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Blizzard in Brooklyn

Während meine deutschen Freunde von weißen Winterlandschaften berichteten, war New York bitterkalt, aber Schnee gab es nicht. Aber dann, ein Blizzard!

Am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags ging es los. Es schneite und stürmte und hörte gar nicht mehr auf. Am anderen Morgen waren mehr als 60 Zentimeter Neuschnee gefallen.

Die Stadt lag in Agonie. Der Verkehr war komplett zum Erliegen gekommen. Alle Flughäfen waren geschlossen. Es fuhr kein einziger Bus und keine U-Bahn. Auf den Straßen standen gestrandete Autos und Busse.

Es war Montag, aber als ich mich vermummt und in Schneestiefeln gegen 10 Uhr zu unserer Viertelshauptstraße durchkämpfte, waren alle Läden dicht, auch die Post. Nur der Hardwarestore Tarzian hatte seine kompletten Vorräte an Schneeschippen bereit gestellt.

 

 

Die Preise waren über Nacht rasant gestiegen – ein Beutel tierfreundliches Salz kostete 30 Dollar. Als ich die Frau hinter der Kasse fragte, wie sie überhaupt zur Arbeit gekommen war, lachte sie und deutete nach oben: „Ich wohne über dem Laden!“ Ein Hoch auf die Neighborhoodstores.

Für Pendler, die teilweise Stunden in liegengebliebenen Bussen und Bahnen verbrachten, war der Blizzard eine Katastrophe. Wir mussten nicht reisen und fanden den Schnee gemütlich. Da keine Autos fuhren, war es still wie nie zuvor. Der gesamte Alltag schien entschleunigt. Weder Zeitungen noch Post wurden zugestellt. Auch die Müllabfuhr kam nicht durch. Der Gang zum Supermarkt dauerte doppelt so lang wie üblich. Trotzdem schienen die Menschen guter Laune zu sein. Väter, die nicht zur Arbeit konnten, bauten mit ihren Kindern Schneemänner, Treppen und Straßen verwandelten sich in Rodelbahnen. Bürgermeister Mike Bloomberg präsentierte sich in rustikaler Lederjacke souverän vor Reportern und versprach, die Stadt habe die Lage im Griff.

 

Von wegen. Nach drei Tagen sind viele Nebenstraßen immer noch nicht geräumt, und die ungeduldigen New Yorker finden das absolut inakzeptabel. Der lokale Fernsehsender New York One berichtet von einer Hochschwangeren auf Staten Island, die von ihren Nachbarn freigeschaufelt werden musste, und von Supermärkten in Queens, denen Brot und Milch ausgegangen ist. Es gibt Rücktrittsforderungen gegen den Bürgermeister, der inzwischen wieder im Anzug und nicht mehr ganz so gut gelaunt vor die Mikrofone tritt. 

Aber Sylvester soll die Temperatur auf vier Grad steigen und die Sonne scheinen, dann taut der Schnee sowieso. Zwar fällt dann vermutlich wieder die U-Bahn aus, die auf größere Wassermengen notorisch empfindlich reagiert. Aber für die ist Mike Bloomberg nicht verantwortlich.

Fotos: Christine Mattauch

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