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Paris kurz vor Weihnachten

Während die Metrostationen überquellen…

 

 

 

 

 … bietet das Luxus- und Palasthotel Plaza Athenée für seine kleinen Gäste einen eigene Schlittschuh-Bahn an. Die Kinder reicher Hotelgäste müssen sich also nicht auf den öffentlichen Eisplätzen wie am Hôtel de Ville Schlange stehen. 

    

  

 

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Keine Busen, keine Bilder? Das italienische Fernsehen zensiert “Brokeback Mountain”

Eigentlich wollte ich am Montag früh ins Bett gehen, doch ich schaltete nochmal den Fernseher an. Es lief Brokeback Mountain, aha, der Film mit den schwulen Cowboys, dachte ich. Ich kannte ihn noch nicht. Ich schaute ein bisschen, er gefiel mir gut, ich blieb dran, sogar über die Werbepausen hinweg, machte mir einen Tee, schaute weiter und irgendwann um ein Uhr nachts war er beendet. Hmm, dachte ich mir, ein guter Film. Aber teilweise komisch geschnitten. 

Am nächsten Morgen machte ich den Computer an und wurde in meinem Gefühl bestätigt: "Brokeback
Mountain zensiert!" schrieb schon morgens um acht die Internet-Ausgabe der römischen Tageszeitung "La Repubblica" und stellte neben einen kurzen, empörten Artikel die herausgeschnittenen Szenen, und tatsächlich, die Szenen, die ich jetzt sah, passten genau dahin, wo ich irgendwie nicht mitgekommen war. Es waren Szenen, bei denen die beiden Hauptdarsteller Sex haben oder knutschen; ganz persönlich konnte ich auf die Szenen auch verzichten, aber für die Handlung sind sie schon wichtig. Ohne sie versteht man nämlich nicht, dass plötzlich etliche Personen, darunter die Hauptdarsteller, anders ticken.

Die Empörung vieler war jedenfalls groß, denn die Sache schien ja sonnenklar: Irgendwelche reaktionären Kräfte der italienischen Gesellschaft wollen verhindern, dass Italien schwul wird. Ganz vorne in der Verdächtigenliste: Der Vatikan und die konservative Berlusconi -Regierung. Sie hatten sich offenbar verbündet und die schwule Liebe aus dem Abendprogramm geschnitten. Schließlich hatten sich Vatikan-Mitarbeiter im letzten Monat gleich zwei Mal gegen Homosexualität ausgesprochen – oder waren zumindest so verstanden worden – und das Staatsfernsehen ist sowieso politisch gelenkt.  Ein perfides Komplott von Heteros gegen Homos?

Sogleich wurde  protestiert, an die Spitze stellte sich einmal mehr Vladmir Luxuria, die sich "Transgender" nennt, sie ist vom Körperbau ein Mann, aber lebt als Frau. Erst vor drei Wochen gewann die ehemalige Parlamentsabgeordnete der italienischen Kommunisten das italienische Dschungelcamp, die "Insel der Berühmten", weshalb Zeitungskommentatoren verwundert die italienische Toleranz feierten; nun rief Vladimir Luxuria umgehend
den Senderchef von "RaiDue" an und beschwerte sich: "Den Film ohne die beiden Szenen zu zeigen, wäre so, wie die Mona Lisa ohne Kopf: Ein Kunstwerk muss man respektieren. "Homosexuellen-Verbände wie "Arcigay", "Gaynet", sogar die "Vereinigung für die Rechte von Verbrauchern" legten nach und schimpften über "Homophobie"

Das italiensiche Fernsehen reagierte kleinlaut: "Alles Zufall": Versehentlich, so der Senderchef, sei jene Version gesendet worden, die auch für Kinder unter 14 Jahren geeignet ist. "Wir haben den Filmverleih gebeten, uns beides zu schicken, die zensierte wie die volle Version", heißt es in einer Presseerklärung der Rai." Als dann der Sendeplan gemacht wurde, habe keiner mehr auf die Kassettenhülle geschaut. Sogar der Präsident der RAI, sozusagen ZDF-und ARD-Chef in einem, Claudio Petruccioli, entschuldigte sich. Ein Reporter von "La Repubblica" fragte am Donnerstag noch einmal argwöhnisch nach: "Es gab keinen Druck aus dem Vatikan, den Film zu schneiden?" – "Nein", antwortete Claudio Petruccioli, "kein Druck vom Vatikan, kein Druck von irgendwo." Als prüde kann man das italienische Fernsehen auch eigentlich nicht bezeichnen: Angefangen vom Frühstücksfernsehen werden mit Fortschreiten des Tage die Röcke der Moderatorinnen auf allen Programmen kürzer und die Posen deutlicher. (Maßstäbe setzt dabei schon kurz nach den Abendnachrichten die Klamauksendung "Striscia la notizia", bei der zwei junge Damen auch mal lasziv über den Schreibtisch der Moderatoren krabbeln.)

Ist dauerhafte Beschallung mit Busen moralischer als schwule Cowboys? Der Fall "Brokeback Mountain" ist noch nicht ausgestanden. "Die peinlich berührte Erklärung der Rai kann meiner Meinung nach nicht den Vorwurf der Zensur entkräften", meinte am Mittwoch Senator Luigi Vimercati, der in einem Rai-Kontrollgremium sitzt, "ich werde das Thema auf die Tagesordnung im Parlament setzen lassen."

Das soll er.  Ich bin eh immer etwas langsam, wenn es darum geht, Filme zu verstehen. Da sollte man es mir nicht noch schwerer machen, indem man alles mögliche rausschneidet.

 

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Zweiklassen-Gesellschaft in Paris

Seit es in Paris das Leihfahrrad-System Vélib gibt, ist Fahrradfahren "in". Nur leider sind nicht alle dieser Meinung. Taxifahrer machen längst gezielt Jagd auf die Zweiräder und das Hotel Costes in Paris will vor seiner Eingangstüre die Drahtsessel einfach nicht sehen. Dieses Schild brachten die Hotelmanager auf dem öffentlichen Gehsteig an. 

 

 

 

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Australier, wer seid Ihr…?

Endlich. Heute abend ist es soweit: “Australia” (The Movie) feiert Weltpremiere in Sydneys George Street. Mit rotem Teppich, Nicole, Hugh, gesperrter Innenstadt etc. Die (wenn’s gut geht) breiteren Massen werden das 150 Millionen Dollar teure Werk erst nächste Woche sehen, der europäische Rest der Welt zu Weihnachten. Aber wir hier unten wenigstens, haben den Hype dann hinter uns, hopefully. Denn dieser arme Film muss Unglaubliches leisten, auf jeden Fall wenn man hiesigen Medien folgt, die seit Wochen über kaum anderes mehr berichten (ok, für Obama gab's eine kurze Unterbrechung). Wird der Film fertig? Stirbt Hugh am Ende? Wird der Film nicht fertig? Mag Oprah Winfrey ihn? (Antwort: ja) – es ist wie im Film… Vermutlich sind alle so aufgeregt, weil Baz Luhrman den Namen des kompletten Kontinents für sein 165-Minuten-Epos vereinnahmt hat. Aber der Streifen über Drama, Rinder und Liebe zu Zeiten des zweiten Weltkriegs im Outback müsste eigentlich schon vor Erstaufführung unter der Last der Verantwortung reißen. Ehrlich, dies ist nur eine kurze Liste der Dinge, die der Film leisten soll: Er muss neue Touristenströme nach Australien locken (die Tourismus-Behörde hat Regisseur Baz 50 große Scheine extra gegeben um auch noch einen Werbespot im Stil des Films zu drehen). Er soll die ‘müde australische Filmindustrie vor dem endgültigen Einschlafen bewahren’ (Sydney Morning Herald). Er muss über Australiens Rolle im Zweiten Weltkrieg aufklären (AP). Er muss Nicole Kidman eine Rolle geben, in der sie ausnahmsweise Leute sehen wollen (jj). Er muss Hugh Jackman richtig berühmt machen (mit und ohne Gesichtshaar). Und last but not least so der ‘Herald Sun’ muss der Film den “Australiern zeigen, wer sie sind… “ Au weia, that’s asking for a lot. Ich bin eigentlich schon froh, wenn er mich gut unterhält.

 

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Drogenerziehung auf Indonesisch

Gestern bekam ich eine ungewöhnliche SMS: „Drogen zerstören die Zukunft der jungen Generation. Hört jetzt auch auf, Drogen zu nehmen, damit Eure Zukunft nicht dunkel und hoffnungslos ist. Sender: Präsident der Republik Indonesien.“ Da ich mich als drogenfreie Langweilerin davon nicht angesprochen fühlte, werde ich diese fürsorgliche Nachricht heute einem Freund weiterleiten, der wegen eines Joints seine nähere Zukunft im Gefängnis verbringen wird. Dass er eines und nicht fünf Jahre im Knast verbringen wird, hat er übrigens den Ordnungskräften dieser fürsorglichen Republik zu verdanken. Für mehrere hundert Euro Bestechungsgeld hat die Polizei das zunächst völlig übertriebene Verhaftungsprotokoll in einen Bericht umgewandelt, der – zumindest in groben Zügen – der Realität entspricht. Für ein paar hundert Euro mehr haben sich Richter und Staatsanwalt dann auch noch erbarmt, ein normales Strafmaß anzusetzen. Ein anderer Bekannter hatte weniger Geld. Er hat nun vier Jahre Zeit, um sich wegen ein paar Gramm Hasch seine Zukunft im Gefängnis aufzubauen: Er holt seinen Schulabschluss nach, den er sich – ebenfalls wegen Mangel an Geld und staatlicher Unterstützung – „draußen“ nicht leisten konnte.

 

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Was war los mit “Niko”? Vor meinem Haus in Rom steht ein neuer Liebesschwur

Vor meinem Nachbarhaus hat jemand heute Nacht drei Worte geschrieben, in goldener Schrift: „Mi manchi Niko“, steht dort, „Du fehlst mir, Niko“. Die Buchstaben sind jeweils eineinhalb Fußlängen groß, jemand muss sie heute Nacht in aller Eile aufgesprüht haben. Nun versuche ich herauszufinden, wer „Niko“ ist und wer ihn oder sie vermisst, und vor allem, warum.

Meine Straße in Rom ist ohnehin schon voller Liebesschwüre. Wenn ich mein Haus verlasse und den kleinen Fußgängerweg entlanglaufe, der die von der Straße abseits liegenden Häuser verbindet, dann liegt mir als erstes „TI AMO“ zu Füßen, „ICH LIEBE DICH“. Das steht dort ungefähr in der Größe eines Bettlakens, in einem Gelb, das Straßenbauarbeiter auf den Asphalt kleben, wenn sich kurzzeitig die Straßenführung ändert. Ein paar Häuser weiter hat ein Verliebter rechts an einem Haus „Ti amo principessa“ in schwarzer Schrift aufgesprüht, fährt man weiter, überrollt man ein „6 la mia vita“, wobei „6“ für „sei“ steht und das bedeutet „du bist“. „Du bist mein Leben“, also.  

Dass ganz Rom voll ist von Liebesschwüren junger Römer liegt an Autor Federico Moccia. Der  Römer und Bestseller-Autor beschreibt in seinen Büchern Romanzen zwischen Teenagern, die von der großen Liebe träumen und dafür alles tun: Sie sprühen Liebesschwüre an Hauswände und sie  kaufen Vorhängeschlösser, schreiben mit Edding ihre Namen drauf und klicken sie an das Geländer der alten römischen Tiberbrücke „Ponte Milvio“. Nachdem das Buch „ Ho voglia di te“ erschienen war – auf deutsch heißt es  „Ich steh auf dich“, kamen innerhalb von Wochen tausende Jugendliche an die Brücke und befestigten Vorhängeschlösser am Geländer und an den Laternen der Brücke. Doch weil einige der Laternen unter der Last wegknickten und der römische Stadtrat den Wert der Liebesschwüre gegen den Wert der Laternen aufrechnete, montierte die Stadt auf der Brücke eigens Metallstangen, an die man nun legal seine Vorhängeschlösser befestigen kann – den Schlüssel wirft man danach übrigens in den Tiber.

Ob „Niko“ auch ein Vorhängeschloss an die Ponte Milvio befestigte, als die Liebe noch groß war und es noch kein mahnendes „Mi manchi Niko“ brauchte? Ich weiß es noch nicht, doch ich werde mich auf die Lauer legen, um „Niko“ zu finden. Hat „Niko“ Hausarrest und kann nicht zu den Freuden? Oder hat „Niko“ Schluss gemacht und die goldene Schrift soll ihn zurückholen?

Eine ältere Dame, die heute morgen mit Blick auf „Mi manchi Niko“ ihre Wäsche aufhing, fragte ich, wie sie das denn fände, dass da jemand auf die Straße sprühe – ich rechnete mit „diese jugendlichen Schmierer“ und mit „man sollte die Polizei holen.“ Doch die Frau sagte zu meiner Überraschung: „Ich finde es wunderschön.“ Und es sei doch wunderbar, dass so eine Schrift einen wieder daran erinnere, wie großartig „l´amore“, „die Liebe“ sei. Fragt sich nur, ob die goldene Schrift „Nikos“ Herz erweichen wird. Ich werde weiter ermitteln.

 

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Mit der Kanzlerin auf Reisen

Wenn Angela Merkel Außenpolitik macht, ist das für Berliner Journalisten die beste Gelegenheit, Einblick in das Innenleben der Großen Koalition zu erhalten. Die Mitreise-Möglichkeiten bei ihren Reisen sind bei Reportern begehrt, weil die Kanzlerin im Verlauf des Hin- und Rückfluges zu improvisierten Gesprächsrunden in der Regierungsmaschine lädt. Auf ihrer jüngsten China-Reise etwa konnte man erfahren, wie sie mit Steinbrück zusammen das Finanzsystem zu retten versucht und was sie von der Arbeit ihrer Minister hält. Zitieren darf man das zwar nicht, aber die politischen Einblicke sind meist sehr erhellend. 

Was für andere Minister als lästige Pflicht erscheint, macht der Kanzlerin offenkundig auch noch Spaß. Sie schätzt nicht nur den intellektuellen Disput, sondern auch die politische Deutungshoheit. Entsprechend viel Zeit nimmt sie sich für diese "briefings", trotz des wie immer dichten Terminplans vor, während und nach ihren Reisen. Diesmal 3-einhalb Tage Peking, davon nur 2 Nächte in einem richtigen Bett, vor dem Abflug noch der Bildungsgipfel in Dresden, dazwischen schnell nach Hause in die Berliner Wohnung Am Kupfergraben, um ihren Koffer selbst zu packen. Sie dürfte die einzige unter den angereisten ASEM-Regierungschefs sein, die das selbst erledigt hat. 

Von Erschöpfung dennoch keine Spur. Am Ende einer solchen Journalistenrunde, es geht gegen Mitternacht, die Pekinger Zeitverschiebung steht in allen müden Gesichtern geschrieben, nur die Kanzlerin ist noch topfit. Noch einen "Absacker" trinken? Da kann selbst der Regierungssprecher nur noch seufzen. Von "übermenschlicher Fitness" murmelt er und folgt dem Ruf der Chefin. Übermenschlich wohl nicht, aber deutlich mehr als ihre Berater. 

 

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Sentimentaler Gouverneur

Der Gouverneur von Jakarta, Fauzi Bowo, ist nicht gerade bekannt für sein Mitgefühl für die arme Bevölkerung der indonesischen Hauptstadt. Wie sein Vorgänger Sutiyoso lässt er Slumbewohner ohne gültigen Personalausweis vertreiben. Die Ordnungskräfte gehen dabei nicht zimperlich vor: Hütten werden eingerissen und samt der armseligen Innenausstattung abgebrannt; wer sich wehrt oder um sein Hab und Gut kämpft, bekommt die Schlagstöcke zu spüren. Als Fauzi Bowo gestern eine Ausstellung von Indonesiens Vorzeigekünstlerin Dolorosa Sinaga eröffnete, zeigte er jedoch auf einmal seine sentimentale Seite: Er wollte eine Bronzeskulptur mit dem Titel „I will fight“ kaufen, die ein Gruppe vertriebener Slumbewohner darstellt. Als die Künstlerin – bekannt für ihr soziales Engagement – fragte, warum er denn ausgerechnet diese Skulptur wolle, antwortete der Gouverneur: „Ich habe Mitleid mit diesen Menschen.“

 

 

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Indische Selbstkritik (II)

Vor kurzem habe ich an dieser Stelle auf die bewundernswerte Fähigkeit zur Selbstkritik in Indien aufmerksam gemacht ("Gottverlassen", 6.8.2008). Dies könnte nun eine Serie werden, die ich anderen Nationen ans Herz legen möchte. Der neueste Fall: Ein unbekannter Kolumnist der "Hindustan Times" echauffiert sich über eine Aussage des Generalsekretärs der regierenden Kongress-Partei, wonach bei staatlichen Wohlfahrtprogrammen von einer ausgegebenen Rupie nur etwa fünf Paisa die Adressaten erreichen – der Rest des Geldes verschwindet in den Taschen der mit der Durchführung beauftragten Bürokraten.

Der Kolumnist schreibt: "Der neueste Korruptions-Perzeptions-Index von Transparency International wird einer aufstrebenden Macht wie Indien nicht gerecht. Dass Indien auf Platz 85 von 180 Ländern landet, ist eine Beleidigung für das wahre Potenzial des Landes. Wir brauchen bessere Methoden um das Phänomen zu messen. Denn, einfach ausgedrückt, Indien ist 100 Prozent korrupt. Unser wahrer und angemessener Platz ist 180, an der Seite von Somalia."

 

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Ein Lob der Inflation

Es gibt Situationen, die sind so absurd, dass es eigentlich zum Lachen wäre. Das einzige Problem: In Tschechien spielen sich solche Begebenheiten vor allem in der Politik ab, so dass alle gleichmäßig darunter leiden müssen.

Es gibt zwei Konstanten im öffentlichen Leben von Tschechien, so viel muss man vorab wissen: Erstens der unbedingte Willen, in Sachen Wohlstand und Lebensqualität an den Westen aufzuschließen (was auch sehr gut gelingt: die ersten alten EU-Staaten hat Tschechien schon abgehängt). Und zweitens der nationale Stolz auf Rekorde aller Art, sei es bei den Olympischen Spielen, sei es bei den jährlichen Miss-Wahlen.

In einem Bereich treffen diese beiden Konstanten mit fatalem Ergebnis aufeinander: bei der Preisgestaltung. In Paris ist das Metro-Ticket teurer als bei uns, also müssen wir auch die Preise erhöhen – eine Argumentation, die bei den Prager Verkehrsbetrieben ernsthaft zu hören ist, ganz ungeachtet aller Kaufkraftunterschiede. Deshalb hat sich eine Einzelfahrt inzwischen im Preis verdoppelt – innerhalb von drei Jahren. Oder die Post: Das Porto für einen einfachen Brief ins Ausland ist heute doppelt so teuer wie noch 2005.

Mich erstaunt dabei am meisten, dass die Tschechen das alles mit stoischer Ruhe hinnehmen. Ein halber Volksaufstand, wie er in Deutschland losbricht, wenn die Bahn ihre Preise um 3,9 Prozent erhöht, ist völlig undenkbar.

Und damit sind wir bei der tschechischen Politik: Dort wird nämlich gerade diskutiert, die Autobahnvignetten im nächsten Jahr teurer zu verkaufen. Und wie immer in der tschechischen Politik wird geklotzt und nicht gekleckert – statt 1.000 Kronen sollen sie künftig 1.500 Kronen kosten, satte 50 Prozent mehr. Die Begründung dafür ist so überzeugend, dass die Politiker wohl auch diesmal auf öffentlichen Rückhalt zählen dürfen: „Die Inflation in Tschechien ist derzeit so hoch“, so sagten sie der größten Zeitung des Landes, „dass wir uns dieser Entwicklung nicht verschließen dürfen.“

 

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Schnell weiter nach Holland — was die Pekinger Olympia-Treffpunkte der Nationen über die Länder verraten

Wir beginnen in Österreich. Ein Geheimtipp, heißt es, ein Ruhepol, Mitten in der chinesischen Hauptstadt. Das österreichische Haus liegt im weitläufigen Garten eines Fünf-Sterne-Hotels im Pekinger Botschaftsviertel. Die Tische sind festlich eingedeckt, dekoriert mit kleinen Vasen, in denen weiße Rosenblüten schwimmen. Das österreichische Olympische Komitee hat ein Kaffeehaus in einem traditionellen chinesischen Pavillon aufgebaut. Chinesische Kellnerinnen im Dirndl servieren Leberkäse, der hier in mundgerechten Happen mit Zahnstochern gereicht wird, dazu Ketchup in kleinen Gläschen. Leichte Musik weht durch den Garten über die Tische. Es gibt Fernseher, auf denen noch einmal die Wettbewerbe des Tages zusammengefasst werden. Doch kaum jemand schaut hin. Vielleicht ist der ganze Olympische Trubel entspannter, wenn ohnehin klar ist, dass man kein Gold gewinnt.

Viel größere Aufmerksamkeit erfährt das Buffet in dem Restaurant. Es ist genau so angenehm still, vornehm und entspannt wie überall in Österreich. Und der einzige Hinweis, dass wir hier noch in China sind, sind die Insektenlampen, die ihr bläuliches Licht von der Decke verbreiten. Man kennt diese Lampen auch aus dem Urlaub in Italien. Wenn eine Mücke zu dem Licht fliegen will, bleibt sie in dünnen Drähten hängen, der elektrisch geladen sind. Dann zerplatzen die Insekten jedes Mal mit einem kleinen Knall.

Es geht bei den Olympischen Spielen nie nur um Sport. Über 200 Länder nehmen an den Pekinger Sommerspielen teil, es ist die größte internationale Veranstaltung der Welt. Und das größte Medien- und Marketingevent. Jedes Teilnehmerland versucht dabei, für sich zu werben. Für die Zeit der Spiele haben viele dafür eigene Niederlassungen in der chinesischen Hauptstadt eröffnet – als Treffpunkt für Fans, Sponsoren und Journalisten, als Schaufenster für die Einheimischen und als Basislager für die Athleten. Einrichtung und Aufmachung der Häuser sagen viel über das Selbstbild der Länder aus – und über die Bedeutung des Sports. Ein Rundgang.

Das Deutsche Haus liegt gleich um die Ecke im Kempinski Hotel. Gerade kommt eine Gruppe deutscher Athleten an. Man erkennt sie an den schwarzen Rucksäcken mit dem Bundesadler hinten drauf. Alle deutschen Sportler wurden vor den Spielen von einer Kaserne in Mainz eingekleidet. Dirk Nowitzki ist dabei, er trägt eine Kochmütze und wirkt damit noch größer als sonst.

Am Ende der Hotellobby steht ein Anmeldeschalter. Man muss sich zunächst mit Foto und Fingerabdrücken registrieren. Jeder Besucher bekommt dann eine Chipkarte, die persönlichen Daten werden in einem Computer gespeichert. Der Eingang mit den Drehkreuzen und befindet sich dann gleich hinter den Fahrstühlen. Im Deutschen Haus sind die Sicherheitsvorschriften am strengsten. Doch das scheint niemanden zu stören. „Wenn die Chinesen eine Karte mit ihrem Foto drauf bekommen, sind sie total glücklich“, versichert ein Mitarbeiter. Wir glauben ihm das mal so.

Das erste Deutsche Haus eröffnete bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary, organisiert von der Deutschen Sport-Marketing, eine gemeinsame Tochterfirma des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Stiftung Deutsche Sporthilfe. ARD und ZDF übertragen ihre Interviews und Talksshows von hier. Es gibt deutsches Essen. Und alles ist ganz anders als in Österreich.

Zunächst fällt auf, dass alles viel bunter ist, selbst das Licht. Vielleicht weil die rund 50 Sponsoren auf die Verwendung ihrer Firmenfarben bestehen – überhaupt scheinen die Sponsoren beim Deutschen Haus im Mittelpunkt zu stehen. Die Drehkreuze und Fingerabdruckscanner wurden von der Bundesdruckerei aufgestellt, die ihr System gerne auch an Grenzübergängen installieren würde. Ein Geldautomat der Sparkasse steht hier, ein Glücksrad einer Schweizer Versicherung, ein Karbonhersteller stellt seine Produkte aus und überall stehen extra groß die Markennamen drauf. Es soll sogar einen offiziellen Fußbodensponsor des Deutschen Hauses geben. Auch die Atmosphäre ist anders als nebenan in Österreich. Es ist voller, lauter, doch alle schauen angespannt auf die Bildschirme und verfolgen die Wettkämpfe. Trotzdem geht es offenbar nur nebenbei um Sport, es ist die gleiche Atmosphäre wie bei einer Verkaufsveranstaltung mit Freibier. Die Olympischen Spiele als Rettung für den Standort Deutschland. Fans und Touristen trifft man in Deutschen Haus übrigens gar nicht. Den meisten ist der Eintrittspreis von 200 Euro schlicht zu teuer. Schnell weiter.

Die kleinste Länder haben oft die interessantesten Häuser aufgebaut. Das holländische Heineken Haus lockt mit Freibier, jeder darf rein. Die Schweizer haben sich gleich in dem Galerie- und Ausstellungsviertel 798 eingemietet, jeder soll kommen und gucken – und gleich am ersten Tag kamen 7000 Besucher.

Das englische Haus heißt London House. In vier Jahren sollen die Sommerspiele in der englischen Hauptstadt stattfinden. Das Königreich will schon mal Vorfreude wecken. Auch hier gibt es Sicherheitskontrollen. Am Eingang liegen Gästelisten und es gibt einen Gepäckscanner wie am Flughafen. Doch offenbar ist es egal, was man aufs Band legt. Die Engländer haben einen Mittelweg zwischen Business und Party gefunden. „Bis 17 Uhr finden hier Seminare und Vorträge statt. Danach feiern wir“, sagt Gastgeber David Adam von der London Development Agency. Gleichzeitig haben Museen aus der Englischen Hauptstadt Ausstellungen in Peking organisiert. Viele Chinesen kommen zum afternoon tea.

Neben dem London House liegt ein kleiner See und auf der anderen Seite das russische Haus . Und schon von Weitem hört man die laute Party, die russische Fahne weht über einer Terrasse. Es heißt, die Russen betreiben in Peking das Haus mit der strengsten Tür, die sich nur für handverlesene geladene Gäste öffnet. Doch die Party soll legendär sein. Früher wollten alle raus aus Russland, jetzt wollen alle rein. Am Eingang steht eine streng aussehende Russin in einem chinesischen Seidenkostüm. „Wir haben leider schon geschlossen, die Party ist vorbei“, sagt sie. Durch den Türspalt sieht man wogende Menschenmassen, Gelächter und laute Musik dringt heraus. Die Frau wirkt nicht so, als ob man mit ihr verhandeln könnte. Ist es vielleicht wegen der Nato und Georgien?

Die Casa Brazil hatte sich bereits wenige Tage nach der Eröffnungszeremonie einen legendären Status verdient: als beste Party der Stadt, der Samba in Peking. Wir hatten bis zuletzt gewartet. Und waren sicher, dass hier sowieso bis zum Morgen gefeiert wird. Doch die Rolltreppe ist bereits abgeschaltet, der Rollladen runtergelassen. Es ist ein Uhr nachts. Sind wir vielleicht zu früh?

Schließlich tauchen in der Hotellobby doch noch zwei Brasilianer auf. Einer sagt: „Wir sind schon lange zu. Seit wir beim Fußball gegen Argentinien verloren haben, will niemand mehr feiern. Kommen Sie morgen früh wieder.“ Morgen früh? Schade. Aber gut zu wissen, dass es auch in Peking noch Orte gibt, wo es offenbar in erster Linie um den Sport geht.

 

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Das viel kleinere Übel. Russland interveniert in Georgien

 

„Hat der russische Bär sich wieder von seiner Kette losgerissen?“, diese Frage hörte ich in den letzten Tagen immer wieder von deutschen Redakteuren. Und immer wieder vergleichen die Kollegen in der Heimat die russische Intervention in Georgien mit dem sowjetischen Einmarsch in Prag 1968. Obwohl inzwischen auch amerikanische Experten konstatieren, dass Georgien die Feindseligkeiten mit einem massiven und von langer Hand geplanten Überraschungsangriff auf die Separatistenprovinz Südossetien begann. ( Paul J. Saunders in der „Washington Post“)

 Aber wenn der Kreml Truppen losschickt, ist es der erste Reflex hierzulande, ihm das Schild „Aggressor“ um den Hals zu hängen, seine G8-Mitgliedschaft, seinen WTO-Beitritt und die Winterolympiade in Sotschi in Diskussion zu stellen. Klar, Putin ist kein Demokrat, die Propaganda seiner Staatsmedien auch diesmal zum Kotzen, selbst moskowitische Touristen benehmen sich überall daneben. Aber auch wenn noch immer russische Panzer durch Georgien kurven, diese Intervention entwickelt sich weniger blutig, als, das, was die Nato 1999 zur Rettung einer anderen Separatistenprovinz, nämlich des Kosovos, auf serbischem Staatsgebiet veranstalteten. Vom Irak ganz zu schweigen.

 Jetzt beklagt die Weltpresse hunderte Tote und zehntausende Flüchtlinge. Die Mehrzahl von ihnen wurden Opfer der georgischen Attacken auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali. Aber das bleibt meistens unerwähnt. Und niemand stellt sich die Frage, was passiert wäre, wenn der russische Bär sich in Südossetien nicht auf die Hinterbeine gestellt hätte.

Dann hätten die Georgier nach weiteren heftigen Kämpfen Zchinwali erobert. Gelitten hätte darunter vor allem die Zivilbevölkerung. Aber damit wäre das Unheil erst losgegangen. Freiwillige aus Nordossetien, aber auch aus Tschetschenien oder Abchasien wären über die russische Grenze ihren südossetischen Brüdern zur Hilfe geeilt. Hitzköpfige Kosaken, aber auch Gewalttouristen aus ganz Russland hätten sich ihnen angeschlossen. Während auf der georgischen Seite nicht weniger Blut lechzende Abenteurer und Söldner aus der Ukraine aufgetaucht wären.

So wie bei den georgisch-kaukasischen Waffengängen in den 90iger Jahren hätten sich beide Seiten einen erbitterten Kleinkrieg geliefert. Der wäre nach den regionalen Sitten wie damals schnell in Gemetzel an Gefangenen und hilflosen Zivilisten ausgeartet. Und in noch brutalere Vergeltungsgreuel. Und wie damals wäre dieser kaukasische Blutrachekrieg auch auf die andere Rebellenrepublik in Georgien, Abchasien, übergesprungen. Im Falle eines georgischen Sieges hätten vor allem dort ethnische Säuberungen mit hunderttausenden von Flüchtlingen gedroht. Im Falle eines Sieges der Separatisten wären die letzten georgischen Dörfer in Südossetien ebenfalls kaum einer ethnischen Säuberung entgangen. Die westliche Öffentlichkeit hätte über dieses ferne, schwer zu begreifenden Vertreiben, Töten und Sterben geseufzt – erst vor Mitgefühl, dann vor Langeweile. So wie sie das Suchumi aber auch das Sarajewo der Neunziger Jahre vergessen hat, zwei durchaus vergleichbare Schlachtfelder. Russland selbst aber hätte sich tausende siegesbewußter, bewaffneter, Kriegs erprobter Tschetschenen, Tscherkessen und Dagestanern gegenüber gesehen, die nun die Idee von blutigem Selbstbestimmungsrecht in die russischen Kaukasusrepubliken zurückgetragen hätte. Wie in jenen Neunzigern die tschetschenischen Rebellen, die ihre Feuertaufe im ersten Abchasienkrieg gegen die Georgier erlebten.

Um in den Indikativ zurückzukehren: Wenn schon kein Segen, so war es doch das viel kleinere Übel für die Region, dass Moskau seine Armee nach Georgien geschickt hat. Und Europa sollte sich gut überlegen, ob es sich künftige Natopartner wirklich in Gegenden suchen muss, deren politische Kultur erstens von kriegerischen Ehrgesetzen aus dem politischen Mittelalter geprägt ist. Und die zweitens für Russlands Sicherheit einen wunden Punkt darstellen.

 

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Chinesische Olympioniken

"Hai keyi" sagt das chinesische Zimmermädchen, als ich sie frage, wie ihr die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele gefallen hat, "ganz gut". Klingt nicht nach Euphorie. Ich höre allseits eher Erleichterung heraus, dass das grandiose Anfangs-Spektakel, auf das ganz China 7 Jahre hinarbeiten musste, endlich erfolgreich über die Bühne gebracht ist.

Ganz Peking stand still, Restaurants waren geschlossen, Straßen gesperrt, Polizisten bewachten jede Brücke. Mehr als 80 Staats- und Regierungschefs waren angereist, Chinas Präsident Hu kam aus dem Händeschütteln gar nicht mehr raus. Für die kommunistische Führung hat sich der Aufwand gelohnt. Und für die Mitwirkenden…  

Wang Xiao und Xu Feng, 2 Schauspielerinnen aus Anhui, waren dabei. Mehr als ein Jahr lang haben sie geprobt, zuletzt in Peking, jede Nacht von 1 Uhr bis zum Morgen. Musste ja alles geheim bleiben. Tag für Tag, ohne Pause, nur nach der Generalprobe hatten sie einen Tag frei. Den nutzten sie, um früh um 3 Uhr aufzustehen und den Einlauf der olympischen Fackel in Peking zu verfolgen. Mein Kopfschütteln kann Wang gar nicht verstehen. "Olympia ist großartig, da müssen wir China doch anfeuern," sagt sie ohne jede Ironie.

Im Vogelnest am 8.8. sind Wang und Xu nur Teil des Vorprogramms. Musikgruppen, Drachentänzer, die das Publikum anheizen bis zum großen Countdown. 2 Tropfen in einem Ozean von Menschen, versteckt hinter bunten Kostümen. Und die beiden bekommen nicht mal Geld dafür. Kost und Logis sind frei, alles andere – Schulterzucken. Dabei sein ist alles, ein wahrhaft olympischer Gedanke.

 

 

 

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Gottverlassen

Es gibt Dinge, die man als kultur-sensitiver Korrespondent mit Sympathie für sein Gastland nie schreiben würde. Deshalb ist es gut, wenn die Gastgeber manchmal selber Misstände so deutlich formulieren, wie man es sich nie trauen würde.

Das Oberste Gericht von Indien hat diese Woche die Regierung in Delhi und die Vertreter mehrerer Bundesstaaten scharf angegriffen, weil diese meinen, ein Gesetz, das es erlaubt, Regierungsbungalows straffrei zu besetzen, sei nicht änderungswürdig.

Dazu muss erklärt werden, dass Staatsdiener in Indien Regierungswohnungen erhalten. Je höher der Rang umso schöner die Bude, versteht sich. Und am schönsten sind die Bungalows der Parlamentarier in Delhi, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem britischen Stararchitekten Lutyens erbaut wurden. Da zieht man nicht gern aus, wenn man sein Mandat verliert. Und in der Tat weigern sich viele Abgeordnete, die das Volk längst per Stimmzettel in die Wüste geschickt hat, ihren offiziellen Bungalow zu verlassen. Was bei den Nachrückenden für verständlichen Unmut sorgt, müssen sie doch in weitaus weniger charmanten Neubauten Residenz beziehen.

 Das sehen auch die Obersten Richter so. Doch sie meinen offenbar, dass eine wohl abgewogene Erklärung in diesem Falle nicht weit bringt. Ich zitiere Richter B.N. Agarwal: „Die gesamte Regierungsmaschinerie ist korrupt. Sowohl die Zentralregierung als auch die Landesregierungen. Die hochrangigen Beamten gebrauchen ihr Gehirn nicht, wenn sie denn überhaupt eines haben. Wir haben die Nase voll von dieser Regierung. Es gibt keinerlei Verantwortungsgefühl und niemand schert sich um Gesetze und Richtlinien. Niemand in der Regierung arbeitet; die gesamte Regierung ist dysfunktional. Wenn wir Urteile verhängen, beschweren sie sich über Justiz-Aktivismus, aber wenn sie nicht mehr an der Macht sind, kommen sie an und verlangen Abhilfe.“

 An dieser Stelle vermerkt das Protokoll, das Richter G.S. Singhvi ihn mit folgenden Worten unterbricht: „Gott allein kann diesem Land helfen!“ Woraufhin Richter Agarwal antwortet: „Noch nicht einmal Gott kann diesem Land helfen. Gott ist ein stummer Zuschauer und fühlt sich hilflos. Der Charakter unseres Landes ist verloren. Wir sind hilflos.“

 Wenn Gott schweigt, sollte der Korrespondent nichts hinzufügen.

 

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Zehn Mal China wie immer

Ich arbeite inzwischen seit sechs Jahren als Autor in China. Ich bin ein wenig stolz darauf, dass ich in der ganzen Zeit in keinem einzigen meiner Artikel die Phrase „Reich der Mitte“ geschrieben habe.

Trotzdem taucht sie in fast jedem meiner Artikel auf – denn offenbar glauben viele Redakteure in Deutschland, dass ein Chinatext sonst unvollständig ist. Überhaupt ist deutsche China-Berichterstattung wahnsinnig redundant und deshalb leider oft wahnsinnig langweilig.

In den nächsten Wochen werden wir in den deutschen Zeitungen mehr über China lesen als im ganzen Jahr davor.
20 000 Reporter aus der ganzen Welt sollen kommen. An euch, liebe Kollegen, ein große Bitte: Schreibt nicht schon wieder alle das Gleiche. Denkt euch eigene Bilder aus, ganz neue Sätze, sucht euch eigene Interviewpartner.

Als kleine Hilfestellung deshalb hier eine Liste der zehn dümmsten China-Phrasen – so könnt ihr einfach nachschlagen, wenn ihr unsicher seid:

– Reich der Mitte
– Chinas Langer Marsch
– Chinas Großer Sprung nach vorne
– Maos Enkelkinder
– China süßsauer
– Land des Lächelns
– Große Mauer (es sei denn, man schreibt tatsächlich über eine Mauer)
– Chinas Neue Reiche
– die „Kleinen Kaiser“ oder die „Roten Kaiser“
– sämtliche Kombinationen mit aufwachenden, aufstehenden oder sich erhebenden Drachen

 

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Helm ab zum Gebet

In Griechenland gibt es eine neue Art landestypischer Unfälle. So kann es einem auf der Autobahn jederzeit passieren, dass der Vordermann plötzlich die Warnblinkanlage einschaltet und mit Vollbremsung auf den Seitenstreifen schleudert. Beim erstenmal dachte ich an einen schweren Motorschaden, Kolbenfresser oder so. Ein griechischer Bekannter hat mich aufgeklärt: Die griechische Regierung hat die Strafen für Handytelefonieren-am-Steuer auf 400 Euro angehoben. Und seit die Polizei die Rekordstrafe gelegentlich auch verhängt, ziehen viele Griechen den schnellen Boxenstopp vor, um am Randstreifen hastig auf Empfang zu gehen. Wer die Reihenfolge Warnblink-Bremsen-Telefonieren einhält, riskiert zwar sein Leben, aber keinen Strafzettel.  Allerdings glaubt die griechische Regierung selbst nicht so recht, dass die 400 Euro auch bezahlt werden. Schließlich kennt jeder Grieche jemanden, der jemanden kennt, der in der Polizei oder in der Verwaltung einen guten Bekannten hat.  Da lässt sich meist was machen, jedenfalls kann man es probieren. Deshalb gibt die griechische Regierung 50 Prozent Skonto, wenn das Knöllchen innerhalb von zwei Wochen beglichen wird. Ungewöhnlich scharfe Drohungen wie auch drastische Rabatte deuten in der Regel auf gewisse Schwächen bei der Durchsetzung von Gesetzen hin. Das kann man in vielen Ländern beobachten, aber nirgends so schön wie in Griechenland. Athen kämpft bei der EU seit Jahren für die Erlaubnis, die Mehrwertsteuer auf Motorradhelme senken zu dürfen. In der Hoffnung, dass dann endlich jeder Biker einen kauft. Denn trotz drastischer Strafen halten viele griechische Motorradfahrer ihren Kopf nach wie vor ungeschützt in den Fahrtwind. Dass das nicht immer gut geht, kann man an den Unfallstatistiken ablesen. Die EU drängt deshalb auf stärkere Kontrollen. Doch die Griechen halten sich lieber an eine andere Instanz: Autobahnen und Landstraßen sind gesäumt von kleinen Votivkapellen, jede ein Dankeschön für den Schutzengel, wenn es gerade noch mal gut gegangen ist. Die Heiligen sollen wissen, dass es sich lohnt, ihre Hand über helmlose griechische Köpfe zu halten.

 

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Walking on Water

Sie kommen aus aller Welt, singen Länderlieder (“Chi chi chi – le le le”, “Juuuuh Ess Aijaijai”), üben die französische Nationalhymne (schließlich war Bastille Day” / 14 Juillet) und lernen täglich dazu: Sydneys World Youth Day-Besucher. Gestern lernte eine Gruppe aus Amerika, dass der Pazifik im Winter kalt sein kann, beim Baden indes Badezeug sinnvoll ist. (In Sydney derzeit um 15,5 Grad C). Züchtig bekleidet mit Jeans, langärmeligen T-Shirts und Strümpfen probierten die jungen Katholiken in Bondi Beach ihre Variante von Jesus’ Walking on Water-Technik aus… Leider klappte der Gang übers Wasser noch nicht so gut, und die Teenager landeten klatschnass in den Wellen. Da sie das Experiment genau an Bondi Beachs strömungsreichster Stelle absolvierten, kamen Sekunden später die Lifeguards und schickten die Teens gen Badezone. Mitsamt ihrer triefenden Klamotten.

Auch viele wasserscheuere Pilger überraschte die Tatsache, dass Australien einen Winter hat. Viele junge Leute vor allem aus asiatischen und afrikanischen Ländern reisten mit kleinem Gepäck an: Rock, Shorts und T-Shirt. In den bis zu 7 Grad kalten Nächten frieren sie sich derzeit die Ohren ab und fürchten sich vermutlich schon jetzt vor dem Massen-Event “Sleeping under the Stars” am Samstag. Hilfe naht: Australische Frauengruppen stricken derzeit wie besessen Mützen und Schals, Bürger spenden Wolljacken, und Qantas hat 1.0000 ausrangierte Airline-Decken zur Verfügung gestellt. So könnte es doch noch richtig kuschelig werden am Samstag….

 

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Togo in Brüssel

Seit einem Jahr verbringe ich meine Samstage auf den Straßen von Brüssel und Flandern. So im Umkreis von 20 Kilometern. Wenn Sie jetzt auf Radfahren tippen, liegen Sie völlig falsch. Wir sind mit dem Auto unterwegs. Stundenlang. Unsere wöchentliche Herausforderung besteht darin,  Sportplätze zu finden. Die Adressen, die unser Sohn von seinem Verein für die Auswärtsspiele bekommt. sind zwar sehr detailliert, helfen aber bestenfalls bis zur Ortseinfahrt.Belgische Fußballclubs scheinen es darauf anzulegen, die Gegner schon vor dem Spiel zu narren. Vielleicht wollen sie den Heimvorteil ausbauen. Jedenfalls gibt es immer wieder Mannschaften, die zu spät oder unvollständig eintreffen. In Uccle sind beim letzten Mal zwei Spieler und auch der Schüler-Trainer nie angekommen. Die angegebene Straße gibt es zwar tatsächlich, aber sie ist sieben Kilometer lang und der Platz liegt hinter den Häusern versteckt in einem Waldstück. Der Platzwart von Uccle war sichtlich überrascht, dass überhaupt jemand hingefunden hat: „Eigentlich verfahren sich hier alle.“ Auf die Idee, ein Schild aufzustellen oder die Wegbeschreibung zu verfeinern, kam trotzdem keiner:  „Hier kann man doch jeden fragen, wo unser Sportplatz ist.“ Sollte man aber nicht auf französisch machen, das mögen die Flamen nicht und schicken einen dann gern in die falsche Richtung. Ein Bekannter hat sich nur für die Rettung seiner Samstage ein GPS angeschafft. Half letzten Samstag aber auch nichts, weil es rund um Brüssel ungefähr 27 Brüsselse Steenwege gibt, an denen mindestens 54 Fussballplätze liegen und der KV Eizer leider nicht übermittelt, auf welchem er seine Heimspiele austrägt. Eine junge Belgierin hat mir kürzlich erzählt, dass sie in Togo in Afrika aufgewachsen ist und dass dort nur die geteerten Straßen Namen haben, die anderen nicht. Wer an einer ungeteerten Straße wohnt, muss seine Briefe bei der Post und seine Besucher bei der nächsten geteerten Kreuzung abholen. Am Samstag werde ich vorschlagen, dass belgische Fussballclubs einen ähnlichen Abholservice einrichten sollten. Aber die würden wahrscheinlich lieber den Sportplatz teeren, damit er auf der Karte einen eigenen Namen bekommt. 

 

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Schneit's in Australien?

Der trockenste (bewohnte) Kontinent und der flachste der Welt? Genau: Australien. Nicht gerade ein Snowboarder- und Ski-Paradies? Falsch.
Weil jeder Mensch können müssen darf, was jeder gerne will, kann auch der Australier im Winter auf Brettern Berge runter fahren. Koste es was es wolle (s.u.). Die Skisaison dauert offiziell von Anfang Juni bis Oktober, und in der Zeit fährt “man” in the snow. Ist keiner da, wird welcher gemacht. Hauptskigebiet sind, logisch, die Snowy Mountains zwischen Neusüdwales und Victoria mit Gipfeln um 1600 Meter. “LiveCams” sagen uns, die wir in T-Shirts in Strandnähe sitzen, wie’s dort um den Schnee bestellt ist. Für die nächsten Wochen versprechen sie Schnee-”Höhen” zwischen 7 und 19 Zentimetern. So richtig juckt das die Australier nicht. Sie fahren trotzdem ‘in den Schnee’, und zahlen dafür. Letztes Jahr verkauften Australiens zehn Ski-Resorts etwas mehr als zwei Millionen Tagespässe. Und die kosten mehr als in der Schweiz. Wer glaubt, St. Moritz sei teuer (Tageskarte Hauptsaison 67 CHF/ 41 €), sollte mal Perisher Blue ausprobieren. Das ist zwar weder so hoch noch so steil oder anspruchsvoll wie das Engadin, nimmt aber 98 australische Dollar (60 €) am Tag. In Thredbo, Falls Creek und Mount Hotham ist man ebenfalls mit knapp einem Hunderter dabei. Kein Wunder eigentlich, Perisher hat diesen Sommer 9,75 Mio $ (5,8 Mio €) für bessere Kunstschnee-Wasser-Anlagen und 34 neue Schneekanonen ausgegeben. Die müssen natürlich wieder reinkommen. Manchmal denke ich, wir haben hier unten eigentlich gar keine Wasserprobleme oder Dürren, Strom kommt sowieso aus der Steckdose und Öl kaltgepresst aus der Toskana.

 

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Die beste Currywurst…

…zwischen Berlin und Bangkok macht noch immer Boris, Chef des Lapis Lazuli Guesthouses in Kundus. Danke Boris, dass Du seit fünf Jahren einen entscheidenden Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans leistest, auch wenn dieser von den Afghanen (wie inzwischen einiges) nicht geschätzt wird!

 

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Vermeintliche Friedenstauben

Wenn Berichterstattung von Wunschdenken geprägt ist, wird es problematisch. Da ist im deutschen Blätterwald allenthalben zu lesen, dass Israel jetzt eine umfassende Friedensoffensive gestartet hat und, anscheinend völlig überraschend, Friedensfühler Richtung Libanon ausstreckt, sogar zu direkten Gesprächen über alle strittigen Punkte bereit sei. Hört, hört! Dass die Israelis seit Jahrzehnten nichts lieber getan hätten, als den kleinen Zedernstaat aus der arabischen Front heraus zu brechen, daran scheint sich niemand mehr zu erinnern. Dass die israelische Regierung 1982 nach ihrer Militärintervention sogar so weit ging, in Beirut einen pro-israelischen Präsidenten zu inthronisieren, der einen Friedensvertrag mit Jerusalem unterzeichnen sollte und dass Bashir Gemayel damals mit dem Leben dafür bezahlen musste, das scheint auch vergessen. Das Begehren, einen Separatfrieden mit dem Libanon abzuschließen und auf diese Weise die Nordgrenze zu konsolidieren, ist ein altes. Es ist aus israelischer Sicht verständlich. Dass die libanesische Führung das rundheraus ablehnt, weil es für sie undenkbar ist, solange die Frage des Verbleibs der rund 350.000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon nicht geklärt ist, ist nicht überraschend. Die meisten der Palästinenser sind sunnitische Moslems und die will hier so gut wie niemand haben, weil ihre Einbürgerung die konfessionelle Balance verändern würde. Außerdem ist angesichts der regionalen Machtverhältnisse klar, dass Beirut erst einen Friedensvertrag mit Jerusalem unterzeichnen kann nachdem Damaskus das vorgemacht hat. Und das bleibt abzuwarten. Also eine gute PR-Nummer des israelischen Premiers Ehud Olmert: Wenn man mit Syrien spricht, kann man doch auch gleich  Bereitschaft zu Gesprächen mit dem Libanon erklären. Klingt logisch, erhöht die moralische Friedensdividende im Westen und kostet nichts. Hat offensichtlich geklappt! Im Libanon hat das israelische Angebot niemanden beeindruckt, viele fanden es einfach nur unpassend. Die historische Perspektive hilft mitunter bei der Einordnung solcher Entwicklungen und macht sie zu dem, was sie sind: Randerscheinungen.

 

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Philosophie in Kabul

Gestern fand an der Mediothek in Kabul eine Diskussion zum Thema „Moderne und Postmoderne“ statt. Ich will mich nicht weiter zu der Frage äußern, ob dies ein sinnvolles Thema in einem Land ist, das zu 90 Prozent in der Prä-Moderne lebt. Philosophie ist das Opium der Intellektuellen. Darüber sind sich die Afghanen selbst bewusst genug. Beim Abendessen nach der Konferenz entspann sich folgendes Gespräch: Frage: „Wer ist denn nun der Löwe der Postmoderne (Persisch: Sher-e-Postmodern)?“ Antwort: Wir sind alle sind Löwen des Quatschens (Sher-e-gap mezanan)“.

Einig waren sich die afghanischen Intellektuellen darin, dass im Iran sowohl Michel Foucault als auch Jacques Derrida falsch übersetzt worden sind. Leider reichte mein Persisch nicht aus, um die Argumente im Einzelnen nachzuvollziehen. Aber ich bin fasziniert von dem Gedanken, dass das ganze Schlamassel im Iran daran liegen könnte, dass Präsident Ahmadineschad die französischen Poststrukturalisten falsch verstanden hat.

Dabei hatte ich eher den Eindruck, dass er zumindest den mittleren Foucault sehr gut verstanden hat. Weshalb der ganze Iran einem Gefängnis gleicht. Hierin sehe ich mich übrigens durchaus einig mit einem anderen bedeutenden Foucault-Interpreten unserer Tage: George W. Bush, obwohl dieser sich in der Praxis eher auf den frühen Foucault konzentriert hat, weshalb die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren einem Irrenhaus glichen. (Ich weiß, dies wird wieder meine Freude von David’s Medienkritik auf den Plan rufen. Siehe meinen Blog vom 23.Mai 2007. Go ahead, guys!)

Wirklich interessant wird es, wenn man Ahmadineschads Reden als Interpretationen Derridas liest. Der ganze Nonsens macht auf einmal Sinn! Offenbar scheint der iranische Präsident den Holocaust als einen Text zu betrachten, den es zu dekonstruieren gilt. Ob er dazu Atomwaffen braucht, ist unklar, aber es ist verständlich, dass Israel nicht begeistert ist. Hätte man doch bloß die Übersetzug Derridas ins Persische einem Afghanen überlassen!

 

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Durchhalten gegen Scarlet

Manche Menschen spielen gegen Schachcomputer, dazu habe ich keine Zeit, ich muss gegen einen belgischen Telefoncomputer antreten. Meiner heißt übrigens Scarlet. Früher hieß er Euronet, wurde dann von Wanadoo aufgekauft, dann von Tiscali und schließlich von Scarlet. Da dachte ich auch noch, dass Scarlet ein richtiges Server-Unternehmen ist mit richtigen Menschen ist und nicht bloß ein Computer. Ursprünglich war daran gedacht, dass mich Scarlet mit dem Internet verbinden sollte. Am Anfang klappte das auch ganz gut. Aber Telefoncomputer schalten offensichtlich irgendwann selbständig in eine höhere Schwierigkeitsstufe. Scarlet hat dann angefangen, statt der Rechungen immer gleich Mahnungen mit Mahngebühren zu schicken. Das war eigenartig, weil Euronet alias Scarlet eine Einzugsermächtigung hatte. Ich habe dann viele Stunden meines Lebens in der Hotline-Warteschleife verbracht, habe E-Mails geschrieben und Briefe und wieder angerufen. Manchmal hörte ich tatsächlich menschliche Stimmen, die sagten, alles werde gut. Wurde aber nicht. Vor zwei Jahren habe ich gekündigt, seitdem ist Scarlet besonders böse mit mir, hat die Frequenz der Mahnschreiben erhöht und auch die Mahngebühren auf die Mahngebühren. Telefoncomputer führen offenbar ein streng abgeschottetes Eigenleben, halten sich für die Hotline ein oder zwei menschliche Sklaven, die nie ihren Namen sagen dürfen und deren Worte nichts wert sind. Eine Zeitlang habe ich es mit Bitten und Flehen versucht, dann wieder gütlich und später mit wüsten Drohungen. Die Scarlet-Sklaven hören sich das an, aber es passiert nichts. Meist bricht plötzlich die Leitung ab. Wahrscheinlich sitzt Scarlet in irgendeinem Erdloch in den Ardennen und lacht hysterisch, wenn ein Telefoncomputerspieler die Nerven verliert und die aufgelaufenen Mahngelder überweist. Dann wird der Mahngebührenzähler wieder auf Null gestellt und nach einem Monat geht das Spiel mit fünf Euro Einstiegsmahngebühr von vorne los. Bei mir sind inzwischen 150 Euro Mahnschulden aufgelaufen. Der neueste Trick von Scarlet ist eine holländische Inkassogesellschaft, die mit einem belgisches Gerichtsverfahren droht, wenn ich nicht sofort zahle. Ich bin etwas abgemagert, aber solange meine Frau meine nächtlichen Fieberattacken und die Schweißausbrüche erträgt, halte ich durch.

 

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Glauben, wissen, zweifeln

Seit ein paar Monaten versuche ich, mich für den World Youth Day zu akkreditieren. Akkreditieren heißt so viel wie “beglaubigen, bevollmächtigen”. Das hat mit Bürokratie zu tun und wird von Journalisten hin und wieder verlangt: vor Großereignissen oder brisanten Terminen wie Fashion Week oder G8-Gipfel. Ist lästig und nicht zu ändern, dauert meist ein bis zwei Stunden.

Die Akkreditierung für das Massen-Ereignis der Pilger – also called WYD – im Juli in Sydney hat mich bislang sieben Stunden gekostet. Die gigantische Medienmaschine, die hinter dem WYD steckt, will mich nämlich ganz ganz genau kennen lernen, ehe sie mir erlaubt, über das Ereignis zu schreiben.
Ich habe Formulare ausgefüllt und Beweise meiner Tätigkeit hochgeladen. Ich habe Fotos von mir runtergeladen (ohne Schatten auf dem Gesicht, weniger pixel bitte, mehr pixel, zu viel Arme, Nase mehr nach links). Ich habe Auftragsbriefe von Redaktionen verschickt, den WYD-Mediadamen meine Hobbies und mein bisherhiges Leben geschildert. Ich bin immer noch nicht akkreditiert. Und ich beginne zu zweifeln. Es fehlen: Das polizeiliche Führungszeugnis (mal im Ernst: was gehen den Jugendtag meine Vorstrafen an? Saß nicht sogar Jesus mit Sündern zu Tisch?). Und es fehlen: drei verschiedene, amtlich beglaubigte Identitätsnachweise. Drei. Mal unter uns: Wenn ich was richtig Böses vorhätte, und zu dem Zweck also eine ID fälschen würde. Würde ich dann nicht auch schaffen, drei Papiere zu fälschen… ?

Zum Glück wird die Welt notfalls auch ohne meine Akkreditierung über Massenmesse, Pilger und Papst erfahren: Denn wie berichtet kommen noch etwa 5.000 andere Journalisten aus aller Welt her (sind die wohl alle schon akkreditiert?). Das sind Kollegen, die daheim in den Redaktionen “Religion & Kultur” sitzen, oder in “Jugend & Welt” oder im Ressort “Ausland”. Und weil Sommer ist, kann Australien auch ausnahmsweise mal “Ausland” sein und fällt nicht wie sonst unter “Reise” oder “Vermischtes”. Zumal ja der Papst kommt, und der war schließlich Deutscher, ehe er in den Vatikan zog. Oder ist es immer noch. Keine Ahnung, wie das mit der doppelten Staatsbürgerschaft bei Päpsten ist. Auf jeden Fall ist der Bezug da und das Sommerloch auch, und da sollen dann ja gern ein paar Kollegen nach Sydney fliegen.

Wenn die Papstmesse vorbei ist, dann haben die meisten noch ein bisschen Zeit: “Wo ich schon da unten bin, geh ich noch kurz ans Reef und mach dann noch die Aborigines”, mailt der Kollege vom Regionalanzeiger und fragt nach Tipps. Er guckt Papst, taucht und ‘macht Aborigines’. “Drei Tage reichen da doch, oder?” erkundigt er sich noch, “für die Aborigines?” – “Ja sicher”, lüge ich beherzt. Kein Problem – Drei Tage für die Recherche eines Problems, an dem ein Kontinent seit Jahrhunderten nagt und dessen Zeitzeugen auf einem riesigen, weiten Kontinent verstreut leben – Drei Tage sind üppigst bemessen… Viel Spass und gutes Gelingen! Ich mach mich dann mal für zwei Wochen aus dem Staub. Ich schaff die WYD-Akkreditierung eh nicht.

Ps: Wissen Sie was der Werbeslogan des Jugendtages in Sydney ist? "WYD – the time of your eternal life". Da komm ich mir schon wieder kleinlich vor mit meinem Gestöhne über die sieben Stunden Formulare ausfüllen und Beglaubigungen beglaubigen lassen.

 

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Libanon zwischen Feuerwerk und Schusswechsel

„Michel Suleiman – die Würde der Nation“ – heißt es auf Bannern und großen Postern mit dem Konterfei des bisherigen Armeechefs und neuen Präsidenten. Personenkult wird im Nahen Osten ganz groß geschrieben und die Libanesen sind glücklich, dass sie wieder auf irgendjemanden stolz sein können. Dabei ist Michel Suleiman nur ein Verlegenheitskandidat, der kleinste gemeinsame Nenner im libanesischen Polit-Bazaar. Immerhin konnten sich die wichtigsten Mächte, die hinter den zerstrittenen politischen Lagern stehen, mit ihm anfreunden – also sowohl die USA und Saudi-Arabien auf der pro-westlichen Seite sowie Syrien und Iran auf der Seite der Opposition.

Dass mit Suleiman in der angeblichen Vorzeigedemokratie des Nahen Ostens der nun schon seit Jahren herrschende Trend einer Militarisierung des Präsidentenpostens fortgesetzt wird, scheint außer dem Kolumnisten Issa Goraieb von der Zeitung „L’Orient-le-Jour“ niemanden zu stören. Die Erwartungen an den 59jährigen Suleiman sind riesig. Wieder weht dieser frische Wind durch den Zedernstaat, der wispert „Jetzt wird alles anders“ und „Jetzt geht es aufwärts“. Der wehte mir auch 1998 ins Gesicht, als der damalige Armeechef Emile Lahoud das Amt übernahm. Er wurde mir damals von allen meinen Gesprächspartnern in den höchsten Tönen als Saubermann angepriesen, der endlich mit der Korruption im Land aufräumt, er sei der große politische Hoffnungsträger. Dann kam die Ernüchterung: Im Null-Komma-Nichts unterwarf Lahoud sich den Machtverhältnissen und wurde zu einem Instrument der syrischen Entscheidungsträger im Land. Schließlich, als Syrien nicht mehr hoch im Kurs stand, demontierte ihn der Westen und stellte ihn kalt. Aber davon redet jetzt niemand, denn die Libanesen sind in Feierlaune, das Land trägt mit Nationalflaggen und Suleiman-Postern sein Festtagsgewand. Man will es sich gut gehen lassen, wenigstens für ein paar Tage. Die Börse zeigt seit Tagen Hochstimmung, Politiker versprechen eine traumhafte Sommersaison. Die Libanesen wollen endlich wieder das tun, was sie am besten können: Geschäfte machen. Doch ein Restaurantbesitzer im Hafenstädtchen Byblos, der seit drei Jahren strampelt, um sich über Wasser zu halten, winkt ab. „Wir leben von einem Tag zum anderen. Unseren Politikern ist alles zuzutrauen. Dies ist der Libanon, vergessen sie das nicht.“ Weise Worte, gelassen ausgesprochen.

 

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Auf Pferde wetten oder Beten?

 

Angeblich ist fast jeder vierte Australier Katholik, und diese Gruppe damit Down Unders zahlenstärkste Glaubensgemeinschaft. Soweit die Statistik. Die gefühlte Katholikendichte scheint deutlich geringer. Käme das nur mir so vor, würde ich tippen, dass das an meiner Jugend in Münster liegt. (Das ist eine sehr katholische Stadt, von der es heißt “Entweder es regnet, oder es läuten die Glocken; passiert beides, ist Sonntag”). Also, nicht nur habe ich in sieben Jahren Sydney noch nie Sonntags Glockenläuten gehört, hier ist auch nicht mal Pfingsten frei. Aber egal. Zahlen sind Zahlen, und mit denen werden wir gut einen Monat vor Papstbesuch und World Youth Day (WYD) geradezu überschüttet (fühlt sich fast an wie Sonntag in Münster): Das größte religiöse Großereignis in der Geschichte Australiens! 125 .000 Gläubige und internationale Besucher! 8.000 Helfer werden helfen. 2.000 Priester beten. 700 Kardinäle und Bischöfe zelebrieren. 3.000 bis 5.000 Medienvertreter die Medien vertreten. 3,5 Millionen Mahlzeiten werden all diese Leute essen… Ah, es ist herrlich, ich könnte endlos weiter zählen.

Mit den meisten dieser Nummern kommen die meist toleranten Einwohner Sydneys auch gut klar. Selbst darüber, dass die Stadt im Juli gut eine Woche dank einer Art Lock-Down voller Straßenblockaden (300 Straßensperren = 263 000 $ an Parkuhr-Einnahmen-Verluste) unbefahrbar wird, murren wenige.

Nur die WYD-Dollar-Zahlen, die stimmen viele, insbesondere die 75 Prozent Nicht-Katholiken, eher unfröhlich. Mindestens 150 Mio Australische $ (90 Mio Euro) wird die Glaubenswoche die Steuerzahler kosten. Nicht inbegriffen: die 40 Millionen, die der Australische Jockey-Club, Besitzer der Rennbahn Randwick, für den WYD bekommt. Diese Zahl muss ich vielleicht erklären: Australier sind Pferde(- und Wett)besessen. Viele glauben fest, dass das Glück der Erde eher auf dem Rücken der Pferde als sonstwo liegt. Melbourne Cup Day, ein Pferderennen im November, etwa ist Feiertag. Pfingsten nicht. Und Papst Benedikt zelebriert die WYD-Riesenmesse ausgerechnet auf einer Rennbahn im Stadtteil Randwick. Na und? Nix na und. Das kommt einer Katastrophe gleich. Mindestens aber einem finanziellen Desaster der Pferdeindustrie: Wochenlang wird der Platz unbenutzbar, Wetteinnahmen in schwindelnder Höhe werden schwinden, Pferde träge und Rasenflächen häßlich werden. Doch die 40 Millionen $ werden es schon richten. Dass die Jockeys entschädigt werden müssen, sieht in Sydney auch jeder ein. Gemurrt wird, dass nicht anderswo gebetet wird – etwa im Olympia-Stadium, das war doch teuer genug. Ach ja, seufzen verstohlen jene der 25% katholischen Sydneysider, denen Pferdewetten weniger heilig sind: “Fronleichnam ist Fremdwort, Heiligabend Haupt-Einkaufstag – vermutlich höchste Zeit, dass der Papst nach Australien kommt.”

 

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Schwarz auf weiß: Südafrikas tägliche Dosis Fremdenhass

In Südafrika machen die Ärmsten der Armen Hetzjagd auf Ausländer vom Rest des Kontinents. Häuser brennen, somalische Geschäfte werden geplündert, Millionen von Mosambikanern, Simbabwern, Malawiern, Kongolesen fürchten um ihr Leben.

Außerhalb der Townships ist die Überraschung groß. Der Geheimdienstchef ergeht sich in wilden Mutmaßungen über eine Verschwörung weißer Rassisten, ansonsten herrscht Sprachlosigkeit. Gewiss, man weiß, dass die Armen sich vom Staat ignoriert fühlen. Aber woher der plötzliche Gewaltausbruch?

Vielleicht hätten die Damen und Herren in Südafrikas „Erster Welt“, die Politker, Intellektuellen und Geheimdienstler, sich hin und wieder dazu herablassen sollen, die größte Tageszeitung des Landes zu lesen, die fast 10 Prozent der Bevölkerung erreicht. Die fasst ein gebildeter Mensch zwar nur mit Gummihandschuhen an, dafür verkauft sich die „Daily Sun“ blendend unter Südafrikas Armen. Das Boulevardblatt hetzt seit jeher gegen Einwanderer und macht sie für so ziemlich alles verantwortlich, was den Lesern nicht passt. Ob Flüchtling, Gastarbeiter oder illegaler Einwanderer: Für die Daily Sun sind sie alle „aliens“. Am Weltflüchtlingstag 2007 lautete der Titel „Du bist geschnappt! Polizist mit GROSSER KNARRE weckt Ausländer, die illegale Ausweise verkaufen“.

„Bildung ist nicht unsere Aufgabe“, sagte mir der Herausgeber Deon Du Plessis zu diesem Thema vor zwei Jahren seelenruhig ins Mikrofon. Seit 2002 macht die „Daily Sun“ Geld damit, dem Volk nach dem Mund zu reden und hat die weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit gegenüber Schwarzafrikanern seit Jahren genutzt – um nicht zu sagen gefördert – , um die Auflage hochzutreiben. Das soll nicht heißen, dass die Zeitung verantwortlich ist für die Pogrome. Aber überrascht sollte wirklich niemand sein.

 

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Verweis für den Direktor

Der Schuldirektor des Jacqmain-Lyzeums in Brüssel hat einen Verweis bekommen und wird für drei Monate vom Schulbetrieb ausgeschlossen. Weil er 78 Schüler vor dem 30. November eingeschrieben hat. Das war illegal und der Mann wusste das auch und wenn nicht, dann hätte ich es ihm sagen können. Ich habe nämlich am Abend vor dem 30. November vor seiner Schule im eiskalten Regen mein Zelt aufgebaut. So richtig mit Stahlheringe-zwischen-die-Pflastersteine-klopfen und Isomatte und Spirituskocher. Und das alles nur, um am nächsten Morgen meine Tochter für die Oberstufe anzumelden. Das hatte uns die wallonische Schulministerin eingebrockt. Weil sich vor allem katholische Edelschulen in Belgien traditionell die Schüler nach der Qualität des Elternhauses heraussuchen, hat die sozialistische Ministerin verfügt, dass die französisch-sprachigen Oberschulen diesmal alle Kinder akzeptieren müssen, unabhängig von Herkunft und Noten. Startschuss 30. November, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Vor manchen Schulen standen schon drei Tage vorher hundert Meter lange Schlangen. Die besseren Familien mieteten sich Wohnwagen und Studenten, die abwechselnd anstanden und sich in den Wohnwagen aufwärmten. Der Durchschnittstarif fürs Anstehen lag bei 500 Euro. Der Schuldirektor von Jacqmain hat das vorausgesehen und fand es ziemlich ungerecht und hat deshalb den belgischen Weg gewählt: Wer ihm lange genug vorjammerte, dass er an diesem Tag keine Zeit hat, dessen Kind wurde eben schon vorher auf die Liste gesetzt. Das ist irgendwie rausgekommen und deshalb kriegt der Direktor jetzt drei Monate lang Gehaltsabzug. Die meisten belgischen Eltern finden das zu hart, viele haben vor dem Brüsseler Rathaus protestiert, weil es doch nur gut ist, wenn sich der Direktor nicht an jeden Unsinn von oben hält. Die 78 Schüler bleiben natürlich eingeschrieben.Nächstes Jahr soll sowieso alles wieder anders werden. Bloß wie, das weiß keiner. Sicher ist, dass die Oberschulen keine Aufnahmeprüfungen machen und nicht nach Schulnoten auswählen dürfen. Das wäre ungerecht gegen schwächere Schüler und da ist man in Belgien ganz empfindlich. Das Ministerium sucht nach einer gerechten Lösung. Und dann bleibt immer noch der belgische Weg.

 

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Simbabwe und der „Völkermord“ – Kurze Frage zwischen den Deadlines

Ich habe gerade das Vergnügen, statt Reportagen Nachrichten machen zu dürfen. Für jemanden, der sich im Radio erst ab 5 Minuten Sendezeit so richtig wohl fühlt, ist das immer ein kleiner Kulturschock. Zwischendrin stellt man sich dabei manchmal eher philosophische Fragen. Die werden zwar meist unter der nächsten Deadline begraben, aber es sind Fragen wie: Warum laufen wir Journalisten wie eine Herde Schafe dem nach, was die internationalen Agenturen als „die Wirklichkeit“ verkaufen? Warum schreiben wir Journalisten fast schon routinemäßig voneinander ab? Und sehen wir eigentlich genau genug hin, was wir da als „neutrale Chronisten“ berichten?

Beispiel. Am 23. April warnte eine Reihe simbabwischer Kirchenführer davor, dass die Gewalt in Simbabwe sich zum Völkermord („genocide“) auswachsen könnte – „ähnlich wie in Kenia, Ruanda oder Burundi“ -, sollte das Ausland Robert Mugabe nicht das Handwerk legen.

Das ist ein Statement von solchem Gewicht, dass kaum ein Nachrichtenredakteur daran vorbei kann. Allerdings ist es nicht nur faktisch falsch (in Kenia gab es bisher keinen Völkermord, sondern ethnisch motivierte Ausschreitungen, bei denen zwar mehr als tausend Menschen starben – in Ruanda waren es allerdings mindestens 800.000), sondern hat auch wenig mit der Realität in Simbabwe zu tun. Dort gibt es drei Wochen nach den Wahlen 10 Tote. Die Situation ist ernst, ja. Es wird gefoltert, entführt, geprügelt und gemordet. Doch anders als in Kenia, Ruanda oder Burundi spielt Tribalismus in Simbabwe eine geringe Rolle, Oppositionswähler finden sich vermehrt allenfalls in städtischen Gebieten, unter Arbeitern und in der Mittelklasse. Und selbst das ändert sich. Mit anderen Worten: Es gibt wenig, was Nicht-Mugabe-Wähler gemeinsam haben außer der Tatsache, dass sie den alten Despoten leid sind. Und auch wenn der sicher gern alle Regimegegner loswäre, gibt es keinen Grund anzunehmen, er würde sein halbes Land ausrotten wollen.

Was tut man als Journalist mit einem solchen Statement? Ein Blick auf die Internet-Portale von BBC, NZZ, TAZ, Tagesschau Online und diversen anderen Zeitungen zeigt: Die Genozid-Warnung hat es praktisch unkommentiert in die deutsche Medienlandschaft geschafft. Die Botschaft der Kirchen erhält international Aufmerksamkeit – und wer kann es den Priestern verdenken, dass sie angesichts der Lage verzweifelt sind und vielleicht in solchen Momenten keine rhetorische Krümelkackerei betreiben wollen. Und es ist auch nicht unbedingt Aufgabe der Nachrichtenagenturen, das zu korrigieren, Zusammenhänge darzustellen und Dinge ins Verhältnis zu setzen. Aber Aufgabe der Journalisten und Redakteure ist das schon, oder?

 

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Fritten verlieren Lufthoheit in Belgien

Belgien erstickt in diesen Tagen im Smog, aber da kann man nichts machen. In Charleroi zum Beispiel hat die Stadtverwaltung eine Tempobeschränkung in der Stadt auf 30 km/h beschlossen und auf dem Autobahnring von 50 km/h. Aber die Autofahrer merken davon nur sporadisch etwas, weil die Stadt nicht genügend mobile Verkehrs-Schilder hat.

Schuld ist ohnehin das Wetter, sagen die belgischen Zeitungen, windstille Inversionslage, deshalb kann man doch nicht die Autofahrer bestrafen. Demensprechend umstritten ist auch die vorübergehende Geschwindigkeitsbeschränkung auf einigen belgischen Autobahnen auf 90km/h. „So kommt man doch nicht vom Fleck", sagt eine junge Nachbarin, „und weil sich niemand dran hält, bringt es sowieso nichts.“ Und deshalb hält sie sich auch nicht dran.

Dabei hat die Polizei alle Radargeräte aus dem Keller geholt und auf die Straßen gestellt. In manche Blitzkameras wurden jetzt sogar Filme eingelegt, selbst in der Wallonie. Solche feststehenden Blitzanlagen werden von der belgischen Bundesregierung aufgestellt. In welche dann Filme eingelegt werden, das entscheiden die Regionen. So viel zum Föderalismus. In der ganzen Wallonie, also der Südhälfte Belgiens, sind in normalen Zeiten vier solcher Radaranlagen scharf. „Mehr Kontrollen sind Faschismus,“ hat mir ein befreundeter Fernsehmann erklärt, und die wallonische Regionalregierung hält sich daran.

Ähnlich volksnah gehen belgische Politiker auch mit den Umweltgesetzen um, die sie in den EU-Gremien regelmäßig mitbeschließen. Belgien hat dieselben Grenzwerte wie die Nachbarländer, es kümmert sich bloß niemand darum, ob sie eingehalten werden. In Brüssel werden Feinstaubmessstellen mit Vorliebe in Parks und Waldstücken aufgestellt. Die Begründung: Dass die Grenzwerte an neuralgischen Verkehrsknoten überschritten werden, weiß man sowieso.

Am deutlichsten wird der Smog von den Ärzten diagnostiziert, die einen dramatischen Anstieg der Luft- und Atemwegsbeschwerden melden. Eine Studie hat vor kurzem vorgerechnet, dass Belgier wegen der starken Umweltverschmutzung im Schnitt ein Jahr früher sterben. Vielleicht haben sie deshalb keine Zeit, langsamer zu fahren.

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