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Wiener Alltag in Tokio

 

Japanerinnen: Lachen, als wären sie in dich verliebt

 

Alte Schulfreunde in Wien nennen mich immer noch Roli. Das geht in Tokio nicht. Hier wird das R zum L. Dann lachen die Japaner und sagen „Ah, so wie loli-kon“ — ihr Kürzel für Lolita Komplex. Mit meinem Yul Brunner Kopf sorgt auch „Hagenberg“ für Unterhaltung. Hage bedeutet „kahl“. Berg auf Japanisch yama. „Ah, hageyama, Glatzkopf!“. Japaner lieben Wortspiele, wie die Wiener, subtil, erfrischend, frech – untermauern sie mit 5000 Jahre alten chinesischen Zeichen. Aus denen besteht die japanische Schrift heute noch. Eins meiner Lieblingssymbole: „Frau, laufend, bewaffnet mit Stein“ – auf Deutsch: „Eifersucht“. Apropos Frauen. Alle gertenschlank. Schuhe, Kleider, Haarspangen, Taschen, Fingernägel, Make-up, Handy, sorgfältigst ausgewählt und farblich abgestimmt, und sei es nur für die 10 Minuten auf der Strasse rüber zum Supermarkt. Sie grüssen, als wären sie alle in dich verliebt, verbeugen sich tief.

Das schreckliche ist, wie schnell man sich daran gewöhnt, und die japanischen Gesten dann unbewusst auch von den Wienern erwartet. Ich gehe dann morgens im ersten Bezirk zur Bank, starre in ein mürrisches Gesicht mit zerzausten Haaren, und der Tag ist gelaufen. Bei jedem Heimatbesuch fühle ich mich wie ein Tiefseetaucher, der in den ersten zwei Tagen eine ästhetische Dekomprimierungsphase durchläuft. Wo mich in Japan in der U-Bahn gestylte, zuvorkommende Menschen auf Fischdiät umschwirren (zwei Millionen strömen neben meinem Büro täglich durch die Shinjuku Station) – wälzt sich in Wien eine übergewichtige Schweinsbraten-Gesellschaft langsam die Rolltreppen hoch, die Gesichter vergrämt, die Kleidung nichtssagend um ein paar Nummern zu gross. Die Japaner lieben Wien, glauben, dass jeder Wiener Geige spielt und Mozart singt. Dabei treiben sie mich, den Schreiber, mit ihrer Obsession für Selbstzensur in den Wahnsinn. Alles wollen sie gegenlesen, umschreiben, entschärfen. „Schlimmer als Nordkorea“ klagen Kollegen im Auslands-Korrespondenten Klub. Erst kürzlich verklagte Star-Architekt Kisho Kurokawa erfolgreich einen Kritiker, weil der seine Toyota Brücke verrissen hatte. Kosten für den Journalisten: 80,000 Euro. Kontakt habe ich zu den derzeit 400 Österreichern in Japan wenig. Aber einmal im Jahr, zum Nationalfeiertag, lädt uns der Herr Botschafter ein. Wir prosten uns zu mit Wein aus dem Weinviertel. Und wenn wir brav die Bundeshymne gesungen haben, gibt’s Tafelspitz und Apfelstrudel mit Vanilla Sauce.

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