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Nach New York – der nordeuropäischen Kunst wegen

Wer ein paar hundert Euro über hat, um nach New York zu reisen oder ein paar tausend zusätzlich, um sich dort Kunst zu kaufen, kann sich der Seele der Nordeuropäer mit dem Geldbeuteln nähern. Die diesjährige Ausgabe der Kunstmesse “The Armory Show” steltt nämlich die nordeuropäische Kunstszene in den Fokus. Neben Galerien sind auch erstaunlich viele “artist run spaces” vertreten. Einen Überblick gibt die Messe selber und zwar hier.

 

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Breites russisches Siegergrinsen Eine Laudatio auf den Wahlsieger Wladimir Putin

Stellen Sie sich einen deutschen Kanzlerkandidaten vor, der Waldemar Puting heißt. Er besitzt Amtsbonus und hat nach Meinungsumfragen schon eine satte Mehrheit der Wähler hinter sich. Aber er weigert sich stur, an Fernsehdebatten mit seinen Konkurrenten teilzunehmen. In Bundesländern, wo seine Partei regiert, halten Regionalbeamte Kindergärtner an, Elternversammlungen zu organisieren: Dort sollen sie den Leuten erklären, warum sie Puting wählen müssen.

Kritik der Medien an solchem Gebaren ignoriert Puting. Nur einmal beschwert er sich in einer Runde mit führenden Medienvertretern beim Intendanten des Südwestfunks, warum dessen Sender ihn seit Jahren täglich mit Jauche übergieße. Ein paar Tage später kriegt der Intendant eine Vorladung der Staatsanwaltschaft. Und die „Zeit“, die auch heftig an Puting herumnörgelt, kann ihren Redakteuren kein Gehalt mehr zahlen, weil das Finanzamt ihr Bankkonto wegen des Verdachts auf Steuerschulden vorübergehend gesperrt hat. Hunderttausende gehen aus Protest gegen Putings Methoden auf die Straßen, er beschimpft die Demonstranten als Affenbande und erklärt, sie würden mit ausländischem Geld bezahlt. Der Opposition wirft er vor, sie würde von chinesischen Konzernen gesteuert, die einen Machtwechsel in Deutschland anstreben, um führende deutschen Automobilhersteller zu übernehmen. Auf dem Höhepunkt seines Wahlkampfes aber lässt er Behörden und Betriebe aus den von seiner Partei regierten Bundesländern 130.000 Menschen ins berstende Berliner Olympiastadium karren, um ihnen eine Wahlrede zu halten. „Wir Deutschen“, ruft er, „sind ein Siegervolk, das liegt in unseren Genen.“ Das Publikum äußert seinen Beifall nur murmelnd, er aber beginnt ein Gedicht aufzusagen, dass ein Romantiker zur Erinnerung an den Sieg bei Groosbeeren 1813 gegen die Franzosen geschrieben hat: „Sterbt vor Berlin! Wie unsere Brüder starben.“

Vermutlich würde das Publikum jetzt vor Lachen sterben. Aber zum Glück gibt es Waldemar Puting nicht. Es gibt nur einen Wladimir Putin. Der aber springt in Russland mit Opposition, Medien und Wahlvolk tatsächlich so um, wie oben beschrieben. Und heute hat er sich mit für weitere 6 Jahre zum Präsidenten wählen lassen. Putin ist kein lupenreiner Demokrat, wie ein Bundeskanzler, inzwischen Gasprom-Grüßaugust, einst behauptet hat. Putin ist überhaupt kein Demokrat. Und nach 12 Jahren mit Putin als starkem Mann in Moskau ist es nur dumm, weiter zu hoffen, er könne doch der Mann des Übergangs sein. Russland wird kein vom Volk regierter Rechtsstaat, solange Putin dort das Sagen hat.

Aber davon sollten wir in Deutschland uns die Laune nicht verderben lassen. Putin wütete zwar in diesem Wahlkampf besonders heftig gegen den feindlichen Westen, namentlich aber nur gegen die USA. Und man muss ihm zugute halten, dass er bestimmt keinen Angriffskrieg gegen Europa führt will. Zumal sein Staatsapparat so korrupt geworden ist, dass bei der vaterländischen Rüstungsindustrie nur ein Bruchteil der Rubeltrillionen ankommt, die für die Runderneuerung der Streitkräfte eingeplant sind.

Wir können also in Ruhe weiter Gas aus Russland importieren. Und Pkw der Oberklasse für Putins Beamtenheer exportieren. Russland bleibt einfach wie zuvor ein fremdes Land. Und wenn Putin bei seinem ersten Gipfeltreffen mit Frau Merkel lächelnd das nächste Abkommen über die deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft unterzeichnet, betrachten wir das als höfliches Lächeln. Auch wenn er selbst es als breites russisches Siegergrinsen gedacht hat.

 

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Verwechslungsgefahr mit echten Seeräubern? Keine Zulassung für Taiwans Piratenpartei

Statt an die Erfolge ihrer deutschen Schwesterpartei anzuknüpfen, sind Taiwans Piraten vorerst an der Bürokratie gescheitert. Das Innenministerium blockierte die Zulassung mit der Begründung, die Bezeichnung „Piratenpartei“ könne den Eindruck erwecken, die Mitglieder seien wirklich Seeräuber. Außerdem bemängelten die Beamten nach einem Bericht von Taiwans Nachrichtenagentur CNA, der Name widerspreche den genannten Zielen der Partei, und Piraterie werde strafgesetzlich verfolgt.

Ähnlich wie in Europa wollen Taiwans Piraten sich für eine Reform des Urheberrechts, mehr Freiheit im Internet und Transparenz in der Verwaltung einsetzen. Parteigründer Tai Cheh will sich noch nicht geschlagen geben. Er werde Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen, sagte der Psychologie-Dozent. Die Regierung habe gar kein Recht, eine Parteigründung aufgrund des Namens abzulehnen. „Es geht hier um Redefreiheit. Die Regierung mischt sich ja auch nicht ein, wenn Eltern ihrem Kind einen Namen geben.“

Als wichtiger Standort der Computerindustrie könnte das fast komplett vernetzte Taiwan durchaus Wählerpotenzial für eine Piratenpartei bieten. Auch reagieren viele Taiwaner empfindlich auf mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, denn das Land war jahrzehntelang per Kriegsrecht regiert worden. Erst 1986 gründete sich die erste Oppositionspartei, freie Parlamentswahlen gibt es seit 1992.

Die Erfolgsaussichten von kleinen Parteien sind in Taiwan aber traditionell gering. Taiwans Grüne, die sich ebenfalls für gesellschaftliche Modernisierung einsetzen, haben im Zuge von Fukushima bei den Wahlen im Januar mit 1,7% zwar ihren Stimmanteil vervierfacht, aber erneut den Sprung ins Parlament verpasst.

Der Einzug der deutschen Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus hatte auch in Taiwan Wellen geschlagen – zumindest bei den berüchtigten Animateuren von NMA.tv (Video):

Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.

Buch von Klaus Bardenhagen: Tschüß Deutschland, Ni hao Taiwan

Sie können einen Blick in mein Buch über Taiwan werfen und es bestellen – gedruckt oder als eBook im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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Echte Nationalisten und Slum-Tourismus

Willst Du das richtige Jakarta sehen? So lautete die Standardfrage von Ronny Poluan schon vor 14 Jahren. Er stellte sie immer, wenn er Ausländer traf, die es nach Jakarta verschlagen hatte – sei es um Geschäfte zu machen, als Künstler aufzutreten oder einfach, weil es keinen direkten Flug nach Bali mehr gab. Ich war damals Praktikantin beim Goethe-Institut Jakarta und platzte vor Entdeckungslust. Das einzige, was ich nicht wollte: eine typische Ausländerin sein. Also sagte ich natürlich sofort ja und der Theater- und Filmregisseur nahm mich auf unzählige Touren durch Jakarta mit, die in der Tat nichts mit den glitzernden Shopping Malls und riesigen Bürotürmen im Zentrum der Metropole zu tun hatten. Er führte mich zum ersten Mal in meinem Leben durch einen Slum, begleitete mich in ein Armenviertel am stinkenden Ciliwung- Fluss und brachte mich in Schulen für Straßenkinder. Er zeigte mir den Transvestitenstrich und stellte mich Müllsammlern vor, die in Löchern unter Autobahnbrücken hausten. Das Faszinierende war, dass all diese Leute in ihrer Armut immer offen und freundlich waren – niemals fühlte ich mich gefährdet oder unwillkommen. Diese Eindrücke waren Teil der Faszination, die dafür sorgten, dass ich vier Jahre später als freie Journalistin nach Indonesien zurückkam. Heute hat Ronny Poluan sein Hobby zum Beruf gemacht: Mit Jakarta Hidden Tours bietet er über das Internet Touren durch das „real Jakarta“ an, das nicht nur ausländische Geschäftsleute und Besucher selten zu Gesicht bekommen, sondern auch nur wenige besser gestellte Bewohner der indonesischen Hauptstadt. Den Erlös nutzt er, um die Schulausbildung der Kinder sowie die ärztliche Versorgung in einigen Armenvierteln zu unterstützen. Natürlich ist Slum-Tourismus immer ein kontroverses Unternehmen und seien die Ziele noch so wohltätig. Die Gegenargumente der Stadtregierung von Jakarta sorgen sich allerdings wenig um Voyeurismus oder das Zurschaustellen armer Leute – was sie stört: Ronny Poluan würde sein Land schlecht machen, indem er Ausländern immer nur die hässlichsten Orte Jakartas zeige. Ein guter Nationalist müsse Besuchern schöne Plätze präsentieren.

 

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Neue Deutsche Welle

Die Deutsche Welle strukturiert ihr Programm neu. Für Lateinamerika heißt das: 20 Stunden statt zwei auf spanisch am Tag.

5 Uhr 30, Caracas, der Blick aus dem 11. Stock zeigt das Häusermeer der venezolanischen Hauptstadt, irgendwo da unten kräht ein Hahn. Kühle Luft weht durch das vergitterte Fenster, aber natürlich kein Vergleich zu Europa. Im Fernsehen berichtet die Deutsche Welle (DW) von den Kältetoten. Auf Spanisch. Und das ist eine kleine Revolution, denn der Auslandssender, der Informationen aus Deutschland in die Welt schickt, orientiert sich neu.

Es ist eine Richtungsentscheidung. Auslandsdeutsche und Deutschlernende sind nicht mehr Zielpublikum, jetzt sind die Latinos dran. Bisher war die DW für sie ein Spartensender. Zwei Stunden spanischsprachiges Programm am Tag – wohl kein Lateinamerikaner stellte sich den Wecker, um die nicht zu verpassen. Nun greift der Sender an: Er steht mit seinem neuen Programm in Konkurrenz zu CNN en Español und auch zu vielen lateinamerikanischen Fernsehsendern. Deren Nachrichten sind oft so oberflächlich, effekthascherisch oder auch tendenziös, dass eine renovierte Deutsche Welle durchaus Chancen hat, sich positiv abzusetzen. Denn die News der DW sind angenehm klassisch aufgebaut, ohne wilde Schwenks, wirken seriös – in Deutschland wären sie Standardprogramm. Doch, damit mehr Latinos einschalten, muss der Sender zunächst Vorurteile bekämpfen.

„Deutsche Welle, ist das nicht der Propagandasender von der Merkel?“ Diese Frage beschreibt das bisherige Image der DW in Lateinamerika recht gut. Warum sollten sich die Latinos für einen Sender interessieren, dem es bisher in erster Linie wohl darum ging, Deutschland, seine Bewohner, seine Unternehmen in ein gutes Licht zu rücken? Nehmen wir die Woche vor der Programmreform am 6. Februar. Es war selbst für wohlwollende Zuschauer unfassbar langweilig, sich eine Dokumentation über ein Fünfsternehotel in Garmisch-Partenkirchen anzusehen, in dem die größte Sorge des Managements zu sein scheint, dass von den Servicedamen ein Staubkörnchen übersehen werden könnte.

Seit Anfang Februar ist fast alles anders. In den vergangenen Monaten hat die Deutsche Welle fast 100 Mitarbeiter für die spanischsprachige Redaktion angeworben, viele aus Lateinamerika. Vielleicht müssen sich einige Moderatoren noch ein bisschen eingrooven und lockerer werden. Doch zur Programmreform in Lateinamerika vor dem Fernseher saß, sah viel Interessantes im DW-Programm: das Beste aus der Bundesliga, wie Hightech Blinde wieder sehen lässt, Musikvideos. Und natürlich die Nachrichten, stündlich, in unterschiedlicher Länge – drei, 15, 28 Minuten.

Aber, allem voran sahen die Zuschauer viele schöne Frauen aus Lateinamerika. Die neuen Moderatorinnen und Anchor-Damen sind ungewöhnlich hübsch. Und auch deshalb in ihren Heimatländern beliebt oder sogar berühmt. Linda Guerrero etwa: In Kolumbien verabschiedete sich die Moderatorin, die bei der DW nun die Nachrichtensektion der Sendung „Euromaxx“ präsentiert, mit sanft-kitschigen Nacktfotos von ihren Fans, gedruckt in der Zeitschrift Soho mit dem Begleittext: „Jetzt ist es an Ihnen, lieber Leser, Ihre Träume in die gefühlvollen Bilder dieser spektakulären Frau zu projizieren. Auch wenn sie wohl nur schwer in Erfüllung gehen werden, denn sie ist verlobt und heiratet nächstes Jahr. Doch – egal. Entspannen Sie sich und genießen Sie.“ Bei der Deutschen Welle zu arbeiten, sei für sie wie für einen Fußballer, bei Real Madrid zu spielen, sagte die schöne Kolumbianerin der gleichen Zeitschrift.

Die vielleicht am besten gelungenen Sendungen des ersten Tages waren Todo Gol, die Fussballsendung, und Kultur.21: Optisch ansprechend umgesetzt, mit Lateinamerika-Bezug. Die venezolanische transsexuelle Sängerin Aerea Negrot war ein Porträt wert, ihre Berlin-Lobeshymne klang zwar fast schon einen Tick zu werblich, doch es ging ans Herz. Eine Venezolanerin, die sich erst in Deutschland wirklich als Venezolanerin fühlen kann, weil sie in der Heimat nicht anerkannt wird. Auch in der Sportsendung ging es um Venezuela: Tomás Rincón, Mittelfeldspieler beim HSV, beschrieb, wie er anfangs in Deutschland Strafzettel sammelte. Oder wie er sich an den schnelleren Fußball gewöhnen konnte. Solche Stücke sind wichtig, um die Zuschauer zu interessieren, denn für die meisten Latinos ist Deutschland vor allem eins: Weit, weit weg. Natürlich braucht man davon nicht 20 Stunden am Tag, das wäre auch gar nicht machbar, so viele Anknüpfungspunkte gibt es nun auch wieder nicht – aber es ist der richtige Weg.

 

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Am siebten Tage sollst du ruhen

Die New York Times hatte gestern auf der ersten Wirtschaftsseite eine Geschichte über Deutschland. Der Artikel begann so: „Torsten Emmel mag aussehen wie ein unschuldiger Florist, ein netter Typ mit Glatze und Schürze, der sorgfältig die Stiele seiner Freesien kürzt. Tatsächlich ist er ein Gesetzesbrecher. Sein Vergehen: Er setzte ein Schild auf den Gehsteig, auf dem er ankündigte, seinen Laden am Muttertag von 9 bis 16 Uhr zu öffnen.“ Das, erklärt die Times ihren Lesern, sei in Deutschland illegal – und ein Beleg für strukturelle Schwäche: „Es zeigt, dass die deutsche Wirtschaft unter der gleichen Überregulierung und Sklerose leidet, die typischerweise mit den Problem-Ländern Europas verbunden werden.“

Sonntagsruhe gleich verkalkte Strukturen gleich Griechenland – die Gleichsetzung ist kühn, vorsichtig ausgedrückt. Sicher enthält sie ein Körnchen Wahrheit über die deutsche Mentalität, doch sie sagt mindestens ebenso viel aus über die Amerikaner, beziehungsweise über den Stellenwert, den sie dem Konsum beimessen. Es ist in den USA unvorstellbar, am Sonntag nicht shoppen zu können. Der Tag ist für viele der wichtigste Einkaufstag – dann hat man endlich Zeit! Das Gleiche gilt für die wenigen Feiertage wie President’s Day oder Columbus Day, die 1968 per Gesetz auf einen Montag verlegt wurden. Wunderbar, ein langes Wochenende zum Einkaufen! Samstags- und Sonntagsausgabe der New York Times schwellen dank der vielen Reklamebeilagen auf das Doppelte, und ältere Semester wie ich erinnern sich wehmütig, dass so ein Umfang in der Hoch-Zeit der gedruckten Presse der Normale war.

Selbst in unserer Brooklyner Einkaufsstraße, für die die Bezeichnung Nebenzentrum eher hochtrabend wäre, haben sonntags nahezu sämtliche Läden geöffnet. Auch mein Zahnarzt macht Termine – nicht weiter erstaunlich: Da er Jude ist, ist sein Feiertag der Samstag. Doch auch mein Friseur hat sonntags geöffnet, und der ist aus Sizilien eingewandert und bekennender Katholik. Die einzigen, die aus irgendeinem Grund verlässlich geschlossen sind, sind Reinigungen.

In den ersten Monaten nach meiner Ankunft fand ich es irritierend, dass die Woche keinen natürlichen Rhythmus hat. Die äußere Uhr läuft einfach weiter und ich wurde nicht, wie in Deutschland, durch Stille beim Aufwachen an das Gebot erinnert „Am siebten Tage sollst du ruhen“. Inzwischen habe ich gelernt, mir meinen eigenen Rhythmus zu geben und eine Wochenendroutine zu entwickeln, indem ich zum Beispiel ausdrücklich am Samstag einkaufen gehe und nicht am Sonntag. Ob Amerikaner das verstehen würden?

Der Artikel in der New York Times enthält übrigens noch weitere interessante Breitseiten, etwa dass auch die Handwerksrolle die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächt: „Jahre der Ausbildung sind erforderlich, um als Maler, Schornsteinfeger oder Fahrradtechniker zu arbeiten.“ Als Ökonomin, die an der liberalen Universität zu Köln studiert hat, hätte ich der Kritik vor meinem USA-Aufenthalt ohne weiteres zugestimmt. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Die mit dicker weißer Farbe überstrichenen Lichtschalter und Türknäufe in unserer Altbauwohnung machen ebenso nachdenklich wie der verkehrt angeschraubte Überlauf in der Badewanne. Bizarr verlief unser Auftrag an einen Schreiner, der Umzugsschäden am Parkett beseitigen sollte und das Schleifen und Lackieren von zwei mexikanischen Tagelöhnern erledigen ließ, während er selbst den Lieferwagen um den Block fuhr, angeblich weil er keinen Parkplatz fand. Ein Freund aus London – auch dort ist das Handwerk liberalisiert – unterhielt monatelang eine ganze Facebook-Gemeinde mit der Horror-Story einer Dachreparatur.

Während ich dies schreibe, frage ich mich, was der Kollege der New York Times denken würde, wenn er meinen Blog lesen würde: „Ein typisch deutsches Lamento“? Vielleicht ist es an der Zeit, die kulturellen Unterschiede einfach zu akzeptieren und nicht in Schablonen zu packen. Zumal ich mir inzwischen in Deutschland zuweilen schon fast vorkomme wie eine Amerikanerin – ich vermisse Flexibilität und Improvisationstalent. Außerdem wäre es schön, den vergessenen Brokkoli auch am Sonntag noch schnell einkaufen zu können.

 

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Ewiger Rosenmontag

Diese Woche war innerdeutscher Schunkelstopp: Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Pappnasen absetzen, Perücken einmotten, ein Jahr Ruhe. Für den Neuseeländer ist gar nichts vorbei. Es herrscht immerwährender Karneval, wohin ich auch gehe. Oder fliege. Ich habe jetzt vorsichthalber Konfetti im Handgepäck.
Als ich letztens nach Queenstown musste, sass mir am Flughafen eine Art Herzbub gegenüber: Keckes Hütchen, rot glitzernde Hotpants und enge Weste über nackter Brust. In anderen Städten hätte man auf einen Besucher des Christopher Street Days tippen können, aber nicht so in Christchurch. Der junge Mann feierte seinen Junggesellenabschied. Für die Stewardessen reine Routine. Kurz nach dem Start wurde der Fastverheiratete durch die Gangway geschickt und durfte Bonbons verteilen. Alle klatschten, der Countdown zum Traualtar hatte begonnen.
Ich war bereits initiiert, was solche Aufzüge angeht – saß ich doch erst wenige Wochen zuvor auf dem gleichen Flug, selber ein jeckes Käppi auf dem Kopf und Sekt im Bauch. Ich war Teil einer „Hen’s Party“, die den Ferienort Queenstown unsicher machen wollte. Der erste Akt der Junggesellinnenparty sah vor, dass wir alle mit bunter Kopfbedeckung reisen. „Ach, die ‚mad hatters‘“, begrüßte uns das Bodenpersonal, das damit offenbar Erfahrung hat und das alles nicht halb so peinlich fand wie ich.
Damit war der Kostümzwang noch lange nicht vorbei. Die angehende Braut wurde von der Hühnerschar hinterrücks zum Bungy-Sprung genötigt. Was musste sie vorher als Verkleidung anziehen? Ein altes Hochzeitskleid, für ein paar Doller im Internet ersteigert. Wie ein Engel flatterte sie weiß umflort durch die Luft, während wir Hühner uns wieder zuprosteten. Mit Verkleidung wird einfach alles schöner, auch ein Ausflug in die Abgründe der vorehelichen Riten. Eine Erfahrung eher ethnologischer Natur.
Vor ein paar Wochen flog ich nach Wellington. In der Hauptstadt liefen die „Sevens“, eine Mischung aus Fasching und Rugby. Die verkleideten Horden im Flugzeug waren nur der Vorgeschmack. Was auf den Straßen an mir vorbeiströmte, war Rosenmontag pur – Dirndl, Clowns, Scheiche, Sträflinge. Am Courtenay Place, der Ausgehmeile der Innenstadt, stand ein Schrein. Leere Schnapsflaschen, Blumen in Marmeladengläsern, handgeschriebene Gedichte, Kerzen und sentimentale Sprüche huldigten dem Mann, der hier tagein, tagaus elf Jahre lang in minimalistischer Verkleidung gesessen hatte. „Blanket Man“ war tot.
Der berühmteste Obdachlose Neuseelands hieß so, weil er sommers wie winters nur mit einer Decke und einem Lendenschurz bekleidet war. Jede Nachteule kannte ihn. Ben Hana war Anbeter eines Maori-Sonnengottes, Alkoholiker und Asphalt-Ikone – von vielen verachtet, von einigen verehrt, und so prominent, dass Lieder über ihn geschrieben wurden. Vor drei Jahren stand er vor Gericht und kam auf Kaution frei mit einer Auflage: Er müsse in der Öffentlichkeit Unterhosen tragen. Rest in peace. Alaaf forever.

 

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Reporter auf Bäumen

„Du musst schnell auf den Baum klettern!“ flüstert mir der Ranger zu. Seit mehreren Stunden bin ich bereits mit der Anti-Wilderer-Einheit auf Patrouille im Nationalpark. Und jetzt das. Ich soll klettern. „Ist das dein Ernst?“ flüstere ich sicherheitshalber zurück. Es ist sein voller Ernst. Meine Augen folgen seinem Zeigefinger: Aus einem Gebüsch, nur wenige Meter entfernt, schaut ein Spitzmaulnashorn in unsere Richtung, die Ohren gespitzt, die Nase in den Wind gereckt. Das ist natürlich ein guter Grund. Spitzmaulnashörner sind für ihre Unberechenbarkeit und Aggressivität berüchtigt. (Ein Foto habe ich leider nur von seinem freundlicheren Verwandten, dem Breitmaulnashorn…)

So leise und gleichzeitig so schnell wie möglich mache ich mich auf den Weg zum nächsten Baum. Wie lange ist es her, dass ich auf einem Baum geklettert bin? 20 Jahre vielleicht. Wäre ja peinlich, wenn ich es vermasseln würde. Nachdem es sowieso schon Monatelang gedauert hat, die Ranger davon zu überzeugen, mich mit auf eine ihrer Patrouillen zu nehmen. Auf die Begegnung mit Wilderern hatten sie mich vorbereitet, auf eine Kletterpartie nicht. Ich erreiche den Baum, stecke Mikrofon und Aufnahmegerät in meine Jackentasche, wünsche mir, größer als 1,62m zu sein. Den ersten, einigermaßen Vertrauenserweckenden Ast kann ich gerade so erreichen. Beherzt greife ich zu, stütze mich mit dem Fuß am Stamm ab und … schaffe es. Nicht elegant, aber innerhalb von Sekunden. Das weiß ich genau, denn mein Aufnahmegerät habe ich vor lauter Aufregung die ganze Zeit über mitlaufen lassen.

 

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Munch – zum Schreien teuer. Aber warum?

KOPENHAGEN. Das Auktionshaus Sotheby’s hat heute vermeldet, eine Version des Gemäldes “Der Schrei” von Edvard Munch (1863-1944) zu versteigern. Es ist das einzige handelbare Exemplar des bekanntesten Motivs von Munch – alle anderen Schrei-Gemälde sind im Besitz norwegischer Museen und die verkaufen bekanntlich nicht, Lithographien haben auch deutsche Museen.

Erste Schätzungen lauten deutlich über 50 Mio. Euro. “Der Schrei” ist auch deshalb so berühmt, weil er (in jeweils unterschiedlichen Versionen) gleich zweimal gestohlen und wieder aufgetaucht ist. Auch die Aufmerksamkeit, die das Werk durch diese Diebstähle bekommen hat, dürfte zum beträchtlichen Preisanstieg der Bilder Munchs beigetragen haben. Diese These wird bereits in diesem Text von mir für The Art Newspaper im Sommer 2008 vertreten.

 

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Will Hillary Clinton Präsidentin werden?

Ein beliebter Zeitvertrieb in Washington ist das Rätselraten über die nächsten Karriereschritte des politischen Spitzenpersonals. Es erstaunt deshalb nicht weiter, dass sich die halbe Hauptstadt derzeit den Kopf über die Zukunft von Außenministerin Hillary Clinton zerbricht. Der Auslöser: Robert Zoellick, Weltbank-Präsident seit gut fünf Jahren, gab bekannt, dass er sich nicht um eine zweite Amtszeit bewerben werde. Stattdessen tritt der Republikaner, inthronisiert durch den damaligen Präsidenten George W. Bush, auf Ende Juni zurück. Und Clinton gilt – zusammen mit Ex-Finanzminister Larry Summers – als heiße Anwärterin für den Posten, der traditionsgemäß durch das Weiße Haus vergeben wird. (Gemäß den ungeschriebenen Regeln ist Europa im Gegenzug zuständig für die Wahl des Direktors des Internationalen Währungsfonds, der Schwester-Organisation der Weltbank.) Bereits im Juni 2011 publizierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Artikel, in dem behauptet wurde, dass Clinton «diesen Job» will. Mit diesen Worten jedenfalls wurde eine angeblich gut informierte Quelle zitiert. Angeblich unterstütze Präsident Barack Obama ihren Wunsch nach Veränderung.

Sowohl das Weiße Haus als auch das Außenministerium bezeichneten die Meldung aber als unzutreffend. Der Sprecher Obamas sagte vorige Woche: «Komplett falsch». Und die Sprecherin des State Departments verkündete: Clintons «Meinung hat sich nicht geändert», und ein Wechsel aus dem Außenministerium in die Weltbank – die beiden Gebäude sind in Washington eigentliche Nachbarn – stehe nicht an. Solch klare Worte sollten die Gerüchteküche eigentlich zum Verstummen bringen. Hinzu kommt, dass die 64-Jährige kein Geheimnis aus ihrem Wunsch gemacht hat, auf Ende Jahr in den Ruhestand zu treten. In der amerikanischen Hauptstadt allerdings werden Dementis selten zum Nennwert genommen. Denn die wenigsten Akteure können sich vorstellen, dass sich Clinton, die seit den Siebzigerjahren politisch aktiv ist, plötzlich zur Ruhe setzt – um darauf zu warten, dass ihre Tochter Chelsea ihr endlich ein Grosskind schenkt, wie Gatte Bill einmal scherzend sagte. Hillary, behauptete der Ex-Präsident, wünsche sich nichts sehnlicher als endlich Großmutter zu werden.

 

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Alle reden vom Krieg

Alle reden vom Krieg. Auch Ido, der Besitzer des Palais des Thés, auf der Ecke Dizengoff Gordon. Er hat schon 5000 Dollar Bargeld bereitgelegt für den Ernstfall. Denn im Kriegsfall ist “cash king”, sagt Ido. Auch Cracker und Dosennahrung auf Vorrat hat er eingekauft. Flugtickets bucht er aber erst, wenn die Sache konkreter wird. Ido rechnet damit, dass es im Mai, Juni los geht mit dem israelischen Präventivkrieg gegen den Iran. Und in der Zwischenzeit “yom yom”. Der Alltag geht weiter.

Die Israelis sind erfahren in Kriegsdingen. Sie reagieren gelassen auf das Säbelrasseln ihrer politischen Klasse. Was sein muss, muss sein, höre ich oft.
Mein Freund Shay, ein politisch sehr engagierter Mensch und Filmemacher, denkt darüber nach, mit seiner Tochter und seiner Frau an einen sicheren Ort zu gehen. Es geht jetzt darum, das Land rechtzeitig zu verlassen sagt er. “Ich will nicht, dass meine Tochter mir in zehn Jahren die politischen Analysen in den Zeitungen dieser Tage unter die Nase hält und mich fragt, Papa, wie konntest Du all diese Vorwarnungen ignorieren und den richtigen Zeitpunkt für eine Flucht verpassen?” Shay hat immer eine kleine Schachtel mit seinen kostbarsten Fotos, seinen Filmen und seinen zwei Pässen, einem israelischen und einem polnischen, in einer Ecke seiner Wohnung bereitstehen – für den Fall, dass es plötzlich schnell gehen muss.

In der Zwischenzeit geht alles einfach wie gewohnt weiter. Am Shabbat gehen die Jogger joggen, die Surfer surfen und die Wanderer wandern. In diesen Tagen sind alle mit den heftigen Regenfällen befasst, der Kältewelle und dem Schnee, der an diesem Wochenende im Golan gefallen ist. Ido und Shay sind immer noch da. Bis auf weiteres.

 

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Anthony Shadid: Trauer um einen der Besten

Eigentlich wollte ich einen fröhlichen Blog über die Abenteuer und Absurditäten einer kurzen Eiszeit in Südwestfrankreich schreiben. Aber es geht nicht. Meine Gedanken schweifen jedes Mal ab. Es sind andere Worte, die aus mir heraus müssen.
Anthony war kein enger Freund. Wir sind uns oft begegnet, haben mitunter, im Irak 2003, miteinander gearbeitet. Aber Anthony war einer der Nahost-Kollegen, dessen Geschichten ich versuchte nicht zu verpassen. Sie waren etwas ganz Besonderes. Denn keiner verfügte über so viel menschliches und kulturelles Einfühlungsvermögen, so viel Wissen um die Zusammenhänge und konnten so elegant schreiben.
Anthony Shadid starb vergangenen Donnerstag während eines Undercover-Einsatzes in Syrien. Doch nicht etwa eine Bombe oder Schüsse machten seinem Leben nach 43 Jahren ein Ende, es war ein Asthmaanfall. Anthony war mit seinem New York Times Kollegen Tyler Hicks, einem Fotografen, auf dem Weg zurück in die Türkei. Die beiden gingen zu Fuß, alles andere wäre zu gefährlich gewesen. Sie gingen hinter Pferden her – das war Anthony’s Verhängnis, erläuterte sein Vater Buddy Shadid, der in Oklahoma City lebt. Er habe sein Leben lang Asthma gehabt und immer entsprechende Medikamente bei sich gehabt. „Gegen Pferde war er allergischer als gegen irgend etwas anderes. Er hatte eine Asthma-Attacke“, so sein Vater.
Ich sehe Anthony noch vor mir in Bagdad im Februar/März 2003, bevor die ersten amerikanischen Bomben auf die irakische Hauptstadt fielen. Wir bereiteten uns gemeinsam mit anderen Kollegen darauf vor, Zeugen dieses Krieges in Bagdad zu werden. Immer wieder kamen Zweifel auf, ob es nicht doch zu gefährlich werden würde. Wir wussten nicht, ob die irakische Regierung uns Journalisten nicht doch als Geiseln nehmen würde. Wir haben viel miteinander über alle denkbaren Szenarien diskutiert. Anthony war immer sehr ruhig, er gehörte nicht zu den Adrenalin-Junkies, die auch in solchen Situationen immer unter den Journalisten zu finden sind. Oder zu solchen, die eine Chance wittern, sich endlich einen ganz großen Namen zu machen. Anthonys Plan war ganz im Stillen und ohne viel Aufhebens gereift: Er würde bei irakischen Familien Unterschlupf finden, mit ihnen den Krieg erleben und davon Zeugnis ablegen. Als ich von meiner damaligen WDR-Chefredakteurin per Dienstanweisung zwei Tage vor dem Ausbruch des Krieges aus Bagdad heraus befohlen wurde, blieb Anthony zurück. Wir umarmten einander und waren uns keineswegs sicher, dass wir uns wiedersehen würden.
Als Amerikaner mit libanesischen Wurzeln, der fließend Arabisch sprach, war Anthony prädestiniert sich unters Volk zu mischen ohne aufzufallen. Nichts tat er lieber, denn es waren die Menschen, die ihn interessierten. Ihm entgingen keine Details, er wusste sie zu deuten und sie zu Geschichten zu weben, die in einem Mikrokosmos das ganze Ausmaß beleuchteten. Für seine außergewöhnliche Berichterstattung aus dem Irak, damals noch für die Washington Post, erhielt er den Pulitzerpreis 2004. Sein Buch „Night Draws Near. Iraq’s People in the Shadow of America’s War“ bringt uns die Iraker, ihre Empfindungen und Erfahrungen in der Zeit nahe. 2010 wurde er verdienter Maßen erneut Pulitzerpreisträger.
Das Charakteristische an Anthony war, dass er um solche Preise kein großes Aufsehen machte. Er blieb bescheiden, kompromisslos an den Entwicklungen im Nahen Osten interessiert, hilfreich und kooperativ unter Kollegen, ein Leisetreter, der wusste, was Demut bedeutet. Anthony war mutig, wenn es darum ging, aus eigener Ansicht zu berichten, so nah ran zu gehen, wie es ihm notwendig erschien. Aber er war kein Draufgänger. Er blieb bei allem was er tat menschlich.
Nach dem Libanonkrieg 2006 verbrachte er einige Monate in Marjayoun im Südlibanon, wo er das Haus seines Großvater restaurierte und gleichzeitig sein drittes Buch schrieb: „House of Stone: A Memoir of Home, Family and a Lost Middle East“, das im März erscheinen wird. Seit einem Jahr berichtete er für die New York Times über die Arabische Revolte und ihre Folgen.
Seine wundervollen Geschichten werden bleiben, sein freundliches Lachen und seine ruhige, dunkle Stimme werden diejenigen begleiten, die ihn gekannt haben. Die Welt hat einen ganz großen Journalisten und Nahost-Kenner viel zu früh verloren. Du wirst uns fehlen, Anthony.

 

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Training mit dem Lachweltmeister. Ein Selbstversuch

Vor mir kugelt sich ein Mann in weißem Kittel auf dem Boden und lacht hysterisch. Seine Augen treten hervor, Schweiß und Tränen rinnen über sein erhitztes Gesicht, aus den Mundwinkeln quillt Spucke. Er zuckt mit den Beinen, rudert mit den Armen, dann zerrt er an seiner eng gebundenen Krawatte, um Luft zu bekommen. Ist der Mann verrückt geworden? Hat er Drogen genommen? Muss ich einen Arzt rufen? Nein, muss ich nicht, denn ich bin gekommen, um von diesem Mann etwas zu lernen. Lachen. Belachew Girma ist Lachweltmeister. In Dachau lachte er 2008 drei Stunden und sechs Minuten. Am Stück. So viel Zeit habe ich nicht. Und so wie der Typ auf dem Fußboden möchte ich eigentlich auch nicht werden. Aber ein bisschen mehr zu lachen zu haben – warum nicht?

Als Belachew sich Schweiß, Speichel und Tränen aus dem Gesicht gewischt hat, stellt er sich vor mich, zeigt mit dem Finger auf mich, und sagt etwas, das ich nicht verstehe. Er und die 22 Äthiopier, die sich zum Lachseminar angemeldet haben, finden es sehr lustig und fangen an zu lachen. Ich habe eher das Gefühl, sie lachen über mich. Nach ein paar endlosen Sekunden, fange ich auch an, zu lachen. Nicht, weil ich die Situation so komisch finde, sondern weil es mir lieber ist, wenn die Leute mit mir anstatt über mich lachen. Es wirkt. Ich werde erlöst. Belachew zieht weiter, lacht zunächst scheinbar wieder über, dann mit dem nächsten Kursteilnehmer.

Wie kommt jemand darauf, ausgerechnet in Äthiopien, einem Land, in dem es oft nicht viel zu lachen gibt, die erste Lachschule Afrikas zu gründen? Und warum gehe ich zum Training?

„Wir geben Training, wie man über Hunger und Zerstörung lacht“, heißt es auf der Homepage des Lachinstituts. Ich würde eigentlich lieber über heiterere Dinge lachen, aber zumindest hat dieses seltsame Lernziel meine Neugier auf den komischen Vogel, der über Hunger und Zerstörung lachen kann, geweckt.

Die Teilnahme an vier Sitzungen der Lachschule kostet 450 Birr. Etwa so viel wie ein ungelernter Arbeiter im Monat verdient. Neben den lautstarken praktischen Übungen kriege ich dafür per Powerpoint auch Kalenderspruch-Weisheiten wie „Wenn das Leben Dir eine Zitrone gibt, quetsche sie aus, und mache eine Limonade daraus“ oder „Niemand ist arm, solange er noch lachen kann“ verabreicht. Ich finde die Sprüche nicht soooo witzig, aber
die Streber im Kurs quittieren alles mit schallendem Gelächter, versuchen gar, das Gegluckse des großen Meister zu übertönen.

„Ich war mal HIV-positiv. Jetzt bin ich gesund. Gott halt mich geheilt, und Lachen ist die beste Medizin“, sagt Belachew mir nach dem Training mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet.

Während ich dies schreibe, habe ich tierische Kopfschmerzen. Ich habe gerade versucht, sie wegzulachen. Sie sind noch immer da. Allerdings habe ich bislang auch nur eine Trainingssession besucht.

 

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Resat Yilmaz, in memoriam

Es ist bezeichnend, dass ich von Resat Yilmaz nach zehnjähriger Zusammenarbeit kein Foto habe, das ihn von vorne oder im Vordergrund zeigt. Nur im Hintergrund ist er hier und da auf Bildern und Tonaufnahmen aus einem Jahrzehnt zu sehen oder hören. Sein Name ist nie aufgetaucht in meinen Berichten und Beiträgen aus Südostanatolien, das wir zusammen immer wieder kreuz und quer durchstreift haben, bei Eiseskälte und glühender Hitze, in Krieg und relativem Frieden – mit Rebellen und mit regierungstreuen Milizionären, bei den Opfern der einen wie der anderen Seite, bei verheizten Männern und verkauften Frauen, und immer wieder am Ilisu-Staudamm. Fahrer werden nun einmal nicht genannt in der Autorenzeile, auch wenn sie oft weit wichtiger sind für unsere Arbeit, als wir damit öffentlich zugeben. Resat Yilmaz war einer der besten; er hat an allen meinen Geschichten aus der Region großen Anteil gehabt. Nur icinde yat, Resat Abi.

 

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Der Dollar (Alb-)Traum

Meistens sympathisiere ich mit den Bewohnern meiner Wahlheimat: Wenn Australiens Wirtschaft floriert, die Sonne lacht, die Welle gut bricht, keine Katastrophen passieren – Immer dann freue ich mich gern mit den 22 Millionen Skippys. Schließlich schreibe ich ja nicht nur über den Kontinent unten rechts, sondern wohne auch hier. Seit gut einem Jahr allerdings reagiere ich auf einen Aspekt australischen Glücksempfindens allergisch: Auf den starken Dollar.
Schon morgens beim Macchiato, wenn ich ins wohlgefällige Grinsen der Zeitgunsleser hinter den Wirtschaftsseiten blicke, rutscht meine Laune in den Keller: “Mighty Aussi Dollar here to stay!”  Für Jahre, gar Jahrzehnte soll der von Erz, Nickel und Kohle gepäppelte Dollar fett bleiben, sagt Ross Gittins, der Wirtschaftsguru meiner Tageszeitung. Je mehr von dem Zeug sie aus der Erde buddeln um so besser gehts offenbar der Währung. Meine Nachbarn reisen wie verrückt, kaufen halb Amerika per online-shopping leer, hauen zu gut deutsch so richtig auf die Kacke. Es sei ihnen gegönnt. Für mich allerdings geht der Spaß nach hinten los: Meine Arbeit ist nur noch ein Drittel wert. Eine Story für die ich vor drei Jahren 1000 Euro und damit 2000 Dollar bekommen habe, bringt mir heute noch so eben 1200 $. Traurig aber wahr, denn meine Auftraggeber zahlen in Euro. Und sie haben ihre Tarife nicht ans australische Rohstoffwunder angepasst. Ist es ein Trost, dass ein paar (wenige) andere Industrien – Einreiseverkehr alias Tourismus zb – mit mir leiden? Ein schwacher. Denn auch Reisereportagen gehör(t)en zu meinen Jobs: “Australien? Och nö, viel zu teuer für unsere Leser…” Aber hier kommt der Lichtblick: Französischer Champagner kostet nur noch die Hälfte. Wie genau das mit dem Rohstoffboom zusammenhängt ist mir schleierhaft. Aber Veuve oder Piper brut sind kaum noch teurer als ein Abendessen im Thai-Imbiss. So könnte ich mir (könnte ich’s mir noch leisten) meinen Kontostand wenigstens stilvoll schön trinken. Santé, Prost und Cheers!

 

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Belgrad auf Eis

BRRRRRRH. Kalt. Saukalt. Scheißkalt. Minus zwanzig Grad kalt. Gefühlte Temperatur: Minus dreißig. Der Ostwind KOŠAVA fegt über die Pannonische Ebene orkanartig. Seit Tagen Schnee, Schnee, Schnee, der Himmel ist Schnee, der Boden ist Schnee, du weißt gar nicht mehr von welcher Seite kommt er. Der Schneesturm verweht dir den Atem, die Nasenspitze erfriert.

Dabei ist Belgrad noch gut dran. Südserbien ist seit zwei Monaten verschneit. 70.000 Menschen in den Bergdörfern haben zwischendurch keinen Strom, Straßen haben sie eh nicht, ergo, sie sind schwer erreichbar. Zwanzig Tote zählt man seit Januar, täglich wird die zahl höher, Soldaten und Helikopter sind unterwegs.

Serbien mutiert langsam zu Sibirien.

Eis und Schnee haben Ex-Jugoslawien vereint: Etwa 150.000 Menschen sind in Kroatien, Bosnien oder Montenegro eingeschneit. Die ersten Lawinen haben die ersten Opfer begraben. Zehn Menschen sterben in Kosovo, ein fünfjähriges Mädchen wird gerettet.

Montenegro ruft den Ausnahmezustand aus, es besteht die Arbeitspflicht, die Bergregion ist vom Rest der Welt abgeschnitten. Aus einem verschneiten Zug wurden 20 Personen gerettet. In der mediterranen Hauptstadt Podgorica knicken die Palmen wie Streichhölzer um, der Nordwind BURA weht tote Fische ans Land. In den Krankenhäusern der kroatischen Adria-Stadt Split ist der Gips knapp geworden, Eis und Kälte kennen die sonnenverwöhnten Dalmatiner gar nicht. Die Adria ist – tiefgefroren.

Der Ausnahmezustand in Serbien heißt „Ausnahmesituation“, die Soldaten und Freiwillige erreichen Kranke und Alte in den Bergdörfern oft nur auf Skiern.

In Belgrad verschwinden die Save und die Donau unter dicken Eisschichten, Schiff-Fahrt auf der Donau ist eingestellt. Nach zwei Sonnentagen und Minus 20 Grad schneit es wieder. Die Energieversorgung der Hauptstadt steht auf der Kippe: Strom und Gas sind knapp, Schulen und große Betriebe geschlossen,  Straßenbeleuchtung wird sparsam eingesetzt.

Seit gestern wieder Schnee, Schnee, Schnee. Laut Prognose hört der Schneefall erst in zwei Tagen auf.

Dann soll es wärmer werden.

 

 

 

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Huffington Post – Riesenerfolg mit Lizenz zum Ausbeuten

Als ich Arianna Huffington zum ersten Mal traf war ich schwer beeindruckt. Es war 2003, ich war durch Zufall mit etwa dreißig anderen Frauen in ihre Villa in einem noblen Bezirk von Los Angeles eingeladen worden. Gebannt hörte ich zwischen opulenten gold verzierten Möbeln sitzend dem mitreißenden Vortrag der Frau mit dem starken griechischen Akzent zu. Arianna wollte damals Gouverneurin von Kalifornien werden, hatte ihre republikanische Parteikarte abgegeben und setzte nun auf linke Positionen. Am Ende der Veranstaltung wurde ein großer Umschlag herumgereicht. Die Damen neben mir griffen zu Stift und Scheckbuch – ohne es zu wissen war ich in eine Spendenversammlung für Arianna geraten. Ein österreichischer Muskelprotz hat sie damals geschlagen. Doch ich verfolgte fortan mit einer Mischung aus Be- und Verwunderung den Aufstieg der Arianna Huffington zum Medienstar.

Als sie vor sieben Jahren die Huffington Post gründete, wurde der Online-Blog-Seite keine große Zukunft vorhergesagt. Inzwischen hat Arianna sie für 315 Millionen an AOL verkauft und ist jetzt Chefin der Huffington Post Media Group. Mit einer kruden Mischung aus Schlagzeilen, Blogs, Videos und Werbung hat die HuffPost so viele Besucher wie die Web Site der New York Times. Das Geheimnis des Erfolg: Ariannas Post verlinkt zu Inhalten, die andere herstellen ohne selbst viel in investigativen Journalismus zu investieren. Zwar bezahlt sie inzwischen rund 150 Mitarbeiter, von denen einige auch recherchieren und Artikel schreiben. Doch 9000 Blogger arbeiten kostenlos für die Huffington Post. Darunter sind Promis wie Robert Redford und Unbekannte, die über Yoga, Katzen, Sex und andere essentielle Lebensbereiche berichten.

Als ich versuchte, Arianna über ihren Erfolg und ihre Wachstumspläne für Deutschland zu befragen, stellte sich heraus, dass sie lieber in der Welt herumreist, ihr Medienimperium ausbaut und gut bezahlte Reden hält, als Interviews zu geben. Keine meiner Anfragen an die Huffington Post wurden beantwortet. Nur die Organisatorin eines Univortrages mit Arianna gab mir eine Chance: eine 500 Dollar VIP-Karte für die Veranstaltung würde mir den Zugang zum anschließenden Empfang mit Arianna erkaufen. Dabei ergebe sich eventuell die Gelegenheit, die Hand der Medienmeisterin zu schütteln und meine Visitenkarte zu hinterlassen.

Ich hab mein Scheckbuch wie vor neun Jahren lieber stecken gelassen.

 

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Israel: Kampfplatz Bildung

Im Konflikt mit den Palästinensern ist die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu noch nie um einen destruktiven Vorschlag verlegen gewesen. Die neueste Idee zur nachhaltigen Vergiftung der Beziehungen mit den Palästinensern kommt aus dem Hause von Bildungsminister Gideon Sa’ar. Der Parteifreund Netanjahus vom Likud hat angekündigt, mehrere Millionen Schekel für ein Programm zur Stärkung der jüdischen und zionistischen Werte lockermachen zu wollen. Unter der Überschrift “Heritage Tours” sollen Schüler künftig Ausflüge zu den Gräbern der Patriarchen in Hebron und in die Siedlung Shiloh machen.

Jetzt hat eine mutige Gruppe von 260 Lehrern dieses Projekt in einem offenen Brief scharf kritisiert: “Das Bildungssystem wird von extremistischen politischen Kräften bedroht, die versuchen Bildung durch Indoktrination zu ersetzen”, heißt es in dem Brief. “Dieses Programm ist dazu angetan, Lehrer und Schüler zu politischen Zwecken zu missbrauchen. Unser Gewissen erlaubt es uns nicht, uns zu Agenten einer solchen Politik machen zu lassen”, schreiben die Lehrer und riskieren damit Sanktionen. Udi Gur, ein Literaturlehrer aus Jerusalem sagte gestern gegenüber der Tageszeitung Haaretz: “Möglicherweise sind wir jetzt in einem Stadium angelangt, in dem Bürger einen persönlichen Preis bezahlen müssen, um den Nationalismus zu stoppen.” Ofra Goldberg unterrichtet in Jerusalem jüdisches Denken und kritisiert das Programm von Minister Sa’ar als gefährliche politische Lüge: “Die Patriarchen haben nie in Hebron gelebt. Sie wurden hier nur bestattet. Die Stadt, mit der Abraham am ehesten identifiziert werden kann ist Be’ersheva. Warum sollten wir nach Hebron fahren? Hebron ist eine tote Stadt von Extremisten. Lasst uns die jüdische Identität um einen lebendigen und kreativen Mittelpunkt herum aufbauen, nicht um Gräber herum.” Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass Minister Sa’ar Mittel lockermachen kann, wenn er nur will. Für gewöhnlich heißt es, dass es an allen Enden an Geld fehlt. In Israel herrscht Bildungsnotstand. In manchen Stadtteilen Tel Avivs liegt die durchschnittliche Klassenstärke in den Grundschulen bei 42 Kindern. Dieser Missstand war auch eines der zentralen Themen der sozialen Proteste des vergangenen Sommers. Eine mutige Gruppe von Lehrern knüpft jetzt mit ihrem Brief daran an. Und verteidigt die Freiheit der Bildung.

*

Hebron liegt etwa 30 Kilometer südlich von Jerusalem. Hier leben ungefähr 30.000 Palästinenser und 800 militante jüdische Siedler, die rund um die Uhr von israelischen Soldaten geschützt werden. In der Höhle Machpela in Hebron sind die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob zusammen mit ihren Frauen Sara, Rebekka und Lea begraben. Die Patriarchengräber gelten nach dem Tempelberg in Jerusalem als zweitwichtigste heilige Stätte des Judentums in Israel.

 

 

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Der dänische Meister der Interieurs – bald auch in München

Er gilt als Meister der stillen Interieurs, der dönische Maler Vilhelm Hammershøj (1864-1916). Internationale Ausstellungen und Rekordresultate bei Auktionen haben seinen Werken in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit geschenkt. Nun werden seine Arbeiten in der Nationalgalerie in Kopenhagen gezeigt. Die Schau „Hammershøj und Europa“ eröffnet in der Nationalgalerie und reist danach in die Hypo-Kulturstiftung nach München weiter.

Gezeigt wird auch die (angenommene) gegenseitige Inspiration durch Munch, Gauguin und andere Größen seiner Zeit. Viel interessanter ist aber, sich den Sujets von Hammershøj zu widmen und seine Art der Portrait- und Interieurmalerei zu studieren. Details zur Ausstellung auf der Website der dänischen Nationalgalerie www.smk.dk

 

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Erst mal doch kein Klassenkampf

Die Ankündigung des Microblogging-Diensts Twitter, seine Inhalte in Zukunft auf Wunsch einzelner Staaten zu zensieren, dürfte viele autoritäre Regime gefreut haben. Was gibt es schon Schlimmeres, als Bürger, die sich frei über Machtverhältnisse, Korruption und die Gängelung Andersdenkender austauschen?

Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich Regierungen für die Entscheidung bedanken würden. Doch welcher Staat hat Twitters angekündigte Zensur als erster öffentlich begrüßt? Kuba? Usbekistan? Saudi-Arabien? Falsch. Es war Thailand.

Jeerawan Boonperm, Staatssekretärin im Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie, nannte Twitters Entscheidung „eine willkommene Entwicklung.“ Sie fügte hinzu, dass es bereits mit anderen Internet-Unternehmen wie Google und Facebook „gute Kooperationen“ gebe. Die thailändische Regierung werde sich bald mit Twitter in Verbindung setzen.

Thailand hat einige der schärfsten Zensurgesetze der Welt. Auf dem Pressefreiheits-Index von Reporter Ohne Grenzen rangiert das Land auf dem 153. Platz von 178 Ländern. In den vergangenen Jahren haben die Behörden den Zugang zu zigtausenden Webseiten geblockt. Der Grund: Auf ihnen soll sich Kritik an Mitgliedern des Königshauses befunden haben.

Ein drakonisches Gesetz gegen „Majestätsbeleidigung“ verbietet jegliche Kritik an Mitgliedern der königlichen Familie. Öffentliche Debatten etwa über die zukünftige Rolle des Königshauses finden nicht statt. Denn Jeder, der aus Sicht der Justiz gegen das Gesetz verstößt, begeht damit ein Schwerverbrechen gegen den Staat. Die Mindeststrafe beträgt drei Jahre, die Höchststrafe 15 Jahre Haft – pro angeblicher Äußerung.

Erst vor wenigen Wochen hat ein Urteil weltweit für Aufsehen gesorgt. Ein krebskranker, 61 Jahre alter Mann wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er vier SMS verschickt haben soll, in denen er die Königin kritisiert haben soll. Hunderte Thais sind seit dem Militärputsch 2006 wegen angeblicher Majestätsbeleidigung angeklagt oder verurteilt worden. Ihre genau Zahl ist nicht bekannt. Die Verfahren finden im Geheimen statt, die angeblichen Vergehen der Verurteilten werden nicht öffentlich gemacht.

Die thailändische Presse zensiert sich aufgrund der drohenden massiven Strafen selbst. Und auch ausländische Berichterstatter – einschließlich des Verfassers dieser Zeilen – stehen regelmäßig vor dem Dilemma: Kann ich das so schreiben? Vor wenigen Jahren haben die Behörden dem damaligen BBC-Korrespondenten Jonathan Head mit einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung gedroht. Head hat das Land kurze Zeit später verlassen und wurde in die Türkei versetzt.

Doch es regt sich Widerstand. Mitte Januar forderten sieben Juristen der Thammasat-Universität eine Reform des Majestätsbeleidigungs-Paragraphen. Kurz zuvor hatten auch die UNO, die EU und die USA Thailand dazu ermahnt, das drakonische Gesetz zu entschärfen und Meinungsfreiheit sicher zu stellen.

Ihr Vorstoß brachte jedoch umgehend die Verfechter des Status Quo auf die Straße: Ultra-Monarchisten verbrannten vor dem Universitätsgebäude eine Puppe eines der Juristen und forderten die Festnahme der Gruppe. Kurz danach protestierten – ausgerechnet! – Journalistik-Studenten dafür, das Gesetz unverändert beizubehalten und alle Kritiker strafrechtlich zu verfolgen. Prayuth Chan-ocha, Thailands wortgewaltiger Armeechef, forderte jeden Thai, der das Gesetz kritisiert, dazu auf, das Land zu verlassen.

Das vielleicht Erstaunlichste an den derzeitigen Entwicklungen ist, dass die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra, die nach einem Erdrutschsieg bei Wahlen im vergangenen Jahr ins Amt gekommen ist, in Sachen Zensur noch drastischer vorgeht als die vorherige Regierung des erklärten Monachisten Abhisit Vejjajiva. Yingluck ist die Schwester des 2006 aus dem Amt geputschten Ex-Premiers Thaksin Shinawatra. Einer der ausdrücklichen Gründe für den Putsch war damals sein angeblich „mangelnder Respekt gegenüber der Monarchie.“

Während der Proteste der Pro-Thaksin-„Rothemden“ 2010 gab sich der Ex-Premier und Selfmade-Milliardär, der im Exil in Dubai lebt, in Video-Liveschaltungen noch ganz klassenkämpferisch. Er polterte damals, er werde die „Prai“ (Unfreien) in ihrem Kampf gegen die Vorherrschaft der „Amart“ (Elite) anführen. 91 Menschen starben, als die Armee die Proteste kurze Zeit später niederschoss. Die meisten Angeklagten, denen drakonische Strafen wegen angeblicher Majestätsbeleidigung drohen, sind Rothemden oder stammen aus deren Umfeld.

Von dem beschworenen Kampf gegen die Elite ist seit dem Machtwechsel im vergangenen Jahr keine Rede mehr. Vize-Premier Chalerm Yubamrung ermahnte neulich gar alle thailändischen Facebook-Nutzer, dass sie Majestätsbeleidigung begingen, wenn sie auf monarchiekritischen Seiten den „Like“-Button drücken. Die „Verteidigung der Monarchie“ ist das erklärte oberste Ziel der Regierung, die Thaksin von Dubai aus steuert.

Es scheint, als wäre der Klassenkampf erst einmal verschoben worden.

 

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Warum Taiwaner überall schlafen können

Wer im Büro nach dem Mittagessen ins Leistungsloch fällt, kennt in Deutschland vor allem ein Mittel dagegen: Eine Tasse heißen Kaffee. Der wird auch in Taiwan getrunken, aber gegen Müdigkeit hilft hier vor allem der kollektive Büroschlaf. Wenn ich während der meist einstündigen Mittagspause ins Großraumbüro eines taiwanischen Unternehmens komme und die Lunchboxen verzehrt sind, vertreibt sich nur ein Teil der Angestellten die Zeit mit Facebook & Co. Die anderen schlafen, den Kopf auf die Arme gebettet, direkt auf der Schreibtischplatte. So ein Nickerchen soll ja sehr gesund sein, liest man auch in Deutschland immer wieder, und der Konzentration förderlich. Hauptsache, es dauert nicht länger als eine halbe Stunde – sonst fällt man in den Tiefschlaf und ist für den Rest des Tages erst recht nicht mehr zu gebrauchen.

Aber nicht nur im Büro staune ich über die Fähigkeit der Taiwaner, in unbequemen Stellungen und vor aller Augen ins Reich der Träume hinüberzugleiten. Bauarbeiter schlummern auf Holzplatten mitten zwischen ihren Werkzeugen, Pendlern fallen auf dem Heimweg in der vollbesetzten U-Bahn ganz selbstverständlich die Augen zu, und Studenten ratzen im Hörsaal in der Pause zwischen zwei Vorlesungen.

Bilder von schlafenden Taiwanern – eine Auswahl auf meinem Blog

Ich beneide die Taiwaner um diese Fähigkeit und frage mich manchmal, ob dafür ein Gen verantwortlich sein könnte, das die Wissenschaft noch nicht identifiziert hat. Und dann hole ich mir noch einen Kaffee.

Dabei läuft das Leben zumindest in Taiwans Metropolen eigentlich sehr schnell getaktet. Die meisten Menschen wirken immer geschäftig, rotieren zwischen Job und Familie, machen Überstunden, drängeln sich auf dem Motorroller durch den Verkehr, zum Einkaufen oder ins Restaurant. Anspannung liegt in der Luft, aber kein Stress. Denn irgendwie gelingt doch immer wieder die Balance zwischen Anforderungen und Entspannung. Und wenn es nur ein paar Minuten Schlaf sind, die man dem Alltag abringt.

Wahrscheinlich liegt es an der Erziehung, dass Taiwaner so schnell wegschlummern können. In Kindergarten und Grundschule gehört der Gruppenschlaf zum festen Programm, und wer es einmal gelernt hat, beherrscht es bis ins hohe Alter. Dem Sohn einer deutschen Freundin, der eine Zeit lang einen Kindergarten in Taipeh besucht hat, wollte das Einschlafen dagegen partout nicht gelingen. Nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Erzieherin durfte er schließlich etwas lesen und musste sich nicht mehr jeden Tag schlafend stellen.

Dieser Text findet sich auch in “Tschüß Deutschland, ni hao Taiwan”. Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in der Chinesisch Landessprache ist? Über meinen ungewöhnlichen Alltag habe ich dieses kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
 

 
Sie können einen Blick in mein Taiwan-Buch werfen und es bestellen – gedruckt oder als eBook im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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Klein, aber riesig! Das Geheimnis römischer Trattorien

“Schön, dass es noch solche Trattorien gibt”, seufzte ich zufrieden und stellte mein Glas Rotwein ab. Ich war einfach begeistert. Und in diesem Moment noch ahnungslos.

Es ist nur wenige Tage her, ich war mit Freunden in einem kleinen Lokal im altrömischen Stadtteil Trastevere zum Essen.  Als ich den Laden betrat war ich noch angetan. Gerade einmal acht Tische! Hier, so mutmaßte ich, muss das Essen gut sein! Hier wird noch mit Liebe gekocht! Hier bestimmt noch die Leidenschaft, nicht das Geld! Hier, so war ich überzeugt, gilt das Motto: “Wirtschaftlich lohnt es sich zwar nicht, aber es ist uns ein Bedürfnis, auch für wenige Gäste gut zu kochen.”

Tatsächlich, die Nudeln waren spitze und ich bester Laune. “Wie habt ihr dieses Mini-Lokal nur gefunden?”, fragte ich meine Freunde anerkennend. Sie schauten, als hätten sie mich nicht recht verstanden.

Nach dem Essen wurde mir klar, warum.  Ich fragte nach der Toilette, der Kellner sagte “sotto!” und ich stieg die Treppe hinab. Je tiefer ich stieg, desto laute wurde es: Gemurmel und Gebrummel von Menschen. Vielen Menschen! Und tatsächlich: Unten stand ich nicht, wie gedacht, im geheimnisvollen Weinkeller einer vermeintlich schnuckeligen Trattoria, sondern in einem ziemlich großen, neonbeleuchteten und mit Marmor verkleideten Essenssaal. Gut 40 Gäste saßen da, Pizza essend und Bier trinkend, weitere Türen zu weiteren Räumen. Verdattert blieb ich auf der untersten Stufe stehen. Erst ein forsches “Avanti!” des von oben nachdrängenden Kellners weckte mich auf: Die vermeintlich kleine, gemütliche, Trattoria, war in Wirklichkeit ein Freßtempel wie jeder andere! 

 So geht es einem ständig in Rom: Man besucht ein Lokal, glaubt, man habe den Geheimtipp des Jahrhunderts entdeckt – um dann zu merken, dass im Untergeschoss noch drei Touristengruppen aus Wuppertal und zwei Dutzend Pilger aus Polen sitzen und auch noch Platz wäre für weitere drei Busladungen. Wie oft schon ist es mir so gegangen! Von der Gasse aus linst man in ein kleines Lokal hinein und dann lotst einen der Kellner die Kellertreppe hinunter. Da sitzt man dann zwischen Leuten, denen es genauso geht wie einem selbst: Enttäuscht, dass der Geheimtipp eine Fata Morgana war. 

 Doch halt! Ausnahmsweise können da die Römer nichts dafür und es steckt keine Schlitzohrigkeit dahinter. Es geht eben nicht anders. Die mittelalterlichen Häuser sind eben so kleinteilig gebaut.

Da ein Räumlein! Da ein Zimmerchen! Da eins! Und da noch eins! So ist es übrigends auch bei einem Elektroladen in meinem Stadtviertel. “Kyndes” heißt der und alle empfehlen ihn als besten Elektro-.”Großmarkt” in Rom. Und dann fährt man hin und es ist wie bei den Restaurants: Ein winziger Eingang – doch innen zieht sich der Laden im Paterre und Keller auf hunderten Quadratmeter dahin: Hier ein Räumlein für die Kühlschränke, da ein Kämmerchen für die Toaster, da ein Zimmerchen für die DVD-Player…und so weiter und so fort. Kein Konsumtempel. Schlimmer noch: Ein Konsumlabyrinth.

 

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Wurde der Kapitalismus in Davos neu erfunden? Eine Presseschau

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos war mit mehr als 2.600 Teilnehmern ein WEF der Superlative. Angesichts der Krise kündigte WEF-Gründer Klaus Schwab sogar an, den Kapitalismus neu zu erfinden. Hat das geklappt? Die Schweizer Presse ist am Tag danach skeptisch.

Immerhin wohlwollend der Tagesanzeiger. “Ein Geheimclub öffnet sich”, heißt es hier – früher habe beim WEF die globale Elite hinter verschlossenen Türen in einem Exklusivclub der Mächtigen diskutiert – das sei heute anders und auch gut so. “Fast schon symbolisch haben sich die Proteste der Occupy WEF Bewegung eingefügt”, so der Tagi. Die Teilnehmer seien jünger und weiblicher geworden, lobt der Bund. Aber: nach wie vor sei das WEF im Kern eine PR-Veranstaltung der Großkonzerne, bei der viel geredet und kaum etwas beschlossen werde.

Die NZZ will in Davos neue Hoffnung für die Doha-Runde der WTO ausgemacht haben – eine Politik der kleinen Schritte habe WTO-Chef Lamy auf dem WEF angekündigt. Das dürfte zu einem Großteil Wunschdenken sein: denn erst beim letzten WTO-Gipfel vor einem Monat hat sich gezeigt, dass derzeit niemand das von Lamy geplante Freihandelsregime will. Die letzten starken Volkswirtschaften schließen lieber bilaterale Verträge zu ihrem eigenen Vorteil. Die konservative Basler Zeitung will auf dem WEF konkrete Erfolge im Kampf gegen den Hunger ausgemacht haben: UNO und Weltkonzerne arbeiteten jetzt zusammen. Besonders gelobt wird da das Welternährungsprogramm, dessen konzernfreundliche Vorsitzende Josette Sheeran derzeit als Nachfolgerin von WEF-Gründer Klaus Schwab gehandelt wird.

Kritische Stimmen es aber auch, und nicht wenige. Die UNO verkaufe ihre Seele, wettert etwa die Tribune de Genève: ihre Repräsentanten präsentierten sich da mit genau den Konzernführern, die den Multilateralismus à la UN am liebsten abschaffen würden. Von einem “Treffen der Satten” spricht das Boulevardblatt Blick: Mitreißende Botschaften oder Visionen seien ausgeblieben, und am schlimmsten sei die mangelnde Verve. Der Blick zitiert den US-Ökonomen Joseph Stiglitz, es sei überraschend, dass die Top-Manager nicht bereit seien, über die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft und die Arbeitslosigkeit zu diskutieren. Die Handelszeitung hatte schon zum WEF-Auftakt vor einem ‘Gipfel der Eitelkeiten’ gewarnt. “Wenn Du den Sumpf trockenlegen willst, frag nicht die Frösche”, heißt es da. Die meisten WEF-Teilnehmer seien diese sprichwörtlichen Frösche, also: genau die Vertreter des Kapitalismus, der laut Klaus Schwab untergeht. Lösungen hätten diese natürlich nicht parat.

Eine Verliererin haben alle Kommentatoren beim WEF ausgemacht: Angela Merkel. Die Basler Tageswoche spricht von einem WEF im Zeichen allgemeiner Ratlosigkeit. Da hätten sich Politik und Wirtschaft gemeinsam auf Berlin und Merkel eingeschossen. Selbst Frankreich sei auf dem WEF von Merkel abgerückt und habe sich für mehr Geld für den Euro-Rettungsschirm ausgesprochen. Immerhin: als ‘destruktiv’ verurteilt der Blick den britischen Premier Cameron, der Merkels Vorstoß für mehr Bankenkontrolle beim WEF als ‘Wahnsinn’ bezeichnet hatte. In der Schweiz ist man inzwischen bankenkritischer: gerade erst ist die älteste Privatbank Wegelin unter Druck der US-Bankenaufsicht verkauft worden – den einst festen Glauben an ihre Banken haben die Schweizer verloren.

Apropos kritisch: eine kritische Stimme hat beim WEF gefehlt. Die links-alternative Wochenzeitung, praktisch das Pendant zur deutschen taz, bekam keinen Zutritt zum WEF. Angeblich, weil es nicht genug Zutrittsausweise gab – das hat dem WEF nun wirklich niemand geglaubt.

Die wenigen konkreten Ergebnisse, die es gibt, sorgen in der Schweiz für Angst. Allem voran: die Forderung von IWF-Chefin Christine Lagarde, auch die Schweiz müsse sich an der Rettung des Euro beteiligen. Damit macht die Berner Zeitung heute auf. Bald könnte die Schweiz nicht-rückzahlbare Milliarden-Kredite gewähren, warnt sie. Damit drohe der Schweiz, in den Dauerstreit über die Euro-Rettung hinein gezogen zu werden. Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf hat auf dem WEF Verständnis für Lagardes Anfrage signalisiert – auch die Schweiz wolle Stabilität im Euroraum – das Thema bleibt der Schweiz also sicher noch lange erhalten.

 

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Trostlose Toprussinnen

Kürzlich haben die Wochenzeitung „Ogonjok“, Radio „Echo Moskwy“ und der Nachrichtenagentur „RIA Nowosti“ eine Liste der „100 einflussreichsten Russinnen“ erstellt. Mit trostlosem Ergebnis.
Den ersten Platz belegte Valentina Matwijenko. Je gehört? Die Matwijenko ist die Vorsitzende des Föderationsrats. Der Posten soll ein bischen repräsentieren, ein bischen moderieren, ansonsten ist er ziemlich überflüssig. Gelandet ist die Frau dort vergangenen Herbst, nachdem sie ihr sicher gewichtigeres Amt als Gouverneurin von Sankt Petersburg abgeben musste. Wegen permanenter Unbeliebtheit.
Zweite wurde die Schlagergöttin Alla Pugatschowa, die 62jährige konnte wirklich mal singen, ihre Stimme hat zu Recht Breschnjew, Andropow, Tschernjenko, Gorbatschow und Jelzin überlebt. Leider aber ist sie seit Jahren chronisch heiser. http://www.youtube.com/watch?v=nZZphW-lLjY&feature=related
Und weiter? Drittwichtigste Frau Russlands ist die Pressesprecherin des – schon nicht mehr wichtigen – Nochpräsidenten Dmitri Medwedews. Es folgt Medwedews Gattin, danach die Wirtschafts-, die Gesundheitsministerin, dann eine opponierende Partylöwin…
„Die letzten 10 Jahre ist es im Staat Mode, maskuline Züge zu demonstrieren, deshalb sind die Frauen in der öffentlichen Sphäre unterrepräsentiert“, erklärt „Ogonjok“ soviel Bedeutungslosigkeit. „Das fehlende Interesse an einer weiblichen Sicht auf die Dinge ist ein alarmierendes Symptom für unsere Gesellschaft“. Es sei kein Zufall, dass Wladimir Putin sich als Mann außerhalb des häuslichen und familiären Rahmens demonstriere. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass von der 25 Experten, die die Toprussinnen auswählten, 23 Männer waren. Schlechte Karten für Russlands Frauen, auch in den Medien. (Weiteres für Russischsprachige: http://www.kommersant.ru/doc/1856639)

 

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Zu viel Weiblichkeit in der Lego-Kiste?

Noch vor zwei Jahren warfen schwedische Journalisten dem dänischen Spielzeughersteller Lego vor, eine Männerdomäne zu sein. Jetzt gerät das Unternehmen mit seiner neusten Serie „Lego Friends“ abermals geschlechtsspezifisch in die Kritik. Als zu konservativ gelten die neuen weiblichen Lego-Männchen, die in Designerläden arbeiten oder langhaarig im Pool plantschen.

In den USA, wo die Figuren bereits lanciert worden sind, ist es zu ersten Protestbewegungen von Seiten besorgter Eltern gekommen. Der Lego-Konzern halte zu stark an den klassischen Rollenbildern fest, kritisieren sie und fordern mit einer Petition Gleichberechtigung. In Dänemark, wo die Serie im Februar erscheinen wird, hatte der Gleichstellungsminister Manu Sareen mit Lego geschimpft, seine Aussage jedoch später abgeschwächt. Irgendwie war das dann wohl doch nicht ganz sein Zuständigkeitsbereich. Er halte die Debatte für sinnvoll, wolle aber nicht den Konzern direkt angreifen, hieß es dann. Dieser weist sowieso jegliche Schuld von sich: Er reagiere bloß auf Wünsche der Kinder. Für die neue ‘rosa’ Marketingstrategie hat Lego rund 38 Mio. Euro ausgegeben.

 

 

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Jagen mit Veganern

Es begann mit der Hochzeit unseres Freundes Steve. Der war Bioladenbesitzer und einst Veganer, aber erlegte aus Familientradition für sein Festmahl einen Hirsch. Ein Vollblut-Öko, der der Natur und seinem Körper bis auf selbstangebautes Gras keinen Schaden zufügt, aber nicht vom Wild lassen kann. Wo sonst auf der Welt trifft man jagende Hippies?Als die Freundschaft wuchs, lieh sich mein Mann bei ihm Jagdbücher aus. Die Gespräche wurden intensiver. Steve predigte gegen Massentierhaltung, pro Selbstversorgung. Nicht um Trophäen ginge es, sondern um archaische Nahrungsbeschaffung: ein Mann, ein Schuss, eine volle Kühltruhe. Kommerzfrei. Das traf den Nerv, der seit bundesdeutschen Zeiten brach gelegen hatte. Und mich ins Mark.

“Ich mache den Waffenschein”, sagte mein Mann, der angebliche Antimilitarist. Es war fast so schlimm, als ob er eine Affäre gebeichtet hätte: Ich war fassungslos, er testosterongesteuert. Schuldbewusst zog er nach dem Coming-out einen Prospekt von “Gun City” aus der Tasche. Dass er sich heimlich im Kleinkaliber-Discount herumtrieb, war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren unsere Kinder. Sie fanden das alles großartig: Schießen, yeah! All die Jahre ohne Gewaltvideos und Kriegsspielzeug, und nun das! Wozu schickten wir die Jungen eigentlich auf die verdammte Waldorfschule?

Ich kapitulierte, aber summte subversiv “Cowboy Rocker” von Udo Lindenberg vor mich hin. Mein Protestsong. Statt Charles Bronson kam aber nur eine nette Polizistin vorbei, um mich im Sozialarbeiterton zu befragen, ob mein Mann verhaltensauffällig oder gewalttätig sei. Alles Vorschrift für den Wisch. “Er ist friedlich wie ein Lamm”, bestätigte ich und übertrieb kein bisschen. Dabei hätte ich alles sabotieren können. Aber Steve hatte uns gerade einen Hirschschenkel geschenkt. Der schmeckte köstlich.

Mit Steve ging es zum Schießstand: “üben”. Beim Waffentest dann ein blitzartiger Reality-Check: Mein Mann stellte erschrocken fest, in welcher Gesellschaft er sich befand. Doch nur kurz kamen Zweifel an seiner neuen Gesinnung auf. Denn es ging wieder zu “Gun City”. Erst wurde, ganz nach Vorschrift, eine verschließbare Stahlkiste gekauft. Dann nach etlicher Recherche die Tika 7-08: viel Stahl, lackiertes Holz und sauschwer. Sie verschwand zum Glück sofort in der Kiste. Dann musste es noch ein kleines Luftgewehr sein, “nur für die Possums”. Es war ähnlich wie beim Surfen: Immer geht es ums Material.

Ich besuchte Lydia, die nichts Tierisches isst und für mehr Unkraut im öffentlichen Raum kämpft. Sie zeigte mir das Foto eines toten Possums in einer Falle. Auf dem Rücken klammerte sich dessen Junges fest, frisch verwaist. Mein Mutterherz blutete. Als ich zu Hause ankam, wurde ich fast umgelegt: In der Einfahrt übten meine Söhne mit dem Luftgewehr. An der Garage hing eine Zielscheibe, in der Mitte prangte ein Possum-Foto. “Schädlingsbekämpfung”, verteidigte sich mein Mann. Ich sah rot. Die Fronten sind klar. Fortsetzung folgt

 

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Willkommen auf meiner Brücke!

Über den  Eifer, mit dem in New York Straßen, Wegstrecken und Brücken nach Prominenten benannt werden, habe ich bereits in einem früheren Blog geschrieben. Die Queensboro Bridge beispielsweise, die die Stadtteile Bronx und Queens verbindet, wurde vor guten einem Jahr offiziell umgetauft und dem früheren New Yorker Bürgermeister Edward “Ed” Koch gewidmet – was allerdings bis heute den wenigsten Einwohnern bekannt ist. Der inzwischen 87jährige Mayor nimmt’s mit Humor, wie ein kultverdächtiges Video zeigt. Darin begibt sich der gegenwärtige Bürgermeister Michael Bloomberg auf eine Fahrt in die Bronx – und begegnet dabei unerwarteterweise seinem Vor-Vorgänger. Der kleine Film wimmelt vor Insider-Gags und Anspielungen auf lokalpolitische Scharmützel, aber auch wer sie nicht versteht, wird Freude haben an dem sich selbst karrikierenden Demokraten Koch, der versucht, eine weitere Brücke für sich zu reklamieren…

Welcome to my bridge

 

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Kaltes, klares Wasser

Sparen, sparen, sparen – wohl selten sind diese Worte so häufig gehört worden wie derzeit. Die Euro-Krise soll bewältigt werden und Ausgabenkürzungen scheinen da vielen unabdingbar. Ähnlich sieht das auch die dänische EU-Ratspräsidentschaft. Nur 35 Mio. Euro sind für die kommenden sechs Monate veranschlagt – weniger als ein Drittel des Budgets von Vorgängerland Polen. Symbolisch für die dänische Sparwut steht kaltes klares Wasser. Statt Mineralwasser aus teuren Minifläschchen gibt es “postevand” (Leitungswasser) aus der Karaffe. Dazu heute aktuell ein Artikel in Die Welt und natürlich auch online.

 

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Taiwan: Zeitung liefert Weltbild nach Wunsch

Normalerweise geht es in Taiwan recht harmonisch zu, doch wenn Wahlkampf herrscht, liegen die Nerven bei vielen Bürgern blank. Als Folge einer jahrzehntelangen Diktatur ist die Gesellschaft noch immer in zwei Lager gespalten, die sich spinnefeind sind. Kein Wunder, dass Politik im Alltag normalerweise nicht diskutiert wird. Selbst Kollegen, die jahrelang zusammenarbeiten, kennen oft nicht die Einstellung ihres Gegenübers.
 
Einen sicheren Anhaltspunkt für die Gesinnung liefert die Zeitungslektüre. Fast alle Blätter stehen fest entweder im “blauen” oder im “grünen” Lager, und so vorhersehbar fallen Themensetzung und Leitartikel dann auch aus. Nie würde ein Anhänger der “blauen” Regierungspartei Kuomintang sich öffentlich etwa mit einer Liberty Times erwischen lassen, und seine “grünen” Gegenspieler legen mit der China Times höchstens den Fußboden aus.
 
In so einer Medienlandschaft standen Gratiszeitungen in den vergangenen Wochen vor einem besonderen Problem: Politik zu ignorieren, ist im Wahlkampf keine Option. Damit möglichst viele Pendlern in der U-Bahn-Station ein Exemplar mitnehmen, müssen die Blätter möglichst so berichten, dass niemand sich vor den Kopf gestoßen fühlt. Bei Sharp Daily, bislang nicht durch journalistische Brillanz aufgefallen, haben die Herausgeber eine verblüffende Lösung gefunden: Sie druckten einfach für jedes politische Lager eine eigene Auflage, zu unterscheiden an der Farbe des Logos.
 

 
“Wenn Sie grüne Meinungen lesen wollen, nehmen Sie eine grüne Ausgabe”, steht als Warnhinweis neben dem blauen Zeitungstitel. Seite 26 macht den Unterschied: Sie besteht nur aus Wortmeldungen von Lesern, die über die Oppositionspartei und ihre Kandidatin schimpfen. “Die kann nur träumen und kriegt nichts auf die Reihe” heißt es da, oder “Wegen jeder Kleinigkeit will sie eine Volksabstimmung, wozu soll das gut sein?”
 
Täglich stellte die Redaktion zudem eine Frage, zu der die Leser per Mail oder Website Dampf ablassen konnten. Genau spiegelbildlich ging es in der “grünen” Ausgabe zu.
 

 
Vergangenen Samstag wurde dann endlich gewählt, und der amtierende Präsident darf weitere vier Jahre ran. Die Redakteure von Sharp Daily haben wohl aufgeatmet, dass die Zeit des schizophrenen Journalismus wieder vorbei ist.
 
Jedem Leser sein Weltbild nach Wunsch servieren, um keinen zu vergraulen – ob das Zukunft hat? Vielleicht gibt es schon bald die ersten Websites, auf denen der User mit einem Mausklick seine politische Einstellung und damit die Nachrichtenauswahl wechseln kann.
 
Was macht Taiwan so besonders, und wie lebt es sich in der einzigen Demokratie, in  Chinesisch Landessprache ist? Über den ungewöhnlichen Alltag in Taiwan habe ich ein kleines Buch geschrieben und mit vielen Fotos garniert.
 

 
Sie können einen Blick ins Taiwan-Buch werfen und es bestellen – gedruckt oder als eBook im EPUB-Format für weniger als vier Euro.
 
berichtet seit 2009 aus Taiwan. Erfahren Sie mehr unter taiwanreporter.de oder folgen Sie ihm per Facebook und Twitter.

 

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And The Winner Is – Harvey Weinstein

Madonna nannte ihn ‘den Folterer’. Der Produzent des ‘Artists’ verneigte sich vor ‘dem Boss’ und Meryl Streep bedankte sich bei ‘Gott’. Sie alle sprachen am Sonntag bei der Verleihung der Golden Globes von dem Mann, der ihnen zum Sieg verhalf und in einem Jahr voller Leinwandeffekte einen französischen Stummfilm in schwarz-weiss zum Favoriten der Oscar-Saison machte: Harvey Weinstein, eine Hälfte des Produzentenduos der Weinstein Company aus New York.

Harvey hat den Wahlkampf um den begehrtesten Filmpreis von Hollywood perfektioniert. In den Monaten vor der Oscar-Verleihung bricht Harvey über Hollywood herein wie eine Riesenwelle. Niemand kann sich seiner Wucht und Macht entziehen. Harvey überschüttet die 6000 Mitglieder der Oscar-Akademie mit persönlichen DVDs seiner Filme, die sie auf Riesenleinwänden in den Entertainmentsälen ihrer Villas in Malibu und Beverly Hills abspielen können. Harvey schmeisst die tollsten Partys in den teuersten Hotels, mit Stars, tollem Essen und reichlich Getränken. Harvey schickt Spione in Filmpremieren und lässt sich erzählen wie Akademiemitglieder reagieren.

In diesem Jahr hat Harvey zur Akademie-Vorführung von ‘The Artist’ zwei Enkelinnen von Charlie Chaplin eingeladen. So hat er clever und ganz nonchalant eine Verbindung hergestellt zwischen seinem Film und dem Meister der Stummfilmära.

1999 hat Harvey ganz Hollywood schockiert. Er startete eine aggressive Multi-Millionen-Dollar-Kampagne für seinen Film ‘Shakespeare in Love’ und gewann den Oscar für den besten Film. Wissen Sie wer auch im Rennen war? Hollywoodliebling Steven Spielberg mit dem Film ‘Der Soldat Ryan’, in dem ein anderer Hollywoodliebling – Tom Hanks – die Hauptrolle spielt.

Harvey liebt Kino. Und Harvey liebt den Wettkampf. Im Sport, in der Politik und wenn es um seine Filme geht. Aus der Politik hat Harvey gelernt, dass man manchmal kleine Bomben schmeissen muss, um die Aufmerksamkeit der Massen zu bekommen. Dafür scheut  er weder Kosten noch Kontroversen. In diesem Jahr hat treten Harveys ‘The Artist’, ‘Die Eiserne Lady’ und ‘My Week With Marilyn’ unter anderem an gegen ein Kriegsdrama mit einem Pferd in der Hauptrolle, gedreht und koproduziert von eben erwähntem Herrn Spielberg. Ich wette, dass Harvey mal wieder eine Riesen-Oscar-Party schmeisst, bei der ihm willige  Folteropfer zu Füßen liegen werden.

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