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Eine gute und eine schlechte Nachricht

Eigentlich ist Sommerloch. Trotzdem gibt es Nachrichten, die guten und die schlechten. China hat in den letzten drei Tagen Klimaziele für die UN-Klimakonferenz in Paris bekanntgegeben – das ist eine gute. Um 60-65 Prozent soll bis 2030 der Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 2005 sinken – gemessen zwar pro Einheit Wirtschaftsleistung, aber da das chinesische Wachstum nachlässt, kann es sein, dass China den absoluten Emissionsgipfel bereits vor 2030 erreicht. Das war bisher das Ziel, ausgegeben im Winter beim Gipfel mit Barack Obama. Nicholas Stern und Fergus Green vom Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment an der London School of Economics and Political Science, dass China den Emissions-Gipfel bereits 2025 erreichen wird (siehe Studie). Den Optimismus ziehen die Autoren aus dem Rückgang des Kohlekonsums, der 2014 erstmals gefallen ist, um 2,9 Prozent. Selbst Greenpeace-Experten glauben, dass dieser Trend anhalten wird – mit positiven Folgen für das gesamte Weltklima. 2014 sind – erstmals ohne akute Wirtschaftskrise – die energie-bezogenen Treibhausgasemissionen nicht mehr gestiegen, schreibt die Internationale Energie-Agentur.
Praktisch zeitgleich, und das ist die weniger schöne Nachricht, verabschiedete China ein neues Sicherheitsgesetz, dass das Internet noch stärkerregulieren soll als bisher. Mögliche Vergehen wie die Gefährung der staatlichen Sicherheit bleiben wie immer vage – aber gerade darin liegt die Gefahr für kritische Blogger oder Chatter. Für Paranoia gibt es leider keine Emissions-Obergrenzen. Was sich teils in skurrilen Details zeigt: Als Freunde von uns vergangene Woche die Möbelpacker im Haus hatten, um in die USA überzusiedeln, weigerte sich das Team, einen Globus einzupacken. Warum? Auf dem Globus hatte Taiwan eine andere Farbe als China. Landkarten, die China und Taiwan nicht als EINEN Staat ausweisen, darf man offenbar nicht einmal aus dem Mutterland AUSführen. Als wären auf allen sonstigen Globen und Atlanten Amerikas China und Taiwan stets in derselben Farbe ausgezeichnet.

 

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WR Bomsdorf bei netzwerk recherche Tagung

Skandinavien-Korrespondent Clemens Bomsdorf vertritt auf der netzwerk recherche Jahreskonferenz in Hamburg (3./4. Juli) am Samstag die Weltreporter. Mit Daniel Jahn (Chefredakteur AFP) und Sonja Volkmann-Schluck (Redakteurin n-ost) diskutiert Weltreporter Bomsdorf am 4.7. ab 10.30 Uhr über Auslandsjournalismus:

wr_user_bomsdorf_clemens“Auslandsreporter unter Druck – Wie berichten über Krisen und Kriege wenn an der Ausstattung gespart wird?” Moderiert wird die Veranstaltung beim NDR Fernsehen in Hamburg von der freien Journalistin Gemma Pörzgen.

Die These: Gerade im Ausland machen viele Journalisten die Erfahrung, dass ihre Medien sich zwar gerne mit guten Geschichten aus aller Welt schmücken, aber immer seltener für entstehende Kosten aufkommen. Honorare sinken und Reisekosten werden selten übernommen. Besonders gravierend ist das, wenn in Krisengebieten an Versicherungsschutz, Sicherheitswesten und moderner Ausrüstung gespart wird. In den Redaktionen fehlt es häufig an Ansprechpartnern unter den Redakteuren, die aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, im Ausland zu arbeiten. Haben fundierte Berichterstattung, eigene Recherche und Qualität dennoch eine Zukunft?

 

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Indonesien. Ein Länderporträt.

Indonesien. Ein Länderporträt.Im Oktober wird sich Indonesien als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Ein Land mit unzähligen Facetten, in dem sich rund 300 verschiedene Völker auf mehr als 17 500 Inseln verteilen. Die viertgrößte Bevölkerung der Welt ist zu knapp 90 Prozent muslimisch lebt aber in einer säkularen Demokratie. Zehn Luxuslimousinen in einem Vier-Personen-Haushalt sind genauso alltäglich wie eine zwölfköpfige Familie, die in einer kleinen Bambushütte wohnt. Mehr als 100 Prozent der Bevölkerung besitzen statistisch gesehen ein Handy, aber nicht einmal ein Viertel hat Zugang zum Internet.

Christina Schott bietet in ihrem neu erschienen Buch einen spannenden Einblick in die Lebenswelten Indonesiens, die faszinierenden wie die besorgniserregenden. Neben den historischen und politischen Fakten macht sie vor allem die sozialen und kulturellen Befindlichkeiten verständlich, die im Alltag der Indonesier eine wichtige Rolle spielen.

Christina Schott
Indonesien
Ein Länderporträt
Christoph-Links-Verlag, Juni 2015
ISBN: 978-3-86153-823-3
 

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Kalifornische Medienpreise für Weltreporterin Kerstin Zilm aus Los Angeles

Erst piepste das Telefon – eine neue Textnachricht. Die hab ich nicht beachtet. Schließlich war ich gerade am Kochen! Dann wurde ich aber doch neugierig, schaute nach und legte zwischen Pfannen und Töpfen einen kleinen Freudentanz auf die Küchenfliesen!
“Du hast einen Preis bei den Southern California Journalism Awards gewonnen!” schrieb ein Kollege. “Deine Geschichte “I knew you back then” für KCRW”.
Skylar-Meyers
KCRW?! Super cool! Erstens ist das mein Lieblingssender in den USA. Zweitens war es spannend, die Geschichte von Skylar und Randall aus South LA aufzunehmen und weiterzuerzählen. Drittens bin ich dann doch ein wenig stolz, dass ich einen Preis für eine Geschichte auf Englisch gewinne in einem Feld von vielen etablierten US-Journalisten und Journalistinnen.
Leider, leider, leider konnte ich bei der Preisverleihung nicht dabei sein, habe aber inzwischen Online nachgeschaut, ob es auch wirklich stimmt und auch die Begründung für die Preisvergabe gelesen:
“How can a piece sound as if it wasn’t edited as if it wasn’t even recorded. This is powerful and real and we learn about two people who were friends as kids but then they turned out very differently. We discover the differences as they do – and Skylar gives us insight into her friend, Randall almost as an aside. We are there!”
Grobe Übersetzung: “Wie kann sich ein Stück anhören, als wäre es gar nicht bearbeitet, nicht mal wirklich aufgenommen. Das ist stark und echt und wir erfahren etwas über zwei Menschen, die als Kinder Freunde waren, dann aber sehr unterschiedliche Wege gingen. Wir entdecken mit ihnen ihre Unterschiede und Skylar hilft uns fast nebenbei, ihren Freund Randall zu verstehen. Wir sind mittendrin!”

Ich krieg jetzt noch rote Wangen und heiße Ohren wenn ich das lese!

Beim Nachschauen, ob ich wirklich gewonnen habe und warum entdeckte ich dann: ich hab noch einen Preis gewonnen! Diesmal in der internationalen Kategorie. Darin sind alle Geschichten aufgenommen, die wir Reporterinnen und Reporter aus aller Welt in Süd Kalifornien für Medien zu Hause produzieren.
Auch hier gewann eine Geschichte von mir aus South Los Angeles.

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Diesmal ging es um die tödlichen Schüsse von Polizisten auf den unbewaffneten Ezell Ford. Ich war bei einer anschließenden Gemeindeversammlung mit Polizisten in einer Kirche gewesen und hatte darüber für das Deutschlandradio berichtet.
Und die Jury schreibt zur Begründung:
“Conveys the deep pain, mistrust and anger of many in the African-American community when it comes to dealing with the LAPD. You can practically feel the anger and a certain level of helplessness bubbling just beneath the surface of everyone involved.”
Übersetzt in etwa: “Vermittelt tiefgehenden Schmerz, Misstrauen und Wut, die viele in der Afroamerikanischen Gemeinde spüren wenn sie mit der Polizei von Los Angeles zu tun haben. Man kann die Wut praktisch spüren und auch ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit unter der Oberfläche bei allen, die an den Geschehnissen beteiligt sind.”

So ein Preis tut doch tatsächlich gut. Mehr als ich gedacht hatte. Vermutlich auch, weil wir Radiomenschen ja doch meist allein unterwegs sind mit Mikrofon und Aufnahmegerät, wenig feed back bekommen und oft das Gefühl haben, Beiträge ‘versenden’ sich vor allem.
Ja, und so freue ich mich Stunden später noch immer über diese Anerkennung, bin froh, dass es in Deutschland und den USA Medien gibt, die an den Geschichten, die ich abseits ausgetretener Pfade finde, interessiert sind und dass ich sie hier in Los Angeles als weltreporterin entdecken und erzählen kann.
Aber jetzt brauch ich erstmal nen Sekt. Oder besser noch nen Schnapps!
Ach nee, ist ja erst zehn Uhr morgens und die Arbeit wartet!

 

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Schwarzer Freitag in Frankreich

Überraschen konnte der erneute Anschlag mit islamistischem Hintergrund in Frankreich kaum. Das Land befand sich seit den Anschlägen in Paris im Januar in hoher Alarmbereitschaft. Hatte doch der Islamische Staat (IS) vor rund einem Jahr insbesondere zu Anschlägen gegen Franzosen aufgerufen. Im Hexagon herrscht dennoch Betroffenheit und Entsetzen, aber keine Panik. Die Medien sprechen vom „Schwarzen Freitag“ nach den Anschlägen in Saint-Quentin Fallavier, im tunesischen Sousse und auf eine schiitische Moschee in Kuwait.

Dass die Attentate direkt zusammenhängen ist eher unwahrscheinlich. In Tunesien und in Kuwait bekannten sich inzwischen unterschiedliche Franchisen des Islamischen Staates. Gemeinsam ist aber allen dreien die für den IS typische Barbarei. Sie mögen auch im Zusammenhang stehen mit dem Aufruf des IS, insbesonderer während des islamischen Fastenmonats Ramadan so genannte Märtyrer-Operationen gegen den Feind zu begehen, weil die in seiner verkorksten religiösen Lesart den Märtyrern noch mehr Punkte bringen soll als zu normalen Zeiten. Erwähnenswert ist sicher auch, dass am kommenden Montag der Jahrestag der Ausrufung des Kalifats des IS ansteht. All dies mag für dieses Timing der grausamen Bluttaten sprechen, auch wenn ihre Opfer ganz unterschiedliche waren.

In Frankreich sind die politischen Reaktionen abhängig vom ideologischen Standpunkt. Die einen fordern nun den totalen Krieg gegen die islamistischen Terroristen und darüber hinaus gegen alle extremen Muslime. Die anderen rufen zur Besonnenheit und zur nationalen Einheit sowie der Verteidigung der republikanischen Werte auf. Beides sind im Grunde leere Parolen. Militärisch beziehungsweise mit Polizei- und Geheimdienstmitteln alleine läßt sich diese Problematik nicht lösen. Die totale Sicherheit gibt es ohnehin nicht, das haben schon andere Staaten unter Aufgebot all ihrer Ressourcen vergeblich versucht. Und nationale Einheit?

Zwar können die Franzosen für einen Moment in beeindruckender Weise zusammenstehen, wenn es um die Verteidigung ihrer Gesellschaftsordung geht angesichts radikal-islamistischer Sabotageversuche. Das haben die großen Solidaritätsdemonstrationen im Januar gezeigt. Nur: Das starke gemeinsame symbolische Bekenntnis „Je suis Charlie“ reicht eben nicht, wenn es darum geht sich einer sehr komplexen Problematik zu stellen. Einer, bei der es weder eindimensionale Ursachen noch simple Lösungen gibt.

Ein erster Schritt wäre vielleicht, sich der Realität, in der wir leben – und das nicht nur in Frankreich – in all ihrem Facettenreichtum zu stellen. Verantwortung zu übernehmen, wo sie zu übernehmen ist. Zusammenhänge zu erkennen, wo sie existieren. Ratlosigkeit einzuräumen, wo wir an unsere Grenzen des Verständnisses gelangen. Und dann gemeinsam einen Weg suchen, um Konflikte zu entschärfen. Um so vielleicht gewaltbereiten Extremisten jeglicher Couleur das Wasser abzugraben. In der Tat eine riesige gesellschaftliche Herausforderung. Sind wir dazu bereit?

 

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Gefährliche Seilschaften in Dänemark

Es mag nach Dänischer Volkspartei klingen, aber hier gehen die Sozialdemokraten mit strafferen Asylgesetzen auf Wählerjagd

Es mag nach Dänischer Volkspartei klingen, aber hier gehen die Sozialdemokraten mit strafferen Asylgesetzen auf Wählerjagd. (Foto: Bomsdorf)

Nun ist es doch so gekommen wie es kurz vor der Wahl niemand erwartet hatte: die Dänische Volkspartei ist stärkste Kraft im bürgerlichen Lager geworden und Europa stellt sich schon auf neue Grenzkontrollen, zunehmende dänische Sympathie für britische EU-Kritik und noch mehr Einwanderungskritische Töne aus dem Norden ein.

Zu recht, denn die 21.1% der Stimmen dürfte die DF für eine entsprechende Politik nutzen. Und für an die Sozialdemokraten erinnernde Sozialpolitik. Das nämlich wird im Ausland häufig vergessen. Die DF verbindet Anti-Migrations-Politik mit Plänen den Wohlfahrtsstaat weiter auszubauen (zumindest für die, die dann noch im Land sind).

Allerdings ist noch lange nicht ausgemacht, ob DF auch in die Regierung gehen wird. Derzeit sieht es eher nicht danach aus. Denn in Dänemark ist der Wahlverlierer zum Sieger auserkoren worden. Lars Løkke Rasmussen dürfte Regierungschef werden obwohl seine liberale Partei Venstre das schlechteste Ergebnis seit einem Vierteljahrhundert einfuhr und nur drittstärkste Kraft bei der Wahl am 18. Juni wurde.

Trotz des Wahlerfolgs der DF möchte Parteichef Kristian Thulesen Dahl nämlich nicht Premierminister werden, ja womöglich will er seine Partei nicht einmal in der Regierung haben. „Es bringt nicht immer die stärkste Macht mit sich in den Ministerautos zu sitzen. Wir sind dort, wo der politisch Einfluss am Größten ist und das bedeutet nicht automatisch in der Regierung“, so Thulesen Dahl. In jedem Fall wolle er für Rasmussen als Premier stimmen, so der DF-Chef. Koalitionsgespräche sollen Anfang Juli abgeschlossen sein.

In Dänemark sind Minderheitsregierungen üblich und um nicht im Koalitionspoker zu viele Kernanliegen aufzugeben könnte Thulesen Dahl es vorziehen, Venstre lediglich prinzipiell zu unterstützen. Dann könnte seine Partei in bestimmten Punkten die Gefolgschaft verweigern. „Wenn wir an einer Regierung beteiligt sind, dann sind wir von deren Übereinkunft gebunden. Wenn nicht, dann sind wir frei, stets für unsere Hauptpunkte zu kämpfen“, so Thulesen Dahl.

Damit räumt er ein, dass er wenig davon hält Kompromisse zu suchen. Dabei macht das doch eigentlich Politik aus. Lieber möchte der DF-Chef weiterhin die Möglichkeit haben Oppositionspolitik betreiben zu können und nicht beweisen zu müssen, seine Ideen auch wirklich umsetzen zu können. Wenn seine Rechnung aufgeht, dann bringt dass seiner Partei in Zukunft noch mehr Stimmen.

Analysen zum Thema von mir in der heutigen Schweizer Sonntagszeitung (hier gegen Bezahlung), beim Sender SRF (leider nicht online verfügbar) und in Das Parlament.

 

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Auf nach Barcelona! Neuer Reiseführer erschienen

Einmal im Camp Nou, dem Stadion des FC Barcelona, sitzen, einmal durch Gaudís Säulenwand in der immer noch unvollendeten Sagrada Familia wandeln – oder einfach hemmungslos die ideale Kombi von Stadt und Strand und Strand und Stadt auskosten: Gründe, nach Barcelona zu reisen, gibt es viele.

Cover Merian Barcelona

Kein Wunder, dass die Mittelmeer-Metropole seit Jahren zu den beliebtesten Städtereise-Zielen gehört – übrigens nicht immer zur Freude der Einheimischen. In ihrem jetzt veröffentlichten Reiseführer MERIAN live! führt Weltreporterin Julia Macher zu den Hauptsehenswürdigkeiten und verweist  auf Sehenswertes abseits der Trampelpfade. Auch für  ausgewiesene Barcelona-Kenner gibt es noch den ein oder anderen Tipp. Die Autorin lebt seit 2004 in Barcelona und entdeckt die Stadt immer wieder neu, zuletzt als überraschend kinder- und familienfreundliche Stadt.

Merian live! Barcelona. 128 Seiten. Travel House Media.

http://www.amazon.de/MERIAN-live-Reisef%C3%BChrer-Barcelona-Herausnehmen/dp/3834219754

 

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Zur Wahl: Dänemark will sich von Außen sehen

In den relativ bevölerungsarmen nordeuropäischen Ländern sind die Medien immer wieder ganz begeistert, wenn es darum geht zu berichten, wie sie im Ausland gesehen werden.

Es mag der kleine-Bruder-Komplex sein, vielleicht ist es aber auch einfach Weltoffenheit. Schon häufiger sind meine Text über die fünf Länder in den dortigen Medien zitiert worden und regelmäßig werde ich von Hörfunk- und Fernsehen gebeten, doch einmal zu sagen, wie denn Deutschland nun diese oder jene Entscheidung oder dieses oder jenes Ereignis sieht.

Häufig muss ich mein Statement um ein “so wirklich wahnsinnig groß interessiert das aber keinen” ergänzen.

So auch bei den diesjährigen dänischen Wahlen (über die ich für Das Parlament hier berichtet habe). Zweimal bat mich das öffentlich-rechtliche Radio Dänemarks, DR, ins Studio, um zu hören, wie denn in Deutschland die dänische Debatte verfolgt werde (wenig) und über was man besonders überrascht sei (dass die Einwanderung immer noch ein so großes Thema ist und das selbst die Sozialdemokraten bei diesem Punkt sehr populistisch geworden sind; dass die Wahl sehr spontan ausgerufen wird).

Nachzuhören sind die Beiträge von Mennesker og Medier (Menschen und Medien) hier und von Orientering (Orientierung) hier.

 

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Spiral-Ei und Nougat-Dieb

Zwei Wochen sind eine Ewigkeit in einem Land am Ende der Welt, wo angeblich nie etwas passiert. Da blökt höchstens mal ein Schaf zu laut und der Milchpreis steigt. Denkt man. Nicht so in diesem Wintermonat Juli, der meistens verschnarcht, aber noch kaum verschneit ist. Keine Ahnung, was gerade kosmisch abgeht, aber hier auf unserem entlegenen Flecken Erde ist verdammt viel los. Eine Nachrichtenflut der Absonderlichkeiten.

Es begann in Rom, wo Ordensschwester Jane O’Carroll aus Auckland mit ihrer irischen Kollegin an einem heißen Wochenende im Aufzug eines Klosters stecken blieb. Erst nach drei Tagen wurden die halb verdörrten Damen gerettet, ihr Schicksal ging um die Welt. In Neuseeland beschäftigte man sich im Radio mit der Frage: Tranken die Nonnen ihr eigenes Pipi? Besser könnte die Überleitung zum nächsten Thema kaum sein. Es handelt vom Straßentunnel in Wellington, dem ein „toilet accident“ widerfuhr. Autofahrer mussten letzte Woche um sechs Uhr morgens eine Dreiviertelstunde warten, bevor sie durch den Tunnel fahren durften. Denn ein Betrunkener hatte dort kurz vorher sein Geschäft verrichtet. Ein „Sicherheits- und Gesundheitsrisiko“, so die Verkehrsbehörde, die den Haufen entfernen musste. Und wieder entbrannte Volkes Debatte: Soll man demnächst auch bei jedem Kuhfladen die Landstraße sperren? Ein ethisches Dilemma.

Größere Fragen der Moral wirft der Fall auf, der am Sonntag die Titelseiten im Lande beherrschte. Es geht um einen angeblich kriminellen Polizisten. Der habe im Supermarkt gestohlen, behauptet seine ehemalige Schwiegermutter, die dort arbeitet. Fest steht, dass sich Wachtmeister Chris Hickie lose Süßigkeiten am Selbstbedienungsregal abgefüllt hat. Fraglich ist jedoch, ob er sich von den Billig-Bonbons (1,49 Dollar pro hundert Gramm) oder dem edleren Nougat (2,69 Dollar) bediente. Er sagt: Billig-Bonbons. Ex-Schwiegermutter sagt: Nougat. Eine andere Angestellte habe den Polizisten eindeutig draußen vor dem Supermarkt Nougat aus einer Tüte essen sehen. Aber die Sicherheitskameras im Laden belegen, dass Chris Hickie nie vor der Seite des Regals stand, wo der Nougat abgefüllt wird. Disziplinarverfahren, Abmahnungen und Untersuchungen sind im vollen Gange. Fortsetzung folgt.

Hoffentlich einmalig ist dagegen der Schocker der Woche: Das Spiral-Ei, gelegt in Temuka in Süd-Canterbury. Ökofarmerin Carol Chaplin, die vier Hühner aus einer Legebatterie bei sich beherbergt, fand das Relikt morgens im Stroh. Das bräunliche Ei hat ein länglich geformtes, verdrehtes Ende, das wie ein Schneckenhaus aussieht. Oder wie der Farnwedelkringel namens „koru“ – ein Nationalsymbol. Wie hübsch, wenn es nicht so seltsam wäre. Das Huhn, so berichtet Chaplin, sei eh etwas anders als andere Hühner. An kalten Tagen stelle es sich gerne unter den warmen Urinstrahl einer Ziege. Womit sich der Kreis zu den Nonnen in Rom wieder schließt. Vielleicht gibt es ja doch einen größeren Zusammenhang, astrologisch oder anatomisch. Die Recherche läuft.egg

 

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Roland Hagenberg Ausstellung in München

Roland Hagenberg und die amerikanische Fotografin Sheila Metzner bereisten 2003 den Südwesten der Vereinigten Staaten, um für das BMW Magazin Landart Installationen zu dokumentieren. Aus der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Faszination für die Naturformen Arizonas und New Mexicos  entstand eine langjährige  Freundschaft, die  nun auch in der Fotoausstellung „Körperlandschaft“ bei  ponyhof art club in München zum Ausdruck kommt. Roland und Sheila haben diesmal allerdings skulpturale Landschaften aus Körper festgehalten und nicht aus Canyons und Wüsten. Rolands Fotos sind stilisierte Emotionslandschaften, die sich zwischen meditativer Gelassenheit (Pacific View), innerer Leere (Laura wih Snake Hat), und Aggression (Fashion Jihad) bewegen.

Juni – 28. Juli 2015 (Roland ist bei der Eröffnung am 16. Juni ab 19:00 anwesend)

ponyhof artclub contemporary art Pestalozzistr. 14   80469 München  0049 /152 33 52 49 57

ponyhof-artclub.com

Pacific View copyright hagenberg Pacific View

Laura with snake hat-300dpi Laura with Snake Hat

Fashion Jihad - copyright hagenberg Fashion Jihad

Lightning-Sheila-Roland-lowres Sheila Metzner and Roland in New Mexico

 

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Grüße vom Schlogenstein

IMG_1776Kennen Sie den Schlogenstein? Ein herrlicher Familienberg bei München, ideal für einen Tagesausflug! Wie soll man ihn beschreiben…ziemlich schroffer Gipfel, etwa 200 Meter unterhalb fallen dann steile Grashänge ab. Das schöne ist: Unweit vom Gipfel liegt auf 1773 Meter die Jochen-Graf-von-Breitkopf-Hütte. Es war wirklich ein wunderschöner Tag.

Der allerdings ganz anders war. Denn es gibt weder den „Schlogenstein“ noch die Hütte. Wir haben uns den ganzen Sonntag nicht weiter als fünf Kilometer von daheim bewegt. Und haben von hier aus unsere Familie und Freunde für dumm verkauft. Das kam so:

Es fing an mit einem Frühstück bei einem Bäcker, wir hatten einen Platz an einer Wand mit Bergpanorama-Tapete. Ich machte ein Bild meiner Frau und schickte es an die familieninterne Whatsapp-Gruppe: „Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt – viele Grüße vom Schlogenstein!“. Das gleiche Foto stellte ich auf Facebook. Und prompt bekamen wir Zuspruch: Ein paar „gefällt mir“, aus der Familie die interessierte Nachfrage, wo das denn genau sei. „Österreich?“ Ich war stolz: „Schlogenstein“, das klang offenbar plausibel.

Vom Bäcker aus gingen wir an die Würm, unseren Fluß im Stadtviertel, bzw. eine kleine Ableitung, die für Kinder völlig reicht. Hier das nächste Foto „Jetzt im Gebirgsbach – ganz schön kalt noch in den Bergen!“ Auch hierzu wieder zustimmende Kommentare („Brr!“). Das ganze begann, richtig Spaß zu machen.

Klar, dass wir müde waren vom Anstieg auf den nicht vorhandenen „Schlogenstein“ – ein Kaiserschmarrn musste her. Also ab nach Hause, Kaiserschmarrn gemacht und den Teller auf eine Wanderkarte gestellt. Dann ein Foto auf Facebook mit dem Kommentar: „Den haben wir uns aber verdient- sind jetzt auf der Jochen-Graf-von-Breitkopf-Hütte, 1773meter. Herrlicher Blick auf Pfaffnitz und das Klosterjoch.“ Vier „Gefällt mir“ und der Kommentar: „Der Kaiserschmarrn ist aber klein“. Muss ich erwähnen, dass es keine „Jochen“-Hütte, kein „Pfaffnitz“ und kein „Klosterjoch“ gibt?

Die erste kritische Nachfrage, wie denn unser sechs Monate alter Sohn auf den Schlogenstein gekommen sei, parierten wir mit einem neuen „Beweisfoto“: Ab in den Garten, vor den Holzstapel, meine Frau mit Tragetuch und den Kindern im Arm. Erst am Abend, als man sich Sorgen machte wegen möglicher Autobahnsperrungen wegen des G7 („Seid ihr schon losgefahren aus Pfaffnitz?“) klärten wir die Verwandtschaft auf.

Und jetzt? Ich werde das professionalisieren. Meine Kunden sind Leute wie ich: Die sich manchmal vom zu guten Wetter unter Druck gesetzt fühlen, rauszufahren oder irgendwas zu unternehmen. Die aber in Wirklichkeit einfach nur im Garten liegen wollen. Oder auf der Couch. Montags im Büro klopfen einem dann alle auf die Schulter. „Du warst auf dem Schlogenstein? Respekt!“. Ein Antwortvorschlag: „Ja! Und nächste Woche geht’s auf die Rietholzspitze. Nix für Dich. Ist ein mittelschwerer Klettersteig.”

 

 

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Fettnäpfchenführer Paris erschienen

Wärmt Paris? Oder bringt einen die Stadt eher zum Frösteln? Das fragte sich unser Paris-Weltreporter Michael Neubauer, als er morgens an der Metro einmal eine Pariserin mit einem Strickpulli gesehen hat, auf dem eine Wärmflasche abgebildet war. Sein jetzt erschienener „Fettnäpfchenführer“ über Frankreichs Hauptstadt erzählt viel darüber, wie die Pariser ticken. In der Métro, im Restaurant, in ihrer Freizeit, am Nationalfeiertag oder an Silvester. Er liefert Geschichten über Mentalitätsunterschiede, warnt vor der Andouillette und spricht mit einem Liftboy auf dem Eiffelturm über diesen Sehnsuchtsort. Es gibt eine Anleitung zum Glücklichsein im Restaurant, Ausgeh- und Spartipps, Informationen über das Hochhaustrauma der Pariser und über die Rettung des Qualitätsbaguettes. Für nach Paris Ausgewanderte dient der Reiseknigge auch als Ratgeber bei Heimweh – mit Adressen, wo man an Schwarzwälder Kirschtorte und Oktoberfestfähnchen rankommt.

Fettnäpfchenführer Paris. Ein Reiseknigge für die Stadt unterm Eiffelturm. Conbook Verlag, 352 Seiten.

http://www.conbook-verlag.de/buecher/fettnaepfchenfuehrer-paris/

 

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Rot-Blau-Doppelherz. Ein Beitrag zur lokalen Völkerverständigung. In München.

Rot-Blau-DoppelherzWas den Namen angeht, bin ich flexibel, da lasse ich mit mir reden. Auch den Job des Vereinsvorsitzenden brauche ich nicht. Wichtig sind erstmal, dass ich, sagen wir mal, 24 andere Menschen finde, für mein neuestes Herzensanliegen, Arbeitstitel “Rot-blau-Doppelherz e.V.”: Ein Fanclub, der zusammenführt, was vielleicht nicht zwingend zusammengehört, aber was man beides mögen kann: Die Bayern. Und die Löwen.

Denn zumindest ich kann das nicht mitansehen: Die Bayern feiern am Wochenende auf dem Rathausbalkon die Unisex-Meisterschaft und die Löwen sollen in die Dritte Liga absteigen? Müsste ich eine Radioansprache halten, würde ich nach einem bedeutungsschweren Räuspern sagen: “Münchner! Ihr könnt Euch entzweien, ob ihr links oder rechts der Isar wohnt, ob ihr Weißbier oder Spritz trinkt, ob ihr die Brezn hell oder dunkel mögt. Aber Münchner: Steht zusammen für den Münchner Fußball! Einmal Bayer, immer Löwe!”

Klar, ich weiß jetzt, was kommt. Der Vorwurf der Beliebigkeit. “Keine Werte mehr!” “Es gibt nur rot oder blau”, wird man sagen.  Hier müssen meine lieben Vereinsmitglieder dann mutig etwas entgegnen wie: “Bis jemand sich traute, Limo und Bier zu mischen, gab es auch kein Radler”. Oder: “Die Weißwurscht besteht auch aus mehr als einer Zutat.” (Vielleicht geht das zu weit: Alles, wie bei der Weißwurscht, muss vielleicht auch nicht rein.)

Was ich für mich und meine lieben Vereinsmitglieder sagen kann: Wir geben immer alles – für beide. Als Kind war ich im Olympiastadion mit den Bayern, dann irgendwann mit meinem ältesten Freund im Grünwalder. Ein Samstag hier, ein Samstag dort. Es gibt soviele Vereine außerhalb Münchens, die wir blöd finden können, warum sollten wir dann gegen 50% meiner eigenen Stadt sein?  Wir werden beide schönen Lieder schmettern: “57-58-59-60” und eben auch den “Stern des Südens”.

 Und die Kinder? Kinder müssen doch irgendwo dazugehören, brauchen klare Vorbilder. Hier sehe ich kein Problem: Jens Jeremies wird Ehrenmitglied unserer Kinder-Sektion, die “rot-blauen Bazis”. Schließlich haute sich Jeremies in seiner Karriere für Bayern und Sechzig rein. Wenn es wirklich “König Fußball” gibt, dann sind wir die Königstreuen.  Das kleinkarierte “rot oder blau”, das schert uns nicht.

 

 

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Harry, hol schon mal die Hochzeitskutsche!

Am Samstag flog er ab, im strömenden Regen. So charming: „Thanks for having me! Sorry about the weather“, schrieb der Märchenprinz zum Abschied an eine Pinnwand in Christchurch. Ausnahmezustand in Aotearoa: Harry was here und die Untertanen standen Spalier. Winkten eine Woche lang mit Union-Jack-Fähnchen, trugen lustige Hüte, hielten ihm Hände zum Schütteln und Babys für Fotos hin. Ein Teenager in der Menge lud ihn sogar beherzt zu ihrem Highschool-Abschiedsball ein; fragen kostet ja nix. Die einzig echte Umarmung in all dem royalen PR-Taumel bekam jedoch Prinz Harrys ehemalige Schulaufseherin, die zur Begrüßung in der ersten Reihe stand. Seit 18 Jahren endlich ein Wiedersehen: „Er war mein Lieblingsschüler!“

Neuseeland ist für Rock-Reptile und andere Promis auf Tour sonst letzte Bushaltestelle auf diesem Planeten. Jetzt fühlte es sich wie in den Flitterwochen. Der Windsor-Spross wirbelte durchs Land, als sei er frisch der Serie „The Bachelor“ entsprungen. Im Gegensatz zu seinem sittsamen Bruder – zweifacher Vater und bereits halb kahl – versprüht der Rotschopf für Buckingham’sche Verhältnisse echten Sex-Appeal. Das heißt, wenn man Yorkshire-Pudding mit Erbsen liebt, „Downtown Abbey“ guckt, auf Eton-Akzent und Hakenkreuzbinden als Party-Gag steht.

Harry ließ sich nicht lumpen und machte alles, was gute Kiwis vom Thronfolger ihrer Queen (an fünfter Stelle) erwarten: Er machte vor Soldaten den Haka mit, kickte mit Schülern Fußball, ging zum Rugby-Turnier und paddelte im Maori-Kanu. Natürlich besuchte er das zerstörte Christchurch und fuhr dort sogar mit der Straßenbahn. Er zeigte deutlich bessere Manieren als unser Premierminister, der ihn begleitete, und zog keinem der aufgeregten Mädchen um ihn herum am Pferdeschwanz. Ein Herzensbrecher!

Leider gingen so viele von seinen Bewunderinnen leer aus: Kein Selfie mit Harry – kein Augenblick am Straßenrand, der das Leben verändern könnte. Da bleibt all den Groupies nur der Refrain aus Lordes größtem Hit: „We’ll never be royals…“. Dabei stehen die Chancen gar nicht so schlecht, einen britischen Blaublütigen aus der ersten Liga zu ergattern: Rein statistisch haben mehr Bürgerliche als Königliche eine angelsächsische Hoheit geehelicht. Und Harry steht total auf „normal“, wie man der einschlägigen Fachpresse entnehmen kann. Daher ein paar Tipps für den nächsten Besuch.

Ganz wichtig, um nicht wieder ignoriert zu werden, ist das richtige Banner. „Marry me, Harry“ halten nur verzweifelte Anfängerinnen hoch. Besser ist ein Plakat mit simpler, aber pfiffiger Botschaft. Zum Beispiel, wenn man zufällig Sally heißt: „When Harry met Sally“. Das wirkt wie ein Magnet im Schilderwald. Wenn man nicht Sally heißt, funktioniert es auch. Genauso gut: Harrys Hobbys recherchieren und ihn damit locken. Militär, Kostüme, Hubschrauber, Rugby – zieht alles. Nur seine Vorliebe für wilde Partys nicht. Die Flasche Jägermeister zum Winken beim nächsten Mal zuhause lassen. Daran lag’s wohl.harrygetty_1ak08fd-1ak08fj

 

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Server Not Found

Lesen wollte ich eine ganz harmlose Geschichte über das Champions League Halbfinale zwischen Barca und Bayern München, aber statt rauszufinden warum Trainer Guardiola Thomas Müller aus dem ZDF-Studio gepfiffen hat, lese ich nur “Server Not Found”. Gerne erscheint in diesen Fällen auch die Meldung “Error 404”. Chinas Internet ist langsam und wird immer langsamer. Schuld ist nicht das fehlende Breitband, auch wenn gelegentlich Arbeiten am Netzwerk die Geschwindigkeiten drosseln. Letzteres ist vorübergehend. Der Trend nicht: Chinas “Great Firewall”, welche die Bürger am Lesen unliebsamer Inhalte hindern soll, wird immer höher, ihre Löcher werden immer kleiner. Dabei ist die Zensur selbst schon ärgerlich genug. Noch lästiger ist aber, dass das ständige Durchwühlen aller Inhalte auf verdächtige Worte auch das Öffnen erlaubter Websites verlangsamt – nicht zuletzt weil fast jede Website irgendwo einen Link zu den gesperrten Facebook oder Twitter sitzen hat.
Seit einiger Zeit gehen Chinas Propagandazaren auch gegen VPN-Tunnel vor – “Virtual Private Networks”, die den Zensoren vorgaukeln, dass man etwa aus Los Angeles (“Best for North China”) oder Hong Kong auf eine Seite zugreift. Panik ergriff kürzlich vor allem Ausländer, als sie auf dem Smartphone ihren Facebook-Account nicht mehr öffnen konnten, da mehrere der großen VPN-Anbieter ins Visier der Internetpolizei geraten waren. Derzeit laufen die VPN wieder besser, allerdings unzuverlässig – und ihre Zukunft ist völlig offen.
Firmen klagen derweil immer lauter über das langsame Internet, das eine echte Geschäftsbremse zu werden droht. Laut dem jüngsten Geschäftsklimaindex der Deutschen Außenhandelskammer in China stören sich 59,1% aller deutschen Firmen an dem langsamen Internet. 2012 war es noch die Hälfte gewesen. Der Punkt ist nach drei Personalthemen der viertgrößte Kritikpunkt deutscher Unternehmen. Den 2014 erstmals eingeführten Problempunkt “Internet-Zensur” benannten in der Umfrage auch gleich 44% der Befragten als störend für die Geschäfte. Zumal nicht nur China, sondern auch Deutschland den freien Datenverkehr behindert. Der E-Mail-Provider GMX etwa sperrt Zugriffe aus China aus Sicherheitsgründen. Man weiß ja nie, ob der harmlose User in Peking nicht in Wirklichkeit ein Hacker ist. Manche Online-Dienste lassen sich in Deutschland nur abrufen, wenn der VPN-Tunnel via einem Server in Deutschland aktiviert ist.
Nach dem dritten Versuch zu Thomas Müller zu gelangen, gebe ich jetzt erstmal auf. Wenn es irgendwann gelungen sein sollte, diesen Blogbeitrag hochzuladen, werde ich aber auch die Story gelesen haben. Dann läufts wieder. Zumindest langsam.

 

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Die Sache mit dem Pferdeschwanz

Seit zwei Wochen kennen nicht nur meine Leser Neuseelands Premierminister, sondern auch der Rest der Welt. Endlich hat John Key internationale Berühmtheit erlangt – leider als tumber Grapscher. Damit steht er unter den Großen und Kleineren der Welt sicher nicht alleine da. Ungewöhnlich ist nur das Objekt seiner Begierde: ein wippender Pferdeschwanz.

Der Übergriff war kein Einzelfall. Wenn der Regierungschef im „Rosie Cafe“ in Auckland auftauchte, schäkerte er stets jovial mit dem Personal. Ganz volksnah zog er dabei Kellnerin Amanda Bailey wiederholt an ihrem brünetten Pferdeschwanz. Sie verbat sich das; John Key machte weiter. Sie beschwerte sich bei seinen Bodyguards – ohne Erfolg. Sie drohte halb scherzhaft, ihn zu schlagen. Half nicht. Sechs Monate ging das so. Keys Ehefrau Bronagh – langes Haar, kein Zopf, gebranntes Kind? – mahnte den Gatten schließlich, doch das „arme Mädchen“ in Ruhe zu lassen. Da hatte die 28jährige bereits heimlich vor Wut geheult.

John Key tat, was man als Mächtiger bei Kavaliersdelikten so tut: Er schickte Amanda Bailey als Entschuldigung zwei Flaschen Wein. So einfach war der haarige Vorfall jedoch nicht vom Tisch. Die Kellnerin wandte sich anonym an einen linken Blog, wurde aber von einer regierungsfreundlichen Klatschreporterin geoutet. „Ponytailgate“ nahm seinen Lauf. Innerhalb von Tagen tauchten etliche alte Fernsehbilder auf, die den Premier bei öffentlichen Anlässen zeigen, wo er neckisch bis zwanghaft Mädchen an den Haaren zog. Das ließ sich nur noch als „creepy“ bezeichnen – oder als Fetisch. Trichophilie heißt der Fachbegriff für diese Form der sexuellen Erregung.

Der prominente Haargrapscher tat das alles als „Herumalbern“ ab und nannte Amanda Baileys Frisur „aufreizend“, was die Sache nur noch schlimmer machte. Während Key dafür in einer amerikanischen Comedy-Show und süffisanten Schlagzeilen der britischen Presse büßte, reiste er mit Gattin Bronagh nach Saudi-Arabien. Schlechtes Timing, um dort diplomatisch die Rechte von Frauen anzusprechen, wenn man sich gerade dermaßen blamiert hat. Frau Key trug zur eisernen Miene ein bodenlanges schwarzes Müllsack-Gewand, um neben all den Scheichen nicht „aufreizend“ zu wirken.

Amanda Bailey erwägt jetzt ernsthaft, den Premierminister wegen sexueller Belästigung anzuzeigen. Der erwiderte diese Woche, nichts an seinem Verhalten sei sexistisch – seine taktilen Späße hätten schließlich auch einem Mann gelten können. Doch Neuseelands berühmtester Pferdeschwanzträger, der Maori-Politiker Pita Sharples, ist noch nie vom Premierminister persönlich bezupft worden.

Es bleibt spannend, auch in Paris. Da tritt heute Abend John Keys Tochter als Performance-Künstlerin „Cherry Lazar“ in einer erotischen Vernissage auf. Viel Strapse, Stilettos und nackter Po – eine  Art Cicciolina für Arme. Besonders bemerkenswert sind ihre pinken Haare, über den Ohren zu abstehenden Zöpfen gebunden. Wenn das der Daddy sieht!john key

 

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Die Einwanderung und der britische Boulevard

Zeitunglesen zählt zu den Aufgaben eines Journalisten, aber viel Spaß macht es nicht immer. Für Journalisten in London ist es eine zuweilen frustrierende Routine, weil ein großer Teil der britischen Medien boulvardisierte Leichtkost und/oder groben Unfug präsentiert. Frappant ist das bei der Berichterstattung zur Einwanderung: Hier werden die Leserinnen und Leser in der Regel nicht informiert, sondern in ihren negativen Stereotypen bestärkt, sofern diese vorhanden sind.

Das liegt unter anderem auch daran, dass Migranten in der Presse kaum zu Wort kommen. Die Zeitschrift Migrant Voice untersuchte im letzten Jahr rund 600 Artikel über Migration in verschiedenen Medien – vom linksliberalen Guardian über die BBC bis zur konservativen Times; die Studie kam zum Ergebnis, dass in nur 12 Prozent der Texte Migranten selbst zu Wort kommen.

Am Sonntag vor einer Woche gab es besonders starken Tobak vom Revolverblatt The Sun on Sunday: Eine Kolumnistin schimpfte auf so unmenschliche Weise über Bootsflüchtlinge im Mittelmeer (sie verglich sie unter anderem mit Kakerlaken), dass innert weniger Tage eine Petition mit über 200’000 Unterschriften ihren Rausschmiss forderte. Sogar der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte beschwerte sich. Beunruhigend ist: Die Auflage der Sun on Sunday beträgt 1.8 Millionen – sie ist die meistgelesene Sonntagszeitung.

Geistige Erholung vor xenophober Ausfälligkeit gab es dann fernab der Medien, und zwar in einem Theater im Vergnügungsviertel Soho. In intimer Atmosphäre und mit minimaler Bühnenausstattung malt der Theaterautor Anders Lustgarten in seinem Stück „Lampedusa“ ein packendes Bild der Flüchtlingssituation auf der Mittelmeerinsel. Er erzählt von einem Fischer, der tote Migranten aus dem Meer fischt, und parallel dazu von einer jungen Frau in Leeds, die Kleinkredite eintreibt und Vorurteilen gegen Immigranten ausgesetzt ist. Mit nur zwei Monologen schafft Lustgarten, was den Medien hier kaum gelingt: Mit Menschlichkeit über Einwanderung zu sprechen.

Szene aus "Lampedusa"

Szene aus “Lampedusa”

 

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Von Kairo nach Schwäbisch Gmünd

Stadtbibliothek Schwäbisch Gmünd: Suleman Taufiq, Jürgen Stryjak, Jörg Armbruster

Mittendrin dann plötzlich die heikelste Frage von allen. Zuvor hatten wir den Umbruch in Ägypten diskutiert, die zunehmend repressiven Verhältnisse, die zerstörten Hoffnungen und den Wunsch vieler Ägypter nach Stabilität. Wir hatten versucht, etwas Klarheit in den Schlamassel zu bringen, so gut es eben ging. Wir beschäftigten uns mit Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

Aber länger überlegen musste ich erst, als der langjährige ARD-Korrespondent Jörg Armbruster von mir wissen wollte, ob ich mir vorstellen könnte, in Schwäbisch Gmünd zu leben. Was antwortet man auf solch eine Frage, wenn vor einem knapp hundert stolze Schwäbisch Gmünder sitzen, deren Stuhlreihen so angeordnet sind, dass sie den Fluchtweg versperren?

Natürlich kann ich mir vorstellen, dort zu leben. Schwäbisch Gmünd ist eine feine, mittelkleine Stadt mit herausgeputztem historischen Stadtkern, eine Idylle, die für jeden, der gerade aus Kairo kommt, einen Anblick bietet wie mit Photoshop bildbearbeitet. Außerdem hängt es ja von Tausendundeinem Grund ab, ob man an einem Ort zurechtkommt, allen voran von der Arbeit. (Und da ist Schwäbisch Gmünd für einen Nahostkorrespondenten leider eher weniger geeignet, auch wenn es in Nah-Ostwürttemberg liegt.)

Zusammen mit Jörg Armbruster und Suleman Taufiq, den Herausgebern des Stadtlesebuches »Mein Kairo – My Cairo«, war ich an einem Abend in der Stadtbibliothek des Ortes zu Gast und am darauffolgenden Abend dann im Buchhaus Wittwer in Stuttgart. Der großformatige, edel gestaltete Band mit Texten von rund 50 Autoren ist eine Liebeserklärung an die Millionenmetropole am Nil – der vermutlich einzige Kairo-Bildband, in dem die Pyramiden kein einziges Mal auftauchen, jedenfalls nicht in den 140 spannenden Photographien von Barbara Armbruster und Hala Elkoussy.

In meinem Text erzähle ich von meiner Zeit im ärmlichen, traditionellen Altstadtviertel Bab al-Shaariyya. Unter anderem berichte ich vom benachbarten Tischler, der mal ein geborstenes Wasserrohr in meiner Wohnung mit den Worten reparierte: »Wenn Gott will, dass dein Wasserrohr am Ende wieder ganz ist, dann kriege sogar ich das hin. Wenn Gott dies nicht will, dann schafft das auch kein richtiger Klempner.«

Besser kann man die Entspanntheit gar nicht beschreiben, mit der die Kairoer ihren Alltag am Ende doch immer irgendwie bewältigen. Gleichzeitig ist dieser Ansatz beunruhigend. Man stelle sich vor, der Tischler hätte mich mit denselben Worten am Blinddarm operiert: »Wenn Gott will, dass du den Eingriff überlebst, dann kriege sogar ich das hin. Wenn Gott dies nicht will, dann schafft das auch kein echter Chirurg.«

 

Infos zu dem dreisprachigen Stadtlesebuch/Bildband (deutsch, englisch, arabisch) auf der Webseite der edition esefeld & traub.  Und so fand die Lokalpresse unseren Abend in Schwäbisch Gmünd.

Stadtbibliothek Schwäbisch Gmünd

Stadtbibliothek Schwäbisch Gmünd

 

Lesung und Diskussion im Buchhaus Wittwer in Stuttgart: Jörg Armbruster, Jürgen Stryjak, Suleman Taufiq

Lesung und Diskussion im Buchhaus Wittwer in Stuttgart: Jörg Armbruster, Jürgen Stryjak, Suleman Taufiq

 

Buchhaus Wittwer Stuttgart

Buchhaus Wittwer Stuttgart

 

Einband des Stadtlesebuches "Mein Kairo - My Cairo - مدينتى القاهرة"

Einband des Stadtlesebuches “Mein Kairo – My Cairo – مدينتى القاهرة”

 

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Heimliche Hilfe für DDR-Gefangene aus Kalifornien

Ich habe Angela Thompson getroffen um mit ihr ein Interview über Dresden zu machen.
Genauer gesagt geht es darum, wie sie als Dreijährige mit Mutter, Großmutter und kleiner Schwester aus den Flammen flüchtete.
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Sie spricht darüber, wie sie in Bischofswerda ankamen und ein neues Leben aus dem Nichts aufbauten, wie sehr sie die Jungen Pioniere hasste und all den Zwang, der mit dem Leben in Ostdeutschland verbunden war. Dann kam die große Enttäuschung, als sie sich nach der Flucht in den Westen auch dort eingeengt fühlte und schließlich der Umzug in die DDR, immer verbunden mit der Sehnsucht nach Freiheit.
Fast nebenbei erzählt mir Angela, dass sie später in den 70 er Jahren zurück kam in die DDR und zwar jedes Jahr.
Sie hat dort Menschen geholfen, die wegen ihrer politischen Meinung, religiöser Überzeugungen oder kritischen Äußerungen unterdrückt wurden. “Ich wusste, dass das gefährlich war, aber ich konnte nicht anders,” sagt sie.

Wie bitte? Das MUSS sie mir genauer erzählen!

Angela Thompson hatte das dringende Bedürfnis, den Menschen in der DDR zu helfen.
Vor allem lag das daran, dass sie sich und ihre Eltern immer wieder gefragt hatte, warum niemand gegen Hitler aufgestanden war, warum niemand den Menschen geholfen hatte, die unter ihm unterdrückt wurden. Außerdem war sie sehr dankbar dafür, dass sie den Weg in die Freiheit gefunden hatte und ganz über ihr Leben bestimmen konnte.
“Plötzlich habe ich gewusst, dass ich doch von niemandem erwarten kann, dass sie etwas für Menschen in Schwierigkeiten tun, wenn ich selbst nicht den Menschen in der DDR helfe.”
Es begann mit dem Schmuggeln von Taschenrechnern, politischen Zeitschriften und Büchern für Verwandte und Freunde. Daraus wurde viel mehr. Angela Thompson fuhr mit dem Auto quer durch die USA nach Washington, um dort mit Senatoren und Vertreten des Außenministeriums über politische Gefangene zu sprechen. Die Abgeordneten versprachen, zu helfen. Sie telefonierte mit Präsidentschaftskandidat Ronald Reagan über einen besonders brisanten Fall. Auch er wurde aktiv.
Sie selbst übermittelte Informationen zwischen West und Ost, bog heimlich von der Transitstrecke ab, um sich mit Angehörigen der Gefangenen zu treffen.
Der Gefahr war sie sich immer bewusst. “Aber ich musste das einfach tun, weil das zum Menschsein dazu gehört.”

Sie erzählt mir das in ihrem licht durchfluteten Wohnzimmer. Im Regal hinterher viele deutsche Bücher, Reclamhefte und Schallplatten mit klassischer Musik. In Glasvitrinen Porzellan aus Meißen und Krippenfiguren aus dem Erzgebirge. Dazwischen eine Buddhafigur, Rosen aus dem Garten und moderne Kunst and den Wänden.
Man merkt die starke Verbindung zwischen ihr und der alten Heimat.
Niemals hätte ich geahnt, was sie für die Menschen dort riskiert hat.

 

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Roter Mohn und Luftballons

 

Dass dieser Blog mir diesmal schwer fällt, liegt wohl daran, dass ich deutsch bin. Da hat man ein etwas gestörtes bis zynisches Verhältnis zu Schützengräben und Marschbefehlen. Dabei juckt es mich jedes Jahr in den Fingern, etwas Unpassendes zum Anzac Day loszulassen – jenem Nationalfeiertag, an dem sich die Schlacht von Gallipoli jährt.

Gallipoli ist jedem Kiwi heilig und so geläufig wie unseren Großvätern Stalingrad. Bei dem Gemetzel im ersten Weltkrieg kamen auf einen Schlag 2721 Neuseeländer im Dienste ihres Königs um – prozentual der größte Aderlass weltweit. Gallipoli ist bis heute nicht nur ein nationales Trauma, sondern auch ein Riesen-Tamtam und daher für Nachkriegsgermanen der zweiten Generation etwas gewöhnungsbedürftig: Alle Jahre wieder Paraden, Medaillenschwingen, Helden-Reden – das große „Wir“-Gefühl. Dazu Anzac-Kekse, die sind lecker. Spätestens an diesem Samstag droht allen Anti-Militaristen der Overkill: Der hundertjährige Anzac Day steht an.

Das Nationalmuseum Te Papa eröffnet eine vierjährige Anzac-Ausstellung. Filmregisseur Peter Jackson ließ die Hobbits links liegen und widmete sich einer gigantischen Armee-Installation. Es gibt öffentliche Lichtshows und frisch enthüllte Denkmäler. Mindestens fünf neue Sachbücher erscheinen zum Thema. Die „New Zealand Dance Company“ tanzt noch bis Mai eine Runde Gallipoli. Garantiert hat jemand einen Song komponiert.

Am Flughafen Christchurchs wurden 5000 Mohnblumen zur Erinnerung gepflanzt. Das Fernsehen hat Dokumentationen und Serien. Maori TV sendet am Anzac Day flächendeckend zum Thema, unter anderem live von der türkischen Halbinsel, wo Tausende von Kiwis ein Ticket zur Teilnahme an der Gedächtnisfeier gewonnen haben. 20 Millionen Dollar verschießt die Regierung allein an Kultur, um den Tag entsprechend zu würdigen. Doch was den ganzen Weltkriegsglamour beinahe trübte, kostet nur ein paar Cents: Es fehlten rote „poppies“ – aus Papier gebastelte Mohnblüten zum Anstecken, die man als Zeichen der Solidarität für ein paar Münzen auf der Straße kauft.

„Weißt du, wo die Blumen sind?“ wäre dafür die passende Untermalung, nicht nur aus pazifistischer Sicht. Denn, Schreck oh Schande, in der letzten Woche gingen dem Veteranenverband die Mohnblüten aus. Das wäre ein Desaster geworden, fast so peinlich wie die alten WW1-Medaillen, die von der neuseeländischen Armee nicht rechtzeitig zum Trauerjubeltag an die Hinterbliebenen rausgerückt wurden – ein Skandal. Aber zum Glück sprangen die Australier als alte Kameraden ein und schickten Tausende von Ansteckblumen über die tasmanische See. Obendrein wurde auch noch ein Poppy-Verkäufer im Rollator um ein Haar von Kindern beraubt, aber sein Sammeleimer war klausicher am Tisch befestigt.

Und was haben die Deutschen im Lande ausgeheckt? Das Goethe-Institut und die deutsche Botschaft lassen am heutigen Freitag in einem Park in Wellington 99 Luftballons mit Friedensbotschaften von Schülern in die Luft steigen und singen dazu. Nena statt Marlene.anzac

 

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Die Dänin, die gegen Googles gefährliche Machenschaften kämpft

Magrethe Vestager? Nie gehört! Das dürfte bis vor kurzem außerhalb Dänemarks das Standard-Frage-Antwort-Spiel gewesen sein. Doch jetzt macht Vest-äjer (so ungefähr sollte man den Nachnamen aussprechen) Giganten wie Google und Gazprom Konkurrenz. Und bekommt dafür jede Menge Aufmerksamkeit.

Sie ist seit November 2014 EU-Wettbewerbskomissarin und seit ein paar Tagen international in den Schlagzeilen.

Wer wie so viele Briten, Amerikaner, Deutsche etc. die dänische Tv-Serie “Borgen” (in Deutschland gelaufen unter dem Titel “Gefährliche Seilschaften”) gesehen hat, hat mit Vestager schon ein wenig Bekanntschaft geschlossen. Denn die Hauptperson, Spitzenpolitikerin Birgitte Nyborg, ist ihr und Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt nachempfunden.

Mehr zu Vestager in meinem aktuellen Porträt für Zeit Online.

 

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Bethlehem in Österreich

Ende April von Maria und Josef und ihrer Herbergssuche daherzukommen, das ist wohl das, für das man das Wort „deplatziert“ erfunden hat. Denn entweder ist man damit vier Monate zu spät oder acht Monate zu früh und die Weihnachtlichkeit der Geschichte passt ja gleich gar nicht zum endlich aufkommenden Frühling. Sei’s drum, es geht nicht anders. Denn was wir jetzt erlebt haben, war einfach ein klassisches Maria-und-Josef-wer-klopfet-an-Erlebnis. Mit bestmöglichem Ausgang.

Es war so: Am vorvergangenen Wochenende fuhren wir mit dem Auto von Österreich zurück nach München. Die Stimmung der Reisegruppe von Mama, Papa, zweijähriger Tochter und sechs Monate altem Sohn war mäßig: Wir waren spät dran, es war Stau angesagt, schlechtes Wetter und die Kinder waren krank. Doch es geht immer noch schlechter: Es fing an zu schneien, der Kleine hustete und weinte gleichzeitig, kurzum: Hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte mich in einen Zahnarztstuhl zur Wurzelbehandlung gewünscht.

Irgendwann war es dunkel, es lag ein Dutzend Zentimeter Schnee auf der Autobahn, vor uns sah ich Warnblickanlagen, rote Bremslichter, Stau. „Hauptsache, das Auto rollt“, heißt die Devise beim Reisen mit Kindern, also fuhren wir von der Autobahn ab, ins verschneite Irgendwo, das Navi schaltete auf Kompass. Mein Ziel: Eine Gaststätte, eine Tankstelle, irgendein Unterschlupf, bei dem man kurz aussteigen könnte. Leider Fehlanzeige. Alles dicht, alles weiß. Meine Frau und ich sangen in Endlosschleife „Der Kuckuck und der Esel“, doch die sonst zuverlässig beruhigende Wirkung wollte nicht einsetzen.

Wir kamen durch einen Ort namens „Eben“, es war zehn Uhr abends. „Bleib! einfach! mal! stehen!“, rief meine Frau entnervt durch das Tohuwabohu. Ich fuhr in eine Hauseinfahrt, wir schnallten die Kinder ab und nahmen sie nach vorn. Es wurde nicht besser. „Ich klingel da jetzt“, sagte ich. Ich weiß nicht, ob Sie „Hereinspaziert!“ sagen würden, wenn abends um zehn ein unbekannter Mann bei Ihnen klingelt und fragt, ob er und die drei anderen, die noch im Auto sitzen mal eben reinkommen dürfen. Der Mann, der uns öffnete, tat es.

Es war eine Familie aus Mazedonien, eine Großfamilie in deren Wohnzimmer wir wie ein Ufo landeten. Man sah ihnen an, dass sie heute noch mit allem gerechnet hätten, aber nicht mit uns. Aber nach zwei Minuten hatten wir einen Kaffee in der Hand und Kuchen auf dem Teller. Und unser Sohn lag im Kinderbett. Irgendwann kam der sechsjährige Sohn der Familie mit einem Buch, ich solle das vorlesen. Es war ein Buch über rosa Einhörner, ich mag keine rosa Einhörner, also gar nicht. Aber es war trotzdem wunderschön.

Abends um elf fuhren wir weiter. Wir kamen gut in München an.

 

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Spender für Recherche gesucht

Seit fast einem Monat befasse ich mich intensiv mit einem Thema: mit der Frage nämlich, warum so viele bei pompösen Geberkonferenzen versprochene Hilfsgelder nie ausgezahlt werden. Die Folgen, das war mir von Anfang an klar, sind dramatisch. Doch wie dramatisch, das ist mir in den vergangenen Wochen immer deutlicher geworden.

The World We Created Together

Dabei ist bis heute noch gar nicht klar, ob ich dieses Thema wirklich ausführlich recherchieren werde. Was ich im Moment mache, ist klassische Vorrecherche: ich grenze das Thema ein, sichte Aktenberge, suche kompetente Gesprächspartner. Ob daraus tatsächlich eine Geschichte wird, entscheiden andere.

Leute wie Sie nämlich. “Wo sind die versprochenen Millionenhilfen” ist ein Crowdfunding-Projekt, das ich auf der Plattform des investigativen Recherchenetzwerks Correctiv austrage. Bis heute ist knapp die Hälfte der 2900 Euro zusammengekommen, die ich für die ziemlich aufwändige Recherche brauche. Gut 30 Spender haben sich beteiligt, manche mit 10, andere mit 200 Euro. Bis zum 29. April muss noch einmal so viel zusammenkommen – sonst bekomme ich nichts und das Projekt findet nicht statt. Die Vorarbeit wäre für die Katz gewesen.

Daniel Schwenger hat mich in einem Fernsehinterview gefragt, warum Crowdfunding im Journalismus so wichtig ist. Ich glaube, es gibt mehrere Gründe dafür: zum einen geben Redaktionen immer weniger Geld für Journalismus aus. Das ist falsch und mitunter skandalös, aber es ist so. Zum anderen sind manche Recherchen aufwändiger, als sie früher einmal waren. Um herauszufinden, was mit den Hilfsgeld-Zusagen mancher Länder, Stiftungen und Konzerne geschehen ist, werde ich große Datenmengen durchsuchen müssen – vermutlich mit Hilfe von journalistisch versierten Informatikern. Das kostet Zeit und Geld. Schließlich glaube ich aber auch, dass Crowdfunding im Journalismus Chancen eröffnet. Denn “mein” Thema hat jetzt schon viele erreicht, bevor die Geschichte geschrieben ist. So entsteht Interesse für eine Recherche, die sonst womöglich untergegangen wäre.

Schauen Sie doch einmal hier ins Interview rein – und wenn es Ihnen gefällt: spenden Sie hier. Es ist für einen guten Zweck, nämlich besseren Journalismus. Und eine Spendenquittung gibt es gratis dazu.

 

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Königinnengeburtstag! – Die dänische Monarchin und die Einwanderer

“Kommst Du nach Dänemark, musst Du dich einfügen” – so in etwa lautet der Appell der dänischen Königin Margrethe II. in einem großen Interview, das sie aus Anlass ihres heutigen 75. Geburtstages der Zeitung Berlingske Tidende gegeben hat. Die Monarchin, verheiratet mit dem in Frankreich geborenen Prins Henrik, fordert nach Dänemark kommende Einwanderer auf,  sich an die dänischen Gegebenheiten anzupassen und nicht ihr „altes Gesellschaftsmodel einfach weiterzuführen“. Von der Rhetorik der Dänischen Volkspartei (DF) ist sie allerdings weit entfernt – es gehe ihr nicht darum, dass nun jeder Frikadellen essen müsse, zitiert die Zeitung Politiken die Königin. Die DF hatte in den vergangenen Jahren immer wieder hervorgehoben, wie wichtig es sei, dass in dänischen Institutionen wie Krankenhaus oder Kindergarten Schweinefleisch serviert werde.

Wahlplakat der dänischen Sozialdemokraten (Gilleleje, 29. März; Foto: Bomsdorf)

Das Interview fällt in den beginnenden Wahlkampf – spätestens im September muss gewählt werden, doch es wird erwartet, dass Regierungchefin Thorning-Schmidt die Bürger schon im Mai stimmen lässt. Die Plakatierung hat jedenfalls schon begonnen. „Kommst Du nach Dänemark, musst Du arbeiten“ (s.o. auf Plakaten in Gilleleje) – mit diesem Slogan werben die regierenden Sozialdemokraten in Dänemark um Stimmen und zwar dort, wo die Dänische Volkspartei DF seit Jahren erfolgreich ist: bei jenen, die in Einwanderern vor allem Gefahr sehen. Die Sozialdemokraten gehen ganz klar weiter als die Königin, alleine durch den rhetorischen Kniff auf den ersten Blick jemanden anzusprechen, der gar nicht wählen darf.

Während DF aktuellen Umfragen zu Folge Chancen hat stärkste Fraktion zu werden, dürfte es für die sozialdemokratische Amtsinhaberin schwer werden, die Regierungsmacht zu halten.

 

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Bin ich jetzt ein Schleuser?

Nennen wir ihn "Franz"

Nennen wir ihn “Franz”

Das letzte, was ich von ihm sah, war, wie er am Samstagnachmittag aus unserem Zug ausstieg: ein junger Mann Mitte 30, Mütze, Rucksack, eine Tüte mit zwei Orangen und meiner Mineralwasserflasche. Zum ersten Mal betrat der Mann Münchner, bayerischen, deutschen Boden. Stündlich schaue ich, ob er mir wie versprochen eine Email geschrieben hat – bisher nicht.

Unsere Schicksale kreuzten sich im Zug. Ich fuhr mit meiner zweijährigen Tochter aus dem Urlaub in Südtirol nach München, sie war müde und wollte getragen werden. So wurde ich Zeuge eines Gesprächs zwischen dem Schaffner und einem Schwarzafrikaner. Der Mann sagte, er wolle nach “Munich”, der Schaffner stellte ihm ein Ticket bis Innsbruck aus. Für mehr reichte das Geld nicht. Als der Schaffner weg war, meine Tochter hing schlafend über meinen Schultern, sprach ich den Mann an. Er flüsterte fast: Dass er sich vor zwei Jahren von Gambia aufgemacht habe und schließlich von Libyen mit dem Schiff nach Europa aufgebrochen sei. Sein Ziel: Munich.

Ich ging zurück zu meinem Platz, legte meine Tochter auf den Sitz und überlegte. Ich kannte den Mann seit fünf Minuten. Ich kannte Gambia überhaupt nicht. Aber ich wusste jetzt schon zuviel. Er war nicht mehr irgendein Flüchtling in einer Statistik. Es lag jetzt an mir, ob ein sympathisch wirkender junger Mann, der seit zwei Jahren durch die Welt irrt, an ein paar Euro scheitert. Ich ging wieder zu ihm und gab ihm etwas Geld. Als vor Kufstein der Schaffner kam, konnte er sein Ticket bis München zahlen. Drei unschwer als Polizisten erkennbare Männer stiegen zu. Wenn sie ihn jetzt befragen und zurückschicken, kann ich auch nichts machen. Aber immerhin hat er eine Fahrkarte. Die Männer gingen an ihm vorbei.

Kurz vor München ging ich nochmal zu dem jungen Mann aus Afrika. Ich schrieb ihm die Adresse des Münchner Flüchtlingsrats auf, der Bahnhofsmission, der Caritas. Ich sagte, dass es sein könnte, dass er bald nach Italien zurückgeschickt werde. Er meinte, er käme jetzt zurecht.

Am Hauptbahnhof stiegen wir aus, Opa holte uns ab. Zuhause recherchierten wir über Gambia. Ein kleiner Staat zu beiden Seiten des Flusses „Gambia“. Eine Hauptstadt namens „Banjul“. Nie gehört. Auch den Namen des Mannes weiß ich nicht. Nennen wir ihn “Franz”. Vielleicht hilft das, sich vorzustellen, dass auch ein Flüchtling aus Afrika zum Münchner werden kann.

 

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Besessen von der ehemaligen Besatzungsmacht

Deutsche Truppen auf dänischem Boden – am heutigen 9. April ist es 75 Jahre her, dass Dänemark vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt wurde. Die dänischen Medien nehmen das zum Anlass über die historische Bedeutung des Datums, das zu Dänemarks Historie gehört wie 1864 (die Niederlage auf den Düppeler Schanzen) und 1992 (der Sieg über Deutschland im Finale der Fußball-EM), zu diskutieren.

Schon ein paar Tage zuvor verkündete der öffentlich-rechtliche Sender DR, dass die Dänen die Deutschen nun lieben würden. Das war das Ergebnis einer aktuellen Umfrage kurz vor dem 75. Jahrestag. In der Tat ist die Deutschland- oder besser gesagt Berlin-Begeisterung seit einigen Jahren groß.

Viele Dänen haben eine Zweitwohnung in der deutschen Hauptstadt oder reisen dort zumindest ständig hin, in Kopenhagen ist es cool Deutsch zu sprechen und Läden und Bars mit deutschen Namen zu versehen. Darüber habe ich schon vor ein paar Jahren für Die Welt geschrieben und vor kurzem griff auch die dpa das Thema auf.

 

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Mehr als 50 Prozent Frauen bei WELTREPORTER.NET

screenshot B Vorschlag AusschnittHamburg, 30. März 2015. Während laut der Journalisteninitiative ProQuote im ZDF fast nur Männer die Auslandsberichterstattung bestimmen, sind bei WELTREPORTER.NET, dem Zusammenschluss freier Auslandskorrespondenten, die Frauen in der Mehrheit.

„Von unseren 43 aktiven Korrespondenten sind 23 Frauen. Wir sind da anscheinend erheblich weiter als andere, und das sogar ohne Quote,“ sagt Barbara Heine, Leiterin der deutschen Repräsentanz von WELTREPORTER.NET. „Denn die Realität ist: Es gibt ebenso viele hoch qualifizierte Frauen wir Männer unter den Journalisten.“

Viele relevante Standorte sind bei WELTREPORTER.NET  in der Hand von Frauen: So berichtet Birgit Svensson seit vielen Jahren, teilweise als einzige deutsche Journalistin, aus dem Irak, Susanne Güsten aus Istanbul, Susanne Knaul und Tanja Krämer aus Jerusalem. Über die Auswirkungen der Euro-Krise in Griechenland berichtet Alkyone Karamanolis (Athen), in Spanien Julia Macher. Insgesamt arbeiten neun Weltreporterinnen in Europa.

Mehr als die Hälfte der Frauen bei WELTREPORTER.NET arbeitet an außereuropäischen Standorten: Bettina Rühl, Leonie March und Nicole Macheroux-Denault berichten aus Afrika, Christiane Kühl und Hilja Müller aus Peking, weitere Kolleginnen aus den USA, Argentinien, Brasilien, Indonesien, Neuseeland und Australien.

Auch im Vorstand des im Jahr 2004 gegründeten Vereins gibt es mehr Frauen als Männer, hier ist das Verhältnis drei zu zwei.

„Wenn Weltreporter berichten, wird das Weltgeschehen deshalb nicht nur kompetent und differenziert, sondern auch ausgewogen präsentiert“, so Barbara Heine.

WELTREPORTER.NET ist das größte Netzwerk freier deutschsprachiger Auslandskorrespondenten und berichtet aus und über mehr als 160 Ländern.

 

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“Vorsatz vor, noch ein Tor!”

Wäre meine Fastenzeit ein Fußballspiel, wäre ich jetzt in der Schlussphase, etwa in der 83 Minute. Auf der einen Seite spielt der 1.FC Vorsatz, auf der anderen die Spielvereinigung Schlendrian. Der erste 1. FC Vorsatz ist gut ins Spiel gestartet, spielt aber mittlerweile „pomadig“ und kraftlos. Die Spielvereinigung Schlendrian spielt einen Angriff nach dem anderen und führt verdient 3-1. „Kommt, Männer“, rufe ich jetzt von der Trainerbank und klatsche aufmunternd in die Hände. Ich will das Spiel noch drehen.

Warum überhaupt der Rückstand? Ich hatte mir viel vorgenommen: 1. Die ganze Fastenzeit keinen Alkohol trinken. 2. Die ganze Fastenzeit kein Fleisch essen. Im Rückblick muss ich sagen: Ich hatte unrealistische Vorsätze. Als würde sich Paderborn vornehmen, Deutscher Meister zu werden.

Mit dem Vorsatz des Alkohol-Verzicht ging es eigentlich gut los: Das Ritual des klischeebehafteten Feierabendbiers lasse ich tatsächlich erfolgreich weg. Leider kamen dann aber ein ausgelassener Skitag, ein Junggesellenabschied und zwei schöne Abendessen dazwischen. Der Vorsatz mit dem Fleischverzicht war ein absoluter Fehleinkauf: Ständig ließ er gegnerische Angriffe (z.B. Schnitzel, Spaghetti Bolognese) durch. Nach vorne hin spielte er aber durchaus manchen guten Pass. Will sagen: Er vermied immerhin Fleischkonsum, etwa in der Kantine. Aber alles nichts im Vergleich zu den anderen Vereinen: Mein Freund und Kollege F. etwa ist wie der FC Bayern unter den Fastern: Er ernährte sich wochenlang nur von Saft.

83. Minute! Keine Zeit für Selbstzweifel „Kämpfen, Vorsatz, kämpfen!“ rufe ich mir zu. Ich will und werde noch ein Unentschieden erreichen, durch massiven Einsatz neuer Vorsätze: Ich werde bis Samstag zumindest einen der drei Sellerieköpfe verarbeiten, die im Keller vor sich hin müffeln. (Anschlusstreffer zum 2-3) Und ich werde auf Süßigkeiten und Nachtisch verzichten. (3-3!) Und: Ich werde diese Woche nicht Golf spielen. Mache ich zwar eh nicht. Aber so mogle ich mich zum unverdienten und sensationellen 4-3!

 

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Weltreise im Kopf

Ich weiß schon, warum ich Wettervorhersagen selten nutze: Denn wenn es schön ist, freue ich mich am Morgen ohnehin, und wenn es schlecht wird, deprimiert es mich schon Tage im Voraus. So wie jetzt: 16 Tage Wolken sehe ich da in der Vorhersage für München. Na toll.

Kein Wunder, dass ich gedanklich permanent in andere Weltregionen abschweife. Meine zweijährige Tochter sprach, als ich kürzlich “Urlaub” hatte, davon, dass Papa “Urwald” habe und wir auch dorthin, nämlich in den “Urwald” fahren würden. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn “der Papa” ein bisschen “Urwald” hätte. Ab und zu würde ich dann dorthin reisen und mich mit der Machete zum Baumhaus durchschlagen und von dort mit meinen Kindern Papageien und Affen beobachten. Und wer mich dann mal in München fragt, ob ich wirklich “Urwald” habe oder nur “Urlaub”, dem könnte ich lässig antworten. “Ja, Urwald! Aber nicht viel. Nur ein paar Hektar und halt die Landepiste für mein Flugzeug”.

Weil ich tatsächlich aber keinen “Urwald” habe, war ich umso dankbarer, als mir Mitte letzter Woche “Mr. Pietersen” schrieb, per Mail. Ich hätte, so schrieb er, einen Termin mit ihm, um 15.30 Uhr an der “Timour Hall Primary School” in Plumstead bei Kapstadt, Südafrika. “Wir müssen ein paar Dinge besprechen”, schrieb er. Da “Mr. Pietersen” meine korrekte Emailadresse benutzt und die Mail nicht im Spam bei all den Pseudo-Mahnungen gelandet war, musste ich tatsächlich kurz überlegen: Hatte ich vielleicht tatsächlich einen Termin in Südafrika? Nein, leider nicht. Aber ich könnte ihn ja trotzdem wahrnehmen…

Ich suchte nach der “Timour Hall Primary School”. Es gibt sie wirklich. Und sie sieht nett aus. Ich beschloss, das Schicksal herauszufordern: Sollte ich im Lotto gewinnen, fliege ich spontan hin
zu diesem Termin und “Mr. Pietersen”. Am Samstag nach dem Einkaufen beim Bäcker füllte ich einen Lottoschein aus.  Leider machten am Abend die Kugeln die Aktion nicht mit. Ich hatte keine einzige der Zahlen.

Da der Termin am gestrigen Montag um 15.30 Uhr gewesen wäre, schrieb ich am Sonntagabend meine erste Mail nach Südafrika – ich will es mir ja nicht mit der “Timour Hall Primary School” verscherzen: “Dear Mr. Pietersen”, schrieb ich, und dass ich absagen müsse.

Bisher hat “Mr. Pietersen” leider nicht geantwortet, vielleicht hat er den echten “Mr. Martin” noch gefunden. Vielleicht aber lädt er mich ja nochmal ein – und übernimmt die Reisekosten. Ich wäre bereit. Innerhalb der nächsten 16 Tage auf alle Fälle.

 

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Smog in Paris

Die Dame versucht, am Metro-Eingang ihr Ticket zu entwerten – doch es funktioniert nicht. „Madame, heute ist die Metro gratis, Sie können einfach durch die Schleuse gehen“, sagt ein junger Franzose. Noch hat es sich nicht überall herumgesprochen: Seit drei Tagen ist der Nahverkehr in und um Paris umsonst. Das freut viele, auch die Touristen. Doch der Grund dafür ist weniger schön: Frankreichs Hauptstadt leidet unter Smog.

Die Pariser husten sich mal wieder durch ihre Stadt. Wie bereits genau vor einem Jahr hängt eine Smog-Wolke über der Metropole. Mehrere Tage hintereinander wurden die Feinstaub-Grenzwerte überschritten. Die Luftqualität ist an solchen Smog-Tagen in Paris zeitweise genauso schlecht wie in einem nicht gelüfteten Zimmer von 20 Quadratmetern, in dem acht Raucher gleichzeitig rauchen, stellten im vergangenen Jahr Forscher fest. Die ganze Region leidet immer wieder unter der miesen Luftqualität: 2013 sind in der Region Île-de-France die Feinstaub-Grenzwerte an 135 Tagen überschritten worden, die EU erlaubt nur 35.

Über den Dächern von Paris herrscht dicke Luft

Über den Dächern von Paris herrscht dicke Luft

Wie genau vor einem Jahr greift die Regierung zu drastischen Mitteln: Heute gilt ein Teil-Fahrverbot. Das heißt: In Paris und in 22 angrenzenden Vorstädten dürfen nur die Autos und Motorräder fahren, deren Kennzeichen mit einer ungeraden Zahl enden, alle anderen müssen stehen bleiben. In der ganzen Stadt kontrollieren 750 Polizisten, ob die Fahrer sich daran halten. 22 Euro kostet die Strafe für denjenigen, der trotzdem mit seinem Auto losdüst. Gleichzeitig wurde auf den meisten Straßen die Höchstgeschwindigkeit um 20 Stundenkilometer reduziert.

Vor einem Jahr zeigte das Fahrverbot Wirkung: Die Feinstaubbelastung nahm um sechs Prozent ab. Warum wartete die Regierung also jetzt tagelang? Wohl weil man vor den Départementswahlen am Sonntag die Wähler nicht verärgern wollte. Die Zeitung “Le Monde” fragte deswegen kritisch: „Wie viele Leben ist eine Wählerstimme wert?“

Die Behörden geben dem Wetter Mitschuld am Smog: ein Hochdruckgebiet über Frankreich, kein Wind und Regen, der den Dreck in der Luft wegpustet und fortspült. Doch die eigentlichen Verursacher sind andere: Die Schwerindustrie mit ihren Abgasen, das Düngen in der Landwirtschaft und vor allem die endlosen, stinkenden Blechlawinen in der Stadt. Täglich rollen auf dem 35 Kilometer langen „Périphérique“, der Pariser Stadtautobahn, 1,3 Millionen Fahrzeuge. Zwar haben die Pariser selbst oft gar kein Auto – nicht mal jeder zweite besitzt eines. Aber es  sind vor allem die vielen Pendler aus dem Umland mit ihren Dieselfahrzeugen, die den Smog verursachen: Dieselmotoren erzeugen besonders viele gefährliche Feinstaubpartikel.

Zwei von drei Autos in Frankreich fahren mit Dieselkraftstoff. Denn die französischen Regierungen förderten den Kraftstoff seit Jahrzehnten, indem sie ihn weniger besteuerten als normales Benzin. Viele französische Großstädte leiden nun dauerhaft wegen dieser Diesel-freundlichen Politik. Aber auch die vielen privaten Kamine der Region verpesten im Winter die Luft. So wird immer wieder heftig darüber gestritten, ob es im Großraum Paris verboten werden soll, in Wohnungskaminen ein gemütliches Feuerchen zu schüren.

Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht den Kampf gegen Luftverschmutzung zur Chefsache. Das Rathaus kündigt einen radikalen Umweltplan für die kommenden Jahre an. Denn die Feinstaubbelastung verkürze die durchschnittliche Lebenserwartung der Pariser um sechs bis neun Monate, heißt es. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sterben 42000 Menschen in Frankreich an den Folgen der Luftverschmutzung. Die Partikel verursachen Lungenkrebs und Atemwegskrankheiten.

Pariser, die ihr (vor 2001 angeschafftes) Dieselauto abschaffen wollen, werden unterstützt: mit Vergünstigungen für Abonnements für das Autoverleihsystem Autolib oder Fahrradverleihsystem Velib. Aber auch mit bis zu 400 Euro für den (Elektro-)Fahrradkauf oder einer Jahreskarte für die Metro. Auch Firmen bekommen Zuschüsse, wenn sie ihre Lieferwagen ausmustern und auf ein Elektrofahrzeug umsteigen. Schrittweise soll es für ältere Diesel-Laster und -Busse sowie auch für Pkw Fahrverbote geben – bereits ab Juli 2015, aber vor allem ab Juli 2016.

Anne Hidalgo will zudem mehr Fußgängerzonen. In den vier zentralen Arrondissements sollen neben Fahrrädern, Bussen, Radlern und Taxis nur die Anwohner, Lieferanten und Notärzte fahren dürfen: Das beträfe die Gegend von der Place de la Concorde über den Louvre vorbei an Notre-Dame und dem Rathaus bis zur Place de la Bastille und der Place de la République. Es soll Versuche geben, große Boulevards wie die Champs-Elysées oder die Rue Rivoli nur noch für besonders abgasarme Autos zu öffnen. Bis 2020 sollten die gesundheitsschädlichen Dieselautos sogar ganz aus der Stadt verbannt werden – und die Länge der Fahrradspuren verdoppelt werden.

Doch das ist Zukunftsmusik. Schon morgen dürfen erst einmal wieder alle Autofahrer fahren und die Metro kostet wieder Geld – denn es sind Wind und Regen angekündigt.

 

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