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Osterspaziergang

In Indonesien geht niemand wirklich freiwillig zu Fuß: Selbst um am Straßenstand an der hundert Meter entfernten Kreuzung Kokosmilch zu kaufen, setzen sich die meisten Leute aufs Fahrrad oder Moped. Wenn ich mit meinem Sohn im Kinderwagen in den Park des etwa 200 Meter entfernten Sozialamtes laufe, um die dort lebende Hirschfamilie zu bestaunen, stellen wir gleich eine doppelte Attraktion dar: ich auf meinen zwei Beinen und mein Sohn in seinem vierrädrigen Untersatz.

Die indonesischen Kinder verbringen ihr Leben, bevor sie laufen lernen, vor allem im Tragetuch – danach werden sie gerne auch mal auf einem Plastikdreirad mit Haltegriff durch die Gegend geschoben. Viel Gesellschaft haben wir am späten Nachmittag im Hirschpark trotzdem: Ganze Familien kommen auf ihren Mopeds um die Ecke gefahren, während die Kleinen beim Bambi-Gucken immer mal wieder einen Löffel Brei in den Mund geschoben bekommen. Nicht sehr idyllisch, aber ziemlich nervenschonend, wenn ich an unsere endlosen Fütterungsrituale am Esstisch denke.

Wirklich exotisch haben wir wohl bei unserem gestrigen Osterspaziergang ausgesehen. Obwohl Ostern auch im überwiegend muslimischen Indonesien ein nationaler Feiertag ist, an dem der Osterhase (den Holländern sei dank) Ostereier bringt, hat es der Spaziergang als Osterbrauch noch nicht bis hierhin geschafft. Die Idee entstand nach dem Osterbrunch bei deutschen Freunden – es war ausnahmsweise weder zu heiß, noch hat es geregnet.

Dummerweise kannten wir die Gegend nicht so gut und gerieten samt Kinderwagen immer tiefer in das unbekannte Viertel, die Wege wurden immer enger und hubbeliger, einige Hunde rückten uns auf die Pelle. Freundlich staunend zeigten uns die Anwohner den Weg aus den verwinkelten Gassen. Ein Kind fragte seinen Großvater, was die „Londos“ (mit diesem Wort für Holländer bezeichnen die Javaner seit der Kolonialzeit alle Europäer) denn hier machen würden? „Vielleicht ist ihr Auto stehen geblieben“, erklärte er zahnlos lächelnd.

 

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Erdbeben-Connection im Sauerland

Meine drei Wochen deutscher Frühling sind vorbei. Das aufblasbare Schaf und die Opossum-Ohrenwärmer werden jetzt eingemottet, die Lakritze ist ausgepackt. Und das Zuhause sieht fast wieder so chaotisch aus wie vor zwei Monaten: Schweres Nachbeben kurz vor der Ankunft daheim. Aber schauen wir nicht auf all die Teller mit Sprung und die Bücher mit Schleudertrauma, schauen wir zurück: Acht Lesungen, zehn Städte – ich zähle Schildgen, den Vorort der Heidi-Klum-Boomtown Bergisch Gladbach, aus Rührung dazu. Dort hatte man die Buchhandlung mit Schokoschäfchen dekoriert. Doux points.

Überhaupt, die Provinz, auf die lasse ich nichts mehr kommen. Der fühle ich mich verbundener denn je, seit meine Exilheimat Christchurch – einst zweitgrößte Stadt im Lande – durch das Erdbeben Ende Februar zum Dorf geschrumpft und in die kulturelle Steinzeit zurück katapultiert wurde: Kein Theater mehr, kaum ein Kino, keine passable Kneipe, Restaurants und gute Geschäfte rar – aber dazwischen viele Baustellen, Schlamm und aufgeplatzte Kanalisation. Allein der Geruch dort verbindet mich neuerdings mit den frisch gedüngten Feldern Schleswig-Holsteins. Und die bröckelnden Backsteinreste Lytteltons mit den halb restaurierten Fassaden rund um Erfurt. Kastanienallee dagegen? Lässt mich kalt. Wer soll beim Schuttschaufeln all die schönen Klamotten tragen? Und die hohen Gebäude, könnten die nicht einstürzen?

Überfüllte Berliner U-Bahnen und unterkühlte Hamburger Magazin-Redaktionen lösen jetzt Fluchtreflexe aus: Zu viel, zu schnell, zu wichtig. Da komme ich als antipodisches Landei und noch nicht voll resozialisiertes Katastrophenopfer kaum mit. Als Provinzlerin umweht mich außerdem ein Stallgeruch, der mich in den Metropolen zur bemitleidenswerten Exotin macht, aber mich weltweit mit einer kleinen Schicksalsgemeinde verbindet. Die tauchte in den letzten Wochen vereinzelt sogar an so abgelegenen Orten wie Menden auf – dort in Person einer reizenden Kiwi-Dame, einst aus Christchurch ins tiefe Sauerland ausgewandert. Mit Tränen in den Augen erzählte sie von unserer zerstörten Stadt. Da war ich aber froh, dass ich das aufblasbare Schaf im Anschluss an meine Lesung nicht näher anatomisch erklärt hatte, genauso wenig wie in Schildgen. Solche Geschmacklosigkeiten behält man sich  besser fürs Großstadtpublikum vor.

Woran man in diesen Tagen erkennt, ob man aus Christchurch kommt? Man freut sich plötzlich, wenn die Polizei unangemeldet auftaucht, Besucher begrüßt man mit „Willst Du bei mir duschen?“, und wenn es regnet, holt man nicht die Wäsche rein, sondern legt sie raus, damit sie sauber wird. Hausbar und Schränke sind verrammelt, aber nicht, um Kinder davon fern zu halten. Man kennt das Kleingedruckte seiner Versicherung auswendig und kann Wassertanks reparieren. „Mal kurz in die Stadt fahren“ heißt, sich einen Schutzhelm und Reflektor-Weste anzuziehen. Und die Antwort auf die Frage „Wo ist denn das Adressbuch/der Schlüssel/das Salatbesteck“ lautet ab jetzt immer: „Irgendwo auf dem Boden“.

 

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Heizung aus, Hochzeit an!

Wenn Kate und William am Freitag in zehn Tagen ihren großen Tag zelebrieren, wird jemandem aus der jubelnden Menge vielleicht gerade die Heizung abgedreht. Einem anderen, der mit Kind auf dem Arm das britische Fähnchen wedelt, winkt die Kündigung. Wieder einer weiter vorne im euphorischen Gedrängel um den Buckingham Palace wird diesen Monat seine Miete nicht bezahlen können.

Und doch werden sie lachen und jubeln und es dem millionenschweren Paar, das hier zusammenkommt, von Herzen gönnen. Soll doch der Rest der Welt in sich zusammenfallen und explodieren, so lange die eigene Monarchie weiterwächst, Kates Hochzeitskleid ein Traum ist und man Williams Glatze nicht sieht! Zeitgleich zum Vermählungsereignis des Jahrzehnts beginnt in England auch das neue Steuerjahr, und spätestens jetzt werden die drohenden Kürzungen der konservativen Regierung richtig heftig beginnen wehzutun.

Wer diesen bitteren Zusammenhang zwischen diesen beiden Daten derzeit thematisiert, wirkt wie ein herzloser Spielverderber. Bitte lass uns nur dieses eine Mal nicht über Politik reden. Immerhin sind Spektakel wie dieses im Grunde ja das, was den britischen Sinn von Glück und Stolz überhaupt (noch) und am prägendsten definiert. An jenem historischen Freitag wird die britische Nation endlich wieder von der Welt bewundert, geliebt, verehrt werden, für das, was sie wirklich und wahrhaftig kann: das Zelebrieren grenzenloser Unterhaltung.

Doch macht die Fähigkeit zum Spektakel die Briten glücklich genug, um die poröse Basis, auf der sie feiern, in Ordnung zu finden? Ebenfalls in den April fällt neben der Vermählung und dem Beginn des Steuerjahres zufälligerweise die Präsentation des “Happiness Index”. Dafür werden erstmals rund 200.000 britische Haushalte vom Office for National Statistics (ONC) nach dem Befinden befragt: Hi! Kürzungen und Jobkündigung mal beiseite: Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit ihrem Leben? Welche Dinge sind für Sie lebenswert?

Großbritannien steckt inmitten historisch-drastischer Kürzungen und David Cameron will wissen, wie es seinen treuen Schafen kurz vor der Schlachtbank so geht. Alles gut so weit? Kündigung verkraftet? Prima! Dann kanns ja weitergehen! Die Ergebnisse des “Happiness Index” werden 2012 veröffentlicht, dem Jahr, in dem die Briten sich bereits mit dem nächsten Spektakel ablenken: die Olympiade. Und da es Sommer ist, braucht man nicht einmal eine Heizung.

 

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Gala-Kids: Sind Promi-Kinder auch prominent?

Die Zeitschrift Gala hat einen Kinder-Ableger namens Gala-Kids herausgebracht. Nun ist Gala ist ein Promiheft und das Heft ist meist voll mit Paparazzi-Bilder von Brad, Jennifer, Julia. Reese und Konsorten. Das stört mich das rein gar nicht. Denn ich stehe auf dem Standpunkt, dass wenn man als Schauspieler so viele Kohle für sehr angenehme Arbeit einstreicht, dass man auch die Kehrseite der Medaille akzeptieren muss und als mehr oder minder öffentliche Person überall fotografiert werden kann. Das gilt in meinen Augen KEINESWEGS für die Kinder der Stars. Diese Kinder haben solange sie noch nicht das Teenie-Alter erreicht haben und sich nicht für einen Nebenjob als Kinderschauspielerin entschieden haben, eine Privatsphäre, die es zu schützen gilt.

Gala Kids steht da wohl auf einem anderen Standpunkt. Die ersten 16 Seiten sind gespickt mit Paparazzi-Bildern von Promi-Kids oder Promis mit ihren Kids (siehe Scan oben). Unter “Guck mal, wie die aussehen…” werden die Streetstyle des Star-Nachwuchses auseinander genommen. Auch im restlichen Heft gibt es nur sehr wenige Seiten, wo ich kein Kind von Brad Pitt, Liv Tyler, Dana Schweiger, Julia Roberts etcetera entdecke. Egal ob Mode- oder Beauty-Seiten, irgendwo taucht immer ein Promi mit seinem Nachwuchs auf.

Ist so was in Ordnung oder nicht? Oder bin ich einfach altmodisch in meiner Haltung? Warum nicht einfach schöne Shootings machen mit Kinder-Models? Die schauen oft sehr niedlich aus und die Kids sind zehn mal besser gekleidet als die Streetstyles der Promi-Kinder aus dem Abenteuer-Spielplatz.

Foto: Scan aus Gala Kids

 

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Ausverkauf libanesischer Frauen?

In Beirut hat die Badesaison begonnen. Seit dem Wochenende aalen sich die Bikinischönheiten in den Strandclubs,

eingeschmiert mit sonnenverstärkenden Ölen, denn die knackige Bräune muss ganz schnell her. Schließlich will Frau in den Nachtclubs und auch auf der Strasse bald viel Haut zeigen. Ich werde schon seit langem das unangenehme Gefühl nicht los, dass die Libanesinnen es zumindest zum Teil selbst Schuld sind, dass sie in den Augen dieser Macho-Gesellschaft weitgehend zum Objekt sexueller Begierde degradiert wurden. Viele Frauen identifizieren sich so sehr mit ihrer Rolle als verführerische Kätzchen, wenn sie nicht gerade als Hausfrau und Mutter eingespannt sind, dass sie zur zweiten Natur geworden ist.

Doch dass das Tourismusministerium in seiner neuesten Werbekampagne auf die Vermarktung der legendären libanesischen Schönheiten setzt, das geht zumindest für einige Libanesinnen nun doch zu weit. In dem Werbespot „Lebanon Blues“ für den US-Markt kann sich ein junger Amerikaner nicht mehr auf seine Arbeit im Büro konzentrieren, weil ihm die Libanesinnen, die ihm den letzten Urlaub versüßten, nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Dieser Clip brachte das Fass zum Überlaufen, schimpft die 21jährige Leen Hashem. Eine Gruppe junger Feministinnen setzte sich zusammen und verfasste einen Protestbrief an den Minister. Es sei inakzeptabel, dass die libanesische Regierung versuche, die Körper der Libanesinnen zu verkaufen, damit viele Touristen ins Land kommen, heißt es darin. Wie könne das Ministerium es wagen, die Frauen feil zu bieten, die auf der anderen Seite vom Gesetz benachteiligt würden und die vor gewaltsamen Übergriffen durch Männer auf keine Weise geschützt seien?

Und was sagt darauf der Minister? Die jungen Aktivistinnen sollten sich schämen, so unpatriotisch zu sein! Das sei doch alles völlig übertrieben, der Spot zeige ine Frau im Bikini lediglich für 30 Sekunden. Aber er ist unmissverständlich anzüglich – ohne große Worte. Davon will Minister Aboud nichts wissen. Jedenfalls war ihm nicht nach einer Entschuldigung zumute. Die Feministinnen wollen nun selbst einen Videoclip veröffentlichen, in dem sie die Diskriminierung gegen libanesische Frauen zur Schau stellen. Sie würden diverse Werbekampagnen weiter kritisch beobachten, sagt Leen Hashem.

Man kann den Libanesinnen nur wünschen, dass sie langfristig mit ihrer Kritik Erfolg haben. Denn bald fallen sie wieder ein, die feisten Männer aus den arabischen Golfstaaten sowie die lüsternen Geschlechtsgenossen aus dem Westen. Ihr Blick spricht Bände – hier geht es nur um eines. Und es ist mit nur wenig Hülle aber viel Fülle zu haben im Zedernstaat.

 

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Australien spielt Schiffe versenken, trotz Protest der Delfine…

Recycling ist keine Stärke der Australier. Das ist schade, u.a. wg Umwelt. Zugleich birgt die Wegschmeisswonne eine echte Gefahr für Exil-Deutsche: Wir verfallen bei dem Thema rasch in die allseits gefürchtete, allemanische Besserwisserei (“nun schaut mal Leute, WIR zeigen euch jetzt rasch wie das geht, okay…?”). Ich mühe mich derlei strikt zu vermeiden. In Sachen Wiederverwertung beiss ich mir allerdings dabei oft auf die Zunge bis die Zähne rot sind. Hilft nix, beim R-Thema komm ich mir oft vor, wie in Westfalen vor 25 Jahren (“Hömma gezz ellich, Glasscontäner…? Die sind doch viel zu laut, oder? und ürgendwie hässlich….”) Aber weil der WR Blog ja nicht Australisch geschrieben, die Gefahr als bettergerman enttarnt zu werden also gering ist, erlaub ich mir jetzt unter uns, mal eben so richtig drauf zu hauen. Anlass: ein Kriegsschiff.

 

 

Mit dem hat heute Australiens Navy nämlich wahrhaft Schiffe versenken gespielt: HMAS Adelaide, ein stattlicher Kriegskreuzer, wenngleich altersschwach, wurde mit Schlitzen versehen. Dann wurde er aus dem Hafen geschleppt, und vor Avoca nördlich von Sydney implodiert und auf dem Meerseboden abgelegt. Warum? Because they can! Wozu mühsam Stahl, Öle, Schrauben und was alles sonst noch so ein Schiff ausmacht recyclen, wenn man’s auch einfach auf dem Pazifikboden vermüllen kann? Genau, ist schließlich auch ein Super Tauchrevier der Zukunft oder? Wer weiss, wie lange es das Great Barrier Reef noch so macht, da hat man eben schon mal ein paar alternative Scuba-Paradiese….

Und jetzt zum Positiven (etwas Ausgewogenheit muss sein): Nicht alle Australier mögen den “hau wech die Sch…e”-Stil. Eine Anwohnergruppe versuchte sogar ein Jahr lang verzweifelt das Schiffeversenken vor ihrem Lieblingsstrand zu verhindern. Sie fanden das künstliche Riff zweifelhaft. Die Idee, 23 000 m2 bleihaltige Farbe via Schiffsrumpf ins Meer zu schieben kam ihnen ebenfalls etwas gestrig vor. Erfolg hatten sie und andere Umweltinitiativen nicht. 

Kurz vor der Explosion des Kriegskreuzers protestierte dann sogar noch die Tierwelt. Das war dann schon wirklich eine Spur esoterisch: Exakt um die Uhrzeit, zu der die legale Meeresbodenverschrottung geplant war, tauchte eine Delfinschar (klick für Beweise!) rund um den grauen Schiffsrumpf und verzögerte die Aktion. Leider nur ein paar Stunden. 

Weitere Positive Tendenzen: Es gibt hier und dort zarte Zeichen, dass Down Under recyclingtechnisch eines Tages im 21. Jahrhundert landen könnte: Es gibt zb schon ein paar Gegenden mit mehr als einer Mülltonnenfarbe. (Zb Bondi Beach, wie mein Hinterhoffoto, rechts, beweist). Es gibt gar Orte wie Bundanoon, das 2009 beschloss, kein Wasser in Plastik mehr zu verkaufen. Fast rührend angesichts der 600 Millionen Liter Plastikwasserflaschen das Australier – gesegnet mit erstklassigem Leitungswasser – pro Jahr kaufen… aber immerhin ein Anfang. Ein Ort in Tasmanien verpackt nicht mehr jede Banane in Plastiktüten, wie sonst allseits normal. Coles Bay ist seit Jahren tütenfreie Zone, und seltsamerweise sind nicht alle Einwohner sofort geflohen noch auf die Barrikaden gegangen, wie es Politiker für den Rest des Landes befürchten, sollte jemand eines Tages Geld für Tüterei verlangen…

Ach ja, thanks for sharing! das tat jetzt mal gut. 

Zum Dank fürs Zuhören noch was Überraschendes: Die Vorgängerin der HMAS Adelaide von 1918 wurde übrigens artig zerlegt, verschrottet und anschließend Teile des Schiffsmaterials gar wiederverwertet.

Schon seltsam, wie kluge Ideen aus der Mode kommen.  

 

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Deutsche Botschaft hält Abstand

Eigentlich hätte dieses Wochenende das schönste im Jahresverlauf für die Bewohner Tokios sein können. Es ist Sakura-Zeit, überall in den Parks, auf Plätzen und entlang der Flüsse blühen Kirschbäume. Ihre zartrosa, weißen oder pinkfarbenen Blüten symbolisieren für die Japaner einen Lebenszyklus in all seiner Schönheit und Vergänglichkeit. Sakura wird jedes Jahr ausgiebig gefeiert: Nie sieht man Japaner ausgelassener (und betrunkener) als bei Hanami, dem Picknick unter blühenden Kirschbäumen.Trotz der Ereignisse vom 11. März sind sie in bei lauen Frühlingstemperaturen in den vergangenen Tagen mit ihren blauen Plastikplanen in Tokios Parks gezogen, haben sich mit Kollegen, Freunden und Familie getroffen. Der Wind wehte von Süden und vertrieb damit etwaige Sorgen. Südwind heißt: keine Gefahr aus Fukushima, alles weht aufs Meer hinaus. Heute, am Samstag, regnet es. Das verhindert viele geplante Hanami-Feiern, aber immerhin ist die Nachrichtenlage nicht ganz so düster wie an manch anderen Tagen. Die Amerikaner, so heißt es, überlegen, ob sie mit der Ausweisung einer 80 km-Evakuierungszone um das AKW nicht etwas übertrieben haben.

 Und die Deutschen? Das offizielle Deutschland sitzt weiterhin in Osaka. Am 18. März hat sich die Botschaft aus Tokio abgesetzt und Zuflucht in der 500 km weiter südlich gelegenen Großstadt gesucht. Während die Mehrheit der insgesamt 24 Botschaften, die Tokio in den Wirren nach dem 11. März ebenfalls verlassen haben, inzwischen wieder in der Hauptstadt sind, rücken die Deutschen nicht von ihrer Meinung ab. Momentan bestehe in Tokio aus radiologischer Sicht zwar keine Gefahr, aber so lange die Kühlsysteme in den havarierten Reaktoren nicht wieder zuverlässig arbeiteten, sollte man sich im Raum Tokio/Yokohama nur wegen eines zwingenden Grundes aufhalten und möglichst nicht länger als einen Tag. Nun ist aber inzwischen bekannt, dass die Kühlung erst in Wochen, möglicherweise Monaten wieder funktionieren wird.

Mit ihrer Argumentation hat sich die Botschaft in eine Sackgasse manövriert. Und die Deutsche Schule in Yokohama so wie deutsche Firmen gleich mit. Wegen der Warnung der Botschaft ist die Deutsche Schule die einzige in Japan (außer jenen in den Evakuierungszonen), die noch geschlossen ist. Hunderte Kinder müssen vorübergehend im In- oder Ausland auf andere Schulen gehen. 35 Abiturienten fragen sich, wie sie im Mai ihre Prüfungen ablegen sollen. Große Firmen wie VW, die ihre Angestellten samt Familien wenige Tage nach dem großen Beben nach Deutschland geflogen haben, trauen sich nicht, ihre Leute wieder nach Japan zu schicken.

Unser aller Außenminister, der sich vor zehn Tagen nach Tokio gewagt hatte, brachte das Totschlag-Argument: Sicherheit gehe vor, so Westerwelle. Da frage ich mich, wie es kommt, dass die Briten, Italiener oder Australier nie daran gedacht haben, ihre Botschaft zu evakuieren und auch ihren Landsleuten dies nicht so eindringlich rieten?

 Sind die Deutschen einfach hysterisch, wenn es um die potenzielle Gefahr atomarer Verstrahlung geht? Oder sind wir von Natur aus übervorsichtig, misstrauisch, skeptisch? Andersherum gefragt: Bin ich, weil ich mit meinen Kindern in Tokio bin, leichtsinnig, naiv, schlecht informiert? Letzteres sicher nicht. Wenn mich eines beruhigt, dann ist es der Zugang zu Informationsquellen, die aktuelle Strahlenwerte in Tokio aufzeichnen und die seit meiner Rückkehr aus Singapur im grünen Bereich liegen.

Ich bin gespannt, wann die deutsche Fahne wieder über der Botschaft im Bezirk Minato-Ku wehen wird. Vielleicht bekomme ich es aber auch gar nicht mehr mit. Im Sommer ziehen wir zurück auf die Philippinen. Ob die Kühlung in Fukushimas AKW bis dahin wieder funktioniert, ist nicht abzusehen.

 

 

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Selbes Land, andere Welt!

Die Fahrtbeschreibungen zu meinen Gesprächspartnern in Wyoming beinhaltet Ölbohrstationen, Heuhaufen, Warnungen vor Schneestürmen und den Tipp, einen guten Reservereifen mitzunehmen, weil es auf den 20 Meilen unbefestigter Straße keinen Handyempfang gibt und das Satellitentelefon auf der Rinderfarm, zu der ich fahre nur sporadisch funktioniert. Je nachdem, wie der Satellit steht. Ich kann es kaum erwarten, mich auf den Weg zu machen!

Ich fahre ewig entlang endloser Felder und roter Felsformationen. Kein Haus, kein Auto, keine Stromleitung, kein Mensch in Sicht. Am nächsten Morgen sitze ich nicht in meinem Cabrio im mehrspurigen Berufsverkehr von Los Angeles, sondern mit Mutter Gwen, ihren zwei Kindern Kody und Kiley bei Sonnenaufgang im Geländewagen. Wir fahren 45 Minuten auf einem unbefestigten Feldweg zur Haltestelle des Schulbusses, in dem die Kinder nochmal 25 Minuten zum Unterricht unterwegs sind. Statt sich Yoga, Meditation, Jogging oder anderen in Kalifornien beliebten Aktivitäten zu widmen steigt Gwen nach der Rückkehr auf den Heu-Laster, fährt mit Ehemann Reno zur Wiese, wo rund 1400 Kühe mit ihren Kälbern auf Futter warten.

Hier werden keine Sinnfragen gestellt. Es wird getan, was getan werden muss. Alle haben ihre Aufgaben. Auch die acht australischen Hütehunde, die im Sommer unverzichtbar sind, wenn mehr als 3000 Kühe auf höher liegende Bergwiesen getrieben werden. Kiley und Kody wissen: wenn sie sich über Langeweile beklagen, werden sie durch den eisigen Wind zur Scheune geschickt zum Sattel ölen, Kälber füttern oder Hundehaus säubern. Vater Reno fordert mich beim Abendessen mit Rinderbraten, Kartoffelbrei und Pekannuss-Pie auf, meinen Freunden in Kalifornien zu sagen, sie sollen Republikaner wählen und die verrückten Demokraten aus dem Amt scheuchen. Die würden Geld verschwenden an die angeblich Armen, die in Wirklichkeit nur zu faul zum Arbeiten seien. „Kaum jemand will so hart arbeiten, wie wir!“ sagt der Farmer und hat wahrscheinlich Recht. Er schiebt hinterher: „Nur die Latino-Immigranten! Die wollen auch nur ein besseres Leben für ihre Familien, wie wir alle! Die nehmen dafür jede Arbeit an!“ Für eine lange Diskussion bleibt keine Zeit. Reno schaut in den Stall. Sein Gespür hat den Bauern, der auf einer Rinderfarm ohne Strom aufgewachsen ist nicht getrogen: eine kranke Kuh kalbt, die Geburt ist kompliziert. Ich erlebe am nächsten Morgen  den Höhepunkt meines Land-Ausflugs: Gwen drückt mir eine Flasche mit warmer Milch in die Hand und fordert mich auf, das frisch geborene Kalb zu füttern. Kaum angekommen, habe auch ich schon eine Aufgabe bekommen.

 

 

 

 

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Dior wirbt am Justizpalast und verursacht Polemik

Die öffentlichen Kassen sind leer. Doch die Gebäude müssen dennoch renoviert werden. Also hat die französische Regierung beschlossen, dass Firmen an Baugerüsten werben dürfen und die Einnahmen in die Restauration fließen. Nun aber wirbt Dior. Just am Justizpalast. Am 12. Mai muss dort ihr Ex-Designer John Galliano sich vor Gericht verantworten für seine rassistischen Äußerungen. Geht das? Nein meint, Richard Samas-Santafe von der Gewerkschaft der Magistrate. Das sei prinzipienlos. Doch Dior hat Geld und die Restaurierung kostet 2 Mio. Euro. Was tun? Runter mit dem Plakat oder Augen zukneifen und durch.?Theorietisch könnte die Dior-Werbung bis zum Oktober, also bis zur nächsten Fashonweek dort hängen bleiben. Vielleicht hat das Haus bis dahin einen neuen Designer gefunden.

Foto: Barbara Markert

 

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400 Euro für die falsch getrennte Glühbirne

„Geht ein Römer zur Mülltonne und trennt Papier und Plastik“ – bis vor ein paar Wochen hätte ich das noch als Antiwitz erzählen können nach dem Motto: „Gehen zwei Männer über eine Brücke. Der eine fällt ins Wasser, der andere heißt Helmut!“ Doch seit 1. März ist alles anders.

Gut, es gab schon früher Tonnen für Plastik und Papier vor meiner Haustür, aber mal ganz ehrlich: Waren das nicht einfach andersfarbige Restmülltonnen? Zwar gab es wirklich Nachbarn wie Signora Lovello aus dem vierten Stock, welche auf geradezu teutonische Art fein säuberlich gestapelte Joghurtbecher in den Plastikcontainer warf – doch die hat ja auch zwölf Katzen und gilt als leicht verrückt. Die meisten aus meinem Haus machten es so wie Signor Prosperi: Wenn die Restmülltonne voll war, kam der Beutel halt in den Plastik oder Altpapier-Container. Als er sich einmal ertappt sah, streckte er sein Kinn nach vorne und machte dieses römische „eh eh eh“, das so viel bedeutet wie: „Ja mei“. Oder „Ich steh dazu. Was soll ich denn anderes machen? Ach komm schon!“

 

Tja, Herr Prosperi, die Zeiten sind vorbei. Denn nun wird der Müll persönlich kontrolliert, bevor man ihn abgibt. Ja wirklich! Wo früher gemütliche Tonnen standen, die alles fraßen, was man in ihre Mäuler stopfte, steht nun ein strenger Mensch: Unter enormen Personalaufwand der Abfallbetriebe wird mein Stadtviertel gerade umerzogen – andere Viertel werden dann folgen. Plastik-, Papier-, Bio-, oder Restmülltüten werden persönlich übergeben. Und ich und meine Nachbarn zittern vor dem prüfenden Blick von Müllfrau oder Müllmann. Geschockt erzählte mir mein Nachbar und Freund Andrea vor ein paar Tagen die Geschichte von der Glühbirne: Der Müllmann hatte sie im Restmüll entdeckt und Andrea sollte 400 Euro Strafe zahlen oder die Glühbirne zum etwa 20 Autominuten entfernten Wertstoffhof fahren. Andrea nahm die Glühbirne wieder nach Hause, wo sie gleich rechts im Eingang auf der Ablage liegt. „War das ein deutscher Müllmann“, habe ich gefragt, doch Andrea schüttelte den Kopf: „Ein Römer!“ Kaum zu glauben.  

Doch nicht genug, es gibt noch etwas erstaunlich Neues in Rom. Gestern war ich Einkaufen im Supermarkt, an der Kasse fragte ich nach einer Tüte und dachte an „Plastiktüte“. „Da unten“, sagte der Kassierer und deutete auf einen Stapel Papiertaschen. Gut, seit 1. Januar gilt ein Gesetz in Italien, dass Plastiktüten verbietet. Aber, Madonna! Wer hätte gedacht, dass das wirklich umgesetzt wird! Ich zwinkerte zweimal mit den Augen, doch immer noch lagen da nur Papiertüten. „Geht ein Römer in den Supermarkt und geht mit einer Papiertüte wieder heim“. Was wäre das noch vor einem Jahr für ein großartiger Anti-Witz gewesen!

 

 

 

 

 

 

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Südostasiens nukleare Zeitbomben

Von Fukushima könne man lernen, erklärte Vietnams stellvertretender Technologieminister. Damit meinte er allerdings nicht, dass Atomenergie unberechenbar gefährlich sei, sondern was man beim Neubau eines Atomkraftwerks beachten müsse, um ähnliche Vorfälle zu vermeiden: Acht Reaktoren sollen in Vietnam bis 2031 ans Netz gehen. Damit führt das Land das Rennen um den ersten Nuklearstrom in der Region an.

Thailand plant die Fertigstellung seines ersten AKW bis 2020, vier weitere sollen folgen. Die Atomenergiepläne in Indonesien und auf den Philippinen sind besonders beängstigend: Beide Länder liegen auf dem pazifischen Feuerring und sind daher extrem erdbebengefährdet. Doch während die Regierungschefs in Thailand und den Philippinen angesichts der Katastrophe in Japan zurückrudern, scheinen sich die Atomlobbyisten in Vietnam und Indonesien einig zu sein, dass die Fehler der Japaner ihnen nie passieren könnten. 

„Jakarta ist bei einer solchen Katastrophe sicher“, erklärte ein indonesischer Lokalpolitiker in der Jakarta Post. Woher er diese Sicherheit nimmt, bleibt rätselhaft: Simulationen zeigen, dass etwa ein Drittel der Neun-Millionen-Metropole von einem Tsunami derselben Größe weggewaschen würde – und die wenigen glaubhaft erdbebensicheren Gebäude haben Japaner gebaut. Indonesische Unternehmer sind zudem nicht gerade bekannt für die Einhaltung von Abmachungen und Vorschriften, sondern eher für Korruption und Unpünktlichkeit, weswegen viele technische Vorhaben bereits an menschlichem Versagen und Materialmängeln gescheitert sind.

Das Lieblings-AKW der südostasiatischen Atomgegner steht in Bataan auf den Philippinen: Der 1986 fertig gestellte Reaktor ging nach Tschernobyl niemals ans Netz. 

 

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Berichterstattung aus Burma wg. Erdbeben

Am Donnerstag Abend hat sich im Nordosten Burmas ein schweres Erdbeben ereignet, mitten im Goldenen Dreieck zwischen Burma, Thailand und Laos. Es hatte die Stärke 6,8 und spielte sich in nur 10 Kilometern Tiefe ab. Damit ähnelt es stark dem Haiti-Beben.

Bislang sind etwa 80 Tote bestätigt, aber zu etlichen Bergdörfern ist jeglicher Kontakt abgerissen. Offenbar hat es zahlreiche Erdrutsche gegeben. Die Zahl der Todesopfer dürfte weitaus höher sein.

Ich bin gerade auf dem Weg nach Mae Sai an der Grenze zu Burma und werde auch versuchen, mit einem Tagesvisum ins Katastrophengebiet auf der anderen Seite der Grenze zu gelangen. Falls das nicht klappt, werde ich versuchen, mit von Mae Sai aus ein Bild zu machen.

Ich bin ab Samstag früh, 6 Uhr dt. Zeit, vor Ort zu erreichen. Eine Leitung werde ich nicht haben, aber ich bin per Handy (in Thailand) oder Sat-Telefon (in Burma) zu erreichen:

Tel.: 0066-858-314-174
Sat-Tel: 0088-216-4494-1281

Ich sollte auch in Tachileik in Burma auf der Thai-Nummer zu erreichen sein. Bitte mehrfach versuchen, falls das nicht klappt auf die Sat-Nummer ausweichen.

Sehr gerne kann ich auch kurze Radiobeiträge schicken, ca. eine Minute. Bei Interesse bitte melden bei:
zastiral@weltreporter.net

 

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Spieglein, Spieglein…

Selbstbespiegelung ist in den nordischen Ländern recht ausgeprägt, zumindest auf kollektivem Niveau. Wenn im Ausland über das eigene Land berichtet wird, ist das fast immer eine Schlagzeile wert. Schwedische Medien berichteten sogar in eigenen Artikeln, dass der Selbstmordattentäter vom Dezember in Stockholm international auf Interesse stieß – es schien als sei man stolz darauf.

Es muss wohl an einem gewissen Minderwertigkeitskomplex liegen, wenn jedes bisschen Aufmerksamkeit gleich zu einem Jauchzen führt. Aus einem großen Land mit (glücklicherweise) wenig Nationalstolz kommend, ist mir das ziemlich suspekt. Noch suspekter muss das wohl Chinesen sein. So wie Chinesen über Berlin oder München als Großstadt nur lächeln können, beschäftigen sie sich vermutlich auch nicht damit, dass ihr Land mal wieder irgendwo im Ausland in einer Zeitung steht.

Dänemark hat es mal wieder geschafft: ‘Anerkendt britisk avis laver hyldestguide til Danmark’ (etwa: ‘Anerkannte britische Zeitung bringt lobpreisenden Dänemark-Führer’) titelt die online Ausgabe der linksliberalen Tageszeitung Politiken und schreibt voller Selbstzufriedenheit, wie toll die britischen Reisejournalisten Dänemark fänden (wenngleich sie über Rassismus klagen, auch das bleibt nicht unerwähnt). The Guardian hatte die entsprechenden Texte veröffentlicht. Letztlich handelt es sich um nichts Weiteres als die klassische typische recht unkritische Reisetippberichterstattung. Aber so wie sich viele Schauspieler, die den Zenit überschritten haben oder jene, die nie die Spitzenliga erreicht haben, über jeden oberflächlichen positiven Artikel über sie freuen, mag er auch noch so substanzlos sein, so ist es wohl mit manch kleinen Ländern – Hauptsache man kann den Eindruck erwecken, wahrgenommen zu werden.

Manchmal ist so etwas – bei Staaten wie bei Schauspielern – tragisch zu nennen. Dabei haben die Länder hier oben wie viele andere auch doch so interessantes zu bieten, warum also jedes bisschen Aufmerksamkeit aufbauschen wie ein Profilneurotiker? Vor drei Jahren präsentierte das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen und Dragset auf der U-Turn Quadriennale (die dann doch ein Einmalereignis blieb) das Werk ‘When a country falls in Love with itself’ – sie stellten einen Spiegel vor dem dänischen Wahrzeichen Kleine Meerjungfrau auf.

Dies nicht aus Eitelkeit, sondern für diejenigen, die mehr lesen möchten:
Für die online Ausgabe von art schrieb ich damals einen Artikel über U-Turn – zu lesen hier, im Interview, das ich im Herbst 2010 mit Elmgreen und Dragset für The Art Newspaper führte, sprechen sie auch über die Selbstbezogenheit Nordeuropas (wobei, was Michael Elmgreen hier sagt auch für Deutschland gelten dürfte – weniger für die seriöse Presse, aber die Bevölkerung als solche, dazu ein aktueller Text von Claudius Seidl aus der FAZ am Sonntag) – komplett nur in der gedruckten Ausgabe, ein Ausschnitt deshalb direkt im Blog:

TAN: Your works When a Country Falls in Love with Itself and Han clearly refer to the Little Mermaid. Ai Weiwei has also been influenced by Copenhagen’s famous sculpture. Why is it so appealing to tourists and artists?

ME: National symbols are always fun to investigate and work with. They tell us about national identity.

TAN: In Sweden, the new right-wing political party in parliament—the Sweden Democrats—argues against supporting non-figurative art. How do you feel, as Scandinavians, hearing that?

ME: It is totally out of touch with reality—the most conservative non-progressive art may be abstract art. But I’m not part of that society anymore: I am an emigrant, I moved somewhere else. I don’t lose sleep about tendencies in Scandinavia. It worries me more that three million people are homeless because of the flooding in Pakistan.

 

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Lost in Transition

Heute hatten meine Kinder den ersten Schultag. Um zehn sollten sie zur Bibliothek der Tanglin Trust School in Singapur kommen. Eigentlich gehen sie in Tokio zur Schule, aber die ist seit dem Erdbeben am 11. Maerz geschlossen. Nun duerfen sie zusammen mit etwa zwei Dutzend Schulkameraden einen Ersatzunterricht besuchen. Zwei Lehrer, die aus Tokio gekommen sind, werden dafuer sorgen, dass sie die online verschickten Lernpakete durcharbeiten.

Wir gehen zu Fuss, es ist tropisch schwuel, Schweiss laeuft den Ruecken runter . “Ich mag nicht zur Schule”, sagt meine Aeltere. “Sind wir spaet dran?”, fragt die Juengste besorgt. Sind wir nicht. Vor der Bibliothek steht ein kleiner Trupp, ein Lehrer nimmt meine Kinder in Empfang. Ich halte mich etwas fern, sage Tschuess und schaue zu, dass ich wegkomme, bevor mich andere Muetter in ein Gespraech verwickeln.

Ich mag nicht wieder diese Muehle in meinem Kopf in Gang setzen. All diese Informationen hineinstopfen, die aus Tokio kommen. Versuchen, sie zu sortieren: In relevant und unwichtig, in glaubwuerdig und unglaubwuerdig. Seit acht Tagen sind wir in Singapur, die ersten Tage habe ich vollkommen neben mir gestanden. Habe brav weiter geschrieben fuer deutsche Zeitungen, alle news gescannt, mit Freunden geskypt und gemailt, die selbst im Ausland waren oder in Osaka. Einen klaren Kopf hatte ich nie.

Wie in einem Karussell drehen sich die Gedanken in meinem Kopf. Wie geht es weiter, wie lange sollen wir hier bleiben? Ist es wieder sicher, koennen wir nach Hause, nach Tokio? Viele Freunde melden sich. Sie sind froh, dass wir nicht mehr in Tokio sind. Sie wuenschen mir Glueck, richten Gruesse an die Kinder aus. Als waeren wir im Urlaub. Aber wir sind nicht im Urlaub. Weg von zu Hause, ja. Aber Ferien fuehlen sich anders an.

Wir sind irgendwie “lost in transition”. Im Niemandsland. Ich will so schnell wie moeglich zurueck. Will in Japan helfen, so gut ich kann. Wir konnten weg, haben uns Tickets gekauft und sind in Sicherheit geflogen. Anders als die Japaner, die ausharren und abwarten. Auch sie fuerchten sich, doch sie bleiben.  

 Ich habe in Singapur zwar keine Angst mehr um meine Kinder, das Handy warnt nicht regelmaessig vor einem neuen Erdstoss, die Strahlengefahr ist weit weg. Aber da ist diese Unruhe, die immer wieder aufflackert. Es ist schwer zu erklaeren, ich verstehe es letztlich selber nicht. Verglichen mit dem, was die Ueberlebenden in den Tsunamigebieten oder die Bewohner rund um das kollabierende AKW in Fukushima durchmachen muessen, sind meine Probleme laecherlich. Das weiss ich, aber dieses Wissen hilft mir auch nicht. Eine Entscheidung musste her.  

Vor zwei Tagen habe ich beschlossen, dass wir zurueckkehren. Am Freitag geht unser Flug. Ich schwanke zwischen Hoffen und Bangen, die Ungewissheit nagt wieder an mir. Ist es zu frueh? Warum bist du ueberhaupt weggegangen, wenn du jetzt nicht warten kannst?

Als ich die Kinder in der Schule abhole, sind sie ausgelassen. Beide haben es genossen, den Tag mit Freundinnen aus Tokio zu verbringen. Vor dem Einschlafen sagte meine Aelteste: “Ich freu’ mich auf die Schule morgen”. Es wird ihr zweiter Schultag in Singapur sein, und wahrscheinlich auch ihr vorletzter.

    

 

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Unsere Diktatoren dürfen das

Ist der Ruf erst ruiniert… Vielleicht denken sie das wirklich. In Washington, in Riyadh und in Manama. Die amerikanische Regierung ruft zu „Zurückhaltung“ auf in Bahrain. Während 1200 saudische Militärs und 800 Polizisten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten einrollen, um – wie es heißt – strategisch wichtige Gebäude und die Interessen der Königsfamilie zu schützen. Sie kommen auf Einladung von König Hamad, versteht sich. Eine hübsche kleine Golf-Party wird das werden.

Tommy Vietor, der Sprecher des Weißen Hauses, sagte, die Partner der USA im Golfkooperationsrat sollten die Rechte der Menschen in Bahrain respektieren und mit all ihren Handlungen zum Dialog ermuntern. Das wird bestimmt gelingen mit all den bewaffneten, gepanzerten Fahrzeugen, bemannt mit grimmig drein schauenden Soldaten. Wir dürfen gespannt sein, wie Vietor ein befürchtetes Blutvergießen in Manama schön reden wird. Denn anders als bei dem ohnehin verhassten Muammar Gaddafi handelt es sich bei Bahrains König Hamad um einen wichtigen Partner am ölreichen Golf und einen bislang treuen Alliierten gegen den Iran. Der Schutz von Zivilisten vor militärischer Übermacht steht da gar nicht erst zur Diskussion.

In Nordafrika und selbst in Ägypten kann man, wenn alles nicht mehr hilft, schon mal ausgediente Diktatoren fallen lassen. Aber dort, wo die Energieversorgung auf dem Spiel steht, wo die 5. Flotte der USA vor Anker liegt und wo man die wichtigsten Partner im Machtkampf mit dem Iran ausmacht, dort gelten andere Regeln. Es gilt das Primat der eigenen Interessen vor irgendwelchen demokratischen Idealen oder gar Menschenrechten. Da muss man zusammenhalten, koste es was es wolle.

Die Saudis sind extrem nervös. Sonst hätten die Meister der Scheckbuchdiplomatie nicht plötzlich auf ihr eigenes Militär gesetzt. Das ist ungewöhnlich. Und ging schon vor mehr als einem Jahr im Nordjemen schief, als Riyadh in den Konflikt Sanaa’s mit den Houthis im Grenzgebiet eingriff. Daraus hätte man lernen können. Aber man muss nicht. Das Protestpotential im eigenen Land halten die Saudis noch mit einem massiven Polizeiaufgebot, der Verbreitung islamischer Fatwas gegen Protestkundgebungen sowie mit Schmiergeldern unter Kontrolle. Jedoch die unkalkulierbaren Entwicklungen im benachbarten Bahrain sowie im Jemen machen den von Krankheit und Alter angegriffenen saudischen Herrschern zu schaffen.

Die Verbündeten in Washington werden vermutlich beide Augen zu drücken solange es geht. Denn hier steht eindeutig zu viel auf dem Spiel: Die Ölpreise, die eigene militärische Machtprojektion in die Region sowie der Kampf gegen den Iran. Prognosen möchte man in diesen Tagen in der arabischen Welt nicht mehr wagen. Zu viele Dinge sind im Fluss, alte Regeln gelten nicht mehr, neue sind noch nicht etabliert. Aber wenn dieser von den USA geduldete, saudische Militäreinmarsch in Bahrain zu einem Blutbad führt, dann könnten am Ende diesseits und jenseits des Atlantiks ganz viele Verlierer stehen. Europäer inbegriffen, denn auch wer schweigt, macht sich schuldig. Der Begriff „politische Glaubwürdigkeit“ scheint aus dem Lexikon der modernen Politik gestrichen. Ersatzlos. Wie bedauerlich.  

 

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Wo der Wind weht

Es macht keine Freude, seiner Familie samstagmorgens erklären zu müssen, dass man nicht früh aufsteht, um Croissants zu holen, sondern um in ein Katastrophengebiet zu fliegen. Aber bedeutet ein Wochenende neben der Erdbebenkatastrophe in Japan? 

Am Pekinger Flughafen sehe ich, dass ich nicht der einzige Familienenttäuscher bin. Zwei Dutzend internationale Journalisten warten auf den ersten verfügbaren Flug nach Tokio – und fragen sich, ob es Pflicht oder Wahnsinn ist, in eine Region zu fliegen, in der ein Atomkraftwerk kurz vor der Kernschmelze stehen könnte. Wir googeln Wetterberichte und Windrichtungen und versuchen uns zu erinnern, wie das damals mit der Wolke von Tschernobyl war. Ich erzähle, wie mein Vater damals in unserem Garten eine Erdprobe genommen und im Keller mit einem Geigerzähler überprüft hat. Jahre später war die Strahlung immer noch erhöht. Die Anekdote kommt nicht gut an. Tschernobyl ist von Niedersachsen 1300 Kilometer entfernt, Tokio vom AKW Fukushima nur 200. Einige Journalisten drehen kurz vor der Passkontrolle wieder um, doch die meisten verlassen sich auf die Vorhersage, dass der Wind in den kommenden Tagen nicht Richtung Tokio blasen würde. Oder geht es einfach nicht in unsere Köpfe, dass es tatsächlich einen Super-GAU geben könnte und was die Folgen wären? Die Grenze zwischen Schwarmintelligenz und Herdentrieb verschwimmt. 

Im Flugzeug werden Pläne geschmiedet, um ins Tsunamigebiet zu gelangen. Wir hoffen, dass es am Flughafen Taxis gibt, bilden Fahrgemeinschaften, zählen Bargeldbestände und überprüfen die Limits unserer Kreditkarten. Doch kaum haben die Handys wieder Empfang, verbreitet sich die Meldung, dass die Nachrichtenagentur Kyodo über den Beginn der Kernschmelze berichtet. Wenig später wird eine Explosion gemeldet. Ich fluche auf meinen chinesischen Handyanbieter, der mir in Japan keinen Internetempfang gewährt. Alle Roaminggebühren wären mir recht, wenn ich noch einmal überprüfen könnte, dass sich an den Windrichtungsvorhersagen nichts geändert hat. Einige Kollegen sind noch immer fest entschlossen, so nah wie möglich an die Evakuierungszone zu kommen. Dort winken die besten Geschichten und dramatischsten Bilder. Wenn sie sicher zurückkommen, werde ich sie gewiss beneiden. Aber auch bewundern?

Fünf Stunden dauert es, um vom Flughafen Narita mit einem Vorortzug in die Tokioer Innenstadt zu gelangen. An den Bahnhöfen steht alle fünf Meter ein Uniformierter und dirigiert die Menschenströme. Die Japaner haben den Ausnahmezustand im Griff. Ihre scheinbare Normalität beruhigt und man trägt gerne dazu bei. Im Hotel haben Stromschwankungen die meisten Fernseher zerstört, aber das Internet funktioniert. An den Windrichtungen hat sich nichts geändert, aber im Umkreis von Fukushima werden hunderttausende  angewiesen, in ihren Häusern zu bleiben und Türen und Fenster geschlossen zu halten. Die Hochhausfenster meines Hotelzimmers lassen sich ohnehin nicht öffnen. Ab und zu lassen Nachbeben den Turm wackeln. Per Skype beruhige ich meine Familie, dass sie sich um mich keine Sorgen zu machen braucht, und hoffe, dass das auch stimmt.

 

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Zeitkapsel im Küchenkamin

   Das Schaf lebt noch, der Kamin nicht mehr

Dass ich vor zwei Wochen ein Erdbeben – was denn: überlebt, erlebt, durchstanden, noch lange nicht verdaut? – habe, wird hier in Zukunft hoffentlich nicht wieder erwähnt. Hoch und heilig versprochen! Will keiner mehr hören. Dass ich zu viel rede und gereizt bin, dass ich niemandem länger als fünf Minuten zuhöre, der nicht bei einem Vulkanausbruch, Tsunami oder dem Einsturz des World Trade Centers dabei war, dass mein Gehirn seit den Nachbeben wie in Watte wabert: diese Spätfolgen meiner kleinen Katastrophe legen sich hoffentlich bald. Ist ja auch nicht zum Aushalten unter diesen Umständen, vor allem für andere. Meine Umgebung hat’s so schon schwer genug. Mitmenschen hängen in verschlammten Vierteln ohne Strom, Wasser und Dixie-Klo fest, oder an der Flasche. Beziehungen zerbrechen, selbst Videotheken sind geschlossen. Ab in die Ecke und dann beim Freischaufeln der Straßen helfen, Pseudo-Opfer! Und dann noch Japan.

Aber eines muss ich noch loswerden, und diesmal ist es auch kein Seelenstriptease, sondern etwas Surreales. Davon hat man ja in Krisenzeiten viel. Jeder schiebt gerade Panik, weil ein wichtigtuerischer Wahrsager anhand des Mondes, der Gezeiten und seines Kaffeesatzes oder schwarzen Raben ein neues schweres Beben für den 20. März angekündigt hat. Je weniger über den Scharlatan in den Medien berichtet wird, weil man Erdbeben nun mal nicht präzise vorhersagen kann, desto hartnäckiger pflanzt sich seine Prophezeiung selbst in rationalen Psychen fort. Aber will man die Einzige sein, die auf Übersinnliches pfeift, und dann dumm aus der Wäsche oder den Trümmern gucken?

Unheimliche Parallelen zu den Geschehnissen, die es aus meiner zerstörten Stadt doch noch in die Weltnachrichten schaffen, spielen sich in meinem Hause ab. Ja, das mit dem eingestürzten, aus alten Backsteinziegeln gemauerten Küchenkamin. Der obere Teil setzte sich einst im Dachstuhl und dann als Schornstein fort. Das alles liegt jetzt als Schutthaufen im Vorgarten. Kann man sicher hübsch begrünen und irgendwann als Skateboard-Rampe umfunktionieren.

Als vorige Woche vor der eingestürzten Kathedrale von Christchurch die Aufräumarbeiten begannen, fand man unter der umgekippten Statue des Gründungsvaters John Robert Godley zwei Zeitkapseln: Eine halb zerbrochene Glasflasche mit einer Pergamentrolle darin, die andere aus Metall, verplombt, ca. 1867. Geöffnet werden kann sie erst, wenn auch das Labor des Museums wieder steht.

Tja, was soll ich sagen – ich habe ja versprochen, mich nicht mehr auf Kosten von Not und Elend wichtig zu machen: Aber oben in unserem zerborstenen Kamin steckte auch eine Zeitkapsel. Es ist eine orangefarbene Plastikdose, so eine für Schulbrote. Darin liegt ein Foto der Familie, die vor uns im Haus wohnte. Einer der Teenager hatte noch ein MAD-Heft, eine kleine Comic-Figur aus Plastik und eine Kassette mit Elektro-Mix-Musik dazugelegt. Heute ist er DJ, heißt Insomniac, übersetzt: Schlafloser. Was ja den Zustand nach Erdbeben gut trifft. Ist doch alles kein Zufall, oder?

 

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Enthüllung für Fortgeschrittene

„Wie sieht es bei dir im Altersheim aus? Quält dich dein Chef? Verprasst ihr als Beamte unsere Steuergelder?“: Mit einem Aufruf zur massenhaften Enthüllung startet Sveriges Radio heute seinen neuen Hörer-Service „Radioleaks“. Natürlich lehnt sich die Idee an das umstrittene Vorbild WikiLeaks an, sagt Jesper Lindau, Redakteur der Nachrichtenredaktion „Ekot“. Mit drei Kollegen wird er die einströmenden Hinweise und Dokumente sichten und bei gegebenem Anlass zur Publikation aufbereiten. Auf anonyme Quellen waren die Investigativ-Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders schon immer angewiesen. Das Neue ist die professionelle Betreuung der Informanten. Das fängt mit der Website an. Dort wird der interessierte Mitbürger ausführlich über seine Rechte informiert. Wie WikiLeaks-Chef Julian Assange bereits feststellte, zählt Schweden nämlich zu den Ländern, wo der Gesetzgeber den Informanten einen besonders weitgehenden Schutz einräumt. In einer präzisen Anleitung lässt sich sodann studieren, wie man Dokumente verschlüsselt und sicher auf die Plattform hochlädt.  In gerade einmal sechs Wochen entwickelte die Redaktion das nötige technische Umfeld für Datenübermittlung und Verschlüsselung. Anders als im Fall des WikiLeaks-Informanten Bradley Mannings soll damit ausgeschlossen werden, dass sich die digitale Spur zum Tipp-Geber zurückverfolgen lässt. Ob der neue Service tatsächlich mehr Geheimnisträger zur Mitarbeit motiviert, muss die Praxis zeigen. Das erste Material sei bereits eingegangen, raunt Lindau. Sein Traum-Scoop, enthüllt der Radiojournalist, wäre eine zweckfremde Nutzung der königlichen Apanage.

 

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Wie kann das passieren – ein Kind aus Deutschland wird Komponist in Hollywood?

 

In T-Shirt und Jeans sitzt Hans Zimmer in seinem fensterlosen Studio in Los Angeles, eine Mischung aus Plüsch und dunklem Holz, jeder Menge Computermonitoren und Rechner, einem Flügel und mindestens einem Dutzend elektrischer Gitarren. Er schwitzt, ist unter Zeitdruck, arbeitet an Musik für neue Folgen von Fluch der Karibik, Sherlock Holmes, Kung Fu Panda und Batman und hat keine Lust, zur Verleihung der Oscars zu gehen. Das macht mir keinen Spaß, das Jackett da anzuziehen, und zu so nem Ding hinzugehen mit so vielen Leuten. Ich bin viel lieber in meinem Zimmer und schreib Musik. Ich bin ganz langweilig. Ich bin in die Musik reingekommen, nicht um reich zu werden oder um Grammys oder Oscars zu gewinnen, sondern um Musik zu schreiben und mit anderen Musikern zu spielen oder mit Filmemachern zusammen zu arbeiten, sagt der zum neunten Mal nominierte Filmkomponist. Ich habe bei der Vorbereitung auf das Interview mehrfach auf Zimmers Geburtstdatum geschaut, es in mindestens fünf Biographien überprüft, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass der 53 jährige tatsächlich schon so lange so großen Erfolg in Hollywood hat. Mit 31 Jahren die erste Oscarnominierung für Rain Man, mit 37 den ersten – und bisher einzigen – Oscar für König der Löwen und bis heute jede Menge Hits, darunter für den Batman Film The Dark Knight mit Heith Ledger, Gladiator, der Da Vinci Code, Thelma und Louise, Black Hawk Down ….Und eben in diesem Jahr für Inception. Drei Grammys hat er gewonnen, zwei Golden Globes und noch jede Menge anderer Preise der Filmindustrie. Dabei scheint der Deutsche ziemlich auf dem Teppich geblieben zu sein, wenn ihm auch der Plüschteppich im Studio lieber ist als der rote vor den Oscars. Er wundert sich immernoch, wie er das schaffen konnte ohne richtigen Schulabschluß, ohne formelle Musikausbildung. Zu meiner Überraschung hat er auch nach all den Erfolgen manchmal denselben Gedanken, der mich trotz jahrelanger Arbeit als Reporterin und Korrespondentin überfällt: Ich hoffe, niemand merkt, dass ich gar nicht so gut bin, wie die denken! Gar nicht bsser, als andere. Hans Zimmer überfallen solche Gedanken am Strand, beim Wein, beim Essen und Trinken mit berühmten Regisseuren und Schauspielern. Mich eher, wenn mir die Batterien ausgehen oder das Aufnahmegerät aus unerfindlichen Gründen nicht so will wie ich. Aber es ist trotzdem beruhigend, dass der Mann, dessen erster weltweiter Erfolg die Beteiligung am Hit Video killed the Radio Star war, dem ersten Musikvideo auf MTV, sich immernoch jeden Tag fragt: Wie kann das passieren, so ein Kind aus Deutschland, das nichts in der Schule getaugt hat, ist auf einmal ein Komponist in Hollywood? Und dafür lohnt es sich dann doch, ausnahmsweise mal ein Jackett anzuziehen!

 

 

 

 

 

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Rückgabe meines “Dottore!”-Titels

Ich habe jetzt auch meinen Doktortitel abgelegt, und das ist in Rom schwer. Denn wo immer man eine Kaffeebar oder einen Haus mit einem Pförtner betritt und nicht ölverschmiert oder ein Säugling ist, wird man ja mit “Dottore” begrüßt : “Einen Kaffee, Dottore?”, “Ein Tramezzino, Dottore?”, “Auch ihnen einen schönen Tag, Dottore!”. Das lasse ich nach der Erfahrung der letzten Wochen nicht mehr zu: “Ich bin gar nicht Dottore”, wehre ich jetzt ab, “ich habe nie eine Doktorarbeit geschrieben bzw. zusammengestellt.”

Mehr Ehrlichkeit. Das ist ab sofort mein Prinzip. Vor allem auch wegen der Blumentopf-Attacken der letzten Tage. Muss ich sie nicht als Warnung begreifen? Als – ziemlich deutlichen – Fingerzeig von ganz oben? Denn innerhalb weniger Tage sind zwei Blumentöpfe von über mir liegenden Balkonen auf meine Terrasse im Erdgeschoss gefallen und geradezu explodiert. Gut, bei der Primel im Plastikbecher wäre ich mit einem blauen Fleck davongekommen. Aber wie hätte ich wohl ausgesehen nach einer Begegnung mit dem Olivenbäumchen im Terrakotta-Topf aus dem vierten Stock? Ich hätte tot sein können – oder sollen?

Klar, es war starker Wind. Tatsache ist aber, dass ich im Haus für die seltsamen Vorgänge  der letzten Woche verantwortlich gemacht werde. Den auf den Boden gesprühten “Ti amo”-Schriftzug schiebt mir die Hausgemeinschaft zwar nicht in die Schuhe, wohl aber die eigenwillige Gestaltung der großen Blumentöpfe vor dem Hauseingang. Aber da musste ich einfach handeln. Die gewaltigen Blumentöpfe waren immer unbepflanzt, wer zu Besuch kam, sah nur trockene, braune Erde. Vor einigen Tagen habe ich spätabends unbemerkt aus Steinen ein “!” inmitten des größten Blumentopfes gelegt, eine Aufforderung zur Bepflanzung. Schließlich auch ein “:-)” Als mich der Hausmeister fragte, leugnete ich meine Beteiligung.  Jetzt – “mehr Ehrlichkeit!” – werde ich später hingehen und sagen: “Ja, ich war’s und ich will endlich Pflanzen in den verdammten Töpfen!”

Nur wie ich aus der Sache mit meinem Kaffebarmann Dino wieder rauskomme, weiß ich nicht.  Wochenlang hing er mir im Ohr, ich solle ihm doch mal aus Deutschland ein “Stück Berliner Mauer” mitbringen. “Ja, ja” sagte ich, aber vergaß es immer wieder. Schließlich griff ich mir auf einer römischen Baustelle einen Mauerrest, malte ihn an und übergab ihn als “Original Mauerstück.” Ein reines Plagiat. Soll ich auch das beichten?

Also, mehr Ehrlichkeit. Aber wie ist das zu schaffen? Ich probier’s. Schade ist es aber schon. Mir hat es immer gefallen, wenn ich mit “Dottore” begrüßt wurde. Oder mit “Professore!”, um dann gönnerhaft abzuschwächen. “Lassen Sie doch den Professore…nennen Sie mich einfach Dottore!”

 

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Einmal Handy-Reporterin und nie wieder

 

Die Erdbeben-Woche, die mein Leben einmal durchrüttelte, ist vorbei. Schlimm war es eigentlich nicht am Dienstag um kurz vor ein Uhr mittags, als der schwere Ruck durch Christchurch ging. Da trieb mich das Adrenalin voran. Schlimmer war es erst Stunden später, als ich es endlich auf Umwegen nach Hause geschafft hatte und auf unsere halb eingestürzte Küche blickte. Wo der Kaminofen war, klafft jetzt eine große Lücke, die mir schon nicht mehr auffällt. So schnell ändern sich Perspektive und Prioritäten.

Aber der Tiefpunkt, im Nachhinein, war genau zwölf Stunden nach dem Beben. Da versuchte ich mich erstmals auch filmisch als Handy-Reporterin. Seit dem frühen Abend, als man auf der anderen Seite der Erde gerade erwachte und die Nachricht aus Neuseeland erfuhr, machte ich pausenlos per Telefon Liveschaltungen für deutsche Nachrichtensendungen – aus dem Auto vor unserem Haus, wo ich Radio hören und mein Handy aufladen konnte. In der Innenstadt, in all dem Chaos, wäre es nicht möglich gewesen, bessere Informationen zu bekommen. Soweit, so gut – bis ich nach Mitternacht dann einen übereifrigen Kollegen vom Privatfernsehen am anderen Ende hatte, der sich mit dem gesprochenen Wort allein nicht zufrieden geben wollte. Ob ich mich nicht kurz filmen könne, vor meinem Haus? Ich erklärte ihm, dass meine einzige Kamera mein Handy und es überall stockfinster sei, da kein Strom weit und breit. Ich trug nur eine Stirnlampe, es gab wirklich nichts zu sehen – was brachte das? Zumal niemand da war, der mich für einen solch laienhaften Aufsager hätte filmen können. Mein Mann war erschöpft hinter mir auf der umgeklappten Rückbank eingeschlafen.

Ich gab dem Drängeln und Insistieren nach – der Stress der letzten Stunden vernebelte das Hirn – und stellte mich raus ins Dunkel, hielt mir mit der einen Hand die Taschenlampe aufs Gesicht und zielte von der anderen Seite mit der Linse des Handys. So entstand der absurdeste, nichtsagendste, unterbelichtetste Beitrag, der je um die Welt gegangen ist und den diese auch nicht braucht. Besser, um die Welt gehen sollte, denn ich mühte mich die kommende Stunde vergeblich ab, das 20-Sekunden-Filmchen per MMS zu verschicken, dafür meinen Mann drei Mal zu wecken und Unsummen mit dem Kölner Sender zu vertelefonieren. Dass das Vodafone-Netz von Christchurch kurz darauf kollabierte, war wahrscheinlich meinem Datenschrott zu verdanken.  

Dafür hatte ich dann am nächsten Tag einen deutschen Kollegen für die gleiche Nachrichtensendung vor der Tür stehen, der eine betroffene Deutsche filmen wollte. Nein, ich wollte ihm nicht vor der Kamera demonstrieren, wie wir den Garten als Toilette benutzen, und meine Familie sollte bitte auch nicht als ‚Opfer‘ ins Bild. Mein echtes Opfer war die Stunde, die ich damit verbrachte, als ‚Expertin‘ im Regen im bereits wieder nächtlichen Lyttelton zu stehen und vor der Kamera zu erklären, was dort geschehen war. Daraus wurden dann in den Mittagsnachrichten weniger als 20 Sekunden. Aber Hauptsache, authentisch und ‚live vor Ort‘.

Mein Wohnort Lyttelton, malerisch am Hafen gelegen, war das Epizentrum des verheerenden Bebens und ist schwer beschädigt. Aber die eigentliche Katastrophe spielt sich nach wie vor in der Innenstadt ab, wo unter den wie Kartenhäusern eingefallenen Hochhäusern noch über hundert Tote liegen. Das lässt sich im eigenen Viertel, durch einen Tunnel von dem Schauplatz des Infernos getrennt, schnell vergessen. In meiner Umgebung drehen sich die Sorgen vor allem darum, wer ein neues Zuhause braucht, wann die Kanalisation funktioniert und ob die Geschäfte, Schulen und Büros in absehbarer Zukunft aufmachen. Und dazwischen, zwischen Wischen, Wegräumen, Reparieren, Organisieren, erreichen uns die Berichte: Von der Freundin, die im Aufzug im 6. Stock steckte, ohne Handy, und nur Schreie hörte. Vom Besitzer des Szene-Cafés, der auf der Passstraße aus dem Auto sprang und es auf seinem Skateboard zwischen den herabfallenden Felsbrocken bis ins Tal schaffte. Vom Anästhesisten, der Stunde um Stunde neben verschütteten Opfern saß, die er nur noch bis zum Tode betäuben, aber nicht mehr befreien konnte. Einem Mann amputierte er mit der Säge beide Beine.

Was noch lange nicht vorbei ist, das sind die Nachbeben und die Langzeitfolgen.  Die ungewisse Zukunft, die trügerische Sicherheit. Wir spüren es nachts, wenn man wieder kurz aufwacht und nicht mehr einschläft, und an allen Fronten, logistisch, praktisch. Aber was anfangs so brutal einschneidend erschien, wird schnell zur Normalität. An kleinere Beben gewöhnt man sich und schaut auch nicht mehr sofort online nach, welche Stärke das nun gerade war – jeder hat im Moment andere Sorgen. Materielles lässt sich ersetzen oder abhaken. Jeder Tag ist eine graduelle Verbesserung: Strom wieder da, Wasser endlich auch, selbst der Kühlschrank ist voll, und im Baumarkt gibt es eine neue Ladung Schubkarren und Wasserkanister. Nur der Gleichgewichtssinn ist noch nicht im Lot. Die Psyche hoffentlich schon.

Das Beste sind die Menschen, die zusammenrücken, sich helfen, das Leben feiern. Da hilft die positive Mentalität der Kiwis, die ‚Wir packen das‘-Grundeinstellung, ungemein. Gestern war ich mit Söhnen und Mann (Nierenklempner, der zum Glück auch Wassertanks reparieren kann) den ganzen Tag auf einem spontanen Straßenfest mit Live-Musik, Picknick, Essen vom Marineschiff, unzähligen Gesprächen, Gelächter, Tränen, Euphorie – die perfekte Gruppentherapie nach all den Aufräumarbeiten und dem Schock. Ein Tag wie gestern macht Hoffnung, dass das Leben zumindest in Lyttelton weitergeht. Die schwarze Wolke aus Trümmern und Tragik, anfangs noch so verstörend und beängstigend, hat plötzlich einen silbernen Rand bekommen.

 

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Revolutionszeit

Volksaufstand in Nordafrika, Unruhen im Nahen Osten – habt Ihr keine Angst, dass so was auch bei Euch passieren könnte? Solche oder ähnliche Fragen stellten Bekannte aus Deutschland in den vergangenen Wochen. Nein, habe ich nicht, antwortete ich, denn bei uns war schon vor 13 Jahren Revolution – oder besser: Reformasi. Nur haben das die meisten Europäer schon wieder vergessen. Was damals in Indonesien geschah, verlief ähnlich wie die Ereignisse in Tunesien oder Ägypten: Seit 33 Jahren regierte General Suharto quasi mithilfe einer Militärdiktatur. Er kam 1965 an die Macht, nachdem er einen angeblichen Putsch der Kommunisten durch einen Gegenputsch verhindert haben soll. Der Westen unterstützte Suharto aus Angst vor einer möglichen Machtübernahme der damals drittgrößten kommunistischen Partei der Welt – und nahm dabei in Kauf, dass Hunderttausende Zivilisten getötet wurden bzw. in Folterlagern verschwanden, weil sie dieser Partei angeblich angehörten.

1998 brach jedoch durch die Asienkrise das korrupte Regime des Autokraten zusammen. Zuerst protestierten die Studenten in einigen Großstädten gegen die politischen Verhältnisse, dann gingen immer mehr Menschen auf die Straße, oft aus schierer Not. Das Militär spaltete sich in mehrere Gruppen und bezahlte Anstifter lösten Unruhen aus, denen vor allem die chinesische Minderheit zum Opfer fiel. Auf einmal schrie die internationale Gemeinschaft auf und pochte auf die Einhaltung von Menschenrechten. Am Ende blieb Suharto nichts anderes übrig als zurückzutreten – ein Jahr später gab es demokratische Wahlen.

Seitdem gilt Indonesien als Demokratie. Der Putsch und die Massenmorde von 1965 jedoch wurden bis heute nicht aufgearbeitet – Vergangenheitsbewältigung bleibt ein Tabu. Das korrupte System konnte bis heute nicht aufgelöst werden und unterwandert immer wieder die Bemühungen zur Demokratisierung.  Das wiederum gibt Islamisten wie Ultra-Nationalisten Aufwind, die sich mit weißer Weste präsentieren, immer mehr Menschen wenden sich Ihnen zu. Die Aktivisten von 1998 sind heute völlig desillusioniert.

Habt Ihr nicht Angst, dass dies auch bei Euch passieren könnte, frage ich nun weiter in die Länder der momentanen Revolution?

 

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Auch in Italien ist man besorgt.

 

 

 

                                                     Guten Morgen! Und? Ist er endlich zurückgetreten?

 

 

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neue Handynummer Anke Richter

Anke Richter hat sich aus dem Zentrum des Erdbebens gemeldet (sie wohnt in Lyttleton bei Christchurch). Sie und ihre Family sind gesund aber ziemlich geschockt, es gab offenbar viele Tote.

Auszug aus ihrer sms : “wir sind okay, aber es ist furchtbar, haus wie nach Bombe, totaler Schock, schlafen im Auto, kein Strom, kein Wasser, büro verwüstet, kann nicht arbeiten, aber will stay in touch”

Das Internet geht noch nicht wieder zu erreichen ist sie für Redaktionen am besten per SMS über 0064 276364595.  Da es dort 3:32 Uhr in der Nacht ist (also 12 Stunden weiter) bitte nicht anrufen. Und auch heute abend 20 Uhr besser nicht anrufen, sondern simsen, das verbraucht nicht soviel Strom vom Handy.

 

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Die Sehnsucht ist geweckt

Die westlichen Demokratien haben sich bei der tunesischen wie der ägyptischen Revolution gründlich blamiert. Sie hinkten hinter den Ereignissen her, wanden sich in Schmerzen mit vorsichtigen Statements. Ging es doch schließlich darum, den Diktatoren und Unterdrückern die Unterstützung zu entziehen, die sie seit Jahrzehnten in ihren Palästen gehalten hatte. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass man in politischen Sonntagsreden immer mehr Demokratie im Nahen Osten forderte. Aber das versteht sich von selbst.

Als es gar nicht mehr anders ging, forderten US-Präsident Barack Obama und seine europäischen Mitläufer einen schnellen aber geordneten Übergang zu einer wirklich demokratischen Regierungsform. Aha. Damit behalten sie sich vor, darüber zu urteilen., was ‘wirklich demokratisch’ ist. Und im gleichen Atemzug drängt man auf die Einhaltung internationaler Verträge und Verpflichtungen. Da nämlich liegt, wenn es um den Nahen Osten geht, für die meisten westlichen Politiker der Hase im Pfeffer: Fast alles darf passieren, aber die beiden Friedensverträge mit Israel (mit Ägypten und Jordanien) dürfen nicht angetastet werden. Außerdem dürfen keine Islamisten an die Macht kommen, wobei am liebsten alle islamistischen Gruppierungen in einen großen Topf geworfen werden. Wie man es in Washington, Berlin und Paris damit hält, wenn demokratische Wahlen Islamisten an die Macht bringen, das haben wir beim Urnengang in den Palästinensergebieten 2006 gesehen. Als die Hamas den Sieg davon trug, brach man schlicht die Beziehungen mit der von ihr geführten Regierung ab.

Die westlichen Regierungen – nicht nur die amerikanische – haben in der arabischen Welt schon längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Menschen in der Region verstehen, dass es nicht um Werte wie Demokratie, Selbstbestimmung und Freiheit geht sondern um politische Interessen. Vornehmlich um solche, die sich mit israelischen Interessen decken. Auch wenn man in vielen Fällen trefflich darüber diskutieren kann, ob sich diese Interessen tatsächlich decken. Oder ob wir uns nicht selbst ins Knie schießen, gerade weil wir dazu tendieren, die Region ausschließlich durch die israelische Brille betrachten.

Auch deshalb können die Ägypter auf gute Ratschläge aus dem Westen derzeit verzichten. Ihnen ist nicht entgangen, dass Washingtons Lieblingskandidat für die Nachfolge Mubaraks sein Geheimdienstchef Suleiman war. Also jemand, der mit Leib und Seele für das alte System stand und steht. Die Armee ist nun die zweitbeste Wahl, arbeitet ihre Führung doch sehr eng mit amerikanischen Militärs zusammen, die eine Finanzhilfe von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich beisteuern. In dem Preis dürfte inbegriffen sein, dass keine Politik erlaubt wird, die den ohnehin kalten Frieden mit Israel einfrieren könnte.

Interessant wird es, wenn eine wirklich demokratische zivile Regierung in Kairo an der Macht ist. Ihr werden vermutlich die ägyptischen Moslembrüder angehören, auch wenn die Menschen auf dem Tahrir-Platz deutlich gemacht haben, dass die Islamisten keine Mehrheit im Land haben.Ein weiterer Schleier ist gefallen: Die Alternative zu autokratischen oder diktatorischen Systemen im Nahen Osten heißt nicht automatisch Chaos und Islamismus. Es dürfte den Regierenden in Washington und Berlin in Zukunft schwer fallen, mit dieser Gleichung zu argumentieren, wenn es um die Unterstützung repressiver Regime in der Region geht, die Menschenrechte verachten aber Stabilität und Kampf gegen Terrorismus versprechen.

Unsere westlichen politischen Moralapostel stehen plötzlich ohne Kleider da. Sieht ganz so aus, als stünden sie auf der Verliererseite nach den erfolgreichen Volksaufständen in Tunis und Kairo. Gemeinsam übrigens mit ihren Erz-Feinden, den islamischen Extremisten aus der Al Qaeda-Ecke. Denn der Sieg der friedfertigen Menschen gegen ein brutales, vom Westen unterstütztes System, nimmt diesen Terroristen den Wind aus den Segeln. Die Jugendlichen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo den Sturz Mubaraks gefeiert haben, haben es nicht mehr nötig, sich solchen Bewegungen aus Protest oder dem Gefühl der Ohnmacht anzuschließen. Sie haben sich selbst befreit und ermächtigt, sie haben ihren Stolz und ihre Menschenwürde zurück erobert.

Nachdem ich mehr 15 Jahre lang dem politischen Stillstand, der Demütigung und der Entmündigung der Menschen in der Region zugesehen habe, habe ich nun wieder Hoffnung. Auch wenn wir alle wissen, dass die Revolutionen noch nicht gewonnen oder vollendet sind. Aber es wäre schön, noch mehr solch befreite, lachende oder vor Freude weinende Gesichter in Arabien zu sehen. Die Sehnsucht ist geweckt, hoffentlich wird sie nicht in Blutvergießen ertränkt.

 

 

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Neulich wurde vermeldet, dass die Deutschen seit der Wiedervereinigung nicht mehr so heftig und angsterfüllt gespart haben wie im vergangenen Jahr. Dabei hat sich die deutsche Wirtschaft längst wunderbar erholt. Was sollen erst die Briten sagen? Sie erleben gerade eine finanzielle Kahlrasur, die noch gründlicher ausfallen wird als unter Thatcher in den 80er Jahren. Die Umsatzsteuer ging hoch, die Studiengebühr auch, die Jobs gehen runter, die öffentlichen Gelder für diverseste Institutionen erst recht. Im Grunde eine pure Mischung für kollektive Angstzustände. Nicht zwangsläufig für die Briten! Sie ließen in der Weihnachtszeit lieber die Onlineshoppingumsätze in neue Rekorddimensionen krachen und tauchen in diesem Moment durch den tosenden Superschlussverkauf. Jean de La Fontaines ‘Ameise und Grille’ reloaded.

Ein Leben knietief im Dispo treibt einem Deutschen vielleicht in Sekunden den kalten Angstschweiß auf die Stirn. Für einen britischen Privathaushalt gehört eine durchschnittliche, federleichte 57.706-Pfund-Verschuldung ähnlich zum Alltag wie der Neubau von Atomkraftwerken und ‘X Factor’. Um sie zum Sparen zu bringen, muss man ihnen schon eine interessante, neue Regel bieten, und ich habe eine dieser neuen, subtilen Spar-Aufforderungen in der Londoner U-Bahn entdeckt. ‘Ladies und Gentlemen!’, heißt es da streng über die Lautsprecheranlage. ‘Es verkehren Bettler in unseren Bahnen! Bitte ermutigen Sie ihr Verhalten nicht, indem Sie diese unterstützen. Vielen Dank!’

Was für eine besinnliche, aufmunternde Begrüßung ins neue Jahr. Von der Konsequenz des Ausschlusses her ist diese neue Regelung nicht nur besonders brutal, immerhin hier wird das offizielle Verbot ausgesprochen, Menschen, die ökonomisch nichts zur Gesellschaft beitragen, in Zukunft noch etwas zu geben.

Es kann auch als subtiles Spiel mit den letzten Groschen in britischen Portemonnaies verstanden werden. Die Zeiten seien für alle hart, und die Londoner sollten ihr wertvolles Klimpergeld nicht irgendwelchen Outlaws spenden, sondern gefälligst bei sich behalten und an relevanterer Stelle investieren: Mit einem Schokoriegel oder dem Daily Mirror vom U-Bahn-Shop kurbelt man wenigstens die Wirtschaft an. . .

 

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Erst zum Zoll, dann in den Schwangerschaftsurlaub

Russland, auch Russlands Bürokratie, ist durchaus fähig zur Selbstironie.

Im Internet kursiert seit kurzem ein Videoclip, in dem die Beamtenschaft des Wladiwostoker Hafenzolls demonstriert, was richtige Feierbiester sind. Zu den Klängen des Liedes „Columbia Pictures stellt sich nicht vor“ der russischen Popgruppe „BandEros“ besingen die Zollbeamten ihren Dienst, ihre Chefs und ihre Seelen.

http://www.youtube.com/watch?v=quUS4A8Imwk

„Columbia Pictures stellt sich nicht vor, wie das Volk beim Zoll ausflippt. Mögen die Gehälter klein, die Kleider nicht von Prado und von Gucchi sein, uns geht es fein. In grünen Uniformen stecken seriöse Onkelchen…“ Dabei fahren die Helden des Clips in einem metallicblauen Hammer-Jeep vor, tragen Pelze, Miniröcke, Sonnenbrillen oder Badman-Anzüge, veranstalten im Wartesaal der Zollstation eine wilde Tanzpartie. Der Chef der Abteilung, Rupinez, demonstriert sich im Rambo-Outfit, zückt ein Kampfmesser und rasiert damit seinen Dreitagebart. „Rupinez Sergej Iwanowitsch killt die Feinde“, singt seine Belegschaft im Chor. „Wir bringen ihm Volksliebe entgegen.“

Auch sein Stellvertreter Grankin wird gewürdigt: „Ob man Wein brennt oder viel schwatzt, wer zu Grankin kommt, landet nur im Schwangerschaftsurlaub!“ In einer späteren Sequenz feiern die Beamten schon in Uniform, Sekt sprudelt, eine Blondine tanzt auf dem Tisch, ein Offizier rutscht bäuchlings, die Schulterklappen vorneweg, übers Linoleum. Schließlich aalt sich ein halbnacktes Mädchen in Formblättern der Behörde. Und in einer hineinmontierten Szene des sowjetischen Filmklassikers „Weiße Sonne der Wüste“ verkündet ein Sowjetzöllner: „Du weißt doch Abdullah, ich bin nicht bestechlich!“

Schon seit einiger Zeit bieten russische Unterhaltungszentren Firmenbelegschaften die Organisation sehr professionell gedrehter Videoclips an. Aber meist machten bisher Privatunternehmen davon Gebrauch, keine Zollstationen. Die Blogerszene in Wladiwostok ist übrigens begeistert von dem Werk.

Nur die Leitung des Zollbezirks Wladiwostok findet all das nicht witzig. Sie hat eine Untersuchung gegen die Beteiligten eingeleitet.

 

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Erdnussspeck und Entenfett – Gourmetkekse für den Hund sind der neuste Hit in Los Angeles

 

Los Angeles ist das Mekka der rollenden Imbiss-Buden. Ob koreanische Spezialitäten vom Grill, Fischtacos oder Wiener Würstchen, alles gibt es an den kulinarischen Kleinlastern mit Kultcharakter zu kaufen. Die besonders guten haben Stammgäste, die jede Bewegung ihres Lieblings-Trucks via Twitter verfolgen. Seit knapp zwei Monaten gibt es nun auch Spezialitäten für die Vierbeiner: den Phydough-Truck. Hier gibt es Kekse und Eiscreme für des Menschen besten Freund. Natürlich nur aus besten Zutaten hergestellt, alles Öko, alles frisch und alles voller Liebe für Hunde und ihre ‘Beschützer’. Und natürlich auch mit einem hundefreundlichen Twitter-Account.

 

Am beliebtesten sind Kekse der Geschmacksrichtung Erdnuss, Speck und Entenfett und das zucker- und milchfreie Eis mit Erdnussgeschmack. Die rollende Imbissbude für Hunde parkt überall in der Stadt, Stammgäste kommen am Wochenende zu Hundeparks in Hollywood, Beverly Hills und Venice. An diesem Samstag bestellte Dogwalkerin Aliston den Truck zur Geburtstagsparty von Chihuahua Besito in die Hügel am Mulholland Drive. Die Kekse sind so gut, dass hungrige Zweibeiner auch schonmal abbeißen. Besonders beliebt bei ihnen: die Zimt-Möhren und die Feigen-Honig-Variante. Dass die Erdnuss-Speck-Cracker immer zuerst ausverkauft sind, dürfte aber eher am tierischen Geschmack liegen.

   

 

 

 

 

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Kairo heute mittag / nachmittag

Ich habe seit gestern morgen 8 Uhr nicht geschlafen, gestern die ganze Nacht  Schüsse, Schreie, Explosionen, Krankenwagensirenen im Ohr gehabt. Ich habe einen brennenden Menschen über den Platz laufen sehen, alles so apokalyptisch.

Heute ab 5 Uhr hatte ich anderthalb Stunden Livegespräche und zwei Beiträge ohne O-Töne ca. 2’ Min. Hier bei Interesse zwei Sachen von heute morgen. Beschreibt die Situation vor mir auf dem Platz, lief in den ARD-Frühprogrammen.

Mittlerweile machen in den Straßen Mubarak-Anhänger Jagd auf Journalisten.Es wird verbreitet, das Ausland habe mit Hilfe der Journalisten einen Staatsstreich angezettelt. Das Hotel hat die Buchungen für Journalisten nicht verlängert. Wir haben das Hotel fluchtartig verlassen, und konnten nur wenig mitnehmen, ein Laptop in der Plastiktüte und so. Ein Sicherheitsmann der Deutschen Botschaft (mit Anzug, oranger Schutzweste und Deutschland-Emblem) hat uns in einer “Emergency Operation” weggebracht, wir mussten ewig laufen bis dahin, wo er sein Auto geparkt hatte. Überall stehen Betonhindernisse und Panzer im Weg.

Die Armee scheint gespalten zu sein, wir hören von einem Machtkampf innerhalb der Armee.

 

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Hörfunk-Beiträge aus Deutschlandfunk und DeutschlandRadio aus den vergangenen Tagen.


Kairo: Aktuelle Lage
Sendezeit: 30.01.2011 13:06, Autor: Stryjak, Jürgen, Deutschlandfunk, Sendung: Informationen am Mittag, 02:23 Minuten:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/01/30/dlf_20110130_1306_6624c3ae.mp3

Kairo: Lage in Ägypten, Sendezeit: 30.01.2011 12:06, Autor: Stryjak, Jürgen, Deutschlandradio Kultur, Sendung: Ortszeit, 02:36 Minuten:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/01/30/drk_20110130_1206_261d02eb.mp3

Kairo: Aktuelle Lage, Sendezeit: 29.01.2011 18:11, Autor: Stryjak, Jürgen, Deutschlandfunk, Sendung: Informationen am Abend, 02:12 Minuten:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/01/29/dlf_20110129_1811_4393c92e.mp3

Notwendige Reformen – Die Lage in Ägypten, Sendezeit: 29.01.2011 13:11, Autor: Stryjak, Jürgen, Deutschlandfunk, Sendung: Themen der Woche, 03:30 Minuten:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/01/30/drk_20110130_1206_261d02eb.mp3

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