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Von Beirut nach Belloc

„Sie sind aber neu hier!“, begrüßt mich die Besitzerin der Reinigung in Saint Girons als ich meine schmutzigen Gardinen bei ihr auf den Tresen lege. Dass ich neu zugezogen bin, weiß sie, weil dies die einzige chemische Reinigung im Umkreis von 20 Kilometern ist. Da kennt man seine Kunden. Als ich ihr erzähle, ich sei gerade aus Beirut nach Betchat gezogen, lacht sie schallend. „Wie sind sie denn auf die Idee gekommen??? So etwas habe ich ja noch nie gehört!“ Dass sie mich nicht gleich als verrückt bezeichnet hat, ist auch alles. In der Midi de la France sind die Menschen sympathisch direkt.

Die Gegensätze könnten drastischer nicht sein: Dort Beirut, diese lärmende Millionen-Metropole mit ihren täglichen Staus und Stromausfällen. Hier Betchat – oder genauer gesagt der Weiler Belloc, der zur Gemeinde Betchat gehört, mit seinen rund 30 Einwohner, sehr viel mehr Kühen und Ziegen, in beruhigender grüner Hügellandschaft mit Blick auf die französischen Pyreneengipfel.

 

Der Balsam für die von Nahost-Konflikten und Kriegen geschundene Seele entfaltet wohltuende Wirkung. Die Nachbarn Vivianne und Jean-Yves kommen mittags von ihren morgendlichen Streifzügen in den Wäldern vorbei und bringen Körbe voller Pfifferlingen, die sie bereitwillig teilen. Sie helfen gleichsam mit Tipps, wer für was im Dorf zuständig ist, wie das alte Dach unseres nicht minder alten Landhauses (angeblich 1820 erbaut) am besten vom Moos zu befreien ist (eine Aufgabe, die es jeden Sommer zu erledigen gilt!) und wie man die Tomatenstauden im Garten vor tödlichem Pilzbefall schützt. Eine Entdeckungsreise in einem neuen Mikrokosmos beginnt!

Ich fühle mich beschenkt: 24 Stunden Strom, 7/7, funktionierendes Internet in vergleichsweise rasender Geschwindigkeit, Straßen, auf denen man sein Ziel in kalkulierbarer Zeit erreicht und der morgendliche frische Duft nach Rosmarin und Lavendel beim Öffnen der grünen Holzfensterläden… Und Toulouse, la ville rose und viertgrößte Stadt Frankreichs, lockt mit Festivals wie „Klaviermusik im Jakobinerkloster“ und Jazznächten. Auch hier gibt es jede Menge Probleme, dennoch fällt langsam jahrelange Anspannung von mir ab.

Nur im Nachbargarten fällt ab und zu ein Schuss. Das ist Jean-Yves mit seinem Jagdgewehr, der seinen ganz persönlichen Krieg gegen die leidigen Maulwürfe führt, die unsere Gärten in Hügellandschaften verwandeln. Von einer Charakterisierung als niedliche, nützliche Tierchen will der ehemalige Flugzeugtechniker nichts wissen. Dabei ist er durchaus ein Tierliebhaber, der die neun jungen Enten in seinem Gartenteich mit Hingabe aufzieht und gegen Bussarde und Steinmarder verteidigt. Ich habe für meine Maulwürfe jetzt eine kleine Wegbeschreibung angefertigt, wie man nach Deutschland kommt. Denn dort stehen sie im Gegensatz zu Frankreich unter Naturschutz.

So richten wir uns langsam ein, in dieser neuen französischen Welt, in der die abendlichen Fernsehnachrichten von der Tour de France und dem verregneten Sommer dominiert werden. Erst danach folgen die weltweite Finanzkrise, das Massaker in Norwegen oder das Blutvergießen in Syrien. Die Wettervorhersage gibt es übrigens beim Fernsehsender TF1 gleich zweimal: Vor und nach den Nachrichten. Menschen und ihre Prioritäten – es bleibt faszinierend und meine Neugier bleibt groß.

 

 

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TV-“Einkauf” auf dem Grünstreifen

Das digitale Zeitalter ist da, und es ist wunderbar! Vor allem in Australien, wo ab 2012 oder 2013 (je nachdem wo man wohnt) nur noch digital TV gesendet wird.

Denn das sorgt für einen Freiluft-Supermarkt, der nicht nur duty free und tax free ist, sondern auch gratis. Wie das funktionieren soll? Wo doch alles teurer wird? Es geht so: Letzte Woche ließ unser Fernseher nach (vor allem rechts glimmert er nur noch rot und das ist nicht politisch gemeint), also muss ein neuer her, doch wieso im Geschäft Gelder zahlen? Wer in Sydney lebt, geht einfach kurz runter auf die Straße und wählt aus: Der kleine Sony vom Grünstreifen gegenüber? Nicht schlecht…. Der LG an der Straßenecke zwei Blocks weiter? Viel zu groß, aber unten an der Ecke Lamrock Street stehen gleich drei TV – zwei davon sogar mit Fernbedienung! Einer ist ein Panadingens, maximal zwei Jahre alt und wird unser neuer Freund für bewegte Bilder und Ton. Sogar die Fernbedienung hat noch Batterien. Wer sagt’s denn.

Grund für derart großzügige Nachbarn sind erwähntes Digitalzeitalter kombiniert mit Australiens nicht existenter Recycling-Politik. Denn, sieh oben, ab nächstem oder übernächstem Jahr bleiben herkömmliche Geräte stumm und schwarz. Also kauft ganz OZ digitale TV wie blöd – Und wirft die alten (bzw auch nicht so alten) Schätze vor die Tür. 7 Millionen Fernseher landen in den nächsten fünf Jahren auf australischen Müllhalden, nur 1 Prozent davon werden recycled. 870 000 davon wandern auf Grünstreifen, weil der Mensch generell faul und recycling ja irgendwie auch lästig ist.

Ein Programm das – schließlich ist das Nahen des Digital-Sehens kein Geheimnis – TV-Recycling gar VOR der Umstellung in Gang bringen sollte, wurde verzögert und soll nun erst in drei Jahren so richtig klappen. Lange nach der Umstellung. Für Leute mit Umweltbewusstsein ein Graus – für Sparfüchse wie mich ideal.

Ich bin sicher, wenn ich mich nächstes Jahre aus digitalen Gründen von meinem neuen Grünstreifen-Freund trennen muss … warten an der Straßenecke gegenüber schon die ersten ausgemusterten Breitwand-Digital-Maschinen der lieben Nachbarn, die auf Superplasma / LED / Apfel-TV oder sonstwas upgraden.
I can’t wait!

 

 

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Mir san net mit dem Radler da

Man stelle sich vor, ein deutsches Fitnesscenter lässt sich was Neues einfallen: Eine Stunde Schenkelklatschen, Augenrollen, Zunge rausstrecken, Stampfen und Brüllen. Das schweißtreibende Programm, angelehnt an die Kriegskunst der Maori, wird clever ‚Haka‘ getauft und als Markenname geschützt. Sollte jemals eine neuseeländische Ureinwohnertruppe oder Rugbymannschaft ihren echten Haka in Deutschland aufführen wollen, handelt sie sich rechtliche Probleme ein und müsste den Kulturexport anders nennen, zum Beispiel abgekürzt ‚IMAMA‘ – ‚Indigener Männerausdruckstanz mit Aggressionspotential‘.

Ja, da rollen sich einem ob solcher Geschäftsgebaren die Fußnägel auf. Und ebenso rollt sich Franz Xaver Kugler in seinem Grab hin und her. Der Münchner Gastronom erschuf nämlich im Jahre 1922 das gute Radler. Seit zehn Jahren wird der Mix aus Limo und Bier, den Briten auch als ‚Shandy‘ ein Begriff, erstmals in Neuseeland angeboten. Von der Getränkefirma DB. ‚Monteith Radler‘ ist zwar kein echtes Radler, da es statt 2,5 volle 5 Prozent Alkohol hat, geht den Kiwis aber gut runter. Und so folgte wenig später eine kleine, exklusive Bio-Brauerei aus dem ländlichen Otago mit ihrem eigenen Produkt, dem ‚Green Man Radler‘.

Was tat der Goliath DB? Zog vor Gericht, um den Namen ‚Radler‘ auf seinen Flaschen zu schützen. Was ungefähr so viel Sinn macht, als wenn ein Pekinger Getränkekonzern den Begriff ‚Merlot‘ für eine rotgefärbte Plörre beanspruchen würde, weil der Großteil der Chinesen mit französischem Rotwein noch nicht so recht vertraut ist. Pech für ‚Green Man‘ und alle traditionsbewussten Bayern: Nach dreijährigem juristischen Ringen fiel jetzt die Entscheidung für das eingetragene Warenzeichen ‚Radler‘ –gegen die Einwände der „Society of Beer Advocats“, kurz SOBA. Das ist ein Zusammenschluss von Neuseelands Liebhabern gut gebrauter Qualitätsbiere. Zumindest mal eine Namensgebung, die perfekt passt, wenn man nicht mehr ganz ‚soba‘ oder ‚sober‘ – also nüchtern – ist.

Seit DB das geistige Eigentum am Radler-Namen beansprucht, nennt ‚Green Man‘ sein Radler pragmatisch-ironisch ‚Cyclist‘. Viel zu befürchten haben die grünen Männer nicht. Zum einen beschäftigen sie einen original deutschen Braumeister aus der Pilsmetropole Plauen. Zum anderen hat ihnen die unsinnige Rechtsentscheidung fässerweise kostenlose Werbung beschert. Denn in hunderten von erbosten Internet-Kommentaren, in Blogs und auf Facebook wird seitdem zum Boykott von DB-Produkten aufgerufen. In Neuseeland tobt der Bierkrieg. Wenn Kiwis eines hassen, dann aggressive Marktpolitik und Geldgier.

Übel sieht es allerdings für jede Flasche aus, die als ‚Radler‘ aus Deutschland in den tiefen Südpazifik importiert wird. Die braucht ab jetzt ein neues Etikett. Angelehnt an einen Kaffeemulti, der den Begriff ‚ Frappuccino® ‘ erschuf, schlage ich ‚Radelle‘ vor. Das kommt aufgrund der femininen Anmutung sicher auch bei der von mir gegründeten „Interessensgruppe inkontinenter Teetrinkerinnen“ (IGITT®) bestens an.

 

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Wovon träumst Du? – Martin Zöller über die Suche der Römer nach den richtigen Lottozahlen

Wenn ich in Rom meine Telefonrechnung zahle, gehe ich in einen “Tabacchaio”, einen dieser Miniläden auf die ein großes weißes „T“ auf blauem Grund hinweist.  Im „Tabacchaio“ kostet es zwar einen Euro Gebühr, Rechnungen zu bezahlen.  Aber immer noch besser als auf der Post aus der man in Rom unter reiner Stunde Wartezeit kaum herauskommt.

Jetzt gab es eine Neuerung in „meinem“ Tabacchaio: Ein Bildschirm hing da, auf der eine digitale Uhr rückwärts zählte. “1:16, 3:15, 3:14, 3:13….” Ein Countdown. Aber für was?”

“Ganz neu”, strahlt der Tabacchaio-Mann, als ich ihn fragend anschaue. “Lotto-Ziehungen alle fünf Minuten.“

“Jetzt gleich auch?” 

Er nickt. 3:00, 2:59, 2:58, 2:57 . Schon habe ich einen Schein in der Hand.  “Bis zu zehn Zahlen“, sagt er.  (Zehn Zahlen aus 90, das ist schon so unwahrscheinlich, dass es schon wieder lustig ist.)

Noch 2:30, 2:29, 2:28. Für die ersten fünf  Zahlen nehme ich Geburtstage aus der Familie, dann bin ich unschlüssig. Der Tabacchaio-Mann fragt: “Was hast Du zuletzt geträumt?” “Was ich geträumt habe? 2:07, 2:06, 2:05. “Warum?” Er zieht ein Buch unter der Ladentheke hervor mit dem Titel “Smorfia Neapolitana: Das Geheimnis der richtigen Zahlen”. Er schlägt es auf: Tausende Wörter, jeweils dahinter eine Zahl. Über die Ladentheke hinweg lese ich:  “Doping-88”, “Rasierschaum-76”, “Nachkriegszeit-54, “Winterstiefel 90”.  „Also wovon hast Du zuletzt geträumt?“

  

Ich überlege: Über Nachkriegszeit, Doping und Winterstiefel sehr lange nicht.  Da fällt mir was ein. “Vorletzte Nacht von Carabinieri”, sage ich. (Ich habe nämlich Angst, kontrolliert zu werden, da ich meinen Fahrzeugschein nicht finde) 1:47, 1:46, 1:45. Er blättert in dem Buch zu “C”, sucht mit seinem Zeigefinger „Carabinieri“ und sagt: “18”. Ich schaue ihn an fragend an, er nickt heftig, ich kreuze die “18” an. Die Zeit läuft: 0:47, 0:46, 0:45, 0:44. “Hatte er eine Uniform an?”, ich nicke, er sagt “60”. “Gab es einen zweiten Carabiniere”, fragt er wieder, ich nicke, ich kreuze “56” an.  Noch 0:23, 0:22, 0:21. Ich beschließe, mich auf acht Zahlen und eine mögliche Gewinnsumme von 20.000 Euro zu beschränken. Der Countdown springt auf 0:00.

Dann ist der größte Spaß vorbei, denn die Ziehung ist so wie alle Lotto-Ziehungen: Spätestens nach der zweiten Zahl, die man nicht hat, eine einzige Enttäuschung. Der Tabacchi-Mann und ich nicken uns zu, er macht “va beh” und schaut mich skeptisch an: „Beh“, sagt er und zuckt mit den Schultern, „offenbar hast Du Dir den Traum nicht gut genug gemerkt.”

Ich habe dann meine Telefonrechnung gezahlt und bin gegangen. In den kommenden zwei Monaten bis zur nächsten Telefonrechnung werde ich sehr genau Buch führen über meine Träume.

 

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Gay und glücklich

In der Food Coop, in der ich immer einkaufen gehe, habe ich einen Lieblingskassierer. Er trägt sein Haar lang und offen und lackiert seine Fingernägel mal rot, mal gold – viel schöner, als ich das jemals könnte. Vergangenen Montag fiel mir auf, dass er ungeheuer müde aussah. „Die Hitze…?“ fragte ich, denn übers Wochenende hatte das Thermometer mit 42 Grad einen Rekordstand erreicht. Er lächelte nachsichtig und sagte: „Viel geschlafen habe ich jedenfalls nicht.“ Ich realisierte, dass ich irgendwas nicht mitbekommen hatte.

 Als ich rausging, fiel es mir ein. Natürlich – während ich übers Wochenende ins kühle Vermont geflohen war, hatte halb New York die Nächte durchgefeiert. Denn hunderte Schwule und Lesben dürften endlich heiraten, nachdem der Senat des Bundesstaates New York im Juni die „Gay Marriage“ legalisiert hatte. Es war ein langer Kampf gewesen. Doch am Ende hatten alle Demokraten dafür gestimmt, mit Ausnahme des 68jährigen Ruben Diaz Senior aus der Bronx, der sagte, das gehe gegen seine religiöse Überzeugung. Obwohl seine Enkelin Erica eine bekennende Lesbe ist und deshalb sogar vom Militär ausgeschlossen wurde.

Doch der ganz überwiegende Teil der Metropole, in der die Schwulenbewegung nach einer brutalen Polizeiaktion in der Christopher Street 1969 ihren Ausgang nahm, ist in Sachen Homosexualität heute selbstverständlich tolerant. An einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt, der High Line, wirbt die Lagerfirma Manhattan Mini Storage mit einem riesigen Plakat, das diese Einstellung auf den Punkt bringt: „Wenn du gegen die Schwulenehe bist, dann heirate eben keinen Schwulen.“ So linksliberal-lakonisch ist, außer vielleicht noch San Francisco, wohl kaum eine Stadt in den USA. Ein anderer Werbespruch der Firma lautet denn auch: „Remember, If You Leave the City, You’ll Have to Live in America“ – Denk dran, wenn du diese Stadt verlässt, musst du in Amerika leben.

Auch vier Republikaner waren von der Parteilinie abgewichen und hatten für das Gesetz gestimmt. Dass dies geschah, ist der umsichtigen Verhandlung des neuen Gouverneurs Andrew Cuomo zu verdanken – sowie hohen Geldspenden für die Abweichler. Unter den Gebern: New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein engagierter Verfechter der Schwulen-Ehe. Er bedachte jeden der vier Republikaner mit 10 300 Dollar, dem zulässigen Höchstbetrag für eine Spende. Das sei Bestechung, denken Sie? In den USA, wo Politiker Wahlkämpfe überwiegend auf Spendenbasis bestreiten und die Einflussnahme von Gebern zum System gehört, wird das anders gesehen: Da klar ist, dass die Senatoren in ländlichen konservativen Gebieten des Bundesstaates Stimmeinbußen bei den nächsten Wahlen zu befürchten haben, erhalten sie Geld, um zum Ausgleich besser Werbung für sich machen zu können. So einfach kann die Welt sein.

Als ich nun gerade auf den Anfang dieses Blog zurückblickte, fragte ich mich übrigens, ob ich meinem Lieblingskassierer furchtbar unrecht getan habe, indem ich ihn wegen seiner mädchenhaften Erscheinung kurzerhand dem Umfeld der Schwulen- und Lesbenszene zugerechnet habe. Womöglich ist der Mann stockkonservativ, oder er wäre beleidigt, weil ich ihn als Mann bezeichnet habe. Als Hetera befürchte ich bei solchen Fragen ständig, ins Fettnäpfchen zu treten, zumal den USA, wo jedwede Diskriminierung tabu ist. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blog. 

Foto: Christine Mattauch

 

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Fastenfeste

Der Ramadan kommt. Bald. Die Askese im islamischen Fastenmonat kündigt sich mit einem Frontalangriff auf alle Sinne an: Restaurants werben jetzt schon mit besonders günstigen Menüs zum Fastenbrechen, Moscheelautsprecher scheppern religiöse Popmusik in den Äther und riesige Plakate preisen die diesjährigen Ramadan-Seifenopern im Fernsehen an. Vor allem Essen wird in diesen Wochen zu einem der wichtigsten Gesprächsthemen der Indonesier genauso wie die Lebensmittelpreise, die wie in jedem Jahr schwindelerregend ansteigen.

Ähnlich wie bei uns an Weihnachten beschleicht einen das Gefühl, dass die Vorbereitungen für die Fastenzeit (oder besser Festzeit?) jedes Jahr ein bisschen früher anfangen und ein bisschen kommerzieller werden. Dazu muss man wissen, dass das Idul-Fitri-Fest am Ende des Ramadan für die Indonesier der wichtigste Feiertag des Jahres ist – anders als in anderen islamischen Ländern, in denen das Opferfest Idul Adha am größten gefeiert wird. Noch bevor das Fasten überhaupt beginnt, sind alle Einkaufszentren mit Ramadan-Dekor geschmückt, ergeht sich die Werbung in Tipps für die beste, feierlichste, gesündeste Art des Fastenbrechens und der Nachwuchs lernt in der Schule oder im Kindergarten die passenden Gebete und Lieder dazu. Mit asketischer Zurückhaltung und religiöser Selbstfindung hat das Ganze meist so wenig zu tun wie die Adventszeit in Deutschland.

Wer dem zu erwarteten Rummel an Idul Fitri entkommen will, sollte früh buchen: Zug- und Flugtickets zu Beginn der landesweiten Ferien am Ende des Ramadan sind einen Monat vorher schon unerschwinglich bis ausverkauft. Wenn die eine Hälfte der 240 Millionen Indonesier (nämlich die Stadtbevölkerung) die andere Hälfte in ihren Heimatregionen besuchen will, bleibt nicht mehr viel Platz – sei es in Bussen, Zügen, Flugzeugen oder Fähren. Wer kein Ticket ergattert, packt seine Lieben ins Auto und drängelt sich oft tagelang über völlig verstopfte Landstraßen bis ins Heimatdorf – nicht selten in einem gemieteten Vehikel, damit die Familie daheim beeindruckt ist vom Erfolg der Fortgezogenen. Dazu gehören natürlich jede Menge Geschenke und natürlich die entsprechende Festtagskleidung.

Um dies alles finanzieren zu können, stürzen sich viele Indonesier im Fastenmonat in immense Unkosten. In keiner anderen Jahreszeit wird so viel eingebrochen, gestohlen und geschmiert. Selbst die Wahrscheinlichkeit, auf der Straße in eine Verkehrskontrolle zu geraten, steigt enorm, je näher Idul Fitri rückt: Auch Polizisten wollen feiern.

Angesichts all dieser Obstakel ist der beste Weg, den Ramadan zu begehen, daher tatsächlich, zu Hause zu bleiben, den Fernseher auszuschalten und: zu fasten. 

 

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Der fatale Pranzo – Jedes römische Mittagessen ist gut, aber hat gravierende Folgen

Seitdem ich in Rom arbeite, stehe ich morgens auf, wie zu Schulzeiten: Spätestens um halb sieben Uhr. Der Grund: Alles, was zumindest ein gutes Dutzend Gehirnzellen in Anspruch nimmt, muss dringend erledigt sein, bevor der Pranzo und dessen Folgen mich bis in den Abend hinein in einen Dämmerzustand versetzen.

 

Der Pranzo ist das ganz normale römische Mittagessen, ein mehrgängiges Mahl mit  garantieren Risiken und Nebenwirkungen: Nach seinem Genuß folgt der Verlust aller Konzentrationsfähigkeit, dann Müdigkeit und Schläfrigkeit, schließlich die sichere Frage: „Was mach ich hier?“ die dann mit „es geht nicht mehr“ und einem sofortigen Mittagsschlaf auf dem Schreibtisch oder auf dem Bürosofa beantwortet werden muss.

 

Erst vor einigen Tagen suchte ich Rat bei einem italienischen Kollegen,  man hätte das gut am Telefon besprechen können. Natürlich schlug er vor: „Morgen Pranzo?“. Ich seufzte. In Rom kann man nichts besprechen ohne eine Tasse oder einen Teller vor der Nase. Ich sagte zu. Um halb zwei trafen wir uns in einer Trattoria „Enoteca Corsi“ im römischen Zentrum. „Zu trinken?“ fragte der Ober, der Kollege kam mir zuvor: „Einen halben Liter Weißen.“ (In Rom trinkt man zu jedem Essen außer dem Frühstück Wein). Der Wein verringerte die Gegenwehr gegen alle weiteren Vorschläge des Kellners. Antipasti? „Si!“, „Primo?“ „Si!“. Bei  „Secondo?“ schüttelte ich zunächst den Kopf („Ne echt, ich muss noch arbeiten“), ließ mich aber dann doch überreden. Das Tiramisu wehrte ich aber tapfer ab, ich wollte mir zumindest noch geringe Chancen auf erfolgreiche Nachmittagsarbeit erhalten. So bestellte ich auch noch einen doppelten Espresso. Doch ich ahnte: Was werden die vielleicht zwei Dutzend vom Espresso aufgeputschten Körperzellen ausrichten können, gegen Millionen andere, die „wir wollen schlafen!“ skandieren?

 

Genau nichts. Zurück vom Pranzo am Schreibtisch tat ich zunächst ganz munter, stützte dann den Kopf auf, der Arm rutsche weg, bald lag mein Kopf dösend auf der Platte. Es gibt keinen sichereren Beleg dafür, wie wenig die Römer von heute mit den Römern der Antike zu tun haben, als die heutige, konsequente Missachtung des altrömischen Satzes „Plenus venter non studet libenter“, „Voller Bauch studiert nicht gern.“

 

 

Natürlich liegt der Vorschlag nahe, einfach weniger zu essen, wenn man zum Pranzo verabredet ist.

Aber er ist schrecklich unrealistisch.

Wer würde schon lange den Kopf schütteln können, wenn der Kellner im römischen Sing-Sang auflistet: „Also was haben wir denn Schönes….wir haben Saltimbocca alla Romana, Lasagne al forno, Mini-Schweieschnitzel mit Zitronensoße……frische Dorade vom Grill……Rinderfilet mit grünem Pfeffer….“

Eben.

Dann doch lieber morgens früher Aufstehen. Und mittags schlafen.

 

 

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Kämpft mit mir für die Gummilatsche!

Jedes Land hat seine Kulturgüter, die es gegen kommerziellen Zugriff und  Globalisierung verteidigt. Daher schreibe ich zum Beispiel für die taz. Die gute Sache zählt, nicht das schnöde Honorar. Nach all den Jahren meines Einsatzes auf internationaler Ebene fordere ich meine Leser nun im Gegenzug auf: Liebe Gummilatschen-Träge aller Länder, zeigt Euch solidarisch! Sprecht nie wieder von „Flip-Flops“ und schon gar nicht von einer Marke, die wie die Hauptstadt Kubas klingt, wenn ihr tief untenrum wie eine Kreuzung aus kalifornischem Surfer und thailändischer Reisbäuerin aussehen wollt. Tauft Euer leichtes Schuhwerk, mit dem ihr über die Strände der Algarve, die Spielplätze Eurer Waldorfkinder, die Öko-Märkte und Sauna-Flure schlurft, doch bitte um. Nennt die Billigsandale mit dem Hauch von Schweißfreiheit und Abenteuer ab jetzt nur noch ‚Jandal‘.

Seht es als die Rettung einer aussterbenden Spezies, so wie das Ost-Ampelmännchen. Oder die Wale. Da habt Ihr auch nicht geschwiegen und weggeschaut. Daher nochmal, zum Üben:  JANDAL! Euer Aufschrei hilft einer kleinen Nation, die viel zu oft von Supermächten an den Rand gedrängt wird. Aber reden wir hier nicht über Australien. Reden wir über Gesellschaftspiele.

Tausende Jandalisten protestieren seit Freitag. Denn da erschien die neueste Ausgabe von „Scrabble Official Words“, die 270.000 Wörter lange Liste jener Begriffe, die im englischen Scrabble-Spiel zulässig sind. 2810 neue Wörter kamen hinzu, so wie ‚wiki‘ und ‚blog‘,  ‚tik‘ und ‚gak‘ – letztere aus dem Drogenslang – und ‚keema‘ und ‚aloo‘ aus der indischen Küche. Aber ein Wort flog raus: das unschuldige kiwianische ‚jandal‘.

Vier Millionen Neuseeländer fühlen sich fortan beraubt, wenn sie auf ihre nackten Zehen mit Gummisteg dazwischen schauen. Kiwis nennen seit der Erfindung des Kautschuks ihre Flip-Flops nun mal ‚jandals‘– offizielles Englisch hin oder her. Es ist regionale Mundart, so wie der Österreicher statt ‚Quark‘ ‚Topfen‘ sagt, von anderen Ausdrücken ganz zu schweigen. Aotearoa hat schon genug geblutet, als die Maori-Kultur zerstört und die indigene Sprache unterdrückt wurde. Nie wieder!

Wie, fragt Ihr und greift schon zur Sprühdose, um Eure Parolen an Wände zu sprayen, ist solch krasses Unrecht möglich? Weil ein britischer Lektor die Scrabble-Liste redigiert hat und behauptet, ‚jandal‘ sei ein Eigenname. Eine Marke. Bullshit! Der Mann hat nicht nur keine Ahnung – er tritt neuseeländisches Kulturgut mit Füßen. Immerhin gibt es in Neuseeland sogar den ‘National Jandal Day’, den Nationalfeiertag der Gummilatsche. Oder hört auf Howard Warner, den führenden Scrabble-Spieler meines Landes: „Wenn eine samoanische Mutter droht, ‚du kriegst es gleich mit dem jandal‘, dann weiß jedes Kind, dass es sich dabei um Schuhwerk handelt, mit dem man gut zuschlagen kann.“ Ein passendes Beispiel, denn auch ihr Recht auf Prügel am eigenen Kind haben die Kiwis vor wenigen Jahren verbittert verteidigt.

In 18 Monaten erscheint die nächste Scrabble-Liste. Zeit genug, das Ruder für uns Jandalenträger noch mal rumzureißen. Marschiert, bloggt, protestiert. Schweigt nicht. Jeder Buchstabe zählt.

 

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Äh was bitte? – Über merkwürdige Abkürzungen in der italienischen Sprache

Kürzlich traf ich in Rom eine Bekannte wieder, die ich seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Elisa. Wir unterhielten uns lange, es war sehr nett. Am Abend schrieb sie mir eine nette SMS, an deren Ende folgende Buchstabenkette stand: “tv1mdb”. Äh was bitte? Ich verstand nur Bahnhof. Schließlich half mir Giorgia, die Kassiererin in meiner Kaffeebar, dem “Papagallo”, weiter. “Von einer Frau?”Ich nickte, sie lächelte. Und Giorgia erklärte mir, dass “tv1mdb” ausgeschrieben heißt “ti voglio un mondo di bene”: “Ich mag Dich wahnsinnig gerne”. “tv1mdb”: Alles klar?!

“tv1mdb” kannte ich zwar noch nicht, die beiden zugrundeliegenden Prinzipien aber schon: Das erste: Römer versichern einander in jeder SMS, sich zu mögen. Ohne einen “Bacio”, einen “Kuss”, einen “Bacione” einen “Riesenkuss” oder einen “Bacione enorme”, einen “gewaltigen Superkuss” endet keine SMS – selbst zwischen Jungs kann man sich “baci” schicken, mindestens aber einen “abbraccio” – eine “Umarmung”. Selbst wenn der Inhalt der SMS völlig banal ist, vor dem Abschicken wird sie mit einem nachgestellten “Bacio” oder “tvb” (“Ti voglio bene” – “Ich mag Dich gern”) noch in rosarote Farbe getaucht. Und dann erst abgeschickt.

Das zweite Prinzip: In “tv1mdb” ist die römische Lust am Wort-Carpaccio auf die Spitze getrieben: Man spart sich glatte 17 Buchstaben und sagt doch dasselbe. Jedes bestehende Wort wird in feine Scheiben geschnitten bis man kaum mehr erkennt, was es einmal war: Analog zu “tv1mdb” machen die Römer in SMS “domani” (deutsch: “morgen”) zu “dmn” (“mrgn”) und “perché” (deutsch: “warum”) zu “xké” (“wrm”). Manche ägyptische Hieroglyphe auf einem römischen Obelisken sagt mir mehr als eine SMS von römischen Freunden im Jahr 2011.

Noch weniger versteht man nur, wenn man Römern beim Reden zuhört: In der gesprochenen Sprache kürzen die Römer schon lange ohne Rücksicht auf Verständnis ab. Aus “Ragazzi”, “Jungs” wird “Raga’”, aus “Cappuccino” wird “Cappucc’”.  Ins Deutsche übersetzt wird aus dem Satz “Jetzt gehen wir in die Bar Capuccino trinken” die Lautfolge “Je’ ge’ Ba’, Cappu’ trink’” und statt “”Mädels, was wollen wir heute abend unternehmen” würde man sagen “Mä’ wa’ heu’ ab’ unterneh’”. Die Römer reden wie der Numide im Ausguck des Piratenschiffs bei “Asterix”, der kein “r” aussprechen kann und immer warnt. “Schiff steu’bo’d vo’aus!”

Statt “Ragazzi”, “raga”, statt “Cappuccino” “Cappucc’”: Wer italienisch lernen möchte, sollte es in Rom lernen. Man braucht hier nur die Hälfte aller Vokabeln lernen – buchstäblich die Hälfte.

P.S. Natürlich habe ich auf Elisas SMS geantwortet. Mit “tvb” für “ich mag Dich gern” und mit “bacio, Martin”. Das ist das mindeste in Rom, will man den anderen nicht beleidigen.

 

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Etwas mehr für's Green Card Geld bitte!

Ich hatte mir wirklich etwas mehr Glamour erhofft. Immerhin musste ich nochmal über 500 Dollar ans Ministerium für Heimatschutz überweisen dafür, dass von meiner Green Card das Wort “vorläufig’ gestrichen wird. Mein Mann und ich müssen beweisen, dass wir immernoch verheiratet sind und zwar aus Liebe und nicht damit ich meine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung verlängert bekomme. Die Liebesehe beweisen kann man in den USA vor allem mit Rechnungen, die man gemeinsam bezahlt oder Konten, die man zusammen hat. Außerdem musste ich noch einmal meine Fingerabdrücke abgeben und ein Foto machen lassen. Irgendwann wird das Ministerium für Heimatschutz allein unter der Last der von mir eingesammelten Fingerabdrücke zugrunde gehen wie die Stasi unter ihren Spionage-Akten. Aber hilft ja alles nichts, ich will weiter in den USA leben und arbeiten, also musste ich weider los. Und landete hier:

Im Application Support Center in einer der ewig gleichaussehenden häßlichen strip-malls von Los Angeles. Kann ich für 500 Dollar bitte etwas mehr Glamour bekommen? Schließlich sind wir hier in Hollywood! Drinnen darf man keine Fotos machen, aber ich versichere: verglichen mit dem Wartesaal des Biometrik-Zentrums sind deutsche Einwohnermeldezentralen die reinsten Wellness-Oasen und was Umgangsformen angeht stehen US-Behörden deutschen in nichts nach. “Zu trockene Haut!” fauchte mich die Biometrik-Dame an der Fingerabdruck-Station mit strengem Blick und osteuropäischem Akzent an und schmierte ungefragt klebrige Lotion über meine Handinnenfläche. Ihr Fingerabdruckautomat zeigte Dutzende kleine rote Flecken. Ich hab für das Gerät zu viele Falten in der Hand! Sie schmierte, drückte meine Finger auf die Glasscheibe, schüttelte mißmutig den Kopf, zeigte auf die roten Flecken, sagte immer wieder “zu trockene Haut!” schmierte nochmal Lotion, drückte Finger einzeln und in Gruppen auf die Glasfläche und gab schließlich auf. “Geht nicht besser!” Jetzt sind wahrscheinlich rote Flecken auf meinen offiziellen Green Card Fingerabdrücken. “Setzen! Hier! Kamera!” kam der nächste Befehl, bevor ich mir die fettige Lotion abreiben konnte. Dann noch ein ungläubig-strafender Blick in meine Richtung. Ich fragte mich, was ich diesmal falsch gemacht hatte. Es gab nur einen Stuhl, auf den ich mich setzen konnte, ich hatte ihn nicht verstellt und mich ziemlich aufrecht drauf gesetzt. War ich zu groß? Zu dick? “Willst Du Dich nicht kämmen?” fragte die Biometrik-Domina. “Green Card! Das ist Green Card Foto!” Sie hielt mir einen Plastik-Handspiegel entgegen. Ich fand meine Haare gar nicht so schlimm, schob mir aber brav ein paar Haare aus der Stirn, musste zugeben, dass ich weder Kamm noch Bürste dabei hatte und legte den Spiegel zur Seite. Es blitzte einmal. Keine erkennbare Reaktion von der Domina. “Ist es ok?” Sie drehte achselzuckend die Kamera zu mir, so dass ich das Bild sehen konnte. Nicht schlecht. Nicht toll, aber – ich will mich ja damit nicht für eine Rolle im nächsten Hollywood-Kassenschlager bewerben! Ich will nur endlich meine unbegrenzt gültige Green Card haben! Ginge es nach der Biometrik-Dame im Application Center könnte ich diese Hoffnung sicherlich begraben. Und wären alle Amerikaner wie sie würde ich garantiert irgendwo anders um eine Aufenthaltsgenehmigung bitten.    

 

 

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Etwas mehr für's Green Card Geld bitte!

Ich hatte mir wirklich etwas mehr Glamour erhofft. Immerhin musste ich nochmal über 500 Dollar ans Ministerium für Heimatschutz überweisen dafür, dass von meiner Green Card das Wort “vorläufig’ gestrichen wird. Mein Mann und ich müssen beweisen, dass wir immernoch verheiratet sind und zwar aus Liebe und nicht damit ich meine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung verlängert bekomme. Die Liebesehe beweisen kann man in den USA vor allem mit Rechnungen, die man gemeinsam bezahlt oder Konten, die man zusammen hat. Außerdem musste ich noch einmal meine Fingerabdrücke abgeben und ein Foto machen lassen. Irgendwann wird das Ministerium für Heimatschutz allein unter der Last der von mir eingesammelten Fingerabdrücke zugrunde gehen wie die Stasi unter ihren Spionage-Akten. Aber hilft ja alles nichts, ich will weiter in den USA leben und arbeiten, also musste ich wieder los. Und landete hier:

Im Application Support Center in einer der ewig gleichaussehenden häßlichen strip-malls von Los Angeles. Kann ich für 500 Dollar bitte etwas mehr Glamour bekommen? Schließlich sind wir hier in Hollywood! Drinnen darf man keine Fotos machen, aber ich versichere: verglichen mit dem Wartesaal des Biometrik-Zentrums sind deutsche Einwohnermeldezentralen die reinsten Wellness-Oasen und was Umgangsformen angeht stehen US-Behörden deutschen in nichts nach. “Zu trockene Haut!” fauchte mich die Biometrik-Dame an der Fingerabdruck-Station mit strengem Blick und osteuropäischem Akzent an und schmierte ungefragt klebrige Lotion über meine Handinnenfläche. Ihr Fingerabdruckautomat zeigte Dutzende kleine rote Flecken. Ich hab für das Gerät zu viele Falten in der Hand!

Ich weiss, ich hab viele Linien, dafür habe ich mich als Teenager furchtbar geschämt und eine Wahrsagerin habe ich damit schon zur Verzweiflung getrieben. Aber ich mach das doch nicht absichtlich! Sie schmierte, drückte meine Finger auf die Glasscheibe, schüttelte mißmutig den Kopf, zeigte auf die roten Flecken, sagte immer wieder “zu trockene Haut!” schmierte nochmal Lotion, drückte Finger einzeln und in Gruppen auf die Glasfläche und gab schließlich auf. “Geht nicht besser!” Jetzt sind wahrscheinlich rote Flecken auf meinen offiziellen Green Card Fingerabdrücken. Bin ich wenigstens schwieriger zu identifizieren, wenn sie rausfinden, dass mein Mann und ich gar nicht alle Rechnungen zusammen bezahlen!

“Setzen! Hier! Kamera!” kam der nächste Befehl, bevor ich mir die fettige Lotion abreiben konnte. Dann noch ein ungläubig-strafender Blick in meine Richtung. Ich fragte mich, was ich diesmal falsch gemacht hatte. Es gab nur einen Stuhl, auf den ich mich setzen konnte, ich hatte ihn nicht verstellt und mich ziemlich aufrecht drauf gesetzt. War ich zu groß? Zu dick? “Willst Du Dich nicht kämmen?” fragte die Biometrik-Domina. “Green Card! Das ist Green Card Foto!” Sie streckte mir einen Plastik-Handspiegel entgegen. Ich fand meine Haare gar nicht so schlimm, schob mir aber brav ein paar Haare aus der Stirn, musste zugeben, dass ich weder Kamm noch Bürste dabei hatte und legte den Spiegel zur Seite. Es blitzte einmal. Keine erkennbare Reaktion von der Domina. “Ist es ok?” Sie drehte achselzuckend die Kamera zu mir, so dass ich das Bild sehen konnte. Nicht schlecht. Nicht toll, aber – ich will mich damit ja nicht für eine Rolle im nächsten Hollywood-Kassenschlager bewerben! Ich will nur endlich meine unbegrenzt gültige Green Card haben! Ginge es nach der Biometrik-Dame im Application Center könnte ich diese Hoffnung sicherlich begraben. Trotz der 500 Dollar. Wären alle Amerikaner wie sie würde ich garantiert irgendwo anders um eine Aufenthaltsgenehmigung bitten.    

 

 

 

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FB-Orange, oder: Das richtige Leben im Falschen

Orange und von der Seite Pink. Ella’s Freundin hatte eine kuriose Hautfarbe. Ein Griff zur falschen Pickelcreme? Nee, dagegen sprach, dass auch Schultern, Arme, großzügiges Dekolletee und Beine der 18-Jährigen Orange leuchteten.

Später im Kino fragte ich meine Kollegin, was die Freundin ihrer Tochter eigentlich mit ihrer Haut hätte. (Ich gebe zu, in Make-up und Mode-Fragen war ich nie weit vorn.) Kathy, also meine Kollegin, wusste auch nicht wieso Sarah vor dem Ausgehen gestrahlt hatte wie eine Mandarine. Aber sie versprach, es herauszufinden. Kathy ist top in Recherchen der kniffligen Art. Dienstag rief sie an: Selftanning Lotion. In Sydney scheint gerade eine hautfreundlich milde Wintersonne, ohne starke Farbfolgen. “Also musste vor dem Ausgehen Selbstbräunung aus der Tube ran.”

Nun war aber Sarah aber ja leider nicht braun sondern erschreckend gelblich-apfelsinig geworden –  zu viel Chemie offenbar, OrangeHaut statt Sommerteint. War ihr das nicht peinlich? Kam das auf Partys heute gut an? “Hab ich ja auch gefragt”, nickt Kathy. Und erntete blankes Unverständnis: Nein das Orange sei im Gegenteil völlig okay. Das käme nämlich auf den Facebook-Fotos von der Big-Night-Out später viel besser raus – Blitzlicht und zweimal digital kopiert, mache aus Orange ein saucooles Bali-Braun.

Und dass sie auf der Party leuchtet wie ein Kürbis und dann tagelang gelb durch die Gegend läuft? Egal! “Spätestens Mittwoch“ sei im echten Leben ihr Teint ja wieder wie sonst. Die Facebook-Fotos aber, die würden doch viel mehr Leute sehen als nur die, mit denen sie gefeiert hat. Immer wieder würden die angeklickt, von allen möglichen potentiellen Fans. Und blieben da den Rest ihres Lebens!

Fair enough, in der Ewigkeit will man top aussehen, klar. Facebook für Fortgeschrittene, grinst Kathy. Wer in der sozial-medialen Unendlichkeit gut rüberkommen will, muss eben zu kleinen Opfern bereit sein.   (Fotos: Facebook)

 

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Die tägliche Marketinginvasion

Amerikaner sind bekanntlich Meister im Marketing, was Journalisten nicht selten die Arbeit erschwert. Schon oft war ich zwischen Wut und Bewunderung hin- und hergerissen ob der Kunstfertigkeit von Interviewpartnern, ihre vorbereiteten positiven Botschaften abzusetzen und aus ihrer Sicht unpassende Fragen souverän und wiederholt zu ignorieren. Kurzfristig mag das effizient sein – aber Glaubwürdigkeit oder gar Sympathie entstehen auf diese Weise nicht.

Ähnlich zwiespältig ist meine Haltung zu der Reklame, die täglich ins Haus flattert. Da wir, wie die meisten unserer Nachbarn, „Stop-Flyer“-Schilder aufgehängt haben, bleiben wir von handverteilten Restaurantbroschüren und Werbezetteln weitgehend verschont. Aber es gibt ja noch die Briefpost. „Urgent Notification – Please Expedite delivery“, Dringende Mitteilung – bitte Zustellung beschleunigen“ röhrt ein Umschlag, den ich vergangene Woche im Briefkasten finde. Immerhin ist der Absender so ehrlich, sich zu offenbaren: die Zeitschrift Harvard Business Review. Ich ahne schon, was da so schrecklich dringend ist, und so ist es: Ich soll mein abgelaufenes Abonnement verlängern.

Aber was ist das: ein weißer Umschlag, leicht verknittert, unbeholfen handgestempelt mit „To the Owner“. Ein Nachbar, er sich beschweren will? Keineswegs – ein Handwerker sendet seine Visitenkarte. Noch alarmierender wirkt ein amtlich aussehendes Schreiben mit fetter Aufschrift „Business Mail – Penalty for Tampering“, Geschäftspost – Zurückhaltung strafbar. Dazu der Hinweis, dass, wer die Zustellung dieses Schreibens verhindert, mit einer Strafe von 2000 Dollar oder 5 Jahren Gefängnis zu rechnen habe. Was ist drin? Das Angebot für einen Autokredit von Plaza Toyota.

Am schlimmsten sind Wohltätigkeitsorganisationen. Ich ärgere mich inzwischen, dass ich zu Beginn meiner New Yorker Zeit hin und wieder gespendet habe, denn das führte zu einer wahren Flut an Bettelbriefen, bis heute. Manche Organisationen melden sich jede Woche, und nicht wenige geben meine Adresse offenbar weiter. Wie viele Spenden zur Finanzierung dieses Briefverkehrs eingesetzt werden, mag ich mir gar nicht vorstellen, und erst recht nicht, wie viel Zeit Stiftungsmitarbeiter damit verbringen, sich ungeheuer kreativ zu überlegen, wie sie mich dazu bringen können, Umschläge zu öffnen.

Die harmlosere Variante: Irreführung. Dazu zählen Briefe, die keinen Absender tragen und deren Adressen perfekt aussehen wie handgeschrieben, so dass man annehmen kann, es handele sich um private Korrespondenz. Die fortgeschrittene Version: Verunsicherung. Etwa eine Sendung mit der rätselhaften Aufschrift „ASPCA Membership Card Enclosed“. Eine Mitgliedskarte bekomme ich? Hab ich was unterschrieben? Glücklicherweise nicht, noch nicht, wie sich zeigt. Aber ich soll es tun, um die Vereinigung zur Verhinderung von Grausamkeit gegen Tiere zu unterstützen, und weil ich mich so einem ehrenhaften Anliegen doch bestimmt nicht entziehen will, hat die Organisation die Mitgliedskarte gleich mitgeschickt.

Meisterhaft schließlich der Appell an die Gier derjenigen, die man schröpfen will: ein Brief mit der Aufschrift: „Check enclosed“. Tatsächlich ist es in den USA üblich, dass Firmen Rabatte oder Rückvergütungen auf diese Weise auszahlen. Als ich den Umschlag öffne, finde ich einen Scheck des „Christian Appalachian Project“, Wert: zwei Dollar. Ich werde aber gebeten, ihn nicht einzulösen und stattdessen mit einer Überweisung von 8, 14, 21 oder 33 Dollar Menschen wie der 67jährigen Lois zu helfen, die in den Bergen lebt und ohne Badezimmer zurecht kommen muss. „Ohne Hilfe wird sie unterernährt und krank werden“, lautet die düstere Prognose.

Aus purer Rachsucht gegenüber der Organisation bin ich kurz versucht, den Scheck tatsächlich zur Bank zu tragen. Aber dann fällt mein Blick auf das Foto von Lois. Spenden mag ich nichts für ihr Badezimmer, aber kann ich es verantworten, der Organisation zwei Dollar zu entziehen? Vielleicht wird Lois dann noch schneller krank. Das will ich dann doch nicht riskieren.

Foto: Christine Mattauch

 

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Aufs Rad gekommen

Nicht Umweltbewusstsein oder Sparsamkeit – nein: ein Reihe von Modetrends hat die Indonesier zurück zum Fahrrad gebracht. Mir fiel dies zum ersten Mal auf, als eine verwegene Zirkustruppe auf selbstgebauten Hochrädern durch Java tourte und bei jedem Halt alte Schrotträder umbaute. So hinterließen sie auf ihrer Reise an allen möglichen Orten neue Brutstätten für ihre Zweistockfahrräder und diverse abgewandelte Modelle. Da das Auf- und Absteigen dieser Vehikel eher umständlich ist, konnte ich immer öfter unerfahrene Hochradfahrer beim Umklammern von Laternenpfählen oder an roten Ampeln hinter Lastwagen gehängt beobachten. Die Profis kümmern sich schlichtweg nicht um rote Ampeln und verlassen sich darauf, dass man sie schon sehen wird (was auch meistens der Fall ist). Bei den damals noch eher seltenen Fahrrad-Demos versammelten sich die Hochradfreaks mit Pseudo-Harley-Bikern, deren Räder etwa so lang wie die anderen hoch waren.

Etwa gleichzeitig kehrte BMX zurück. Ein australischer Freund reist seither nur noch mit seinem BMX-Rad nach Indonesien und verbringt seine Ferien in diversen Heimwerkstätten, die für wenig Geld und umso mehr Erfindungsreichtum seine Spezialwünsche besser und vor allem viel billiger erfüllen als alle australischen Bikeshops.

Doch all das ist Schnee von gestern, wenn man nun auf die Straßen schaut: Dort wimmelt es auf einmal vor Eingangrädern – Stichwort „fixed gear“: In knallbunt leuchtenden Farben, die Pedale immer in Bewegung und möglichst ohne Bremsen. Selbst meine bewegungsfaulen Mitbewohner, die sich bisher immer von Taxis möglichst noch bis in die Eingangshalle ihres Ziels fahren lassen haben, sind mittlerweile aufs Fahrrad umgestiegen. Sie haben festgestellt, dass sie damit nicht nur in sind, sondern auch noch Geld für Transport und den Fitnessclub sparen. In Jakarta – gefühlt die Stadt mit dem schlimmsten Verkehrschaos der Welt – ist diese Mode allerdings nach wie vor eher ein Überlebenskampf außer an autofreien Sonntagen (einen Vormittag im Monat auf der Hauptachse der Stadt). Die gerade neu eingeführten Radwege wurden sofort mit Begeisterung von Straßenverkäufern und falsch überholenden Mopeds in Beschlag genommen.

In der Kulturmetropole Yogyakarta jedoch haben die Radfans mittlerweile den letzten Freitag jedes Monats zum Radeltag ausgerufen. Mit einem Massenaufgebot, das alle Umweltaktivisten vor Neid erblassen lässt, demonstriert die Jugend der Stadt nun monatlich und mit großer Fröhlichkeit, wie die City der Sultansstadt am schönsten wäre: auto- und motorradfrei.

 

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Hermann the German überlebt kein Beben

Abgesehen vom Erdbebenrekord hinkt Christchurch dem Rest der Welt etwas hinterher. Vieles kommt hier erst mit Verspätung an. Daher hat mich meine Vergangenheit auch erst vor zwei Wochen eingeholt. Im kulinarischen Teil der Zeitung stand ein Rezept für den Hermann.

Hermann ist dieser säuerliche Wanderteig, der in den 80ern in bundesdeutschen Kühlschränken ein zählebiges Dasein führte und in Schraubgläsern weitergereicht wurde. Aus meiner Generation war er so wenig wegzudenken wie Stricken im Pädagogik-Unterricht. Der Herrmann, so erklärte das Rezept die exotische Spezialität, muss über Tage gefüttert und am Ende zum Kuchen gebacken werden. Heilige Handlung: Man teilt ihn und gibt ihn portionsweise weiter, nach dem Prinzip Kettenbrief. Auch so ein unseliges Relikt aus dieser Ära. 

Sentimental wie ich bin, schickte ich die Kinder in die Küche, einen Hermann anzurühren: Das musste ausprobiert werden, nach all den Jahren. Die Hefe-Melange – auf keinen Fall in einer Metallschüssel mixen und nur mit dem Holzlöffel umrühren! – blubberte nach ein paar Stunden brav. Hermann rülpste kräftig und lief bald über. Am sechsten Tag mussten wir ihn zufüttern. Danach verhielt er sich ruhig. Er brauchte mehr Wärme. Also stellte ich die Glasschüssel mit dem flüssigen Teig in den Wäscheschrank, neben den Heißwassertank. Mein Mann zog abends nichtsahnend ein Handtuch heraus und stieß dabei den Hermann um. Die Hälfte floss über die Bettlaken aus. Von den fünf Teilen Hermann, die man vor dem Backen verschenkt, waren noch zwei bis drei da.

Aber das Experiment musste weitergehen. Hermann wanderte aufs Klavier, vor die Umluftpumpe. Da stand er am Montag, als um ein Uhr mittags das erste von zwei schweren Erdbeben alles klirren und scheppern ließ und ich mich unter den Türrahmen flüchtete. Kurze Inspektion danach: Vier Bilder von der Wand gefallen, alles noch in den Schränken – nur der Hermann war in seiner Schüssel vom Klavier gehopst. Dabei hatte er eine riesige Pfütze hinterlassen. Er war jetzt nur noch eine Viertelportion.

Ich ließ Hermann ungeschützt auf dem Boden stehen, simste allen das übliche „Seid ihr ok?“ und kümmerte mich darum, wie der Rest der Familie nach Hause kommt, wo jetzt alles wieder im Stillstand war. Aber dann ging es erst richtig los. Eine gute Stunde nach Hermanns Sprung vom Klavier zuckte solch ein brutales Beben durch die Erdkruste, dass alles, was nicht festgeschraubt war, den Weg nach unten fand: Weinflaschen, Geschirr, Bücher, Essen. Es war monströs. Ich konnte nicht mehr an Hermann denken. Dann herrschte Ausnahmezustand. Erst später, als wir mit Taschenlampen im Halbdunkel Scherben beiseite fegten, auf Strom warteten und uns fragten, wie lange wir das noch aushalten, da sah ich ihn: Der klägliche weiße Sauerteigrest war von Staub und Putz bedeckt, der aus der Decke gerieselt war und alles im Haus bedeckte. Es war das Ende von Hermann ‘the German’. Ich glaube, wenn man ihn aus seinem natürlichen Habitat entfernt, bringt er Unglück.

 

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Flieg, Asche, flieg…

Australien hat reichlich Potential für Dramen: Fluten, Brände, Dürren – immer, oft und gern. Vulkane gehörten bislang nicht dazu. Feuerspeiende Hügel gibt’s hier unten einfach nicht. Dass sie trotzdem gerade Medien-Thema Nr. Eins sind, verdanken wir Chiles Puyehue-Cordón Caulle. Richtig: Asche kann offenbar weiter als nur von Reikjavik bis Recklinghausen reisen. Sie fliegt bei Rückenwind erstaunliche 11061,49 Kilometer von Chile bis nach Adelaide. Das nenn ich mal Globalisierung im ganz großen Stil. Aber dies nur am Rande, denn natürlich geht es hier um Wichtigeres. Um Höhere Gewalt und menschliche Schicksale! 

Denn abgesehen von den Reisenden, deren Beweglichkeit durch die wg Asche stornierten Flüge eingeschränkt ist, tun mir dieser Tage vor allem meine Kollegen vom TV leid (stimmt nicht, sie gehn mir kolossal auf die Nerven): Seit Queen’s Birthday hocken sie nun in Flughäfen und führen tagein tagaus die mit Abstand uninteressantesten Interviews der Welt: Sie sprechen mit Menschen, die in Melbourne “gestrandet” sind (es gibt in Melbourne keinen Strand!), mit Passagieren, die in Adelaide “festsitzen” (ps: auch Adelaide hat Bus und Bahn), oder, Schreck-schwere-Not! solchen, die gar Hobart nicht erreichen / verlassen können.

 

Da stehen sie nun, die Kollegen von Kanal 2 bis 10 und halten im Halbstundentakt Leuten mit Koffern ihre Mikros und Kameras ins Gesicht. Und diese sagen dann mit 150prozentiger Sicherheit – richtig: so rein überhaupt und gar nichts Wissenswertes. Bzw: “Tja, nach xz wollte ich heute nun, und guess what? das wird wohl nix.” Manche ergänzen noch persönliche Details zb welche Festivitäten/Anschlussflüge/Konferenzen/ sie nicht erreichen.

Gestern machte derlei öffentlich rechtlich über 8 Minuten der 15-minütigen Hauptnachrichten aus! Wirklich nicht Schuld der “Gestrandeten”, dass sie uns so endlos langweilen. Aber was um Himmels willen sollen diese armen Figuren nun auch Ergreifendes sagen? Welche Originalitäten erwarten die Kollegen Reporter und TV-Stationen eigentlich?

Befreiung von der Qual, fürchte ich, kann wieder mal nur von Ganz Oben kommen. Also: Bitte liebe Asche – Senke dich, falle nieder oder flieg zurück. Wir möchten wieder Nachrichten mit Inhalt! 

 

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Sommertheater in Washington

Es war eine dieser Wochen, in der es in der US-Hauptstadt derart heiß war, dass man sich nicht aus dem Haus bewegen konnte. Und obwohl der Sommer meteorologisch noch nicht begonnen hat, herrscht in Washington bereits Sommertheater.

Wie Aasgeier stürzten sich die Medien auf den Skandal um Anthony Weiner, ein demokratischer Abgeordneter aus New York mit einer Fixierung auf gewisse Körperteile. Interessanterweise sorgte die Affäre – Weiner wurde dabei erwischt, wie er schlüpfrige Bilder über den Kurzmeldedienst Twitter an junge Frauen verschickte. Weil er dies zuerst abstritt, musste er sich an einer Pressekonferenz reihum entschuldigen. Natürlich übertrugen die Nachrichtensender das ganze Drama – wo war ich? Genau: Interessanterweise sorgte die Affäre im deutschsprachigen Raum nicht für allzu fette Schlagzeilen. Eine Theorie: Die europäischen Medien finden, recht beharrlich, dass die amerikanischen Politiker sich mit der Lösung der eigentlich zentralen Probleme des Landes beschäftigen sollten – Stichworte: Schuldenberg und schleppende Konjunktur. Vielleicht ist es einfach auch nur ein sprachliches Problem. Die Berichterstattung um den Herrn Weiner war für die amerikanischen Kollegen nämlich auch deshalb so unterhaltsam, weil sich dessen Familienname «WI-ner» ausspricht – und dieses Wort im englischen Sprachraum auch ein Synonym für das männliche Geschlechtsteil ist. Die wenigsten Journalisten konnten da widerstehen. 

Einer hielt sich übrigens überraschend zurück: Der Satiriker Jon Stewart verschonte Weiner in der Anfangsphase des Skandals, wohl auch weil es sich um einen alten Freunden handelt. Am Dienstag sah sich Stewart – der mit seinem Programm «The Daily Show» schon lange Nachrichten erträglicher macht – zu einer Kurskorrektur gezwungen.

Die entsprechende Sendung ist auf der Internet-Seite der «Daily Show» zu finden; und einfach zum Schreien: http://www.thedailyshow.com/full-episodes/tue-june-7-2011-fareed-zakaria

 

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Für jeden gefallenen Soldaten ein Kreuz am Strand von Santa Monica

Jeden Sonntag bei Sonnenaufgang beginnen die “Veteranen für Frieden” ihre Trauer- und Erinnerungsarbeit. Seit mehr als sieben Jahren stellen sie im Sand neben dem Santa Monica Pier weiße Kreuze auf für die im Irak und Afghanistan gefallenen US-Soldaten. Und mit US-Flaggen bedeckte Särge, die für die in der vergangenen Woche gestorbenen Militärs stehen. 

 

 Inzwischen sind Dutzende rote Kreuze dazu gekommen. Jedes von ihnen repräsentiert zehn Militärs, die beim Einsatz getötet wurden. Am vergangenen Sonntag waren es insgesamt 4454. Zehn davon in der vorangegangenen Woche. 

Es ist ein seltsamer Kontrast zwischen dem Rummel des Vergnügungsparks auf dem Pier und dem ernüchternden Bild des Friedhofs im Sand. Touristen und Sonnenanbeter gehen in Flip-Flops, Handtücher um die Hüfte geschlungen zum Wasser vorbei an denen, die mit Tränen in den Augen vor den Tafeln mit persönlichen Grüßen an die Verstorbenen stehen. “Wir wollen die Menschen an den wahren Preis des Kriegs erinnern,” erklärt Vienam-Veteran Michael Lindley, einer der Hauptorganisatoren des Denkmals Arlington West

 

Als sie vor über sieben Jahren mit dem Projekt begannen, hofften sie, dass sie nie mehr als eintausend Kreuze würden aufstellen müssen. Jetzt haben sie nicht mehr genug Platz, um an alle Gefallenen individuell zu erinnern. Dieser Friedhof würde den gesamten Strand bedecken. Selbst wenn das möglich wäre könnten sie niemals alle Kreuze an einem Sonntag aufstellen und wieder einsammeln. Ihre Zeit verbringen die freiwilligen Organisatoren und Helfer lieber damit, mit Interessierten über die Soldaten zu sprechen, über den Kriegsalltag und über alternative Möglichkeiten, Konflikte zu lösen.

Der Friedhof lässt viele Strandbesucher innehalten. Sie lesen auf den Tafeln von verwundeten US-Soldaten und ihren Verbündeten, von den getöteten und verwundeten Irakis und Afghanen. Manche schreiben eine persönliche Widmung und heften sie an eines der Kreuze. Manchmal gibt es Proteste und Vorwürfe, das Projekt sei unpatriotisch. “Im Gegenteil, es ist gut, dass sie darauf aufmerksam machen, welch hohen Preis wir für diese Einsätze zahlen,” widerspricht Marineinfanterist Phil, der mit seiner Frau Candice an den Strand gekommen ist. Er muss in wenigen Monaten zum zweiten Einsatz nach Afghanistan. “Die Kreuze erinnern mich daran, in welcher Gefahr meine Freunde sind, die derzeit dort sind.” Phil sagt, er habe ein schlechtes Gewissen, wenn er die Sonne genießt während sie ihr Leben riskieren und wolle deshalb schnell wieder zurück. Vietnam-Veteran Michael Lindley macht der Anblick des jungen Paares nachdenklich und traurig. “Wir müssen andere Wege finden, die wichtigen Fragen des Lebens zu lösen. Krieg ist der falsche Weg!” 

 

 

 

 

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Wehe dem, der Taiwans Essen kritisiert

Presse- und Meinungsfreiheit sind in Taiwan ja eigentlich garantiert, ganz anders als in China. Aufpassen muss man als Reporter trotzdem – und zwar, wenn es ums Essen geht. Da versteht Taiwans Regierung nämlich offenbar wenig Spaß.

Als Asiens Paradies der Völlerei bezeichnete der CNN-Ableger CNNGo.com die Hauptstadt Taipeh kürzlich in einem Online-Artikel. Fazit: “Es war nie so leicht, sich vollzufressen, wie hier.”

Das hätten sie nicht tun sollen. Essen ist für viele Taiwaner der eigentliche Lebensinhalt, man ist stolz auf die einmalige Mischung aus sämtlichen chinesischen Regionalküchen, japanischem Erbe und südostasiatischen Einflüssen. Kein Abend, an dem nicht auf mehreren TV-Kanälen gleichzeitig Restaurants vorgestellt werden, kaum eine Straße, in der man nicht gut und günstig speisen könnte, kein Taiwaner, der nicht aus dem Stehgreif minutenlang über neun verschiedene Dumpling-Varianten referieren könnte. “Hauptsache satt” ist hier völlig unbekannt. Kein Restaurant würde sich halten, in dem die Qualität nicht stimmt. Und dann das!

Im Netz und auf Taiwans permanent hyperventilierenden Nachrichtensendern schlug der Bericht schnell Wellen, empörte Taiwaner hinterließen mehr als 500 Kommentare zur kulinarischen Ehrenrettung ihrer Nation. Auch die Politik wurde aufmerksam. Abgeordnete der Regierungspartei grillten den neuen Regierungssprecher bei seinem ersten Auftritt vor dem Kulturausschuss: Was würde er tun, um Taiwans Ruf in der Welt wieder zu richten?

Prompt setzte das Informationsamt der Regierung alle Hebel in Bewegung. Die Beamten luden den zuständigen CNN-Redakteur in Hongkong zum Tee ein – eine traditionelle Methode, subtilen Druck auszuüben.

Nun gibt es im Chinesischen kein positiv besetztes Wort für “Ironie”. Denn eigentlich war alles gar nicht böse gemeint. “Völlerei” ist nun mal eine der sieben biblischen Todsünden, die der Artikel auf “Asiens sündigste Städte” herunterbrach. Es trifft auch steht Seoul als Stadt der Trägheit, Manila für Hochmut, Shenzen für Gier, Tokio für Wolllust, Neu Delhi für Neid und Pjöngjang für Zorn. Genau der wurde aus keinem anderen der betroffenen Länder vermeldet. Macht man aber Taiwanern ihren Stinketofu madig, mutiert so mancher Netizen zur beleidigten Leberwurst.

Am Ende glättete CNNGo.com die Wogen auf diplomatische Weise. Eine offizielle Entschuldigung gab es zwar nicht, aber einen wohlmeinenden Artikel über Taiwans Lieblingsgetränk Bubble Tea (das neuerdings auch in Europa Freunde findet). Und das Versprechen an den Regierungsprecher, künftig noch mehr Journalisten auf Taiwans Nachtmärkte zu schicken.

Ob das US-Außenministerium als Vermittler eingegriffen hat, ist nicht bekannt.

Über Taiwan schreibt auch unter intaiwan.de, facebook.com/taiwanreporter und twitter.com/taiwanreporter.

 

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Dank Rachel: Ein Hauch von Wellywood

Während die Deutschen wacker gegen Atomkraft protestieren, haben wir in unserer nuklearfreien Zone ganz andere Übel zu bekämpfen. Kiwis gehen gegen die Verstrahlung durch Glanz und Glamour auf die Barrikaden. Geschlossen stemmen wir uns gegen das größte Übel, das jenseits der Kernspaltung den Südpazifik bedroht: das Showbusiness. Die dort haben  Fukushima – wir haben Rachel Hunter. Und dann droht uns noch Wellywood. Der Super-Gau.

Es begann mit Prinz William und später Russell Crowe, die das zerstörte Christchurch besuchten und ihr Beileid aussprachen. Schön und gut. Soll doch jeder auf der Welt sehen, was wir hier durchmachen. Doch dann kam „uns Rachel“. Die hatte einst Rod Stewart geheiratet, war dann Supermodel (oder umgekehrt?), wurde geschieden und deutlich dicker (oder umgekehrt). All das sah man ihr nach. Viele Promis hat Neuseeland schließlich nicht zu bieten. Dass Hunter jetzt Ramschmode entwirft: auch verziehen. Es macht sie schließlich „eine von uns“. Nicht abgehoben wie die da in Hollywood.

Aber dass sie sich in Schutzhelm und Neon-Weste vor den Trümmern der halb eingestürzten Kathedrale Christchurchs filmen ließ, um Spenden im Rahmen eines Telethons anzukurbeln – das war zu viel des Guten.  Zugegeben, die Rettungskluft stand Rachel gut. Betroffen fixierten ihre großen Augen das Chaos. Man sah förmlich hinter der hübschen Stirn den berühmte Satz aus ihrer Shampoo-Werbung aufsteigen: “It won’t happen overnight, but it will happen“ (Es wird nicht über Nacht passieren, aber es wird passieren).

Was meine Stadt diesem Auftritt nicht verzieh: Rachel durfte mit Ausnahmegenehmigung in die „red zone“. Die rote Zone ist die noch immer komplett vom Militär abgeriegelte, da gefährliche Innenstadt. Eine ausgestorbene Parallelwelt der Ratten, der Mauerreste, der klaffenden Lücken. Seit Wochen fordern immer mehr Bürger, endlich dort hinein gelassen zu werden, um sich selber ein Bild von der Verwüstung zu machen. Das sei wichtig für den Heilungsprozess. So wie man sich von einer aufgebahrten Leiche verabschiedet, bevor sie in der Gruft verschwindet. Volkes Zorn und Trauma machen sich seit Tagen in Leserbriefen Luft. Was glauben diese Promis eigentlich, wer sie sind? Warum dürfen die sich am Elend weiden und wir nicht?

Aufruhr überall: In Wellington protestierten sie derweil mit Hupkonzert und Autoblockade am Flughafen.  Dort soll ein „Wellywood“-Schild in den Hügeln errichtet werden, um jeden Hauptstadtbesucher bei der Ankunft daran zu erinnern, dass hier einst „Herr der Ringe“ entstand. Und „Avatar“ bearbeitet wurde. Und vielleicht Rachel Hunter irgendwann die Rolle in einem Katastrophen-Movie übernimmt, wenn die Bevölkerung nicht wachsam ist.  Hollywood billig kopieren – das sei der Untergang der kiwianischen Kultur, entsetzten sich die Demonstranten. Warum nicht gleich Plastikpyramiden und ein Mini-Eiffelturm in den Ankunftshallen von Aotearoa? Die Aufständischen sollten sich lieber um Christchurch sorgen. Nächste Woche schaut bei uns der Dalai Lama vorbei.

 

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Wenn Straßennamen Geschichten erzählen

Wenn ich aus dem Norden Manhattans komme und auf die Brooklyn Bridge einbiege, fällt mir jedes Mal eine kleine Gedenktafel ins Auge: „Ari Halberstam Memorial Ramp“. Seit Jahren frage ich mich, wie es kommt, dass ein zirka 30 Meter langer, schlaglochgespickter Zubringer überhaupt nach jemandem benannt wird und wer Ari Halberstam war, dass ihm das passieren musste.

Amerikaner haben ein emotionales Verhältnis zu Straßen und Brücken – vermutlich ein Erbe der Pionierzeit, als es eine Leistung an sich war, sich einen Weg zu bahnen. Einen entsprechend hohen Stellenwert haben ihre Namen. Es ist eine hohe Auszeichnung für jeden Amerikaner, wenn irgendwo ein Straßenabschnitt nach ihm oder nach ihr benannt wird. Anders als in Deutschland ist das auch erlaubt, wenn der Ehrenbürger noch lebt. In New York wird mit großem Eifer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Nicht immer verläuft dies konfliktfrei, vor allem dann nicht, wenn Traditionsnamen zu Gunsten einer Berühmtheit geopfert werden, wie bei der Triboro Bridge. Dieses Konglomerat aus drei Brücken, die Manhattan, Queens und die Bronx verbinden, wurde 2008 in Robert-F.-Kennedy Bridge umbenannt, nach dem Bruder des Präsidenten John F. Kennedy, der 1968 ermordet wurde. Da RFK als Senator den Staat New York vertreten hatte, soll die Brückenwidmung zum 40. Todestag ein ausdrücklicher Wunsch der Kennedy-Familie gewesen sein. Doch bis heute weisen noch immer viele Straßenschilder in Richtung „Triboro“, und der Mann auf der Straße kann eine RFK-Bridge so wenig lokalisieren, dass die Brücke im Verkehrsfunk umständlich als „RFK-Triboro-Bridge“ bezeichnet wird. Dass seit ein paar Monaten auch die Queensboro Bridge offiziell nach einem Prominenten heißt, nämlich dem 86jährigen früheren New Yorker Bürgermeister Edward „Ed“ Koch, ist ins kollektive Gedächtnis überhaupt noch nicht vorgedrungen.

Wer nicht so eine gute Lobby hat wie Kennedy und Koch, muss sich auf ruppige Sitten einstellen. Das erfuhr in diesem Frühjahr Emelia Kazimiroff, eine 95jährige Witwe aus der Bronx. 1981 war zu Ehren ihres Gatten ein Abschnitt des Southern Boulevard in „Dr. Theodore Kazimiroff Boulevard“ umgetauft worden. Immerhin handelte es sich bei Dr. Kazimiroff um einen Amateurhistoriker und mutigen Zahnarzt, der einen Löwen im Bronx Zoo von einem vereiterten Zahn befreit haben soll, ohne zu Schaden zu kommen. Mit seiner Straße hatte der Lokalpromi weniger Glück. Die für ihre Sturheit bekannte US Post soll sich jahrelang geweigert haben, die schwierige Adresse zu akzeptieren. Zur Verwirrung ortsunkundiger Besucher gibt es zudem, etwas außerhalb, einen Kazimiroff Boulevard, an dem sich der Botanische Garten befindet. Kurz und gut – nach 30 Jahren entschied die Stadt New York, Dr. Kazimiroff seinen Straßennamen zu entziehen und den Abschnitt wieder in Southern Boulevard rückzubenennen. Sie hatte nicht mit der streitbaren Witwe gerechnet, die das Votum als „Schlag ins Gesicht“ empfand und umgehend die New York Times verständigte. Dem Weltblatt war der Vorgang einen vierspaltigen Aufmacher im Lokalteil wert, samt Fotos des Verblichenen und seiner Witwe. Das scheint gewirkt zu haben – jedenfalls ist die Straße bei Google Maps heute immer noch zu finden.

So erzählen Straßenschilder lustige Geschichten – und tragische. Für diesen Blog habe ich endlich nachgeschaut, welche Bewandnis es mit Ari Halberstam und seinem Zubringer hat. Halberstam war ein 16jähriger Talmud-Schüler aus Brooklyn, dessen Familie mit dem charismatischen und umstrittenen Rabbi von Lubawitsch, Menachem Mendel Schneerson, befreundet war. Am 1. März 1994 besuchte der Teenager den kranken Rabbi in einem Manhattaner Krankenhaus und wollte danach zurück nach Brooklyn. Beim Einbiegen auf die Brooklyn Bridge eröffnete ein arabischer Extremist das Feuer auf den Wagen, in dem neben Halberstam weitere junge Männer saßen. Halberstam wurde in den Kopf getroffen und starb fünf Tage später. Seine Familie kämpfte jahrelang darum, dass der Anschlag als Akt des Terrorismus anerkannt wurde, was ihr schließlich gelang. Künftig werde ich mich, wenn ich an dem Schild vorbeifahre, ein bisschen dafür schämen, dass ich seinen Zubringer so lange nur für eine Kuriosität gehalten habe. 

 

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„Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“: Die beliebteste Ausrede der Römer

Nehmen wir einmal an, Sie kommen nach Rom, finden beim Schlendern durch die Gassen eine schöne Trattoria, wollen am Abend dorthin zurückkehren und reservieren mittags schon einmal für 21 Uhr einen Tisch. Am Abend finden Sie das Lokal aber nicht und kommen erst um 21 Uhr 30. Der Kellner sieht Sie vorwurfsvoll an, deutet auf die Schlange an Menschen, die vor dem Lokal wartet. Es ist ziemlich peinlich. Wie Sie da wieder rauskommen? Sehr einfach: Die Hände weit von sich strecken, die Schultern hochziehen, das Kinn nach vorne schieben und dann folgendes sagen: „Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“. Ein Hinweis auf den Straßenverkehr ist in Rom die Universalausrede für jede Gelegenheit. Egal ob man als Bräutigam zu spät zur eigenen Hochzeit kommt oder als Feuerwehrmann zu spät zum brennenden Haus, „eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“ reicht als Erklärung völlig aus.

Mir aber eigentlich nicht. Den Gleichmut, mit dem die Römer auf andere Römer  warten, die zu spät kommen, ist mir auch nach fünf Jahren immer noch fremd. Wenn mir jemand „Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“ sagt, dann nicke ich zwar, aber mit zusammengepressten Lippen, die klarmachen sollen: „Das kannst Du Deiner Oma in den Abruzzen erzählen.“

Kürzlich war ich nach langer Zeit mit meiner römischen Freundin Barbara verabredet, die den Vorschlag machte, ich solle doch mit ihr und ihren Freunden in eine Diskothek gehen. Wir verabredeten uns für 23 Uhr, sie kam um 23 Uhr 30 („„Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“) , ihre Freude um Mitternacht („Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“). Gegen halb eins fuhren wir in die Disko, vor der wir auf weitere Freunde warteten, die um etwa viertel nach eins eintrafen („Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“). Um sage und schreibe 3 Uhr, nach gut eineinhalb Stunde Schlangestehen, betraten wir die Disko. Ich habe es nur deshalb geschafft, nicht zu explodieren, weil ich irgendwann den Abend von „Spaß haben und tanzen“ auf „machen wir eine Sozialstudie über die Römer“ umgewidmet hatte. Ich stellte dabei auch fest, dass es auch völlig akzeptiert ist, wenn Freude, die nachweislich ein Motorino haben und sich durch den noch so starken Verkehr hindurchmogeln können, sich seelenruhig mit „Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“ entschuldigen.

Auch ich habe mich schon manchmal, aber sehr selten mit „Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“ entschuldigt. Warum selten? Ich bin immer pünktlich, selbst wenn ich unpünklich bin. Es ist einfach Verlass darauf, dass der Mensch, mit dem man in Rom verabredet ist, noch später kommt als man selbst. Ich kann im römischen Verkehr mein Leben riskieren, aus Panik, zuspätzukommen, ich schicke SMS und kündige meine Verspätung an, doch schließlich bin ich es wieder, der wartet:

Bis dann auf einen vorwurfsvollen Blick hin der Freund die Hände weit von sich streckt, die Schultern hochzieht, das Kinn nach vorne schiebt und sagt: „Eeeeeeeeeeeeeeh, il traffico“.

 

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Doofe Dämonen

Ich weiß, man soll sich nicht über den Glauben anderer Menschen lustig machen. Aber kann man Geister ernst nehmen, die nicht um die Ecke gehen können? Oder Dämonen, die auf ihre eigenen Tricks hereinfallen? Der chinesische Volksglaube ist bevölkert von furchterregenden Kreaturen, die den Menschen das Leben zur Hölle machen könnten – hätten sie nicht alle einen simplen Konstruktionsfehler, mit dem sie sich einfach in Schach halten lassen. Die diversen Hausgeister zum Beispiel: Um Familien ins Verderben zu stürzen, wie es nun einmal ihre Art ist, müssen sie zunächst ins Haus gelangen, und das fällt ihnen gar nicht so leicht. Manche Geister können nämlich die Füße nicht heben und damit auch nicht über Schwellen steigen. Andere können nicht um die Ecke gehen und scheitern an verwinkelten Gängen. Mit ein paar einfachen Baumaßnahmen wird also jedes Haus zum dämonenfreien Hochsicherheitstrakt.

Noch einen weiteren Defekt haben die chinesischen Geister: Sie sind für den Schrecken, den sie verbreiten, selbst sehr empfänglich. Hängt an einer Haustür ein Spiegel, in dem die Spukwesen ihr eigenes Gesicht erblicken, suchen sie schreiend das Weite.

Jene Geister, die schlau genug sind, den Blick in den Spiegel zu meiden, haben wiederum eine andere Schwäche: Sie lösen liebend gerne Labyrinthrätsel. Traditionell findet man deshalb an vielen chinesischen Häusern kleine Plättchen mit einem aufgemalten Irrgarten, in dessen Mitte dann besagter Spiegel hängt. Das hat noch jeden Dämon in die Flucht geschlagen.

Außerdem sind Geister leichtgläubig. Sie nehmen einem alles ab, was man ihnen erzählt. Deshalb lassen sich Neugeborene vor Unheil schützen, indem man ihnen Kosenamen gibt, bei denen Dämonen der Appetit vergeht, etwa Goudan – wörtlich: Hundeei – oder Shadan, zu Deutsch: dummes Ei. Man stelle sich das bildhaft vor: Ein Geist sieht ein leckeres Baby, steuert hungrig darauf zu – und schreckt dann im letzten Moment zurück, weil jemand den kleinen Braten “dummes Ei” nennt. Ich bitte Sie!

Nicht nur in China nehmen jene höheren Wesen, die von frommen Menschen verehrt oder auch gefürchtet werden, seltsame Formen an. Religionen, an die man selbst nicht glaubt, können absurd erscheinen, doch auch sie widerspiegeln Vorstellungen davon, was die Welt im Innersten zusammen hält. Wie schön wäre es doch, wenn die Chinesen recht hätten und sich jedes Unheil abwenden ließe, indem man dem Schicksal den Spiegel vorhält!

 

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Pressefreiheit auf Libanesisch

In das Palästinenser-Flüchtlingslager Nahr al Bared im Nordlibanon kann man nicht einfach so gehen. Nicht nur als Journalistin wird man an den Armeecheckpoints zurückgewiesen. Selbst die dort lebenden Palästinenser benötigen Genehmigungen. Das ist so, seit die libanesiche Armee das Camp 2007 komplett zerstört hat. Nun wird es wieder aufgebaut, nach vier Jahren sind die ersten Häuser bezugsfertig.

Ein Eintrittsgenehmigung für Nahr al Bared zu erlangen ist eine kleine Odyssee. Ohne die Hilfe von UNRWA (UN-Hilfsorganisation für Palästinenserflüchtlinge) ist es fast unmöglich. Die freundliche UNRWA-Mitarbeiterin Hoda stellte für mich den Antrag, dann war ich an der Reihe. Zehn Tage später kam der Anruf vom militärischen Geheimdienst. Ich möge ins Verteidigungsministerium kommen, um die Genehmigung abzuholen. Eine knappe Stunde dauert es mit dem Auto bis hinauf nach Yarze. Vorbei an einem Anti-Kriegs-Denkmal, das eigentlich mal im Zentrum Beiruts stehen sollte, dann aber für zu hässlich befunden wurde. Und wer will schon ständig an die Schrecken des Krieges erinnert werden.

Das Verteidigungsministerium ist hochwichtig und deshalb auch mit mehreren Kontrollpunkten geschützt. Die Überwindung des ersten bringt mich immerhin schon mal auf den Parkplatz. Folgt eine halbe Stunde Wartezeit am so genannten Informationsschalter. Informationen bekommt man hier keine, dafür aber einen Besuchersticker – für den nächsten Checkpoint. Am Infoschalter stehen dutzende Libanesen vor einem vergitterten Fenster, sie drängeln sich nach vorne, strecken flehend ihre Hände durch das Gitter. Es hat etwas Unwürdiges. Eine junge Libanesin, die vor kurzem aus Frankreich zurückgekehrt ist, schaut mich Hilfe suchend an. Wir sind die einzigen beiden Frauen in dem Männergewusel. „Wann werden sich diese Zustände ändern in diesem Land“, fragt sie und verdreht die Augen.

Da wird mein Name aufgerufen oder jedenfalls etwas, das so ähnlich klingt. Ich erhalte meinen Sticker und darf zwei Felder vorrücken. Bei der nächsten Kontrolle steht ein Metalldetektor, dann bringt mich einer der dickbäuchigen Soldaten zu einer älteren Dame in einem kleinen Zimmer. Auf ihrem Schreibtisch liegt eine Zeitung, ein Aschenbecher voller Kippen steht daneben. Sie raucht, winkt mich heran und durchwühlt meine Handtasche. Das Handy, meinen Palm sowie interessanter Weise meine Zeitung behält sie auf ihrem Tisch. Ich darf nun ins Allerheiligste vordringen.

Aufzug, dritter Stock, nach Colonel Wissam fragen. Der sitzt in einem winzigen Büro voller Papiere. Prüft gewissenhaft meine Identität und legt mir dann ein Din-A-4 Schreiben auf Arabisch vor, das er mir zur Sicherheit übersetzt. Die Genehmigung gilt für eine Woche, ich muss versprechen, keine Photos zu publizieren ohne sie vorher der Armee vorzulegen, darf keine Filmkamera mitnehmen, aber mein Audio-Recorder ist erlaubt. Phew, Glück gehabt! Dass ich das alles verstanden habe, muss ich feierlich unterschreiben. Auf Zuwiderhandlung steht wahrscheinlich die Todesstrafe. Nun den ganzen Weg wieder zurück, meine Utensilien auflesen, an jeder Kontrolle sagen, dass ich jetzt gehe. Damit sie auch alle beruhigt sind.

Doch nun darf ich keineswegs direkt ins Nahr al Bared Camp – weit gefehlt. Mit meiner tollen Genehmigung darf ich zum Militärgeheimdienst im nordlibanesischen Tripoli – der ist für Nahr al Bared zuständig. Ein ähnliches Prozedere erwartet mich. Der dort zuständige Colonel nickt schließlich und sagt mit breitem Grinsen: „Sie dürfen jetzt nach Nahr al Bared fahren, am nördlichen Checkpoint erwartet Sie mein Kollege.“ Na prima! Am nördlichen Eingang des Palästinenserlagers wartet überhaupt niemand. Die hier herumlungernden Wachsoldaten winken mein Auto auf die Seite. Bitte warten. Dann debattieren sie darüber, was jetzt zu tun sein. Wollen mich zum lokalen Militärgeheimdienst schicken. Als ich mich weigere, geht die Debatte von vorne los.

Nach einer weiteren halben Stunde fährt plötzlich ein Militärfahrzeug vor. Zwei Uniformierte und ein dickbäuchiger Mann mit organgefarbenem Hemd steigt aus. Er sieht so schmierig aus, dass ich nur seufze: „Na hoffentlich will der nicht zu mir.“ Natürlich will er zu mir. Und diese drei netten Herren wollen mit mir ins Lager fahren, um mir bei meiner Recherche zu helfen. Ich protestiere lautstark. Argumentiere, dass mich im Lager ein UNRWA-Mitarbeiter erwartet, ich also keineswegs Gefahr laufe, verloren zu gehen. Stößt alles auf taube Ohren. „This is for the security.“ Das Totschlagargument. Vor die Alternative gestellt, bis hierher vorgedrungen zu sein und entweder unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren oder mein Glück zu versuchen, entscheide ich mich resigniert für letzteres.

Als ich Fadi, den lokalen UNRWA-Mitarbeiter frage, wie um Himmels Willen ich vernünftige Interviews mit Palästinensern führen soll, wenn ich mit einer halben Kompanie anrücke, zuckt er nur die Schultern. „Das ist unser Problem. Aber anders geht es nicht.“ Soviel zur Pressefreiheit im ach so liberalen und demokratischen Zedernstaat.

 

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Kai Schächtele mit “WM – ein Wintermärchen” für Grimme Online Award nominiert

Sie wollten mal zeigen, wie Journalismus auch gehen kann – auf eigene Faust losfahren, alles mit eigenen Augen sehen und hören und dann täglich und stündlich und multimedial für einen Leser-Kreis berichten. Unser Weltreporter-Kollege Kai Schächtele und der Fotograf und Designer Christian Frey waren im vergangenen Jahr zwischen Kapstadt und Johannesburg unterwegs, um von hinter den Kulissen der Fußball-Weltmeisterschaft zu berichten – für eine ständig wachsende Zahl von Fans.

Jetzt ist ihr “Die WM – ein Wintermärchen” unter fast 2.100 Einsendungen für einen Grimme-Online-Award nominiert worden, zusammen mit 5 anderen in der Kategorie “Wissen und Bildung”. Wir sind ganz schön stolz auf Kai!

So, und wer ihm und Christian beim Grimme Online Award noch Rückenwind geben will – Stimme abgeben für “Die WM – ein Wintermärchen” beim Grimme Online Publikumspreis!

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Besser als gedacht – mit dem Fahrrad in Los Angeles

 

Die gepunkteten Satteltaschen aus Berlin sind der Hit in Los Angeles – ob ich sie vor dem Supermarkt mit Lebensmitteln und Klopapier fülle, am Strand Handtuch und Proviant raushole oder einfach nur durch mein Viertel fahre – Kommentare sind mir sicher. Meistens gehen sie in die Richtung:’These are soooooo coool’. ‘Wow, where did you get THOSE?’ und wenn ich dann sage, dass sie aus Berlin sind kommt oft der Hinweis, ich solle sie importieren und ein BIG BUSINESS draus machen!

 

Ein Problem bei der Idee ist, dass die wenigsten Fahrräder hier Gepäckträger haben. Das größere Hindernis dürfte sein, dass Los Angeles milde formuliert nicht wirklich Fahrradfahrer-freundlich ist mit seinen ineinanderverschobenen Freewaylabyrinthen und der am Auto orientierten Architektur und Infrastruktur.

Ich hab allerdings inzwischen festgestellt, dass ich erstaunlich viel mit dem Rad erledigen kann. Einkäufe mache ich weder in Beverly Hills noch in Compton, die Hitze hält mich meist davon ab, mich in Richtung Wolkenkratzer nach Downtown zu bewegen und Hollywood überlasse ich gerne Touristen, Paparazzi und Star-Imitatoren. Also nutze ich inzwischen aus, was ich anfangs etwas öde fand: wo ich wohne besteht Los Angeles im Grunde aus einer Aneinanderreihung von Vororten – Culver City, Santa Monica, Marina del Rey und da kann man auf Seitenstraßen hervorragend dem Verkehr ausweichen. Es gibt sogar Fahrradwege! Zum Beispiel den Ballona Creek Bike Path  am Kanal entlang zum Meer, kein Auto nirgendwo! Und im Frühling jede Menge wunderbare Wildblumen am Wegesrand!

Und dann natürlich den kurvigen Fahrradweg am Meer entlang, Mehr als 35 Kilometer, vorbei am Santa Monica Pier, an Muscle Beach, wo Arnie sich die Muskeln zum Mister Universe Titel antrainiert hat, vorbei an Schlagzeug-Zirkeln, an einem Skateboardpark … 

Die Devise ist: Cruisen, nicht rasen. Weil es viel zu sehen gibt, aber auch weil immer wieder Touristen plötzlich auf den Weg latschen, die irgendwie vergessen haben, dass man auch im Urlaub erst nach rechts und links schauen sollte bevor man einen Fahrradweg betritt. Und dann sind da auch noch sehr entspannte Patienten frisch vom Besuch beim Marihuana-Doktor für die natürlich Vorfahrtschilder für Fahrradfahrer Ausdruck einer sehr beschränkten Weltsicht sind, an die sich Wesen mit ausgedehntem Bewusstsein nicht halten können.

Wem nach all der entspannten Idylle am Strand das urbane Gefühl fehlt, sollte weiter Richtung Süden radeln: dort sorgen eine Kläranlage am Wegesrand und die Fahrt unter der Einflugschneise des Internationalen Flughafens dafür, dass man nicht vergisst, wo man ist. Wer das nicht unbedingt sehen will, kann direkt an der Marina umdrehen und im Biergarten einkehren. Im Waterfront Cafe gibt es sogar ein Radler.  

 

 

 

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Smalltalk in Erdbebistan

Die Deutschlandreise liegt drei Wochen zurück, der Jetlag ist vorbei, aber wie immer nach Ausflügen in die alte Heimat hapert es danach mit der Assimilation. Alle Jahre wieder das gleiche Dilemma: Der Heimkehrer-Blues.

Die pinke Kiwi-Brille, anfangs nach der Katastrophe dank all der gutherzigen und zupackenden Menschen um mich herum rosaroter denn je, hat plötzlich einen bösen Blaustich bekommen. Diesmal verstärkt durch eine kaputte Stadt, bei der man noch nicht absehen kann, ob sie unter all ihren Wunden kapituliert und offiziell zum „Sumpfgebiet mit flächendeckender Dixie-Klo-Population, wild wuchernden Absperrungen und mäandernden Ziegelhaufen“ erklärt wird. Es bleibt weiterhin spannend: bei jeder Expedition zum Supermarkt durchs wilde Erdbebistan.

Doch genug zum Trümmer-Trauma –  mehr  verstört mich gerade die Kluft zwischen den Kulturen. Das alte Thema, transkontinental aufgewärmt: Wie sind wir, wie sind die, und wozu gehöre ich denn bitte? Ich habe schließlich das Lager gewechselt. Weshalb mir hüben wie drüben immer genau das Falsche fehlt.

Da war der Mann in Deutschland, der nach einer Lesung nicht von meiner Seite wich, obwohl ich schon in der Tür stand. Bohrender Blick. „Wie fühlen Sie sich jetzt nach dem Erdbeben?“ Dazu hatte ich eigentlich vorher schon vieles gesagt. Schnell die Treppe runter. Sein Ton war insistierend. „Werden Sie dort bleiben?“ Ich sagte ja. Er gab sich damit nicht zufrieden und verfolgte mich über den Parkplatz. „Sie müssen sich doch fragen, ob es richtig war, dorthin auszuwandern?“ Ich fühlte mich wie in einem Verhör. Gestehen Sie, bekennen Sie sich, das alles in den nächsten drei Minuten, und wehe, die Antwort ist nicht grundehrlich, tiefschürfend, möglichst politisch und zutiefst persönlich – sonst sind Sie oberflächlich!

„Die Hauptgründe, warum Sie dort leben?“, verlangte Herr Direkt noch zu wissen, als ich schon fast im Auto saß. War ich froh, dass er mich nicht an die Wand gedrückt und eine Taschenlampe auf mein Gesicht gerichtet hatte. Himmelherrgott, schick mir einen höflichen Kiwi, der dir niemals zu nahe tritt und die Feinheiten des Smalltalks beherrscht!

Zwei Wochen später, im Land der langen weißen Wolke beim langen Wiedersehens-Dinner. Ein Paar, das sich nach dem Beben getrennt hatte, weil die plötzlich obdachlos gewordene Verwandtschaft im Hause unerträglich wurde, scheint wieder vereint. Ich brenne vor Fragen, aber die Freunde unterhalten sich lieber über Reparaturen. „Wie geht’s Eurem Haus?“ – die höfliche Standardfloskel, die das Wesentliche umschifft: Wie sieht es in Dir drinnen aus? Es ist ein bisschen wie nach Kindsgeburten. Man berichtet von Pressdauer, Narkose, Kopfumfang – aber das emotionale Drama, das ist tabu.

Ich setze meine Hoffnung auf die Psychologin neben mir am Tisch. Immerhin sind Christchurchs Praxen gerade voll von Menschen, die nicht mehr klar kommen mit der neuen Realität. „Und“, fragt sie, „geht Ihr dieses Jahr Skifahren?“ Himmel, was sehne ich mich nach richtigem Big Talk.

 

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Nachhilfe im Supermarkt

Seit kurzem habe ich eine neue Routine. Einmal die Woche geht’s zu einem Supermarkt, um den ich früher aus Prinzip einen großen Bogen gemacht habe. Ich fand es ätzend, wie Ausländer scheinbar jeden Preis zahlen, um ihren Kühlschrank mit vertrauten Produkten aus den USA, Europa oder Australien bestücken zu können. Kam für mich nicht in Frage. War ja auch nicht nötig, beim japanischen Tante-Emma-Laden um die Ecke gab’s alles, was ich brauchte, und halb so teuer wie im Internationalen Supermarkt.

Doch das strahlende Atomskelett in Fukushima hat meine Einkaufsgewohnheiten verändert. Etwas verschämt parke ich nun mein altes Rad im Diplomatenviertel zwischen all den Staatskarossen und Protzautos „made in Germany“. Ich ärgere mich zwar weiter über die Preise, die einem abgeknöpft werden. ABER ich kann lesen, wo das Gemüse, das Obst und die Milch herkommen, denn die Geschäftssprache dort ist Englisch. Zwar verraten auch viele japanische Läden ihren Kunden, aus welcher Präfektur der Salat oder der Kohl kommen, doch die drei in Japan gebräuchlichen Alphabete stellen mich noch immer vor zu viele Rätsel. Die Furcht vor kontaminierten Lebensmitteln aus dem Gebiet um das kollabierte AKW ist ein bindendes Glied zwischen den Ausländern und Einheimischen. Auch viele Japaner greifen derzeit lieber zu, wenn die Waren aus einer Gegend fernab von Fukushima kommen.

Aber wie gesagt, ich kann die japanischen Etiketten nicht lesen und misch mich daher unter die illustre Kundschaft im Internationalen Supermarkt in Hiro-o. Ist schlecht für den Geldbeutel, aber gut fürs störanfällige seelische Gleichgewicht. Und ich muss zugeben –das Management hat sich etwas einfallen lassen. Nicht nur ist die kleinste Knoblauchknolle mit Herkunftsort ausgezeichnet. Nein, es gibt nun auch Handzettel, die der werten Kundschaft in Geographie helfen. Die praktischen Flyer verraten, wo in Japan denn Fukuoka, Aomori  oder Saitama liegen.

Als Grundregel gilt: Alles südwestlich von Tokio kommt ins Körbchen, alles aus den Präfekturen rund um das nördlich der Hauptstadt gelegene Fukushima tendiert zum Ladenhüter. Ganz und gar unverkäuflich waren jüngst wohl die köstlichen Shiitake-Pilze. Sie stammten aus der an Fukushima angrenzenden Präfektur Gunma und da kann ein plakativ aufgestelltes Strahlenfreiheits-Zertifikat noch so versprechen, dass die Pilze astrein sind. Auch ich kaufe sie nicht, obgleich es ein Dilemma ist.

 

Das veränderte Konsumverhalten in Japan trifft ausgerechnet jene, die ohnehin am stärksten von den Katastrophen des 11. März betroffen sind. Bauern aus der Region um das AKW haben ihre Lebensgrundlage verloren, da helfen alle Zertifikate nichts. Es wird eine ganze Weile dauern, bis in den Supermärkten wieder Normalität eingekehrt ist, und sich die Verbraucher wieder am Preis oder der Qualität der Lebensmittel orientieren und nicht an der Herkunft.   

 

 

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Wahlkampf am Büchertisch

Nächstes Jahr wird in den USA ein neuer Präsident gewählt, genauer gesagt am 6. November 2012. Das ist noch lange hin, finden Sie? Von wegen. Barack Obama startete bereits Anfang dieses Monats offiziell seine „Reelection Campaign“. In einer E-Mail an seine Anhänger erklärte er den frühen Start so: „Die Politik, an die wir glauben, beginnt nicht mit teuren Anzeigen oder Fernsehspots, sondern mit Euch – Leuten, die von Haustür zu Haustür gehen, mit Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunden sprechen. Diese Art von Kampagne braucht Zeit, um sich aufzubauen.“ Zahlreiche Getreue, die bereits beim letzten Mal dabei waren, helfen. Einige gaben dafür sogar ihre Washingtoner Jobs auf: David Axelrod etwa, in den letzten Jahren oberster persönlicher Berater von Obama, ist wieder für die Gesamtstrategie des Wahlkampfs verantwortlich. Jim Messina, bis vor kurzem stellvertretender Personalchef im Weißen Haus, kümmert sich ums operative Gelingen.

Ich hatte schon vorher gemerkt, dass der Wahlkampf begonnen hat, und zwar beim Gang durch die Buchhandlung:

 

 

 

In den USA gehört es für Politiker mit Ambitionen einfach dazu, ein Buch zu schreiben. Oder schreiben zu lassen. Das hat nicht nur mit Renommee zu tun, sondern oft auch mit schnödem Mammon: Auf dem riesigen US-Markt spielen Bestseller leicht enorme Summen ein, die gerade zu Wahlkampfzeiten willkommen sind. Die Bücher der rechtspopulistischen Tea-Party-Ikone Sarah Palin etwa, „Going Rogue“ und „America by Heart“, haben sich zusammen rund vier Millionen Mal verkauft. Zwar ist der Wahlkampf in den USA in weitaus größerem Ausmaß spendenfinanziert als in Deutschland, doch die meisten Kandidaten opfern auch erhebliche Beträge ihres eigenen Vermögens. Die frühere E-Bay-Chefin Meg Whitman beispielsweise setzte die Rekordsumme von 119 Millionen Dollar ein, um Gouverneurin von Kalifornien zu werden (die Wähler entschieden sich trotzdem für ihren Konkurrenten Jerry Brown). Selbstverständlich hatte auch sie zeitlich passend ein Buch geschrieben, „The Power of Many“, über Werte im Geschäftsleben. Es verkaufte sich nicht ganz so gut wie die patriotischen Manifeste von Palin, aber als Milliardärin ist Whitman auch nicht so auf die Einnahmen angewiesen wie die Kleinstadt-Mum.

Ihr Ausgabenrekord könnte allerdings bald gebrochen werden – wenn Donald Trump seine Ankündigung wahr macht, als US-Präsident zu kandidieren. Forbes schätzt das Vermögen des New Yorker Immobilien-Tycoon auf 2,4 Milliarden Dollar, doppelt so hoch wie das Whitmans. Ob er kampagnenbegleitend noch extra ein Buch schreibt, ist allerdings ungewiss – er hat bereits ein gutes Dutzend veröffentlicht, die meisten darüber, wie man reich wird. Außerdem hat er eine eigene Fernsehshow, The Apprentice, bei der sich Manager um einen Job in seinem Firmenimperium bewerben. Die letzte Folge Ende April sahen fast acht Millionen Zuschauer. Diesen Reklame-Effekt toppt kein Bestseller.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Königliche Hochzeit in Australien ohne Chaser … buhh!

Gut, dass ich heute abend eh nicht fernsehen wollte: 4 der 5 Kanäle, die mein TV (siehe unten) empfängt, zeigen nämlich das gleiche: die Hochzeit des Enkels der Königin von Australien! Und zwar komplett spaßfrei! 

Das einzige Programm, in dem ich mir die Hochzeit nachher evtl. doch angeguckt hätte, wäre der “The Chaser” auf ABC gewesen (korrekt: The Chaser’s war on Everything). Eine klasse Satire-Sendung, die das ganze Theater gewohnt liebevoll mit dem für Australien typischen Sinn für den ein oder anderen zynischen Scherz begleiten wollte. Doch die Jungs vom Chaser wurden gestern zurück gepfiffen, die Sendung gekippt. Und zwar vom BBC und von “Clarence House” (da wohnen Kate & Will soweit ich weiß künftig). Zu schade, das wäre wenigstens originell gewesen. Eine Chaser-Kostprobe mit Rede-Therapie für Prince Philip sickerte gestern schon durch, heute (noch!) hier auf Youtube VERY Chaser! Für heute bleibt mir, eine der xy Royal-Weddingparties der Nachbarschaft mitzufeiern, natürlich wie auf den Antipoden üblich in Kostüm: Mein Kollege Drew geht als Lady Di, das kann ja auch komisch werden. 

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