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Vom Parken und von vollen Gläsern

Täglich verschwinden viele Dinge auf mysteriöse Weise. Ist es ein Socken, kann man sich damit abfinden. Ist es das Auto, dann nicht.

Es ist ein seltsamer Moment, wenn man an die Stelle kommt, wo man das Auto geparkt hat. Ist der Platz leer, erfasst einen selbst eine unheimliche Leere. Irre ich mich? Stand das Auto vielleicht doch in der Parallelstraße? Weiter unten? Weiter oben? Filmt hier gerade eine versteckte Kamera mein Erschrecken für eine Ulksendung? Nein, der Wagen ist weg.

Gestern noch kam im Fernsehen, dass die Zahl der Autodiebstähle um zwei Prozent zugenommen hat. Favoriten der in Frankreich geklauten Wagen: Renault Twingo, Smart Fortwo, BMW X6. Meine Marke ist eine andere.

Ich muss die Police municipale anrufen, laufe weiter und stehe plötzlich vor einem Schild. Es ist das Schild, das einem in Frankreich immer wieder begegnet. Es ist ein Schild, das man beachten sollte. Aufschrift: Stationnement unilatéral alterné.

Langer Begriff, der der Welt sagen will: Hier in der Straße darf nur auf einer Straßenseite geparkt werden – und das im halbmonatlichen Wechsel. Etwas versetzt steht ein weiteres Schild, ein eingeschränktes Halteverbotsschild mit kleinen weißen Zahlen darauf: 16-31.

Na klar, Paragraph 37-3 der Straßenverkehrsordnung. Vom 1. bis zum 15. des Monats wird auf der Seite mit den ungeraden Hausnummern geparkt. Ab dem 16. des Monats bis zum 31. auf der Seite mit den geraden Nummern. Am letzten Tag der jeweiligen Zeitspanne muss zwischen 20.30 und 21 Uhr umgeparkt werden. Heute ist schon der 18. November. Mein Auto hat also den Seitenwechsel verpennt und den Verkehr behindert.

Der Polizist von der Police municipale ist freundlich. Er habe mein Kennzeichen im Rechner, sagt er am Telefon. „Ihr Auto wurde heute Morgen abgeschleppt.” Ich solle mit Fahrzeugschein und Personalausweis vorbeikommen, einen Bon de sortie abholen und dann könne ich in der Fourrière intercommunale den Wagen abholen, das ist der Abstellplatz für die abgeschleppten Autos. „Viel Glück“, wünscht er noch.

Bei der Polizei sitzen Leute und warten. Eine Oma ist eingenickt, Kopf zur Seite. Was ihr wohl passiert ist? Die Handtasche geraubt? Auf dem Zebrastreifen eingeschlafen und den Verkehr behindert? Sie schläft weiter, während der Beamte mir den Abholschein ausstellt.

Der Abschleppplatz für die Fahrzeuge befindet sich am Ende der Welt. Ich klage dem Taxifahrer mein Leid. „Seien Sie doch froh, dass der Wagen nicht gestohlen wurde“, sagt er. Oder angezündet, was einem in Frankreich ja auch passieren kann. Der Taxifahrer ist ein Mensch, bei dem das Glas immer halb voll, nie halb leer ist. Und dann erklärt er mir, warum es dieses Stationnement unilateral alterné gibt: Man wolle damit gegen die Dauerparker vorgehen.

Bei der Fourrière sieht es trostlos aus. Ein Platz voller kaputter Autos. Mit kaputten Reifen, zerbeulten Türen, zersplitterten Fensterscheiben. Viele Campingautos. Ein Ort trauriger Fahrzeuge. Und ganz vorne steht mein Auto.

Ich werde begrüßt von Hundegebell. Denn fourrière ist im Französischen nicht nur das Wort für den Platz, auf dem die amtlich abgeschleppten Autos auf ihre Besitzer warten. Fourrière heißt auch Tierheim. In vergitterten Boxen stehen Hunde und schauen mich an. Sie hoffen, dass ich ihr neues Herrchen werde.

Es gibt ein Büro. Ich fürchte, dass man mir nur das Auto zurückgibt, wenn ich einen Hund mitnehme oder zwei Katzen. Der Mann hinter der Scheibe spricht nicht viel. Gibt mir eine Abschlepprechnung von 115 Euro. Ich muss Gott sei Dank keine Tiere mitnehmen. Ich wünsche aber insgeheim den französischen Bellos alles Gute. Am Wochenende ist in Paris zum 50. Mal eine Veranstaltung, bei der man Tiere adoptieren kann: „Weihnachten für ausgesetze Tiere“ heißt es in den Anzeigen. Hoffentlich habt ihr Glück und seid dabei und findet ein Frauchen oder Herrchen.

„Sie dürfen Ihr Fahrzeug jetzt mitnehmen“, sagt der Mann. Hallo Auto. An der Scheibe hängen noch mal zwei Strafzettel, Kategorie 2 zu je 35 Euro. Wenn doch heute Morgen nur einfach ein Socken verschwunden gewesen wäre. Andererseits: Frankreich ist in der Krise. Ich habe dem Land Geld gespendet. Und das Glas ist halb voll.

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