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The Power of the Shower

Eine meiner deutschen Freundinnen, nennen wir sie Monika, stellt, wenn sie mich anruft, immer die gleiche Frage: „Und? Was machst du heute?“ Dann sage ich zum Beispiel, dass ich einen Bericht über Gewerbeimmobilien schreibe oder das Porträt einer Managerin. Jedes Mal ist Monika enttäuscht. „Aber du bist doch in New York“, sagt sie vorwurfsvoll. So als verbinde sich mit dieser Tatsache die Verpflichtung, ständig etwas ganz Verrücktes zu erleben.

Im vergangenen Monat wäre Monika mit mir zufrieden gewesen. Ich erhielt eine Einladung zu einem Presse-Lunch, Thema: „Die besten Ideen beginnen unter der Dusche“.

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Dr. Scott Barry Kaufman, ein Psychologie-Professor an der New York University, und Richard Grohe, Sprößling einer bekannten Duschkopf-Unternehmer-Dynastie, würden über die Segnungen der Körperreinigung diskutieren. „Please join us as the two explore the power of the shower.“ Das Ganze in der „Houston Hall“, eine der düsteren Bierhallen, die in New York unverständlicherweise als typisch deutsch gelten und unglaublich angesagt sind.

The Power of the Shower, ein Psychologe und die Houston Hall – die Kombination war einfach unwiderstehlich. Ich trat also die von uns Brooklynern ungeliebte Reise ins ferne Manhattan an. Um es vorweg zu nehmen, es hat sich gelohnt. Es gab einen sehr anständigen Riesling, akzeptable Schweineschnitzel und Kekse in Form von Duschköpfen. Und eine Menge überraschender Erkenntnisse.

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Oder wussten Sie, dass 72 Prozent der Menschen unter der Dusche Ideen haben und dort Probleme lösen? Weitere 17 Prozent fühlen sich „inspiriert“. Das, so sagte Psychologe Scott, seien außergewöhnlich hohe Werte: „Die Leute sind unter der Dusche kreativer als bei der Arbeit.“ Er konnte auch erklären, warum: weil sich der Duschende von störenden Eindrücken der Außenwelt isoliert. „Es gibt keine Ablenkung, das Gehirn konzentriert sich auf die Innenwelt.“

Liebe produktivitätssteigernde Unternehmensberater: umgehend alle Großraumbüros auflösen und Firmenduschen installieren!

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Weitere Erkenntnisse waren, dass die optimale Duschtemperatur der Wärme entspricht, die Babys im Mutterleib wahrnehmen. Dass Japaner im Sitzen duschen und Amerikaner große Überkopf-Modelle lieben, während der Dynastiesprößling selbst eine Handdusche von Philippe Starck bevorzugt. Dass die Mitarbeiter von Hansgrohe in dem 800-Einwohner-Dorf Schiltach Zugang zu einem Unternehmens-Spa genießen und die Firma schon 68 Gerichtsverfahren gegen chinesische Markenpiraten gewonnen hat.

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Zum Abschluss gab Richard Grohe den Presseleuten ein Zitat von Atari-Gründer Nolan Bushnell mit auf den Weg: „Jeder hat gute Ideen unter der Dusche – alles hängt davon ab, was du damit anfängst, wenn du abgetrocknet bist.“

Das, da bin ich sicher, würde auch meiner Freundin Monika gefallen.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Das Parfüm von Grasse im Winter

IMG_5545Der Duft von Jasmin, Orangenblüten und Rosen ist längst verflogen. Die Nächte sind kalt, die sonnigen Tage hingegen noch wohltuend warm im winterlichen Grasse. Ein Hauch von Normalität weht durch die engen Gassen, durch die sich im Sommer schwitzende Touristen schieben. Sie alle wollen die Geheimnisse der Parfümherstellung entschlüsseln. Oder auch einfach nur ein paar kleine Duft-Flacons als Mitbringsel für die Lieben daheim erstehen. Davon lebt Grasse von April bis November. Auch wenn die Blumenfelder deutlich geschrumpft sind und die Blüten nicht mehr von den Grassois selbst gepflückt werden sondern vor allem von Gastarbeitern aus Osteuropa. Das Zentrum der französischen Parfümindustrie sowie das Herz der traditionellen Kunst, ein Parfum zu kreieren, ist die Kleinstadt in den Seealpen oberhalb von Cannes mit Blick auf das Mittelmeer geblieben.

IMG_5547Hinter der silbern und azurblau glitzernden Weihnachtsschmuck-Fassade kauern vier bis fünfstöckige Altbauten eng zusammen in den typischen Farben der Provence: Orange oder gelblich-ockerfarben. Mit zum Teil schwer verwittertem Putz. Auf schmalen Balkonen sonnen sich kleine Stechpalmen, Kletterpflanzen recken ihre Blüten gen Himmel. Frisch gewaschene Hemden, Socken und Unterhosen baumeln vor den Fenstern im Wind. Die Bescheidenheit einer südfranzösischen Kleinstadt. Wo Metzger und Bäcker die Vorlieben ihrer Klientel kennen. Wo man sich mittags zum Zweigänge Menu für 12 Euro mit einer Freundin trifft, weil dies die kleinen Freuden sind, die man sich ab und zu gönnt.

Vom Flair einer lukrativen Luxusindustrie ist in diesen Dezember-Tagen wenig zu spüren. Mal abgesehen von einer relativ hohen Konzentration an Parfümläden und den Parfümmuseen. Der elegante Jet-Set ist in Cannes abgestiegen und kommt höchsten zur Besichtigung einer der traditionellen Parfümfabriken hinauf in die 51.000-Einwohner-Stadt. Die Reichen und Schönen von Grasse leben in ihren Traumvillen, die auf den benachbarten Hügeln das Mittelmeer überblicken.

In der Rue Fragonard – ein Maler übrigens, die bekannte Parfümerie hat seinen Namen nur zu seinen Ehren angenommen – schieben zwei junge Marokkanerinnen ihre Dreijährigen im Kinderwagen vor sich her. Sie tragen Kopftücher, wie viele Nordafrikanerinnen in Grasse. Eine ältere Araberin huscht gar im Tschador über den Place des Aires. Der Anblick überrascht. Weil ich mir dieses Bild in der französischen Parfümhauptstadt nicht vorgestellt hatte. Ebenso wenig, wie die maghrebinischen Männer, die zwei Straßen weiter in einer windgeschützten, sonnigen Ecke an kleinen Tischen sitzen, rauchen, Karten spielen und Tee aus den für den Orient typischen kleinen Gläsern trinken. Fehlen eigentlich nur die Wasserpfeifen. „Ahlan wa sahlan!“ (Willkommen auf Arabisch) möchte ich Ihnen zurufen. Doch dann fällt mir ein, dass sie hier Zuhause sind, nicht ich. Gemeinsam mit den anderen Grassois, die seit Generationen hier auf irgendeine Weise von der Parfümherstellung existierten.

Grasse im Winter: Ein Bild wohltuend normalen Lebens. Dessen Schönheit in seiner Authentizität liegt. Die trotz des Touristentrubels im Sommer überlebt zu haben scheint.

 

 

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Vivid Sydney – wie Disneyland, nur nachts & bunter

Australien ist ja mehr als Sommerland bekannt. Aber im kühleren Süden des Kontinents gibt es auch einen Winter, den Südhalbkugelwinter. Auch wenn das (vor allem deutsche) Reiseführer gerne ignorieren. Damit Besucher, die trotzdem nach Sydney kommen nicht traurig sind und Einheimische sich nicht sofapupend zu Winterschläfern entwickeln, gibt die Stadt sich im Mai/Juni immer besonders bunt Mühe: Mit Vivid Sydney einem Spektakel, das abends alles irre bunt macht, eine Lightschow auf Gebäuden, ein bisschen Disneyland aber auch wirklich nett. Mir haben’s vor allem die water ghosts angetan, Geister aus Licht, die im Hafen schwimmen. Und natürlich macht das Opernhaus was her, es wird angeleuchtet von urbanscreen aus Bremen, klar da oben kennt man sich mit langen Dunkelphasen aus.  Grund Genug auf jeden Fall hin und wieder hinterm Öfchen vorzuklettern und eine Runde durch die City zu drehen. Oder über die Filmseite zu klicken. Die bewegten Bilder  sind zwar im Zeitraffer und leicht Schwindel erregend, aber schön bunt.

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Der Dollar (Alb-)Traum

Meistens sympathisiere ich mit den Bewohnern meiner Wahlheimat: Wenn Australiens Wirtschaft floriert, die Sonne lacht, die Welle gut bricht, keine Katastrophen passieren – Immer dann freue ich mich gern mit den 22 Millionen Skippys. Schließlich schreibe ich ja nicht nur über den Kontinent unten rechts, sondern wohne auch hier. Seit gut einem Jahr allerdings reagiere ich auf einen Aspekt australischen Glücksempfindens allergisch: Auf den starken Dollar.
Schon morgens beim Macchiato, wenn ich ins wohlgefällige Grinsen der Zeitgunsleser hinter den Wirtschaftsseiten blicke, rutscht meine Laune in den Keller: “Mighty Aussi Dollar here to stay!”  Für Jahre, gar Jahrzehnte soll der von Erz, Nickel und Kohle gepäppelte Dollar fett bleiben, sagt Ross Gittins, der Wirtschaftsguru meiner Tageszeitung. Je mehr von dem Zeug sie aus der Erde buddeln um so besser gehts offenbar der Währung. Meine Nachbarn reisen wie verrückt, kaufen halb Amerika per online-shopping leer, hauen zu gut deutsch so richtig auf die Kacke. Es sei ihnen gegönnt. Für mich allerdings geht der Spaß nach hinten los: Meine Arbeit ist nur noch ein Drittel wert. Eine Story für die ich vor drei Jahren 1000 Euro und damit 2000 Dollar bekommen habe, bringt mir heute noch so eben 1200 $. Traurig aber wahr, denn meine Auftraggeber zahlen in Euro. Und sie haben ihre Tarife nicht ans australische Rohstoffwunder angepasst. Ist es ein Trost, dass ein paar (wenige) andere Industrien – Einreiseverkehr alias Tourismus zb – mit mir leiden? Ein schwacher. Denn auch Reisereportagen gehör(t)en zu meinen Jobs: “Australien? Och nö, viel zu teuer für unsere Leser…” Aber hier kommt der Lichtblick: Französischer Champagner kostet nur noch die Hälfte. Wie genau das mit dem Rohstoffboom zusammenhängt ist mir schleierhaft. Aber Veuve oder Piper brut sind kaum noch teurer als ein Abendessen im Thai-Imbiss. So könnte ich mir (könnte ich’s mir noch leisten) meinen Kontostand wenigstens stilvoll schön trinken. Santé, Prost und Cheers!

 

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FB-Orange, oder: Das richtige Leben im Falschen

Orange und von der Seite Pink. Ella’s Freundin hatte eine kuriose Hautfarbe. Ein Griff zur falschen Pickelcreme? Nee, dagegen sprach, dass auch Schultern, Arme, großzügiges Dekolletee und Beine der 18-Jährigen Orange leuchteten.

Später im Kino fragte ich meine Kollegin, was die Freundin ihrer Tochter eigentlich mit ihrer Haut hätte. (Ich gebe zu, in Make-up und Mode-Fragen war ich nie weit vorn.) Kathy, also meine Kollegin, wusste auch nicht wieso Sarah vor dem Ausgehen gestrahlt hatte wie eine Mandarine. Aber sie versprach, es herauszufinden. Kathy ist top in Recherchen der kniffligen Art. Dienstag rief sie an: Selftanning Lotion. In Sydney scheint gerade eine hautfreundlich milde Wintersonne, ohne starke Farbfolgen. “Also musste vor dem Ausgehen Selbstbräunung aus der Tube ran.”

Nun war aber Sarah aber ja leider nicht braun sondern erschreckend gelblich-apfelsinig geworden –  zu viel Chemie offenbar, OrangeHaut statt Sommerteint. War ihr das nicht peinlich? Kam das auf Partys heute gut an? “Hab ich ja auch gefragt”, nickt Kathy. Und erntete blankes Unverständnis: Nein das Orange sei im Gegenteil völlig okay. Das käme nämlich auf den Facebook-Fotos von der Big-Night-Out später viel besser raus – Blitzlicht und zweimal digital kopiert, mache aus Orange ein saucooles Bali-Braun.

Und dass sie auf der Party leuchtet wie ein Kürbis und dann tagelang gelb durch die Gegend läuft? Egal! “Spätestens Mittwoch“ sei im echten Leben ihr Teint ja wieder wie sonst. Die Facebook-Fotos aber, die würden doch viel mehr Leute sehen als nur die, mit denen sie gefeiert hat. Immer wieder würden die angeklickt, von allen möglichen potentiellen Fans. Und blieben da den Rest ihres Lebens!

Fair enough, in der Ewigkeit will man top aussehen, klar. Facebook für Fortgeschrittene, grinst Kathy. Wer in der sozial-medialen Unendlichkeit gut rüberkommen will, muss eben zu kleinen Opfern bereit sein.   (Fotos: Facebook)

 

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8 qm Luxus

Ich bin umgezogen. Die alte Wohnung hatte zu viele Busse vor dem Fenster (Radioaufnahmen im Kleiderschrank), keinen Blick, lag in der falschen Gegend. Die neue Wohnung ist ruhig, mit Hongkong-Blick, liegt in einer schönen Gegend. Ein guter Tausch. Doch wie immer im Leben zahlt man für alles einen Preis: Die neue Wohnung ist nur noch halb so groß wie die alte. Deshalb brauche ich jetzt zusätzlich ein Büro, weil ich sonst zu Hause die Wände hochgehe oder in den schönen Ausblick hineinspringe.

Bürosuche in Hongkong ist kein schönes Unterfangen. Die Stadt kennt die teuersten Büromieten der Welt. Wenn ich die Preise sehe, quält mich wieder der Verdacht, dass Hongkong vielleicht doch kein guter Standort für einen freiberuflichen Journalisten ist.

 

 

Ein Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro: 420 Euro im Monat

Ein 8qm-Raum ohne Fenster: 600 Euro

Ein 40qm-Raum, hell und schön: 2000 Euro

Es geht auch billiger. Doch die erschwinglichen Büros haben zu viele Busse vor dem Fenster, keinen Blick, liegen in der falschen Gegend. Hmm!

 

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Begegnung mit einem deutschen Prinz in Hollywood

 

‘Prinz Frederic, Hello!’ – der deutsche Akzent war so stark, dass ich ziemlich sicher war: der Prinz ist höchstpersönlich am Telefon! Ich fragte lieber nochmal nach. Bis dahin dachte ich, Prinzen haben Butler, die den Hörer abnehmen, während die Hoheiten – so sie denn in Beverly Hills residieren – mit gekühltem Drink am Swimmingpool liegen, umgeben von Bediensteten, die ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Aber nein – Prinz Frederic geht tatsächlich persönlich ans Telefon. Vielleicht ist das noch eine Angewohnheit aus seiner Zeit als Hans Robert Lichtenberg, bevor er dank Vermittlung und Bezahlung des Titel-Großhändlers ‘Konsul’ Hans-Herrmann Weyer von Prinzessin Marie Auguste adoptiert und damit zum Verwandten von Kaiser Wilhelm wurde. 

 

Jetzt tritt der deutsche Prinz an für die Nachfolge von Arnold Schwarzenegger, will Gouverneur von Kalifornien werden. Sein Wahlprogramm: Marijuana, Prostitution und kubanische Zigarren legalisieren und versteuern, die Homo-Ehe erlauben, die Grenze zwischen USA und Mexiko öffnen. Damit will er die knapp 20 Milliarden Dollar Haushaltsdefizit ausgleichen und sich die Stimmen von Latinos, Schwulen und Lesben sichern. In Kalifornien sind das ziemlich viele. Trotz eines ziemlich wirren Wahlkampfes hat der Prinz inzwischenüber zehntausend Unterschriften gesammelt. Sein Name wird im November höchstwahrscheinlich auf den Stimmzetteln stehen. Die Unterschriften müssen nur noch auf Rechtmässigkeit geprüft werden.    

Prinz Frederic klang jedenfalls ziemlich optimistisch und kampfeslustig am Telefon. Obwohl ich ihn – wie er mir lachend erzählte – beim Abendessen mit Gattin Zsa Zsa Gabor unterbrochen hatte. ‘Das machen wir jeden Abend – Abendbrot essen und dazu Nachrichten schauen. Meine Frau sitzt ja leider im Rollstuhl und kann mich beim Wahlkampf nicht begleiten.’ Seiner Prinzessin und First Lady Zsa Zsa gehe es gut, erklärte er auf meine Nachfrage. Sie hätten zwar 1986 aus reinem Geschäftssinn geheiratet ‘Ich wollte rein in die Hollywood High Society und sie wollte Prinzessin sein’, inzwischen sei aber eine große Liebe zwischen ihnen gewachsen und sie würden einander nie verlassen. Rührend! Den Wahlkampf führe er auch, um sein Blut in Wallung zu halten und jung zu bleiben. 

Bei soviel Plauderei mit einem Prinzen vergaß ich fast, nach einem Interviewtermin zu fragen. Den bekam ich dann aber doch – vor Beginn der Schwulen- und Lesbenparade in Hollywood. Bei der fuhr der Prinz in einer Kutsche mit. Eigentlich wollte ich an dem Tag direkt vom Interview in eine Kneipe zum Fußballschauen. Aber dann war überraschend ein Platz frei in der Kutsche und der Prinz fragte, ob ich nicht mitfahren wollte. Welche Reporterin kann schon die Einladung eines Prinzen ablehnen – selbst wenn es ein Wichtigtuer mit gekauftem Titel ist – mit ihm in der Kutsche in der Schwulenparade durch Hollywood zu fahren.

Ich wurde schwach, habe unglaubliche Töne gesammelt, während der Prinz bei über 30 Grad und wolkenlosem Himmel in Uniform majestätisch winkend Wahlkampf machte – und Deutschland hat gewonnen. 

 

 

 

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Die Fußball-WM – Business as usual?

Vor genau einem Jahr saß ich mit Kai Schächtele im La Siesta Resort am Roten Meer im Cafe »Cute«. Zusammen mit Dutzenden Ägyptern guckten wir das Confed-Cup-Fußballspiel Ägypten–Italien auf einem Großbildschirm. Ein denkwürdiger Abend. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich mir ein Fußballspiel anschaute, Kai zuliebe, ich wollte ein guter Gastgeber sein. Die Stimmung war hervorragend, Ägypten gewann 1:0.

Jetzt beschäftigt mich Fußball wieder, und wieder ist Kai schuld. Gemeinsam mit Christian Frey präsentiert er täglich Reportagen in Text, Ton & Bild aus Südafrika, die ich einzigartig nennen möchte. Das müssen sie sein, wenn sogar einer wie ich jeden Tag guckt, was es Neues gibt. Unbedingt selbst anschauen: Die WM – ein Wintermärchen.

Während für den Fußball eigentlich verlorene Seelen wie meine vielleicht doch gerettet werden können, haben viele wirkliche Fans in Ägypten das Nachsehen. Der World-Cup-Song, von Nancy Ajram auf Arabisch produziert (bei Youtube hier), stimmt sie auf die WM ein, aber sie können sich die Fußballübertragungen nicht leisten. Bis heute ist mir ein Rätsel, wie ein globales Gesellschaftsereignis, das von der Leidenschaft von Millionen von Menschen lebt, in die Hände solch einer raffgierigen, mitleidslosen Clique wie der FIFA fallen konnte. Auch diese WM ist in Ägypten weitestgehend nur im Pay-TV zu sehen. Detailliert beschreibt das Karim El-Gawhary in seinem Blog.

Vor vier Jahren war es ähnlich. In den Wochen vor der WM 2006 in Deutschland stieg das Fußballfieber in Kairo mit jedem Tag. Dann plötzlich stand fest: Dem staatlichen ägyptischen Fernsehen waren die Übertragungsrechte zu teuer. Während die Welt Fußball guckte, hingen in Kairo die Deutschlandfahnen stumm an den Fenstern. Die WM fand – gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – auf dem arabischen Bezahlsender A.R.T. statt. Ein entsprechendes Abo hatten damals nur eine Million Leute in dem 80-Millionen-Land. Wie weh das tun musste, kann nur ermessen, wer einmal Ägypter beim Fußballgucken beobachtet hat. »Jetzt hat uns der Kapitalismus«, sagte damals ein Taxifahrer in Kairo zu mir, »auch noch den Fußball weggenommen.«

Manch ein Ägypter schaffte es, den Code zu knacken, andere konnten sich den überteuerten Tee in jenen Kaffeehäusern leisten, die die Spiele übertrugen. Dass das allerdings eine Minderheit war, konnte ich HÖREN. Als die WM 1994 in den USA stattfand, wurde noch frei übertragen. Ich wohnte damals in der Kairoer Altstadt, in einem Viertel von Ahmed Normalverbraucher. Wegen der Zeitverschiebung erklang der Jubel bis nachts um vier bei jedem Tor aus den Wohnungen der Nachbarschaft. Eine Stadt voller Fußballnarren vier Wochen lang im Ausnahmezustand. Während der WM 2006 in Deutschland war es anders. Kairo blieb still, kein Jubel, kaum irgendwo. Die deutschen Zeitungen verkündeten stolz, wie sehr die deutschen Gastgeber das Ausland begeisterten. In Ägypten durften viele das nicht erleben, weil sie nicht genug Geld haben.

Es wurde sogar extra die Ausstrahlung von ARD und ZDF über den Hotbird-Satelliten eingestellt. Einen ganzen Monat lang zeigte die ARD das Programm ARD Extra mit aufgewärmten Wiederholungen von irgendwas, und auf ZDF lief der Kanal ZDF Doku mit spannenden Themensendungen über Makramee u. ä. Wenn ich in Kairo auf einem dritten Programm um 20 Uhr die Tagesschau guckte, passierte folgendes. Sobald ein aktueller Kurzbericht von den Spielen vom Tage begann, wurde der Bildschirm schwarz und es erschien der Satz: »Aus lizenzrechtlichen Gründen etc.« Und das alles nur, damit die Schmuddelkinder an den Katzentischen der Welt nicht doch noch kostenlos was von der WM sehen, und sei es nur ein Fünf-Minuten-Beitrag in einer Sprache, die sie nicht verstehen.

In diesem Jahr hat sich der verschlüsselte Sportkanal von Al-Dschasira die Übertragungsrechte für die arabische Welt gesichert. Man will, heißt es, einige Spiele unverschlüsselt bringen. Das Trauerspiel hat damit kein Ende. Am ersten Tag kam das Signal über NILESAT nur verkrüppelt in die Haushalte. Al-Dschasira vermutet Sabotage, wie hauseigene Kanäle berichten. Der Satellit wird von der ägyptischen Regierung betrieben, und der ist Al-Dschasira ein Dorn im Auge.

 

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Schnäppchenpreis

Dass Japan ein teures Land ist und die Lebenshaltungskosten insbesondere in der Hauptstadt Tokio außerirdische Dimensionen haben, ist nicht wirklich das, was man als “breaking news” bezeichnen würde. Ich will trotzdem drüber schreiben. Weil ich selber staune, wie leicht der Mensch – damit meine ich mich – sich an horrende Preise gewöhnen kann.

Als wir letztes Jahr nach Tokio zogen, waren meine ersten Einkäufe geprägt von, hm, nennen wir es ruhig Fassungslosigkeit. Der Käse kostet grob zwischen 2,50 Euro und 5,50 Euro – pro 100 Gramm. Macht für ein ordentliches Stück Parmesan mal eben 20 Euro. Einen Laib Brot, sollte er eine festere Konsistenz als Marshmallows haben, gibt es ab etwa fünf Euro. Für einen Liter Milch muss man 1,50 Euro oder mehr berappen. Über Preise für Öko-Produkte wollen wir gar nicht reden.

 

Inzwischen ist meine Einkaufswelt wieder halbwegs im Lot. Denn a) ist der Mensch (= ich) ein Gewohnheitstier, siehe oben. Es schmerzt nicht mehr ganz so, wenn die junge Japanerin an der Supermarktkasse einem mit bezaubernden Lächeln 100 Euro für ein mäßig gefülltes Einkaufskörbchen abknöpft. Und b) habe ich natürlich längst herausgefunden, wo es wann was etwas günstiger gibt.

Vor zwei Tagen habe ich mich dennoch bei der Lektüre des “Daily Yomiuri”  beinahe an meinem Frühstücksbrot verschluckt. Am Seitenende stand in einer unscheinbaren Meldung, dass für ein Paar Cantaloupe-Melonen bei einer Auktion in Sapporo sage und schreibe 1,5 Millionen Yen bezahlt wurden. Wow, mehr als 13.000 Euro für zwei Melonen! Für verderbliche Ware also, nicht für ein Gemälde oder eine tolle Kinderzimmereinrichtung oder einen Kleinwagen. Welch ein Irrsinn. Und dann stand da noch, dass der Rekordpreis von 2008 leider nicht übertroffen werden konnte: Vor zwei Jahren berappte jemand gar 2,5 Millionen Yen (22.000 Euro) für zwei sicherlich absolut perfekt aussehende Melonen.

Was war ich froh, als ich eine Stunde später in einem der Geheimtipp-Märkte Honigmelonen fand, die im Sonderangebot waren. Nur 200 Yen habe ich für eine halbe Frucht bezahlt. Das Triumphgefühl war perfekt, als meinen Kindern abends der süße Saft das Kinn runterlief, während sie nach mehr verlangten.

Preisfrage: Kann eine Melone, die das xxxxx-fache kostet, wirklich sooooo viel besser schmecken?     

 

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Selbst-Disziplin ahoi!

Wir freien Journalisten, Freischreiber und selbstverwalteten Wortschmied-Betriebe jammern ja auch ganz gern mal (ich hab gehört, wir sind nicht die einzigen). Über vieles auch ausführlich, lange und nicht frei von Selbstmitleid (ok, jetzt rede ich nur über mich). Themen? Mannigfaltig: Verfall der Zahlungsmoral, fehlende Selbsthilfegruppen für an Schreibblock leidende Autoren, Mangel an Kinderkrippen für selbstständige Schreiberinnen … ich könnte endlos weiter machen (und, really: wieso sollen derlei Diskussionen Kollegen in der Heimat vorbehalten bleiben?) Zu kurz kommt bei all diesem Gebrumme eindeutig ein wirklich wichtiges Klagefeld: Das Lamentieren über die an jeder Ecke lauernden Attacken auf die Selbstdiziplin des Freiberuflers (kein Boss der uns in den Hintern tritt, wenn wir denselben nicht hochbekommen, etc…). Daher hole ich das lange Versäumte jetzt kurz nach:

Wie soll ein Mensch bei so einem Himmel vor der Haustür anständig arbeiten? Oder konzentriert über Themen-Exposees über Wirtschaftsmodelle des deutschen Einzelhandels in Australien brüten? Genau! Geht gar nicht. Thank god: it’s Friday! Und morgen kommt die allein, nonstop, (fast) ganz um die Welt gesegelte, 16jährige Jessica Watson in Sydney an. Da darf ich dann zum “Hero’s Welcome” (das ist ähnlich dramatisch wie wenn Papst und Obama gleichzeitig herkommen) und wenigstens legal, d.h. von Berufs wegen aufs Meer starren. Danke!    Foto: Julica Jungehülsing

 

 

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Globalisierung (Fortsetzung)

Der Gerechtigkeit wegen sei erzaehlt, dass Globalisierung nicht nur muerrisch (siehe Teil 1), sondern auch Spass machen kann. Naemlich dann, wenn die 23jaehrige Shari Chopra aus Duesseldorf nach einer Zwischenstation in Namibia im aegyptischen El Gouna am Roten Meer das kleine Restaurant ‘Le Garage – Gourmet Burger’ eroeffnet und mir heute dort den besten Burger meines Lebens servierte. Blauschimmelkaese, Walnuesse und Weintrauben auf einem Fleisch, das offensichtlich im Hamburger-Himmel gegrillt wurde. Dabei sind Burger ueberhaupt nicht mein Ding!

Das alles nebst Salat und French Fries war jeden einzelnen Piaster der umgerechnet 11 Euro wert. Leute, fuer die Hamburger ein Statussymbol sind, finden auf der Karte ‘The Golden One’ fuer umgerechnet 40 Euro: Wagyu-Rindfleisch, Foie Gras, Carpaccio aus schwarzen Sommertrueffeln plus obendrauf essbares 22-karaetiges Blattgold. Fuer den dekadenten Gesamteindruck bietet sich der Blick an auf die Luxusjachten im Hafenbecken zehn Meter vor den Tischen. Kellner, Koeche wie Chefin des ‘Le Garage’ tragen schwarze bzw. blaue Automechaniker-Overalls.

Vom Hafen zum Ortskern fuhr ich mit einem jener original pakistanischen Busse, die in El Gouna wegen ihres schrillen Bollywood-Designs angeschafft wurden, vorbei an einer Aussenstelle der Technischen Universitaet Berlin.

Nachtrag zu den Vulkan-Gestrandeten: Gestern auf der Promenade in Hurghada eine Szene der Verzweifelung. Ein deutsches Touristenpaar fuehlt sich von den aegyptischen Souvenirverkaeufern genervt, die einen dort auf Schritt & Tritt anquatschen. Ploetzlich schreit die Frau einem von ihnen auf deutsch ins Gesicht: ‘Wir warten hier nur auf unser Flugzeug! Wir wollen NICHTS … MEHR… KAUFEN!’ Offensichtlich gibt es Orte, die findet man nur ganz nett, solange man zu jeder Zeit auch weg koennte. (Liebe Esther, vielen Dank fuer den wunderbaren Thomas-Mann-Vergleich, zu hoeren auf RBB radioeins hier ab Sekunde 37.)

 

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Badische Backstub im Bom Bom Gym

Der lieben Bewegung wegen gehe ich seit kurzem manchmal in ein Sportstudio mit dem schrägen Namen Bom Bom Gym. Ich verlasse mein Bürogebäude durch den Hinterausgang und laufe zehn Minuten durch ein Armenviertel. An der Stelle, wo das Viertel langsam ins alte Kairoer Arbeiterviertel Boulaq Abul-Eila übergeht, befindet sich das Bom Bom Gym, nicht größer als zwei Wohnzimmer, mit ein paar einfachen Sportgeräten, die vielleicht in den dunklen Werkstätten des Armenviertels hergestellt wurden.

Natürlich gibt es keine Klimaanlage. Die Dusche ist auch nicht gerade ein Spa, und in der Toilette brennt kein Licht. Durch die Fenster zieht von der Straße der Dunst einer nahen Falafelbraterei. Alles sieht ein bisschen so aus, als würden im Bom Bom Gym die Kleinkriminellen der Nachbarschaft trainieren, für einen unschlagbaren Monatsbeitrag von umgerechnet acht Euro. Neulich hatte einer von ihnen ein gelbes T-Shirt mit dem deutschsprachigen Aufdruck »Badische Backstub – einfach besser…« an.

Er hatte es auf der Straße um die Ecke gekauft. In Boulaq gibt es Hunderte Straßenstände mit Billigklamotten á la Adidos und Wrengler und offensichtlich auch mit günstigen Werbe-T-Shirts. Vielleicht werden sie ja hier hergestellt. In dem Armenviertel gibt es Werkstätten aller Art, Druckereien, Bäckereien, Manufakturen für Plastikramsch etc. Neulich sah ich in solch einem Viertel, wie Halbwüchsige im Hinterhof eine selbstgebrühte braune Flüssigkeit in kleine Coca-Cola-Flaschen aus Glas abfüllten, die sie dann fachmännisch mit einem Kronkorken verschlossen. Seitdem bin ich vorsichtig, wenn ich beim Straßenhändler rasch eine Markenerfrischung kaufen möchte.

Diese Viertel sind ein Kosmos der Imitate und Täuschungen, in dem die Leute erfinderisch versuchen, ihre Welt mit jener in Übereinstimmung zu bringen, die ihnen das Satellitenfernsehen zeigt. Sie kriegen das ganz gut hin, wer will es ihnen verübeln.  Auf meinem Weg zurück vom Bom Bom Gym sehe ich, wie scharfkantig die Welten aufeinandertreffen. In der letzten langen Gasse des Armenviertels laufe ich auf mein Bürogebäude zu. Es ist Teil einer Hochhauszeile, hinter bzw. vor der das funkelnde Kairo beginnt. Auf der Vorderseite an der Nil-Promenade gibt es einen Radio-Shack-Laden mit modernster Heimelektronik, gleich südlich daneben das Hilton Ramses Cairo, 36 Stockwerke Luxus. In einem Kino kann man »Avatar« in 3D gucken. Das Ticket kostet so viel, wie ein Arbeiter in drei Tagen nicht verdient.

Ich laufe also – meistens nach Einbruch der Dunkelheit – direkt auf diese Hochhauszeile zu, zwischen den geduckten Katen des Armenviertels hindurch. Die Bürofenster in den Hochhäusern sind um diese Zeit alle dunkel. Die Gebäudezeile sieht aus wie eine riesige, trennende Kulissenwand. Nur am Lichtschein rund um die Rückseite der Neonreklametafeln auf den Dächern kann man erkennen, dass da vorn eine andere Welt existiert. Von hier hinten aus betrachtet erscheint einem die funkelnde Welt vorn wie eine künstliche Theaterdekoration, wie eine Täuschung, auch wenn es dort echte Produktoriginale gibt und keine Markenimitate, auch wenn die Welt dort einem vertraut vorkommt und nicht fremd, wie das Armenviertel hinter der Hochhauskulisse.

Denn drei von vier der 18 Millionen Kairoer, also die meisten, leben in einem jener ärmlichen Viertel – und nicht in dieser funkelnden Täuschung, die Kairo ja auch ist. Es kommt – wie immer – nur drauf an, von wo man guckt.

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Adrià macht Pause

Vor ein paar Tagen hat Kataloniens Weltstar Nr. 1, der Koch Ferran Adrià (keinen Einspruch bitte!), eine zweijährige Auszeit angekündigt. 2012 und 2013 macht er Pause vom El Bulli, das noch immer – und schon seit Jahren – als bestes Restaurant der Welt gilt. Dpa begann die entsprechende Meldung mit dem Satz „Für Gourmets aus aller Welt ist es ein Schock“.

Da musste ich an mein erstes Gespräch mit Adrià vom Herbst 2005 zurückdenken, für die Zeit-Serie „Ich habe einen Traum“. Damals sagte Adrià, kaum war die Frage nach seinem Traum gestellt, wie aus der Pistole geschossen: „Ich will mit allem aufhören.“ Ganz so wollte er das dann doch nicht gemeint haben. Aber es war deutlich der Druck zu spüren, der auf ihm lastete – nach mehr als einem Jahrzehnt voller Erfindungen und Umstürze in der Avantgardeküche, die von seinem Restaurant ausgegangen waren und die ihn selbst meist ebenso faszinierten wie seine Gäste. Würde er nun jedes Jahr mindestens eine revolutionäre neue Technik aus dem Hut zaubern müssen?

Ich habe seitdem noch vier oder fünf Mal länger mit ihm zusammengesessen. Ich war zweimal im El Bulli zu Gast und habe außerdem ein El-Bulli-Retromenü im von Adrià betreuten Hotel Hacienda Benazuza gegessen (immer wieder fiel mir dabei der Spruch eines Gastronomie-Autors ein: „Man muss schon eine Menge Kaviar essen, um sich seine Linsen zu verdienen“). Ich bin ein großer Adrià-Fan, auch weil sich der Chef immer noch selbst über seinen phänomenalen Aufstieg wundern konnte. Und gerade als Fan muss ich sagen: Die Auszeit – ein Schock? Im Gegenteil. Ich freue mich, dass Adrià nun tatsächlich die Kraft (und das Geld) gefunden hat, mit seinem Traum ernst zu machen. Es war sicher für seine Gesundheit eine weise Entscheidung.

Aus gegebenem Anlass – ähem – hänge ich hier noch einen Artikel über meinen El-Bulli-Besuch 2008 an, den ich vor eineinhalb Jahren für ein deutsches Gourmetmagazin geschrieben habe. Er sollte Teil eines Dossiers über die sogenannte Molekularküche und deren chemische Abgründe sein, das dann nie zustande kam. Insofern: ein Erstabdruck.

And it goes like this:

Ein Abend im El Bulli beginnt nicht mit dem Blick in die Karte, sondern mit einem Blick hinter die Kulissen. Noch bevor man Platz nimmt, wird man zur Stippvisite in die Küche geleitet, darf einmal die blitzenden Anlagen besehen und dazwischen die herumwieselnden Köche. Ferran Adrià begrüßt jeden Gast und und hält, wenn gewünscht, auch kurz für ein Erinnerungsfoto still. Offener kann ein Empfang kaum sein.

Das Menü, andererseits, könnte kaum geschlossener sein. Der Gast hat keine Wahl (nur auf Unverträglichkeiten darf er hinweisen). Gegessen wird, was der Küchenchef für richtig hält. Man muss sich überraschen lassen. Erst im Nachhinein gibt es ein Faltblatt mit der Speisenfolge – als Gedächtnisstütze zum Mitnehmen. Die freie Entscheidung jedenfalls, dieses oder jenes zu ordern, die tritt man im El Bulli ab. Niemand beschwert sich darüber. Denn hierher kommt man ohnehin nicht, um gepflegt nach eigenem Gutdünken Essen zu gehen. Man will sich ja überraschen lassen. Und Überraschungen bestellt man besser nicht à la carte.

Das Menü hebt allem Anschein nach mit dem klassischen regionalen Dessert an, einer Crema Catalana. Bis die Zunge diesen Eindruck korrigiert: Tatsächlich löffelt man gerade einen Begrüßungs-Cocktail aus Zitrone, Joghurt und Gin. So beginnt ein knapp vierziggängiges Spiel mit Assoziationen, Erwartungen, Wiedererkennungs-Effekten und falschen Fährten, das über mehr als drei Stunden hinweg die Aufmerksamkeit des Gastes fast vollständig in Anspruch nimmt. Zum möglichst „ganzheitlichen“ Genuss all der Kleinigkeiten, die am Tisch anlanden, braucht man bei weitem nicht nur einen erfahrenen Geschmacks- und Geruchssinn. Auch die Augen müssen wachsam sein, das Gehirn bekommt zu tun, die Fingerspitzen sollten sensibel sein und hoffentlich hat man obendrein Humor. Sind so weit alle Elemente zu Hochtouren in der Lage, dann steht einem einzigartigen Abend wenig im Wege.

Dabei gibt es in diesem Jahr gar keine spektakuläre Neuerung zu präsentieren. Die wahrhaft bahnbrechende Zeit des El Bulli liegt bald ein Jahrzehnt zurück. Einige Techniken aus Adriàs „Labor“ haben sich längst popularisiert. Und einen neuen, etwa der „Sferificacíon“ vergleichbaren Clou fährt der Chef diesmal nicht auf. Aber es wäre natürlich völlig falsch, die Originalität des Bulli-Menüs an solche Neuerungen zu ketten. Der Gast im Saal vermag einen komplexen experimentellen Geniestreich ohnehin nur selten direkt zu würdigen. Dass ein Tomatenkeks aus der Snack-Parade des ersten Menü-Teils zum Beispiel ganz ohne Mehl auskommt, mag eine technische oder chemische Innovation bedeuten. Dem Esser nützte diese Information kaum, weshalb die Bedienung sie für sich behält. Der „molekulare“ Aspekt der Küche bleibt damit im Grunde aus dem Essenssaal verbannt.

Für den Gast zählt etwas anderes. Ihm kommt es auf die „Chemie“ und den Tanz der Moleküle eher in einem übertragenen Sinn an. Und in diesem Sinn ist das El Bulli auch im Jahr 2008 eine euphorisierende Erfahrung. Natürlich überzeugt nicht jede Kleinigkeit. Aber das Menü im großen Bogen ergibt doch so etwas wie ein sinnliches Gesamtkunstwerk. Der japanische Einfluss in Adriàs Küche scheint stärker zu werden, vom gefalteten Nori mit Schwarzer-Sesam-Butter über die Shiso-Praline bis hin zur Kombination von Abalone mit Shimenshi-Pilzen. Trotzdem bleiben die charakteristischen Züge der Bulli-Küche bestimmend: Die meisten Gerichte werden kalt gegessen. Entschieden kauen muss man nie. Auch auf Messer wird verzichtet; alles lässt sich entweder bequem mit der Hand oder mit Löffel und Gabel (meist im Kleinformat) verspeisen. Die Trennung zwischen süß und salzig gilt nur noch wenig: Eine gegrillte Erdbeere mit Holzkohlenaroma wird ebenso gereicht wie Kaviar an Kokosmilch; besonders minimalistisch: die „LYO-Sahne“, ein Brocken liophilisierter saurer Sahne, gekrönt von einem Tupfer süßer Sahne. Meeresfrüchte gelten mehr als Fisch: Dafür stehen die Schwertmuschel mit Gelatine aus Dashi und Yuzu ebenso wie die Entenkammmuscheln im Fond aus Foie mit Eiskraut und schwarzen Trüffeln. Geschmähte Fleischstücke gelten mehr als gefeierte: Das sieht man an der Kalbssehne in Estragonbrühe, an der Suppe aus Knochenmark oder an der Speicheldrüse vom Ibérico-Schwein mit Shitake-Pilzen und Siempreviva-Kaktus; besonders gewagt kamen Meeres- und Landgetier bei der Seeanemone mit Austern und Kaninchenhirnen zusammen (siehe oben).

Natürlich bleibt es im Kreuzfeuer der Einfälle, Arrangements und Montagen eine entscheidende Frage, ob das Essen schmeckt und wonach. Und doch büßt die Geschmacksfrage etwas von ihrer üblichen Übermacht ein. Denn irgendwann gelangt man im Zusammenspiel aller Elemente auf eine Art zweite Erfahrungs-Ebene. Auf der ist das Essen nur noch das zentrale Element einer weiterreichenden Erfahrung, die vom Glück des Flüchtigen handelt und vom Versuch, es zu fassen zu kriegen. Mag sein, dass Adrià diese Ebene nicht geradewegs ansteuert; mag sein, dass viele Gäste, je nach Zerstreutheit oder Begleitung, sie gar nicht wahrnehmen. Aber es gibt sie. Sie wird zum Beispiel spürbar in den zahlreichen Blüten (und Blättern) des Menüs. Nie sind sie bloße Dekoration. Mitunter spielen sie sogar die Hauptrolle, etwa in der – nachgebauten – Orchidee aus Passionsfrucht zu Beginn (siehe erstes Bild), später im „Seerosen“-Teller oder in der „Herbstlandschaft“ (siehe links) zum Dessert. So werden sie zu einem Leitmotiv, dessen Doppelsinn sich auch anderswo findet, nicht zuletzt bei jenen besonders flüchtigen Texturen wie Airs und Schäumen, denen die Zunge fast schon im Moment des Erstkontakts nachhaschen muss. Auch das Zarte mancher Zubereitungen, über die man sich nur vorsichtig und unter liebevoller Anleitung beugen mag, unterstützen den Eindruck. Und schließlich das „Geschirr“, das mithilfe von Chrom und Draht den Eindruck von fragilen Materialien wie Papier und Gaze erweckt.

Ein Essen im El Bulli ist ein Essen. Und ist zugleich eine vielstimmige Feier des Flüchtigen. Ist eine existenzielle Metapher, heraufbeschworen von einer unvergleichlichen kulinarischen Inszenierung. Diese zweite Ebene muss es gewesen sein, die Adrià seine Nominierung zur Documenta einbrachte. Sie ist ein Additiv, das auf keiner Liste vermerkt wird und dessen komplexe Struktur noch kaum erforscht ist.

 

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Capital of Cool

Neulich ist es schon wieder passiert. Ich saß in dem frisch renovierten Büro eines Chefredakteurs einer Berliner Zeitung und musste diesen mitleidigen Blick über mich ergehen lassen. Wie ich es ertrüge, statt in New York nun in Berlin zu leben, wollte er wissen. Diese Frage ist mir in den vergangenen Wochen gefühlte 500mal gestellt worden – und immer noch macht sie mich so fassungslos wie beim ersten Mal. Sie basiert auf so vielen falschen Annahmen, dass sie sich kaum beim Small talk beantworten lässt. Also brummle ich meistens etwas Belangloses und verabschiede mich mit dem festen Vorsatz, mir eine deftige Strafe auszudenken für den nächsten, der dasselbe wissen will.

Ein Arbeitsweg, der nur mit den G-Train zu bewältigen ist, wäre etwa ein schöner Anfang. Der G-Train verbindet Brooklyn mit Brooklyn und gehört garantiert zu den meist gehassten U-Bahnverbindung der Stadt, weil sie entweder super langsam ist oder gar nicht fährt. Noch schöner allerdings wäre es, die Fragesteller in den drei Wohnungen hausen zu lassen, für die ich in den vergangenen sieben Jahren knapp 140.000 Dollar Miete gezahlt habe. Am liebsten im Winter.

Da wäre dann zum Beispiel das WG-Zimmer, dessen Fenster ich mit Folie bekleben musste, um von November bis März die Innentemperatur auf einem erträglichen Maß zu halten. Beim Renovieren unseres zweiten Schlafzimmers beschwerten wir die Malerfolie notgedrungen mit Gewichten, weil der kalte Wind aus den Ritzen im Fußboden sie davon wehen wollte. In der dritten Wohnung konnte man im Winter seinen eigenen Atem sehen und wurde nachts davon wach, dass das Kondenswasser einem von der Decke direkt auf die Stirn tropfte.

Lehrreich wäre auch ein Gang zum Department of Motor Vehicles, von dem man nach zwei Stunden des Wartens mit der Erkenntnis nach Hause geschickt wird, dass man noch ein weiteres Papier und noch einen anderen Stempel braucht. Ohne wenigstens drei Anläufe ist es mir nie gelungen, beim DMV etwas zu erledigen. Gerne erinnere ich mich auch an meinen Versuch, die Brooklyn Bridge zu fotografieren, der mit einer halbstündigen Vernehmung durch das FBI endete. Die Akte, die dort inzwischen über mich existiert, würde ich gerne mal sehen. Wem also die Stasi fehlt, der sollte sich eine Weile in New York versuchen.

Die größte Strafe für Berliner wäre aber wahrscheinlich, wenn sie einem New Yorker erklären müssten, was ihre eigene Stadt eigentlich so liebenswert macht, dass sie in Amerika stets mit Verklärung in der Stimme von ihr sprechen. Und dabei sollen sie ohne den Artikel auskommen, in dem das „Time Magazine“ gerade die deutsche Hauptstadt als „Europe´s Capital of Cool“ anpreist.

Anyway, all das ging mir durch den Kopf, als ich in dem Zimmer des Chefredakteurs saß, das so weitläufig war, dass es in New York als Luxus-Studio durchgegangen wäre. Mit Zentralheizung, Isolierglasfenstern und einer mehr oder minder großzügigen Aussicht noch dazu. Natürlich.

 

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Paris kurz vor Weihnachten

Während die Metrostationen überquellen…

 

 

 

 

 … bietet das Luxus- und Palasthotel Plaza Athenée für seine kleinen Gäste einen eigene Schlittschuh-Bahn an. Die Kinder reicher Hotelgäste müssen sich also nicht auf den öffentlichen Eisplätzen wie am Hôtel de Ville Schlange stehen. 

    

  

 

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Schneit's in Australien?

Der trockenste (bewohnte) Kontinent und der flachste der Welt? Genau: Australien. Nicht gerade ein Snowboarder- und Ski-Paradies? Falsch.
Weil jeder Mensch können müssen darf, was jeder gerne will, kann auch der Australier im Winter auf Brettern Berge runter fahren. Koste es was es wolle (s.u.). Die Skisaison dauert offiziell von Anfang Juni bis Oktober, und in der Zeit fährt “man” in the snow. Ist keiner da, wird welcher gemacht. Hauptskigebiet sind, logisch, die Snowy Mountains zwischen Neusüdwales und Victoria mit Gipfeln um 1600 Meter. “LiveCams” sagen uns, die wir in T-Shirts in Strandnähe sitzen, wie’s dort um den Schnee bestellt ist. Für die nächsten Wochen versprechen sie Schnee-”Höhen” zwischen 7 und 19 Zentimetern. So richtig juckt das die Australier nicht. Sie fahren trotzdem ‘in den Schnee’, und zahlen dafür. Letztes Jahr verkauften Australiens zehn Ski-Resorts etwas mehr als zwei Millionen Tagespässe. Und die kosten mehr als in der Schweiz. Wer glaubt, St. Moritz sei teuer (Tageskarte Hauptsaison 67 CHF/ 41 €), sollte mal Perisher Blue ausprobieren. Das ist zwar weder so hoch noch so steil oder anspruchsvoll wie das Engadin, nimmt aber 98 australische Dollar (60 €) am Tag. In Thredbo, Falls Creek und Mount Hotham ist man ebenfalls mit knapp einem Hunderter dabei. Kein Wunder eigentlich, Perisher hat diesen Sommer 9,75 Mio $ (5,8 Mio €) für bessere Kunstschnee-Wasser-Anlagen und 34 neue Schneekanonen ausgegeben. Die müssen natürlich wieder reinkommen. Manchmal denke ich, wir haben hier unten eigentlich gar keine Wasserprobleme oder Dürren, Strom kommt sowieso aus der Steckdose und Öl kaltgepresst aus der Toskana.

 

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Die beste Currywurst…

…zwischen Berlin und Bangkok macht noch immer Boris, Chef des Lapis Lazuli Guesthouses in Kundus. Danke Boris, dass Du seit fünf Jahren einen entscheidenden Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans leistest, auch wenn dieser von den Afghanen (wie inzwischen einiges) nicht geschätzt wird!

 

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Impressionen von den Pariser Modeschauen 3

Was haben Mode und ein Staubsauger gemein? Nichts. Falsch gedacht! Auf den Pariser Modeschauen tat sich Designer Dai Fujiwara vom Modehaus Issey Miyake mit dem Staubsauger-Tüftler James Dyson  zusammen. Das Ergebnis der Kooperation war eine ziemlich windige Sache. Unter dem Titel "The Wind" durfte sich die Front-Row wie bei einem Haarspray-Test fühlen (Sitzt die Frisur noch?), während die hinteren Reihen auf sich bewegende Mammut-Staubsaugerschläuche blickten. Das Spektakel hatte trotzdem was.

 

 

 

 

 

 

 

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Impressionen von den Pariser Schauen: All blacks

In Paris prallen derweil zwei Welten aufeinander: die Rugby-Fans der WM (www.france2007.fr) und die Fashion-Fans der Modewoche. Doch wie man sieht, sind sie sich gar nicht zu unähnlich. Alle sind ganz in Schwarz. Siehe die neuseeländische Mannschaft All Blacks – und die Dior-Gäste…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Impressionen von der Pariser Modewoche

 

 

 

 

Die Frisur von Julia Timoschenko beim japanischen Designer Mina Perhohnen.

 

 

 

Fashion in the box beim deutschen Designer Bernhard Willhelm.

 

 

 

 

 

Magersüchtige Models? Ist uns doch wurscht. Bei der spanischen Designerin Estrella Archs.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Sex im Weltall

Haben Sie schon einmal Kokusnuss-Brandy von den Malediven getrunken? Wahrscheinlich nicht, denn die Flasche wird derzeit für eine Million Dollar angeboten – zusammen mit einem Besuch in der Destillerie und Unterkunft in einem Fünf-Sterne-Ressort. Das Ganze ist eine Werbemaßnahme. Wenn das Getränk im Herbst dieses Jahres auf den indischen Markt kommt, wird es vermutlich ein bisschen billiger sein.

Willkommen in der Welt der Neureichen Indiens! Frisch gegründete Lifestyle-Magazine namens „Envy“ oder „Spice“ überschlagen sich derzeit auf dem Subkontinent mit Tipps für Neo-Millionäre, wie sie ihre frisch erworbenen Rupien wieder ausgeben können: Sex im Weltall gehört ebenso dazu wie ein vergoldeter Grill. Nicht zur vergessen: Wein und Spargelessen – sündhaft teuer und den meisten Indern unbekannt. Dabei verdienen auch die Medien nicht schlecht: jeder Verlag hat inzwischen eine Lifestyle-Beilage. „Vogue“ will Ende des Jahres mit einer eigenen Ausgabe herauskommen.

Für das Land Mahatma Gandhis ist das ein völlig neues Phänomen. Bisher übte sich die Mittelklasse in Bescheidenheit. Geld wurde gespart, um den Kindern eine Ausbildung zu finanzieren und höchsten bei deren Hochzeit unter die Leute gebracht. Linke Publizisten betrachten den zur Schau gestellten Reichtum daher als Perversion in einem Land, in dem noch immer 80 Prozent der Menschen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen.

Die Journalistin Madhu Trehan etwa wirft ihren Hochglanzkollegen vor, „Gehirnwäsche“ zu betreiben, damit „die Menschen Dinge kaufen, die sie nicht brauchen.“ Der Werbefilmer Prahlad Kakkar hingegen analysiert kühl. „Diese Magazine bereiten den Markteintritt von Marken wie Dolce & Gabbana, Hermès und Gucci vor.“

In der Tat ist Indien mit einem Wirtschaftswachstum von neun Prozent ein riesiger Markt. Nach einem Bericht von Time Asia, verdienen 1,6 Millionen Haushalte in Indien rund 100.000 Dollar im Jahr und geben ein Zehntel davon für Luxusgüter aus. „Die Leute haben mehr Geld zur Verfügung. Warum sollten sie es nicht ausgeben dürfen?“, fragt A.D. Singh, Besitzer des Luxusrestaurants „Olive“ in Neu-Delhi.

Ja, warum eigentlich nicht? Es gehörte zu den sympathischen Seiten Indiens, dass die Kluft zwischen Arm und Reich für ein Entwicklungsland relativ klein war. Die hitzige Diskussion über die Lifestyle-Magazine ist ein kleiner Rest des Gandhi’schen Ethos. Er ist vom Aussterben bedroht.

 

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Der Tod auf dem Teller

 

 

Man weiß ja, dass Feinschmeckern Exklusivität so wichtig ist wie Geschmack. Da frühere Statussymbole wie Trüffelhobel und französische Austern inzwischen sogar in Studentenhaushalten auftauchen, ist es für Gourmets schwerer geworden. Wer Feinschmecker sein will, braucht heute Todesmut. Kürzlich war ich bei meinem spanischen Freund Juan eingeladen, einem langjährigen Restaurantkritiker. Es sollte ein besonderer Abend werden. „Ich weiß, wo wir Fugu bekommen können“, sagte Juan ein paar Tage vor unserer Verabredung am Telefon. Er klang sehr aufgeregt.

Fugu ist eine japanische Delikatesse, lernte ich, außerhalb Ostasiens nur Insidern vorbehalten, die über gute Kontakte zu japanischen Restaurantbesitzern verfügen. Fugu ist hochgiftig. In vielen Ländern ist der Fisch verboten. Bei falscher Zubereitung stirbt man innerhalb von 24 Stunden. „Der Fugu kommt mit dem Flieger direkt aus Japan“, sagte Juan. Ich schlug im Lexikon nach. Fugu heißt auf Deutsch Kugelfisch. Seine Organe enthalten ein Gift, das 1000 Mal stärker ist als Cyanid. In „Liebesgrüße aus Moskau“ überlebt James Bond knapp den Fugu-Anschlag eines russischen Exekutionskommandos.

Ein kleiner falscher Schnitt kann den ganzen Fisch vergiften. Es gibt in Japan nur ein paar hundert Fugu-Köche. Sie müssen eine spezielle staatliche Lizenz mit theoretischer und eine praktischer Prüfung erwerben. Man muss ein Führungszeugnis der Polizei vorlegen. Die Fugu-Reste werden in Spezialbehältern entsorgt, wie Giftmüll.

Juan ist vor zwei Monaten Vater geworden. Seine Frau Christina werde den Fisch nicht probieren, hatte er gesagt. „Wer soll sich denn um unsere Kleine kümmern, falls wir beide sterben?“ Er meinte das ernst.

Das Abendessen: Kerzenlicht, Weißwein, vorweg eine Suppe. Dann servierte Juan das Hauptgericht. „Hier kommt der Tod“, sagte er. Lachen, Nervosität. Der Fugu kam auf einem flachen Teller, Muskelfleisch in dünnen Scheiben. Wir aßen langsam und mit Stäbchen. Das Fleisch war von synthetisch-elastischer Konsistenz und so schmeckte es auch. Im Gesichtsausdruck der anderen Gäste konnte ich erkennen, dass auch sie den Höhepunkt des Festessens als Gummihappen erlebten. Keiner traute sich in dem Moment, das offen auszusprechen. Was für ein fantastischer Fisch! Juan glaubte, im Mund ein leichtes Taubheitsgefühl zu spüren. Auch das Fleisch enthalte noch Spuren des Gifts. Aber das war vielleicht nur eine Einbildung.

Ich kann rückblickend nicht sagen, dass mir das importierte Gummi-Giftfleisch besser geschmeckt hat als Hering oder Tunfisch. Aber nur beim Genuss von Fugu spürt man dieses eigenartige Gefühlsgemisch aus Adrenalin, Angst, Erleichterung, Todesmut und Draufgängertum – Russisches Roulett zum Hauptgericht. Für den Fisch ist das traurig: Eigentlich sollte das Gift ihn schützen. Heute wird er nur deshalb verspeist. Unser japanischer Fugu-Dealer hatte uns mit dem Fisch auch ein Geschenk geliefert: vier weiße T-Shirts mit dem fettgedruckten Schriftzug „Ich habe Fugu überlebt.“ Das neue Statussymbol der Feinschmecker.

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