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Sankt Jacinda

In diesen apokalyptischen Zeiten, wo die Gesetze des Dschungels herrschen und es für uns freie Journalisten ums nackte Überleben geht, will ich endlich einmal vorne sein. Sollte ich eines Tages einem Preis gewinnen oder jemand meinen Nachruf schreiben, dann prahlt ruhig damit, liebe Weltreporter: Ich habe Jacinda Ardern erstmalig heiliggesprochen. Move over, Vatikan!

Vor über einem Jahr habe ich es prophezeit, als die coole Ex-DJ als Premierministerin stillend zu UN-Kongressen jettete, dann über Nacht Waffengesetze änderte und Terror-Opfer umarmte. Arderns Antlitz im Kopftuch wurde nach dem Moschee-Attentat in Christchurch überdimensional auf einen Turm in Dubai gebeamt. Ihr Bild radierte als Symbol nicht nur Mutter Teresa im Nonnen-Sari aus. Nein, es übertraf die Gottesmutter Maria.

Ein neues Zeitalter brach an. Jacindamania erfasste die Welt. Die Vogue fotografierte sie an einem einsamen Strand. Das internationale Love-Bombing begann, nur die alten weißen Männer rasteten aus. Seit unsere Landesmutter mit drastischen Maßnahmen und mitfühlenden Worten in den letzten Wochen auch die Corona-Fälle in den grünen Bereich drückte und ihr Land damit zu den sicheren Inseln der Glückseligen machte, ist es um alle geschehen.

Die Financial Times titelte: „Erhebe dich, Sankt Jacinda“, das Magazin The Atlantic legte nach: „Die effektivste Führerin auf der Welt“. Virologe Christian Drosten in Berlin schlug Ardern eine polyamore Fernbeziehung vor. Ikonen-Malerinnen gingen sofort ans Werk. In ihre Werke platzierten sie im Hintergrund dezent Mutti Merkel und Greta Thunberg, die unsere Gröfaz (größte Führerin aller Zeiten) verstärken. Arderns Gebiss wurde etwas überarbeitet. Auch Kiwis sind eitel.

Neuseelands Nationalmuseum Te Papa in Wellington wollte die gesamte Walfisch- und Vogel-Abteilung für die Heiligenbilder frei machen. Doch dann bekam Donald Trump davon Wind, fragte seinen Kumpel Kim Jong-un um Rat und ließ alle Jacinda-Bilder vom Kunstmarkt verschwinden. Verschwörungstheoretiker behaupten, sie wurden zusätzlich mit Chlorbleiche verätzt. Wer mir nicht glaubt: Ich habe YouTube-Videos gesehen, wo Experten das belegen.

Unser Aotearoa lässt sich von den USA mit solchen Machenschaften nicht in die Knie zwingen. Wir setzen daher unserem Anti-Trump bald ein Denkmal, das auch einem dritten Weltkrieg standhält. Sobald wir aus dem Lockdown kommen, wird neben der Riesen-Karotten in Ohakune und dem gigantischen Doughnut auf einem Acker in Springfield endlich im Hagley Park in Christchurch eine Statue von nordkoreanischem Ausmaß errichtet.

Da thront dann die Heilige Jacinda wie die Freiheitsstatue über New York. An einer Brust ihr stillendes Kind, in der erhobenen Faust eine Impfspritze. 5G-Gegner haben bereits Denkmalschändung angedroht. Was immer mir nach diesen Enthüllungen passiert: Die Mainstream-Medien werden es unterdrücken.

 

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Unser sexy Akzent

Seit der Nominierung von Jacinda Ardern für den Friedensnobelpreis hat keine Nachricht aus Aotearoa internationale Wellen geschlagen wie diese. Besser setzen, jetzt kommt’s: Der neuseeländische Akzent ist sexier als jeder andere der Welt! Das löst auch bei Inländern unfassbaren Stolz aus – und Unglauben. Denn bisher hat uns das noch nie jemand gesagt.

Rund 7.000 Sprachen gibt es. Was akustisch schön anmutet oder heiß macht, ist Geschmackssache, so wie beim Essen: der Samoaner schätzt Hund, die Schottin Haggis. In Brasilien sind dicke Popos attraktiv, bei den Karen in Thailand lange Hälse. In westlichen Ländern ist man sich einig, dass Italiener und Franzosen verführerisch klingen; einige Dialekte, zum Beispiel in den neuen Bundesländern, eher nicht so. Das ist natürlich auch Snobismus. Upper-Class-Briten klangen sexy, bis Jamie Oliver kam.

Bevor Mutter Jacinda das Image-Ruder für uns rumriss und die Weltbühne eroberte, klangen Kiwis für nichteinheimische Ohren immer komisch. Irgendwie gequetscht, und am Ende des Satzes zieht die Tonlage hoch, gerne mit einem „aye“ oder „bro“ als Abschluss. „Fish and Chips“ mutieren zu „Fush’n Chups“ und Eier zu „iggs“. Wenn Papa sich ins Bett legt, dann geht „Did to bid“ statt „Dad to bed“.

Diese Verquetschung der Sprache wird extremer, hat Professor Allan Bell von der Auckland University of Technology festgestellt. Er hat 300 Tonaufnahmen der letzten 30 Jahre ausgewertet. In den 70ern klangen neuseeländische Radiosprecher noch wie vom BBC – das Englisch der Queen war Norm. „Seit den 80ern klingen sie jedoch mehr wie Kiwis“, so Bell. Auch ein bisschen Cockney hat sich eingeschlichen: Bei „what“ oder „but“ wird das „t“ am Ende verschluckt.

Außerdem rollen uns zunehmend Maori-Wörter von der Zunge, von denen die Nachbarn drüben auf der barbarischen Seite der tasmanischen See nur träumen können: iwi, mana, whanau. Bis auf Southland, den Südzipfel der Südinsel, gibt es im Land der langen weißen Wolke keine regionalen Unterschiede beim Reden, nur ethnische. Und niemals, niemals, niemals ist der Kiwi-Akzent mit dem Australischen zu verwechseln. Darauf steht Todesstrafe.

Auf unserem urtypischen Slang darf in Zukunft niemand mehr rumhacken. Die Reise-Webseite „Big 7 Travel“ hat eine unwissenschaftliche Umfrage der 50 „sexiest accents“ veröffentlicht. Sie krönte den Sound von „Newzild“ als den verführerischsten: „Es ist offiziell!“ An zweiter Stelle: Südafrika. Die Iren an dritter, die Australier erst an fünfter. Bätsch. Mit Ach und Krach schafften es die Deutschen auf den 46. Platz. „Zuweilen hart, aber superklar“, so die Bewertung der Teutonensprache.

Die TV-Sendung “Seven Sharp“ hat zur Feier unseres Weltrekords die romantischsten Szenen aus Filmklassikern wie „The Notebook“ oder „Titanic“ nachvertont – auf kiwianisch. Noch nicht Oscar-verdächtig, aber turnt total an.

 

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Buschtrommel statt “Bunte”

„Gone bush“ heißt es in meiner Abwesenheitsnotiz, denn ich verbringe den Sommerurlaub wie jedes Jahr in unserem Hauslaster-Domizil an der wilden Westküste. Der steht hoch oben auf einem dicht bewachsenen Hang über tosendem Meer. Solarstrom, Plumpsklo, kein Internet, kein Handyempfang. Das ist Segen und Fluch, mal wieder.

Es war vor exakt sechs Jahren, als ich mich auf dem Fahrrad die steile Küstenstraße entlang bis zum nächsten Café in Punakaiki quälte, um dort einen Blick auf die Zeitung vom Vortag zu erhaschen. So aktuell sind dort die Auslieferungszeiten. Dafür kann man immer mit Sandfliegen rechnen. Solch kleine Mankos machen sie dort mit einmaliger Whitebait-Pizza und singenden Einheimischen wett, die jeden Freitag bis in die Puppen musizieren.

So kam es, dass ich als Letzte im Lande erfuhr, was dem bekanntesten wie dicksten Deutschen in Aotearoa widerfahren war: Kim Dotcoms Villa außerhalb Aucklands war in einer Großrazzia, wie sie das Land noch nie gesehen hatte, gestürmt worden. Der Hausherr saß im Knast – und die Auslandskorrespondentin am schönsten Arsch der Welt, weit von jedem Flughafen oder WLAN-Anschluss entfernt. Tage verbrachte ich telefonierend in dem Café, sah viele Touristen kommen und gehen und bekam am Ende eine halbwegs seriöse Geschichte zustande.

Jedes Mal, wenn ich das Pancake Rocks Café betrete, fällt mir kurz der von Dotcom versaute Urlaub ein. Und jedes Mal schwöre ich, dass sich solche Tiefpunkte statistisch nicht wiederholen können. Denn Januar ist Sommerpause, da ruht das kiwianische Leben komplett. Nicht ganz. Ein Leben begann längst woanders – im Bauch unserer neuen Premierministerin. Jacinda Ardern, keine drei Monate im Amt, und zack-bumm, schwanger. Ja, Wahnsinn! Eine Weltnachricht. Und ich mal wieder in seliger Unerreichbarkeit im Busch.

Darüber lachten wir dann alle beim letzten Grillen vor dem Hauslaster. Stießen auf unsere coole PM an, die das babytechnisch sicher alles gewuppt kriegt. Sonnten uns als eingewanderte Spät-Kiwis in dem Glanz, mit Jacinda ein bisschen internationalen Eindruck gemacht zu haben, auch wenn mein medialer Beitrag dazu bis dato noch fehlte. Bis unser frisch angereister Gast, der früher an dem Tag Empfang hatte, einen Schluck vom Bier nahm und beiläufig sagte: „Aber dass Kim Dotcom gerade wieder geheiratet hat und den neuseeländischen Staat in Milliardenhöhe verklagen will, das weißt du?“

Der MegaUpload-Krösus, dessen schillernde Laufbahn gerade in einem dollen Dokumentarfilm beleuchtet wurde, hatte ausgerechnet den Jahrestag seiner Verhaftung für die zweite Hochzeit gewählt – um, wie er twitterte, etwas Schlechtes in Gutes verwandeln. Nach wie vor schlecht für mich. Welch ein Sommer. Schlagzeilen sprudeln in die Welt, die zusammen eine halbe „Bunte“ füllen könnten, und ich habe nichts als eine Buschtrommel. Ich bin dann mal Wellenreiten.

 

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Schwein mit Lippenstift

Wahrscheinlich hat’s im deutschen Wahlkampf niemand mitbekommen, aber wir fuehren gerade auch einen. Ja, Zufaelle gibt’s: Wir waehlen sogar fast am selben Tag. Im Gegensatz zum Bratwurstland ist in Kiwi Country eigentlich schon klar, wer diesen Samstag gewinnen wird – wenn uns kein Schwein beisst, das Lippenstift traegt.

Aber keine voreiligen Prognosen. Denn was im August passierte, konnte auch niemand vorhersehen: Drei SpitzenpolitikerInnen verschwanden ploetzlich von der Buehne. Ein Erdrutsch mit Shitstorm, wie ihn das politisch eher schlaefrige Neuseeland noch nicht erlebt hat. Angefangen hatte es mit Meteria Turei an der Spitze der Gruenen.

Turei ist Maori-Vorzeigefrau mit untypischer Geschichte: ohne Schulabschluss, junge Alleinerziehende, Kuechenhilfe – aber brachte es zum vollendeten Jura-Studium. Ein „working class hero“. Im Juli beichtete sie dann ploetzlich eine Jugendsuende. Als sie in den 90ern Sozialhilfe kassierte, machte sie falsche Angaben ueber ihre Wohnsituation, um finanziell ueber die Runden zu kommen. Fuer viele wurde sie damit zur Maertyrerin.

Doch es kam noch was nach. Meteria Turei hatte sich damals auch unter einer falschen Adresse angemeldet, um den Wahlkreis zu wechseln. Das war dann selbst ihrer Partei zuviel. Tureis Schummel-Vita zwang sie zum Abtritt, die Gruenen sackten auf ein historisches Tief. Nebenbei schmiss Peter Dunne das Handtuch – mit 33 Dienstjahren Neuseelands zaehester Politiker und Kopf der Mini-Partei United Future.

Als das Wahl-Chaos fast perfekt war, ging die groesste Bombe hoch: Andrew Little, farbloser Spitzenkandidat der Labour-Partei, warf einen Blick auf die desastroesen Umfragen und haute anderthalb Monate vor der Wahl in den Sack. Und damit brach in Aotearoa „Jacindamania“ aus: Auftritt von Jacinda Ardern, gerade mal 37 und nebenbei DJ. Quasi ueber Nacht wurde sie das neue Fraeuleinwunder der Linken, wenn man sowas ueberhaupt noch sagen darf.

Was man ganz sicher nicht sagen oder stellen sollte, ist die Baby-Frage. Als Ardern in ihrem ersten TV-Interview von einem altbackenen Moderator gefragt wurde, ob sie vielleicht im Amt schwanger werden koennte, kanzelte sie den Mann so souveraen ab, dass ihre alle Frauenherzen zuflogen. Ploetzlich wurde der tranige Wahlkampf wieder sexy. Arderns Freund gab ein spassiges Radio-Interview mit Rollenverteilung, in dem er sich den typischen Fragen an Politikergattinnen zu Hobbys und Frisoer stellte.

Jeder Hype hat seinen Spielverderber: Gareth Morgan, philantropischer Millionaer, der mit seiner pragmatischen Opportunities Party den Gruenen ernsthaft Konkurrenz macht, erlaubte sich einen Faux-Pas. Jacinda Ardern sei nichts anderes als „lipstick on a pig“: das rostige Schiff Labour mit hellem Anstrich, aber dennoch morsch. Auf deutsch haette man es „Zuckerguss auf der Scheisse“ genannt, was fuer Gareth Morgan besser gewesen waere. Jetzt steht er wegen des Lippenstift-Bonmots als Sexist da.

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