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Eine Heldin für alle Frauen

Eineinhalb Jahre Vorbereitung, sechs Monate Dreharbeiten, 28 Tage Expedition – mit einem Ziel: Die erste afghanische Frau auf den Gipfel des höchsten Berg Afghanistans zu bringen. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Hanifa Youssefi, 24 Jahre alt, hat es an die Spitze geschafft, auf knapp 7500 Meter. Lange mussten die Details der Expedition aus Sicherheitsgründe geheim gehalten werden. Aber nun, da das Team sicher wieder zu Hause angekommen ist, will Hanifa die Welt wissen lassen: „Ich will eine Heldin für alle Frauen sein.“ Theresa Breuers Reportage über die Expedition und ihr Film „An Uphill Battle“ erscheinen in den kommenden Monaten.

 

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Endlich ausgehobbit

Hobbit-Fans strömten ins Kino, Hobbit-Hasser atmeten auf: „Die Schlacht der fünf Heere“ ist gestartet und damit die Attacke der sechs Tolkien-Filme für immer vorbei. Bei aller Liebe für Elfen und Zwerge, für Zauberer und Orcs – aber 15 Jahre Mittelerde sind genug, trotz all der Oscars. Erbarmen, liebe Fabelwesen! Sonst wachsen uns noch Haare an den Füßen und unsere Häuser werden zu Höhlen. Jetzt herrscht langsam wieder Hobbit-Freiheit für Aotearoa. Darauf schmauchen wir uns ein schönes Gandalf-Pfeifchen.

hobbit

Anderthalb Millionen Zuschauer strömten in Deutschland seit voriger Woche trotz gemischter Kritiken in die Kinos. Hier, in der Geburtsstätte der beiden Trilogien, hielt sich der Ansturm zurück. Und das, obwohl „The Lord of the Rings“, kurz LOTR, zur neuen Staatsreligion im säkularsten Land der Welt wurde und der größte Hype, bevor Sängerin Lorde uns erlöste.

 1999 begannen die ersten Dreharbeiten; jeder gefühlte zweite Kiwi war involviert. Pathos und Patriotismus wuchsen schneller, als das Kaff Matamata sich „Hobbiton“ nennen konnte. Doch nach all der Anfangseuphorie ist es erstaunlich ruhig um den letzten cineastischen Zwergenaufstand geblieben. Ermüdung oder Erleichterung?

Man kann endlich wieder in Wellington landen, ohne dort von gigantischen Adlern und Schwertern begrüßt zu werden, die von der Decke hängen. Unsere Hauptstadt nennt sich nicht mehr „Middle of Middle Earth“. Jetzt darf man ungestraft zugeben, dass man sich nicht alle 17 Stunden an Schlachten und Dramen reingezogen hat. Dass man Bifur nicht von Bofur, Nori nicht von Ori und Narzug nicht von Yazneg unterscheiden kann. Vielleicht kann man sogar fragen, ob es wirklich nötig war, Warner Brothers 67 Millionen Dollar Steuerfreiheit einzuräumen, damit sie Neuseeland so schön als Kulisse vermarkten.

Aber egal – es ist vorbei. Allerdings nicht für alle. William Kircher, der den Zwerg Bifur in „Der Hobbit“ spielt, kann den Rest seines Lebens damit verbringen, für gutes Geld auf Film- und Fantasy-Messen aufzutreten. Allein im letzten Jahr tauchte er von Kanada bis Kopenhagen bei „Hobbitcon“ oder „Ringcon“ auf, manchmal vor über 5.000 Fans. Air New Zealand lud 150 der knallhärtesten Tolkien-Verehrer zu den Originalschauplätzen ein. Treffen mit den Darstellern, Kreischen, Tränen vor Aufregung, gar spontanes Nasenbluten. Filmreif!

Der Inder Naresh Kumar lief gerade 87 Tage lang 3.000 Kilometer von Nord nach Süd nur in Sandalen durchs Land, trotzte Schnee und Sturmfluten: ein Jugendtraum, seit er „Herr der Ringe“ erstmals sah. Wer sich nicht für Gollum & Co begeistern kann, wird nie verstehen, was in Abermillionen Köpfen von Peter Jackson losgetreten wurde. Jeder fünfte Neuseeland-Tourist kommt mittlerweile wegen seiner Filme. Es gibt sogar eine Eis-Sorte mit Hobbit-Geschmack.

Im neuen Jahr rollt dann die nächste Invasion aus Hollywood an. Regisseur James Cameron lebt mittlerweile in Neuseeland. Hier entstehen die drei Fortsetzungen von „Avatar“. Blaue Haut statt Zottelbärte? Wir sind bereit.

 

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Sama Wareh – Hoffnung und Kunst für syrische Kinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.

“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”

 

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Lars von Triers Nymphomaniac, Henrik Ibsens Nora oder im Körper von Charlotte Gainsbourg, Stacy Martin, Joe und Elvira Friis

Im Kino gewesen. Auf der Leinwand gesehen wie Charlotte Gainsbourg sich auspeitschen lässt. In einer anderen Szene hat sie Sex mit Shia LaBeouf, der später mit Mia Goth schlafen wird – aber erst nachdem sie mit Gainsbourg im Bett war.

„Nymphomaniac“, der neue Film von Lars von Trier, hat jede Menge Sex-Szenen. Kaum ein Charakter, gespielt von oben genannten Schauspielern und anderen wie Stellan Skarsgård und Sophie Kennedy Clark, der mehr als ein paar Minuten auftaucht, hat nicht irgendwann in dem Vierstundenfilm Sex.

Eine ersten Blick habe ich für The Wall Street Journal‘s Speakeasy schon im Dezember auf „Nymphomaniac“ geworfen, der Kurztext (auf Englisch) steht hier, unten eine ausführlichere deutsche Fassung. In den vielen mehr oder weniger expliziten Szenen sind die Körper der internationalen Stars durch Double ersetzt, die ähnlich Stuntmen dort einspringen, wo die Berühmtheit nicht mag. Über Elvira Friis, das dänische Körperdouble von Stacy Martin und Charlotte Gainsbourg, gibt es hier meinen Text bei The Wall Street Journal (ebenfalls auf Englisch).

Monate-, wenn nicht jahrelang haben die Medien verrückt gespielt wenn es um den „Filmporno“, das „Sex-Epos“, den „Sexfilm“ oder das „Porno-Drama“ ging.

Allerdings, nach Besuch einer der ersten vorab Filmvorführungen in Kopenhagen, weiß man: „Nymphomaniac“ wegen der Sex-Szenen zum Porno zu küren wäre wie „On the road“ der Kategorie Action zu zuordnen, nur weil Autofahren ein essentieller Part ist.

Natürlich geht es in dem Film um Sex; unter anderem. Sex ist Teil der Handlung, aber nicht alles.

In einem klassischen Pornofilm gibt es die Handlung, die alle Szenen verbindet, vermutlich nur, um dem Zuschauer auch einmal eine Pause zu gönnen.

„Nymphomaniac“ dagegen zeigt, wie die Hauptperson Joe (in ihren jungen Jahren gespielt von Stacy Martin, im Alter von Charlotte Gainsbourg) versucht, zwischen dem ganzen Sex nicht zu lange Pausen zu haben.

Anfangs streunt die junge Joe zusammen mit ihrer Freundin B. (Sophie Kennedy Clark) in einem Zug umher und jagt die Männer in den Abteilen mit ihren Blicken. Die zwei Mädchen haben einen recht ausgefallenen Wettbewerb: Diejenige, die während der Zugfahrt am meisten Männer erlegt, gewinnt eine Tüte Schokoladenbonbons.

Es wird nur angedeutet oder in Soft-Porn-Versionen gezeigt, wie Joe ihre Männer niederstreckt, wie sie durch ein Fellatio gewinnt, ist hingegen komplett zu sehen. Allerdings recht kurz.

Den Zuschauer zu erregen ist die Kernidee eines traditionellen Pornofilmes, aber wie von Trier in „Nymphomaniac“ den Geschlechtsakt zeigt und in welcher Kürze, deutet darauf hin, dass er dem Zuschauer nicht einmal die Möglichkeit geben möchte, erregt zu werden.

Statt langsam und gefühlvoll oder zumindest mit erotischen Bildern sich dem Höhepunkt zu nähern, zeigt von Trier Sex als einen mechanischen Akt. In manchen Szenen sind Nummern eingeblendet, die zählen, wie oft der Mann auf der Leinwand Joe stößt – das unterstreicht wie wenige Emotionen involviert sind.

B. entdeckt kurz nach der Zugfahrt für sich, dass Liebe Sex noch genussreicher machte – und taucht dann nicht mehr in dem Film auf. Joe jagt weiter.

Sie kommt nie zur Ruhe. Während in einem klassischen Porno Sex zumindest dem Anschein nach, die Menschen glücklich macht, ist dies für die Nymphomanin nicht der Fall.

Joe wirkt nie glücklich, sondern stets einsam und auf beinahe romantische Art auf der Suche. Sex scheint sie nicht länger als für die Dauer des Aktes zu befriedigen.

Dreimal ist sie nah dran, ihren Wunsch erfüllt zu bekommen, aber jedes Mal entfaltet der Sex-Drang zerstörerische Kraft. In „Nymphomaniac“ sind Menschen nur glücklich und friedlich, wenn sie keine sexuellen Begierden haben – wie der Buch-Liebhaber Seligman, dem Joe ihre Geschichte erzählt, und vielleicht auch zeitweilig ihre Partner Jerome und Mia.

Von Trier zeigt, dass Sex-Lust menschlich ist, aber auch, dass sie dazu führen kann, dass die Menschen sich unmenschlich verhalten, ihr Kind verlassen und dessen Tod riskieren oder den einzigen wirklichen Freund verletzen. Traditionelle Porno-Filme klammern so etwas aus und fokussieren darauf, wie erfüllend Sex sein kann. Dunkle Seiten haben dann keine wirklichen negativen Auswirkungen, sondern sind nur luststeigernd.

Trotz allem, ist „Nymphomaniac“ einer der leichteren, unterhaltsameren, phasenweise lustigen Filme von Triers. So sollte das Ende auch nicht allzu düster gesehen werden, auch wenn wie in anderen Filmen des dänischen Regisseurs, „Antichrist“, „Dogville“ oder „The Kingdom“ etwa, alles gegen Ende hin immer schlimmer wird.

Die letzte „Nymphomaniac“-Szene ist eine radikale Version von Ibsens Schauspiel „Nora“.

Während Nora sich selbst befreit und mit dem Stigma ihre Ehe zerstört zu haben, gehen kann, ist der Preis den Joe zahlt, erheblich höher.

Nachdem die Lust sie jahrelang verfolgt hat, trägt sie eine andere Bürde und der Film endet mit einer Ambiguität, wie sie dem klassischen Porno-Genre unbekannt ist.

Bild: Elvira Friis – Foto: Lasse Egeberg

 

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Ruhe vor dem Sturm – das jährliche Oscar-Theater

Am Donnerstag ist es mal wieder so weit – in Hollywood gehen zu unchristlicher Zeit Lichter und Fernseher an, weil die Oscar-Akademie um halb sechs morgens bekannt gibt, wer in diesem Jahr für die goldenen Männchen nominiert ist. Warum tut sie das um diese frühe Zeit, wenn selbst in Kalifornien noch nicht die Sonne scheint? Damit die Live-Übertragung auch zur besten Sendezeit im Frühstücksfernsehen an der Ostküste (der Westküste drei Stunden voraus) für hohe Einschaltquoten sorgen kann.

Daniel Day-Lewis braucht nicht den Fernseher einzuschalten. Er hat eine Nominierung sicher für seine Lincoln-Darstellung in Steven Spielbergs Bürgerkriegs- und Sklaverei-Geschichtsschinken. Michael Haneke für sein ‘Amour’ genauso. Spannender ist, ob die Akademiemitglieder auch Quentin Tarantinos Version der Sklavengeschichte ‘Django Unchained’ mit Nominierungen ehrt. Humor und Gewalt des blutigen Spaghetti-Western mit Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einer Hauptrolle neben Jamie Fox, Kerry Washington und Leonardo DiCaprio dürfte für manche schwer verdaulich sein.

Auch spannend: ob die einzige Frau, die jemals einen Regie-Oscar gewonnen hat wieder eine Chance bekommt. Kathryn Bigelow löst nach ‘Hurt Locker’ mit ihrer Leinwandversion Osama bin Laden-Jagd ‘Zero Dark Thirty’ Kontroversen um Medienkooperation des CIA sowie um Sinn und Zweck von Folter aus. Ich wette, sie bekommt eine Nominierung.

Scheinbar ist auch sicher, dass das Kino-Musical ‘Les Miserables’ von den Akademiemitgliedern mit Nominierungen geehrt wird. Ich habe das Kostüm- und Gesangspektakel noch nicht gesehen. Singende Schauspieler sind einfach nicht meine Sache. Angeblich hat es das Zeug, den Erfolg von ‘Chicago’ von vor zehn Jahren zu wiederholen.

Heftig die Daumen drücke ich neben Christoph Waltz Quvenzhane Wallis. Die neunjährige Hushpuppy stiehlt in der wunderbren Mischung aus Realität und traumartigen Sequenzen ‘Southern Beasts of the Wild’ allen die Schow. Bekommt Quvenzhane eine Nominierung wird sie eindeutig der Liebling auf und um jeden roten Teppich.

Leider werde ich am Tag der Oscar-Verleihung, dem angeblichen Höhepunkt des Hollywood-Kalenders am 24. Februar, dank der zahllosen Nominierungen, Preisverleihungen und Ehrungen wie jedes Jahr komplett erschöpft und vor allem froh sein, wenn der letzte Oscar für den besten Film vergeben ist.

Neugierig wer gewinnt, bin ich trotzdem. Noch.

 

 

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Zeit zum Spielen

Vor Kurzem fuhr ich in eine trostlose Gegend im Osten von Los Angeles, machte mich zwischen Schrottplätzen und Autowerkstätten auf die Suche nach einem neunjährigen Jungen, der derzeit Kinder, Eltern, Lehrer, Künstler und überhaupt alle inspiriert, die das Video über ihn angeschaut haben. Es zeigt Caine, der in den Sommerferien im Laden seines Vaters für gebrauchte Autoteile ausgeklügelte Spiele aus Pappe, Papier, Klebeband, Schnur und ein paar anderen Utensilien baut, die im Geschäft rumliegen. Er begann mit einem Basketballspiel gebaut aus Pappe und dem Netz, das Caine in seiner Lieblingspizzeria bekommen hat. Sein Lieblingsspiel ist die Greifmaschine aus einem Haken, einer Schnur und einem oben eingeritzten Pappkarton mit Sichtfenster aus Klebeband und bunten Preisen, nach denen Kunden angeln können. Doch: in der Gegend gibt es keine Fußgänger und der Vater macht seine Geschäfte inzwischen fast ausschließlich online. Deshalb hatte Caine lange keine Kunden – abgesehen von der Sekretärin oder mitfühlenden älteren Brüdern.

Bis zu dem Tag als Filmemacher Nirvan Mullick auf der Suche nach einem Türgriff für sein altes Auto den Laden betritt. Er sieht die Spielhalle aus Pappe, fängt an zu spielen, ist an seine Kindheit erinnert und beschließt einen Kurzfilm über Caine’s Arcade zu machen. Als Nirvan hört, dass Caine keine Kunden hat schafft er einen Event auf facebook – und Dutzende kommen um zu spielen. Es wird Caines glücklichster Tag in seinem neunjährigen Leben. Nirvan filmt alles und erzählt die Geschichte in einem liebevoll produzierten Film, den er ins Internet stellt.

Damit ändert sich das Leben aller Beteiligten – Caine bekommt eine facebookseite mit inzwischen über 112 tausend Fans, wird an Unis, zur NASA und zu Unternehmerkonferenzen eingeladen. Seine Eltern haben keine Zeit mehr mit Autoteilen zu handeln und jedes Wochenende wollen Hunderte Caine

s Spiele spielen. Es gibt inzwischen zwei Stiftungen in seinem Namen. Die eine sammelt Geld damit Caine studieren kann, die andere fördert Kinder mit erfinderischem Unternehmergeist.

Caine bleibt bei alledem auf dem Teppich. Mein Interview mit ihm wurde ziemlich kurz. Caine hat keine Geduld für viele Fragen, er will sich um seine Spiele und seine Kunden kümmern!

Wie wunderbar, dass er das alles gebaut hat ohne an Geld und Erfolg zu denken und  dass sich Filmemacher Nirvan Zeit zum Spielen genommen hat!

 

 

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Auf der Jagd nach einem Interview-Coup

 

Mein Herz machte im Garten des schweizerischen Generalkonsuls einen kleinen Freudensprung. Ein Kurator des LACMA-Museums hatte mir gerade erzählt, dass er für das ganz Südkalifornien umfassende Kunstprojekt Pacific Standard Time die Filminstallation einer deutschstämmigen Künstlerin betreut. Endlich hatte ich einen Ansatz für meinen Bericht gefunden, der ihn von den Geschichten der Kolleginnen und Kollegen über das Giga-Kunstereignis unterscheiden würde. Der Kurator versprach, am Tag der Pressevorschau den Kontakt mit Maria Nordman herzustellen. Seinen nächsten Satz hätte ich etwas ernster nehmen sollen: “Ich habe schon mit vielen komplizierten Künstlern gearbeitet. Maria schießt den Vogel ab!”

Ein paar Tage vor dem Pressetermin bekam ich eine Email von der Künstlerin. Sie bat mich darum, ihr etwas von mir zu erzählen. Eigentlich gebe sie keine Interviews, könnte sich aber bereit erklären wenn wir uns etwas besser kennenlernen könnten. Ich schrieb ein wenig und schickte den link zu meiner webseite. Maria antwortete, sie freue sich darauf, mich bei der Pressevorschau näher kennenzulernen. 

Auf den ersten Blick schien sie eine sehr freundliche, in ihrem weiten weißen Mantel und der Spiegelbrille nur leicht extravagante Künstlerin zu sein. Maria schüttelte meine Hand zur Begrüßung überschwenglich und bat, zunächst etwas mit ihr zu essen damit wir uns dabei besser kennenlernen könnten. Sie bat mich, mein Aufnahmegerät vorerst wieder einzupacken. Beim Essen sprach Maria mit jedem, der in unsere Nähe kam, aber kaum mit mir. Nach einer Stunde bat ich darum, mit ihr zur Installation ihres Films gehen zu können. Ihre Antwort: “Wir müssen uns erst noch ein bißchen besser kennenlernen.” Ihr Vorschlag: ein kleiner Spaziergang, um sich dem Werk von der besten Seite, vom Boulevard vor dem Museum, anzunähern. 

An anderen Tagen hätte ich diese leichte Exzentrik sicher als wunderbaren Ausdruck eines Künstlercharakters empfunden, der sich nicht üblichen Konventionen beugt. An diesem Tag war ich unter Druck einer Deadline, schleppte eine schwere Tasche voller Papiermaterial über das Kunstprojekt mit mir herum und hatte noch nichts von den umfangreichen Ausstellungen gesehen, von denen Marias Werk nur ein minimaler Teil ist. Ich wurde nervös und packte mein Aufnahmegerät aus, um sie während des Gehens zu interviewen. Sie schaute mich leicht tadelnd an. “Aber wir müssen uns doch noch ein wenig besser kennenlernen.” 

Wiederum eine Stunde später hatte Maria viele interessante Dinge erzählt, von denen ich nichts aufnehmen durfte, und mit jedem an uns vorbei kommenden Passanten, Kuratoren und Journalisten gesprochen. Auf meine Frage, was sie denn gerne über mich wissen wolle, antwortete sie vage, dass sie mich einfach nur ein wenig besser kennen lernen wolle. Sie stellte keine einzige Frage. Endlich kamen wir vor der Tür des Raumes an, in dem ihr Film gezeigt wird, wo sie sofort wieder mit einer Besucherin zu reden begann. Ich packte mein Aufnahmegerät aus.

Gerade als ich anfangen wollte, ihr Fragen zu stellen, erklärte sie, dass sie wirklich keine Interviews gebe, nur Gespräche führe. “Fein!” sagte ich etwas schnippisch. “Dann führen wir ein Gespräch.” “Ich müsste sie aber noch ein wenig besser …” bevor Maria den Satz beendet hatte kam ein Kollege in den Vorraum der Filminstallation, nahm sein Aufnahmegerät und hielt Maria ein Mikrofon unter die Nase. “Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen zu Pacific Standard Time und Ihrer Arbeit?”

Sie kennen die Antwort. Doch der Kollege blieb hartnäckig. “Nein, ganz einfache Fragen, ganz schnell.” Maria sah zwischen mir und dem Kollegen hin und her. “Ich weiß nicht, ich mach das eigentlich nicht… Und eigentlich habe ich Kerstin hier …”

Auf dieses Stichwort stand ich auf. “Kein Problem. Macht was Ihr wollt. Ich geh!” Ohne mich noch einmal umzusehen verließ ich den Austellungsraum. In meinem Bericht kam Maria mit keinem Wort vor, obwohl ihr schwarz-weiß-Film aus dem Jahr 1967 wirklich sehenswert ist. 

Sie schrieb mir noch am selben Tag eine Email wie nett es gewesen sei, mich kennen zu lernen und welch gute Diskussionen wir geführt hätten. Jetzt könnte es auch mit einem Interview klappen. Sie habe mit dem netten Kollegen schonmal geübt.   

 

 

 

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Potenzpille ist besser als Teflonlächeln – unerträgliche US-Wahlkampfspots

 

Halleluja! Amerika hat gewählt! Am Dientag abend war mir schon total egal, wer gewinnt. Ich dachte nur noch: bitte erlöst mich von den unerträglichen Wahlkampfspots! Endlich wackeln keine schwarz-weiss Bilder von hässlichen Männern und Frauen mehr in mein Wohnzimmer, zu denen düstere Stimmen vor unerträglichen Steuererhöhungen warnen, vor Gewerkschaften, die in den USA den Sozialismus einführen wollen, vor herzlosen Milliardären oder am besten gleich vor dem Ende der Welt. Hätte ich noch einen Spot mit Meg Whitmans Teflon-Lächeln ertragen müssen, hätte ich wahrscheinlich meine Terminator-Actionfigur in den Fernseher geworfen. Über 140 Millionen Dollar vom eigenen Konto hat die Ex eBay-Chefin mit Vorliebe für Hosenanzüge und Perlenketten in ihren Wahlkampf gesteckt und Kalifornien eine Schlacht um den Gouverneursposten geliefert, wie sie der sonnige Westküstenstaat noch nie erlebt hatte. Auf spanisch und englisch warb sie in jeder freien Fernsehminute mit einer Mischung aus mildem Grinsen und stahlblauem Blick für ihre Erfahrung als Unternehmerin, versprach bessere Schulen, mehr Jobs und eine Immigrationsreform. Vergeblich hoffte Whitman, dass Kaliforniens Latinos, die immerhin 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen, vergessen, was sie noch im Vorwahlkampf sagte: ‘Illegale Immigranten sind nur das – illegal. ich werde knallhart gegen sie vorgehen!’. Falsch kalkuliert, ihr cleveren und teuren Politikberater! Nach hinten losgegangen ist auch Whitmans Entscheidung, zu Beginn der politischen Karriere ihre Angestellte zu feuern, die seit neun Jahren ohne Papiere im Haushalt der Unternehmerin gearbeitet hatte. War doch klar, dass die andere Seite Nanny Nikki ausgraben würde – eine Geschichte, die selbst Latinos, die gar keine Lust hatten zu wählen, gegen die eiserne Lady mit dem unverwüstlichen Lächeln aufbrachte. Nun soll der 72jährige Demokrat Jerry Brown Kalifornien aus dem absoluten Tief holen: 20 Milliarden Haushaltsdefizit, 12,4 Prouzent Arbeitslosigkeit, zerstrittenes Parlament. Viel Glück! Im Januar tritt er sein Amt an. Im Fernsehen ist unterdessen kalifornische Normalität eingezogen. Ich wusste gar nicht, wie erholsam Werbespots für Pillen gegen Potenzstörungen sein können, die dazu raten, im Falle einer vierstündgen Erektion den Arzt aufzusuchen. 

 

 

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Money Never Sleeps

Zu den angenehmen Pflichten einer Wirtschaftsjournalistin in New York gehört mitunter auch ein Kinobesuch.

Vergangenen Freitag lief der Film „Wall Street – Money never sleeps“ in den USA an. Von der Finanzkrise inspiriert, wollte der linke Starregisseur Oliver Stone mit den Spekulanten abrechnen – und dabei auch seinen ersten Wall-Street-Film von 1987 aufarbeiten. Darin hatte Michael Douglas den rücksichtslosen Investmentbanker Gordon Gekko gespielt. Zu Stones Ärger wurden Gekko und sein Motto „Gier ist gut“ zum Vorbild einer ganzen Börsengeneration. 

Weil ich einen riesigen Ansturm auf den Film erwarte, reserviere ich im AMC Empire 25 unweit des Times Square eine Karte und bin eine halbe Stunde zu früh da, um noch einen guten Platz ergattern. Die erste Überraschung ist, dass es keine Schlangen gibt. Die zweite, dass der Kinosaal bestenfalls halb gefüllt ist. Gut, es soll an dem Abend noch acht weitere Vorstellungen in fünf Sälen geben, aber das ist in einem Großkino mit 25 Sälen nicht so ungewöhnlich, der Fantasyfilm „Legend of the Guardians“ läuft in dreien. Und die dritte Überraschung? Dass der Film schlecht ist.

Es fehlt die scharfsichtige Analyse, die den ersten Wall-Street-Film so gut machte. Die Finanzkrise wird zur dramatischen Kulisse einer rührseligen Familiengeschichte degradiert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen Film gesehen habe, in dem so viele Tränen fließen. Der einzige Lichtblick ist Michael Douglas, der eine fantastische Vorstellung als alternder Gekko gibt.

Da ich keine geübte Kinokritikerin bin, beruhigt es mich am nächsten Tag zu lesen, dass es dem New-York-Times-Kolumnisten Joe Nocera auch nicht anders ging als mir. Im Gegensatz zu mir hatte er allerdings die Gelegenheit, mit Stone darüber zu reden. Auf Noceras Vorwurf, die Finanzkrise sei nicht angemessen thematisiert, antwortete der Regisseur, das sei in einem Mainstream-Film nicht möglich: „Die Leute wollen kein Business Movie sehen.“

Genau da liegt vermutlich das Problem: Der Film war von vornherein darauf ausgelegt, ein Kassenschlager zu werden. Und warum sollen Stone und die Filmgesellschaft nicht ein paar hübsche Millionen verdienen? Aber mit dem linken Anspruch verträgt sich das dann doch nicht so recht.

Auch das Product Placement ist nicht unbedingt als antikapitalistisch zu bezeichnen. Es erstreckt sich nicht nur auf Heineken Bier, sondern auch auf den New Yorker Hedge Fonds Skybridge Capital, dessen Logo in einer Szene groß eingeblendet wird. Dessen Gründer Anthony Scaramucci hat Oliver Stone bei den Dreharbeiten beraten. Scaramucci hat dann auch gleich noch ein Buch geschrieben, „Goodbye Gordon Gekko“, in dem er für den Film wirbt und fordert, dass er und seine Kollegen bessere Menschen werden. Auf der Rückseite des Buchs prangt ein Zitat von Oliver Stone: „Macht Spaß und ist leicht zu lesen.“ Ein gelungenes Cross-Marketing, das allerdings nicht unbedingt für Stones Distanz zur Wall Street spricht.

Am nächsten Tag laufe ich zufällig am City Cinema in der 86. Straße vorbei, an Manhattans vornehmer Upper East Side. Ich ärgere mich schon, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, den Film genau dort anzusehen, wo die reichen Leute wohnen, die es an der Wall Street zu etwas gebracht haben. Bestimmt hätte ich tolle Zitate von Börsenhändlern und Brokern sammeln können, die den Film über ihr eigenes Leben sicher in Massen begutachtet haben.

Doch dann stelle ich fest, dass der Film in der 86. Straße gar nicht gezeigt wird. Wie naiv ich bin! Gordon Gekkos Jünger gehen nicht ins Kino. Selbst wenn es um die Wall Street geht. Wenn sie einen Film sehen, dann auf den Großbildleinwänden ihrer Luxusappartments.

 

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Piraten der Südsee

Oahu (Hawaii), Kamehameha Highway, gestern Nachmittag: Plötzlich stoppen Autos, einige steuern konfus den Straßenrand an, Leute springen raus mit gezückter Kamera. Ein Blick durchs Seitenfenster genügt, um zu wissen warum: Ein Segelschiff, offensichtlich mehrere hundert Jahre alt, liegt an einem kleinen Pier vor Anker. Ein Museumsschiff? Ein Restaurationsprojekt? Ein Nachbau a la Disneyland? Wir wenden. Parken am Pier, laufen zum Schiff, bis zu einer Absperrung, vor der zwei dutzend Menschen versammelt sind. Alle starren wie gebannt aufs Schiff, das aus der Nähe nicht weniger rätselhafter erscheint als aus der Ferne: Abgerissen, aber zugleich irgendwie gut in Schuss, und warum eigentlich wimmelt es hier vor Sicherheitsleuten?

 

 

 

Endlich macht einer den Mund auf. „Welcher Film?“ Der Security-Guy schiebt seinen Kaugummi von der rechten in die linke Backe und antwortet: „Fluch der Karibik.“ Die Menge erstarrt. Der Neugierige fragt ungerührt weiter: „Welcher Teil?“ – „Vier.“ Ein Teenager im Baskeballtrikot schreit hysterisch: „Ich habe Johnny Depp gesehen!“ Das ist aufgrund der Entfernung ganz unmöglich, und die Leute verdrehen die Augen. Aber später erzählen unsere netten Wirtsleute, dass auf der Insel ganze Horden von Paparazzi unterwegs sind, um den Star zu finden – bisher erfolglos. Kurz regt sich bei mir der Reporterinstinkt: Muss ich da nicht auch irgendwas machen? Ach nein – ich hab endlich mal Urlaub. Aber den Weltreporter-Blog will ich denn doch bestücken. Zumal sicher nicht jeder weiß, dass die “Pirates of the Caribbean” zumindest teilweise in der Südsee gedreht werden.  

 

Foto: Christine Mattauch

 

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2 Gründe warum Australien nicht die Eurovision gewonnen hat

1.: Dem Land, in dem Rockstars wie Ex-Midnight-Oil-Sänger Peter Garrett Minister werden, fehlt das musikalische Talent. Eine gewagte Behauptung, zugegeben, wird aber gleich bewiesen: Hören Sie sich mal das neue ‘Aussie-Lied’ an. Nee, nee, halb anhören und dann wieder weg klicken gilt nicht! Schön den Regler auf laut und ganz bis zum Ende durchhalten. Und?

Eben, sag ich doch. Aber für derlei Treffsicherheit im Notenspektrum und für die dazugehörige Kampagne hat die Regierung hier unten grade 150 Millionen australische Dollar (102 Mio Euro) ausgegeben. Mein Tipp: keine douze points.

2.: Australien liegt nicht in Europa. 

 

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\”Nehmt ihn fest und erschiesst ihn!\” – wenig Sympathie für Roman Polanski in den USA

 

Auf der Berlinale wird Roman Polanskis neuster Film ‘The Ghost’ am Dienstag Weltpremiere feiern. Hollywoodstars und Filmschaffende aus aller Welt haben sich für die Freisprechung des Regisseurs ausgesprochen und dafür, die Diskussion um eine Tat, die 32 Jahre zurück liegt, zu beenden.

In den USA geht die Stimmung im \’Fall Polanski\’ in die entgegengesetzte Richtung. Besonders seit Ausschnitte aus den Gerichtsprotokollen von 1978 veröffentlicht wurden. 

Die Los Angeles Times beispielsweise berichtete basierend auf den Protokollen detailliert über die Begegnung des 43 jährigen Regisseurs mit dem 13 jährigen Mädchen im Whirlpool von Jack Nicholson. Davon, wie Polanski ihr Drogen gab, wie das Mädchen mehrfach ‘nein’ sagte zu Aufforderungen, sich auszuziehen, ‘nein’ sagte zu verschiedensten Formen von Sex und der Regisseur doch bekam, was er sich wünschte.

Diese Informationen brachten nicht nur den links-gerichteten Talkshow Moderator Bill Maher in Rage. Maher erklärte in seiner Show, er verstehe nicht, wie Filmschaffende, die er für ihre Arbeit bewundere, Polanksi mit dem Hinweis verteidigen können, die Tat sei vor 32 Jahre geschehen. Er verstehe dagegen, warum ein Muslim, der hört, dass Hollywood den Regisseur verteidigt, die USA in die Luft sprengen wolle. Selbst die üblicherweise besonnen argumentierende politische Kommentatorin Cokie Roberts verlor beim Thema Polanski die Contenance und sagte in einem ABC-Interview: ‘Roman Polanski ist ein Verbrecher. Er hat ein Kind vergewaltigt und ihm Drogen gegeben, dann ist er geflüchtet bevor er verurteilt wurde. Wenn es nach mir ginge, würde er gefasst und erschossen!’

Seit Ende der 70er Jahre hat sich die Einstellung der US-Gesellschaft zu Sex mit Minderjährigen deutlich verändert. Haftstrafen für Sexualstraftaten sind heute im Durchschnitt mindestens viermal so lang wie 1978, als Polanski vor der gerichtlichen Verfolgung ins Ausland floh. Es wäre heute höchst unwahrscheinlich, dass in einem ähnlichen Fall die Staatsanwaltschaft alle Klagepunkte wegen gewalttätiger Handlungen fallen ließe. Auch wenn es nicht schaden kann, dass reiche und mächtige Peronen aus der Filmwelt sich für den Regisseur einsetzen, stärkt dieser Einsatz in manchen Teilen der Bevölkerung die Überzeugung, dass Hollywoodstars in einer Welt weit entfernt von Realität und Werten der Durchschnittsbürger leben.  

Wenn Polanski zurück in die USA kommen muß, erwartet ihn neben der scharfen Kritik ein stark veränderter Medienmarkt. Paparazzi werden ihm am Flughafen, vor Gericht, Hotels und Restaurants auflauern und ihn gnadenlos verfolgen. Kabelfernsehen, Blogger und Komiker das Thema rund um die Uhr kommentieren. Er wäre vermutlich besser beraten gewesen, sich vor 32 Jahren dem Gericht und der Öffentlichkeit in den USA zu stellen.         

 

 

 

 

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Schwarzenegger nur noch eine lahme Ente

 

Wer auf eine gute Portion humorischen Optimismus gehofft hatte bei Arnold Schwarzeneggers letzter Rede als Gouverneur zur Lage Kaliforniens am 06. Januar wurde enttäuscht. Na gut, da war zu Beginn die drollige Geschichte von Schwarzeneggers zu Hause, wo im Garten ein Pony und ein Hängebauchschwein zusammenarbeiten, um eine Dose Hundefutter zu öffnen und den Inhalt gemeinsam zu verspeisen. Die Fabel vom Pony und dem Hängebauchschwein sollte die kalifornischen Parlamentarier inspirieren, auch zusammenzuarbeiten. Was ein Pony und ein Hängebauchschwein schaffen, sollten doch auch Demokraten und Republikaner …. an den müden Lachern und dem schwachen Beifall der Parlamentarier war zu erkennen, dass der ehemals gefeierte Terminator-Gouvernator nun selbst dem Tierreich zuzuordnen ist. Er ist, wie man hier so schön sagt mit verbleibenden zehn Monaten im Amt nur noch eine “lame duck”, eine lahme Ente.

 

 

Als Schwarzenegger vor sieben Jahren antrat, die Regierung von Kalifornien mal so richtig aufzumischen mit Charisma, Muskelkraft, österreichischem Humor, jeder Menge Versprechungen von Wohlstand und Steuersenkungen sowie dem Traum von einem Vorzeige-Bundesstaat, der nicht mehr vom Rest der USA belächelt wird, überzeugte er Millionen. Kurz nach der Wahl im November 2003 unterstützten 65 Prozent der kalifornischen Wähler den Gouverneur. Heute bewerten gerade mal knapp 27 Prozent die Arbeit des Republikaners als positiv. Und er hat es sich mit fast allen ehemaligen Verbündeten verscherzt. Die Republikaner, die gehofft hatten, der Hollywoodstar würde ihnen endlich die Mehrheit im Parlament von Sacramento bringen, sind enttäuscht, dass er statt dessen viele Allianzen mit Demokraten schmiedete und in der Finanzkrise des vergangenen Jahres sogar Steuern erhöhte. Die Demokraten sind enttäuscht, dass Schwarzenegger im Sozial- und Bildunsbereich Programme für die Schwächsten kürzte. Umweltpolitik war in Kalifornien schon vor Schwarzenegger ein wichtiges Thema. Kalifornier sind durchaus stolz, dass ihr Gouverneur im Westküstenstaat gegen den Widerstand der Bush-Regierung schärfere Regelungen zur Reduzierung von Treibhausgasen, zur Förderung erneuerbarer Energie und zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten durchgesetzt hat. Doch Schwarzenegger wird auch verdächtigt, Umweltpolitik als Sprungbrett für den nachsten Karriereschritt zu missbrauchen.

 

Wo immer der Gouvernator in Kalifornien auftaucht, erwarten ihn inzwischen Buhrufe und Demonstrationen und der Vorwurf, dass er lieber im Ausland und in Washington in Sachen Klimaschutz große Sprüche macht, anstatt sich zu Hause um die anstrengende Lösung wichtiger Probleme zu kümmern. 20 Milliarden Dollar ist der Haushalt Kaliforniens schon wieder im Minus. Nachdem sich die Parlamentarier erst vor wenigen Monaten darauf einigen konnten, wie sie die 60 Milliarden des vergangenen Haushalts ausgleichen. Die Arbeitslosenquote liegt bei zwölf Prozent und damit deutlich höher als der Bundesdurchschnitt von zehn Prozent. Banken bewerten die Kreditwürdigkeit Kaliforniens niedriger als die jedes anderen US-Bundesstaates. Schwarzenegger hat in seiner Rede einige Vorschläge gemacht, die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Seine Ziele für die verbleibende Zeit im Amt als Gouverneur sind ehrgeizig. Erste Reaktionen zeigen allerdings: die kalifornischen Politiker lassen sich nicht von der Pony-Hängebauchschwein-Teamarbeit im Garten des Schwarzenegger-Anwesens inspirieren. Schwarzenegger hat nicht mehr die durchschlagende Macht eines Terminators. Er spreizt die angeschlagenen Flügel nur noch wie besagte lahme Ente.

 

 

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sorry, Holland

 

Europa ist ja schon ein schwieriger Ort. Finden wir auf jeden Fall hier unten in Ozztralija. Ok, dass das United Kingdom eine Insel ist und daher irgendwie nicht so richtig dazu gehört, Tony Blair als EU-Boss hin oder her, ist ja halbwegs logisch. Aber Holland? Ist da bei Euch auch schon Land unter, Kerstin? Laut meinem Supermarkt jedenfalls seid ihr draußen: Klare Sache, ihr dümpelt jenseits der Eurozone irgendwo zwischen Indien, Libanon und Kosher… (die Honigwaffeln waren by the way lecker – ob nun europäisch, dutch oder made in Poland).

 

 

 

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Schwarzenegger im Rausch der grünen Revolution

Ich sitze in einem von der Klimaanlage in einen Kühlschrank verwandelten Saal eines Nobelhotels in Beverly Hills und kann es nicht fassen: das schafft wirklich nur einer – in einer ernsthaften Diskussion vor hochrangigen Gästen aus aller Welt die Worte Klimawandel und ‚Saturday Night Fever’ in einem Satz unterzubringen: Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Beim zweiten von ihm initiierten Klimagipfel in Los Angeles sitzt er auf dem Podium mit dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair. Und während vor dem Veranstaltungsort Demonstranten lauthals gegen Kürzungen in Krankenversorgung, Schulprogrammen, Parks und Gefängnissen protestieren, die Schwarzenegger unterschrieben hat, spricht der drinnen enthusiastisch von der grünen Revolution, die von ganz unten kommen muss. Von der Basis. Von Städten. Von Regionen. Von Kalifornien. Von Schwarzenegger.

Mal staatsmännisch nachdenklich nickend, mal zufrieden grinsend sitzt Schwarzenegger vor Flaggen aus aller Welt, begrüßt Vertreter von mehr als 70 Nationen und Regionen, von der UN und von der Regierung in Washington. Und alle, die sprechen, loben den Mann aus Österreich als Vorreiter der US-Klimapolitik, ja der Weltklimapolitik: US-Umweltministerin Lisa Jackson, Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, Tony Blair und weil bei einem Schwarzenegger-Ereignis muskulöse Prominenz aus Hollywood nicht fehlen darf, spricht auch Hollywood-Star Harrison Ford und lobt natürlich ebenfalls den Gouvernator, der ‘seinen Hintern hochkriegt und mitmischt im Umweltpolitikspiel’.

Wie er sich da sonnt im Schweinwerferlicht wird ganz schnell klar – Schwarzenegger hat seine nächste Rolle gefunden. Er sitzt den Rest seiner Amtszeit genauso gelassen aus wie Rekordtiefstände seiner Beliebtheit und Anti-Arnold-Demonstrationen. Er macht gerade den nächsten Karriere-Schritt seines unglaublichen Lebenslaufs, den Schritt nach ganz oben: vom österreichischen Landei über Mister Universum, Action-Filmstar und Gouverneur des bevölkerungsreichsten US-Bundesstaates zum Welt-Klima-Zar.

Ach ja – und wie passen Saturday Night Live und Klimawandel in einen Satz? Ganz einfach. Umweltbewusstsein kann heute so hip sein wie es Discos in den 70ern waren. John Travolta und die Bee Gees starteten eine Tanz-Revolution. Mit Arnold Schwarzenegger kommt die grüne Revolution von unten.

Ich sammel schonmal fleißig Töne, damit ich beweisen kann, daß ich dabei war und berichten kann davon, wie alles begann. 

 

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Alles muss raus

Der Hammer fällt, die Masse drängt. Eines der ersten Objekte, die am Nachmittag im Stockholmer Auktionshaus Bukowskis aufgerufen werden, ist ein 30 Jahre alter Plüschsessel in Moosgrün mit Schafsfellkissen. Ein bleicher Cineast im Strickpullover begehrt das Requisit. Zu seiner Verzweiflung sind 3000 Euro geboten. Für ein hölzernes Modell des Musentempels Dramaten wird wenig später gar der Rekordpreis von über 100 000 Euro gezahlt.

Ingmar Bergman gab sich im Leben unnahbar. Der Regisseur hauste zuletzt auf der einsamen Ostseeinsel Fårö. Mit seinem verbeulten Geländewagen fuhr er allabendlich hinüber in sein privates Kino, wo er sich vergessene Streifen ansah, aus den Zeiten als die Bilder laufen lernten. Penibler als jedes Bühnenstück wurde der Alltag inszeniert, mit handschriftlichen Regieanweisungen an die Haushälterin. Der Augenmensch umgab sich daheim mit gelber Auslegeware, roten Sofas und Kiefernholz. Seine Leibspeise waren Fleischklopse mit Preiselbeeren.

In seinem Haus starb der Filmemacher im Juli 2007 im Alter von 89 Jahren. Eigensinnig und rätselhaft bis zum Schluss hatte der Meister in seinem Testament verfügt, dass sein irdischer Nachlass und alle seine Besitzungen auf der Schafsinsel „an den Höchstbietenden“ zu verkaufen seien.

So bat man heute neben allerhand Hausrat auch Szenen-Skizzen, Reisekoffer und Pokale feil. Eine Standuhr aus dem 18. Jahrhundert schmückt den Fundus, ein seltener Munch und eine hübsche Laterna Magica. Kulturhistorisch wertvoll sind auch die Schachfiguren, mit denen Max von Sydow 1957 in „Das siebente Siegel“ gegen den Tod um das Leben spielt.

Als einziges von acht lebenden Bergman-Kindern müht sich die norwegische Schriftstellerin Linn Ullman, zumindest Wohnhaus und Kino vor dem Ausverkauf zu bewahren. Auch der frühere Ministerpräsident Ingvar Carlsson spricht sich für die Errichtung eines Künstlerzentrums auf Fårö aus. Doch auf Staatshilfe dürfen die Filmfans nicht hoffen. Wie schon bei Volvo und Saab hat die marktliberale Regierung kein Problem damit, das nationale Kleinod auf dem Basar zu verhökern. Man habe sich bereits bei der Digitalisierung alter Bergman-Streifen engagiert, betont Henrik Toremark vom Kultusministerium. „Wir können doch nicht mit Steuergeldern ein Haus kaufen und bei Auktionen mitbieten. Das ist nicht unsere Aufgabe.“

 

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Australier, wer seid Ihr…?

Endlich. Heute abend ist es soweit: “Australia” (The Movie) feiert Weltpremiere in Sydneys George Street. Mit rotem Teppich, Nicole, Hugh, gesperrter Innenstadt etc. Die (wenn’s gut geht) breiteren Massen werden das 150 Millionen Dollar teure Werk erst nächste Woche sehen, der europäische Rest der Welt zu Weihnachten. Aber wir hier unten wenigstens, haben den Hype dann hinter uns, hopefully. Denn dieser arme Film muss Unglaubliches leisten, auf jeden Fall wenn man hiesigen Medien folgt, die seit Wochen über kaum anderes mehr berichten (ok, für Obama gab's eine kurze Unterbrechung). Wird der Film fertig? Stirbt Hugh am Ende? Wird der Film nicht fertig? Mag Oprah Winfrey ihn? (Antwort: ja) – es ist wie im Film… Vermutlich sind alle so aufgeregt, weil Baz Luhrman den Namen des kompletten Kontinents für sein 165-Minuten-Epos vereinnahmt hat. Aber der Streifen über Drama, Rinder und Liebe zu Zeiten des zweiten Weltkriegs im Outback müsste eigentlich schon vor Erstaufführung unter der Last der Verantwortung reißen. Ehrlich, dies ist nur eine kurze Liste der Dinge, die der Film leisten soll: Er muss neue Touristenströme nach Australien locken (die Tourismus-Behörde hat Regisseur Baz 50 große Scheine extra gegeben um auch noch einen Werbespot im Stil des Films zu drehen). Er soll die ‘müde australische Filmindustrie vor dem endgültigen Einschlafen bewahren’ (Sydney Morning Herald). Er muss über Australiens Rolle im Zweiten Weltkrieg aufklären (AP). Er muss Nicole Kidman eine Rolle geben, in der sie ausnahmsweise Leute sehen wollen (jj). Er muss Hugh Jackman richtig berühmt machen (mit und ohne Gesichtshaar). Und last but not least so der ‘Herald Sun’ muss der Film den “Australiern zeigen, wer sie sind… “ Au weia, that’s asking for a lot. Ich bin eigentlich schon froh, wenn er mich gut unterhält.

 

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Wahrheit und Klischee: Film über Bali-Bomben

Am 12. Oktober 2002 sprengten sich auf der Touristeninsel Bali vor einem überfüllten Nachtclub zwei Selbstmordattentäter mit einem Kleinbus voller Sprengstoff in die Luft. 202 Menschen starben in dem Inferno. Der Traum vom friedlichen Zusammenleben im Ferien-Paradies war zerstört. Der internationale Terrorismus war nach Indonesien gekommen.

Nun gibt es den Film zur Bombe. Zum ersten Mal wagte sich ein indonesisches Produktionsteam an die Aufarbeitung des schwierigen Themas – und griff mitten ins Wespennest. „Hier wird der Islam schlecht gemacht,“ schreien die einen und: „Ihr vermenschlicht die Terroristen,“ die anderen. Zugegeben, die Charaktere in „Long Road To Heaven" sind fast alle überzeichnet und die Erzählstruktur mit ihren ständigen Zeitsprüngen unausgereift. Auch kann der Film – schon allein aus Kostengründen – nicht mit der perfekten Technik eines Hollywoodprodukts mithalten. Dennoch gelang es Regisseur Enison Sinaro und Produzentin Nia Dinata, die Ereignisse von allen Seiten aus verschiedenen Sichtweisen zu beleuchten und einen neue Diskussion anzustoßen: Es gibt die sensiblen, die fiesen und die ganz normalen Touristen, die toleranten und fanatischen Muslime – und selbst bei den Terroristen tauchen Zweifel auf.

Auf die Kritik einer amerikanischen Zuschauerin, der Film sei zu klischeehaft, antwortete ein einheimischer Premierenbesucher daher: „Seien Sie bloß froh, dass es nicht ihre Leute waren, die diesen Film gedreht haben.“

 

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Vampire

Da Hollywood neuerdings gerne in Neuseeland dreht, bleiben solche Einladungen nicht aus: Ich soll für ein Kino-Magazin den Drehort des Horror-Streifens „30 Days of Night“ besuchen.

Gedreht wird in der Peripherie Aucklands, und dem Filmstoff entsprechend vor allem nachts. Die Kulissen spiegeln ein Dorf in Alaska wieder, wo im tiefen Winter, wenn die Sonne 30 Tage nicht aufgeht, Vampire über die Dorfbewohner herfallen. Klingt nicht gerade nach Leitkultur, aber es soll ja Menschen geben, die für so was ins Kino gehen.

Und so stehe ich zwei Tage lang mit drei Film-Spezies aus London und Sydney im Kunstschnee herum und lasse mir täuschend echte blutige Gliedmaße, Vampirzähne und allerhand Gruseliges vorführen. Meine Kollegen sind Filmprofis und kennen alle den Zombie-Comic auswendig, auf dem dieses filmische Werk beruht – er wird hochtrabend nur „graphic novel“ genannt.

Sie behandeln die ganze absurde Angelegenheit mit einer Ernsthaftigkeit und Hochachtung, als ob es sich um die Verfilmung von „Krieg und Frieden“ handelt. Der Produzent, ein typisches Hollywood-Exemplar mit weißen Turnschuhen, Fönfrisur und Dollarzeichen in den Augen, verrät, dass hier gerade 60 Millionen Neuseeland-Dollar verheizt werden, um die Welt zwei Stunden lang das Fürchten zu lernen.

Wir führen pausenlos Interviews. Kein Vampir-Darsteller ist vor uns sicher. Alle sind furchtbar wichtig, jedes Detail zählt, hier geht es um Großes. Man erwartet Ehrfurcht von uns. Um ein Uhr nachts werden wir endlich in den Makeup-Caravan des jungen Hauptdarstellers vorgelassen, dessen momentane Meisterleistung darin besteht, der neue Freund von Scarlett Johansson zu sein. Diesen Namen dürfen wir natürlich keineswegs auch nur aussprechen, wie uns die Presse-Frau der Filmfirma immer wieder einschärft. Alle gehorchen.

Aber dann, zum Schluss unseres Besuches, leiste ich mir den Fauxpas: Ich frage den Regisseur doch allen Ernstes, ob sein Film Gewalt verherrliche. Meine Kollegen versteinern vor Peinlichkeit und rücken förmlich von mir ab. Die G-Frage stellt man nicht, wenn man einem begnadeten Horror-Regisseur gegenübersitzt. Überhaupt hinterfragt man generell gar nichts, wenn man auf einem Filmset ist. Ich habe eindeutig gegen die Spielregeln verstoßen und mich als Journalistin geoutet.

Meine Kollegen machen in den Interview-Pausen Smalltalk und lassen am laufenden Band Promi-Namen aus vergangenen Interviews fallen. Ich kann neben Bette Midler, Cher, Chris Isaak und Kylie Minogue nur mit Zsa Zsa Gabor aufwarten, die mich mal vor 20 Jahren aus ihrer Villa warf – zuwenig, um Comic-Geeks nachhaltig zu beeindrucken.

Die Vampire bekommen für den nächsten Take wieder frisches Filmblut auf ihre Kostüme gepinselt. Abgehakte Köpfe und zerfetzte Latex-Arme werden von den vielen Helfern im Kunstschnee drapiert. „Action!“ brüllt der Regisseur. Da vibriert mein Handy.

Der Anruf einer Freundin aus Christchurch. Ihr neunjähriger Sohn ist am Tag zuvor mit dem Fahrrad vor einen Laster gefahren ist. Er hat mindestens sechs Knochenbrüche, ein schweres Schädeltrauma und liegt im Koma. Zu dem Zeitpunkt ist weder klar, ob er aufwacht, noch ob er ohne Gehirnschaden davonkommt. Die Vampire kreischen und zischen. Das Blut tropft. Fröhliche Unterhaltung! Cut.

 

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Das Yacoubianische Haus

Zwei Monate lang hatte ich mir es vorgenommen, gestern endlich bin ich ins Kino gegangen, um mir "Omaret Yacoubian" anzuschauen, "The Yacoubian Building", kein Film, sondern ein Phänomen.

Vor einigen Monaten hatte ich den Autor der Romanvorlage interviewt, den Zahnarzt Alaa Al Aswany, der immer noch praktiziert, der der Anti-Mubarak-Reformbewegung angehört und der einen Bestseller geschrieben hat, der seltsamerweise nicht verboten wurde, sondern von dem 50 mal mehr Exemplare über die Ladentische gingen, als es für einen arabischsprachigen Bestseller üblich ist.

Die Verfilmung hält sich an die Romanvorlage: In einem runtergekommenen Downtown-Art-Déco-Haus lebt unten die verblühte Elite, Pseudo-Aristokraten und Intellektuelle, und oben auf dem Dach das Volk, die Portiersfamilie, Habenichtse vom Land, die Verkäuferin Bussaina.

Ihre Geschichten kreuzen und verschränken sich. Keine Kränkung, kein Elend, keine Gemeinheit und keine Tragödie im Ägypten von heute wird ausgelassen – und über allem schwebt die Politik des korrupten Regimes, die die Biographien der Menschen zermalmt.

Gestern im Kino war das für einige im Publikum schwer zu ertragen, zu schwer. Als der Portierssohn in der Untersuchungshaft von Geheimdienstbütteln vergewaltigt wird und danach nackt und blutverschmiert in der Zelle hockt und jammert, da nehmen einige Männer ihre Frauen und verlassen das Kino.

Dasselbe geschieht, als der prominente, mehr oder weniger heimlich schwule Chefredakteur zärtlich seinen Liebhaber verführt. Und nochmal, als der Chef der jungen Verkäuferin Bussaina im Lagerraum auf ihr Kleid onaniert, eine Pflichtübung für alle jungen Verkäuferinnen in dem Laden, die ihren Job nicht verlieren wollen. Sie erhalten dafür 10 Ägyptische Pfund pro Abspritzen, umgerechnet 1,35 Euro.

Immer wieder verlassen Zuschauer den Saal. Bis zum Schluss guckten höchstens zwei Drittel von ihnen. In dem Film kommt nichts vor, was die Leute nicht wissen, aber diese geballte Ladung überfordert so manchen. Ägypter lieben die Illusion. Wenn ein Heuchler den frommen Muslim spielt, aber hin- und hersündigt, dann sehen sie drüber weg und reden nur privat darüber. Das ist Selbstschutz, anders wäre die Wirklichkeit vielleicht gar nicht zu ertragen.

Im Film kommen haufenweise Leute vor, die Gebetskettchen schwenken und alle paar Sekunden "So Gott will", "Der Herr wird uns beschützen" usw. sagen und im nächsten Moment eine Zweitfrau heiraten, weil das besser als eine Prostituierte ist, aber letztlich nichts anderes. Und die gleichzeitig bestechen, was das Zeug hält, sich Parlamentssitze kaufen, mit Rauschgifthandel reich werden usw. Und, auch das sagt der Film deutlich, die Mächtigen des Regimes (in Gestalt eines Ministers zum Beispiel) sind nur so mächtig, weil sie skrupelloser sind als all die anderen Schufte.

Nach dem Film bin ich durch die Innenstadt gegangen, über den Talaat Harb Square, auf dem eine Schlüsselszene spielt. Einer der Hauptdarsteller läuft nachts betrunken über ihn rüber und beklagt laut grölend den Niedergang des Landes. Seine Begleiterin sagt: "Die Leute gucken schon. Lass uns hochgehen!" Er antwortet, schreit: "Sie sollen nicht uns angucken, sondern unser Land, das mehr und mehr zerfällt!"

Vor einigen Wochen war ich genau hier auf diesem Platz bei einer Demonstration, für einen Hörfunkbericht. Linke(!) und Säkulare(!) protestierten für(!) die schiitische Hisbollah. Hundertschaften bewaffneter Polizisten hatten das Areal abgeriegelt.

Plötzlich stand ich irgendwie mittendrin, im inneren Absperrring, was mir normalerweise nicht passiert, weil ich eigentlich vorsichtig bin. Die berüchtigten Schlägertrupps zogen direkt vor meiner Nase auf, Beamte in Zivil und vermutlich auch Underdogs, die für ein bisschen Kleingeld bereit sind, die Schmutzarbeit zu machen. Mehr als einmal in den letzten Monaten richteten sie ihre Gewalt auch gegen in- und ausländische Journalisten.

Das alles sah vor ein paar Wochen aus wie gestern im Film "Yacoubian Building", nicht ohne Grund, denn die Produktionsfirma, gut mit dem Regime vernetzt, durfte echte Polizeitrupps bei den Dreharbeiten verwenden. Die wussten, was sie spielten, es wirkt im Film authentisch und ebenso bedrohlich wie in der Realität.

Die Demo vor ein paar Wochen wurde nicht gewaltsam aufgelöst, sondern verlief sich einfach so nach einer Stunde. Und während die Demonstranten in den Kaffeehäusern verschwanden, in die sie immer gehen, und sich vielleicht fragten, was es bringt, wenn man sehr viel mehr als früher sagen und tun kann, ging ich hinüber zur beliebten Konditorei "Al Abd", holte mir zwei Stückchen Schwarzwälder-Kirsch-Torte, die ich dann nachts zu Hause auf dem Balkon aß.

Kairo ist wie immer in diesen Tagen, nur greller als sonst, mit ganz scharfen Konturen, in Kunst wie Realität.

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