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Fiktion und Wirklichkeit

 

Für einen deutschen Sender sollte ich eine Geschichte über eine mit deutschen Geldern finanzierte KfZ-Lehrklasse für junge Palästinenser in Beit Sahour bei Bethlehem schreiben.  Eine Geschichte mit viel Zukunftsoptimismus und Unternehmergeist. Eine Geschichte über dankbare junge Menschen, die endlich eine Perspektive für ihre Zukunft haben und Aussicht auf ein eigenes Einkommen. Ermöglicht durch einen großzügigen deutschen Automobilkonzern, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. „Mal was Positives aus den Palästinensergebieten“, dachte sich die Redakteurin in Berlin. Eine Geschichte geradeaus erzählt. Ein Termin, zwei oder drei Interviews, aufgeschrieben, produziert, fertig.

Aber es kam anders: Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis überhaupt ein Termin zustande kam. Die Verantwortlichen reisten ins Ausland, wurden krank, zogen um. Schließlich wurde ich aber doch empfangen. An einem Tag im Frühling in der Vertretung eines deutschen Automobilkonzerns in Beit Sahour bei Bethlehem. Um einen großen Konferenztisch saßen der Geschäftsführer der Vertretung des deutschen Automobilkonzerns im Westjordanland mit zwei Mitarbeitern, der deutsche Initiator des Hilfsprojekts und drei Abgesandte der Autonomiebehörde in Ramallah. Sie waren alle zusammengekommen, um einer deutschen Journalistin von erfolgreicher Zusammenarbeit zu erzählen. Es wurden Schokowaffeln und Kaffee in Plastikbechern gereicht. Zucker gefällig?

Es hätte alles so schön sein können. Aber schon nach wenigen Minuten entspann sich ein inner-palästinensischer Streit zwischen den Vertretern der Autonomiebehörde und dem Geschäftsführer des deutschen Automobilkonzerns im Westjordanland. Der nämlich hatte wenige Wochen zuvor weitere Kooperationsprojekte vorgeschlagen. Eine Lehrwerkstatt in Ramallah. Dem Ministerpräsidenten Salam Fayyad persönlich. Der aber verwies an einen untergebenen Mitarbeiter im Finanzministerium, der seinerseits politische Aktien in Dschenin hatte und an einem Projekt in Ramallah kein Interesse. „Verschwenden Sie hier nicht meine Zeit!“, so hatte er seine Gesprächspartner abgewatscht und im Unfrieden entlassen.

Die Vertreter aus dem Arbeitsministerium in Ramallah aber waren an diesem Tag nach Beit Sahour gekommen, um die Wogen zu glätten und den deutschen Automobilkonzern dafür zu gewinnen, sich weiter in der Berufsbildung zu engagieren. Ohne Erfolg allerdings. Das Tischtuch schien fürs Erste zerrissen.

Ich war verwirrt. Wo war nun eigentlich die KfZ-Lehrwerkstatt? Um die sollte es doch eigentlich heute gehen. Und wo waren die Schüler? Nach einem Rundgang durch die hochglanzpolierten Räume der deutschen Autokonzern-Vertretung in Beit Sahour mit wortreichen Erklärungen zur einstigen, inzwischen aber nicht mehr sichtbaren, hochwertigen Ausstattung der Lehrklasse mit Computern, Projektoren und DVD-Playern, wurde ich endlich dorthin gebracht, wo die KfZ-Lehrklasse jetzt lernt: in ein Berufsschulgebäude in Beit Jalla. Heruntergekommen die Klassenräume und das Treppenhaus, unwirtlich die ganze Anmutung des Ortes.

Stolz führten die Vertreter des Arbeitsministeriums in Ramallah mir 17 Lehrlinge vor, die Fenster und Türen für Häuser bauen, 15 Kosmetik-Schülerinnen, die alles über Make-Up und Frisuren lernen und 20 Schülerinnen, die sich mit Computerprogrammen vertraut machen. Aber wo waren die KfZ-Lehrlinge? Schließlich wurde ich in einen kahlen Raum mit 25 Stühlen geführt. Dort erwartete mich einsam und allein: der Lehrer. Die Schüler waren alle in verschiedenen Autowerkstätten, um die gelernte Theorie anzuwenden. Hm. Nicht gerade ideal für einen Beitrag über die Hoffnungen der palästinensischen Jugend. So ganz ohne Jugend.

Der Lehrer führte die kümmerlichen Lehrmittel vor: Alte Autoteile, ein ausgeweideter Seat Ibiza und ein kopierter Hefter. Und dann wurde auf mein Drängen hin mit Mühe ein Absolvent der Lehrklasse herbeizitiert, der auch innerhalb weniger Minuten erschien. Aber immer wenn er auf meine Fragen antworten wollte, fiel ihm der Mitarbeiter aus dem Arbeitsministerium ins Wort. Der junge Mann war im Handumdrehen eingeschüchtert. Kaum ein brauchbarer O-Ton war von ihm zu bekommen.

Aus der Phantasie der Redakteurin in Berlin von einer geradeaus erzählten Geschichte über ein Hoffnung stiftendes deutsches Hilfsprojekt im Westjordanland wurde am Ende eine verwirrende Geschichte über Konkurrenz und verletzte Eitelkeit, Ratlosigkeit und Mangel. 

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