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Bethlehem in Österreich

Ende April von Maria und Josef und ihrer Herbergssuche daherzukommen, das ist wohl das, für das man das Wort „deplatziert“ erfunden hat. Denn entweder ist man damit vier Monate zu spät oder acht Monate zu früh und die Weihnachtlichkeit der Geschichte passt ja gleich gar nicht zum endlich aufkommenden Frühling. Sei’s drum, es geht nicht anders. Denn was wir jetzt erlebt haben, war einfach ein klassisches Maria-und-Josef-wer-klopfet-an-Erlebnis. Mit bestmöglichem Ausgang.

Es war so: Am vorvergangenen Wochenende fuhren wir mit dem Auto von Österreich zurück nach München. Die Stimmung der Reisegruppe von Mama, Papa, zweijähriger Tochter und sechs Monate altem Sohn war mäßig: Wir waren spät dran, es war Stau angesagt, schlechtes Wetter und die Kinder waren krank. Doch es geht immer noch schlechter: Es fing an zu schneien, der Kleine hustete und weinte gleichzeitig, kurzum: Hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte mich in einen Zahnarztstuhl zur Wurzelbehandlung gewünscht.

Irgendwann war es dunkel, es lag ein Dutzend Zentimeter Schnee auf der Autobahn, vor uns sah ich Warnblickanlagen, rote Bremslichter, Stau. „Hauptsache, das Auto rollt“, heißt die Devise beim Reisen mit Kindern, also fuhren wir von der Autobahn ab, ins verschneite Irgendwo, das Navi schaltete auf Kompass. Mein Ziel: Eine Gaststätte, eine Tankstelle, irgendein Unterschlupf, bei dem man kurz aussteigen könnte. Leider Fehlanzeige. Alles dicht, alles weiß. Meine Frau und ich sangen in Endlosschleife „Der Kuckuck und der Esel“, doch die sonst zuverlässig beruhigende Wirkung wollte nicht einsetzen.

Wir kamen durch einen Ort namens „Eben“, es war zehn Uhr abends. „Bleib! einfach! mal! stehen!“, rief meine Frau entnervt durch das Tohuwabohu. Ich fuhr in eine Hauseinfahrt, wir schnallten die Kinder ab und nahmen sie nach vorn. Es wurde nicht besser. „Ich klingel da jetzt“, sagte ich. Ich weiß nicht, ob Sie „Hereinspaziert!“ sagen würden, wenn abends um zehn ein unbekannter Mann bei Ihnen klingelt und fragt, ob er und die drei anderen, die noch im Auto sitzen mal eben reinkommen dürfen. Der Mann, der uns öffnete, tat es.

Es war eine Familie aus Mazedonien, eine Großfamilie in deren Wohnzimmer wir wie ein Ufo landeten. Man sah ihnen an, dass sie heute noch mit allem gerechnet hätten, aber nicht mit uns. Aber nach zwei Minuten hatten wir einen Kaffee in der Hand und Kuchen auf dem Teller. Und unser Sohn lag im Kinderbett. Irgendwann kam der sechsjährige Sohn der Familie mit einem Buch, ich solle das vorlesen. Es war ein Buch über rosa Einhörner, ich mag keine rosa Einhörner, also gar nicht. Aber es war trotzdem wunderschön.

Abends um elf fuhren wir weiter. Wir kamen gut in München an.

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