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Jedem, der in Ruhe zu Mittag essen will, versaue ich es. Dafür will ich mich jetzt einmal entschuldigen

Gestern schon wieder. Ich sitze im Borgo Pio, diesem schönen Sträßchen zu Füßen des Vatikan und esse draußen auf der Straße einen Happen zu Mittag. Das Lokal kann ich nur empfehlen, Sie erkennen es daran, dass ein dicker ältererer Mann mit dicker Hornbrille kocht, und eine Frau das Essen serviert, die, um es höflich zu sagen, ihrem Ehemann sehr ähnlich sieht. Hier gehen die Römer zum Mittagessen, keine spendierfreudigen Urlauber. Und deshalb wird das Lokal – meist! – auch von den Straßenmusikanten verschont, die es zu tausenden nach Rom zu ziehen scheint – die Menge der Lieder steigt genauso dramatisch, wie deren Güte nachlässt. Um es noch einmal zu sagen: Viele, die in diesem Lokal sitzen, sind froh einen Ort zu haben, in dem sie ohne Akkordeonmusik essen können. Doch dann komme ich ins Spiel – oder besser gesagt, meine Haare.

 

Denn ich versaue allen das ruhige Mittagessen, weil ich blond bin. Ich ziehe sämtliche Straßenmusiker Roms an, da ich aussehe, wie ein einfaches Opfer. Wie eine Katze eine Maus schon daran erkennt, dass etwas kleines sehr schnell über den Teppich rast, so erkennen dank meiner Haare tumbe Straßenmusikanten, verschlagene Taxifahrer und gemeine Pizzamacher auf den ersten Blick in mir sofort den Trottel.  

Gestern also: Drei Akkordeonspieler gingen durch den Borgo Pio, und schienen zunächst gar nicht das Lokal der dicken, bebrillten Familie zu beachten – sie wissen eben auch, dass es hier nichts zu holen gibt, da hier keine Touristen sitzen. Doch da sahen sie mich und begannen, zu spielen. (Ich weiß nicht, welches Lied, aber es sind sowieso immer die gleichen.) Ich wusste sofort, dass nur ich es war, für den sie spielten. Beschämt aus den Spaghetti aufschauend, sagte ich zu meinen Kollegen „scusate“ und dass es meine Schuld wäre. Die Akkordeonspieler sahen das offenbar genauso: Kaum hatten sie ihre letzten Töne beendet, machten sie sich gar nicht die Mühe, zu den anderen Tischen zu gehen, sondern strebten unmittelbar auf mich zu. Andere Gäste schienen mich auffordernd anzuschauen: „Wenn einer was geben muss, dann Du! Du bist doch blond, wegen Dir haben die doch angefangen, zu spielen.“ Also erfüllte ich meine Pflicht und gab 50 Cent.  

Sie können diese Geschichte nehmen und mit 365 multiplizieren, dann wissen Sie ungefähr wie oft mir dies oder ähnliches im Jahr passiert. Und das, obwohl ich mich doch so bemühe, ein Römer zu werden: Ich biege über duchgezogene Linien in Einbahnstraßen ab, ich trinke Espresso, nicht Cappuccino, nach dem Essen, ich versuche, stets zu telefonieren, wenn ich auf die Straße gehe – hilft aber alles nichts. Ich muss wohl meinen Frieden damit machen, dass meine blonden Haare wie ein Magnet alles anziehen, was blond mit „doof, Touri mit viel Geld, leichtes Opfer“ assoziiert.  

Alle Freunden und Kollegen kann ich nur herzlich bitten, weiter mit mir essen oder spazieren zu gehen – ich übernehme die Entlohnung aller Straßenhändler und –musikanten und ich zahle gerne die merkwürdigen Zuschläge zum Kaffee und zu Taxifahrten – ich bin schuld, ich bin ja blond.

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