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Der Fluss als Mensch

Die Welt hat den Kiwis viel zu verdanken: das erste Wahlrecht für Frauen, Bungy-Springer und die Pavlova-Baiser-Torte. Aber als Trendsetter galt mein kleines Völkchen am untersten Rand des Globus‘ bisher eher nicht. Meistens hinken wir Jahre hinterher. Alter Scherz: „What’s the time in New Zealand?“ – „Still 1995“. Doch jetzt setzen wir Weltrekorde: Erstmals wurde hier ein Fluss zur juristischen Person benannt.

Der Whanganui auf der Nordinsel ist der drittlängste Fluss Neuseelands. Von den Maori wird er Te Awa Tupua genannt und tief verehrt. Was war passiert? War jemand in ihm ertrunken und wird er dafür nun verklagt? Kann alles noch passieren, inklusive Schmerzensgeld, denn der Fluss ist jetzt reich. Letzte Woche stufte ihn das Parlament in Wellington als lebende Einheit ein, „mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten“. Das gab’s noch nirgendwo. Indien zog darauf gleich nach und gab – angelehnt an unser Vorbild – den Flüssen Ganges und Yamuna menschlichen Status.

Zum Whanganui gibt es eine tiefe spirituelle Verbindung. Jeder Baum, jeder Berg, jeder See ist für einen Maori genauso wichtig und lebendig wie ein Mensch. Ein bekanntes Sprichwort der Maori, und davon gibt es viele, heißt: „Ich bin der Fluss und der Fluss bin ich.“ Im Wasser tummelt sich außerdem gerne der taniwha – ein Geist, mit dem nicht zu spaßen ist. Aber nicht übernatürliche Kräfte waren bei dem historischen Sieg im Spiel, sondern vor allem teuer bezahlte Anwälte.

Seit 170 Jahren kämpft ein Stamm der Ureinwohner bereits um seine Rechte an dem heiligen Fluss. Es ist der längste Rechtstreit in der Geschichte des Landes – alles im Rahmen der Wiedergutmachungen unter dem „Treaty“, dem Vertrag von Waitangi, der indigene Kultur, Rechte und Landbesitz schützen soll. 80 Millionen Neuseeland-Dollar (über 52 Millionen Euro) bekam der Stamm als Entschädigung, dazu 30 Millionen, um den Fluss wieder flott zu machen. Und noch eine Million für die juristische Abwicklung des Ganzen.

Für Kiwi-Rednecks ist das „politisch-korrekter Wahnsinn“ und rausgeworfenes Steuergeld. Viele der Meckerer sind jedoch genau die Milchbauern, deren Abertausende von Kühen die einst so klaren Flüsse entlang ihrer Weiden mit Gülle verseuchen. Dem Whanganui, der jetzt zumindest auf dem Papier und vor Gericht ein eigenes Leben hat, stehen etliche andere gegenüber, die bald tot sind: voller Algenschleim und Koli-Bakterien. „Clean and green“ – dieses Image hat die Agrarnation sich Kuhfladen um Kuhfladen ruiniert.

Wasser hatte die konservative Regierung bislang „nicht auf dem Radar“ – so drückte es die stellvertretende Premierministerin Paula Bennett letzte Woche aus. Sie meinte jedoch nicht die sterbenden Flüsse, sondern eine Firma aus China: Die will in Zukunft pro Tag fünf Millionen Liter Wasser bei uns abzapfen – umsonst. Denn Wasser ist hier so frei zu haben wie Luft zum Atmen. Das könnte sich bald ändern. Vielleicht redet der Whanganui da ein Wörtchen mit.

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