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Faszinierende Faszinatoren

 

Alle paar Monate lerne ich durch Zufall ein neues Wort. Erst nach acht Jahren in Aotearoa kam mir der „fascinator“ zu Ohren. Was daran liegt, dass ich letzte Woche zum ersten Mal zum Cup Day gegangen bin. Das ist das jährliche Pferderennen und in Christchurch das, was in München das Oktoberfest ist und in Köln der Karneval. Also hasst man’s – oder muss unbedingt hin.

Keine zehn Pferde, haha, hätten mich dort hingelockt. Doch eine Tierärztin kannte einen der Trainer und hatte Freikarten. Meine Initiation stand bevor. Wandert man aus, erlebt man vieles zum ersten Mal: Dosenspaghetti auf Toast, Weihnachten am Strand, Zwillingswasserhähne mit kaltem und heißem Wasser. Jetzt also der Cup Day. Eine ethnologische Expedition. Die wichtigste Frage: Was anziehen?

Modisch gibt es da nur zwei Richtungen: Kleid von der Sorte, wie man es zu einer Sommerhochzeit trägt, aber bitte kein schwarz. Styling drumherum entweder in Richtung Schwiegermutter bei besagter Hochzeit, also damenhaft mit schweren Klunkern, oder diametral entgegengesetzt, also nuttig mit falscher Sprüh-Bräune. Und unbedingt, in jedem Fall, ohne Ausnahme: ein Hut.

Ich habe nur verbeulte Cowboyhüte aus Stroh. Keine Stoffrosen, kein Greta-Garbo-Grandeur. Also fragte ich herum. Und so kam mir zum ersten Mal ein Accessoire unter, das ich bisher nur von Hochzeitsfotos der britischen Royals kannte. Der „fascinator“ ist ein Minihut, keck über der Schläfe sitzend, aus dem sich Federn, Tüllschleifen und ähnliches Fleurop-Gesteck gen Himmel recken. Vielleicht hat der faszinierende Kopfschmuck auch einen deutschen Namen, aber der ist mir durch den Kulturschock jener Stunden auf der Rennbahn entfallen.

Schon auf dem Weg dorthin traf ich auf all das weibliche Jungvolk der Stadt, das sich für die zweite Styling-Variante entschieden hatte: Oben alles raushängen lassen, unten so kurz wie möglich, hoffentlich was drunter. Haut zu Textil im Verhältnis 70 : 30, Absätze höher als Handtasche breit. Passend die Männer, viele noch picklig, mit schiefer Krawatte und der Haarfarbe „Cheese on Mince“. Kurze blonde Strähnchen namens „Käse auf Hackfleisch“ kenne ich auch erst seit kurzem.

Ich hatte mir angesichts dieser Ästhetik das Schlimmste vorgestellt, aber wurde enttäuscht. Während ich auf der Zuschauertribüne Sekt trank, mit dem Wett-Programm wedelte und darauf wartete, dass jemand in der Mittagssonne auf manikürte Füße kotzt, in ein Dekolletee grabscht oder den Jockey verprügelt, passierte leider nichts Skandalöses. Jahrelang all die Schreckensbilder im Kopf, und dann nichts als Massen verkleideter, gut gelaunter bis angeschickerter Menschen: Ja, habe ich etwa dafür den Rosenmontagszug für immer hinter mir gelassen?

Immerhin humpelten und staksten auf dem Rückweg Damen vor mir her, deren Knöcheln zu hohe Hacken und Promille nicht bekamen. Die Frau, die zuvor halbnackt auf die Rennbahn gerannt war, hatte ich leider verpasst. In der Zeitung sah ich, dass sie einen Hut trug. Natürlich ein fascinator.

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