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Smalltalk in Erdbebistan

Die Deutschlandreise liegt drei Wochen zurück, der Jetlag ist vorbei, aber wie immer nach Ausflügen in die alte Heimat hapert es danach mit der Assimilation. Alle Jahre wieder das gleiche Dilemma: Der Heimkehrer-Blues.

Die pinke Kiwi-Brille, anfangs nach der Katastrophe dank all der gutherzigen und zupackenden Menschen um mich herum rosaroter denn je, hat plötzlich einen bösen Blaustich bekommen. Diesmal verstärkt durch eine kaputte Stadt, bei der man noch nicht absehen kann, ob sie unter all ihren Wunden kapituliert und offiziell zum „Sumpfgebiet mit flächendeckender Dixie-Klo-Population, wild wuchernden Absperrungen und mäandernden Ziegelhaufen“ erklärt wird. Es bleibt weiterhin spannend: bei jeder Expedition zum Supermarkt durchs wilde Erdbebistan.

Doch genug zum Trümmer-Trauma –  mehr  verstört mich gerade die Kluft zwischen den Kulturen. Das alte Thema, transkontinental aufgewärmt: Wie sind wir, wie sind die, und wozu gehöre ich denn bitte? Ich habe schließlich das Lager gewechselt. Weshalb mir hüben wie drüben immer genau das Falsche fehlt.

Da war der Mann in Deutschland, der nach einer Lesung nicht von meiner Seite wich, obwohl ich schon in der Tür stand. Bohrender Blick. „Wie fühlen Sie sich jetzt nach dem Erdbeben?“ Dazu hatte ich eigentlich vorher schon vieles gesagt. Schnell die Treppe runter. Sein Ton war insistierend. „Werden Sie dort bleiben?“ Ich sagte ja. Er gab sich damit nicht zufrieden und verfolgte mich über den Parkplatz. „Sie müssen sich doch fragen, ob es richtig war, dorthin auszuwandern?“ Ich fühlte mich wie in einem Verhör. Gestehen Sie, bekennen Sie sich, das alles in den nächsten drei Minuten, und wehe, die Antwort ist nicht grundehrlich, tiefschürfend, möglichst politisch und zutiefst persönlich – sonst sind Sie oberflächlich!

„Die Hauptgründe, warum Sie dort leben?“, verlangte Herr Direkt noch zu wissen, als ich schon fast im Auto saß. War ich froh, dass er mich nicht an die Wand gedrückt und eine Taschenlampe auf mein Gesicht gerichtet hatte. Himmelherrgott, schick mir einen höflichen Kiwi, der dir niemals zu nahe tritt und die Feinheiten des Smalltalks beherrscht!

Zwei Wochen später, im Land der langen weißen Wolke beim langen Wiedersehens-Dinner. Ein Paar, das sich nach dem Beben getrennt hatte, weil die plötzlich obdachlos gewordene Verwandtschaft im Hause unerträglich wurde, scheint wieder vereint. Ich brenne vor Fragen, aber die Freunde unterhalten sich lieber über Reparaturen. „Wie geht’s Eurem Haus?“ – die höfliche Standardfloskel, die das Wesentliche umschifft: Wie sieht es in Dir drinnen aus? Es ist ein bisschen wie nach Kindsgeburten. Man berichtet von Pressdauer, Narkose, Kopfumfang – aber das emotionale Drama, das ist tabu.

Ich setze meine Hoffnung auf die Psychologin neben mir am Tisch. Immerhin sind Christchurchs Praxen gerade voll von Menschen, die nicht mehr klar kommen mit der neuen Realität. „Und“, fragt sie, „geht Ihr dieses Jahr Skifahren?“ Himmel, was sehne ich mich nach richtigem Big Talk.

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