der Tod einer Kopftuchträgerin, die nicht Opfer eines Ehrenmords wurde, eine Woche lang nur eine kurze Meldung in den Nachrichtenagenturen und für die politischen Institutionen kein Grund, auch nur zu zucken?«

Ebenso Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, der bestürzt wissen wollte, warum es keine »Solidaritätsadressen von Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft« gegeben habe. Immerhin sei der Mord »ganz offensichtlich das Ergebnis der beinahe ungehinderten Hasspropaganda gegen Muslime von den extremistischen Rändern der Gesellschaft bis hin in deren Mitte«. Sind etwa die Protestnoten deutscher Politiker nach antisemitischen Straftaten, so könnte Kramer sich weiter gefragt haben, womöglich nichts anderes als ein hohles, pflichtbewusstes Routineritual?

Der Täter ist inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt worden, am Ende eines Prozesses, den der »Spiegel« zu Recht als Sternstunde des deutschen Rechtsstaates bezeichnet, ein Prozess, der die besondere Schwere der Schuld feststellte und auch in ägyptischen Medien gelobt wurde. Leider zu selten wurde allerdings die Frage gestellt, ob der Mord an Marwa El-Sherbini nicht Ausdruck einer Atmosphäre des Islamhasses ist, der bis in die Mitte der deutschen Gesellschaft reicht. Auch scheint es kaum jemanden zu beunruhigen, dass die deutsche Öffentlichkeit in diesem Fall reagiert hat, wie ich es normalerweise von der ägyptischen gewohnt bin.

Da waren zum einen die späten deutschen Reaktionen, die von der arabischen Presse als Todschweigen oder, schlimmer noch, gelegentlich als heimliche Komplizenschaft gedeutet wurden. Wenn Ihr nicht alle Terroristen seid, fragt der Westen seit 9/11 die muslimische Welt (zu Recht), wo sind dann Eure kritischen und gemäßigten Stimmen? Nun mussten sich dieselbe Frage die Deutschen gefallen lassen: Wenn Ihr nicht alle Rassisten seid, wo blieben dann Eure Verurteilungen und Solidaritätsnoten?

Wie in der arabischen Welt nach Terrorattentaten, so suchte man auch in Deutschland die Schuld bei anderen. Warum soll die Tat für uns relevant sein, wo Alex W. doch erst 2003 aus Russland nach Deutschland kam? Nicht ungelegen kamen offenbar die emotionalen Reaktionen in der muslimischen Welt, die Proteste und Drohungen. Brennen bald deutsche Botschaften, fragte ZEIT Online. Dass in Ägypten Protestaktionen die Ausnahme waren, spielte keine Rolle. 2000 Ägypter beim Trauerzug in Alexandria hinter Marwas Sarg, bei dem einige Hitzköpfe »Nieder mit Deutschland« grölten, drei Dutzend stumme Transparenteträger vor der Deutschen Botschaft in Kairo, ein Mordaufruf im Internet, der dort allerdings von Durchschnittsusern kaum gefunden werden konnte und von einem Wirrkopf stammte. All das reichte aus, um die anderen schlecht, fanatisch oder, besser noch, als Täter dastehen zu lassen.

Wie praktisch auch, dass es unter Muslimen (aber nicht nur unter ihnen) Ehrenmorde gibt. Diese Retourkutsche ließ man sich nicht entgehen. Laut Bundeskriminalamt wurden zwischen 1996 und 2005 pro Jahr im Schnitt fünf Frauen Opfer eines Ehrenmordes in Deutschland – jeder einzelne eine grausame Tragödie. Dennoch ist es an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, angesichts der Proteste gegen den Mord an Marwa El-Sherbini zu fragen, wo denn die Proteste gegen Ehrenmorde bleiben? So geschehen in Kommentaren und Berichten in den letzten Monaten. Das erinnert mich daran, wie man in arabischen Ländern den Schwarzen Peter zurückgibt, indem nach Terrorattentaten gern auf Guantanamo, den Krieg gegen den Irak, die zivilen Opfer in Afghanistan oder den Palästinensergebieten verweist.

Besonders nervös wiesen die Deutschen in der Berichterstattung zum Marwa-Mord, in Leserbriefen und in Kommentarspalten den Generalverdacht von sich, dem man sich ausgesetzt sah. DIE Deutschen sind natürlich keine Rassisten, auch wenn das manche ägyptischen und arabischen Medien in den Wochen und Monaten nach dem Mord suggerierten. Aber ist der Generalverdacht nicht ein Instrument, das weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit bekannt vorkommen müsste, weil sie es jahrelang auf Muslime angewandt haben?

Unterm Strich war zu erleben, dass die deutschen Reaktionen auf den Mord in Dresden zu oft aus Verdrängen, Verharmlosen, Relativieren und Dämonisieren bestanden. Im Grunde haben sich weite Teile der deutschen Öffentlichkeit verhalten wie die arabischen Gesellschaften in spiegelgleichen Situationen. Und das sollte, angesichts der Tatsache, dass wir in einer demokratischen Zivilgesellschaft leben, nun wirklich beunruhigen.

 

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Über fietsen und Teilzeit

Die Leichtigkeit, mit der sie sich auf den Rücksitz eines Rades schwingen – seitlich, wohlgemerkt, mit elegant wippenden Beinen – das fasziniert mich noch immer. Und keine Frage: Sobald sie ein Kind bekommen haben, landet auch das auf dem fiets. Holländische Frauen sind wahre Akrobaten auf dem Sattel. Noch ein Kind? Einkaufstaschen? Alles kein Problem: Der Nachwuchs sitzt ganz hinten und ganz vorne, die Einkaufstaschen baumeln rechts und links – und schon stürzt sich die holländische Mutter kühn und unerschrocken in den Verkehr, vorzugsweise zu den Stosszeiten, denn die kleintjes müssen ja zur Schule gebracht und abgeholt werden. 

Inzwischen macht zwar das bakfiets Furore, das so genannte Wannenrad, in dem neben Sprösslingen und Einkaufstaschen auch noch problemlos der Weihnachtsbaum Platz findet. Aber dennoch stehen insbesondere deutschen Müttern allein bei der Vorstellung vor Grauen alle Haare zu Berge: Erstens ist der Nachwuchs Auspuffgasen ausgesetzt, zweitens setzt man sich grundsätzlich nur mit Helm auf ein Rad. Und drittens, so finden auch andere Nicht-Holländerinnen, mutet die Rollenverteilung aus emanzipatorischer Sicht etwas seltsam an: manlief, wie der Ehemann liebevoll genannt wird, begibt sich majestätisch im dicken leeren Auto zur Arbeit, vrouwlief, wie die Gattin heisst, lässt sich samt kids und Einkäufen mit dem fiets abspeisen. „Wäre es“, gab meine kolumbianische Freundin Evelyn einst zu bedenken, „umgekehrt nicht logischer?“

 Neulich musste ich an ihre Worte zurückdenken. Da sah ich einen Mann auf dem fiets, der sämtliche akrobatischen Sattel-Künste der holländischen Frauen in den Schatten stellte: Auch er hatte ein Kleinkind vorne, eines hinten, Einkaufstaschen rechts und links, aber er setzte noch eins drauf, denn er hatte auch noch einen Hund an der Leine, der fröhlich neben dem fiets trabte.

 Sollte man diesen Mann nun als Symbol eines fortgeschrittenen Emanzipationsprozesses sehen? Guten Willen kann man Hollands Männern schliesslich nicht absprechen, sie arbeiten sogar Teilzeit, sonst könnten sie sich mit dem Nachwuchs ja nicht mitten in der Woche aufs Rad schwingen. Zwar könnten es ruhig mehr sein, aber ein Anfang ist gemacht, in den Nachbarländern sind es weit weniger. Wahrscheinlich, weil ein Arbeitnehmer in den Niederlanden ein Recht auf Teilzeit hat, im Ausland hingegen oft gar nicht erst vor diese Wahl gestellt wird.

 Womit wir bei einem Thema wären, über das ich mich mit meinen niederländischen Freundinnen jedes Mal in die Haare kriege. Nämlich die Tatache, dass die Niederländerinnen Weltmeister im Teilzeitarbeiten sind, obwohl das bekanntlich eine Karrierebremse ist. Mit der Folge, dass sie ihrem Image als moderne, emanzipierte Frauen bei weitem nicht gerecht werden und – was Führungspositionen anbelangt – sich auf dem selben Niveau befinden wie die Frauen in Pakistan oder Botswana.

 Bloss: Sie finden das gar nicht weiter schlimm, selbst meine beste Freundin Ina nicht: „Wir können unseren Einfluss auch indirekt geltend machen, wir brauchen nicht direkt an den Knöpfen der Macht zu drehen“, pflegt sie zu. Sie droht mir bei solchen Gesprächen regelmässig die Freundschaft zu kündigen, weil ich gerne nachfrage, inwieweit das vielleicht etwas mit Bequemlichkeit oder mangelndem Ehrgeiz zu tun haben könnte.

 Denn Teilzeit ist ja schön und gut und die beste Erfindung auf der Welt, solange es darum geht, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Aber in den Niederlanden arbeiten auch Frauen, deren Kinder längst aus dem Haus sind oder die überhaupt keine Kinder haben, vorzugsweise Teilzeit. Finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann – nur eine kleine Minderheit von Hollands Frauen ist wirtschaftlich  selbständig – scheinen sie freiwillig in Kauf zu nehmen. Weil das Leben viel angenehmer und stressfreier ist, wenn man zwei oder sogar Tage für seine Hobbies hat und für seine Freundinnen. „Viel leuker“, sagt Ina. Trotz abgeschlossenen Hochschulstudiums, aus dem man eigentlich viel mehr hätte machen können.

 Ist das schlimm? Und stimmt es, was meine holländischen Freundinnen behaupten:  dass auch deutsche Frauen ohne Kinder, die erzogen werden müssen, sofort auf ihre Karriere und Unabhängigkeit pfeifen und reihenweise Teilzeit arbeiten würden, wenn sie es denn nur könnten?? Würde mich echt interessieren….

 

 

 

 

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Opfer-Mahl

Idul Adha, das islamische Opferfest, gilt in den meisten muslimischen Ländern als höchster Feiertag: Es ist der Höhepunkt der Hadsch-Pilgerfahrt. Das Fest erinnert an die Geschichte Abrahams, der auf Gottes Geheiß bereit war, seinen Sohn Isaak zu opfern. Angesichts dieser Gehorsamkeit schickte Gott einen Widder, den Abraham anstelle seines Kindes opfern konnte. Eine Geschichte, die für Christen, Juden und Muslime gleichermaßen von Bedeutung ist. In Indonesien, immerhin dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt, kommt Idul Adha erst an zweiter Stelle nach Idul Fitri, dem Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan. Nichtsdestotrotz wird natürlich ausgiebig gefeiert, gebetet und – geschlachtet.

 

Schon seit zwei Wochen haben sich die Vor- und Hinterhöfe der Moscheen in Schaf- und Ziegenställe verwandelt. Mitten in der Stadt wehten einem Misthaufenschwaden entgegen, denn in den letzten Tagen kamen auch immer mehr Kühe dazu (die von reicheren Gemeindemitgliedern gespendet wurden). An manchen Moscheen standen die Leute seit dem frühen Morgen Schlange und es kam in vielen Städten zu gewalttätigem Gerangel um Fleisch, das gratis verteilt wurde. Wer sich nicht rechtzeitig aufgemacht hat, wird nur noch die blutverschmierten Reste des Massenopfers vorfinden. Oder das ergatterte Fleisch als Eintopf auf dem Tisch – oder als Sate-Spießchen auf dem Grill. Ein harter Tag für Vierbeiner und Vegetarier. 

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