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Kleine Hindernisse räumen wir selbst weg

Es ist kurz nach Mittag. Ich habe mir gerade eine Tasse Tee gekocht und versuche, mich auf meinen Artikel zu konzentrieren. Draußen auf der Straße höre ich die Müllabfuhr. Sie kommt ungefähr sechs Mal täglich. Das ist gut so, bei dem Abfall, den das Viertel ständig in den drei grünen Containern an der Straßenecke ablädt. Nicht so gut ist die Dezibelstärke dieser Uralt-Mülllaster. WBei offenem Fenster versteht man sein eigenes Wort nicht mehr.

Plötzlich geht ein ohrenbetäubendes Hupkonzert auf der Strasse los. Es steigert sich zum Crescendo. Und will gar nicht mehr aufhören. Schließlich gehe ich etwas ungehalten auf den Balkon, um zu sehen, was da los ist. Lärm ist ja normal, aber das… Es ist wieder einmal so weit: Ein superschlauer Autofahrer – oder war es eine Autofahrerin? – hat seinen Kleinwagen neben einer improvisierten Absperrung geparkt, die eigentlich dazu da ist, ein Parkverbot zu signalisieren. Weil nämlich sonst die Müllwagen nicht mehr vorbeikommen. Genau das ist das Problem. Und zwar nicht zum ersten Mal.

 

Das geparkte Auto steht also fast mitten auf der Fahrbahn, auf der anderen Straßenseite parken selbstverständlich noch mehr Autos. Und nun kommen die fleißigen Mitarbeiter der Beiruter Müllreinigungsfirma Sukleen mit ihrem superlauten Laster nicht mehr weiter. Hinter ihnen staut sich inzwischen der Verkehr, die Fahrer werden sauer und drücken ohne Unterlass auf die Hupe. Der Fahrer von Sukleen hupt nun auch – um den Übeltäter zu seinem Auto zu bewegen, damit er es aus dem Weg fährt. Aber: Fehlanzeige. Da hilft nur Selbsthilfe.

 

Der kleine Wagen wird kurzerhand von den Sukleen-Mitarbeitern zu Seite gehievt.

So, dass der Mülllaster schließlich ganz knapp vorbei passt.

 

Es ist schon hart, bei der Beiruter Müllabfuhr zu malochen. Aber die Sukleen-Männer in ihren grünen Anzügen sind Kummer gewohnt. Zu erwarten, dass die Polizei an solch prekären Stellen Knöllchen verteilt, ist völlig vergeblich. Das tun Polizisten in den seltensten Fällen. Von wegen „Dein Freund und Helfer“. Die Libanesen sind es gewohnt, sich selbst zu helfen, denn auf den Staat können sie sich nicht verlassen. Das nimmt mitunter groteske Formen an oder auch verabscheuenswürdige. So zum Beispiel kürzlich in einem Dorf im Chouf-Gebirge. In Ketermaya wurde ein älteres Ehepaar mit seinen beiden Enkeln auf schreckliche Weise ermordet. Der Mörder, ein Ägypter, wurde gefasst und von der Polizei zurück an den Tatort gebracht, um den Tathergang zu klären. Kaum tauchte er dort auf, fiel der Mob über ihn her, lynchte ihn und hängte ihn anschließend mit einem Metzgerhaken an einem Strommast auf. Die Polizei stand untätig daneben. Gegen diese wütende Meute traute sie sich nicht vorzugehen. Selbstjustiz ist keine Seltenheit im Libanon – wenn sie auch nicht immer so bestialische Züge annimmt. Dass der libanesische Staat ein sehr schwacher ist, ist bekannt. Aber ich denke, die Behörden müssen sich sehr bald entscheiden, ob sie zumindest versuchen wollen, die Dinge unter ihre Kontrolle zu bringen. Oder ob sie das Land sich selbst überlassen wollen. Denn die Anzeichen mehren sich, dass die Libanesen selbst zu Tat schreiten. Ob es nur um das Wegräumen störender Fahrzeuge geht oder um die Rache an tatsächlichen oder mutmaßlichen Mördern.

 

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Selbst-Disziplin ahoi!

Wir freien Journalisten, Freischreiber und selbstverwalteten Wortschmied-Betriebe jammern ja auch ganz gern mal (ich hab gehört, wir sind nicht die einzigen). Über vieles auch ausführlich, lange und nicht frei von Selbstmitleid (ok, jetzt rede ich nur über mich). Themen? Mannigfaltig: Verfall der Zahlungsmoral, fehlende Selbsthilfegruppen für an Schreibblock leidende Autoren, Mangel an Kinderkrippen für selbstständige Schreiberinnen … ich könnte endlos weiter machen (und, really: wieso sollen derlei Diskussionen Kollegen in der Heimat vorbehalten bleiben?) Zu kurz kommt bei all diesem Gebrumme eindeutig ein wirklich wichtiges Klagefeld: Das Lamentieren über die an jeder Ecke lauernden Attacken auf die Selbstdiziplin des Freiberuflers (kein Boss der uns in den Hintern tritt, wenn wir denselben nicht hochbekommen, etc…). Daher hole ich das lange Versäumte jetzt kurz nach:

Wie soll ein Mensch bei so einem Himmel vor der Haustür anständig arbeiten? Oder konzentriert über Themen-Exposees über Wirtschaftsmodelle des deutschen Einzelhandels in Australien brüten? Genau! Geht gar nicht. Thank god: it’s Friday! Und morgen kommt die allein, nonstop, (fast) ganz um die Welt gesegelte, 16jährige Jessica Watson in Sydney an. Da darf ich dann zum “Hero’s Welcome” (das ist ähnlich dramatisch wie wenn Papst und Obama gleichzeitig herkommen) und wenigstens legal, d.h. von Berufs wegen aufs Meer starren. Danke!    Foto: Julica Jungehülsing

 

 

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Zensiert

Die türkische Datenautobahn erinnert fatal an die türkischen Autobahnen: Dauernd kommt einem etwas rückwärts entgegen. Mit dem Youtube-Verbot können wir nach zwei Jahren dank Yasaktube und ähnlicher Umgehungsstraßen ja einigermaßen leben. Mit der Sperrung aller möglichen kurdischen Seiten kommen wir auch klar, weil alle die Schleichwege kennen. Die PKK-nahe Ajansa Nuceyan a Firate zum Beispiel wechselt einfach die Domain-Endung, wenn sie wieder einmal von den türkischen Gerichten gesperrt wird. Derzeit erreichen wir in der Türkei sie unter www.firatnews.nu, nachdem www.firatnews.com und www.firatnews.eu gesperrt sind (wer letztere Adressen öffnen kann, befindet sich nicht in der Türkei). Gesperrte Zeitungen wie Gündem können wir immerhin mit Proxies wie Ktunnel lesen.

Aber nun bin ich endgültig in der Sackgasse gelandet: Um auf meinem Blog „Türkei-Reporter“ einen „social bookmarking button“ installieren zu können, müsste ich ihn vom Betreiber herunterladen können – und der ist gleich doppelt gesperrt. Zwei Provinzgerichte, in Denizli und in Burdur, haben beschlossen, dass der 30jährige israelische Software-Programmierer Hillel Stoler eine Gefahr für die Türkei darstellt. Warum, das bleibt – wie immer bei diesen Sperrungen – ihr Geheimnis und wird dem Nutzer nicht verraten. Auf die Facebook- und Twitter-Links muss ich also verzichten und bitte die geneigten Leser deshalb darum, meinen Blog manuell weiterzuempfehlen.

 

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Imelda hat es geschafft!

 

 

Über Wahlen auf den Philippinen zu schreiben, hat immer etwas Komisches. Denn sowohl im Senat als auch im Kongress spielt sich dann eine Art Bäumchen-Wechsel-Dich ab. Das südostasiatische Inselreich wird von etwa 200 Familienclans regiert, die vor Generationen ihre Claims abgesteckt haben. Die einen machen in Zuckerrohr, die anderen beuten die Rohstoffe aus, andere dominieren den Medienmarkt. Zwei Dinge haben sie alle gemein: Sie werden unkontrolliert reicher und mächtiger, und sie tummeln sich in der Politik.

Die Liste der Kongressabgeordneten und Senatoren liest sich wie das Who is Who der philippinischen Oligarchie. In der Tat werden Sitze im Unterhaus innerhalb der Familien quasi vererbt. Mitunter entbrennt ein Streit: darf der jüngste Sohn nun oder ist doch die Ehefrau, Schwester oder der Cousin an der Reihe? Letztlich spielt es keine Rolle, wer wann in welcher Kammer sitzt. Die Politik der letzten Jahrzehnte war – mal mehr, mal weniger – von Gier und Eigennutz bestimmt. Familieninteressen kommen vor Landesinteressen, so die Einstellung vieler “Volksvertreter”.

Auch die Wahl vom Montag hat wieder bewiesen, dass die nächste Legislaturperiode im Schatten der Oberen Zehntausend stehen wird. Ganz oben auf der Hitliste des philippinischen Komödienstadls steht der Name Marcos. Denn Imelda hat es geschafft, sie wird ihre Heimatprovinz Ilocos Norte im Kongress vertreten. Ja, genau, es ist die Imelda mit den x-1000 Paar Schuhen, Witwe des Diktators Ferdinand Marcos. 80 Jahre ist sie inzwischen, und reichlich irre. Um das Schöne zu vertreten, wolle sie wieder in die Politik, kündigte die frühere First Lady an. Das kann sie nun tun, den loyalen Marcos-Wählern sei Dank. Sie hievten auch Tochter Imee auf den Gouverneurssessel und Sohn Ferdinan Jr. in den Senat.

Imelda kann künftig mit einer Dame im Kongress plauschen, deren früherer Wohnsitz ebenfalls der Präsidentenpalast Malacanang war. Gloria Macapagal Arroyo, noch amtierende Staatschefin, hat vorgesorgt. Um nicht im Nachhinein von Korruptionsklagen belästigt zu werden – ihre Regierungszeit war eine Aneinanderreihung von Skandalen – hat sie sich per Abgeordnetenmandat Immunität besorgt. Ganz schön schlau, Madame President.

Und Sohn Ferdinand Marcos Jr ist im Senat ebenfalls in bester Gesellschaft: “Bongbong” Estrada, Sprößling des wegen Bereicherung im Amt zu lebenslanger Haft verurteilten (und gleich darauf begnadigten) Expräsidenten Joseph “Erap” Estrada, hat es locker ins Oberhaus geschafft. Vater “Erap” spielt derweil die Rolle der beleidigten Leberwurst; im Rennen ums höchste Amt belegte der verurteilte ExPräsi nur Platz zwei.

Selber schuld, mag man im Westen denken. Warum wählen diese Philippiner Leute, die sie nachher ausbeuten? Die Antwort ist einfach: Weil sie keine Wahl haben. Vom Kreuzchen an der richtigen Stelle hängt der Arbeitsplatz, das Stipendium für die begabte Tochter oder die Verlängerung des Kredits ab. Leute, die sich dem lokalen Oligarchen gegenüber nicht loyal zeigen, bekommt das zu spüren.

Wer aber soll den südostasiatischen Archipel nun regieren? Wer kann die Korruption minimieren, wenn schon nicht völlig unterbinden? Wer bringt echte Hilfe für die mehr als 30 Millionen Philippiner auf den Weg, die unterhalb der Armutsgrenze leben? Der Mann, der’s richten soll, heißt Benigno “Noynoy” Aquino. Der 50-Jährige mit dem braven Seitenscheitel hat einen Rekordsieg eingefahren, mehr als 40 Prozent der Stimmberechtigten wählten ihn ins höchste Amt.

Man ahnt es schon, auch “Noynoy” kommt aus bestem Haus. Seine Mutter, Corazon Aquino, wurde Präsidentin, nachdem sie als Anführerin der People-Power-Revolution Imelda samt Gatten ins Exil verjagt hatte. Sein Vater, Benigno “Ninoy” Aquino, hätte es werden können, wenn er nicht von Schergen des verhassten Marcos-Regimes erschossen worden wäre. Die Aquinos sind anders, glaubt man daher auf den Philippinen. Sie hätten wirklich die Interessen der Armen im Sinn, hoffen die Wähler. Der Name Aquino steht für Aufrichtigkeit und Anstand. Wenn das am Ende der Amtszeit in sechs Jahren auch noch so sein sollte, dann hätten die Philippiner ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel endlich mal an der richtigen Stelle gemacht.

 

 

  

 

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Ausrufungszeichen wie Wurfspieße

Haben Sie sich in diesen Tagen beim Blick auf die Insel und das dortige Wahlchaos wieder einmal gefragt: Was haben die Briten eigentlich für ein Problem?  Mit ihrer Etikettenexzentrik. Dem Traditionsfanatismus, Nachmittagstee, Tweedanzug mit Einstecktüchlein und Essig auf fettigen Pommes, Gurkensandwich und Linksverkehr? Ja, kichern Sie ruhig! Zumindest mich bringt die britische Exzentrik längst nicht mehr aus der Fassung. Im Grunde kann ich die Queen sogar verstehen, wenn sie lieber kleine, runde Eiswürfel in ihrem Gin Tonic wünscht, weil sie das Geräusch der eckigen stört! Und dass Gordon Brown bei der Queen um Erlaubnis nach einem Wahltermin fragen musste, weil Premiers das so seit Ewigkeiten tun, ist doch ganz putzig! Wie sie sehen habe ich mich perfekt in dem Wahnsinn made in britain eingefunden. Nur die Presse, oder wie man in diesen Wahltagen besser hätte sagen sollen: die bis zu den zähnen bewaffneten Medientruppen haben mich dann doch ein wenig aus dem Konzept gebracht. Sun, Mirror und Co. lieferten sich bleierne Grabenkämpfe vom allerfeinsten. Hier wurde scharf geschossen mit zermürbenden Headlines, Ausrufungszeichen wurden zu Wurfspießen, Worte zu Todesurteilen, oder zu Heiligsprechungen (die Sun unterstützt die Tories, der Daily Mirror steht zu Labour).

Ganz furchtbar charmant forderte so zum Beispiel die Sun Gordon Brown auf, endlich die Biege zu machen und präsentierte ihn auf ihrem Aufmacher als heimatlosen, anscheinend verwirrten Hausbesetzer: „Ein 59jähriger Mann besetzte ein elegantes Haus ganz in der Nähe der Houses of Parliament. Er weigerte sich das Gebäude zu verlassen, um seinen rechtmäßigen, neuen Mieter (David Cameron) reinzulassen..“ Dazu dieses Foto:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Mirror dagegen rasselte schon vor Wochen mit den Säbeln und schob eine Anti-Konservativen-Kampagne an, die schließlich kurz vor den Wahlen in einer seitenlangen, ultimativen Wahl-Gebrauchsanweisung mündete: Unter dem Motto „How to Stop him“ wurden für Leser sämtliche Kombinationen herausgearbeitet, was man in welchem Bezirk ankreuzen müsse, um in keiner Tory-Regierung zu enden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Realitv fein raus war der Lib.Dem-Chef Nick Clegg. Ihm wurde nach seinem telegenen Superauftritt während der TV-Duelle gleich der Obama-Wunderheiler-Titel verpasst, samt der jetzt schon ikonischen blau-roten Obama-Gesicht-Grafik, mit der man von nun an anscheinend jeden etwas über den Tellerrand hinausdenkenden Politiker blau und rot einfärben wird:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wie gföhrlich isch Schwyzertütsch?

Gföhrlich? Naja, en Westschweizer Parlamentarier hät neulich sinngmäss gseit, das Schwyzertütsch oder vielmeh de vmehrti Gebruch vo Schwitzer Mundart es Probläm seg, wil die Schwitzer, wo das nüd chönnt, also d’ Romands und d’ Tessiner, nümä drus chömet, was di meinet, wo Schwyzerdütsch schwätzet. Somit seget die, wo nüt Schwyzerdütsch chönnt, usgeschlosse von denne, wo ebbe Mundart schnurret. Daher sig’s Schyzertütsch hüt es nationals Problem.

Ein Riss geht durch die Schweiz, der sogenannte Röstigraben. Das heisst, eigentlich gibt es den schon seit langem, nämlich seit dem Bestehen der Schweiz: Der Röstigraben, so heisst die Sprachgrenze, die die Deutschschweiz vom Welschland, also von den französischsprachigen Schweizern – auch Romands genannt – trennt.

Das Leiden der Westschweizer am Schwyzertütsch ist nichts Neues. Und eigentlich können die Welschen dem neutralen (deutschen) Beobachter auch Leid tun. Da mühen sie sich jahrelang in der Schule damit ab, ein einigermassen passables Deutsch zu lernen und kaum wollen oder müssen sie es im Kontakt mit ihren Deutschschweizer Landsleuten anwenden, so fliegt ihnen eine der zahlreichen Varianten vom Schwyzertütsch um die Ohren. Frustrierend für Jean oder Pierre, denn Reto und Urs reden nun mal grundsätzlich lieber in ihrer Muttersprache und die hat mit der Sprache Schillers, der den Schweizern immerhin zu ihrem Nationalhelden Tell verhalf, nun nicht viel zu tun.

Meine Westschweizerische Schwiegermutter, die seit Jahren im Thurgau lebt und deutsch mit deutlich französischem Akzent spricht, würde vermutlich – wenn sie denn nur wollte – inzwischen perfekt Schweizerdeutsch reden, weigert sich aber beharrlich: “Diese Barbarensprache lerne isch nischt.”

Das Schweizerdeutsch als unverständliche Halskrankheit bereitet also nicht nur dem gemeinen Gerd aus Gelsenkirchen, der zugereist ist und nun sein Geld in Franken verdient Probleme, sondern auch der grössten Sprachminderheit im eignen Land.

Es ist ein helvetisches Paradox: Die erste Landessprache Deutsch gilt für keinen Eidgenossen als Muttersprache, sondern für die Welschen wie auch für die Deutschschweizer als Fremdsprache. Und nicht wenige Deutschschweizer, die wiederum jahrelang Französisch gepaukt haben, versuchen, das Französische partout zu vermeiden. Oder noch schlimmer: Sie müssen sich, wie im Fall meines Deutschschweizerischen Schwiegervaters auf Familienfesten in der Westschweiz wegen schlechter Aussprache und kleinen Fehlern von der welschen Verwandtschaft auch noch auslachen lassen.

Glücklicherweise führen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede im Schmelztiegel Schweiz nicht zu jugoslawischen Verhältnissen, sondern allenfalls zu Debatten in den Feuilletons, wie erst kürzlich von dem oben erwähnten welschen Nationalrat (Parlamentarier), der eben fürchtet, dass Erstarken der Deutschschweizer Dialekte ein nationales Problem sei.

Das spätestens seit dem letzten Weltkrieg erstarkte Schweizerdeutsch ist sicher auch eine Art geistiger Teil der Landesverteidigung gegenüber dem “grossen Kanton” im Norden und heute auch gegenüber den vielen Gerds und Jürgens, die es seit längerem schon in die Schweiz zieht.

Ein wirkliches Problem aber ist das Schweizerdeutsche nicht. Wenn’s drauf ankommt, haben sich die Eidgenossen noch immer verstanden – notfalls reden Westschweizer und Deutschschweizer halt Englisch miteinander.

 

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Siegen als nationale Idee

In 3 Tagen tobt der Bär, das offizielle Russland feiert mal wieder den Sieg über den Hitlerfaschismus. Und Boris Gryslow, Fraktionsvorsitzender der Putin-Partei „Einiges Russland“, spricht aus, was die übrigen Russen eigentlich schon längst hätten begreifen müssen:

„Es ist unmöglich, dass wir nicht siegen – ob auf dem Schlachtfeld oder im sportlichen Wettstreit… Die Siege kommen unbedingt, weil wir Russland sind. Weil Erster sein unsere Nationalidee ist. Sie braucht man nicht weiter zu erklären. Sie ist für jeden verständlich. Wir sind Anführer! Vorwärts Russland!“

Also lieber Rest der Welt, holt schon mal die weißen Fahnen raus, Gryslow und seine Einheitsrussen räumen demnächst alles ab: Winter- und Sommerolympiaden, Formel Eins und Championsligue, den III. und den VI. Weltkrieg… Was zitierbare Peinlichkeit angeht, ist Boris Gryslow  schon jetzt unschlagbar.

                                           

                                           

 

           Dieses Ölgemälde zeigt den Schöpfer der neuen russischen Nationalidee in würdiger Pose… 

 

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Westergaard und das ZDF

Da hat das ZDF Kurt Westergaard mal wieder eine schöne Möglichkeit gegeben, sich in Szene zu setzen. Eigentlich sollte der Zeichner, der für die berühmteste der so genannten Mohammedkarikaturen steht, gestern abend im ZDF in der Talkshow Markus Lanz interviewt werden, doch das Gespräch wurde dann wieder aus dem Programmplan gestrichen. Begründung des ZDF: Das Thema eignet sich nicht für eine Unterhaltungsshow. Klingt überzeugend. Doch inoffiziell sollen Vertreter des Senders gesagt haben, man habe Angst um die Sicherheit der Mitarbeiter. Selbstzensur, ruft deshalb Westergaard. Jeder Journalist weiß es, Themen werden immer mal wieder gestrichen, weil sie doch nicht passen. Da ich nicht weiß, was der wirkliche Beweggrund des ZDF war, will ich nicht zu der Zensurfrage Stellung nehmen, aber das es bei einer Absage aus welchem Grund auch immer zu einer solchen Diskussion kommen würde, hätte sich das ZDF denken können. Und die Markus Lanz Show wird wohl nicht erst ganz plötzlich zur Unterhaltungsshow mutiert sein, von daher hätte es von vorneherein klar sein können, dass das Interview nicht passt. Aber die Diskussion, die die Absage provoziert hat, zeigt mal wieder, wie angespannt alle bei diesem Thema noch sind. Einer sachlichen Diskussion ist das nicht wirklich dienlich. Die Zuschauer des ZDF sagen hier ihre Meinung.

 

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Bild des Wochenendes aus Paris

“So was kann nur einer Frau passieren”, sagte mein Freund und ich hätte ihn beinahe etwas gegen den Kopf geknallt. Was war da, im Bild, passiert? Die Geschichte zum Foto lautet: Beim Rathaus in Paris ist eine Tiefgarage um die Ecke. Nur wo geht es rein? Eine Autofahrerin hatte den Metro-Eingang mit der Einfahrt in die Parkgarage verwechselt. Die Feuerwehr musste dann anrücken und das Auto von der Treppe heben. Ich denke mal, dass dieser Parkversuch der Dame ein Vermögen gekostet hat.

Übrigens: ich will hier nun bitte keine blöden Kommentare à la Frauen und Autofahren lesen. Würden wir als Beifahrerinnen nicht ständig aufpassen, wo die Herren hinfahren, hätten wir solche Feuerwehreinsätze täglich.

Foto: Claudia Fessler

 

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Ein Rotwein, wie gemacht für die Revolution

Heute, am 1. Mai, habe ich eine Gewerkschaftsversammlung besucht und bin mit zwei Flaschen Wein nach Hause gekommen. Aufgerufen hatte die Gewerkschaft CNT unter dem Motto „Wann explodiert die Wut?“, mit Aufklebern, in deren Mitte das bekannte anarchistische A im Kreis prangte. Die CNT, Confederación National de Trabajo, war zwischen den Weltkriegen eine mächtige Massenbewegung, in der sich zeitweise 80 Prozent aller katalanischen Industriearbeiter organisierten. Dass die Anarchisten im Sommer 1936, zu Beginn des Spanischen Bürgerkrieges, Barcelona „regieren“ konnten, war wesentlich der Schlagkraft der CNT zu verdanken.

Nach mehr als 30 Jahren unter Franco (die CNT war natürlich verboten) und mehr als 30 Jahren Demokratie ist von der früheren Massenbewegung nicht mehr viel übrig – aus Gründen, die ich hier nicht näher erläutern brauche. Zur Versammlung in einer ehemaligen Autofabrik (mittlerweile ein Stadtteil-Zentrum) kamen etwa 150 Leute. Es handelte sich um einen wichtigen Termin im Jubiläumsjahr, denn die CNT wurde vor genau 100 Jahren gegründet. Die Gewerkschafter auf dem Podium blickten zurück in die Geschichte und hofften ausdrücklich, mit der aktuellen Krise möge sich ein revolutionärer Generalstreik nähern. Im Hintergrund des Saales gab es Bücher zu kaufen, T-Shirts, Buttons, die jüngste Ausgabe der Verbandszeitung „Solidaridad Obrera“ (Arbeiter-Solidarität), und: Wein! Nicht irgendeinen, sondern den offiziellen Jubiläumswein zum 100. Geburtstag der CNT. Ich muss sagen, dass mir das hübsche Zwei-Flaschen-Kistchen (Rioja Crianza 2005) inmitten der Reden, der Leute, der revolutionären Literatur sehr merkwürdig vorkam. Ich fragte nach. Nein, sagte die Frau am Stand bedauernd, der Wein stamme leider nicht aus einem anarcho-syndikalistisch bewirtschafteten Weinbaubtrieb; er sei lediglich von kundigen Gewerkschaftern ausgewählt worden. Nachdem ich einen Blick auf das Etikett, insbesondere die Rückseite, geworfen hatte, musste ich einfach zugreifen. Irgendwie dekadent, irgendwie aber auch folgerichtig, diese kleine Edition guter Tropfen nach 100 Jahren aufrechten Scheiterns am System. Ich erspare mir weitere Ausführungen und lasse abschließend den Wein für sich selbst sprechen, gemäß Etikett (und gemäß einer improvisierten Übersetzung):

‘Dieser Wein wurde hergestellt, um die ersten 100 Jahre des widerstandsfähigen und eigensinnigen Anarcho-Syndikalismus-(Wein)Stocks zu feiern. Der Wein beweist aufs Neue dessen Qualität und damit die Gültigkeit jener Ideale, denen sich die CNT ursprünglich verdankt.

Der Weinstock wurde vor hundert Jahren mithilfe anarchistischer Wurzeln gepflanzt, die man zuvor aus libertären und utopischen Traditionen ausgewählt hatte und die im Herzen des Proletariats sprießen sollten. Dort erreichte die CNT, dank Kameradschaft und direkter Aktion, ihre höchste Ausdruckskraft als Werkzeug der Revolte. Dieser Wein „Centenario“ beschwört durch seine rubinrote und zugleich tiefschwarze Farbe mit Anklängen von Grün und Violett eine Sehnsucht nach gesellschaftlicher Umwälzung, während sein Aroma von sozialer Revolution und sein lang andauernder Abgang in die Zukunft weisen, mit aller Kraft und Hoffnung derjenigen, die vor 100 Jahren dieses poetische Abenteuer in die Wege leiteten, um für ein wahrhaft menschliches Zusammenleben zu kämpfen.’

 

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EIN FOTO UND KAUM TEXT

Ihre Retter nennen sie MILA, die Liebevolle. Mila ist ein Straßenhund. 4500 gibt es in der Zwemillionenstadt Belgrad.

Jeden Tag saß sie vor einem Supermarkt, wedelte mit dem Schwanz, spielte mit den Kindern. Die Nachbarn haben sie gefüttert. Dann verschwand sie. Gefunden wurde sie neben einem Müllcontainer. Der unbekannte Täter hat Mila alle vier Pfoten bei lebendigem Leibe abgeschnitten. Sie überlebte und liegt jetzt in einer Tierarztpraxis. Wenn keine Komplikationen auftreten, soll sie in einer deutschen Tierklinik Prothesen bekommen. Nach dem Täter wird noch immer gesucht.

Selten hat ein Foto die Nation so berührt wie dieses. Erstmals demonstrierten Tierschützer direkt vor dem Parlament und forderten sofortige Änderung der laschen Tierschutzgesetze. Wer ein Tier mit Benzin übergießt und verbrennt, erhält eine Minimalstraße. Die Täter werden selten gemeldet und gefunden.

Über Mila wird nun täglich berichtet, die Öffentlichkeit ist empört. Das Magazin VREME zitiert eine amerikanische Studie, die besagt, dass in den US-Familien, in denen Misshandlungen an der Tagesordnung sind, auch 88% der Haustiere getötet werden. Eine solche Studie hat Serbien nicht. Nur ein paar spärliche Daten: im letzten Jahr haben 32 Frauen die Gewalt ihrer Männer nicht überlebt. Über die Kindesmisshandlungen wird kaum geredet.

Die offene Gewalt ist Alltag in Serbien. In der Reihenfolge der Opfer stehen Tiere an letzter Stelle.

 

 

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What is Person 1’s race?

 

YOUR RESPONSE IS REQUIRED BY LAW! Das steht auf dem großen Umschlag, den ich Ende März im Briefkasten finde. Darin: Die Unterlagen zum „United States Census 2010“. Schon seit Wochen werben Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und minutenlange Fernsehspots für die Teilnahme an Amerikas Volkszählung. Alle zehn Jahre wird sie durchgeführt – eine gewaltige Aktion, die 870 000 Aushilfskräfte beschäftigt. Kein Wunder, bei mehr als 300 Millionen Einwohnern.

Anders als in Deutschland gibt es in den USA kein Meldewesen und keinen Personalausweis. Sich bei einer Behörde zu registrieren, widerstrebt freiheitsliebenden Amerikanern. Auch wenn das im Alltag Schwierigkeiten mit sich bringt und man beim Handykauf zum Nachweis des Wohnortes die eigenartigsten Dokumente vorlegen muss. Zum Beispiel die Gasrechnung.

Grundlage der Bevölkerungsstatistik ist der Zensus, und Bundesregierung, Bundesstaaten und Städte machen Werbung dafür. Aber nicht nur, weil sie wissen wollen, wie viele Leute wo leben. Auf Basis der Zählergebnisse werden Subventionen für Straßen, Krankenhäuser und Schulen vergeben, und so hat jede Gebietskörperschaft ein Interesse daran, möglichst hohe Einwohnerzahlen zu präsentieren. Das aber ist gar nicht so einfach.

Während Indonesien durch Mehrfachzählungen offenbar eine statistische Bevölkerungsexplosion bevorsteht (siehe Blog vom 26. April), werden in den USA vor allem Großstädte systematisch unterzählt – weil dort überdurchschnittlich viele Einwanderer leben, legale und illegale. Die sind zwar ebenfalls zur Teilnahme verpflichtet. Viele verstehen aber nicht, wozu das gut sein soll. Und die Illegalen haben Angst, dass nach Ausfüllen des Fragebogens plötzlich die Polizei vor der Tür steht, auch wenn das Amt für Statistik schwört, es gebe die Angaben nicht weiter.

Die Beteiligung der Immigranten am Zensus ist in den US-Medien ein großes Thema. Worüber hingegen überhaupt nicht diskutiert wird, ist der Datenschutz. Das hat mich überrascht, denn ich kann mich noch gut erinnern, was 1987 bei der Volkszählung in Deutschland los war. Es gab Demonstrationen und Boykottaufrufe. Eine meiner Freundinnen weigerte sich so lange, den Bogen auszufüllen, bis ihr ein hohes Bußgeld angedroht wurde.

Der amerikanische Staat will aber auch nicht soviel wissen wie der deutsche. Nachdem ich den Brief geöffnet und das hellblaue Formular überflogen habe, stelle ich fest, dass ich – im Fragebogen „Person 1“ – nur acht Fragen beantworten muss, und von denen sind die meisten banal – Name, Familienstand, Geschlecht, Geburtsdatum. Nicht mal der Beruf interessiert, geschweige denn das Einkommen. Dafür aber – die Herkunft. „Is Person 1 of Hispanic, Latino, or Spanish origin?“ „What is Person 1’s race?“ Eine Flut von Alternativen wird angeboten: Asian Indian, Alaska Native, Chinese, Korean, Vietnamese, Native Hawaiian, Guamanian or Chamorro, Samoan, Other Pacific Islander… White natürlich auch. Und für den Fall, dass sich jemand nicht repräsentiert fühlt, gibt es „some other race“.

Man ahnt, dass einige Bezeichnungen Gegenstand langer Diskussionen gewesen sind. Die Rubrik für Schwarze etwa heißt „Black, African American or Negro“. Neger? Einige Zeitungen haben empört beim Statistikamt nachgefragt, weshalb ein so veralteter und rassistisch belasteter Begriff verwendet wird. Die Behörde rechtfertigte sich damit, dass viele ältere Schwarze sich selbst noch so bezeichnen würden. Das Unverständnis über diese Erklärung war so groß, dass der Begriff beim nächsten Zensus wohl endlich gestrichen wird. 

Auch der Präsident muss den Fragebogen ausfüllen. Da Obama einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter hat und in Hawaii geboren ist, hat er bei der Herkunft mehrere Optionen, und es interessierte die Medien, wo er sein Kreuzchen macht. Bei ‘Black’, bestätigte schließlich ein Sprecher. 

Zum Schluss kommt die Frage, ob „Person 1“ vorübergehend abwesend sei. Unter den sieben vorgegebenen Gründen lautet einer „In jail or prison“, im Gefängnis. Ich muss erst schmunzeln. Dann aber fällt mir ein, dass jeder fünfte schwarze Mann ohne Collegeabschluss einen Teil seiner Jugend hinter Gittern verbringt. Überhaupt liegt der Anteil der Schwarzen im Gefängnis weit über ihrem Bevölkerungsanteil. Ob daran die Polizei, die Armut oder das Erbe der Sklaverei schuld ist, darüber wird seit Jahren diskutiert, ohne dass sich etwas ändert.

Als ich meinen Bogen ausgefüllt und zur Post getragen habe, komme ich mir sehr staatstragend vor. Obwohl ich kurz versucht bin, den Brief absichtlich zurückzuhalten. Es wurde nämlich angedroht, dass diejenigen, die sich nicht beteiligen, Besuch von Interviewern erhalten. Dann hätte ich noch mehr Material für den Blog gehabt. Aber vielleicht wäre auch keiner gekommen, und dann hätte die Stadt New York wegen der Weltreporter zuwenig Geld aus Washington bekommen. Das wollte ich dann doch nicht riskieren. 

Fotos: US Census Bureau, Pete Souza

 

 

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Kippen, weltweit erstmals ohne Marke

 

Zigarettenpackungen sehen in Australien schon jetzt nicht besonders verlockend aus: Eklige Tumoren, Bilder von sehr mäßig lebendigen Babys an Kanülen

und ähnliche Szenarien zieren den Großteil der Schachteln. Darunter allerdings locken bisher noch Sonne-Sand-und-Meer-Motive nebst Namen wie “Holiday” oder “Longbeach”. Damit soll ab 2012 nun auch Schluss sein. Die Regierung hat gerade angekündigt, dass in Australien künftig nur noch die ersten markenfreien Packungen der Welt verkauft werden dürfen. Die heißen dann statt “Marlbo…dingens” nur noch schnöde “25 Cigarettes”. Der Firmenname bzw. die Marke ist noch unten irgendwo im Kleingedruckten in 4-einhalbpunkt-Schrift erlaubt. Sieht ein bisschen aus wie Medizin das ganze, finde ich. Unkomisch.  

Australiens rigide Anti-Smoke-Kampagnen gehen damit noch einen Schritt weiter. Kein Wunder, denn sie sind ausgesprochen erfolgreich: Rauchten 1988 noch 30 Prozent aller Australier waren es 2007 nur noch 16,6 (In Deutschland paffen noch 27 Prozent). Und wer hier unten mal süchtig war (wie ich früher), weiß, dass die Aktionen wahrhaft wirken. Es raucht nicht nur kaum wer, weil es vielerorts schlicht verboten ist, es gilt auch dort wo es erlaubt ist als absolut unlässig und uncool. Wer dennoch pafft, wird im angenehmeren Fall mitleidig und bedauernd angesehen, im nicht so netten Fall als lästiges Übel. Bin gespannt, wie sich die künftig logo-leeren Schachteln auswirken. Die Regierung hofft, dass 2018 nur noch 10 Prozent aller Aussies paffen.

Nebenbei will Australien 5 Mrd $ mehr an Steuergeldern einnehmen, denn teurer wird Rauchwerk nämlich auch (heute abend schon mal um 20 Prozent). Das Gesundheitsministerium träumt von 20-$-Packungen (14 €), das Extrageld soll helfen die Gesundheitsreform zu finanzieren und u.a. den leidenden Krankenhäusern zugute kommen.

 

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Blühendes Wunder

 

An meiner Wahlheimat Holland habe ich nach 20 Jahren einiges auszusetzen und die rosarote Brille längst abgesetzt. Aber jedes Jahr im Frühling um diese Zeit verliebe ich mich wieder hemmungsvoll in dieses Land. Dazu reicht eine Zugfahrt vom Leiden nach Haarlem und ein Blick aus dem Fenster über die blühenden Felder der Blumenzwiebelregion: Die gesamte Landschaft gleicht einem gigantischen Mondriangemälde. Gelbe, rote und blaue Blumenbahnen aus Tulpen, Narzissen oder Hyazinthen so weit das Auge reicht….angesichts dieses hinreissenden Farbenrausches muss man einfach kapitulieren!

Als Korrespondentin habe ich es natürlich nicht beim Anschauen belassen, inzwischen weiss ich eine Menge über die Blumenzwiebelzucht, insbesondere über die Tulpe. Ist sie doch nicht nur Hollands Nationalsymbol, sondern auch noch eine erfolgreiche Immigrantin mit einer überaus steilen Karriere: Im botanischen Garten der alten Rembrandtstadt Leiden bohrte sie sich erstmals durch europäischen Boden, allerdings lange bevor Rembrandt geboren wurde, nämlich schon 1594.

Ursprünglich stammt die Tulpe aus Kazachstan. Über die Türkei gelangte sie nach Europa. Ihr Mäzen hiess Carolus Clusius, auch „Erasmus der Botanik“ genannt. Er war Ende des 16. Jahrhunderts in Leiden Aufseher des Hortus Botanicus. Clusius verkörperte das Idealbild des Gelehrten aus der Renaissance: hungrig nach Wissen, ein besessener Sammler, ständig kreuz und quer durch Europa auf Pflanzenjagd.

Die ersten Tulpenzwiebeln bestellte er beim Botschafter des österreichischen Kaisers in der Türkei, Ogier Ghislan de Busbec, einem Flamen. Der hatte sich in seinen Briefen immer wieder bewundernd über jene geheimnisvolle Blume ausgelassen, die von den Osmanen wie ein Kleinod behandelt wurde und auch den Sultan so bezauberte, dass er regelmässig rauschende Tulpenparties hielt.

Auch die ersten Tulpen im Leidener Hortus Botanicus wurden 1594 wie ein Weltwunder gefeiert und von den Schaulustigen fast zertrampelt. Aus der anfänglichen Begeisterung wurde schnell Besessenheit: Die so genannte Tulpenraserei begann, eine Zeit, in der ein einziger ‚bol’, wie die Zwiebel auf niederländisch heisst, bis zu 13.000 Gulden einbrachte, umgerechnet 6.000 Euro  – genausoviel wie Rembrandt für sein Haus an der Jodenbreestraat gezahlt hatte, das heutige Rembrandthaus. Der Tulpenhandel wurde Big Business: Reiche-Leute-Söhne schmückten mit dem vergänglichen Juwel das Décolleté ihrer Geliebten. Es war teurer als ein Diamant. Da das Angebot bei weitem nicht der Nachfrage entsprach, wurden bollen zum beliebtesten Spekulationsobjekt. Einer der wenigen, der einen kühlen Kopf bewahrte, war der Maler Jan Brueghel der Jüngere: Auf seiner Persiflage einer Zwiebelauktion stellte er alle Beiteiligten als Affen dar.

Als der Markt am 6. Februar 1637 einstürzte, gehörte auch sein Kollege, der Landschaftsmaler Jan van Goyen zu den Opfern. Noch Jahre nach seinem Tod wurden seine Witwe und die Kinder von seinen Gläubigern verfolgt. Dieser 6. Februar 1637 ging als erster Börsenkrach der Welt in die Geschichte ein.

 Der Beliebtheit der Tulpe allerdings konnte dies keinen Abbruch tun. Dafür sorgten der schon damals sprichwörtliche Handelsgeist der Niederländer – und der durchlässige Sandboden zwischen Haarlem und Leiden, auf dem es der Tulpe ausserordentlich gut gefiel. Wieder wurde sie big business – jetzt als Massenprodukt: Jedes Jahr überrollen die Niederländer die Welt mit 10 Milliarden bollen. Inzwischen taucht die Tulpe als Nationalsymbol im Logo niederländischer Banken und Fluggesellschaften auf. Firmen benennen sich nach ihr, und nicht umsonst bekam Altfussballer Ruud Gullit in Italien den Beinamen „Schwarze Tulpe“. Willig liess sie alles mit sich anstellen, sei es mit gefülltem Blütenkelch oder mehrfarbig gestreift im Fransenlook.

 900 verschiedene Tulpensorten gibt es inzwischen, allein dieses Jahr werden rund 20 neue Sorten auf den Markt gebracht, darunter die Papageientulpe Irene Parrot, eine Wuschelkopf-“Punktulpe” mit fransigen Rändern. Den Tulpenzüchtern ist es sogar gelungen, die Zahl ihrer Chromosomen von 24 auf 48 zu verdoppeln. Bei diesen Sorten fällt alles doppelt so stark und kräftig aus.

 Allerdings müssen Tulpenfreunde immer noch 25 Jahre warten, bis eine neue Sorte in der Blumenvase steht. Allein 20 Jahre dauert es, bis sie veredelt ist und einen Namen bekommen hat. Ausserdem hat die Tulpe im Gegensatz zu den meisten anderen Blumen eine Jugendphase von bis zu 5 Jahren. Erst dann blüht sie zum ersten Mal. In den ersten 5 Jahren sieht man überhaupt nichts, da wird die Geduld  der Züchter auf eine harte Probe gestellt.

 Auch der Name fällt am Ende meistens anders aus als erwartet: Von zehn fallen neun weg, weil sie schon besetzt sind oder zu ähnlich klingen. Dieses Jahr ist eine Tulpe auf den Markt gekommen, die eigentlich “Alexandra of Denmark” heissen sollte, doch das ging nicht, die Alexandra war schon besetzt. Jetzt heisst sie nur noch “Denmark”- obwohl sie rot-gelb ausgefallen ist und nicht rot-weiss.

 

 

 

 

 

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Für mich bitte nur weiße Mohnblüten

Am Sonntag wollte ich morgens nicht aus dem Bett. Es lag unter anderem daran, dass es jetzt noch bis um sieben Uhr dunkel ist und der Winter ins Land kriecht.  Aber vor allem sprach gegen diesen seltsam ungemütlichen Tag: Es war Anzac Day. Am Anzac Day gedenkt der Kiwi seiner Gefallenen und isst speziell für den Anlass gebackene Kekse, die kokosraspelhaltigen Anzac Cookies. Der eingewanderte Deutsche dagegen zieht sich die Decke über den Kopf und wünscht, er wäre unsichtbar.

Alle Jahre wieder läuft der Countdown, und zwar schon Tage und Wochen vorher: Sonderbeilagen, Magazin-Cover, Fernsehdokumentationen. Helden und Victoria-Kreuze überall. Orden werden poliert. Vor dem Supermarkt steht eine ältere Dame, die einem eine rote Mohnblüte aus Papier zum Anstecken verkaufen will, gegen eine kleine Spende für die Truppen. Rein zufällig schaltet die neuseeländische Armee halbseitige Anzeigen, um neue Mitarbeiter für den Geheimdienst zu rekrutieren.

Das ganze Prozedere dreht sich um die Dardanellen-Schlacht im Jahre 1915 auf einem Felsen in der Türkei: Gallipoli. Dort hat sich das „Australian New Zealand Army Corps“ erstmals im Kampf bewährt, auch wenn der Kampf übel ausging, denn die Briten überließen ihre Stiefkinder vom unteren Ende der Welt einfach den Türken und machten sich aus dem Staub. Jedes Schulkind in Australien und Neuseeland kennt Gallipoli, auch wenn es kaum weiß, wo die Türkei liegt, geschweige denn, wer Atatürk war. Aber in Gallipoli entstand erstmalig das  große Wir-Gefühl. Der Beginn einer Nation: Wir sind wer, nicht nur Mutter England. Zusammengeschweißt durch den Tod.

In Gallipoli starben 2721 Kiwis, die als Kanonenfutter für ihre Königin im fernen Großbritannien gegen den Feind aus dem noch ferneren Deutschland ins Feld zogen. Empire befiehl, wir folgen! Schön dumm. Aber es ging ja „um die Freiheit“. Und wenn es um die Freiheit geht, ist jeder, der dafür stirbt, automatisch ein Held. Das sind die Spielregeln. Wer in Stalingrad gekämpft und viel Grausigeres als die Türkenschlacht erlebt hat, kann also niemals ein Held sein. Spielverderber, die das hinterfragen, bleiben besser zuhause, wenn früh in der Dämmerung am 25. April allerorts Gedenkfeiern abgehalten werden.

So bekamen auch die Erfinder der weißen Mohnblüte zum Anstecken Riesenärger. Friedensaktivisten haben sich erstmalig diese Aktion ausgedacht, um damit  aller Opfer sämtlicher Kriege zu gedenken. Das kam nicht gut an, vor allem nicht, wenn die Anzac-Paraden in Militär-Shows ausarten und schweres Geschütz aufgefahren wird. Ein Armee-Hubschrauber, der für diesen Anlass über der Menge herumfliegen sollte, stürzte am Sonntag ab, drei Soldaten starben. Eine nationale Tragödie. Vielleicht liegt es an mir, und ganz sicher daran, dass ich Deutsche bin – aber offensichtlich bin ich so ziemlich die einzige weit und breit, die das kritiklose Bejubeln von Waffen, von Schlachten, von Soldaten befremdet.

Ich war ganz überrascht, als mich am Sonntag dann doch noch jemand anrief und mich zu einem spontanen Abendessen einlud. Vielleicht hatte da jemand ganz vergessen, wo ich eigentlich herkomme.

 

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Volkszählung auf Indonesisch oder: Wie werden wir größter als die USA?

Gestern Mittag stand unser Blockwart (den gibt es in Indonesien tatsächlich noch) vor der Tür und stellte uns unseren Volkszähler vor, ein freiwilliger Helfer des Staates – vermutlich ein Student, der sein Taschengeld aufbessern will. Seit Wochen kündigen alle Medien im Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt den großen Zensus an, der den ganzen Monat Mai lang stattfinden soll und appellieren dabei an Bürgerpflicht und das Nationalbewusstsein, um die Bevölkerung zur Beteiligung zu motivieren.

Also waren wir eigentlich darauf vorbereitet, dass auch wir gezählt werden sollen – allerdings nicht vor unserer Haustür. Denn so einfach, wie es sich die Volkszähler offensichtlich machen wollen, funktioniert das indonesische Meldesystem leider nicht. Als Ausländerin mit einer indonesischen Arbeitsgenehmigung muss ich im Büro meines offiziellen Arbeitgebers gemeldet sein und dieses befindet sich in Ostjakarta. Dass ich nicht im Büro übernachte und privat auch noch eine andere Adresse habe, müsste zwar eigentlich jedem Beamten klar sein, interessiert aber offiziell nicht. Also werde ich – bzw. die Kopie meiner indonesischen Meldebestätigung – unter der Büroadresse zum ersten Mal gezählt. Zum zweiten Mal  werde ich, wie es nun scheint, als Mitbewohnerin meines Ehemannes unter dessen Wohnadresse registriert. Damit aber noch nicht genug: Da mein Mann wie die meisten Indonesier nicht an seiner Wohnadresse, sondern in seinem Heimatdorf gemeldet ist, wird er dort noch einmal erfasst – sowie ich eventuell sogar ein drittes Mal als Mitglied der dort ansässigen Großfamilie.

Viele Indonesier lösen das nationale Meldedilemma, indem sie sich einfach an jeder Adresse einen Ausweis zulegen (mit so genanntem Zigarettengeld ist das meist kein größeres Problem), also werden diese wohl auch automatisch mehrmals gezählt. Auf der anderen Seite gibt es jede Menge Bewohner dieses Landes, die aus eben jenen Zigarettengeldgründen überhaupt keinen Ausweis oder offiziellen Wohnort besitzen – ob diese wohl auch von einem freiwilligen Studenten erfasst werden?

Wie auch immer: Indonesiens Bevölkerungszahl liegt bereits nicht mehr weit hinter den USA. Bei der momentanen Erfassungsmethode dürfte es trotz jahrzehntelanger Bemühungen der Familienplanungsbehörde nicht mehr lange dauern, bis die Indonesier zum drittgrößten Volk der Welt aufsteigen.

 

 

 

 

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Knatsch, Kommerz und Königskinder

Wenige Wochen vor der Traumhochzeit der schwedischen Kronprinzessin Victoria mit ihrem Fitnesstrainer Daniel Westling am 19. Juni wird das Königshaus von bösen Schlagzeilen erschüttert: Prinzessin Madeleine hat ihre Verlobung mit dem Anwalt Jonas Bergström aufgelöst. Die beiden hätten sich nach reiflicher Überlegung entschieden, künftig getrennte Wege zu gehen, teilte das Königshaus in dürren Worten auf seiner Webseite mit. Und sprach zugleich einen Tadel für die Medienzunft aus: Die „extreme Berichterstattung“ der letzten Tage sei alles andere als hilfreich gewesen.

Gerüchte von Untreue wucherten in den schwedischen Redaktionen seit geraumer Weile. Doch erst als im norwegischen Boulevardblatt Se og Hør eine junge Norwegerin ihre angebliche Affäre mit dem schneidigen Anwalt hinausposaunte, war auch in Schweden kein Halten mehr. Erst spekulierte das royale Sturmgeschütz Svensk Damtidning, ohnehin im Kreuzfeuer, weil man erst die geschützte Personalnummer der Kronprinzessin preisgab und dann auch noch die Königin an Alzheimer erkranken ließ. Später stiegen auch vergleichbar seriöse Blätter wie Expressen oder Aftonbladet in die „Madde-Afäre“ ein.

Der Medienanalytiker Olle Lidbom wundert sich im Medienmagazin Medierna  über die ungewöhnlich grellen Schlagzeilen. Denn anders als etwa in Dänemark und Norwegen, wo viel Persönliches berichtet wird, hielten schwedische Blätter bislang vergleichbar höfliche Distanz zu den Bernadottes. „Für die Abendzeitungen war es ein bedeutsamer Schritt, mit so harten Bandagen gegen den Hof vorzugehen. Man warf einmal im Jahr pflichtschuldig die Frage auf, wohin die Apanage floss. Aber im Übrigen war man stets sehr untertänig. Dies hier ist ein echter Paradigmenwechsel.“

Auch Jan Helin griff zu. Mit Widerwillen, wie der Chefredakteur von Aftonbladet treuherzig versichert. Dafür aber seitenlang und in Farbe: „Unsere Berichte haben mir keine Freude bereitet. Aber die Geschichte hat eine Relevanz, schließlich geht es um die Thronfolge. Allerdings wurden hier auch Persönlichkeitsrechte berührt. Und da hat man die Grenze ganz klar verschoben. Schwer vorstellbar, dass es bei künftigen Geschichten aus der Königsfamilie mehr Zurückhaltung gibt.’

Nun ist die Prinzessin nach New York entfleucht, um Abstand zu gewinnen. Die Preise auf dem Bildmarkt steigen, die Papparazzi lauern.  Und vor dem wuchtigen Schloss im Herzen Stockholms trauert Sten Hedman den guten alten Zeiten nach. Den erfahrenen Hofreporter kann in diesem Leben kaum noch etwas aus der Ruhe bringen: „Man wartet, bis die Norweger vorlegen. Dann hat man ein Alibi, um die Geschichte abzubrennen. Früher war das anders. Wir Älteren erinnern uns an die Liebesgeschichte von Prinz Bertil und seiner Liljan. Das wussten alle. Und haben doch still gehalten.  Aus Loyalität zum Prinzen. Aber heute geht es doch in erster Linie ums Geschäft.“

 

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Drachentöter gegen Untermensch

Oder Harley Davidson gegen Lada Niwa

Am krassesten war der Typ neulich, auf der Harley-Davidson. In der Abenddämmerung auf der Strecke Petersburg–Moskau. Bei Twer, keine 160 Kilometer vor Moskau, dort wo die Trasse endlich durchgehend vierspurig wird, blinkte es heftig hinter mir. Was ich nicht weiter beachtetete, da ich hinter einem Schwerlaster hing, der einen anderen überholte. Als ich beide passiert hatte, flog rechts ein Motorrad vorbei, eine Harley-Davidson. Zog nach links, schnitt mich, bremste vor mir, der lederverpackte Fahrer zückte den behandschuhten Mittelfinger. Offenbar war er erbost, dass ich sein Signal ignoriert, und mich nicht in Luft aufgelöst hatte. Jetzt blockierte er die Fahrbahn vor mir, bremste mich aus, zeigte Richtung Straßengraben: Da gehörst du hin! Dass das Visier seines Schutzhelmes nicht vor der Wut dahinter platzte, war erstaunlich.

 Der Typ kochte weniger, weil ihn ein Autofahrer nicht vorbeigelassen hatte. Sondern weil dieser Fahrer in einem Lada Niwa saß. Einem schmutzigen kleinen Jeep sowjetischer Bauart, mit lausigen 1,7 Kubikmetern Hubraum. Wer sich in einem Lada Niwaso Moskau, der Stadt der Milliardäre nähert, braucht gute Nerven. Der Lada Niwa gilt dort als Auto des russischen Kolchosbauernschaft, billig, PS-Arm, langsam, ein Landstreicher auf Rädern. Und je näher man Moskau kommt, umso seltener werden diese Parias, umso teurer, schnittiger und rasanter rollt Kfz-Russland auf. Ob ein vaterländischer Samara, oder jede beliebige Ausländer, Renault, Cayenne-Porsche, oder Hummer, der Niwa hat jedem zu weichen, nach der ungeschriebenen Grundregel allen moskowitischen Verkehrs: „Der Stärkere hat Vorfahrt.“ Im Niwa passiert es mir immer wieder, dass Mercedes- oder Toyota-Fahrer mich schneiden, ausbremsen, mir drohen, weil ich mich angesichts ihres Anflugs von hinten nicht schnell genug an den Straßenrand gedrückt habe. Erfreulich, dass noch keiner mit Messer oder Gaspistole auf mich losgegangen ist, mit denen Verkehrsteilnehmer in Moskau und Umgebung ihre Meinungsverschiedenheiten immer öfters austragen.

Der Harley-Reiter thronte inzwischen fast auf meiner Kühlerhaube, winkte weiter Richtung Straßengraben, wurde immer langsamer, 60, 50, 45, ließ mich aber nicht vorbei. Ich musste mehrmals bremsen, um den Idioten nicht zu touchieren.

Vielleicht hockte da das Söhnchen oder der kleine Bruder eines russischen Topunternehmers auf dem Motorradsitz, oder noch schlimmer, eines Moskauer Topbeamten. Der „Goldenen Jugend“, einer jener „Unberührbaren“, wie die Presse sie nennt, weil sie im Straßenverkehr auch schwangere Frauen totfahren dürfen, ohne dafür nur ein Strafmandat zu kassieren. Vielleicht auch ein Jungkarrierist, der vom Land stammte, und den eigenen Vater dafür hasste, dass der noch immer Lada Niwa fuhr. Und jetzt vor Wut platzte, weil ein anderer Lada-Niwa seinen mit einer 20.000 Dollar teuren Harley-Davidson besiegelten sozialen Aufstieg ignorierte. Auf jeden Fall einer, der mich in meinem Niwa für einen Untermenschen und sich selbst für einen Drachentöter hielt.  

40 km/h. Ich drückte statt aufs Gaspedal auf die Hupe, ließ sie nicht mehr los. Der Zweiratritter vor mir tobte, zog nach links, ließ mich herankommen, trat mit voller Wucht gegen meinen Kotflügel. Und traf. Ich sah sein Gesicht nicht, aber sein Körper krümmte sich, sein Krad geriet ins Schlingern. Er hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass seine italienischen Motorradstiefel und seine halbgöttlichen Zehen darin weniger hart sein würden, als das nicht mehr ganz rostfreie Stahl meines Niwas. Schmerzhaft belehrt gab der Flegel Vollgas und flog davon. Ein kleiner Sieg für Lada-Niwa und die russische Autoindustrie.

In Russland sterben jährlich 30.000 Menschen im Straßenverkehr, 10 mal soviel wie in Deutschland. Die Rate wäre noch höher, wenn die offiziellen Statistiker die Opfer mitzählen würden, die nicht am Unfallort, sondern erst im Krankenhaus ihren Verletzungen erliegen.

 

 

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Nordisches Atomidyll

Die Finnen sind anders. Sauna, Trockner und Heizung bullern im Winter auf Hochtouren. Unmengen Energie verschlingen auch Zellstoffabriken, Stahlhütten und Chemiewerke. Der benötigte Strom soll – allen technologischen und finanziellen Risiken zum Trotz – zukünftig verstärkt durch Kernspaltung entstehen. Nicht einmal die finnischen Grünen wagen es, deswegen auf die Barrikade zu gehen. Sie bringen das Kunststück fertig, an der Regierung beteiligt zu sein und zugleich den Atomkurs des Ministerpräsidenten Matti Vanhanen heftig zu kritisieren.

Menschenketten gegen den drohenden Atomtod wird es auch im Nachbarland Schweden sobald nicht wieder geben. Obwohl sich Solveig Ternström (72) und Eva Selin Lindgren (73) nichts sehnlicher wünschen. Vor drei Jahrzehnten malten die Schauspielerin und die Kernphysikerin Protestplakate und sammelten Unterschriften für den Atomausstieg. Heute sitzen die beiden für die Zentrumspartei im schwedischen Reichstag. Ausgerechnet das bäuerliche Zentrum, lange Jahre eine feste Bastion der Kernkraftgegner,  ebnete im Vorjahr den Weg für den „Energiekompromiss“ der bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition. Im Gegenzug für neue Atommeiler ließ sich die Zentrums-Chefin und Wirtschaftsministerin  Maud Olofsson das Versprechen geben, künftig mehr Geld für erneuerbare Energien wie die Windkraft locker zu machen.

Ihre eigene Fraktion hatte die forsche Vorsitzende während einer Dienstreise in Straßburg regelrecht überrumpelt. In einer Telefonkonferenz wurde den Abgeordneten beschieden, sie müssten der Einigung im Interesse des Koalitionsfriedens ihren Segen geben. Dabei gärt es an der Basis gewaltig: Austritte häufen sich. Auch in der Wählergunst erlitt die Partei in Umfragen massive Einbußen, sie liegt nur knapp oberhalb der Vier-Prozent-Hürde. In hunderten Briefen, E-Mails und Telefonanrufen sprachen enttäuschte Zentrums-Anhänger den Revoluzzern Mut zu.

Die sollen noch vor der Sommerpause im Parlament fürt den Neubau von Atommeilern stimmen. Doch sie weigern sich. Nicht ausgeschlossen, dass sich weitere Abgeordnete ihrem Protest gegen den Atomkonsens anschließen. Vier Gegenstimmen aus dem bürgerlichen Lager würden theoretisch reichen, um das Gesetz zu kippen. Als Schauspielerin ist Solveig Ternström für jede dramaturgische Zuspitzung empfänglich: Sie werde mit Nein stimmen, versichert die Schwedin trotzig – selbst wenn sie dabei in den Lauf einer Pistole blicken müsste.

 

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The volcano nobody can pronounce

Mit Gewitterblitzen, Magmaklumpen und Rauchfontänen kommt der isländische Vulkan Eyjafjallajökull zu seinem pyroklastischen Höhepunkt. Am Tage malerisch eingerahmt von den kreisenden Hubschraubern der Networks, in der Nacht von Polarlichtern aus dem Sonnenwind. Die Asche, so berichten die leidgeprüften Insulaner, macht zunehmend Mensch und Tier zu schaffen: Der feinkörnige toxische Staub liegt auf Wiesen und Äckern, dringt durch Ritzen und Spalten in die Häuser ein, bedeckt die Möbel, reizt Augen und Atemwege.  Nachdem sich überraschend der Wind drehte, wurde am Freitag der Flughafen Kevlavik geschlossen – ohne übertriebene Vorwarnung ausreisewilliger Besucher.

Meine Kollegen von Print, Funk und Fernsehen sind dennoch mit viel Glück von der Insel gekommen. Sie erzählen haarsträubende Geschichten von amerikanischen Kollegen, die sich wagemutig auf den feurigen Gletscher absetzen lassen, wo sie sich heldenhaft neben dem  Höllenschlund in Szene setzen. Derweil geht die Sprachverwirrung weiter. Die meisten angelsächsischen Kollegen, so lässt CNN verlauten, haben das Bemühen aufgegeben, den isländischen Namen des Vulkans korrekt auszusprechen. Zugegeben, ein schlimmer Zungenbrecher. Nun ist meist nur noch vom „Vulkan“ die Rede. Denkbar wäre auch die sybillinische Abkürzung: TVNCP (siehe oben).

 

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Jedem, der in Ruhe zu Mittag essen will, versaue ich es. Dafür will ich mich jetzt einmal entschuldigen

Gestern schon wieder. Ich sitze im Borgo Pio, diesem schönen Sträßchen zu Füßen des Vatikan und esse draußen auf der Straße einen Happen zu Mittag. Das Lokal kann ich nur empfehlen, Sie erkennen es daran, dass ein dicker ältererer Mann mit dicker Hornbrille kocht, und eine Frau das Essen serviert, die, um es höflich zu sagen, ihrem Ehemann sehr ähnlich sieht. Hier gehen die Römer zum Mittagessen, keine spendierfreudigen Urlauber. Und deshalb wird das Lokal – meist! – auch von den Straßenmusikanten verschont, die es zu tausenden nach Rom zu ziehen scheint – die Menge der Lieder steigt genauso dramatisch, wie deren Güte nachlässt. Um es noch einmal zu sagen: Viele, die in diesem Lokal sitzen, sind froh einen Ort zu haben, in dem sie ohne Akkordeonmusik essen können. Doch dann komme ich ins Spiel – oder besser gesagt, meine Haare.

 

Denn ich versaue allen das ruhige Mittagessen, weil ich blond bin. Ich ziehe sämtliche Straßenmusiker Roms an, da ich aussehe, wie ein einfaches Opfer. Wie eine Katze eine Maus schon daran erkennt, dass etwas kleines sehr schnell über den Teppich rast, so erkennen dank meiner Haare tumbe Straßenmusikanten, verschlagene Taxifahrer und gemeine Pizzamacher auf den ersten Blick in mir sofort den Trottel.  

Gestern also: Drei Akkordeonspieler gingen durch den Borgo Pio, und schienen zunächst gar nicht das Lokal der dicken, bebrillten Familie zu beachten – sie wissen eben auch, dass es hier nichts zu holen gibt, da hier keine Touristen sitzen. Doch da sahen sie mich und begannen, zu spielen. (Ich weiß nicht, welches Lied, aber es sind sowieso immer die gleichen.) Ich wusste sofort, dass nur ich es war, für den sie spielten. Beschämt aus den Spaghetti aufschauend, sagte ich zu meinen Kollegen „scusate“ und dass es meine Schuld wäre. Die Akkordeonspieler sahen das offenbar genauso: Kaum hatten sie ihre letzten Töne beendet, machten sie sich gar nicht die Mühe, zu den anderen Tischen zu gehen, sondern strebten unmittelbar auf mich zu. Andere Gäste schienen mich auffordernd anzuschauen: „Wenn einer was geben muss, dann Du! Du bist doch blond, wegen Dir haben die doch angefangen, zu spielen.“ Also erfüllte ich meine Pflicht und gab 50 Cent.  

Sie können diese Geschichte nehmen und mit 365 multiplizieren, dann wissen Sie ungefähr wie oft mir dies oder ähnliches im Jahr passiert. Und das, obwohl ich mich doch so bemühe, ein Römer zu werden: Ich biege über duchgezogene Linien in Einbahnstraßen ab, ich trinke Espresso, nicht Cappuccino, nach dem Essen, ich versuche, stets zu telefonieren, wenn ich auf die Straße gehe – hilft aber alles nichts. Ich muss wohl meinen Frieden damit machen, dass meine blonden Haare wie ein Magnet alles anziehen, was blond mit „doof, Touri mit viel Geld, leichtes Opfer“ assoziiert.  

Alle Freunden und Kollegen kann ich nur herzlich bitten, weiter mit mir essen oder spazieren zu gehen – ich übernehme die Entlohnung aller Straßenhändler und –musikanten und ich zahle gerne die merkwürdigen Zuschläge zum Kaffee und zu Taxifahrten – ich bin schuld, ich bin ja blond.

 

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Korruption in Afghanistan oder: Gemüsesuppe ohne Gemüse

Viele meiner Leser wissen vermutlich nicht, dass ich schon vor Beginn der Medienkrise meine Geschäftsbasis diversifiziert habe. Sprich: Ich bin Partnerin im Kabuler Restaurant ‘Sufi’,

das wir 2004 gegründet haben. Das ist eine schöne Sache und macht Spaß, ist aber auch nicht ohne Schwierigkeiten – vor allem wenn die Inhaber längere Zeit nicht da sind. So mancher Manager ist schon mit den Einnahmen eines guten Abends auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

 

Gestern jedoch mussten wir feststellen, dass die Korruption in Afghanistan ungeahnte Ausmaße angenommen hat. Wir bestellten abends als Vorspeise eine Gemüsesuppe (Persisch’ ‘Shorba-e-tarkari’) doch was uns der Kellner servierte war eine klare Brühe. Wir blickten uns ratlos an. ‘Wo ist das Gemüse’, fragten wir den Mann, der peinlich berührt zu Boden schaute. Wir schickten ihn in die Küche zurück, damit er die Brühe um die übliche Einlage (Karoffeln, Karotten und Koriandergrün) ergänze.

Es war noch recht früh am Abend und das Restaurant war nicht voll. Eigentlich hätte man den Auftrag in wenigen Minuten erledigen können, doch es dauerte 20 Minuten bis der Kellner zurückkam. In der Suppe schwammen einige winzige Stückchen Kartoffeln und man schmeckte deutlich, dass diese nicht in der Brühe gekocht worden waren, sondern in Wasser. Deshalb hatte es so lange gedauert.

Nun wurde es uns zu bunt. Wir riefen den Oberkellner, der etwas beschämt an unseren Tisch trat. Er druckste rum. Schließlich rückte er mit der Wahrheit raus: ‘Das Gemüse hat der Koch selbst gegessen.’ Wir mussten laut lachen. Warum sollte es uns anders ergehen als den internationalen Geldgebern mit der Regierung Karzai. Man muss seinen Leuten schon regelmäßig auf die Finger schauen wenn man ein schmackhaftes Mahl serviert bekommen will.

 

 

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Wo die Ehrlichkeit zu Hause ist

Schon mal versucht, einen Tisch in einem Café an einer belebten Einkaufsstraße mit einem demonstrativ darauf abgelegten Handy freizuhalten? Nee, oder? Ist ja auch ‘ne bekloppte Idee, denn während man sich an der Theke seinen Espresso holt, findet das Handy einen neuen Besitzer. So ist das jedenfalls in den Ländern, die ich bisher bereist habe. Egal ob in Europa, Asien oder den USA. In Tokio hingegen ist eine solch laxe Art der Tischreservierung kein Problem. Niemand würde sich an dem fremden Handy vergreifen. Die Japaner, so scheint es, verdienten den Nobelpreis für Anstand und Ehrlichkeit.

 Heute früh’ hatte ich wieder so einen Aha-Moment: Während ich mich mit einer Bekannten unterhielt, tippt mir ein junger Japaner auf die Schulter. Ob mir das Geld gehöre, dass hinter mir auf der Straße liegt, fragte er. Die 2.000 Yen, knapp 16 Euro, gehörten mir nicht und auch sonst war niemand in der Nähe, der Geld vermisste.

 Dann solle er es eben nehmen, schließlich habe er es gefunden, schlug ich dem Japaner vor. Der hob nur abwehrend die Hände, und meinte: “Nein, das gehört mir doch nicht.” Meine Freundin und ich haben schließlich jeweils einen 1000-Yen-Schein mit nach Hause genommen als Erinnerung an eine sehr japanische Begebenheit. Meiner hängt jetzt am Kühlschrank zwischen Einkaufszetteln und Notizen mit Schulterminen. Ist doch klasse, oft auf etwas zu schauen, das einem das Gastland so sympathisch macht.    

 

 

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Globalisierung (Fortsetzung)

Der Gerechtigkeit wegen sei erzaehlt, dass Globalisierung nicht nur muerrisch (siehe Teil 1), sondern auch Spass machen kann. Naemlich dann, wenn die 23jaehrige Shari Chopra aus Duesseldorf nach einer Zwischenstation in Namibia im aegyptischen El Gouna am Roten Meer das kleine Restaurant ‘Le Garage – Gourmet Burger’ eroeffnet und mir heute dort den besten Burger meines Lebens servierte. Blauschimmelkaese, Walnuesse und Weintrauben auf einem Fleisch, das offensichtlich im Hamburger-Himmel gegrillt wurde. Dabei sind Burger ueberhaupt nicht mein Ding!

Das alles nebst Salat und French Fries war jeden einzelnen Piaster der umgerechnet 11 Euro wert. Leute, fuer die Hamburger ein Statussymbol sind, finden auf der Karte ‘The Golden One’ fuer umgerechnet 40 Euro: Wagyu-Rindfleisch, Foie Gras, Carpaccio aus schwarzen Sommertrueffeln plus obendrauf essbares 22-karaetiges Blattgold. Fuer den dekadenten Gesamteindruck bietet sich der Blick an auf die Luxusjachten im Hafenbecken zehn Meter vor den Tischen. Kellner, Koeche wie Chefin des ‘Le Garage’ tragen schwarze bzw. blaue Automechaniker-Overalls.

Vom Hafen zum Ortskern fuhr ich mit einem jener original pakistanischen Busse, die in El Gouna wegen ihres schrillen Bollywood-Designs angeschafft wurden, vorbei an einer Aussenstelle der Technischen Universitaet Berlin.

Nachtrag zu den Vulkan-Gestrandeten: Gestern auf der Promenade in Hurghada eine Szene der Verzweifelung. Ein deutsches Touristenpaar fuehlt sich von den aegyptischen Souvenirverkaeufern genervt, die einen dort auf Schritt & Tritt anquatschen. Ploetzlich schreit die Frau einem von ihnen auf deutsch ins Gesicht: ‘Wir warten hier nur auf unser Flugzeug! Wir wollen NICHTS … MEHR… KAUFEN!’ Offensichtlich gibt es Orte, die findet man nur ganz nett, solange man zu jeder Zeit auch weg koennte. (Liebe Esther, vielen Dank fuer den wunderbaren Thomas-Mann-Vergleich, zu hoeren auf RBB radioeins hier ab Sekunde 37.)

 

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Gestrandet in Beirut

Wenn man als Tourist seinen Beirutaufenthalt zwangsweise verlängern muss, dann denkt in Deutschland gleich jeder: Da ist wieder eine Bombe hochgegangen, der Bürgerkrieg ausgebrochen oder die Israelis haben sich an der Hisbollah gerächt. Doch weit gefehlt! Meine Freunde aus Deutschland, die mich für eine Woche besuchen wollten, verbringen nun schon den vierten Tag unfreuwillig im Zedernstaat und lernen ihn besser kennen, als sie gehofft hatten.

Neue Museen werden aufgetan, im Strandclub frischen sie nun schon den zweiten Tag lang ihre Bräune auf – und natürlich genießen sie die libanesische Küche. Nur die 85jährige Mutter in Deutschland, die sehnlich auf die Rückkehr ihrer beiden Töchter wartet und sich Sorgen macht, weil Beirut ja schließlich grundsätzlich so ein gefährliches Pflaster ist, kann es nicht begreifen: Es ist der Vulkanausbruch auf Island, der an allem Schuld ist. Und einmal nicht die chaotischen Araber oder moslemischen Terroristen, wie das Vorurteil im Westen nahe legen würde. Hier geht das Leben seinen gewohnten Gang und meine lieben Freunde erfahren von den gastfreundlichen Libanesen eine besonders aufmerksame Behandlung – sind sie doch schließlich Opfer einer unverschuldeten Notlage. Und mit so was kennen sich die Libanesen aus!

 

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Merci!

Die Fakten zum Bild: in Paris gibt es 200000 Hunde und 70 Reinigungskräfte, die Hundekot weg machen sollen. Nehmen wir also mal an, dass jeder Hund mindestens 4 mal pro Tag ähem, Sie wissen schon, dann kann man sich ausrechnen, dass dieser Kampf nie zu gewinnen ist. Denn: 16 Tonnen Exkremente werden täglich auf den Trottoirs verteilt. Jedes Jahr müssen 650 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden, weil sie auf der Kacke ausrutschen.

Dewegen ist es sehr nett, dass dieser Mitbürger aus meinem Arrondissement diesen Hinweis auf das Trottoir legte. Ich sah nämlich nur das Schild und nicht den Rest und sage: Merci!

Foto: Markert, Paris

 

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Auf zum Vulkan

„Ein Zeitfenster!“, schnauft der schreibende Kollege im Nebenraum. Hektik bricht aus: In Windeseile wird mit dem Flughafen telefoniert, ein Taxi bestellt. Vorher noch schnell nach Hause und dort den Koffer mit Zahnbürste, festem Schuhwerk und Pullover bepackt: Die Aschewolke über Stockholm hat sich vorübergehend gelichtet, das Flugverbot am Luftkreuz Arlanda wurde für ein paar Stunden gelockert  – am Nachmittag soll die erste Maschine seit Tagen nach Reykjavik gehen. Neidisch sehe ich den Kollegen enteilen – mich selbst halten andere Geschichten in Stockholm fest.

Wer es einrichten kann, macht sich spätestens jetzt auf dem Weg zum Vulkanschlot am Eyjafjallajökull. Ein Großteil der Maschinen bleibt auch heute am Boden. Niemand weiß, wie lange die Route nach Island noch offen bleibt.  Und niemand hat Gewissheit, wie und wann er von der Insel wieder herunterkommt.

Wer sich erfolgreich durchgeschlagen hat, wie der schwedische TV-Reporter Per Anders Engler, dem gelingen eindrucksvolle Bilder aus der Schwefelwolke. Der Schafsbauer Runar Grimarsson aus dem Weiler Saudhusvöllor zu Füßen des Gletschers bleibt auch im Angesicht der Naturgewalten noch stoisch gelassen. Nur bei seinen Pferden ist kein Halten mehr als sich der Wind nach Süden dreht.

 

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Vulkan in Nahbildern

Island kommt nicht aus den Schlagzeilen. Erst Bankenkollaps und Wirtschaftskrise, nun Vulkanausbruch. Ich war bis Anfang April auf der Insel und flog eine gute Woche vor dem zweiten Ausbruch wieder weg. Daher gibt es jetzt hier keine Live-Berichte, aber das können die Experten aus Island ja visuell besorgen. Dort startete der örtliche metereologische Dienst einen Überwachungsflug und brachte ein paar Bilder von der Aschewolke mit, die auf der Website des Dienstes zu sehen sind.

Meine isländischen Bekannten aus Reykjavík berichten, dass das tägliche Leben in der Hauptstadt trotz allem seinen gewohnten Gang ginge. Wer sich vom Bankenkollaps nicht aus der Ruhe bringen lässt, der kommt auch wegen eines Vulkanausbruchs nicht aus dem Tritt. Aber natürlich sei der Ausbruch ein großes Thema und auch in Reykjavík zu spüren: die Benzinpreise seien gestiegen.

 

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Die Politik der Erdbebenhilfe

Mindestens 1700 Menschen sind vergangene Woche beim Erdbeben in der westchinesischen Provinz Qinghai ums Leben gekommen. Die Hoffnungen, dass man jetzt in den Trümmern der Stadt Jiegu noch Überlebende finden könnte, schwinden rapide.

 Die Region um Jiegu ist überwiegend von Tibetern bewohnt – die Rettungs- und Bergungsarbeiten seitens des chinesischen Militärs und der Zentralregierung sind daher ein sensibles Thema. In der New York Times tauchten am Sonntag Vorwürfen auf, China würde den Einsatz seiner Soldaten zu Propagandazwecken mißbrauchen. Bei Bergungsarbeiten seien buddhistische Mönche von Soldaten zur Seite gedrängt worden, damit man die Uniformierten TV-wirksam filmen konnten, wie sie Überlebende aus den Trümmern ziehen. Mönche klagten, dass sie von Soldaten sogar abgehalten wurden, bei den Bergungsarbeiten zu helfen. In den chinesischen Medien sind sowieso vor allem PLA-Soldaten zu sehen. Die Rolle der Mönche kommt so gut wie nicht vor.

 Wie es tatsächlich vor Ort aussieht, ist schwer abzuschätzen. Vielleicht will man mit der Propaganda-Offensive auch nur der Kritik von 2008 zuvorkommen. Nach dem Erdbeben von Sichuan hatte es Vorwürfe gehagelt, die Rettungsarbeiten seien zu schleppend angelaufen und zu schlecht organisiert gewesen.

 

Diemal kam nicht nur Ministerpräsident Wen Jiabao. Sogar Präsident Hu Jintao brach seine Lateinamerika-Reise ab und besuchte am Sonntag das Katastrophengebiet. Vor allem ein Bild soll offenbar in Erinnerung bleiben: Wie Hu in einem provisorischen Zelt-Krankenhaus ein verletztes Mädchen umarmt.

 Auf der anderen Seite der Propaganda verheddern sich Tibet-Aktivisten im Begriffsdschungel. Man solle doch endlich aufhören, das Erdbebengebiet als „West-China“ oder „Qinghai“ zu bezeichnen, appelliert „Students for a Free Tibet“ an internationale Medien. Es handele sich in Wirklichkeit um Teile der einstigen tibetischen Provinz Kham. Ob das hilft?

 Bei aller berechtigten Kritik an China und seiner Tibet-Politik. Namensstreitigkeiten sind derzeit sicherlich das letzte, woran die Menschen in Jiegu denken. Für differenziertere Kommentare zur politischen Bedeutung der Erdbebenhilfe sei daher das Interview mit Tibet-Experte Robbie Barnett in  Le Monde empfohlen. Auch er sieht großes Konfliktpotential. Aber, sagt er, die Menschen in Jiegu hatten in den vergangenen Jahren relativ gute Beziehungen zu den chinesischen Behoerden. Jetzt kommt es darauf an, ob man beim Wiederaufbau auf die kulturellen Eigenheiten der Region eingehen wird.

 

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Papa, was ist eigentlich Globalisation?

Nun, mein Junge, es heisst Globalisierung, und Globalisierung ist, wenn in Island ein Vulkan ausbricht, und ich hier in Afrika kein Hotelzimmer finde, weil massenweise Urlauber nicht in ihre Heimatlaender reisen koennen. Deren Rueckfluege wurden naemlich gestrichen.

Die Hotelbetreiber in Hurghada, wo ich heute zwangsweise eintraf, weil ich was recherchieren muss, also diese Hotelbetreiber in dieser Pauschaltouristenhoelle sagen ihren Gaesten, sie sollten nun selber sehen, wo sie bleiben, weil man den Touristen, die aus Russland jetzt ankommen, ihre gebuchten Zimmer nicht verweigern koenne. Deren Fluege wurden ja nicht gestrichen.

So fuehrt der Vulkanausbruch auf Island zu einem Touristenstau in Afrika. Und zu einer Preisexplosion bei den Zimmerpreisen, denn dieselben Hotelbetreiber haben angesichts der zwangsgestiegenen Nachfrage flugs die Raten um schaetzungsweise 30 Prozent erhoeht, gepriesen seien die Naturgewalten. Man kann also sagen, dass mein Geldbeutel in Afrika duenner wird, wenn auf Island ein Vulkan ausbricht. Das ist Globalisierung – oder besser die noch etwas unausgereifte Beta-Version davon.

Ganz zu schweigen davon, dass ich diesen Blogeintrag hier im Internetcafe nahezu blind auf einem kyrillischen Keyboard schreibe.

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