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Vampire

Da Hollywood neuerdings gerne in Neuseeland dreht, bleiben solche Einladungen nicht aus: Ich soll für ein Kino-Magazin den Drehort des Horror-Streifens „30 Days of Night“ besuchen.

Gedreht wird in der Peripherie Aucklands, und dem Filmstoff entsprechend vor allem nachts. Die Kulissen spiegeln ein Dorf in Alaska wieder, wo im tiefen Winter, wenn die Sonne 30 Tage nicht aufgeht, Vampire über die Dorfbewohner herfallen. Klingt nicht gerade nach Leitkultur, aber es soll ja Menschen geben, die für so was ins Kino gehen.

Und so stehe ich zwei Tage lang mit drei Film-Spezies aus London und Sydney im Kunstschnee herum und lasse mir täuschend echte blutige Gliedmaße, Vampirzähne und allerhand Gruseliges vorführen. Meine Kollegen sind Filmprofis und kennen alle den Zombie-Comic auswendig, auf dem dieses filmische Werk beruht – er wird hochtrabend nur „graphic novel“ genannt.

Sie behandeln die ganze absurde Angelegenheit mit einer Ernsthaftigkeit und Hochachtung, als ob es sich um die Verfilmung von „Krieg und Frieden“ handelt. Der Produzent, ein typisches Hollywood-Exemplar mit weißen Turnschuhen, Fönfrisur und Dollarzeichen in den Augen, verrät, dass hier gerade 60 Millionen Neuseeland-Dollar verheizt werden, um die Welt zwei Stunden lang das Fürchten zu lernen.

Wir führen pausenlos Interviews. Kein Vampir-Darsteller ist vor uns sicher. Alle sind furchtbar wichtig, jedes Detail zählt, hier geht es um Großes. Man erwartet Ehrfurcht von uns. Um ein Uhr nachts werden wir endlich in den Makeup-Caravan des jungen Hauptdarstellers vorgelassen, dessen momentane Meisterleistung darin besteht, der neue Freund von Scarlett Johansson zu sein. Diesen Namen dürfen wir natürlich keineswegs auch nur aussprechen, wie uns die Presse-Frau der Filmfirma immer wieder einschärft. Alle gehorchen.

Aber dann, zum Schluss unseres Besuches, leiste ich mir den Fauxpas: Ich frage den Regisseur doch allen Ernstes, ob sein Film Gewalt verherrliche. Meine Kollegen versteinern vor Peinlichkeit und rücken förmlich von mir ab. Die G-Frage stellt man nicht, wenn man einem begnadeten Horror-Regisseur gegenübersitzt. Überhaupt hinterfragt man generell gar nichts, wenn man auf einem Filmset ist. Ich habe eindeutig gegen die Spielregeln verstoßen und mich als Journalistin geoutet.

Meine Kollegen machen in den Interview-Pausen Smalltalk und lassen am laufenden Band Promi-Namen aus vergangenen Interviews fallen. Ich kann neben Bette Midler, Cher, Chris Isaak und Kylie Minogue nur mit Zsa Zsa Gabor aufwarten, die mich mal vor 20 Jahren aus ihrer Villa warf – zuwenig, um Comic-Geeks nachhaltig zu beeindrucken.

Die Vampire bekommen für den nächsten Take wieder frisches Filmblut auf ihre Kostüme gepinselt. Abgehakte Köpfe und zerfetzte Latex-Arme werden von den vielen Helfern im Kunstschnee drapiert. „Action!“ brüllt der Regisseur. Da vibriert mein Handy.

Der Anruf einer Freundin aus Christchurch. Ihr neunjähriger Sohn ist am Tag zuvor mit dem Fahrrad vor einen Laster gefahren ist. Er hat mindestens sechs Knochenbrüche, ein schweres Schädeltrauma und liegt im Koma. Zu dem Zeitpunkt ist weder klar, ob er aufwacht, noch ob er ohne Gehirnschaden davonkommt. Die Vampire kreischen und zischen. Das Blut tropft. Fröhliche Unterhaltung! Cut.

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