Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Keine Arme, kein Bootcamp

Kiwis pflücken Äpfel und scheren Schafe? Von wegen. Kiwis segeln, surfen, fahren Ski, wandern, rennradeln, mountainbiken, klettern Felsen hoch, paddeln Flüsse hinab, joggen, kajaken, springen Bungy und Fallschirm. Täglich.

Wenn dann noch Zeit bleibt, gehen sie arbeiten. Da ich von diesen Sportarten nur fünf leidlich beherrsche – wandern mit eingerechnet –, befinde ich mich im Landesdurchschnitt in der untersten Abteilung: Stubenhocker/Invalide.

Werfe auf einer Stehparty das Wort „Fahrradrennen“, „vereiste Piste“ oder „Monster-Welle“ in die Runde, und du kannst die nächsten zwei Stunden ungehindert die Weinvorräte plündern, denn der Rest der Gästeschar ist beschäftigt. Ab und zu mal reinlauschen – „bei 97 Kilometer ging mir dann die Puste aus, aber ich hab Adrenalin-Ampullen dabei“, „den Platten habe ich geflickt, während ich freihändig auf der Felge weiterfuhr“ – nicken und davon träumen, auf Menschen zu treffen, die auch mal ein Buch lesen.

Da ich leider nicht im Alter von fünf Jahren in Rugby-Montur gesteckt wurde oder mit sechs auf meinem ersten Surfbrett stand, habe ich ein echtes Bewegungsdefizit. Nachzüglern wie mir bleibt nur eine Chance, um doch noch an die stolzeste Sportnation des Pazifiks anzudocken: Das Bootcamp.

Nicht nur der Name ist den Ausbildungslagern der amerikanischen Marines entliehen. Bootcamp bedeutet: Mit Marschgepäck rennen, durch den Schlamm robben und stramm gestanden. Kein Rumgesteppe in rosa Aerobic-Stretch, sondern knallharter Drill, der dich ins Schwitzen bringt. Morgens früh um 6 im Stadtpark, dreimal die Woche, egal ob’s regnet oder dämmert, und am Wochenende geht es raus ins Gelände. Fünf Wochen lang.

Versprochen werden T-Shirt, Rucksack und „Steigerung des Fitness-Levels ums Doppelte“. Bootcamp könne „mein Leben verändern“ und mich „der Gruppe näher bringen“. Im Matsch kriechen verbindet. Was will ich mehr – ich mache eine Probestunde. Drei paramilitaristische Trainer, vier Damen mittleren Alters. „Rekruten“ heißen wir, müssen gerade stehen, dann marschieren. Kniebeugen, rennen, hinwerfen, aufspringen, wieder Kniebeugen.

30 Sekunden bleiben uns, um Wasser zu fassen. „Los, schneller!“ bellt der Trainer, Daumen in den Bund der Army-Hose gehakt. Dann 30 Liegestütze, fünf Mal hintereinander. Ich presse und beiße mir auf die Zähne. Jetzt bloß nicht die Pazifistin raushängen lassen. „Ellenbogen nach hinten!“ schreit der Trainer, dessen Bizepsumfang den seines kahlrasierten Kopfes schlägt. Ich warte darauf, dass er mir gleich eine Kapuze überstülpt, meine Hände fesselt und Guantanamo Bay mit uns spielt, aber nein: Wir haben’s überlebt.

Am nächsten Tag will ich mir die Haare kämmen, komme mit den Händen aber nur bis knapp vors Gesicht. Der Trizeps ist eine einzige verhärtete Krampfzone. Ich bin horizontal dank Extrem-Muskelkater gelähmt. Zähneputzen, Gabel halten: Äußerst mühsam bis schmerzhaft. Nach oben greifen, zum Beispiel ins Lebensmittelregal: Ausgeschlossen. Meine nächsten Angehörigen, die mich Krüppel pflegen und füttern sollten, haben kein Mitleid: „Keine Arme, keine Kekse“. Vielleicht sollte ich schießen lernen. Ist auch ein Sport.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Menschen sind auch nur Hühner

Die schönste SMS bekam ich kürzlich von der deutschen Regierung: "EU-Ministerrat erreicht Einigung zur Hühnerwohlfahrt". Weil die Bundesregierung gerade den Vorsitz in der Europäischen Union hat, kam die SMS an die Brüsseler Journalisten natürlich auf Englisch, was der Sache auch kulturell angemessen ist: "Council reached agreement on chicken welfare".

Für "chicken welfare" gibt es bei Google 1,23 Millionen Einträge. Bei "Hühnerwohlfahrt" wird man nur gefragt, ob man nicht in Wirklichkeit "Männerwallfahrt" gemeint habe. Dafür gibt es dann immerhin noch 735 Einträge. Damit wird auch klar, wo der geografische Schwerpunkt der "chicken welfare" liegt. Männerwallfahrten kommen überwiegend in Bayern vor und "chicken welfare" ist ein ganz großes Thema bei den Angelsachsen.

Tierschutz ist in Großbritannien so wichtig, dass einflussreiche Kreise im Londoner Regierungsviertel schon darüber nachdenken, ob sie vielleicht doch Befürworter der Europäischen Verfassung sein sollten. Denn da ist in Artikel III-121 der Tierschutz ausdrücklich als eines der Ziele der EU genannt. Das würde britischen Tierschützern bei ihrem anhaltenden Einsatz für ein Verbot der spanischen Stierkämpfe enorm helfen. Geht allerdings doch nicht, weil in dem Verfassungsentwurf auch soziale Grundrechte (der Menschen) erwähnt werden.

Zwar ist man in London nicht prinzipiell gegen soziale Grundrechte, aber da will man schon etwas mehr Spielraum bei der Auslegung haben. In Brüssel durften wir deshalb schon eindrucksvolle Szenen erleben, als beispielsweise vor dem Ministerratsgebäude einige hundert vorwiegend britische Demonstranten völlig zurecht gegen die unerträglichen Schweinetransporte protestierten. Da stürmte plötzlich ein britischer Minister aus dem Gebäude und lobte das Engagement seiner Landsleute für das Wohl der Tiere. Dann ging er wieder rein und stimmte die EU-Richtlinie gegen Kinderarbeit nieder.

Damit britische Zeitungen weiterhin von Zwölfjährigen ausgetragen werden können. Das ist Tradition, sagte der Minister, und Traditionen sind den Briten heilig. Das wissen sogar die Hühner.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Elektroschock mit Heizdecke

Gestern habe ich Heizdecken gekauft. Für die ganze Familie, denn meine Kinder sollen es mal besser haben. Sie sollen es so gut haben wie Kiwi-Kinder. Die haben Frostschutzmittel im Blut und kommen locker ohne Zentralheizung und andere europäische Verweichlichungsmaßnahmen aus. Da die allgemein übliche Schlafzimmertemperatur in Neuseeland die ist, bei der man beim Ausatmen seinen Atem in weißen Wolken sieht, gibt der Kiwi dem Bett regelmäßig Elektroschocks, damit der Federkern nicht Gefrierbrand ansetzt. Wärme ist dabei Nebensache.

Für alle, die nicht in meinen Breitengraden verkehren oder noch nie auf einer Kaffeefahrt waren, sei die Heizdecke kurz erklärt: Es ist eine fliesartige Matratzenauflage mit Kabelauswuchs an der Seite. Unterm Flies schlängeln sich Heizschlangen. Den Grill betätigt man per Schalter, bevor man ins Bett steigt. Wichtig ist, dass man ihn wieder ausknipst, bevor man wegdöst, sonst könnte es im Schlaf zu Verschmorungen kommen. Das Prinzip – oben Decke, unten Hitze – ist ähnlich wie beim zuklappbaren Sandwich-Toaster, den wir aus Assimilierungsgründen auch längst angeschafft haben. Damit wärmen wir uns morgens die Hände.

Neuerdings besitzen wir auch einen Föhn, um Erfrierungen an den äußeren Gliedmassen behutsam auftauen zu können. Ein Winter in Neuseeland ist wunderschön, wenn man nicht dort wohnen muss. Da das Klima allgemein als „mild“ gilt, spart man seit Generationen fleißig an allem, was ein Haus normalerweise als solches kennzeichnet: Doppelverglasung, Unterkellerung, Steinmauern. Doch, ein Dach gibt es in der Regel, was zumindest vor Regen schützt, aber an der Innentemperatur nicht viel ändert.

Dass man drinnen ist und nicht draußen, merkt man daran, dass man zwei Wollpullis mehr als sonst trägt – das neuseeländische Pendant zur Heizung. Frieren? Kennt ein Kiwi nicht. Das Leben mit der Natur fordert Anpassung und Abhärtung. Wer Pioniere als Urgroßeltern hat, dem ist neumodischer Wohnkomfort fremd. Wichtig ist allein die große Garage, in der sich Werkzeuge türmen. Damit lassen sich dann Risse in der Holztür flicken, durch die der Wind pfeift. Erfindungsreichtum ist alles. Gardinenstoff ist daher stets von einer Seite beschichtet, so wie diese Knieflicken zum Aufbügeln. Ein simpler Gummifilm reicht als Isolation, wo Weicheier wie wir Rollläden brauchen. Wärme spendet lediglich der Kamin, was nicht ganz im Sinne von Al Gore sein kann, da die halbe Stadt im Winter unter einer Smogglocke ruht. Aber er prasselt gemütlich.

Richtig romantisch wird es dadurch, dass man vor dem Feuer so ins Schwitzen kommt, dass man sich die Kleider vom Leib reißt, aber drei Meter weiter bereits wieder Sibirien anfängt. Freundin Shirley, eingewandert aus Südafrika, maß im letzten Winter die Temperatur in ihrem Flur: Acht Grad Celsius. „Das ist unter der Zumutbarkeitsgrenze der Weltgesundheitsorganisation,“ befand Shirley, die Anti-Apartheid-Anwältin war und sich mit Menschenrechtsverstößen auskennt. Sie installierte eine Klimaanlage, die heizt, statt kühlt. Ich werde beim Roten Kreuz nachfragen. Vielleicht spendieren sie dort Fußbodenheizungen. Oder zumindest Wärmflaschen.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Wir Antiamerikaner

Das Internet ist eine faszinierende Welt. Gerade habe ich wieder einmal beim Surfen eine Site namens „Davids Medienkritik“ entdeckt. Die ist mir schon im Vorjahr aufgefallen, weil der Verfasser damals einen erbosten Leserbrief an die Financial Times Deutschland geschrieben hatte, der sich auf einen von mir verfassten Kommentar bezog.

Damals schrieb ich nach gewalttätigen Ausschreitungen in Kabul, bei denen ein Bordell abgebrannt wurde, dass es sich dabei um ein „von Amerikanern betriebenes Bordell“ handelte. (Siehe dazu auch meinen Blog-Beitrag auf dieser Site „Burn, brothel, burn!“). Der Schreiber warf mir vor, ich unterstelle der amerikanischen Regierung, sie betreibe Bordelle, was ich weder getan noch beabsichtigt habe. Wenn ich schreiben würde, Franzosen betreiben Restaurants in Kabul, meinte ich ja auch nicht die Regierung von Herrn Sarkozy. Aber damit nicht genug. Der Autor argumentierte auch noch, dass es unmöglich sein könne, dass Amerikaner Bordelle in Afghanistan betreiben, weil darüber noch nie an anderer Stelle berichtet wurde, und warf mir deshalb Antiamerikanismus vor. Seitdem tobt auf eben jenem Blog eine heftige Diskussion über meinen angeblichen Antiamerikanismus.

Dazu möchte ich hier kurz Stellung nehmen: Ich kenne die Betreiber dieses Bordells persönlich, weil sie meine Nachbarn waren und ich mich mehrmals bei ihnen über die laute nächtliche Musik beschwert habe. Ich habe ihnen damals gesagt, es sei mir egal, welche Art von Etablissement sie betreiben, aber dass ihr auffälliges Verhalten eine Gefahr für die gesamte Nachbarschaft darstellt, weil früher oder später Islamisten darauf aufmerksam würden. Genau so ist es gekommen! Die zwölf chinesischen Prostituierten flohen damals vor dem Feuer in unseren Garten, von ihren Chefs keine Spur. Da ich noch immer in Kabul arbeite, sehe ich jeden Tag die völlig ausgebrannte Ruine eines der beiden Gebäude. In dem anderen finden noch immer gewisse Aktivitäten statt, nun aber ohne dröhnende Disco-Musik. Das Schild am Eingang wurde entfernt. Auch die damaligen Chefs habe ich lange nicht mehr gesehen.

Wenn die einfache Benennung einer Realität heute schon Anti-Amerikanismus ist, dann bekenne ich mich hier ausdrücklich dazu. Dies ist die Pflicht eines jeden Journalisten.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Schnorrer

Seit ich in Afghanistan arbeite, bin ich Zeugin eines merkwürdigen Phänomens: Ich habe offenbar jede Menge Freunde, von denen ich noch nie zuvor gehört habe. Die melden sich zumeist, dann, wenn es mal wieder kracht, so wie am Wochenende in Kundus. Da kommen dann Fernsehproduktionsanstalten auf mich zu und bitten mich um Kontakte zu Bundeswehrsoldaten, die aus Afghanistan zurückgekehrt sind. Oder es tauchen Journalistenkollegen auf, die mich fragen, ob ich ihnen zufällig die Telefonnummer von Minister XY geben könnte, oder ob ich ein Zimmer frei habe. Ich rede hier nicht von alten Freunden und Kollegen, die ich lange kenne, und denen ich gern mit Rat und Tat zur Seite stehe, sondern von wildfremden Menschen und Medien, von denen ich noch nie einen Auftrag bekommen habe. Diese Kollegen haben offenbar noch nie davon gehört, dass die Kontakte das Kapital eines Journalisten sind, besonders eines freien. Ich habe schon hin und wieder überlegt, ein Hotel mit angeschlossenem Auskunftsbüro zu eröffnen. Aber ich fürchte, das würde sich nicht rentieren, denn Schnorren ist billiger.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Zurück in die Siebziger

Im Herbst 1976 geboren kann ich mich an die 70er natürlich nicht mehr wirklich erinnern. Am vergangenen Wochenende fühlte ich mich trotzdem in die damalige Zeit zurückversetzt. Wie fast jeden Samstag begab ich mich ins Café Blanc, das mit FAZSZWeltAftenposten, Dagens Nyheter und sicher zwanzig weiteren internationalen Tageszeitungen die wohl beste Zeitungsauswahl Kopenhagens hat. Im Feuilleton der FAZ dann "Das kommende Geschlecht" – ein Portrait der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, geschrieben von Julia Voss, die wohl nur ein paar Jahre älter ist als ich. Schwarzer hat – mal wieder – ein Buch geschrieben.

"Die Antwort" heißt es: "Das sind zwölf Kapitel zu zwölf Fragen, die plötzlich wieder im Raum stehen. Seit einem Jahr erscheint fast jeden Monat ein neues Buch, in dem es um Familienpolitik geht, um Krippenplätze, Rollenverhalten, Berufsbilder, Väter, Mütter, Magersucht oder die Stellung von Frauen im Islam", schreibt Voss. Kurz, es geht um Gleichstellung, Emanzipation, Feminismus. Gähnend langweilig, wie ich finde. Die Benachteiligung der Frau? Das gibt es doch kaum noch! Heutzutage schieben Männer wie selbstverständlich Kinderwagen vor sich her, verabschieden sich ein paar Monate vom Job, um sich dem Nachwuchs zu widmen, ohne dass die Kollegen darüber die Nase rümpfen oder die Karriere verbaut ist und in den meisten Familien sind längst beide Ehepartner berufstätig. Wer will denn da noch das Buch von der Schwarzer kaufen, das die Frage der Gleichberechtigung angeht, als sei in den vergangenen Jahrzehnten kaum was geschehen, ja, als seien wir noch in den 1970ern?

Voss schreibt über Schwarzer: "'Wir brauchen keinen neuen Feminismus', urteilt sie mit Blick auf die Gegenwart: 'Was wir brauchen, ist ein neuer Elan für den bestehenden Feminismus. Und Frauen, die öffentlich sagen: Ich bin stolz, eine Feministin zu sein.' Die Definition ist klar: gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten." Ja, muss so eine Selbstverständlichkeit noch in der FAZ stehen? Demnächst kommt noch jemand und fordert in "Bilder und Zeiten" die Abschaffung des Klassenwahlrechts – alles Dinge, die doch längst erledigt sind!

Erst da geht mir auf: Kinderwagenschiebende Männer, die sich Elternzeit nehmen, kenne ich doch vor allem aus Schweden. Ich gehöre gewiss nicht zu den Leuten, die den Norden Europas idealisieren, aber in manchen Dingen ist die Region Deutschland um einiges voraus. Was die Gleichstellung angeht, sind die 1970er in Skandinavien längst vorbei. Das geht soweit, dass sich selbst in der neuen liberal-konservativen Regierung von Schweden der männliche Finanzminister als Feminist bezeichnet (Barbie für seine Töchter kauft er trotzdem). Peer Steinbrück übernehmen Sie!

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Frankreich vor den Wahlen

Die Zeitschrift Liberation macht Politik für Ségolène Royal. Dabei ist Ségolène bereits allgegegnwärtig…

 

 

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Von Lolli lutschenden Polizisten oder: Geduld ist eine Tugend

Es gibt Tage in Südafrika, da beiße ich mir auf die Zunge, zähle lautlos bis zehn und zwinge mich, tief einzuatmen. Und wieder aus. Wenn ich etwa zum fünften Mal im Außenministerium anrufen muss, weil ich jedesmal intern falsch verbunden oder direkt aus der Leitung gekickt werde. (Kein böser Wille, nein. “Skills shortage” heißt das hier.)

Wenn meine Wohnung über Nacht von Einbrechern ausgeräumt wird und am nächsten Tag zwei Polizisten auftauchen – beide mit einem rosa Lollipop im Mundwinkel – und wissen wollen, was mir fehlt. “Ein IBM-Laptop.” – “Ein was…? IBM? Können Sie das buchstabieren??”

Oder wenn ich (mit schlechtem Gewissen, jaja) den Drive-Through von McDonald's ansteuere, weil ich vor Hunger umfalle, aber gerade überhaupt keine Zeit habe. Fünf Autos stehen vor mir. Fünfzehn Minuten später habe ich mich zum Bestellfenster vorgearbeitet. Die Sonne brennt, in mir brodelt die Ungeduld: Fastfood heißt das Zeug! Oder nicht?!

Da streckt sich mir, bevor ich auch nur meine Pommes ordern kann, eine Hand zum Gruß entgegen, dahinter ein breites Grinsen und die Frage “Hallo, wie geht's? Kommen Sie gerade von der Arbeit? Was für ein wunderschöner Tag!” Ohne zu wissen, warum, schlage ich ein, sage irgendwas Nettes und – lächle zurück! Danach frage ich mich, ob ich noch normal bin (oder langsam meinen Biss verliere) und fahre trällernd nach Hause.

Stimmt schon, in Amerika hätte ich meinen Fishburger in zwei Minuten gehabt, hastig in die Hand gedrückt von einer gestressten Highschool-Schülerin. Und in Deutschland wäre mein Laptop wahrscheinlich gar nicht erst verschwunden. (Immerhin haben die Polizisten mit schuldbewusstem Blick gefragt, ob Lollilutschen okay sei. “Aber ja”, habe ich schulterzuckend gesagt.) Manchmal könnte ich in diesem Land vor Ungeduld an die Decke gehen und den Südafrikanern erklären, wie man… aber irgendwie habe ich direkt danach immer ein schlechtes Gewissen. Und außerdem und mal ganz ehrlich: Entspannt lebt es sich am Kap einfach besser.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Jagtvej ist überall

 

Vor einem Monat war Kopenhagen weltweit in den Schlagzeilen, weil autonome Demonstranten gewaltsam gegen die Räumung des alternativen Jugendzentrums Ungdomshuset demonstrierten. Mittlerweile ist das Gebäude abgerissen, doch die Demonstrationen gehen weiter, nur eben friedlich. Deshalb kümmert sich nicht nur die so genannte Weltpresse nicht mehr darum, sondern auch in Dänemark wird den Bemühungen, ein neues Jugendzentrum zu bekommen, kaum mehr Beachtung geschenkt. Doch, wer aufmerksam durch Dänemarks Hauptstadt geht, bekommt auch so mit: der "Jagtvej" (so die Adresse des Hauses) ist überall – einige Sympathisanten überklebten nämlich in einer subtilen, (beinahe) künstlerischen Aktion diverse Straßenschilder in der dänischen Hauptstadt. Nun gibt es den "Jagtvej" nicht nur wie gehabt im Stadtteil Norrebrø, sondern auch an etlichen anderen Ecken.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Warum ich so wichtig bin

Ich wusste gar nicht, dass ich so wichtig bin. Nein, im Ernst. Ich habe das erst in den letzten Wochen erfahren und zwar per Email. Jetzt denken Sie wahrscheinlich: Aha, ein Fall von fortschreitendem Wahnsinn. Hat nicht auch Friedrich Nietzsche kurz vor seinem Zusammenbruch Aufsätze mit Titeln wie „Warum ich so klug bin“ und „Warum ich ein Schicksal bin“ verfasst? Neinnein, Sie irren. Aber lassen Sie mich das erklären.

Ich wurde kürzlich für den „Liberty Award“ nominiert. Einen Preis, den der Zigarettenhersteller Reemtsma in diesem Jahr zum ersten Mal an Journalisten verleiht, die sich um die Freiheit verdient gemacht haben. Gestern wurde er in Berlin meinem wunderbaren Kollegen Georg Blume aus Peking verliehen.

Ich bedaure gar nicht, den Preis nicht erhalten zu haben. Denn, wie gesagt, schon seit der Nominierung weiß ich, wie großartig ich bin. Nicht etwa, weil die Firma Reemtsma und die Jury diese so herzergreifend begründet hätte. Die Nichtraucher-Lobby hat es mir vor Augen geführt! In den letzen zwei Wochen quoll mein Postfach über von Emails verschiedener Organisationen, die dem Rauchen den Kampf angesagt haben. Hier ein paar Zitate daraus:

„Sehr geehrte Frau Petersen, eine mit fachlich anerkannten Personen besetzte Jury hat Sie für den "Liberty Award" nominiert. Ich stimme mit der Jury völlig überein, dass Sie aufgrund Ihres Wirkens eine hohe Auszeichnung verdienen – insbesondere einen Freiheits-Preis.“

"Es stellt sich die Frage, ob Sie damit einverstanden sind, dass Ihr hervorragendes Werk und Ihr Ansehen in der Gesellschaft mit dieser Nominierung in Zusammenhang gebracht werden.“

„Sehr geehrte Frau Petersen, in Anbetracht Ihrer Lebenserfahrungen und Ihres Einsatzes für die Gesundheit kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie von der Tabakindustrie einen Preis entgegen nehmen.“

„Ich würde es zutiefst bedauern, wenn Sie der Firma Reemtsma erlaubten, sich mit Ihrem guten Namen zu schmücken und dazu noch den Begriff der Freiheit für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu reklamieren.“

Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Natürlich führen all diese mir völlig unbekannten Schreiber auch noch jede Menge Argumente ins Feld: Von der Schädlichkeit des Rauchens und der Zahl der Lungenkrebsopfer über die fiesen Machenschaften der Zigarettenindustrie bis hin zum Vorwurf des Selbstbetrugs. Nach dem Motto: Wer einen solchen Preis annimmt, verkauft seine Freiheit.

Nun, einen Preis den man nicht erhält, kann man auch nicht ablehnen, noch nicht einmal aus guten Gründen. Ich hätte es aber auch nicht getan. Nicht weil ich dem Tabak sonderlich zugetan bin, ich rauche höchstens auf Partys. Mich irritiert der messianische Eifer derer, die mich da loben. Wer zur Zigarette greift weiß, dass Tabak gesundheitsschädlich und suchterzeugend ist. Ich lehne es daher ab, in Zusammenhang mit seinem Tod gebracht zu werden, nur weil ich für einen Preis nominiert wurde. Aber das Lob der Nichtraucher-Lobby akzeptiere ich trotzdem gern. Die Freiheit nehm ich mir.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Australische Zeitverschiebung

Ab 31. März gibt es auch in Australien Terroristen. Nee, Unsinn, also nochmal: Ab 31. März kommen auch aus Australien keine Terroristen mehr raus. Oder wenn es dann welche gibt, finden wir sie am Flughafen. (“Äh, hallo, worum genau geht’s hier, genau?”) Ja, sorry, also es geht ums Fliegen mit Flüssigem. Darum, dass man ja seit dem vereitelten Anschlag in London im August fast nirgends mehr im Handgepäck haben darf außer organisches Felsquellwasser oder Wimperntusche. Das ist eben ab April auch down under Gesetz.

Wir haben eben spekuliert, wieso das in Känguruland etwas länger als anderswo gedauert hat. Mein Lieblings-Bayswim-Partner meint: “Unsere Terroristen hier sind eben nicht so clever, die hätten das gar nicht so schnell rausbekommen mit den Flüssigbomben.” Meine Nachbarin hat was von Zeitverschiebung gemurmelt. Mein Verdacht ist, es liegt an der Gründlichkeit, mit der die zuständige Behörde sich der Sache angenommen hat: Die Regierung musste nämlich erstmal Aufklärungs-Broschüren (“Was darf rein?”) drucken, und zwar 14 Millionen Stück (Australien hat knapp 21 Mio Einwohner). Und die mussten wiederum in fünf Sprachen verfasst werden: englisch, chinesisch, japanisch, koreanisch und malayisch. Das dauert dann vielleicht eben schon mal sieben Monate.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Helau auf chinesisch! Der Volkskongress tagt

 

 

 

 

Der 5. März ist in Peking Beginn des Karnevals chinesischer Prägung. Chinas Minderheiten müssen nämlich in ihren Kostümen in der Großen Halle des Volkes antreten, um im Parlament die Einheit des Landes zu demonstrieren. Der jährliche Volkskongress hat begonnen, wie immer mit dem vom Premier vorgetragenen Rechenschaftsbericht, diesmal 35 eng geschriebene Seiten, und er endet damit, dass die Delegierten selbigen brav abnicken. Fragen sind nicht erlaubt, mit einer Ausnahme: nach Abschluß stellt sich der Premier den in- und ausländischen Journalisten auf einer Pressekonferenz.

Weil aber Chinas KP nichts dem Zufall überläßt, bekommen viele meiner Kollegen und Kolleginnen in diesen Tagen Anrufe aus dem Außenministerium. Meist beginnen sie so ähnlich:

„Sie haben doch den Bericht des Premiers verfolgt – wahrscheinlich haben Sie noch Fragen dazu?“

„Ja, durchaus…..“

„Die könnten Sie ja auf der Pressekonferenz stellen. Was wollen Sie denn fragen?“

„???“

Klar ist, dass sich die chinesische Presse an solche Absprachen hält. Klar ist auch, dass sich kaum ein ausländischer Korrespondent zum Büttel der chinesischen Zensur machen will. Er/sie hat also zwei Möglichkeiten:

1) er/sie lehnt das Ansinnen entrüstet ab und wird vom Chef der Informationsabteilung, der die Fragesteller aussucht, garantiert nicht aufgerufen

2) er/sie geht zum Schein darauf ein, stellt aber auf der Pressekonferenz eine ganz andere, natürlich kritische Frage.

Im zweiten Fall wird man zwar Chinas Premier kaum in Verlegenheit bringen, der auch auf kritische Fragen ausweichende Antworten parat hat, kann aber sicher sein, sich einen kleinen Beamten im Außenministerium zum Feind gemacht zu haben. Den Anrufer nämlich, der die mißglückte Absprache dann ausbaden muß. Das ist es kaum wert – noch dazu für eine Antwort, die nur selten Nachrichtenwert hat.

Also verzichtet man auf die Offenlegung seiner Frage und hofft, trotzdem aufgerufen zu werden. Schließlich muss auch das chinesische Staatsfernsehen seinen Zuschauern die Beteiligung der westlichen Presse dokumentieren.

Leider gehen aber doch immer wieder einige Kollegen und Kolleginnen auf die Absprache ein … und sorgen mit dafür, dass die Pressekonferenz des Premiers genau so spannend verläuft wie vorher der Volkskongress.

 

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Zeitung lebt

Wer befürchtet, dass die Zeitung ausstirbt, sollte nach Indien kommen. Möglicherweise wird sie hier noch überleben, wenn in Europa schon jedes Klo einen Internetzugang hat. Ich weiß nicht, wie viele Zeitungen Indien hat, aber für den Korrespondenten ist mit der Fülle die ganz praktische Frage verbunden: Was lesen?

Ich habe derzeit vier Tageszeitungen und ein Magazin abonniert, aber irgendwie habe ich immer noch den Eindruck, es ist zu wenig. Selbst nach kürzeren Dienstreisen stellt sich deshalb dieses Gefühl aus Studententagen ein, als „Die Zeit“ noch richtig dick und schwer war: Wenn man damals nicht dazu kam, sie zu lesen, hatte man entweder ein schlechtes Gewissen oder aber man verwandelte sich in einen „Messie“, der Stapel von Altpapier hortete, unter dem Vorwand, das alles noch lesen zu wollen.

Um nur einen kurzen Eindruck von meinem Lesepensum zu geben: Ich habe die „Hindustan Times“ abonniert, die ist wirklich unersetztlich, „The Hindu“ hat das beste Feuilleton, der „Business Standard“ ist die beste Wirtschaftszeitung und „Asian Age“ berichtet ausführlich über die muslimische Minderheit. Die Wochenzeitung „Tehelka“ ist eine Art indische taz und notwendig für jeden, der wissen will, was jenseits des Establishments passiert. Einmal im Monat kaufe ich auch das interessanteste Stadtmagazin in Delhi „First City“.

Aber eigentlich sollte ich auch noch die „Times of India“ und die „Economic Times“ lesen, weil jeder sie liest, und den „Indian Express“ wegen möglicher Scoops. Außerdem ist gerade eine neue Wirtschaftszeitung auf den Markt gekommen, „Mint“, die ist hervorragend und ich werde sie wirklich abonnieren. Was ich noch überhaupt nicht erwähnt habe, sind die Magazine, wie zum Beispiel „Outlook“ und „India Today“, die gute Hintergrundberichte liefern, und die Wirtschaftsmagazine.

Zum Glück hatte ich bisher keine Zeit, eine der 18 indischen Hauptsprachen oder gar der 1600 Nebensprachen und Dialekte zu lernen, denn auch die haben ihre Zeitungen. Damit entgeht mir bestimmt 80 Prozent von dem, was täglich in diesem Land geschrieben wird. Vielleicht sollte ich zwei Zeitungen weniger bestellen und stattdessen jeden Tag eine halbe Stunde Hindi lernen….

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Zunge auf glühendem Eisen

 

Bürgermeister in Yunnan: Schamane, Parteimitglied und Unternehmer

VIDEO: Heisses Eisen lecken als Heilritual

Am Spätnachmittag erreichten wir ein Dorf an der tibetanischen Grenze. Der Bürgermeister begrüsste uns, rupfte ein paar Gräser vom Strassenabhang und stapfte auf einen Baumstumpf zu. Wir folgten ihm, Schweine folgten uns und Hühner liefen den Schweinen hinterher. Der Bürgermeister bückte sich, entzündete das Grasbüschel in seiner Hand. Der Rauch war süss, löste sich vom Hanf, der wie ein Wegelagerer an allen Strassenrändern in Yunnan lauert. Schnell hörten die Bienen auf zu fliegen, kletterten über die rissige Hand des Bürgermeisters. Keine stach. Alle torkelten. Der Dorfoberste griff tief in die Holzaushöhlung und zog ein paar triefende Honigklumpen heraus, die wir auf unseren Aluminiumtellern verteilten. Wir gingen damit zu einer der anliegenden Hütten, setzten uns ans Feuer und begannen die Waben – unser Abendessen – auszusaugen. Wie sich herausstellte, war der Bürgermeister auch ein Schamane, der die Gabe hatte, entweder Menschen zu heilen oder zu verfluchen – eine heikle Sache! Verwendet er die falschen Wörter, dann kann sich der Fluch gegen ihn richten. Einer seiner magischen Tricks bestand darin, ein Schwert ins Feuer zu stecken.

Als die Klinge glühte, zog er sie raus und legte sie vor aller Augen und vor meiner Kamera auf seine Zunge. Ich dachte, ich würde zumindest das Zischen von seinem verdampfenden Speichel hören, wenn nicht gar seine anbrennende Zunge. Aber ich hörte gar nichts. Wir wunderten uns, schüttelten die Köpfe und vergassen für einen Augenblick unseren Honig. Da man in China als Bürgermeister auch Mitlgied der Kommunistischen Partei sein muss, bewegte sich der Schamane wie auf glühenden Kohlen. Für Kameraden in benachbarten Bezirken oder in höheren Positionen ist Schamanismus eher konterrevolutionär als heilend. „Ich praktiziere deshalb nur noch gelegentlich und heimlich,“ erklärte der Bürgermeister.

Unser Expeditionsleiter schlug dann vor, den wilden Yunnan Honig für verwöhnte, japanische Konsumenten zu vermarkten – was der kommunistische Schamane (und angehende Unternehmer) eine tolle Idee fand. Mit fortgeschrittenem Abend wurden die Flammen kleiner. Der Bürgermeister warf den letzten Holzblock in die Glut und verbrannte sich dabei fast die Hand. „Ich denke, er ist besser mit der Zunge!“ sagte der Expeditionsleiter. Alle lachten und auch unser magischer Gastgeber. Wir kletterten dann wie Bienen aus der Rauch-gefüllten Hütte, wischten Tränen von unseren Augen und suchten den Weg zurück zu den Schlafsäcken. Irgendwo bellte ein Hund zum Mond. Ich lutschte an der letzten Wabe und erwartete meinen Absturz vom Sugar-High so um vier oder fünf in der Früh.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Ein Spam-Filter der besonderen dreisten Art

Gerade wir Auslandsjournalisten sind extrem von einem gut funktionierenden Mailsystem abhängig. Umso ärgerlicher ist es, wenn es plötzlich aus unerfindlichen Gründen nicht mehr geht. Mir ist es heute so gegangen. Ich konnte zwar noch Mails empfangen, aber keine mehr senden.

Da man als Freier keinen Systemadministrator zur Seite hat, den man mittels Hotline an seinen Schreibtisch bestellen kann, muss man sich selbst helfen. Ich verbrachte meinen halben Tag damit, alle Account-Einstellungen zu prüfen, ein Update des Programms zu machen und vorsorgshalber – falls sich ein Virus bei mir eingeschlichen haben sollte – die Daten auf eine externe Festplatte zu speichern.

Um 14 Uhr wusste ich mir nicht mehr zu helfen und rief einen Freund an, der sich damit auskennt. Er prüfte mein Mailprogramm auf seinen Computer und meldete mir nach Stunden: „An Deinen Computer kann es nicht liegen.“ Soweit die gute Nachricht, nur damit hatten wir noch immer nicht den Fehler gefunden. Der Tipp bei der sauteuren Hotline meines Internetservers „Free“ (www.free.fr) anzurufen, blieb die letzte Chance. Dort sagte man mir in bester Laune um 17 Uhr und nach einem verlorenen Arbeitstag: „Ja, wir blockieren nun alle Mails, die keinen Free-Account haben. Sonst könnte sich ihr Computer ja in ein Spam-Monster verwandeln und das wollen wir nicht.“ Dass ich nicht mehr arbeiten konnte, interessierte den Mann dort gar nicht. Auch nicht, dass er eine Informationspflicht mir gegenüber hätte. „Wir fangen damit gerade erst an. Irgendwann schicken wir vielleicht mal eine Mail heraus.“

In den rund eineinhalb Jahren, die ich bei Free bin, habe ich von dem Anbieter noch nie eine Mail erhalten. Aber es kann durchaus sein, dass sie von mir bald eine Mail erhalten und zwar mit dem Hinweis, dass ich meinen Anschluss kündigen werde.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Dänemark lockte 1500 >>träge Arbeitslose<< aus Deutschland

In Dänemark herrschen beneidenswerte Zustände – die Arbeitslosenquote liegt laut statistischen Amt der EU unter vier Prozent und das Pro-Kopf-Einkommen ist auch real erheblich höher als in Deutschland. Kein Wunder also, dass die Jobmesse im süddänischen Kolding 1500 Arbeitssuchende aus Deutschland anzog. Sie alle waren gekommen, weil sie ein Leben mit Job in Dänemark einem Leben ohne Job in Deutschland vorziehen würden.

Das dänische Arbeitsmarktmodell der Flexicurity ist in jüngster Zeit in Deutschland fast täglich in den Medien. Politiker und Wissenschaftler plädieren dafür, das deutsche Arbeitsmarktmodell dem dänischen zumindest teilweise anzugleichen. In Dänemark herrscht die angelsächsiche hire & fire-Mentalität und gleichzeitig können die, die arbeitslos werden, mit relativ hoher Unterstützung rechnen.

Die Beschäftigten haben deshalb wenig Angst tief zu fallen und die Unternehmer zögern nicht mit Neueinstellungen, schließlich müssen sie nicht befürchten, die neuen Mitarbeiter weiterbeschäftigen zu müssen, wenn die Auftragslage nicht mehr ganz so gut ist oder das Mitarbeiterprofil einfach nicht mehr paßt.

Es gibt gute Gründe, dass das Modell in Deutschland häufig diskutiert wird, mein Besuch auf der Jobmesse in Kolding machte aber auch auf andere Probleme in Deutschland aufmerksam. Ich sprach mit einigen arbeitssuchenden Deutschen, die nach Dänemark gereist waren, um sich dort nach einer Stelle umzuschauen. Egal, ob sie aus Bremen, Uelzen oder Neubrandenburg kamen – keiner von ihnen war durch das heimische Arbeitsamt, das jetzt Arbeitsagentur heißt, auf die Messe aufmerksam gemacht worden, sondern alle hatten – dem Klischee vom trägen Arbeitslosen zum Trotz – selbst die Initiative ergriffen. Einem Arbeitslosen aus Bremen hatte die zuständige Beraterin von der Reise gen Norden gar abgeraten – "Da sind Sie doch gar nicht der Typ für", kommentierte sie das Engagement.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Landunter

Es ist Regenzeit in Jakarta. Was heißt Regen: Das Wasser ergießt sich in solchen Massen vom Himmel, dass die Sintflut plötzlich ziemlich realistisch erscheint. Das Internet ist seit Stunden zusammengebrochen, Telefonieren geht nicht. Erstens, weil die Leitung ständig unterbrochen ist, und zweitens, weil die Wassermassen solch einen Lärm auf dem Dach veranstalten, dass ich sowieso nichts verstehen würde. Die für mich zuständige Telefonzentrale liegt im Süden der Stadt. Dort hätte ich heute eigentlich einen Termin, doch wagen sich momentan weder Busse noch Taxis durch die meterhohe Drecksbrühe, die aus den zugemüllten Kanälen Jakartas auf die Straßen gequollen ist. Schon gestern bin ich auf dem Weg zu einem anderen Termin umgedreht, weil sich einige Kreuzungen in Seen verwandelt hatten, die nur noch watend oder schwimmend zu überqueren waren. Während ich im Bus festsaß, gaben neben mir diverse Motorräder und Autos blubbernd ihren Geist auf. Von meinem – glücklicherweise trockenen – Sofa aus betrachte ich nun die überschwemmten Viertel im Stadtfernsehen. Und bewundere die Menschen aus den ärmeren Vierteln, die noch immer in die Kamera lachen können, obwohl ihr ganzes Hab und Gut gerade in der braunen Suppe verschwindet.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Ein Flugzeugabsturz und seine Folgen

Seitdem am Neujahrstag ein Flugzeug der indonesischen Adam Air über der Insel Sulawesi verschwand, herrscht auf den Flughäfen des Landes Ausnahmezustand: Es ist leer. Zwar gab es in den letzten Jahren diverse Zwischenfälle mit alten, überlasteten und schlecht gewarteten Maschinen, doch nichts hat dem boomenden Billligflugmarkt einen vergleichbaren Schock versetzt. Der mysteriöse Absturz des Fluges KI 574 ist noch nicht enträtselt, die Erklärungen reichen von schlechtem Wetter über einen terroristischen Anschlag bis hin zu übernatürlichen Kräften. Zwar hat ein US-Militärschiff mittlerweile die Reste der Boeing 737-400 rund zwei Kilometer unter dem Meeresspiegel geortet. Doch bislang fehlt das technische Material, um die Blackbox zu bergen.

In einem Inselstaat mit einer Ausdehnung der Größe Europas, kommt man ohne Fliegen allerdings nicht weit. Also stürzen sich jetzt alle Berufsflieger auf die staatliche Garuda Airline, die als verhältnismäßig sicher gilt (auf die internationale Sicherheitsstatistik sollte man allerdings auch hier lieber nicht schauen). So auch ich. Diese Woche jedoch musste ich spontan von Yogyakarta nach Jakarta fliegen. Die Garuda-Flüge waren ausgebucht. Zwei Billiganbieter hatten noch verhältnismäßig teure Tickets, doch erinnerte ich mich, dass vor der Adam Air-Katastrophe eben jene Fluglinien als die unsichersten galten. Übrig blieb ein Sonderangebot von: Adam Air. Nach fünfminütigem Ringen buchte ich. Kaum war ich aus dem Reisebüro hinaus, rief mich eine freundliche Dame an, um mir mitzuteilen, dass Adam Air wegen der geringen Nachfrage drei seiner sechs Flüge auf der von mir gebuchten Route canceln musste. Ich konnte mir nun einen Flug um sechs Uhr morgens oder sechs Uhr abends aussuchen.

Mit einem mulmigen Gefühl nahm ich den Abendflug. Beim Einchecken keine Warteschlange. Im Flugzeug saßen neben mir zwei ältere Herren im Batikhemd, die schon während der Sicherheitsvorführung der Stewardessen Allah um seinen Schutz anflehten. Eine knappe Stunde lang tauchten wir in die graue Wolkensuppe über Java ein. Es war ein ereignisloser Flug. Das Ankunftsterminal in Jakarta wirkte verlassen, ich bekam sofort ein Taxi. Selbst der übliche Stau auf dem Flughafenhighway fiel weg. Nur zweieinhalb Stunden nach Verlassen meines Hauses in Yogyakarta stand ich vor meiner Wohnung in Jakarta. So schnell ging es noch nie.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Wiener Alltag in Tokio

 

Japanerinnen: Lachen, als wären sie in dich verliebt

 

Alte Schulfreunde in Wien nennen mich immer noch Roli. Das geht in Tokio nicht. Hier wird das R zum L. Dann lachen die Japaner und sagen „Ah, so wie loli-kon“ — ihr Kürzel für Lolita Komplex. Mit meinem Yul Brunner Kopf sorgt auch „Hagenberg“ für Unterhaltung. Hage bedeutet „kahl“. Berg auf Japanisch yama. „Ah, hageyama, Glatzkopf!“. Japaner lieben Wortspiele, wie die Wiener, subtil, erfrischend, frech – untermauern sie mit 5000 Jahre alten chinesischen Zeichen. Aus denen besteht die japanische Schrift heute noch. Eins meiner Lieblingssymbole: „Frau, laufend, bewaffnet mit Stein“ – auf Deutsch: „Eifersucht“. Apropos Frauen. Alle gertenschlank. Schuhe, Kleider, Haarspangen, Taschen, Fingernägel, Make-up, Handy, sorgfältigst ausgewählt und farblich abgestimmt, und sei es nur für die 10 Minuten auf der Strasse rüber zum Supermarkt. Sie grüssen, als wären sie alle in dich verliebt, verbeugen sich tief.

Das schreckliche ist, wie schnell man sich daran gewöhnt, und die japanischen Gesten dann unbewusst auch von den Wienern erwartet. Ich gehe dann morgens im ersten Bezirk zur Bank, starre in ein mürrisches Gesicht mit zerzausten Haaren, und der Tag ist gelaufen. Bei jedem Heimatbesuch fühle ich mich wie ein Tiefseetaucher, der in den ersten zwei Tagen eine ästhetische Dekomprimierungsphase durchläuft. Wo mich in Japan in der U-Bahn gestylte, zuvorkommende Menschen auf Fischdiät umschwirren (zwei Millionen strömen neben meinem Büro täglich durch die Shinjuku Station) – wälzt sich in Wien eine übergewichtige Schweinsbraten-Gesellschaft langsam die Rolltreppen hoch, die Gesichter vergrämt, die Kleidung nichtssagend um ein paar Nummern zu gross. Die Japaner lieben Wien, glauben, dass jeder Wiener Geige spielt und Mozart singt. Dabei treiben sie mich, den Schreiber, mit ihrer Obsession für Selbstzensur in den Wahnsinn. Alles wollen sie gegenlesen, umschreiben, entschärfen. „Schlimmer als Nordkorea“ klagen Kollegen im Auslands-Korrespondenten Klub. Erst kürzlich verklagte Star-Architekt Kisho Kurokawa erfolgreich einen Kritiker, weil der seine Toyota Brücke verrissen hatte. Kosten für den Journalisten: 80,000 Euro. Kontakt habe ich zu den derzeit 400 Österreichern in Japan wenig. Aber einmal im Jahr, zum Nationalfeiertag, lädt uns der Herr Botschafter ein. Wir prosten uns zu mit Wein aus dem Weinviertel. Und wenn wir brav die Bundeshymne gesungen haben, gibt’s Tafelspitz und Apfelstrudel mit Vanilla Sauce.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Wahrheit und Klischee: Film über Bali-Bomben

Am 12. Oktober 2002 sprengten sich auf der Touristeninsel Bali vor einem überfüllten Nachtclub zwei Selbstmordattentäter mit einem Kleinbus voller Sprengstoff in die Luft. 202 Menschen starben in dem Inferno. Der Traum vom friedlichen Zusammenleben im Ferien-Paradies war zerstört. Der internationale Terrorismus war nach Indonesien gekommen.

Nun gibt es den Film zur Bombe. Zum ersten Mal wagte sich ein indonesisches Produktionsteam an die Aufarbeitung des schwierigen Themas – und griff mitten ins Wespennest. „Hier wird der Islam schlecht gemacht,“ schreien die einen und: „Ihr vermenschlicht die Terroristen,“ die anderen. Zugegeben, die Charaktere in „Long Road To Heaven" sind fast alle überzeichnet und die Erzählstruktur mit ihren ständigen Zeitsprüngen unausgereift. Auch kann der Film – schon allein aus Kostengründen – nicht mit der perfekten Technik eines Hollywoodprodukts mithalten. Dennoch gelang es Regisseur Enison Sinaro und Produzentin Nia Dinata, die Ereignisse von allen Seiten aus verschiedenen Sichtweisen zu beleuchten und einen neue Diskussion anzustoßen: Es gibt die sensiblen, die fiesen und die ganz normalen Touristen, die toleranten und fanatischen Muslime – und selbst bei den Terroristen tauchen Zweifel auf.

Auf die Kritik einer amerikanischen Zuschauerin, der Film sei zu klischeehaft, antwortete ein einheimischer Premierenbesucher daher: „Seien Sie bloß froh, dass es nicht ihre Leute waren, die diesen Film gedreht haben.“

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Der Tod auf dem Teller

 

 

Man weiß ja, dass Feinschmeckern Exklusivität so wichtig ist wie Geschmack. Da frühere Statussymbole wie Trüffelhobel und französische Austern inzwischen sogar in Studentenhaushalten auftauchen, ist es für Gourmets schwerer geworden. Wer Feinschmecker sein will, braucht heute Todesmut. Kürzlich war ich bei meinem spanischen Freund Juan eingeladen, einem langjährigen Restaurantkritiker. Es sollte ein besonderer Abend werden. „Ich weiß, wo wir Fugu bekommen können“, sagte Juan ein paar Tage vor unserer Verabredung am Telefon. Er klang sehr aufgeregt.

Fugu ist eine japanische Delikatesse, lernte ich, außerhalb Ostasiens nur Insidern vorbehalten, die über gute Kontakte zu japanischen Restaurantbesitzern verfügen. Fugu ist hochgiftig. In vielen Ländern ist der Fisch verboten. Bei falscher Zubereitung stirbt man innerhalb von 24 Stunden. „Der Fugu kommt mit dem Flieger direkt aus Japan“, sagte Juan. Ich schlug im Lexikon nach. Fugu heißt auf Deutsch Kugelfisch. Seine Organe enthalten ein Gift, das 1000 Mal stärker ist als Cyanid. In „Liebesgrüße aus Moskau“ überlebt James Bond knapp den Fugu-Anschlag eines russischen Exekutionskommandos.

Ein kleiner falscher Schnitt kann den ganzen Fisch vergiften. Es gibt in Japan nur ein paar hundert Fugu-Köche. Sie müssen eine spezielle staatliche Lizenz mit theoretischer und eine praktischer Prüfung erwerben. Man muss ein Führungszeugnis der Polizei vorlegen. Die Fugu-Reste werden in Spezialbehältern entsorgt, wie Giftmüll.

Juan ist vor zwei Monaten Vater geworden. Seine Frau Christina werde den Fisch nicht probieren, hatte er gesagt. „Wer soll sich denn um unsere Kleine kümmern, falls wir beide sterben?“ Er meinte das ernst.

Das Abendessen: Kerzenlicht, Weißwein, vorweg eine Suppe. Dann servierte Juan das Hauptgericht. „Hier kommt der Tod“, sagte er. Lachen, Nervosität. Der Fugu kam auf einem flachen Teller, Muskelfleisch in dünnen Scheiben. Wir aßen langsam und mit Stäbchen. Das Fleisch war von synthetisch-elastischer Konsistenz und so schmeckte es auch. Im Gesichtsausdruck der anderen Gäste konnte ich erkennen, dass auch sie den Höhepunkt des Festessens als Gummihappen erlebten. Keiner traute sich in dem Moment, das offen auszusprechen. Was für ein fantastischer Fisch! Juan glaubte, im Mund ein leichtes Taubheitsgefühl zu spüren. Auch das Fleisch enthalte noch Spuren des Gifts. Aber das war vielleicht nur eine Einbildung.

Ich kann rückblickend nicht sagen, dass mir das importierte Gummi-Giftfleisch besser geschmeckt hat als Hering oder Tunfisch. Aber nur beim Genuss von Fugu spürt man dieses eigenartige Gefühlsgemisch aus Adrenalin, Angst, Erleichterung, Todesmut und Draufgängertum – Russisches Roulett zum Hauptgericht. Für den Fisch ist das traurig: Eigentlich sollte das Gift ihn schützen. Heute wird er nur deshalb verspeist. Unser japanischer Fugu-Dealer hatte uns mit dem Fisch auch ein Geschenk geliefert: vier weiße T-Shirts mit dem fettgedruckten Schriftzug „Ich habe Fugu überlebt.“ Das neue Statussymbol der Feinschmecker.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Haute Couture und die neuen Medien

 

 

Die Haute Couture zeichnet sich dadurch aus, dass alle Roben handgenäht sind. Maschinen kommen bei der hohen Schneiderkunst in der Regel nicht zum Einsatz. Aber wie man auf den heute zu Ende gehenden Haute Couture Schauen in Paris sehen kann, gibt es Ausnahmen. Denn auch wenn die Kleider wie zu Großmutters Zeiten hergestellt werden, so bedeutet das keineswegs, dass die Designer technisch nicht up to date sind. Ihre Offenheit zu den modernen Medien wollten zwei Modehäuser eindrucksvoll beweisen, doch die Technik machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Fall Nummer 1: Bei dem Pariser Modehaus „On aura tout vu“ nahmen die beiden Designer den Handy-Wahn auf die Schippe. Nicht nur ein Handy, sondern Dutzende klebten bei einem Modell am Kleidersaum der Abendrobe. Das Mannequin, das lässig in ihr Motorola sprach, während sie über den Laufsteg stöckelte, verging jedoch bald das Lachen, denn vom zarten Textilgewand purzelten die Motorolas zuhauf auf den Laufsteg. Zwei Entwürfe weiter steckten die Handys wie Steckerlfische zwischen den mit zarten Organza bespannten Brüsten des Models. Problem hier: das Mannequin konnte weder telefonieren, noch richtig die Fotografen anpeilen. Zu sehr störte die Handyausstattung der Robe beim Blick geradeaus.

Fall Nummer 2: Armani's Kollektion Privé. Der italienische Designer hatte vollmündig angekündigt, seine Haute Couture Show live für alle, die keine Einladung hatten, auf www.msn.com zu übertragen. Super, dachte ich und klickte mich um 21 Uhr, wie verabredet mit Giorgio, auf msn. Doch nachdem ich mich zu Armani-Video vorgestastet hatte und das Video starten wollte, hieß es nur: „The video you requested is not available." Fazit: Irgendwie wollen die Handwerkskunst der Haute Couture und die neuen Medien nicht zu recht zusammenpassen. Aber eigentlich ist das gut so. Denn so bleibt die Haute Couture, das was sie immer war: Eine handgefertigte Traumfabrik für Handverlesene.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Es lebe der indische Sozialismus

 

 

 

Wie nah in Indien trotz Wirtschaftsbooms noch immer der Sozialismus ist, konnte man mal wieder vor ein paar Tagen erfahren. Da spielten nämlich Herbie Hancock und Wayne Shorter ausgerechnet auf Einladung des American Centers im Siri Fort Auditorium in Delhi auf. Nicht dass ich etwas über die politischen Einstellungen der beiden wüsste. Aber während so ein Konzert in den meisten Städten dieser Größenordnung (13 Millionen Einwohner!) eine Musikveranstaltung unter vielen sei sollte, wurde der Auftritt der Jazz-Altmeister in Delhi zum gesellschaftlichen Ereignis par excellence.

Jeder redete davon, ob Jazz-Fan oder nicht, da so selten westliche Musiker auf dem Subkontinent auftauchen. Jeder wollte eine Karte haben, und selbst die, die anfangs nicht sonderlich interessiert schienen, gingen dann doch hin – und sei es nur, um alle ihre Freunde zu treffen und hinterher einen trinken zu gehen. Erstaunlicherweise war es dann gar nicht schwer, eine Karte zu bekommen.

Warum, stellte sich am Abend des Konzerts heraus: Das American Center hatte einfach so viele Karten gedruckt wie nachgefragt wurden. Leider erhöhte sich die Zahl der Sitze im Siri Fort Auditorium keineswegs automatisch, so dass sich bereits mehrere Stunden vor Veranstaltungsbeginn eine Kilometer lange Schlange vor dem Eingang bildete. „First come first served“ hieß es im Kleingedruckten auf der Karte. Mindestens die Hälfte der Leute kam trotz Karte nicht rein. Doch da das Konzert in guter alter sozialistischer Tradition umsonst war, konnte sich natürlich auch niemand so recht beschweren.

Warum das so war und warum dieses Konzert unter dem Motto „Helping to raise HIV-Aids Awareness“ stand, weiß ich auch nicht. Es gab ja noch nicht einmal Einnahmen, die man der Aids-Hilfe hätte spenden können. Wir gehörten zu den Glücklichen, die noch einen Platz bekamen. War echt ein super Konzert, zumal irgendwann auch noch Anoushka Shankar auf der Bühne auftauchte. Leider krachte das Kissen meines Sitzes bei jeder kleinsten Bewegung durch, aber auch das passte ins Bild.

Wie gesagt: So hab ich mir den Sozialismus immer vorgestellt. Wenn mal was Tolles los ist, zittert man erst darum, ob man dabei sein darf, was dem Ereignis einen Glanz gibt, den es nie bekommt, wenn man sich einfach so eine Karte kaufen kann. Dann trifft man alle seine Freunde dort und liest am nächsten Tag stolz darüber in der Zeitung, dass man bei einem der wichtigsten Konzerte des Jahres dabei war. Hat doch was, irgendwie.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Schweinefleisch, mal nicht süß-sauer

Vor ein paar Tagen schickte mir eine Freundin eine SMS mit einer Warnung: Ich solle derzeit lieber kein Schweinefleisch essen. Sie habe gehört, dass in Peking verseuchtes Fleisch im Umlauf sei, das beim Menschen Gehirnhautentzündung auslösen könne. Ich war nicht die einzige Adressatin, die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, per SMS und auch übers Internet.

Dort folgte dann auch das Dementi, zuerst von der Pekinger Polizeibehörde, dann vom Chef des Pekinger Gesundheitsamtes. Die Meldung sei ein Gerücht und wer es weiter verbreite, dem drohten zwischen 2 und 5 Jahre Haft. Doch solche Gerüchte nähren sich in China immer von dem Verdacht, dass die Behörden sowieso lügen, immerhin erkranken jährlich 300 Millionen Chinesen durch verdorbene Nahrungsmittel, aber nur selten werden solche Skandale aufgedeckt. Kein Wunder also, dass dem Dementi niemand so recht Glauben schenkte.

Lebhafte Diskussion auf sina.com, wo nicht wenige an die SARS-Krise erinnerten: auch da habe die Regierung erst spät eine Gesundheitsgefahr eingeräumt. Da gehen die Pekinger lieber auf Nummer Sicher: ein Supermarkt-Verkäufer klagt, er habe seit 3 Tagen kein einziges Stück Schweinefleisch verkauft.

Chinas Internet-Polizei zog eine beliebte Notbremse: die Diskussion wurde zensiert, über Nacht sind von mehreren tausend Kommentaren nur noch eine Handvoll sichtbar. Sina.com wagte immerhin so etwas wie gewaltlosen Widerstand und berichtete, dass ein Mann verhaftet wurde, weil er einen Internet-Artikel über korrupte Kader weiterleitete. Acht Monate später wurden die Kader tatsächlich bestraft, doch der Mann sitzt für das angebliche Gerücht noch immer im Gefängnis.

Chinas Staatssender CCTV hatte übrigens am Montag einen Bericht gebracht über illegale Händler, die verdorbenes Fleisch in Umlauf brachten, 30 Tonnen konnte die Polizei beschlagnahmen.

Glück für mich: ich mag kein Schweinefleisch.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Tanz den Mahatma

Eine Video-Parodie auf Mahatma Gandhi erregt zurzeit in Indien die Gemüter. Der Film, den der in New York lebende Entertainer Gautham Prasad produziert hat, trägt den Titel „Time to get sexy“ und zeigt einen als Mahatma verkleideten Clown beim Pole Dance in einer Striptease-Bar, in Begleitung schöner Frauen und bewaffnet mit einer Maschinenpistole.

Aufgeschreckt von den empörten Reaktionen, die die harmlose Parodie bereits im Web hinterlassen hat, überlegt die indische Regierung laut Zeitungsberichten, ob sie die Video-Website YouTube, auf der das Filmchen zu sehen ist, dazu auffordern soll, den Beitrag zu entfernen oder lieber gleich ganz blockieren soll. Von zwei lokalen Fernsehsendern, die den strippenden Gandhi gezeigt haben, forderte Informationsminister PR Dasmunsi forsch eine „profunde Entschuldigung“, die diese ihm auch prompt gewährten.

Nach zahlreichen Emails, die dem Künstler den Tod androhen, unterstützt inzwischen sogar Gautham Prasad auf seiner eigenen Website, „all diejenigen, die die indische Regierung dazu auffordern, das Video zu verbieten“. Eine bessere Werbung hätte er sich kaum wünschen können.

Nach Salman Rushdie, den dänischen Mohammad-Karikaturen und der Absetzung der Oper „Idomeneo“ in Berlin, scheint dieser Fall nun selbst zur Parodie einer stets erregungsbereiten Öffentlichkeiten zu werden, die sich vom Subjekt ihrer Erregung vollständig gelöst hat.

Ich hätte der indischen Regierung daher auch noch einige Vorschläge zur Rettung des Erbes Mahatma Gandhis zu machen:

– Die Entfernung aller entwürdigenden Statuen von öffentlichen Plätzen (siehe Foto)

– Den Druck neuer Banknoten (ohne Gandhi-Porträt)

– Die Abschaffung der Unberührbarkeit

– Die Zerstörung aller Atomwaffen

– Zwei nackte Frauen ins Bett jedes Politikers, damit diese wie Gandhi testen können, ob sie ihre fleischlichen Begierden überwunden haben

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Leichenteile in meiner Nachbarschaft

 

 

 

 
Zeichnung von Toshio Saeki aus seinem Buch „The Earliest Work“, Seirin-Kogeisha-Verlag

„Kann sein, dass der Kopf auf meinem Rücksitz rumgerollt ist!“ sagt der Taxifahrer, „oder auch nicht! Wer merkt sich schon alle Gesichter!“ Und dann lacht er über seinen Versuch, dem Fahrgast näher zu kommen. In Tomigaya gegenüber dem Issey Miyake Headquarter geht überhaupt nichts weiter. Lastwagen der TV-Anstalten TBS und Fuji TV blockieren die Kreuzung. Zu Fuss zu meinem Studio wären es zehn Minuten – und jetzt sitze ich im Taxi fest, schon eine Viertelstunde, muss mir auf nüchternen Magen Kommentare zu Kaori Mihashi anhören. Die hatte am 12. Dezember ihren Mann Yusuke in drei Teile zersägt – weil er sich nicht bei ihr entschuldigen wollte (Affäre, betrunken nach Hause, was immer…). Und weil er sich nicht entschuldigt hat, komme ich nun zu spät zum Meeting. Gegenüber von Issey untersucht die Polizei die Wohnung des Ehepaars. Deshalb die TV-Transporter. Deshalb die Verstopfung.

„Das war nicht der Kopf,“ sage ich, „den hat sie zum Machida Park in der U-Bahn gebracht. Vielleicht der Oberkörper?“ „Sooo-des-neeee…!“ sagt der Taxifahrer, drückt damit wie alle Japaner aus, dass etwas so ist, sein könnte oder nicht so ist und nicht so sein könnte. „Wir fahren jeden Tag mit Plastiksäcken herum. Eine Frau wie Kaori, mit schwerer Plastiktüte? Sooo-des-neeee…..!“ In den Morgennachrichten hiess es, dass die schmächtige 30-jährige den Oberkörperklumpen von Yusuke, Spekulant bei Morgan Stanley, im Taxi nach Shinjuku geschleppt hat (Passanten dachten, da liegt ein Schaufensterpuppenteil am Gehweg.). Gesetz der Serie? Vor zehn Tagen verhaftete die Polizei den Studenten Yuki Muto, weil der seine Schwester gar zehnfach zerlegt hatte – nicht mitgezählt die abgeschnittenen Brüste. Auch dieses Opfer wollte sich nicht entschuldigen, diesmal für die verhängnisvollen Worte „Du bist ein hoffnungsloser Kerl und hast kein Lebensziel!“. Und auch das ist bei mir ums Eck passiert – in Hatagaya. Den Eltern, beide Zahnärzte, hat Yuki den Verwesungsgeruch im Wandschrank damit erklärt, dass ihm Freunde einen kleinen Hai geschenkt hatten, und der sei nun eingegangen.

Zugegeben, der Stadtteil Roppongi liegt etwas weiter entfernt als Hatagaya und Tomigaya, ca. 20 Minuten mit dem Auto. Berücksichtigt man aber die Weite Tokios, dann sind es auf Münchener Verhältnisse umgerechnet von meinem Studio aus 5 Minuten. In diesem Roppongi (bekannt für Nachtleben und Mori Museum) hat der 54-jährige Unternehmer Joji Obara ausländische Bardamen betäubt, vergewaltigt und angeblich mindestens eine in seiner Badewanne … was wohl? – zerstückelt!

„Jetzt einen direkten Bezug zu der makabren, japanischen Mangakultur herzustellen, wäre sicher zu banal,“ habe ich gestern noch via Skype-Video zur Kollegin Angela Köhler von der Wirtschaftswoche gesagt. In den wöchentlich erscheinenden, oft hunderte Seiten starken Comics spritzt Blut in alle Richtungen – mit Brutalsex als Begleiterscheinung. Dem Leseralter sind keine Grenzen gesetzt.

Angela hat mir darufhin das preisgekrönte Buch „Out“ empfohlen, von Kirino Natsuo (in Deutschland unter dem Karl-May-haften Titel „Umarmung des Todes“ erschienen). Das Thema klingt vertraut, fast telepathisch: Ehefrau in Tokyo bringt Mann um, zerstückelt ihn, plant Verteilung der Bodyparts. Wenn nicht Mangas, was könnte die rachsüchtigen, dunklen Täterseelen noch inspiriert haben? Jungsche Archetypen wie Samurais etwa? Jene Halsabschneider, die sich ihren Lebensunterhalt über Jahrhunderte mit dem Mutilieren von Menschen verdingt haben – und zwar nicht so ehrenhaft, wie es im Nachhinein der Mythos will?

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Filmdirektor und Schauspieler Takeshi Kitano, wo er mir trocken erklärt, dass er für seine Blutorgie Zatoichi tagelang geübt hat, wie man dem Gegner fachgerecht die Hand abhackt. „Details im Film sind alles!“ Und ich erinnere mich auch an den kaiserlichen Schwertschmied Yoshindo Yoshihara: „Meine Schneiden sind scharf,“ hat er gesagt, „so scharf, dass sie mit einem Streich auf Brusthöhe ihren Körper druchtrennen können.“ All das geht mir im Taxi durch den Kopf, während überhaupt nichts weiter geht.

„Aus Amerika?“ fragt der Fahrer. „Nein, doitsu!“ Ich sage immer Deutschland, weil ostoria (Österreich) klingt so wie ostoralia (Australien). „Ah, hitola!“. Es folgt ein Hitlergruss. „Deutschland und Japan. Zweiter Weltkrieg. Zusammen! Zusammen!“ Die Augen des Taxifahrers leuchten auf im Rückspiegel. Jetzt hat er doch noch Zugang gefunden zu seinem Fahrgast – glaubt er zumindest.

 

Weltreporter.net ist ein globales Korrespondentennetz für deutschsprachige Medien. Diese Website präsentiert einen Ausschnitt unserer Arbeit.

Die Globalisierung geht auch am Journalismus nicht vorbei

 

 

 

 

Wer jemals bei der Lancierung eines Beauty-Produkts war, weiß, dass bei einem solchen Event weder Kosten und Mühen gescheut werden. Aber der weiß auch, dass die mächtigen Beauty-Konzerne genaue Vorstellungen haben, wie später das mediale Ergebnis dieser Ausgaben aussehen soll. Ich war gestern mal wieder auf so einem Event.

Über 200 geladene, eingeflogene und in Nobelhotels untergebrachte Gäste aus der ganzen Welt trafen sich erst zum Galadiner anlässlich der Präsentation eines neuen Herrenduftes, um dann am nächsten Morgen in Paris’ neuer In-Bar die dazu passende Pflegeserie kennen zu lernen. Die Pressekonferenz war spannend, gut bestückt mit externen Wissenschaftlern und bestens reglementiert: Die anwesenden Journalisten durften an die hauseigenen Forscher exakt vier Fragen stellen. Danach zogen sich die Experten in eine Ecke zurück, so dass sich niemand traute, das intime Sit-in zu stören.

Gleiches Spiel beim Stargast, einem englischen Hollywoodstar, der als Rolemodel für den neuen Duft fungiert. Nach 20 min. und circa 15 Fragen zum Werbespot, dem Regisseur des Werbespots, dem Model im Werbespot und seinen persönlichen Beauty-Gewohnheiten war Schluss. Ich beteilige mich an solchen Masseninterviews schon lange nicht mehr.

Nach einem Erlebnis auf der Massen-Pressekonferenz zum Filmstart des Da Vinci Codes, als ich zwei Fragen an Audrey Tautou stellte, die ich am nächsten Tag in der gesamten Springerpresse lesen durfte und selber in meinem Artikel nicht mehr verwendet habe, weigere ich mich, bei diesem Spiel mitzumachen. Wenn das Ziel solcher Veranstaltungen ist, völlig identische Artikel von Taiwan bis in die USA und von Südafrika bis Schweden publiziert zu bekommen, finde ich das schade und fragwürdig. Wo bleibt bei der journalistische Anspruch? Wo die individuelle Einschätzung?

Ich für meinen Teil zerbrach mir während des gesamten öden Masseninterviews den Kopf, mit welchem Dreh ich die Geschichte anders aufziehen könnte. Mir ist auch was eingefallen, aber das behalte ich schön für mich.

Newsletter

Es gibt Post!