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Taliban-Angriff gefährdet Stichwahl in Afghanistan

Leider wird es im Zuge der Medienkrise immer schwerer, Originaltexte in Zeitungen unterzubringen. Entweder weil den Zeitungen der Platz fehlt oder weil inkompetente Redakteure die Texte meinen, nach ihren Vorstellungen verschlimmbessern zu müssen. Ich nutze aus gegebenem Anlass hier zum ersten Mal die Gelegenheit, einen aktuellen Originaltext von mir abzudrucken, der es in dieser Form nicht in die Zeitung geschafft hat, der aber erscheinen sollte. Weitere werden folgen. Ich hoffe, dass in Zukunft mehr und mehr Leser mündig genug sind, nach besseren Informationsquellen selbst zu suchen. bp

 

Kabul – Der Angriff der Taliban auf ein Gästehaus der Vereinten Nationen (Uno) in Kabul hat Zweifel daran aufkommen lassen, ob die für den 7. November geplante Stichwahl zwischen Präsident Hamid Karzai und seinem Herausforderer Abdullah Abdullah wirklich stattfinden wird. „Es ist noch zu früh zu sagen, ob die Wahl abgesagt wird. Allerdings wird die UN nach dem Vorfall die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen. Das wird ihre Rolle bei den Wahlen weiter einschränken, vor allem die Beobachtung“, sagt der frühere Stellvertreter des Uno-Sonderbeauftragten in Afghanistan und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin,Thomas Ruttig.

Der Uno-Sonderbauftragte Kai Eide beeilte sich zwar gestern in Kabul zu erklären, der Anschlag werde die Vereinten Nationen nicht daran hindern, „ihre Arbeit beim Wiederaufbau des Landes“ fortzusetzen. Auf die Wahlen ging Eide jedoch nicht ein. Er sprach lediglich von einem „sehr schwarzen Tag für die Uno in Afghanistan“.

Schwer bewaffnete und mit Sprengstoffgürteln behängte Mitglieder der radikal-islamischen Taliban-Milizen hatten am Mittwoch morgen das „Bakhtar“-Gästehaus im zentralen Kabuler Stadtteil Shar-e-Nau gestürmt und mehrere Bewohner als Geiseln genommen. Bei der Befreiung durch afghanische Sicherheitskräfte kamen zwölf Menschen ums Leben, darunter sechs Uno-Mitarbeiter. Weitere neun Angehörige der Uno wurden verletzt. Einer der Toten ist nach Angaben der US-Botschaft in Kabul ein Amerikaner, ein weiterer Libanese, zwei waren afghanische Türwärter und ein Zivilist. Über die Nationalität der anderen Toten war bei Redaktionsschluss noch nichts bekannt.

Bereits kurz nach dem Angriff meldete sich ein Sprecher der Taliban mit der Aussage zur Wort: “Dies war erst unser erster Angriff.“ Sollte an der Stichwahl für das Amt des Präsidenten festgehalten werden, werde es zu weiteren Attacken kommen. Kurz darauf schlugen zwei Raketen in der afghanischen Hauptstadt ein: beide trafen den Garten des einzigen 5-Sterne Hotels der Stadt, des „Serena“, das bereits im vergangenen Jahr Schauplatz einer Talibanattacke war. Es war jedoch unklar, ob der Raketeneinschlag dort beabsichtigt oder ein Zufallstreffer war. Die Gäste wurden vorübergehend in einem Bunker in Sicherheit gebracht. Zu Schaden kam niemand.

Es ist das erste Mal, dass die Taliban direkt die Wahlen und die daran beteiligten Offiziellen zu ihrem Ziel gemacht haben. Bisher hatten sie stets nur den potenziellen Wählern gedroht. „Das Gästehaus war ein leicht zu identifizierendes Ziel“, sagt eine Mitarbeiterin der Uno in Kabul, die ihren Namen nicht genannt wissen will. Fahrzeuge der Vereinten Nationen seien dort ständig an- und ab gefahren, auch wenn von außen wie bei vielen internationalen Organisationen inzwischen kein Schild angebracht war. „Jetzt werden die Uno in einen Sicherheitswahnsinn verfallen, der es sehr schwer machen wird, die Wahlen durchzuführen.“

Experten hatten bereits in der vergangenen Woche davor gewarnt, dass die Stichwahl eine noch größere Herausforderung darstellen wird als der erste Wahldurchgang am 20.August, da wegen der schlechten Sicherheitslage noch weniger internationale Wahlbeobachter zur Verfügung stünden als beim letzten Mal und die Wahlbeteiligung noch geringer ausfallen werde. Die International Crisis Group (ICG) warnte, dass ein zweiter ebenfalls gefälschter Durchgang den Taliban einen „strategischen Sieg“ bescheren würde. Auch Thomas Ruttig, der auch Mitbegründer des unabhängigen „Afghan Analysts Network“ ist, ist der Auffassung, dass eine Stichwahl „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sehr sinnvoll“ sei.

Es ist daher denkbar, dass der Druck auf Hamid Karzai und Abdullah Abdullah steigen wird, sich doch nächste Woche auf eine Koalitionsregierung zu einigen und damit den zweiten Wahlgang obsolet zu machen. Nach Informationen von Insidern laufen derzeit Gespräche in diese Richtung. Nachdem Abdullah zunächst abgelehnt hatte, zeigte sich in den vergangenen Wochen aber Karzai bockig, der es den USA verübelt, dass sie ihn in die Stichwahl gezwungen haben.

Er könnte es sich jetzt anders überlegen. In unmittelbarer Nähe des „Bakhtar“-Gästehauses wohnt ein Schwager von ihm, eines der Nachbarhäuser gehört seinem engen Verbündeten, dem Gouverneur von Dschalalabad, Gul Agha Sherzai. Und auch Außenminister Rangin Dadfar-Spanta wohnt nur eine Straße weiter. Die Taliban sind gestern den Regierenden in Kabul sehr nahe gerückt. „Zu nah um noch komfortabel zu sein“, sagt eine indische Journalistin, die direkt neben dem “Bakhtar“-Gästehaus lebt.

 

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