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Ein Lob der Inflation

Es gibt Situationen, die sind so absurd, dass es eigentlich zum Lachen wäre. Das einzige Problem: In Tschechien spielen sich solche Begebenheiten vor allem in der Politik ab, so dass alle gleichmäßig darunter leiden müssen.

Es gibt zwei Konstanten im öffentlichen Leben von Tschechien, so viel muss man vorab wissen: Erstens der unbedingte Willen, in Sachen Wohlstand und Lebensqualität an den Westen aufzuschließen (was auch sehr gut gelingt: die ersten alten EU-Staaten hat Tschechien schon abgehängt). Und zweitens der nationale Stolz auf Rekorde aller Art, sei es bei den Olympischen Spielen, sei es bei den jährlichen Miss-Wahlen.

In einem Bereich treffen diese beiden Konstanten mit fatalem Ergebnis aufeinander: bei der Preisgestaltung. In Paris ist das Metro-Ticket teurer als bei uns, also müssen wir auch die Preise erhöhen – eine Argumentation, die bei den Prager Verkehrsbetrieben ernsthaft zu hören ist, ganz ungeachtet aller Kaufkraftunterschiede. Deshalb hat sich eine Einzelfahrt inzwischen im Preis verdoppelt – innerhalb von drei Jahren. Oder die Post: Das Porto für einen einfachen Brief ins Ausland ist heute doppelt so teuer wie noch 2005.

Mich erstaunt dabei am meisten, dass die Tschechen das alles mit stoischer Ruhe hinnehmen. Ein halber Volksaufstand, wie er in Deutschland losbricht, wenn die Bahn ihre Preise um 3,9 Prozent erhöht, ist völlig undenkbar.

Und damit sind wir bei der tschechischen Politik: Dort wird nämlich gerade diskutiert, die Autobahnvignetten im nächsten Jahr teurer zu verkaufen. Und wie immer in der tschechischen Politik wird geklotzt und nicht gekleckert – statt 1.000 Kronen sollen sie künftig 1.500 Kronen kosten, satte 50 Prozent mehr. Die Begründung dafür ist so überzeugend, dass die Politiker wohl auch diesmal auf öffentlichen Rückhalt zählen dürfen: „Die Inflation in Tschechien ist derzeit so hoch“, so sagten sie der größten Zeitung des Landes, „dass wir uns dieser Entwicklung nicht verschließen dürfen.“

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