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Papa, das Hausschwein

Nein nein, das Bundesverdienstkreuz wäre sicherlich zuviel, das muss nicht sein. Wirklich nicht.  Ein bisschen mehr Anerkennung für meine Rolle im Haushalt hielte ich aber durchaus für angemessen. Ich bin nämlich das, was es in unserer konsumfixierten Großstadt leider nur noch in den Bilderbüchern meiner Kinder gibt: Ich bin das letzte lebende Hausschwein Münchens.

Was meine Aufgaben sind? In erster Linie, jene, die ständig bedrohte Gesundheit meiner Familie zu schützen, indem ich stets die große Gefahr auf mich nehme, bereits abgelaufene oder länger als eine Stunde geöffnete Lebensmittel zu essen. Da ich aber in der mir aufgezwungenen Rolle mittlerweile voll aufgehe, habe ich längst größere Ziele: Eine vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Studie zufolge wirft jeder Bundesbürger – also auch jeder Münchner –  pro Jahr durchschnittlich 82 Kilo Lebensmittel weg. Ich habe mir vorgenommen, diese Zahl für unseren Haushalt um 90% auf 8,2, Kilo zu senken. (Einen verschimmelten Frischkäse finden selbst wir Hausschweine eklig).

Mein Alltag als Hausschwein lässt sich leicht beschreiben, etwa der letzte Sonntag: Während meine Frau und die beiden Kinder frische Semmeln essen, esse ich die vom Vortag, bestrichen mit Butter, die an manchen Stellen schon dunkelgelb glänzt. Weil leider nicht nur meine Frau, sondern auch ich sowie unabhängig Oma und  Opa in der vergangenen Woche Gelbwurst gekauft haben, beginne ich mich von der ältesten zur jüngsten vorzuarbeiten, obwohl ich Gelbwurst nicht mag. Währenddessen stellt mir meine Frau ihren abgekühlten Kaffee hin und macht sich selbst einen neuen. Dann ein Moment seltener Teilhaberschaft am privilegierten Leben: Meine Tochter isst ihre frische Marmeladensemmel nicht auf, gierig greife ich nach den Resten.

Ich überlege ernsthaft, meinen Alltag einmal von einem befreundeten Anwalt begleiten zu lassen, der in den entscheidenden Momenten mit einer einstweiligen Verfügung wegen Diskriminierung droht. Denn die Rolle des Hausschweins bezieht sich nicht nur auf das den Konsum von Lebensmitteln, die ihre besten Tage hinter sich hatten. Wer ist zum Beispiel der, der am kürzesten in der Wanne sitzt, wenn alle vier baden? Und wer ist eigentlich der, der durch die Kälte zum weit entfernt parkenden Auto joggt, während der Rest der Familie noch im Café sitzen bleibt? Also Frage an alle Hausschweine da draußen: Auf welches Wort mit vier Buchstaben lässt sich das alles bringen? Genau: Papa.

(Text erschienen in der “Münchner Freiheit”, “Münchner Merkur”, 17.2.2015)

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