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“Ausgeschlossen” – Buchpräsentation in Berlin

„Wir dachten eigentlich, die Zeit der Mauern wäre vorbei. Stattdessen haben wir bei unserer Recherche festgestellt, dass sie heute wieder das politische Mittel der Wahl sind: 60 neue Grenzzäune und Mauern sind seit 1990 errichtet worden. Zur Zeit des kalten Krieges waren es nur 19″, sagt Marc Engelhardt, Herausgeber des neuen Weltreporter-Buches „Ausgeschlossen – eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen, Abgründen“. Gemeinsam mit Bettina Rühl (Kenia), Anke Richter (Neuseeland) und Wolf-Dieter Vogel (Mexiko) diskutierte er gestern in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin mit dem Publikum darüber, warum nicht nur Trump und Orban den Mauern-Trend bestimmen, dass viele Zäune Grenzverkehr und Schmuggel erst noch verstärken und warum manche Abgrenzungen auch Positives bewirken.

 

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12. 12. Genfer “marmites”: So sterben die Feinde der Republik

Knapp zwei Wochen vor Weihnachten wird in Genf ordentlich gefeiert: Denn in der Nacht zum 12. Dezember rettete eine einfache Marktfrau ihre Heimatstadt vor den angreifenden Savoyarden. Die hatten sich im Dunkel der Nacht angeschlichen, um Genf zu erobern. Es war 1602. Alles schlief, nur eine wachte: (mehr …)

 

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Tageszeitung montags geschlossen

Es ist Montagmorgen. Ich krame in meinem elektronischen Briefkasten nach der Tageszeitung. Den Courrier habe ich abonniert, weil er das Versprechen “l’essentiel autrement” – das Wesentliche anders erzählt – jeden Tag aufs Neue einlöst. In Genf, der drittteuersten Stadt der Welt, berichtet nur der Courrier etwa von der wachsenden Bewegung des “Freeganisme” – von denjenigen also, die aus wirtschaftlichen wie aus ideologischen Gründen in den Müllcontainern der Supermärkte das ‘ernten’, was die Konsumgesellschaft weggeschmissen hat. Von den Rentnern, die ihre Geburtsstadt wegen der hohen Mieten verlassen müssen. Und vom Irrsinn der Pläne, einen guten Teil der Genfer Altstadt abzureißen, um den Bahnhof zu erweitern. Allerdings sind solche Nachrichten nicht einmal 8.000 Genfern (und Westschweizern generell) 2,70 Franken am Tag wert.

Immer wieder wird orakelt, dass der Courrier nicht mehr lange zu leben hat. Und an diesem Montagmorgen scheint es so weit zu sein: kein Courrier. Ich checke bei Google, ob im Waadtland (ein Teil der Redaktion sitzt in Lausanne) Feiertag ist – in der Schweiz wie beinahe alles kantonal geregelt. Fehlanzeige. Gedankenverloren schaue ich auf die Ausgabe vom vergangenen Samstag. Und sehe auf einmal diesen kleinen Hinweis auf der Titelseite:

courrier

Wie jeden Sommer seit 2001, heißt es da, erscheint der Courrier bis Ende August am Montag nicht. Als Sparmaßnahme. Ein paar Hefte vorher war auf einer Seite die Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres abgedruckt: 106.801 Franken Miese. Für 2013 ist schon in der Planung ein Defizit von fast 11.000 Franken prognostiziert. Doch anders als die Zeitungen der großen Medienholdings, die in der Schweiz den Markt weitgehend unter sich aufgeteilt haben, spart der Courrier nicht an den Autorengehältern. Es gibt keine Entlassungswelle, und Freie werden so bezahlt wie früher auch schon – nicht üppig, aber immerhin. Stattdessen ist meine Genfer Lieblingszeitung zwei Monate lang montags geschlossen.

Während die Kaffeemühle surrt und der zweite Kaffee des Tages in die Tasse läuft, denke ich: irgendwie ist das okay so. Lese ich heute halt ein Buch.

 

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Mein Schweizer Konto

Ich gebe es zu: auch ich habe ein Schweizer Bankkonto. Seine Nummer ist neunstellig, das Guthaben leider nicht. Auch deshalb habe ich mein Konto nicht bei einer der zahlreichen renommierten Schweizer Privatbanken wie Vontobel, Pictet oder Julius Bär eröffnet, sondern bei der Raiffeisen-Bank Genf-West. Das Verfahren, um ein Konto zu eröffnen, war bislang hie wie dort aber gleich: bei der Kontoeröffnung wird nach dem Personalausweis gefragt. Dass ich Steuern zahle, war meiner Bank egal.

Heute wäre das wohl anders. Denn inzwischen häufen sich Berichte darüber, dass Ausländer ihrer Schweizer Bank nachweisen müssen, dass das auf ihrem Konto befindliche Geld versteuert ist: “Weißgeldbeweis” nennt sich das. Während eine Mehrheit im Schweizer Parlament bis heute für das Schweizer Bankgeheimnis streitet, als wäre es Teil des älplerischen Gründungsmythos, führen viele Banken den so umstrittenen automatischen Informationsaustausch einfach selber ein. Selbst alten Kunden würden im Fall fehlender Kooperationsbereitschaft die Konten gekündigt, lässt die Großbank Credit Suisse verlauten. Die Steuererklärung allein genügt nicht – Kunden auch bei anderen Banken, vor allem solche mit großen Vermögen, müssen einem Informationsaustausch zustimmen. Die Angst ist groß, auf der nächsten Steuer-CD zu erscheinen.

Handfeste Folgen hat das für einen amerikanischen Bekannten, der seit ein paar Monaten in der Schweiz lebt. Dass sein Konto durchleuchtet wird, kann ihm nicht passieren – er bekommt nämlich erst gar keines. Als Amerikaner sei man unerwünscht, gaben ihm Angestellte gleich mehrerer Banken zu verstehen – denn die US-Steuerbehörde verhängt pauschale Strafsteuern für Banken, die sie nicht umfassend mit Daten versorgen. Um diese Strafen zu umgehen, verzichten viele Banken lieber ganz auf die Kunden aus Amerika – und immer mehr Amerikaner auf ihren Pass: mehrere hundert Amerikaner, die auch den Schweizer Pass besitzen, sollen im vergangenen Jahr auf die US-Staatsbürgerschaft verzichtet haben.

Meinem verzweifelten Bekannten bleibt jetzt noch die Schweizer Post – die einzige Bank, die jedem ein Konto gewährt, zuletzt etwa auch Wikileaks-Gründer Julian Assange. Dessen Guthaben ist allerdings seit einiger Zeit gesperrt. Wegen angeblicher Formfehler hatte der Finanzdienstleiter der Post persönlich Assanges Konto eingefroren. Ein bisschen Risiko bleibt also bei jeder Bank.

 

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Was soll nur aus Vater und Mutter werden?

 Die Stadt Bern, so war kürzlich zu lesen, zieht alle Fussgängerstreifen aus dem Verkehr. Zum Glück aber müssen keine Markierungen von den Strassen gekratzt werden, auch künftig können die Berner und Bernerinnen auf den speziell gekennzeichneten Flächen die Strasse sicher überqueren. Diese Orte sollen ab sofort “Zebrastreifen” statt “Fussgängerstreifen” heissen, denn das ist geschlechterneutral und damit absolut politisch korrekt. Die Stadtverwaltung hat ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen, im Amtsdeutsch künftig auf neutrale Formulierungen zu achten.

Die Schweiz hält ihre Neutralität seit Jahrhunderten hoch, jetzt soll auch die Sprache geschlechterneutral werden. Was auf die Berner zukommt haben die Winterthurer schon lange. Dort wird seit bald zehn Jahren auf politisch korrekte Sprache geachtet. In Winterthur heisst es nicht mehr “Anfängerkurs” sondern “Einstiegskurs”, und kein Mitarbeiter und keine Mitarbeiterin käme mehr auf die Idee, in einem “Benutzerhandbuch” nachzuschlagen, denn es gibt ja auch das “Bedienungshandbuch”.

Natürlich fragen sich nun Spötter (und Spötterinnen?), ob da nicht gerade wieder mal Steuergelder sinnlos verprasst werden, und ob sich Frauen durch “Fussgängerstreifen” tatsächlich diskriminiert fühlen.

Tatsächlich aber schreibt auch ein drei Jahre altes Bundesgesetz vor, dass in der Schweiz künftig in Formularen Neutralität zwischen Frau und Mann gewahrt werden muss. Wer ein Auto fahren will, braucht dafür qua Gesetz einen “Fahrausweis” und eben nicht den “Führerausweis”. Eine geschlechterneutrale Sprache ist, wie man – Verzeihung, wie Lesende lesen können, gar nicht so schwierig. Schreibende müssen sich nur daran gewöhnen. Es gibt sogar einen 192-Seiten langen Leitfaden, damit sich alle Beamten und Beamtinnen auf sprachlich und politisch korrekten Terrain bewegen können.

Seltsamerweise wird dort auch empfohlen, “Mutter” und “Vater” durch “Elternteil” oder gar “das Elter” zu ersetzen. Hm, das scheint ein wenig zu weit zu gehen, oder? Und was machen nun wir zum Beispiel mit “Staubsauger”, “Waschmaschine”, “Büstenhalter” oder der “Trinkerleber”. Hoffentlich kümmert sich jemand darum. Bitte um Formulierungsvorschläge…

 

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Wie gföhrlich isch Schwyzertütsch?

Gföhrlich? Naja, en Westschweizer Parlamentarier hät neulich sinngmäss gseit, das Schwyzertütsch oder vielmeh de vmehrti Gebruch vo Schwitzer Mundart es Probläm seg, wil die Schwitzer, wo das nüd chönnt, also d’ Romands und d’ Tessiner, nümä drus chömet, was di meinet, wo Schwyzerdütsch schwätzet. Somit seget die, wo nüt Schwyzerdütsch chönnt, usgeschlosse von denne, wo ebbe Mundart schnurret. Daher sig’s Schyzertütsch hüt es nationals Problem.

Ein Riss geht durch die Schweiz, der sogenannte Röstigraben. Das heisst, eigentlich gibt es den schon seit langem, nämlich seit dem Bestehen der Schweiz: Der Röstigraben, so heisst die Sprachgrenze, die die Deutschschweiz vom Welschland, also von den französischsprachigen Schweizern – auch Romands genannt – trennt.

Das Leiden der Westschweizer am Schwyzertütsch ist nichts Neues. Und eigentlich können die Welschen dem neutralen (deutschen) Beobachter auch Leid tun. Da mühen sie sich jahrelang in der Schule damit ab, ein einigermassen passables Deutsch zu lernen und kaum wollen oder müssen sie es im Kontakt mit ihren Deutschschweizer Landsleuten anwenden, so fliegt ihnen eine der zahlreichen Varianten vom Schwyzertütsch um die Ohren. Frustrierend für Jean oder Pierre, denn Reto und Urs reden nun mal grundsätzlich lieber in ihrer Muttersprache und die hat mit der Sprache Schillers, der den Schweizern immerhin zu ihrem Nationalhelden Tell verhalf, nun nicht viel zu tun.

Meine Westschweizerische Schwiegermutter, die seit Jahren im Thurgau lebt und deutsch mit deutlich französischem Akzent spricht, würde vermutlich – wenn sie denn nur wollte – inzwischen perfekt Schweizerdeutsch reden, weigert sich aber beharrlich: “Diese Barbarensprache lerne isch nischt.”

Das Schweizerdeutsch als unverständliche Halskrankheit bereitet also nicht nur dem gemeinen Gerd aus Gelsenkirchen, der zugereist ist und nun sein Geld in Franken verdient Probleme, sondern auch der grössten Sprachminderheit im eignen Land.

Es ist ein helvetisches Paradox: Die erste Landessprache Deutsch gilt für keinen Eidgenossen als Muttersprache, sondern für die Welschen wie auch für die Deutschschweizer als Fremdsprache. Und nicht wenige Deutschschweizer, die wiederum jahrelang Französisch gepaukt haben, versuchen, das Französische partout zu vermeiden. Oder noch schlimmer: Sie müssen sich, wie im Fall meines Deutschschweizerischen Schwiegervaters auf Familienfesten in der Westschweiz wegen schlechter Aussprache und kleinen Fehlern von der welschen Verwandtschaft auch noch auslachen lassen.

Glücklicherweise führen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede im Schmelztiegel Schweiz nicht zu jugoslawischen Verhältnissen, sondern allenfalls zu Debatten in den Feuilletons, wie erst kürzlich von dem oben erwähnten welschen Nationalrat (Parlamentarier), der eben fürchtet, dass Erstarken der Deutschschweizer Dialekte ein nationales Problem sei.

Das spätestens seit dem letzten Weltkrieg erstarkte Schweizerdeutsch ist sicher auch eine Art geistiger Teil der Landesverteidigung gegenüber dem “grossen Kanton” im Norden und heute auch gegenüber den vielen Gerds und Jürgens, die es seit längerem schon in die Schweiz zieht.

Ein wirkliches Problem aber ist das Schweizerdeutsche nicht. Wenn’s drauf ankommt, haben sich die Eidgenossen noch immer verstanden – notfalls reden Westschweizer und Deutschschweizer halt Englisch miteinander.

 

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Schweizer Bankgeheimnis – Die fetten Jahre sind vorbei

Seit der jüngsten Bankdatenaffäre ist die Schweiz arg in der Defensive, die Stimmung unter den Eidgenossen gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Norden mehr als gereizt.

Die Jungfreisinnigen Zürich, die Jugendorganisation der schweizerischen FDP, reagierten mit einem “Fahndungsplakat“. Die Freisinnigen “fahnden” nach Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, wegen Banküberfall und Unterschlagung von Diebesgut.

Zwei Sichtweisen prallen hart aufeinander. Wer geklaute Bankdaten kauft, wie die deutschen Steuerbehörden, macht sich der Hehlerei schuldig, so die schweizerische Perspektive.

Das Schweizerische Bankgeheimnis dient der Steuerhinterziehung, Steuerflucht gehört damit zum Geschäftsmodell der Schweizer Banken, so die deutsche Sichtweise.

Als klar wurde, dass Deutschland sich nicht mehr nur am Hindukusch sondern auch am Schweizer Bankenplatz verteidigt, indem es illegal gesammelte Daten von deutschen Steuerbetrügern kauft, reagierten manche Eidgenossen mehr als schrill.

Eine “Kriegserklärung” polterte der Chef der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Toni Brunner. Ein renommierter Universitätsprofessor forderte gar als Gegenmassnahme eine drastische Erhöhung der Studiengebühren für deutsche Studenten in der Schweiz. In sämtlichen deutschen Talkshows gaben sich rechte Scharfmacher und Verteidiger des schweizerischen Bankgeheimnis die Klinke in die Hand und zementierten einmal mehr das Bild des helvetischen Sonderlings in der Mitte Europas.

Doch dass das Thema in der Schweiz und unter den Eidgenossen selbst höchstumstritten ist, zeigte sich in den letzten Tagen, nachdem der Pulverdampf sich langsam gelegt hat.

Inzwischen regt sich unter den bürgerlichen Parteien Zweifel, ob das bisher als unverrückbar gegoltene Bankgeheimnis weiter zu halten ist. Noch vor einem Jahr sah die Mehrheit der politischen Elite das Bankgeheimnis als “unverhandelbar”, doch diese Front bröckelt nun.

Die SP, die Schweizerischen Sozialdemokraten kämpft seit Jahren schon gegen das Bankgeheimnis und für einen sauberen Finanzplatz. Die sozialdemokratische Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigte nun sogar Verständnis für die deutschen Steuerbehörden.

Selbst unter den führenden Bankern wächst nun die Einsicht, dass sich die heimischen Finanzinstitute auf eine Zeit nach dem Bankgeheimnis vorbereiten sollten. Wann und wie das Bankgeheimnis fällt, ist noch nicht klar, aber die fetten Jahre mit ausländischen Schwarzgeldern dürften vorbei sein.

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