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Das Yacoubianische Haus

Zwei Monate lang hatte ich mir es vorgenommen, gestern endlich bin ich ins Kino gegangen, um mir "Omaret Yacoubian" anzuschauen, "The Yacoubian Building", kein Film, sondern ein Phänomen.

Vor einigen Monaten hatte ich den Autor der Romanvorlage interviewt, den Zahnarzt Alaa Al Aswany, der immer noch praktiziert, der der Anti-Mubarak-Reformbewegung angehört und der einen Bestseller geschrieben hat, der seltsamerweise nicht verboten wurde, sondern von dem 50 mal mehr Exemplare über die Ladentische gingen, als es für einen arabischsprachigen Bestseller üblich ist.

Die Verfilmung hält sich an die Romanvorlage: In einem runtergekommenen Downtown-Art-Déco-Haus lebt unten die verblühte Elite, Pseudo-Aristokraten und Intellektuelle, und oben auf dem Dach das Volk, die Portiersfamilie, Habenichtse vom Land, die Verkäuferin Bussaina.

Ihre Geschichten kreuzen und verschränken sich. Keine Kränkung, kein Elend, keine Gemeinheit und keine Tragödie im Ägypten von heute wird ausgelassen – und über allem schwebt die Politik des korrupten Regimes, die die Biographien der Menschen zermalmt.

Gestern im Kino war das für einige im Publikum schwer zu ertragen, zu schwer. Als der Portierssohn in der Untersuchungshaft von Geheimdienstbütteln vergewaltigt wird und danach nackt und blutverschmiert in der Zelle hockt und jammert, da nehmen einige Männer ihre Frauen und verlassen das Kino.

Dasselbe geschieht, als der prominente, mehr oder weniger heimlich schwule Chefredakteur zärtlich seinen Liebhaber verführt. Und nochmal, als der Chef der jungen Verkäuferin Bussaina im Lagerraum auf ihr Kleid onaniert, eine Pflichtübung für alle jungen Verkäuferinnen in dem Laden, die ihren Job nicht verlieren wollen. Sie erhalten dafür 10 Ägyptische Pfund pro Abspritzen, umgerechnet 1,35 Euro.

Immer wieder verlassen Zuschauer den Saal. Bis zum Schluss guckten höchstens zwei Drittel von ihnen. In dem Film kommt nichts vor, was die Leute nicht wissen, aber diese geballte Ladung überfordert so manchen. Ägypter lieben die Illusion. Wenn ein Heuchler den frommen Muslim spielt, aber hin- und hersündigt, dann sehen sie drüber weg und reden nur privat darüber. Das ist Selbstschutz, anders wäre die Wirklichkeit vielleicht gar nicht zu ertragen.

Im Film kommen haufenweise Leute vor, die Gebetskettchen schwenken und alle paar Sekunden "So Gott will", "Der Herr wird uns beschützen" usw. sagen und im nächsten Moment eine Zweitfrau heiraten, weil das besser als eine Prostituierte ist, aber letztlich nichts anderes. Und die gleichzeitig bestechen, was das Zeug hält, sich Parlamentssitze kaufen, mit Rauschgifthandel reich werden usw. Und, auch das sagt der Film deutlich, die Mächtigen des Regimes (in Gestalt eines Ministers zum Beispiel) sind nur so mächtig, weil sie skrupelloser sind als all die anderen Schufte.

Nach dem Film bin ich durch die Innenstadt gegangen, über den Talaat Harb Square, auf dem eine Schlüsselszene spielt. Einer der Hauptdarsteller läuft nachts betrunken über ihn rüber und beklagt laut grölend den Niedergang des Landes. Seine Begleiterin sagt: "Die Leute gucken schon. Lass uns hochgehen!" Er antwortet, schreit: "Sie sollen nicht uns angucken, sondern unser Land, das mehr und mehr zerfällt!"

Vor einigen Wochen war ich genau hier auf diesem Platz bei einer Demonstration, für einen Hörfunkbericht. Linke(!) und Säkulare(!) protestierten für(!) die schiitische Hisbollah. Hundertschaften bewaffneter Polizisten hatten das Areal abgeriegelt.

Plötzlich stand ich irgendwie mittendrin, im inneren Absperrring, was mir normalerweise nicht passiert, weil ich eigentlich vorsichtig bin. Die berüchtigten Schlägertrupps zogen direkt vor meiner Nase auf, Beamte in Zivil und vermutlich auch Underdogs, die für ein bisschen Kleingeld bereit sind, die Schmutzarbeit zu machen. Mehr als einmal in den letzten Monaten richteten sie ihre Gewalt auch gegen in- und ausländische Journalisten.

Das alles sah vor ein paar Wochen aus wie gestern im Film "Yacoubian Building", nicht ohne Grund, denn die Produktionsfirma, gut mit dem Regime vernetzt, durfte echte Polizeitrupps bei den Dreharbeiten verwenden. Die wussten, was sie spielten, es wirkt im Film authentisch und ebenso bedrohlich wie in der Realität.

Die Demo vor ein paar Wochen wurde nicht gewaltsam aufgelöst, sondern verlief sich einfach so nach einer Stunde. Und während die Demonstranten in den Kaffeehäusern verschwanden, in die sie immer gehen, und sich vielleicht fragten, was es bringt, wenn man sehr viel mehr als früher sagen und tun kann, ging ich hinüber zur beliebten Konditorei "Al Abd", holte mir zwei Stückchen Schwarzwälder-Kirsch-Torte, die ich dann nachts zu Hause auf dem Balkon aß.

Kairo ist wie immer in diesen Tagen, nur greller als sonst, mit ganz scharfen Konturen, in Kunst wie Realität.

 

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Big Brother is watching you

Ein Eisenbahn-Ticket nach Tibet? Der Mann im Pekinger Reisebüro winkt ab. Nicht ohne Genehmigung des für Ausländer zuständigen Amtes in Lhasa. Dort fordert man von mir einen schriftlichen Antrag und lässt sich mit der Antwort dann 2 Wochen Zeit. Genehmigung ja, aber eine offizielle Begleitung ist für mich Pflicht.

Mein Hinweis, ich wolle lediglich eine private Reise unternehmen, lässt den "waiban" ungerührt. Privat oder beruflich – Chinas Kommunisten trauen uns Journalisten nicht über den Weg. Nach Tibet darf ich nur mit staatlichem Aufpasser.

Den soll ich übrigens auch bezahlen. "Service-Gebühren" nennt sich das, für Organisation, Begleitung und Transport. Allein für den Abhol-Service mit dem waiban-Auto könnte ich mir ein Flugticket von Peking nach Lhasa leisten. Ich will lieber Taxi fahren. Das komme nicht in Frage, heißt es sofort. Da könne man ja nicht für meine Sicherheit garantieren.

Ich verweigere mich den amtlichen Wucherpreisen, fahre trotzdem. Die Aufpasserin ist eine sehr nette Tibeterin in chinesischen Diensten, die täglich in der Hotellobby auf mich wartet. Nicht mal shoppen darf ich allein.

Und falls ich die Regeln doch kurz vergessen sollte, liegt im Hotelzimmer eine Warnung in radebrechendem Englisch: "Ausländische Reisende in China dürfen unter keinen Umständen Chinas nationale Sicherheit gefährden, indem sie an Aktivitäten teilnehmen, die die öffentliche Ordnung stören… Falls sie zufällig Zeugen einer Demonstration werden, ist es streng verboten, Fotos oder Videoaufnahmen davon zu machen." Das gilt als "Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten".

Ich frage mich mal wieder, wie das bei den Olympischen Spielen 2008 werden soll, wenn 20-tausend ausländische Journalisten amtliche Aufpasser zur Seite gestellt bekommen. Vermutlich hat es noch keiner durchschaut – das Ganze ist nur eine verkappte ABM-Maßnahme der chinesischen Regierung.

 

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Pressekonferenz auf Indonesisch

Eine ganz alltägliche Pressekonferenz bei einem großen internationalen Unternehmen in Jakarta. Vier Stunden sind auf dem Einladungsschreiben für den Launch eines neuen Produkts angesetzt.

Als ich – mit Verspätung – ankomme, sind außer mir und einem indischen Kollegen nur eine Handvoll indonesischer Kollege anwesend. Jeder erhält eine Pressemappe samt Baseball-Kappe und CD-Case mit Firmenlogo. Zum Empfang gibt es ein reichhaltiges Frühstückspaket, Kaffe und Tee.

Nach etwa einer Stunde hat sich der Raum gefüllt, die anwesenden Manager beginnen mit ihren Begrüßungsreden. Immer noch trudeln einheimische Kollegen ein. Die meisten spielen mit ihren Handys, einer nickt ein. Die Konferenz dauert samt einer sehr kurzen Fragerunde nur eine knappe Stunde. Ich will gerade aufstehen, als die Moderatorin das Mikrofon noch einmal ergreift und ein Quiz ankündigt: „Wer die Fragen richtig beantwortet, kann weitere Geschenke gewinnen. Aber nicht von der Pressemitteilung ablesen!“ Ein T-Shirt, ein Täschchen und diverse andere Gifts gehen an diejenigen, die am schnellsten herunterleihern können, was die Konzernmanager zuvor gerade verkündet haben.

Und damit von den anderen niemand enttäuscht ist, öffnet sich kurz vor Schluss die Schiebetür zum Seitenzimmer, wo schon das große Mittagsbuffet wartet.

Als ich den Konferenzsaal verlasse, sind genau vier Stunden vergangen. Baseball-Mütze und CD-Case habe ich dem Hausmeister vermacht.

 

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Hälfte aller Medienprodukte in China sind gefälscht

Die Hälfte aller in China verkauften Bücher, DVDs und Computerprogramme sind gefälscht, berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua. Die Meldung stützt sich auf einen Regierungsbericht, nach dem 45,5 Prozent aller im vergangenen Jahr verkauften Medienprodukte Raubkopien seien.

Nur 45,5 Prozent? Das kann nicht sein! Es ist in China leichter, Fälschungen zu kaufen als Originale. Gefälschte DVDs bekomme ich in Shanghai rund um die Uhr für 70 Cent an jeder Straßenecke. Echte DVDs – ich muss sagen: keine Ahnung, wo man die kaufen kann. Habe ich in vier Jahren noch nicht gesehen.

Die Xinhua-Meldung erwähnt nicht, dass in China auch die Hälfte aller Regierungsberichte gefälscht sind. Mindestens.

 

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China: Korrespondent wegen Spionage verurteilt

Ein chinesisches Gericht hat den Hongkonger Journalisten Ching Cheong zu fünf Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Ching war Korrespondent der in Singapur erscheinenden Tageszeitung The Straits Times.

In der Urteilsbegründung heißt es, Ching habe im Auftrag Taiwans in China eine Spionageorganisation aufgebaut und Militärgeheimnisse an Taiwan verkauft, berichten chinesische Medien.

Nicht erwähnt wird in den Beiträgen jedoch, dass sowohl seine Frau als auch seine Kollegen und Vorgesetzte die Vorwürfe bestreiten.

Chings Festnahme im vergangenen Jahr erfolgte nach Abgaben der Familie vor einem anderen Hintergrund: Der angesehene Journalist habe versucht, verbotene Interviewmitschriften von dem in Ungnade gefallenen Parteichef Zhao Ziyang zu bekommen.

In den vergangenen Monaten erhöhte die Regierung den Druck auf chinesische und ausländische Journalisten. Seitdem stehen auf den Medienseiten der internationalen Tageszeitungen fast wöchentlich neue Meldungen über inhaftierte Journalisten in China.

Eine neue Vorschrift droht uns Geldstrafen an, wenn wir bei Unglücken und Katastrophen selber recherchieren und nicht die Propagandameldungen der Nachrichtenagentur Xinhua übernehmen oder eine Genehmigung der Behörden einholen.

China Digital Times hat im vergangenen Jahr eine Liste zusammengestellt, was in China immer noch als Staatsgeheimnis gilt. Nur der Wetterbericht gehört nicht dazu.

 

 

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Vier Solidarnosc-Helden auf einen Schlag

„Es war für mich ein faszinierender Augenblick, eine richtige Ikone unserer Zeit zu treffen“, liess sich danach David Gilmour, einst Gitarrist von Pink Floyd, in der Danziger Lokalpresse zitieren. „Heute war er noch bärbeissiger als bei unserem letzten Termin“, schimpfte dagegen Damian Kramski, mein Danziger Fotograf. Ich selbst fand die Ikone eigentlich ganz okay.

Ich hätte eben ein Abonnement auf Lech Walesa gelöst, scherzte ich vor dem Interviewtermin mit seiner Sekretärin – einer distingierten, netten, älteren Dame. Das hat offenbar gewirkt. Zumindest war meine Nervosität nach der ersten brummigen Antwort wie weggeblasen.

Begonnen hatte alles vor sechs Jahren. Mein erstes richtig grosses Interview in Polen. Am Abend zuvor aus Warschau angereist, warf mich Walesa frühmorgens fast Hochkant wieder aus seinem Büro. Das seien doch keine Fragen, die man einem Staatsmann stelle, wetterte er damals.

Nicht David Gilmour und Pink Floyd, nein, Lech Walesa war immer mein Jugendidol gewesen. Er sprengte für mich die Ketten des Innerschweizer Provinzmiefs. Er kämpfte für eine bessere Welt.

Tja, lange ist das her! Heute sitze ich neben ihm und lausche. Etwa, dass der Konsum eben die Kriege ablösen müsse. Ein prüfender Blick auf das Diktaphon – und dann schnell im Kopf die Anschlussfrage möglichst sauber auf polnisch formulieren. Und bloss die Ruhe nicht verlieren, wenn er wieder mal fast ausflippt, weil ihm eine Frage nicht passt.

Diesmal allerdings, so wollte es der Zufall, traf ich in Danzig gleich vier meiner Jugendhelden auf einen Schlag. Heute, so traurig es ist, würden sie sich nicht mehr zusammen an einen Tisch setzen. Anna Walentynowicz, jene Kranführerin der Danziger „Leninwerft“, wegen derer Entlassung der Solidarnosc-Streik im August 1980 erst ausgebrochen war, hatte mich spontan zu einer privaten Filmvorführung eingeladen. Gezeigt wurde etwa Hundert Schritte von Walesas Danziger Büro im Kino „Neptun“ Volker Schlöndorffs neuer Film „Strajk – Die Heldin von Danzig“. Die deutsch-polnische Co-Produktion soll Mitte September am Internationalen Filmfestival von Toronto uraufgeführt werden.

Der Film katapultierte mich in die rebellische Teenagerzeit zurück. Erst das Blitzgewitter holte mich ins Hier und Heute zurück. Die Organisatoren hatten die „Hyänen vom Dienst“, zu denen ich oft selbst gehöre, noch während des Abspanns in den Saal gelassen. Die heute fast 80-jährige Walentynowicz, gerade erst mit Schlöndorffs Vision ihrer Biographie konfrontiert, hatte nicht einmal Zeit, sich zu fassen. Nicht in der Lage sich so schnell eine mediengerechte Meinung über teils intime Angelegenheiten zu bilden, waren auch ihre Freunde Joanna und Andrzej Gwiazda. Letzterer war einmal Lech Walesas Stellvertreter. Walesa selbst fehlte, wie gesagt. Er musste David Gilmour empfangen.

 

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Warten ist Geld

Ich warte. Seit vier Wochen. Auf meinen Pass. Auf meine Aufenthaltserlaubnis. Auf meine Arbeitserlaubnis. Auf meine polizeiliche Meldekarte. Und noch ungefähr sieben bis zehn andere Papiere.

Das mache ich jedes Jahr im August – dann steht nämlich immer meine jährliche Visumsverlängerung an. In dieser Zeit kann ich weder verreisen noch spontane Aufträge annehmen, die sich nicht vom Schreibtisch aus erledigen lassen. Indonesien gilt als eines der korruptesten Länder der Welt, bei Transparency International landet es regelmäßig auf einem der letzten zehn Plätze. Bei meinem ersten Antrag auf ein Journalistenvisum, vor vier Jahren, habe ich es noch selbst versucht.

Dazu muss man wissen, dass ausländische Journalisten auf der inländischen Misstrauensskala nicht weit hinter Terroristen rangieren. Drei Behörden habe ich ausgesessen ohne „Taschengeld“ zu verteilen. Nach drei Monaten und einem Nervenzusammenbruch habe ich damals aufgegeben. Ich habe einen Agenten bezahlt, der die Beamten – und ein paar Tage später hatte ich meine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung.

Dieser Agent war sehr teuer. Und er hat er hat mir für mein echtes Geld ein falsches Papier untergeschoben. Um das falsche in ein echtes Papier zu verwandeln, musste ich wiederum einen Beamten „einen Gefallen tun“. Nun bezahle ich eine neue Agentin, die billiger ist und ehrlicher. Daher dauert zwar alles länger, aber ich bekomme eine Quittung für jedes Stückchen Papier. Sollte ich bis Anfang September tatsächlich meinen Pass mit allen nötigen Stempeln in der Hand halten, könnte ich sogar doch noch jenen Auftrag annehmen, für den ich nach Malaysia reisen muss. Allerdings muss ich dann wieder teuer dafür bezahlen, dass ich ausreisen darf – um genau zu sein: hundert US-Dollar – wie jeder glückliche Besitzer einer temporären Aufenthaltsgenehmigung in Indonesien.

 

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Drei Nachrichten und eine Provinzstadt

Vršac zählt etwa 40.000 Einwohner, liegt in der Panonischen Ebene zwischen Budapest und Belgrad. Und lebt bis vor ein paar Tagen das verschlafene Dasein einer verschlafenen Kleinstadt in der Provinz. Plötzlich jagt eine Nachricht die andere. Selten, dass die Belgrader Medien die Provinz so sehr lieben.

Die Nachricht Nummer 1: (OK, einverstanden, alle schreiben darüber, dass der Freund von Brigitte Bardot an der serbisch-rumänischen Grenze weilt. Und ein Motorradrennen eröffnet. Und seinen Senf zur Kosovounabhängigkeit abgibt. Und sich entschlossen hat seinen französischen Wahlkampf gerade in der serbischen Provinz zu eröffnen. So die serbischen Medien.)

Die offizielle Meldung lautet: „Der französische Ultranationalist Jean-Marie Le Pen hat am Sonntag, den 20. August, ein Motorradrennen in der Kleinstadt Vršac eröffnet.“

Und verkündet, dass Frankreich, sogar Europa die Unabhängigkeit von Kosovo stoppen sollen. Und dass er gerne Herrn Šešelj, den Chef der serbischen Radikalen, im Haager Gefängnis besuchen würde. Aber nicht darf.

Die Opposition demonstriert, die Medien berichten, Monsieur wird offiziell von niemand empfangen.

Die Nachricht Nummer 2: Der serbische Pharmakonzern CHEMOPHARM wurde an die deutsche STADA für viel Geld verkauft. So weit, so gut. Alle freuen sich. Vor allem die 2.900 Kleinaktionäre, Mitarbeiter der Erfolgsfirma aus Vršac, die nun über 70 Millionen Euro verfügen. Sofort eilen Autoverkäufer und Makler in die Provinz. Die Erfahrung aus anderen Provinzstädten, in denen diverse Konzerne veräußert wurden, lehrt sie, der Mensch braucht vier Räder und ein Eigenheim. Der Rest der serbischen Welt blickt neidisch nach Vršac, die Kleinaktionäre meiden bis jetzt den Kaufrausch und halten sich bedeckt.

Die Nachricht Nummer 3:Ein Mensch Namens Georg K. hat einen Hund mit einem Schuss getötet. Nichts Neues in einem Land, in dem Tiere angezündet, lebend verbrannt und gequält werden. Neu und absolut einzigartig ist, daß er für seine Tat angeklagt ist. Falls er verurteilt wird, kann er bis zu sechs Monaten verknackt werden und muß etwa 2.500 Euro löhnen. Happig, wenn es nur um einen Hund geht.

Im September soll das erste Tierschutzgesetz in Serbien verabschiedet werden. Gäbe es nicht Serbiens Bestrebungen in die EU aufgenommen zu werden, gäbe es auch das Gesetz nicht und die Anklage wohl auch nicht. Wie viele herrenlose Hunde es in Vršac gibt, weiß ich nicht. In Belgrad, einer Zweimillionenstadt, sind fast 5000 Hunde auf der Straße, herrenlos und obdachlos.

 

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Weltreporter schon älter?

Im Herbst vor zwei Jahren haben wir das Korrespondentennetz Weltreporter.net gegründet. Wir wollten damit den ersten weltweiten Zusammenschluss deutschsprachiger Auslandskorrespondenten schaffen.

Die internationalen Fotoagenturen hatten uns dazu inspiriert. Für Schreiber gab es nichts Vergleichbares. Vielleicht spielte auch der Neid auf die Fotografen bei der Gründung eine Rolle, auf jeden Fall dachten wir, dass wir etwas völlig Neues anfangen.

Unsere Idee hatte so großen Erfolg, dass bald die ersten Nachahmer auftauchten.

Jetzt wurden bei Ausgrabungsarbeiten in österreichischen Antiquariaten Hinweise darauf entdeckt, dass es bereits vor uns Weltreporter gegeben haben könnte.

 

 

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Und sie kennen ihn nicht…

Wer kennt diese Brille nicht? 98 Prozent der Deutschen, so heißt es auf Heinos Webseite, kennen den berühmtesten singenden Bäcker der Bundesrepublik. Aber nur die Hälfte davon schätzt ihn, und die andere Hälfte hat er offenbar aufgegeben. Es gibt ja ein Publikum jenseits von Bad Münstereifel, noch dazu zahlreicher, in China nämlich.

So nahm er die Einladung gerne an, zur Abwechslung mal im chinesischen Staatsfernsehen zu singen. Auf CCTV-3 läuft die chinesische Version von "Wetten, dass…" und erreicht, wenn auch kein Quotenhit (2-3 Prozent Einschaltquote), bis zu 30 Millionen Zuschauer – seine eigene Jubiläumsshow kam nur auf 6 Millionen.

Potentielle Fans? Wohl kaum. Von "Hei-Nuo" hat kaum ein Chinese je gehört, und auch das Echo auf seinen Auftritt in der chinesischen Presse blieb verhalten, oder eher: gleich Null. Stattdessen mußte der Sänger aus Deutschland erfahren, wie hier Stars behandelt werden, die im Reich der Mitte keiner kennt. In der Sporthalle im Westen Pekings, wo die Show aufgezeichnet wurde, herrschten Temperaturen um die 40 Grad, notdürftig gekühlt von ein paar winzigen Klimaanlagen. Überall lagen Müllhaufen herum, die Bühnentreppe ächzte altersschwach, und Heino mußte 20 Minuten in einer dunklen Ecke auf seinen Auftritt warten.

So auch der Tenor meines Fernsehberichts, doch das war offenbar nicht Fan-tauglich. Auf der Webseite der ausstrahlenden Anstalt, des MDR, wurde daraus jedenfalls ein Jubelchor. "Heino begeistert die Chinesen für Volksmusik". Mir scheint, ich war im falschen Film.

Ein kleiner Trost für Heino-Fans: Anderen deutschen Stars in China ging es nicht besser. Auch Udo Lindenberg, Peter Maffay und Thomas Gottschalk blieben bei ihren Auftritten ohne großen Widerhall. Als die Moderatorin Gottschalk fragte, auf wie viele Zuschauer er mit seiner Samstagabendshow komme (max. 15 Millionen), meinte sie ungerührt: "Dafür würden Sie in China entlassen."

 

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Feuer im Transrapid – endlich Ehrlichkeit

Heute Nachmittag ist im Transrapid in Shanghai ein Feuer ausgebrochen. Kurz nach dem Verlassen der Station Longyang Lu Richtung Flughafen entwickelte sich Rauch im zweiten Wagen. Augenzeugen berichteten auch von Flammen. Verletzte gab es offenbar nicht.

Eigentlich nichts Großes. Aber sobald in deutschen Redaktionen das Wort "Transrapid" aus den Tickern purzelt, klingelt mein Telefon die ganze Nacht.

Ich wollte vorbereitet sein und habe sofort bei der chinesischen Betreiberfirma angerufen. Man kennt mich dort, denn alle zwei bis vier Wochen beantrage ich ein Interview mit dem inzwischen zum internationalen Medienstar aufgestiegenen chinesischen Transrapid-Chef Commander Wu. Jedes Mal bekomme ich die gleiche Absage: "Keine Zeit."

Unser Telefonat heute lief so:

„Was war denn da heute los mit dem Feuer?“

„Das sind ganz schlechte Nachrichten – für Deutschland und für China. Schreiben Sie über das Thema?“

„Ja, wahrscheinlich, ich muss noch mit meiner Zeitung sprechen.“

„Machen Sie das lieber nicht. Das ist ganz schlecht. Dann sehen Sie Commander Wu nie wieder.“

„Ach so! Heißt das etwa, wenn ich nichts schreibe, kriege ich das Interview endlich?“

„Nun ja, wahrscheinlich auch nicht…“

Endlich Ehrlichkeit. Ich werde weiter meine Antragsfaxe schicken, alle zwei bis vier Wochen. Schon aus Gewohnheit.

 

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Dokumente der globalen Verwirrung

Habe zufällig die lustige Webseite Hanzi Smatter entdeckt, die sich mit der Verwendung chinesischer Schriftzeichen in der westlichen Kulturwelt beschäftigt.

Justin Timberlake, zum Beispiel, spielt in dem sonsten nicht weiter beachtenswerten Film "Alpha Dog" einen bedrohlich tätowierten Drogendealer. Auf seinem linken Oberarm prangt ein Kreuz und die zwei Zeichen „liu bing“ – übersetzt bedeutet das Schlittschuhfahren. Das klingt niedlich und lustig, was sicher ungewollt ist, da es in Hollywood sogar eine Firma mit dem Namen Tinsley Transfers gibt, die sich professionell um Filmtätowierungen kümmert. Chinesische Schriftzeichen werden auf der Firmenwebseite übrigens unter "Stammessymbole" geführt.

Hanzi Smatters lustige kleine Fehlersammlung zeigt auch, wie wenig wir im Westen über China wissen. Die Asiaten sind übrigens nicht besser.

Engrish.com dokumentiert, was die Menschen im Osten mit der Verwendung westlicher Buchstaben alles zubereiten können. Schlimmer waren nur die Bedienungsanleitungen japanischer Firmen, die in den frühen 90ern in Europa große Verwirrung auslösten: "Mussen du drucken Schraube A in Lochholz X7 damit schieben die Leiter…."

 

 

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Nicht olympiareif

Heute – am 8.August – in genau 2 Jahren werden in Peking die Olympischen Spiele beginnen.

Aus diesem Anlass mussten die Pekinger heute staatlich verordneten Frühsport betreiben. Die städtischen Behörden hatten Tausende von Bürgern in den Parks aufmarschieren lassen, um der ausländischen Presse unter Beweis zu stellen, wie fit die hiesige Bevölkerung ist. Ein Pressetermin, so ganz nach dem Geschmack der Propagandazaren, geschickt inszeniert und kontrolliert.

Wenig Grund zum Feiern dagegen sieht der „Foreign Correspondents' Club in China" – ein Verband, der sozusagen halblegal die Interessen der hier akkreditierten Korrespondenten vertritt, Peking erkennt ihn nämlich nicht an.

Die Art und Weise, wie Peking die Arbeit ausländischer Berichterstatter behindere, entspreche nicht dem olympischen Geist, beklagte FCCC-Präsidentin Melinda Liu in einem offenen Brief an die chinesischen Behörden. China habe versprochen, den Medien völlige Freiheit zu gewähren. Davon kann bis heute nicht die Rede sein.

Im Gegenteil: gerade in den letzten Wochen und Monaten sind besonders viele Journalisten in China bei der Ausübung ihres Berufs verhaftet worden. Darunter auch mein Kollege Georg Blume von der ZEIT, der Bauern in Yünnan – ohne vorherige Genehmigung – über ihre Umsiedlung für ein Staudammprojekt befragte. Einer unserer chinesischen Gesprächspartner wurde nach einem ARD-Interview zum Krüppel geschlagen.

Nur unter Aufsicht sind Recherchen möglich, oder vielmehr: unmöglich. Denn natürlich werden kritische Interviews niemals genehmigt, sondern unter den fadenscheinigsten Gründen abgesagt.

Und was den olympischen Pressetermin betrifft: dafür musste man sich auch anmelden. Ohne Genehmigung keine Interviews. Weil wir die Regeln kennen, haben wir uns angemeldet, für den Frühsport im Park am Himmelstempel, eine der schönsten Kulissen Pekings. Da wollten wir sowieso filmen heute. Denkste! Abgelehnt. Fürs Filmen wollen die Pekinger Behörden nämlich Geld, selbst wenn es um Werbung für Olympia geht.

 

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Burn Brothel burn!

Die Financial Times Deutschland erhielt neulich eine Reihe von Beschwerden aus den USA nachdem sie einen Kommentar aus meiner Feder veröffentlich hatte, der darauf hinwies, dass der Massenbetrieb von Bordellen in Kabul bei der Bevölkerung für Unmut sorgt.

Diese werden nämlich nicht von Afghanen unterhalten und frequentiert, sondern von amerikanischen Söldnern, die sich mit viel Alkohol und chinesischen Prostituierten die Zeit am Hindukusch versüßen.

Für all jene Leser, die der Meinung sind, dass Amerikaner niemals Bordelle betreiben oder besuchen würden, aber auch für alle, die am Alltag in Afghanistan interessiert sind, erzähle ich deshalb diese Geschichte, die in meinem Kommentar nicht näher ausgeführt werden konnte.

Ich war Nachbarin jenes Bordells, das bei den Unruhen am 29. Mai dieses Jahres in Kabul bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde.

Als ich letzte Woche wieder einmal in meiner alten Wohnung in Kabul war, hörte ich nach Sonnenuntergang plötzlich haarsträubende Schreie. Und da es zu den Erfahrungen des Lebens in einem Krisengebiet gehört, nicht an das nahe Liegende zu glauben, dache ich zunächst, dass dort ein Kind gequält würde. Ich ging zum Fenster und sah die schwarze Ruine dessen, was einmal das Nachbarhaus gewesen war. Irgendjemand hatte mitten in der Asche eine rot leuchtende Glühbirne platziert. Sie und das nicht enden wollende Gejaule ließen mich zum ersten Mal seit langem wieder an die Gespenster-Geschichten denken, die ich in meiner Kindheit vorzugsweise nachts unter der Bettdecke verschlugen hatte.

Aber es waren dort nur zwei Katzen beim Liebesspiel. Sie werden auf absehbare Zeit die Letzten sein, die an diesem Ort von der Öffentlichkeit nicht unbemerkt vögeln können. Der Besitzer des zerstörten Hauses hat bereits angekündigt, dass er ein Business Center dort bauen will, nachdem er jahrelang Schulter zuckend erklärt hatte, dass niemand ihm eine so hohe Mieten zahlen könne, wie die amerikanischen Bordellbetreiber. Aber wie jeder Spekulant weiß: Hohe Renditen lassen sich nur mit einem hohen Risiko erzielen.

Auf die Gefahr hin, altklug zu wirken: Ich habe darauf immer hingewiesen. Sicher, vor allem aus Eigeninteresse, aber immerhin. Ein Jahr lang habe ich neben diesem Bordell gewohnt. Mein Schlafzimmerfester direkt auf der anderen Seite der Mauer, die unser Kulturzentrum von dieser ebenfalls kulturellen Einrichtung trennt. Jede Nacht laute Discomusik. Ein Jahr lang konnte ich nur mit Ohrenstöpseln schlafen. Statt Schäfchen zählte ich Huren. Zwölf war die Höchstzahl. Alles Chinesinnen, die Kunden Amerikaner. Vielleicht waren auch andere Nationalitäten dabei, aber die haben dann nicht so laut herumgebrüllt.

Das Wort „Chinesin“ ist im Bewusstsein der Kabuler Bevölkerung inzwischen zu einer Art Synonym für „Prostituierte“ geworden. Ich hoffe, dass jetzt keine Beschwerden aus Peking kommen. Ich weiß, dass die meisten Frauen in China anständig sind und hart arbeiten. Bitte, ich beschreibe nur die Wirklichkeit, ich bin nicht für sie verantwortlich. Jeder US-Bürger, der an der Existenz dieser Art von Bordellen in Kabul zweifelt, darf gern einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster werfen. Ich kann das arrangieren, auch wenn ich jetzt in Delhi lebe.

Als ich noch in Kabul wohnte, hatte ich eher daran gedacht, das strategisch günstig gelegene Fenster einem netten Islamisten zur Verfügung zu stellen. Man hätte von dort wirklich zielsicher eine Bombe werfen und dann schnell und unverdächtig wieder das Weite suchen können. Aber nach all den Do-no-harm Workshops und zivilgesellschaftlichen Initiativen zur gewaltfreien Konfliktlösung habe ich es dann doch vorgezogen, mir nach einem Jahr zermürbendem Streits eine andere Wohnung zu suchen.

Eine Nacht ist mir noch immer in düsterer Erinnerung. Ich hörte plötzlich Schüsse. „Verdammt nah dran“, dachte ich, und schlich mich seitlich zu dem Fenster, das Milchglasscheiben hatte, weil zumindest mein eigenes Schlafzimmer nicht zum Ort öffentlichen Ärgernisses werden sollte. Ich öffnete einen Spalt. Was ich sah, verschlug mir den Atem. Gut gelaunte Amerikaner standen da mit Gewehren in der einen und Bierdose in der anderen Hand im Garten und feuerten in die Luft.

Mir wurde bewusst, dass die bloß ihr Gewehr ein bisschen schräg halten brauchten, um mitten durch mein Fenster zu schießen. Ich legte mich flach auf mein Bett und wartete, bis der Spuk vorbei war.

Der letzte große Streit war weniger gefährlich als unerfreulich. Es war wie immer mitten in der Nacht. Trotz Oropax konnte ich nicht schlafen, weil die Bässe aus der Anlage so wummerten. Ich hatte am nächsten morgen wichtige Termine. Ich war wütend und riss das Fenster auf. Einem Gast im Garten rief ich zu, ich wolle den Betreiber sprechen. Es kam einer der Amerikaner, mit denen ich mich schon öfters über die Lautstärke der Musik gestritten habe. Ich schrie ihn an, er solle endlich die Musik leiser machen. Dies sei eine Wohngegend und er gefährde das Leben der Anwohner, weil sein Lokal früher oder später zum Ziel von Islamisten werden würde.

Er bellte, dass ihn meine Meinung nicht interessiere. Empört warf ich das Fenster zu. Doch die Genugtuung, meine Wut heraus gelassen zu haben dauerte keine Sekunde. Die Scheibe zerbrach und klirrte in Scherben zu Boden – noch nicht einmal in den Nachbargarten, sondern in mein eigenes Zimmer. Nun war ich nicht nur der Musik sondern auch der herbstlichen Kälte schutzlos ausgeliefert.

Es musste etwas geschehen. Am nächsten Tag griff ich zum Telefon und rief den stellvertretenden afghanischen Innenminister an. Ein Bekannter von mir. Wie der Innenminister selbst hatte er lange in den USA gelebt. Er freute sich über meinen Anruf: „Wir planen seit längerem, gegen die Bordelle vorzugehen.“ Schon am nächsten Tag war Ruhe im Nachbarhaus, die Polizei hatte den Laden geschlossen. Ich konnte es kaum glauben. So effektiv hatte ich mir das afghanische Innenministerium nicht vorgestellt.

Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. Drei Tage später machte der Laden wieder auf: neuer Name, altes Spiel. Nur ein Schild an der Tür wies das Etablissement jetzt als Privatclub aus, nur für Mitglieder, Zugang für Afghanen verboten. Hatte etwa jemand daran gezweifelt, dass die afghanische Regierung in Afghanistan nichts zu sagen hat?

Ich gab auf. Zermürbt von schlaflosen Nächten und beunruhigt über die Sicherheit zog ich um. Eineinhalb Jahre später sollte ein aufgebrachter Mob das Haus abfackeln. Ich war am 29. Mai in Delhi, aber unsere Mitarbeiter erzählten mir am Telefon, dass die verängstigten Prostituierten in unseren Garten geflohen waren. Die Polizei suchte später die Whiskyvorräte zusammen. Von den Betreibern ließ sich niemand blicken.

Ja, ich gestehe, dass mich beim Hören der Nachricht eine klammheimliche Freude überkam. Aber ich fürchte, das wird nicht anders werden als mit der Fensterscheibe: Am Ende fällt uns alles auf die Füße.

 

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Herzlichen Glückwunsch, Karen!

Im neuen Medium Magazin wird Weltreporterin Karen Naundorf aus Buenos Aires als eines der "Top 30"-Nachwuchstalente im deutschen Journalismus gefeiert, nachzulesen hier. Toll, Karen, herzlichen Glückwunsch! Aber mal ganz ehrlich: Uns war das ja schon lange klar.

 

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Larry und die Bananen sind Schuld, an allem.

15 $, genauer: 14 Australische Dollar und 99 Cent kosteten die Bananen gestern in meinem Supermarkt, das gleiche beim Gemüsehöker. 15 $ sind 9 Euro. Und Schuld ist Larry. Larry war der Hurricane, der im März 85 % der Bananenstauden in Queensland vermichtet hat. Und so lange die eben nicht nachgewachsen sind (das dauert 9 Monate, wie für Nachwuchs üblich) sind Bananen teurer als kalifornische Kirschen. Denn Bananen einführen ist verboten. Vor allem weil die Regierung Angst hat, irgendwelche feindfreien Schädlinge könnten gleich mit importiert werden. Also leidet Australien Entzug.

Angeblich essen wir hier 15 Millionen Bananen pro Woche, das war natürlich vor Larry. Als Paul beim Schwimmtraining Dienstag tatsächlich eine dieser 3-Dollar-Stangen aus dem Rucksack zog, starrten ihn alle an, als hätte er in der Eckkneipe Champagner bestellt. Das war die erste geschälte Banane, die ich seit Monaten gesehen habe. Unter uns: Mir ist es Wurst, ich ess auch gern mal Äpfel und Mangos und Birnen und Kiwis. Rundum allerdings nimmt das Gejammer kuriose Formen an. Der Sydney Morning Herald titelte am Wochenende: "Economy slips on banana skin" (Writschaft rutscht auf Bananenschale aus).

Larry, sorry: die Bananen-Preise, so hieß es, seien nebst steigender Benzinpreise Grund für das Elfjahreshoch der Inflationsrate (4 Prozent). Bananen und Benzin sind schuld. Kein Scherz. Sagt die erste Seite der größten Zeitung. Australiens satte Wirtschaft auf dem Weg in die Krise – dank Larry! Mangels Bananen, jawoll.Ps: Paul hat Dienstag eine Rekordzeit geschwommen, 24.2 sec auf 50 M. Wahnsinn. Die Kiwis haben natürlich Samstag im Rugby gewonnen. Überrascht? Ich nicht…

 

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Spiegel schürt Angst vor Transrapidklau

Spiegel Online berichtete gestern voller Aufregung, dass China einen eigenen Transrapid entwickelt hat, der in der nordostchinesischen Provinzstadt Dalian sogar eine eigene Transrapidstrecke bekommen soll – „noch in diesem Jahr“, hieß es in dem Artikel. Das riecht nach Technologieklau! Der Untergang des Standorts Deutschland.

Der Artikel stützte sich vor allem auf eine Meldung der Nachrichtenagentur AP, die sich wiederum auf eine Meldung aus der staatlichen Zeitung China Daily beruft. Weder die Übersetzer von AP in Deutschland, noch die Redakteure von Spiegel Online hatten sich offenbar die Mühe gemacht, den Artikel in der (englischsprachigen) China Daily auch tatsächlich selbst zu lesen, obwohl das kostenlos im Internet möglich gewesen wäre.

Dort stand sogar in der Überschrift, dass es sich nur um eine Teststrecke handelt. Und es war auch nicht mehr die Rede davon, dass der China-Transrapid landesweit aufgebaut werden soll oder gar in Konkurrenz zu dem deutschen Transrapid stehe, wie es vom Spiegel suggeriert wird.

Die Angst, dass die Chinesen uns den Transrapid klauen könnten, ist in Deutschland weit verbreitet, wie diese schnelle Google-Suche beweist. Und regelmäßig nutzen Medien und Politiker das Thema zur billigen Stimmungsmache.

Liebe Kollegen von Spiegel Online, etwas mehr Sorgfalt bitte!

 

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Burgfräulein vom Belgrader Hof, Internet und andere Kalamitäten

Das ist das Burgfräulein vom Belgrader Hof, einige Wochen alt, gerade gerettet. Es war November, ich führte meine tägliche Katzenfütterung im Hof durch, die streunende Katzenmeute in Warteposition, drapiert auf den Flachdächern der Nachbarnhäuser. Es miaute kläglich aus einem der Keller. Ein schwarzes Etwas suchte lautstark nach Zuwendung. Milena sagte: „Das hier überlebt den Winter nicht“.

„Das hier“ war gerade eine Handvoll, kam sofort in die warme Wohnung in den vierten Stock, ist heute drei Jahre alt und kämpft gerade mit dem Neuzugang aus Hamburg.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Der hier nicht abgebildete Laptop, der neben dem Drucker steht, soll mich, per Internet, mit dem Planeten Erde verbinden. Dafür brauche ich einen Provider und solche heißen in Belgrad EUNET, SEZAM PRO oder IKOM. Ich bin (noch) eine Prepaid-Nutzerin, zahle ein, wenn Bedarf, und darf meine Stunden absurfen. Surfen? Stark übertrieben. Denn mit 56Kb bin ich eher auf der langsamen Seite des Lebens.

Von einem ADSL träume ich seit Jahren. Keine Chance, die meisten Anschlüsse in Serbien sind analog. Vor zwei Jahren stelle ich einen Antrag auf eine ISDN-Leitung und darf warten. Nach zwei Jahren, ohne jemanden geschmiert zu haben, ist ISDN im Haus. Es ist noch immer mühsam, die Leitung bricht alle paar Minuten zusammen, aber immerhin habe ich jetzt 128Kb zur Verfügung.

Mittlerweile und mit deutscher Hilfe wird das Netz auf digital umgestellt, die flat rate und ADSL sind jetzt bezahlbar. Ich stelle einen Antrag, prompt wird geprüft, ob die technischen Möglichkeiten vorhanden sind. Ja, sie sind vorhanden, in den nächsten Tagen ist der Splitter da. Sagen sie. Seit sechs Monaten ist der Splitter nicht da. Es fehlt ein „Port“. Und für ISDN-Anschlüsse gibt es keine freien „Ports“. Hätte ich noch den analogen Anschluß, wäre ich schon längst dabei. Also warte ich noch immer und werde demnächst schmieren müssen.

Ortswechsel.

Meine Provider in Hamburg heißen AOL und „1+1“. Bei AOL nutze ich den Journalistenrabatt und surfe meine 20 Stunden umsonst, bei „1+1“ zahle ich den Splitter und die ADSL-Leitung. Nun ist meine Lebensmitte in Belgrad und ich will den schnellen Provider in Hamburg per E-Mail kündigen. Ja, kündigen darf ich, um mich zu identifizieren, soll ich eine „0800-Nummer“ anrufen. Das aber geht von Belgrad aus nicht, also, fliegen die Mails hin und her, am Ende stimmt der Provider gnädig zu: ein Brief würde reichen. Aber: der nächstmögliche Termin ist in sieben Monaten. Beschweren hilft nicht, und so werde ich bis März jeden Monat 22 Euro für eine ungenutzte Leitung löhnen.So nerven die Herren der globalen Datenautobahn an allen Ecken: Die Belgrader lassen mich nicht hinein, die Deutschen wollen mich nicht entlassen.

Das Hoffräulein macht das Leben wieder hell. Jetzt hat sie die Spülmaschine entdeckt. Wenn die Tür offen ist, bewegt sie stundenlang mit Hingabe den Wasserstrahlarm, nach links und nach rechts und dann von vorne.

Mit dem Hamburger Neuzugang, zwei Stück Katze, geht es weniger spielerisch zu. Die „Deutschen“ haben die Zimmer vereinnahmt, das Belgrader Waisenkind nennt die Küche und den Balkon sein eigen.Milena redet schon von „Serbien und Montenegro“. Nur das Fressen verwischt die Grenzen, ein Waffenstillstand für kurze Zeit, danach geht das Gekeife wieder los.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Recherche mit chinesischen Besonderheiten

Beim Blick in das Schlüsselloch der Geschichte kann ich nicht widerstehen. Zeugen vergangener Zeiten, deren Leben rätselhaft und faszinierend erscheint, ziehen mich magisch an. Leider ist das in China oft schwierig, weil die offizielle Geschichtsschreibung die Wirklichkeit gern retuschiert.

Lange haben wir um eine Genehmigung gekämpft, nach Yunnan fahren zu dürfen, in ein Dorf, wo noch etliche Frauen mit gebundenen Füßen leben – eine grausame Sitte, mit der in China zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Frauen verstümmelt und für ihre Ehemänner gefügig gemacht wurden. Nach einigen Ablehnungen (das Thema ist der chinesischen Propaganda zu "rückständig") kam uns die rettende Idee. In einem der Dörfer haben diese Frauen eine Tanzgruppe gegründet und es damit bis ins Staatsfernsehen geschafft. Das gefällt der Propaganda, nach dem Motto "wie Chinas Kommunistische Partei selbst den Opfern des Feudalismus zu neuem Lebensmut verhilft"…

Die Genehmigung war damit kein Problem mehr, ausgestellt vom offiziellen Ausländer-Begleitdienst der Provinz. Der diktierte noch den Termin: am 19.Juli würde die Tanztruppe beim "Huobajie" (Fackelfestival) auftreten.

Als wir im Dorf eintrafen – einen Tag früher – kamen wir gerade rechtzeitig zum Ende der Tanzvorführung. Eine Übung, beruhigte man uns. Trotzdem traute ich meinen Augen kaum: die Tanzenden waren zwar alle im gesetzten Alter, doch keine einzige von ihnen hatte gebundene Füße!

Herr Huang, der Tanzlehrer, hatte dafür eine einleuchtende Erklärung: die Frauen seien mit fast 90 Jahren zu alt, um noch auf ihren verkrüppelten Füßen zu tanzen, die letzte habe vor etwa 5 Jahren damit aufgehört. Jetzt seien ihre Töchter nachgerückt. Verständlich – und ein typisch chinesischer Etikettenschwindel. Denn Chinas Staatsfernsehen vermarktet die Truppe natürlich als Drachentänzerinnen auf "Lotusfüßen". Ob das keinem Zuschauer aufgefallen ist?

Auch der angebliche Auftritt war eine Fehlinformation: am 19.Juli feiert man in Yunann zwar das Fackelfestival, aber nur unter den dort lebenden Minderheiten. Die Han-Chinesen, und dazu gehörten auch unsere Tänzerinnen, interessiert das nicht.

Übrigens war die Reise dann doch kein Reinfall. Denn die Frauen mit den verkrüppelten Füßen tanzen zwar nicht mehr, aber einige sind trotz hohen Alters (die älteste war 95) noch sehr munter und freuen sich über jeden, der sich für sie und ihr Leben interessiert. Es wurde dann doch noch eine sehr spannende Geschichte……

 

 

 

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China: Yahoo verspricht Besserung

Vor zwei Jahren war in China der kritische Journalist Shi Tao verhaftet worden, weil Yahoo China seine Nutzerdaten an die chinesische Polizei weitergegeben hatte. Die Behörden warfen Shi die Verbreitung von Staatsgeheimnissen vor, nachdem Im April wurde Shi zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Als Journalist der Wirtschaftszeitung Dangdai Shang Bao soll der Verurteilte eine Mitteilung der Behörden an ausländische Websites weitergeleitet haben, schreibt Reporter ohne Grenzen. In der Mitteilung sei angesichts des 15. Jahrestags des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni vor "sozialen Risiken" gewarnt worden. Shi hatte die Weiterleitung der E-Mail eingeräumt, aber der Behauptung der Behörden widersprochen, die Mitteilung sei als "streng geheim" gekennzeichnet gewesen.

Bisher entschuldige sich Yahoo immer mit dem Argument: „Wir müssen die chinesischen Gesetze respektieren. Vergangene Woche habe ich den neuen China-CEO Jack Ma interviewt. Erstmals hat Yahoo dabei angekündigt, aus seinen Fehlern gelernt zu haben. Doch nach wie vor begrüßt Ma die Zensur des Internets in China.

Hier der Auszug aus dem Interview:

Glauben Sie, dass das Internet für Ihr Land eine Gefahr ist?

Ich glaube, dass es den Menschen hilft. Es schafft viel Transparenz, man hat das besonders zur Zeit der Sars-Epidemie gesehen. Die Menschen bekommen mehr und mehr Informationen – eine große Verbesserung.

Gerade das macht der Regierung doch große Sorge. Sollte der Staat das Internet zensieren?

Ja. Ich habe ein 14-jähriges Kind. Es gibt so viel Müll im Internet…

…wir meinten die vielen Nachrichtenquellen und kritischen Webseiten, die blockiert werden. Themen wie Menschenrechte, Tibet…

Das ist der Unterschied zwischen dem Westen und China. Die chinesische Regierung wird offener. Wenn man nur kritisiert, werden sie nur noch verschlossener. Wir sollten ermutigend wirken. Es wird besser. Chinas Kultur unterscheidet sich vom Westen, besonders von der amerikanischen Kultur, wo schon die Kinder seit Generationen lernen, was Freiheit und Demokratie bedeutet und wie man diese Werte schützt.

Man kann das nur schlecht lernen, wenn man im Internet nicht einmal nach dem Wort „Demokratie“ suchen kann.
Das ist eine politische Diskussion. Aber zu schnelle Veränderungen – das könnte in einer Katastrophe enden.

Im vergangenen Jahr haben Menschenrechtsorganisationen Yahoo vorgeworfen, den chinesischen Behörden Informationen übermittelt zu haben, die zu der Verhaftung des Journalisten Shi Tao geführt haben. Der Fall liegt zwei Jahre zurück – bevor Sie Yahoo China übernommen haben. Was werden Sie tun, wenn die chinesische Polizei das nächste Mal die Herausgabe von Nutzerdaten verlangt?

Ich arbeite seit vielen Jahren in China und die Polizei ist noch nie zu mir gekommen. Es gibt wirklich unterschiedliche Situationen. In einem Mordfall – wenn wir im Besitz wichtiger Dokumente wären – da würden wir kooperieren. Ebenso bei Fragen, die die nationale Sicherheit betreffen, Terroristen,…

… und im Fall kritischer Journalisten?

Das wird nicht noch einmal passieren, natürlich nicht. Wir betreiben unsere Firma in Übereinstimmung mit der chinesischen Gesetzgebung.

 

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Journalisten unerwünscht

Ich teile mein Büro mit der Korrespondentenkollegin Christina Boutrup, die für die dänische Zeitung Berlingske Tidende berichtet.

Christina will schon lange ihre Chinesischkenntnisse verbessern. Letzte Woche hat sie alle ihre guten Vorsätze zusammengenommen und sich bei der Jiaotong Universität, einer der führenden Unis in China, für einen Sprachkurs angemeldet.

Doch am nächsten Tag kam die Ablehnung. Begründung: Ausländische Journalisten dürfen keine normalen Sprachkurse besuchen.

Die Regierung würde ausländische Journalisten am Liebsten völlig von der chinesischen Alltagswelt verbannen. Als ich vor sechs Jahren zum ersten Mal nach Peking kam, mussten wir noch in speziellen „Diplomatencompounds“ wohnen. Das waren hässliche Betonbunker im Stil sowjetischer Gefängnisarchitektur. Dort klickte es ständig in den Telefonleitungen und die bewaffneten Uniformierten haben selbst den Pizzaboten den Zutritt verweigert.

Inlandsreisen und Interviews müssen nach den Richtlinien für ausländische Korrespondenten bei den Überwachungsbehörden angemeldet werden.

Früher hieß es, die Vorschriften seien zu unserem Schutz. Das wir keine normalen Sprachkurse besuchen dürfen ist neu. Offenbar ist auch das nun „zu gefährlich“.

 

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Der einsame Tod in Belgrad

Daß Hamburger Verhältnisse mich zwanzig Jahre später in Belgrad einholen würden, das hätte ich nicht gedacht.Damals erschienen in Hamburg die ersten Zeitungsberichte über tote Nachbarn, die wochenlang niemand vermißt hat. Ich begann die Berichte zu archivieren unter der Überschrift „Entfremdung im zivilisierten Westen“. Der einsame Tod der unbekannten Menschen berührte mich. Etwas später, als das Fernsehen das Thema entdeckte, berichteten die gleichgültig wirkende Hausbewohner „Ja, wir haben ihn/sie kaum gekannt“.

Nun ist es auch in Belgrad so weit: Mein Jugendfreund Milan lag seit zehn Tagen tot in seiner Wohnung.

Das Haus, in dem wir aufgewachsen sind, liegt in der lebendigen Innenstadt Belgrads. Es wurde 1936 im schönsten Art-Deco-Stil gebaut. Rosamarmortreppen, klare Linien, Glas und Metall, fünf Stockwerke hoch, versteckt unter den Platanenkronen. Leider heute heruntergekommen, wie viele Bauten in Belgrad. Seine alte Schönheit spürt man dennoch.

Das Haus selbst ist geschichtenträchtig. Kaum gebaut, wurde aus dem ehrenwerten Haus ein deutsches Bordell. Ganz berühmt in der Stadt, während der Naziherrschaft. Nach dem Krieg wurde zuerst der Hausbesitzer enteignet, dann die Wohnungen im Bezirksamt verteilt. Ganz Jugoslawien, Menschen aus allen Gegenden des Landes, wohnten plötzlich in dem Prachtbau. Ein bosnischer Arbeiter samt drei Kindern, der Sonntagmittags stets „Hörerwünsche“ durch den Hof hallen ließ. Rahela Ferari, die jüdische Schauspielerin, bei der wir Kinder uns immer verkleiden durften, ein Major aus Mazedonien, der bald der Vorsitzende des Hausrates geworden war. Oma Milena aus Dalmatien saß auf ihrem Schemel vor dem Haus, so wie sie es in ihrem Dorf gewohnt war. Die Straßenbahn donnerte direkt vor ihrer Nase, sie strickte weiter. Es gab keine Kühlschränke, es gab einen „Eiskasten“, in dem riesige Wassermelonen im Sommer gekühlt wurden, sonntags klopften junge Frauen, die unsere Mütter waren, Teppiche im Hof. Es gab Lebensmittelkarten und lange Schlangen vor den Läden.

Das aber, was dieses Haus auszeichnete, waren seine Menschen. Die miteinander lebten, Brot und Butter und ihre Sorgen teilten. Wir waren viele Kinder, spielten, prügelten uns, und waren in diesem Mikrokosmos glücklich. Aus den Kindern sind Erwachsene geworden, die jungen Frauen, die damals ins Haus kamen, sind heute alte, runzelige Damen. Viele neuen Mieter sind hinzugezogen, es gibt einen Optiker und einen Zahnarzt und die Neuen grüßen kaum, wenn man ihnen am Aufzug begegnet.

Vor zwei Wochen mußte ich feststellen, daß nichts mehr ist, wie es einmal war.Im Treppenhaus standen zwei junge Polizisten. Was sie da machen, fragte ich, Ihre Antwort: „Da liegt ein Toter“.Mein Jugendfreund Milan. Die Menschen, die früher Glück und Leid geteilt haben, haben es nicht mal bemerkt. „Er war merkwürdig“, war die Antwort meiner Nachbarn.

Tatsache war, daß Milan in höchster Armut gelebt hat. Gestorben ist er alleine, vor der laufenden Schwarz-Weiß-Glotze, in seinem verrotteten Sessel. Oma Rada, alleinlebend und genauso arm wie er, seine einzige Freundin, bei der er zum Kaffeetrinken kam, war nach eine Woche in Sorge. Und hat die Polizei gerufen.Milan ist auf Staatskosten beerdigt worden.

So schreitet Belgrad mit großen Schritten der Globalisierung entgegen, wie es scheint ist „der zivilisierte Westen“ schon bis zur Haustür vorgedrungen.

 

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Chronik einer Katastrophe

Schon wieder hat die Erde in Indonesien gebebt. Diesmal 240 Kilometer südlich von Westjava am Montag, den 17. Juli 2006, um 15.19 Uhr. Um 16 Uhr – ich saß gerade mitten in einer Besprechung in einem einstöckigen Privathaus im zentraljavanischen Yogyakarta und hatte von dem Beben überhaupt nichts gespürt – erhielt ich den ersten Anruf aus Deutschland: „Können Sie uns Details über die neue Katastrophe berichten? Stimmt es, dass es einen Tsunami gab?“

Wie schon so oft, hatte ich von einer Katastrophe nur wenige hundert Kilometer vor meiner Haustür, über die Redaktionen in Deutschland erfahren. Die Newsticker der internationalen Agenturen kommen in der Regel dort schneller an, als die Nachrichtenmeldungen der indonesischen Medien bei der eigenen Bevölkerung.

Leider galt das in diesem Fall auch für die internationale Tsunami-Warnung des Pacific Tsunami Warning Center in Hawaii, das die indonesischen Behörden mindestens eine halbe Stunde vor der drohenden Todeswelle an der Südküste Javas gewarnt hatte. Die hielt die Befürchtungen jedoch für übertrieben und gab die Warnung nicht weiter. Die Bevölkerung an den Stränden Westjavas wurde daher vom Indischen Ozean völlig ungewarnt überrollt.

Während ich mich ans Telefon stürzte, um bei Bekannten aus der betroffenen Gegend mehr über die aktuelle Situation vor Ort herauszufinden, telefonierte der indonesische Nachrichtensender Metro-TV mit panischen Einwohnern aus den bedrohten Orten, die genauso wenig Ahnung hatten, was direkt an der Küste vor sich ging. Zu diesem Zeitpunkt hatten zwei Tsunami-Wellen die Strände von Pangandaran, Batukeras und anderen Fischerorten bereits platt gewalzt und Hunderte Menschen mit sich in den Tod gerissen. Selbst mein Lieblingsstrand, nur 30 Kilometer von Yogyakarta entfernt, wurde von der Riesenwelle verwüstet – und keiner hier hatte etwas davon mitbekommen.

In Europa dagegen waren bereits die ersten Satellitenbilder zu sehen. In den kommenden Stunden fragten vier verschiedene Fernseh- und Radiostationen aus Deutschland Telefonschalten an, zwei Tageszeitungen wollten Berichte. Dabei ging es weniger um die neuesten Informationen – die waren ja schon längst in Hamburg, Berlin oder Wiesbaden angekommen – als um das Bild einer „Expertin vor Ort“. Am nächsten Tag, während an der javanischen Küste die Suche nach Überlebenden weiterging, spekulierten die deutschen Medien über die technischen Details des von Deutschland entwickelten Tsunami-Frühwarnsystems. Etwas zur gleichen Zeit trafen in den abgelegeneren Fischerdörfern die ersten Ambulanzen ein.

Drei Tage später, als die Zahl der Toten nicht mehr stündlich stieg und die ersten Touristen aus der Katastrophengegend in Yogyakarta und Jakarta eintrafen, war der Tsunami in Deutschland bereits kein Thema mehr. „Vielen Dank und bis zur nächsten Katastrophe“, flötete ein Redakteur durchs Telefon. Mehr über Seebeben in Indonesien: www.bmg.go.id

 

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Doha, die langweiligste Hauptstadt der Welt

Zuerst wurde ich überrascht. Am Flughafen von Qatar begrüßte mich ein grimmig aussehender Polizeibeamter. „Das ist ein neuer Pass“, brummte er durch seinen Vollbart. Es klang wie ein Vorwurf. Ich, vorsichtig: „Ja? Stimmt etwas nicht?.“ – Er: „Die neuen deutschen Pässe sind fälschungssicher.“ Ich, meine Sonnenbrille anhebend: „Ja. das ist mein Pass.“ Er: „Schauen Sie, das Hologramm. Toll!“. Es klang jetzt wie Bewunderung. Ich war zu müde, um dass zu verstehen.

Ein zweiter Polizist trat hinzu und deutete auf den Pappbecher in meiner Hand: „Was ist das für ein Kaffee?“ Ich: „Nun, ein ganz normaler Kaffee, ich habe ihn gerade da vorne gekauft.“ Der Polizist: „Er richt so gut. Wissen Sie, ich habe schlimme Kopfschmerzen. Der Geruch tut meinem Kopf richtig gut.“ Doha, Hauptstadt von Qatar, ist offenbar eine Gegend mit besonders sanftmütigen Menschen.

Ich war aus Versehen gekommen, eigentlich nur zum Umsteigen, doch die zwölf Stunden Wartezeit wollte ich nutzen, um mir die fremden arabische Boomstadt anzuschauen. Ich fuhr mit dem Taxi ins Stadtzentrum, fragte den Fahrer, einen Inder, was man sich hier anschauen könnte. Er antwortete misstrauisch: „In Doha?“ Er hielt meine Frage offenbar für einen Scherz. Geantwortet hat er zumindest nicht.

Die freundlichen Polizeibeamten hatten mir nicht ohne Stolz empfohlen, ins City Centre zu fahren. Wir fuhren über sandigen Straßen, vorbei an sandfarbenen Gebäuden, mutige architektonische Mischbauten aus modernen Spiegelglasfassaden und Wachtürmen im Stil alter Wüstenoasen.

Der Wagen hielt an einer riesigen Shoppingmall mit amerikanischen Fastfood-Imbissen und kitschigen Möbelhäusern. Es kalt wie in einem Gefrierfach. Schnell wieder in die Sonne.

Ich irrte über breite Straßen, vorbei an vielen sämtlich unfertigen Hochhäusern. Es gab Banken, Botschaften und Ministerien. Menschen sah ich lange nicht. „Was kann man sich hier anschauen?“, fragte ich, als ein paar Blocks weiter ein paar Jugendliche auftauchten. „Das City Centre“, antworteten beide gleichzeitig. – „Kenne ich.“ Sie überlegten. „Waren Sie schon am Flughafen? Der ist neu!“

Von extremer Hitze und der aggressiven Klimaanlagenkälte hatte ich Kopfschmerzen bekommen. Ich fuhr mit dem Gefühl zurück, nichts und trotzdem alles Wichtige gesehen zu haben. Ich setzte mich wieder in das Café. Mein Gehirn pulsierte. Es roch angenehm nach Kaffe und Zimt. Ein Amerikaner setzte sich neben mich. Ich sagte: „Wissen Sie, ich habe schlimme Kopfschmerzen. Der Geruch tut meinem Kopf richtig gut.“ Er schaute mich irritiert an. Nach Doha fahre ich nie wieder.

 

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Südafrikas multiple Persönlichkeit oder: Auf der Suche nach der verlorenen Identität

Als in Südafrika vor wenigen Monate die Ausstellung "Picasso in Africa" eröffnete, trat ein bis dato unbekannter (und damit offensichtlich unzufriedener) Politiker eine groteske Kulturdebatte los. Sein Vorwurf: Der große Meister habe sich ungefragt von afrikanischer Kunst inspirieren lassen. Dem Kontinent quasi die Identität gestohlen. Mit afrikanischer Kreativität Weltkarriere gemacht, ohne die Afrikaner dafür um Erlaubnis zu bitten.

Wie absurd!, raunte es das Land hinauf und hinunter, bevor man sich wieder wichtigeren Dingen zuwandte. Ausrutscher können schon mal passieren – schließlich ist Südafrika schwer damit beschäftigt, stellvertretend für den gesamten Kontinent das Joch des Kolonialismus abzuschütteln, Afrika in die Zukunft zu führen und zu Hause die Regenbogennation zusammenzuhalten. Vielleicht braucht man dafür auch eine gesunde Portion schwarzen Nationalismus oder, wie Präsident Thabo Mbeki es zu nennen pflegt, eine "afrikanische Renaissance". Mit nicht tot zu kriegender Betonung auf der zweiten Silbe. Steckt in dieser Formel eine Ungereimtheit?

Kein Grund zur Sorge, sowas kommt öfter vor: Als ich neulich sonntags durch die Company Gardens in Kapstadt spazierte, stolperte ich in meiner verträumten Sorglosigkeit fast über das Maschinengewehr eines wichtig aussehenden Soldaten. Der bewachte einen Militärgottesdienst, in dem viele Orden, Krawatten, Anzüge und Uniformen Spalier standen. Und dann stand da diese Militärkapelle im britischen Bobbie-Outfit: rote Uniform mit schwarzer Riesenbommel auf dem Kopf. Die VIP's durften Kränze niederlegen, und die erste, die es damit erwischte, war Kapstadts neue Bürgermeisterin Helen Zille. Stoisch tat Zille ihre Pflicht, während ein schottisch bestrumpfter Dudelsackspieler der südafrikanischen (!) Highlands-Ehrengarde in Zeitlupe um sie herumstolzierte. Der Nation zur Ehre und dem Kontinent zur Renaissance – vielleicht haben die Südafrikaner ihn ja doch im Blut, den Multikulti-Nationalismus.

 

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Die Frauen haben gewonnen

Es ging ganz schnell, eine Revolution, die uns überraschte. Die düsteren Bars mit Dartscheiben an den Wänden verschwanden zuerst. Es kamen Friseure und Nagelstudios. Wo früher Fußball gespielt wurde, treten heute Boygroups auf. Autohändler verwandelten sich über Nacht in Spa-Paläste. Was Männer mochten verschwand. Was Frauen mögen entstand. Es hat nur wenige Monate gedauert.

Seit 15 Jahren boomt Shanghai. Seitdem arbeiten die Männer jedes Jahr mehr. Wirtschaftsreformen und Rekordboom haben Shanghai zu einer wohlhabenden Stadt gemacht. Den Menschen geht es gut. Doch die Männer haben sich in Fabrik- oder Büroroboter verwandelt.

Auch die Frauen machen in Shanghai Karriere. Aber sie haben den Spaß nicht vergessen. Und während die Männer immer beschäftigter und immer grauer wurden, nehmen sich die Frauen immer mehr Freizeit – und haben in kurzer Zeit die ganze Stadt für sich erobert. Weil die Frauen die einzigen sind, die noch Zeit zum Geldausgeben haben, hat sich das komplette öffentliche Leben inzwischen ihren Bedürfnissen angepasst. Wir Männer wurden versklavt und die meisten merken es nicht einmal.

Als Mann muss man inzwischen die verrücktesten Sachen machen, wenn man einer von diesen Frauen gefallen will. Wir tragen ihnen beim Einkaufen die Handtaschen hinterher, sitzen geduldig wartend in Schuhgeschäften herum und schälen ihnen vor dem Fernseher die Weintrauben, weil sie es so am liebsten mögen. Man kann sich an sehr vieles gewöhnen. Seit der Machtübernahme der Frauen ist Shanghai entspannter geworden, schöner auch und vor allem bunter.

Shanghai ist die Stadt der Frauen. Das ist – und das sage ich hier nicht nur um zu gefallen – gar nicht mal so schlecht.

 

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Fußballfieber in Indonesien

Jakarta. Ohne Stau. Es ist acht Uhr abends und man kann die Hauptausfallstraße fast ohne Stocken hinunterrasen. Falls man das Glück hat, ein Taxi zu finden – die sind auf einmal auch ziemlich rar geworden. Ein Wunschtraum? Nein: Es ist Fuballzeit.

Fern vom Fußball taumelnden Deutschland hatte ich die Hoffnung, dem Weltmeisterschaftsfieber weitgehend zu entkommen – in einem Land, das noch nie eine Mannschaft im Wettbewerb hatte. Welch naive Vorstellung. Die Indonesier sind nicht einfach nur Fußballfans, sie sind absolute Worldcup-Fanatiker.

Angefangen bei meinen Mitbewohnern. Seit drei Jahren teilen wir ein Haus, doch bislang waren keine Anzeichen von schleichendem Fußballfieber zu erkennen. In diesen Tagen kriechen sie auf einmal mitten in der Nacht auf dem Dach herum, um neue Fernsehantennen zu installieren. Ganz nebenbei, dieses orange-silberne Modell, das auf einmal von jedem zweiten Haus in Jakarta schimmert.

Bei einer anderen Freundin steht plötzlich ein riesiger neuer Flachbildschirm auf der Veranda, die sich in den letzten Wochen zum Dauertreffpunkt aller Fußballfreunde der Umgebung entwickelt hat. Wie kommt es, dass plötzlich jeder zum Fan mutiert? „Das ist nicht einfach Fußball, das ist die Weltmeisterschaft, das musst doch gerade Du als Deutsche verstehen“, so die Antwort.

Okay, die die Indonesier sind wirkliche Fußball-Liebhaber. Das ist keine wirklich neue Nachricht. Da ist zum Beispiel dieser Hausmeister aus Timor, der sich immer den Wecker stellt, um zu den unmöglichsten Zeiten die Live-Übertragungen der deutschen, englischen oder italienischen Liga-Spiele anzusehen. Oder unser Klempner, der den Lebenslauf jedes Spielers herunterbeten kann, der an den letzten zehn Weltmeisterschaften teilgenommen hat. Und da sind diese Taxi-Fahrer, die einem Fahrgast sofort die neuesten Ergebnisse seines Heimatvereins entgegenschleudern, sobald sie die Herkunftsfrage geklärt haben. Für all diese Menschen bedeutet der Worldcup absoluter Ausnahmezustand.

Dennoch blieb es für mich zunächst ein Geheimnis, warum plötzlich selbst die steifen Beamten aus der Ausländerbehörde oder die aufgedonnerten Mädels aus den exklusivsten Shopping-Malls sich mitten in der Nacht in überfüllte Cafes drängen, wie Pingpong-Bälle auf und ab hüpfen und schrille Töne von sich geben, nur weil sich gerade irgendein Spieler aus Ghana oder Ecuador dem Tor genähert hat. Bei den Mädels fand sich die Erklärung schnell, als sie bei jedem mäßig ausgestatteten Lateinamerikaner oder Südamerikaner vor der Kamera anfingen zu quietschen: „Guck mal, ist der nicht süß!“

Die Hauptmotivation der restlichen Fans verstand ich dann auch recht bald: Wetten. Den ganzen Tag und die ganze Nacht lang. Mit Kollegen im Büro, mit den Freunden daheim, mit anderen Passanten am Straßenkiosk. Keine Glücksspielrazzia des neuen Saubermanns an der Spitze der indonesischen Polizei konnte daran irgendetwas ändern. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die indonesische Wirtschaft in den vergangenen Wochen noch nicht komplett zusammengebrochen ist bei all den schlafwandelnden, augenberingten Verkäufern, Kellnern und Sachbearbeitern, die sich durch den Tag zum nächsten Spiel mitten in der Nacht schleppen.

Am Ende fiel es mir ziemlich schwer, mich dem indonesischen Fußballfieber zu entziehen. Der Hang der Indonesier, immer das schwächere Team zu unterstützen, zeigt den sympathischen Zug eines Volkes, das selbst noch nie am größten Sportereignis der Welt teilnehmen konnte. Genauso dass sie einfach bei jedem Tor mitjubeln, egal wer es schießt – Hauptsache es kommt Leben in die Bude. Und mal ehrlich: Wer will schon allein zu Hause bleiben, wenn da draußen ein ganzes Land eine riesige Party feiert?

Mehr über Fußball in Indonesien:
www.aboutaball.co.uk/html2/countries/indonesia.php
en.wikipedia.org/wiki/Football_Association_of_Indonesia

 

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Chinesische Mauer auf dem Dach der Welt

Jungfernfahrt der höchsten Eisenbahn der Welt – kaum ein Pekinger Korrespondent, der dabei fehlen wollte. Am 1.Juli sollte sie starten, bis drei Tage vorher hieß es in der Pressestelle des Eisenbahn-Ministeriums: "kein Kommentar".

Dann, zwei Tage vorher, die erlösende Nachricht: 40 ausländische Korrespondenten seien auserwählt. Am 2.Juli abends Einstieg in Peking, 48 Stunden später Ankunft in Lhasa.

Eine Jungfernfahrt? mitnichten. Der erste Zug war einen Tag vorher gestartet, termingerecht, aber unter Ausschluß der Weltpresse. An Bord waren kommunistische Prominenz und das chinesische Staatsfernsehen. Ein fröhliches Fest für Chinas Propaganda – mit Tanzgruppen auf dem Bahnsteig und Lobeshymnen des Staatspräsidenten.

Zudem hatte man die westliche Presse während der Bahnfahrt von der Kommunikation weitgehend abgeschnitten: sie musste mit der 2.Klasse vorlieb nehmen, wo es weder Strom noch Internet-Zugang gibt.

Ist diese Land wirklich reif für Olympia 2008?

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