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Zurück in die Siebziger

Im Herbst 1976 geboren kann ich mich an die 70er natürlich nicht mehr wirklich erinnern. Am vergangenen Wochenende fühlte ich mich trotzdem in die damalige Zeit zurückversetzt. Wie fast jeden Samstag begab ich mich ins Café Blanc, das mit FAZSZWeltAftenposten, Dagens Nyheter und sicher zwanzig weiteren internationalen Tageszeitungen die wohl beste Zeitungsauswahl Kopenhagens hat. Im Feuilleton der FAZ dann "Das kommende Geschlecht" – ein Portrait der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, geschrieben von Julia Voss, die wohl nur ein paar Jahre älter ist als ich. Schwarzer hat – mal wieder – ein Buch geschrieben.

"Die Antwort" heißt es: "Das sind zwölf Kapitel zu zwölf Fragen, die plötzlich wieder im Raum stehen. Seit einem Jahr erscheint fast jeden Monat ein neues Buch, in dem es um Familienpolitik geht, um Krippenplätze, Rollenverhalten, Berufsbilder, Väter, Mütter, Magersucht oder die Stellung von Frauen im Islam", schreibt Voss. Kurz, es geht um Gleichstellung, Emanzipation, Feminismus. Gähnend langweilig, wie ich finde. Die Benachteiligung der Frau? Das gibt es doch kaum noch! Heutzutage schieben Männer wie selbstverständlich Kinderwagen vor sich her, verabschieden sich ein paar Monate vom Job, um sich dem Nachwuchs zu widmen, ohne dass die Kollegen darüber die Nase rümpfen oder die Karriere verbaut ist und in den meisten Familien sind längst beide Ehepartner berufstätig. Wer will denn da noch das Buch von der Schwarzer kaufen, das die Frage der Gleichberechtigung angeht, als sei in den vergangenen Jahrzehnten kaum was geschehen, ja, als seien wir noch in den 1970ern?

Voss schreibt über Schwarzer: "'Wir brauchen keinen neuen Feminismus', urteilt sie mit Blick auf die Gegenwart: 'Was wir brauchen, ist ein neuer Elan für den bestehenden Feminismus. Und Frauen, die öffentlich sagen: Ich bin stolz, eine Feministin zu sein.' Die Definition ist klar: gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten." Ja, muss so eine Selbstverständlichkeit noch in der FAZ stehen? Demnächst kommt noch jemand und fordert in "Bilder und Zeiten" die Abschaffung des Klassenwahlrechts – alles Dinge, die doch längst erledigt sind!

Erst da geht mir auf: Kinderwagenschiebende Männer, die sich Elternzeit nehmen, kenne ich doch vor allem aus Schweden. Ich gehöre gewiss nicht zu den Leuten, die den Norden Europas idealisieren, aber in manchen Dingen ist die Region Deutschland um einiges voraus. Was die Gleichstellung angeht, sind die 1970er in Skandinavien längst vorbei. Das geht soweit, dass sich selbst in der neuen liberal-konservativen Regierung von Schweden der männliche Finanzminister als Feminist bezeichnet (Barbie für seine Töchter kauft er trotzdem). Peer Steinbrück übernehmen Sie!

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