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Ohne Zeitmaschine zurück ins Hippie-Zeitalter

Ich bin noch nichtmal ganz im Restaurant, da begrüßt mich ein grauhaariger Lockenkopf in ausgewaschenem Sweatshirt und zerrissenen Jeans mit freundlichstem Lächeln und einer weit ausholenden Geste, die mir bedeutet, ich solle mich neben ihn an die Bar setzen. Aus den Lautsprechern klingt Carly Simons’ “You’re so vain”. Über den Tischen neben der Bar hängen bunte Kunstwerke, ein Surfbrett und eine US-Flagge mit Friedenszeichen über den blau-weißen Streifen. Zwischen den Tischen laufen wedelnd Hunde herum. Die Gäste begrüßen sich mit heftigen Umarmungen und großem Hallo als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Es stellt sich heraus, dass sie sich andauernd über den Weg laufen, sie sind alle Nachbarn in Topanga, einer Gemeinde nur wenige Kilometer entfernt von Los Angeles mitten in den Bergen. Hier ist die Zeit in den späten 60 ern stehen geblieben. Topanga Canyon war damals DER Ort für Musiker. Im Topanga Corral spielten Joni Mitchell, Bob Dylan, Jim Morrison und George Harrison. Canned Heat war die Houseband und Neil Young besass ein Haus am Fluß. Während ich meinen  Cafe au Lait trinke höre ich Geschichten von Nächten, in denen sich die Bewohner zugekifft in die Wiesen legten und UFOs beobachteten nur um später festzustellen, dass die Raumschiffe mit Außerirdischen über LAX kreisende Flugzeuge waren. Pat, der Besitzer des Restaurants empfiehlt, den Dichter zu besuchen, der mit Hilfe eines Joints noch immer sein 60 Strophen langes Topanga-Gedicht von 1970 aufsagen kann. Oder die Chakra-Expertin, die alles über magnetische Felder unter der Region weiß. Ich könnte mich auch auf die Suche nach Uschi Obermaier machen. Die Kommune-1-Ikone entwirft hier oben ihre Schmuckkollektion.

Alle Gespräche über Topanga führen irgendwann zu wortreichen Versuchen, den ‘Vibe’, die ‘Energie’, die ‘Community’ hier zu beschreiben. Karen ist vor einem Monat aus Los Angeles  in die Berge gezogen. Hier kann die Hauverwalterin besser meditieren, findet optimalen Zugang zu ihrer spirituellen Seite und atmet endlich wieder richtig durch. Der Sweatshirt-Träger, der mich so überschwänglich an die Bar gebeten hat, ist Filmproduzent. Philip kam zum ersten Mal 1969 nach Topanga und hat sich vor fünf Jahren endlich ein Haus hier gekauft mit traumhafter Ausicht auf Berge und Pazifik. “Ich bin mein Leben lang durch die Welt gereist und habe nach dem perfekten Ort zum Leben gesucht,” erzählt er. “Dabei war er direkt vor meiner Nase, nur zehn Kilometer entfernt von Downtown Los Angeles!”

Pat ist bis heute für die Warnung seiner Mutter dankbar. Kaum war die Familie 1964 in Los Angeles angekommen sagte die: “Geh blos nicht nach Topanga! Da sind lauter zugedröhnte Nichtsnutze mit langem Haar!” Pat war damals 16 Jahre alt und nahm diese Warnung zum Anlass so schnell wie möglich nach Topanga zu trampen. “Sie hatte Recht! Und ich passte perfekt dazu!” Pats langes Haar ist inzwischen dünn und grau geworden. Er bindet es mit einem bunten Gummi im Nacken zusammen. Natürlich ist alles auf seiner Speisekarte Öko – von den Kaffeebohnen über das Obst bis zu den Eiern von freilaufenden Hühnern. Nach einem langen Frühstück und kräftigen Abschiedsumarmungen spaziere ich durchs kleine Dorfzentrum. In den Schaufenstern liegen Kristalle, Räucherstäbchen und Batikhemden. Yogalehrer, Heiler und Trommlerinnen werben für ihre Künste. Bilder von kleinen Hütten am Fluss und Anwesen auf Hügelgipfeln hängen im Fenster des Immobilienladens. Unter 750 tausend Dollar ist kein Stück vom Hippie-Paradies zu bekommen. Die Anwesen oben auf den Bergkuppeln kosten mehrere Millionen. Ich fahre die Serpentinenstraße durch die Hügel zurück in die Stadt, schon jetzt wehmütig in Erinnerung an die hinter mir liegende gute alte Hippiewelt.

 

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