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Titel, Thesen, Tageszeitungstraum

Die linksliberale dänische Tageszeitung Politiken überrascht mich immer mal wieder, wenn ich sie morgens von der Fußmatte aufhebe.
Erklärte Strategie ist, die siebenmal die Woche erscheinende Zeitung täglich und vor allem am Wochenende etwas mehr zu einer Wochenzeitung zu machen, schließlich gibt es die reinen Nachrichten im Netz. Wenn also wie jetzt Wahlen in Afghanistan sind, Obama für die Gesundheitsreform kämpft, in Dänemark über das Burka-Verbot gestritten wird, dann gilt es dennoch etwas anderes auf den Titel zu heben. "Forscherurteil: Dänische Kunst ist gleichgültig" prangte mir am gestrigen Samstag auf der ersten Seite von Politiken entgegen. Die zeitgenössische dänische Kunst sei an den Markt angepasst und ästhetisch, nicht aber politisch, so der junge Kunsthistoriker Mikkel Bolt. Mich hat der Text (der auch im Kulturteil Aufmacher war) sehr interessiert, schließlich muss sich Dänemarks Vorzeigekünstler zumindest hinter vorgehaltener Hand von Kollegen und Kunsthistorikern schon lange immer wieder vorhalten lassen, vor allem die Massen zu unterhalten.
Dennoch dürfte der Großteil der Leser von Politiken bei der Überschrift wohl gedacht haben "Interessiert mich herzlich wenig". Umso mehr bekräftet diese Geschichte meinen Eindruck, dass Politiken nicht wenige ganz besondere Leser hat. Nämlich jene, die zwar gewisse Geschichten nicht lesen, aber stolz darauf sind, wenn ihre Zeitung diesen trotzdem einen prominenten Platz einräumt. Das bestärkt sie darin, dass sie die bessere Zeitung lesen. Die beiden konservativen Konkurrenzblätter Berlingske Tidende und Jyllands-Posten würden solche Geschichten so nicht wagen. Einerseits zeugt das von einer gewissen moralischen Überheblichkeit der Politiken-Leser, andererseits hat das den hübschen Nebeneffekt, dass auch etwas abwegigere Themen groß rauskommen – ein Traum vor allem von Journalisten.

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