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Hoffnung und Verzweiflung

Die Hoffnung war mit Händen zu greifen, vor wenigen Wochen noch. Erstmals seit Ausbruch des PKK-Krieges vor 25 Jahren schien eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes in der Türkei möglich. Erstmals brachte eine türkische Regierung den Mut auf, die Probleme beim Namen zu nennen und statt auf immer weitere Gewalt auf demokratische Reformen zu setzen, auf mehr kulturelle Rechte für die Kurden und mehr Freiheitsrechte für alle. Und erstmals seit Ausbruchs des Konflikts hattte sie dafür einen Großteil der Gesellschaft hinter sich, bis hin zum vom Dauerkrieg frustrierten Militär.

Jetzt liegt das alles in Scherben. Drei schwere Schläge hintereinander hat die neue Kurdenpolitik der Regierung Erdogan in den letzten Tagen versetzt bekommen. 1) Den Ausstieg der kurdischen Nationalisten aus dem Projekt – angekündigt von der Co-Vorsitzenden der Kurdenpartei DTP mit dem Satz „Für uns ist die Sache vorbei“ und vollzogen von der PKK am vergangenen Montag mit der Tötung von sieben Wehrpflichtigen im nordtürkischen Tokat, fernab vom Kurdengebiet. 2) Das Verbot der DTP durch das Verfassungsgericht wegen übermäßiger Nähe zur PKK und mangelnder Distanz zu deren Terror und Gewalt am gestrigen Freitag. 3) Den heutigen Abzug all ihrer Abgeordneten aus dem Parlament durch die DTP, die mit ihrer letzten Amtshandlung zumindest symbolisch die Spielregeln der Demokratie kündigte – so lückenhaft diese in der Türkei sein mag.

Wie es jetzt weitergehen soll, das fragen sich Millionen Menschen in der Türkei. Für viele von ihnen, vor allem im Westen des Landes, ist es eine theoretische Frage, eine politische Frage, eine ideologische Frage. Für Millionen andere geht es dabei aber um Leben und Tod, um Not, Elend und Ausgrenzung oder ein menschenwürdiges Leben. Für sie sind die Entwicklungen der letzten Tage eine Katastrophe. Ich denke an Figen in Diyarbakir und an Abdullah in Sirnak, ich denke an Kasim Tokay und seine Leute in Aziziye, ich denke an den Eselsattler Fevzi und den Milizionär Ali, und ich denke an Zehra und all die anderen Mütter, die ihre Söhne jeden Tag auf dem Friedhof besuchen. Ich denke an all die von dem Konflikt betroffenen Menschen, die mir in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten ihr Vertrauen und ihre Gastfreundschaft geschenkt haben, die nichts anderes wollen als Brot, Frieden und ein menschenwürdiges Leben für ihre Kinder, und die in den letzten paar Monaten erstmals Hoffnung schöpfen konnten.

 

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