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Notwendige Korrektur

Ich habe gerade gelesen dass Brian Katulis, Senior Fellow am Center for American Progress, einem Think Tank in Washington mit engen Verbindungen zur Obama-Regierung behauptet, man solle sich in Afghanistan nicht “an das Klischee der freien und fairen Wahlen klammern”. Ich wusste gar nicht, dass freie und faire Wahlen ein Klischee sind.

Ein Klischee ist laut Duden eine “überkommene Vorstellung”, ein” eingefahrenes Denkschema”, eine “abgedroschene Redensart”, eine “vorgeprägte Ausdrucksweise”, ein “überbeanspruchtes Bild”.

Und ich dachte immer sie sind eine wichtige Grundlage der Demokratie. Danke Herr Katulis für diese Klarstellung!

 

 

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Kalt! Kalt! Kalt! Kalt! Kalt! Kalt! Und das in Rom!

So ähnlich stelle ich mir eine Nacht im Iglo vor: Unter dem Eisbärenfell ist es schön warm, nur die Luft ist eiskalt. Nur leider mache ich diese Erfahrung nicht auf einer Expedition durch die Arktis, sondern in meiner bescheidenen zwei Zimmer-Wohnung in Rom – einer Stadt, in der alle immer einmal leben wollen bis sie hier einmal gelebt haben. Dass ich nicht lache, “dolce vita”!

Denn jetzt kann ich wieder einen Monat frieren: Vor ein paar Tagen gab es einen Temperatursturz von fast 20 Grad, seitdem hält sich konstant eine Zimmertemperatur von 16,5 Grad in meiner Wohnung. Ändern daran kann ich nur etwas, wenn ich mich föhne oder den Radiator anstelle, der aber so viel Strom verbraucht, dass sich die Zahlen beim Stromzähler so schnell drehen, wie die Zapfanzeige an der Tankstelle.

Meine drei offiziellen, festinstallierten Heizkörper lehnen derweil nur dumm an der Wand: In Rom darf per Gesetz erst ab 15. November geheizt werden. Und: Auch dann darf nur maximal 12 Stunden geheizt werden. Übertreten kann man das Gesetz gar nicht, denn allein der Hausverwalter schaltet die Heizung an – und vor allem aus. Wirklich toll: Ich zahle zwar jeden Monat 50 Euro an die Hausverwaltung, aber dafür kann ich dann fünf Monate frieren. Übrigens: Das tolle Gesetz, welches regelt, wann in welcher Region Italiens geheizt werden darf, ist die „Legge 412/93″. In Kraft getreten ist es am 26.8.1993, an einem sicherlich heißen Sommertag.

Rückblickend muss ich sagen: Schade, dass die Römer die Karthager dann doch irgendwann besiegt haben. Denn hätte damals Hannibal Rom eingedampft, dann wäre Karthago die Herrin des Mittelmeers geworden. Dann wären Petrus und Paulus nach Karthago gegangen, dann wäre dort der Papst. Und dann würde ich dort leben –  im warmen Nordafrika. Stattdessen muss ich jetzt wieder den ganzen Winter frieren.

Unglaublich finde ich, dass die Römer es akzeptieren, im Winter zu bibbern. Es ist mir ein Rätsel, wie Menschen, die sich von März bis Oktober im T-Shirt bewegen, akzeptieren können, in den Monaten dazwischen zu frieren wie Schnittlauch im Gefrierfach. Einen gemütlichen Fernsehabend macht man im Moment bei etwa 15,5 Grad.

Nun werde ich den Winter mit meinem besten Freund überbrücken. Er ist schweigsam, sehr klein aber verbreitet stets ein wunderbares Klima. Es ist mein Heizlüfter, er heißt „Super Calor“, von mir liebevoll „Carlo“ genannt. Im Winter verbringen wir jeden Abend zusammen. Den Sommer über lebt er im Schrank mit meinen anderen besten Freunden: Der langen Unterhose, dem Thermo-T-Shirt und dem Flanellschlafanzug.

 

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Englischunterricht per Foto

Gestern Nachmittag stand unser Nachbar vor der Tür. Nicht dass das ungewöhnlich wäre, aber gestern kam Pak Marjo mit seinem Sohn, im besten Sonntagsstaat herausgeputzt. Er hielt mir eine Tüte mit Mangos hin: „Eigene Ernte“, sagte er schon fast entschuldigend. Es war klar, dass Marjo um einen Gefallen bitten wollte.

Mein erster Gedanke war, dass jemand in seiner Familie krank geworden war und er um Geld bitten will. Da kaum ein Indonesier auch nur irgendeine Versicherung besitzt, legt oft die ganze Nachbarschaft zusammen, wenn jemand bei schwerer Krankheit oder nach einem Unfall die Behandlungskosten nicht allein bezahlen kann. 

Doch diesmal lag ich daneben. Pak Marjo hatte eine ganz andere Bitte: Sein Sohn brauchte Hilfe bei einer Hausaufgabe im Englischunterricht. Kein Problem, dachte ich. Einem Neuntklässler werde ich sicherlich noch helfen können. Es ging allerdings nicht um eine Übersetzung oder ein Grammatikproblem. Auch nicht darum, die Aussprache zu üben. Nein: Die Hausaufgabe bestand darin, sich mit einem westlichen Ausländer fotografieren zu lassen. Sozusagen als Beweis dafür, dass man sich getraut hat, jemand auf Englisch anzusprechen.

Nun würden sich weder der höfliche Pak Marjo noch sein schüchterner Sohn jemals wagen, einen fremden Ausländer auf der Straße anzusprechen. Ganz davon abgesehen besitzt die Familie gar keine Kamera. Dennoch hängt die Englischnote des Jungen von dieser dämlichen Aufgabe ab.

Leider spiegelt dies ein generelles Phänomen im indonesischen Englischunterricht wieder. Anstatt eine Sprache zu vermitteln, die viele Lehrer selbst kaum beherrschen, lassen sie die Schüler Texte auswendig lernen und überlassen es ihnen dann selbst, „Konversation“ zu üben.

Westliche Ausländer, die schon einmal einschlägige Touristenattraktionen in Indonesien besucht haben, können ein Lied davon singen: Am berühmten Borobudur-Tempel in Zentraljava zum Beispiel werden täglich mehrere Schulklassen mit Bussen herangekarrt, die sich mit einem Fragebogen und Handykamera auf jede Weißnase stürzen, die sich die steilen Treppen des pyramidenförmigen Monuments hoch quält.

In der Regel sage ich bei solchen Gelegenheiten auf Indonesisch, dass ich aus Deutschland komme und man dort kein Englisch spricht. Das endet meist in Verwirrung und hilft fast immer. Pak Marjo und seinem Sohn konnte ich das aber schlecht erzählen. Also habe ich mich meiner eigenen Kamera mit dem Jungen fotografieren lassen. Mit dem Foto will ich ihm einen Brief an seinen Englischlehrer mitgeben. Darin werde ich ihm anbieten, eine Konversationsstunde mit seiner Klasse zu machen, wenn er seine Schüler dafür nie wieder losschickt, um sich mit Ausländern fotografieren zu lassen.

 

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Einmal sprayen ohne übermalt zu werden

Graffiti ist den Pariser Stadtbehören ein Dorn im Auge. Es gibt eine Abteilung, die durch Paris geht und unerlaubtes Sprühen sofort eliminiert. Sprich, ein Maler der Stadtbehöre wird geschickt und der übermalt dann in der Wandfarbe des Hauses die ‘tags’, wie man in Frankreich french-english Graffiti nennt. Somit bleibt die Stadt schön wie immer. Nur an einer Wand in der Stadt herrscht seit Juli Anarchie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier darf gesprüht werden, wie man lustig ist. Denn die Kunststiftung Fondation Cartier hat sich in einer Ausstellung der Straßenkunst gewidmet und zeigt unter dem Titel ‘Né dans la rue..’ (dt.: Geboren in der Straße) die Geschichte des Graffiti von den Anfängen bis heute.

Zwar fehlt ‘unsere’ Berliner Mauer vollständig in der Ausstellung (und das trotz des Mauerfall-Geburtstags), aber ansonsten ist die Schau gut gemacht, vor allem weil beim Eingang zum Museum jeden ersten Samstag am Monat Starsprayer eingeladen sind, um die Außenwand zu bemalen. Die offiziell erlaubten Sprayer bleiben natürlich nicht allein zwischen den ihren Aktionen, denn zu verlockend ist die Einladung und zu publikumswirksam. Deswegen schaut die Wand nun eigentlich jede Woche anders aus. Ein Kunsthappening in situ, wie man so schön sagt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das was auf den hier gezeigten Bildern zu sehen ist, sind die Anfänge der Aktion. Inzwischen wurde es wilder. Und auch auf der Homepage der Fondation geht es auch gerade recht tag-mäßig und wenig informativ zu und auch das passt zum Großen Ganzen.

Fotos: Barbara Markert

 

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Frauensache

Langweilig ist es in Kenia auch anderthalb Jahre nach Ende der schwersten Krise, die das Land je erlebt hat, nicht. Präsident Mwai Kibaki und Premierminister Raila Odinga, Garanten des Burgfriedens, der die Gewalt beendete, reden vor allem durch die Zeitungen miteinander. 10 Millionen Kenianer hungern, auch deshalb, weil ein Minister die Nahrungsmittelreserven für Notfälle – tausende Tonnen Maismehl – ins Ausland verschachert haben soll, um sich zu bereichern. Der Staat selbst ist unterdessen nahezu pleite. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs droht seinen Besuch an, doch im Kopf haben die Politiker dennoch nur das eine: Sex.

Davon jedenfalls sind die Aktivistinnen überzeugt, die kürzlich zum Sex-Boykott aufgerufen haben. Große Entscheidungen, so ihr Argument, werden immer auch im Bett diskutiert. Vor allem Politikergattinnen sollen sich verweigern und stattdessen fragen: ‘Honey, was kannst Du für Kenia tun?’ Eine tolle Idee findet das Ida Odinga, die Frau des Premiers, und verspricht, dabei zu sein. Auf die Frage, ob auch die Frau des Präsidenten mitmacht, wollte Odinga hingegen nicht antworten.

Kein Wunder, denn Lucy Kibaki genießt den Ruf eines Racheengels. So stürmte sie Kenias führendes Medienhaus, nachdem sie – aus ihrer Sicht – in einer der Zeitungen verunglimpft worden war und kündigte einen Sitzstreik an. Als der scheidende Weltbankchef (Kibakis Nachbar) eine Abschiedsparty gab, stürmte sie im Nachthemd sein Haus und drehte ihm die laute Musik ab.

Wer weiß, ob sich ähnliche Szenen nicht auch im Schlafzimmer des Präsidenten abspielen. Der 77-jährige (äußerst pressescheu) sah sich jedenfalls vor nicht langer Zeit genötigt, eine Pressekonferenz abzuhalten, die mit den Worten begann: “Ich habe nur eine Frau.” Und auch nur die vier Kinder, die Lucy ihm geschenkt habe, fuhr Kibaki fort. Die ‘First Lady’ stand währenddessen nur eine Armlänge entfernt. Da hatten Zeitungen geschrieben, dass es da doch eine zweite Frau gibt, was innerhalb von Kibakis Kikuyu-Ethnie nichts ungewöhnliches ist. Aber Kibaki ist auch Katholik, vielleicht deshalb die deutlichen Worte. 

In den Straßen wunderte man sich über den Aufstand. Aufsehenerregend, so sagt ein Zeitungsverkäufer, sei doch allenfalls, wenn Lucy einen zweiten Mann habe – das ist auch bei den Kikuyu nicht üblich. Kibakis Pressekonferenz könnte unterdessen einmalig bleiben. derzeit wird das Eherecht reformiert, die neue Fassung genehmigt die Vielehe. Glaubt man den Frauen, dann wird zumindest dieses Gesetz das Parlament schnell passieren.

 

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Die Prager Journalisten und der Lissabon-Vertrag

Ausnahmsweise blickt ganz Europa angestrengt nach Tschechien, und die Journalisten-Kollegen hier vor Ort sind etwas ratlos angesichts der Geschehnisse: Präsident Václav Klaus will den Lissabon-Vertrag nicht unterschreiben und erfindet stetig neue Finten, um einer Unterschrift auszuweichen. Wenn er sich weiterhin weigert, könnte er im Alleingang das Vertragswerk verhindern, das Diplomaten aus 27 Ländern in jahrelanger Kleinarbeit ausgehandelt haben.

Das Problem für die Journalisten: Niemand weiß, wie es jetzt in Tschechien weitergeht. Ratlosigkeit durchzieht ihre Kommentare, hilflos zeichnen sie Szenarien von einer Absetzung des Präsidenten bis hin zum Austritt Tschechiens aus der EU. Es kommt alles nur auf einen Mann an – und der schweigt eisern, was bei Václav Klaus selten genug vorkommt.

In dieser allgemeinen Suche nach Indizien hat jetzt ausgerechnet eine britische Zeitung für Furore gesorgt: Die Times berichtete, der Präsident habe am Rande eines Pferderennens im böhmischen Ort Pardubice gesagt, er werde Lissabon nie unterschreiben. Das Problem dabei: Niemand anders hat diesen Satz gehört.

So brachte es also der englische Journalist zu plötzlicher Berühmtheit in Tschechien: Das Fernsehen schaltete zu ihm, alle Zeitungen zitierten ihn – und er musste gestehen, dass er den Satz nicht selbst gehört habe, sondern dass er ihm von einem verlässlichen Informanten zugetragen worden sei. Und den dürfe er natürlich nicht verraten.

Die Geschichte um die vermeintlich sensationelle Meldung der Times wird in den tschechischen Medien ausführlich breitgetreten. Aussagekraft hat sie indes nicht, weil der Wahrheitsgehalt zumindest fragwürdig ist. Sie zeigt nur, wie aufgewühlt die Journalisten hier sind – und wie bereitwillig sich manche an den dünnsten Strohhalm klammern, um ein unlösbares Rätsel doch zu lösen.

 

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Es lebe das Kollektiv!

Das Kollektiv lebt. Im Land der privatisierten Kibbutzim hat es die Idee vom geteilten Hab und Gut im Allgemeinen schwer. Aber dort, wo die Flächen knapp und Wohnraum atemberaubend teuer sind, im Zentrum von Tel Aviv, dort lebt das Kollektiv. Nicht das Betriebskapital und auch nicht die Mahlzeiten sind allen gemeinsam. Geteilt wird der optische Raum. Und der akustische.

Wenn ich morgens das Küchenfenster öffne und meinen Tee aufsetze, sehe ich, wie auch Fania den neuen Tag beginnt, die Milch aus dem Kühlschrank nimmt, sich einen Kaffee aufsetzt. Ich vermute, dass sie mich auch sieht. Dass sie hört, wie ich das Radio anmache, um die Nachrichten auf Reshet Bet zu hören.

Fania ist 72 und lebt im Haus nebenan, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock. Allein. Zwischen meinem Spülbecken und ihrem Kühlschrank liegen kaum mehr als fünf Meter Luftlinie. Aber in diesem intimen Moment der morgendlichen Rituale sehen wir uns nie direkt ins Gesicht, grüßen uns nicht.

Dann, um viertel vor sieben, zerreißt ein ohrenbetäubender Klingelton die noch frühmorgendliche Ruhe. Fania braucht eine Weile, um aus der Küche ins Wohnzimmer zu laufen, wo das Telefon steht.

Ich atme auf, wenn ich sie endlich „ken?“ krächzen höre. „Ja?“ Jeden Morgen aufs Neue nimmt Fania diesen ersten Anruf des Tages mit gespannter Neugier entgegen. So als wüsste sie nicht, dass – wie auch an jedem anderen der 364 übrigen Morgen im Jahr – ihre Tochter aus Netanja sich nach ihrem Befinden erkundigen will. Es entwickelt sich ein kurzes, morgenschweres Gespräch über das Wetter und darüber ob Fania ihre Tabletten schon genommen hat.

Einmal in der Woche empfängt Fania drei Freundinnen zum Bridge. Sie setzen sich dann auf den Balkon, trinken Kaffee und sprechen Ladino, die Sprache der sephardischen Juden. Manchmal sitze auch ich gerade auf dem Balkon und trinke Kaffee. Ich winke dann hinüber und Fania fragt „Wie geht es Dir, meine Süße?“. Ihre Freundinnen winken zurück und rufen „Shalom! Wie geht es Dir?“ und wir klagen gemeinsam über die Hitze.  

Über Fania, im vierten Stock des Nachbarhauses, wohnt ein älteres Männerpaar. Auch ihre Lebensgewohnheiten sind mir inzwischen wohl vertraut. Sie stehen später auf als Fania und ich. Dafür sind sie abends länger wach. Sie fangen erst gegen halb zehn an zu kochen. Lange und aufwändig. Dabei hören sie am liebsten Free Jazz. Neulich haben sie sich heftig gestritten. Ich hörte, wie Geschirr zerbrach. Ich wollte die Einzelheiten nicht verstehen. Und war erleichtert, als ich kurz darauf hörte und sah, wie sie wieder auf ihrer Terrasse saßen, eine Flasche Wein öffneten und lachten.

Ich habe eine Schwäche fürs unfreiwillige Kollektiv. In Deutschland war der Weg zu meinen Nachbarn oft weit, verbarg sich ihre Geschichte hinter nur schwer zu druchdringenden Fassaden. Hier, in Tel Aviv, wo die Häuser sich eng an einander schmiegen, es auch im späten Oktober nachts noch schwül ist und alle Fenster Tag und Nacht offen stehen, kommt mir das Leben meiner Nachbarn näher. Das Kollektiv lebt. Es lebe das Kollektiv! 

 

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Arabische Feministinnen rechnen mit dem Westen ab

Wie stellen Sie sich arabische Feministinnen vor? Frauen, die sich den Schleier herunter reißen? Die für Abtreibungsrechte, offene Partnerschaften und das Recht auf Beruf statt Kind kämpfen? Weit gefehlt. Die arabischen Feministinnen sind anders. Sie betonen ihre Weiblichkeit, Kinder zu haben ist in diesen Gesellschaften ein zentraler Wert  – auch in den Augen der Frauen. Ein Zeichen der Emanzipation ist hier beispielsweise, sich am politischen Widerstand gegen israelische oder westliche Besatzung zu beteiligen. All das verstünden die westlichen Schwestern nicht, drum könne man auch auf ihre wohlgemeinte Unterstützung verzichten, man müsse einen eigenen Weg gehen.

Drei Tage lang debattierten mehr als 50 arabischen Frauenrechtlerinnen und Feminismusforscherinnen, in welche Richtung sie sich in Zukunft bewegen wollen. Es war ein emotionales Treffen an der Amerikanischen Universität Beirut . Es wurde gestritten, man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und es wurden viele Fragen gestellt. Vorne weg diese: Welches ist der richtige Platz für Feminismus in einer Umgebung, die wie die unsere durch Kriege, Bürgerkriege, Armut, autoritäre Regime, ein Fehlen der Bürgerrechte, durch militärische Angriffe und Umsturzversuche aus dem Ausland geprägt ist?

Weil ihr Lebensraum so aussieht, bewegen diese Feministinnen andere Themen als die Frauen im Westen: Das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Arbeit, das Recht, einen Pass zu beantragen ohne den Vater oder Ehemann fragen zu müssen, das Recht, die eigene Staatsbürgerschaft an die Kinder weiterzugeben, das in den meisten Ländern dem Mann vorbehalten ist. Es geht um Scheidungsrecht, Erbrecht, um den Schutz gegen Gewalt, die Diskussion um den Hijab (Schleier), um Sexualität und auch, aber nicht an erster Stelle, um politische Rechte. Letztere würden häufig als Folge westlichen Drucks zugestanden, dabei handele es sich dann aber nur um ein Feigenblatt, um zu verdecken, was eigentlich im Argen liege, meinte Mai al-Nakib von der Kuwait University. Sie legte dar, dass die kuwaitischen Frauen zwar im Vergleich zu anderen Golfstaaten mehr Freiheit und vor allem das Wahlrecht haben. Das bedeute jedoch keinesfalls, dass die Frauen in dem ölreichen pro-westlichen Emirat deshalb wesentlich emanzipierter seien als ihre Geschlechtsgenossinnen in den Nachbarstaaten. Al-Nakib:„Die meisten Frauen in Kuwait sind vollkommen apathisch. Der Islam, ein konservativer Moralkodex sowie die Moschee dominieren ihr Leben.“ Und das akzeptierte die Mehrheit.

In Saudi-Arabien, so konnte man auf dem Kongress lernen, erwacht so langsam ein Bewusstsein unter den Frauen für ihre enorme Unterdrückung. Aber eine richtige feministische Bewegung gibt es schon allein deshalb nicht, erklärte Hatoon al-Fassi  von der Universität Riyadh, weil die Frauen sich nicht in der Öffentlichkeit treffen dürften, um über solche Dinge zu reden. Noch dürften sie eigene Publikationen herausgeben. So bliebe es bei privaten Treffen von Einzelkämpferinnen. Sie selbst könne die Missstände nicht detaillierter beschreiben, weil sie sonst fürchten müsse, nicht mehr zurück nach Saudi-Arabien gelassen zu werden. Ein ernüchterndes Statement, das deutlich macht, gegen welche Windmühlen diese Frauen ankämpfen müssen – falls sie es denn überhaupt wollen. Denn die Mehrheit der Frauen in der arabischen Welt betrachte Feministinnen doch immer noch als ein wenig geistesgestört, schimpfte Noha Bayoum von der Libanesischen Universität Beirut .

Aber auch von den westlichen Frauen fühlen sich die arabischen Feministinnen missverstanden. Sie wehren sich gegen deren Bevormundung, sie bräuchten keinen Ideenimport, denn sie hätten ihre eigenen, betonte eine Rednerin nach der anderen. „Das einzige, worauf wir uns einigen können, ist, dass wir beide die Gleichberechtigung der Frau wollen“, sagte mir eine Aktivistin. Doch darüber, wie wir uns diese Rechte im Einzelnen vorstellten, könnten wir uns schon nicht einigen. Das sei Fakt und deshalb wolle sie auch nicht weiter mit mir diskutieren. Sagte es und verließ erregt den Raum.

Der Westen habe den arabischen Frauen sehr viel Leid angetan durch Invasionen wie im Irak und Afghanistan, die Unterstützung von Kriegen und Besatzung wie im Libanon und in Palästina. All das habe die Frauenrechte um Jahre zurückgeworfen, lautete der Tenor. Die US-Invasion und die nachfolgende Besatzung hätten die irakischen Frauen in die 30er Jahre zurück katapultiert, erklärte die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana  wütend. „Zwar sitzen nun in unserem Parlament 25 Prozent Frauen. Aber was tun sie dort? Kümmern sie sich um die Belange der Frauen? Nein.“ Dafür habe das Land nun den höchsten Anteil an Witwen weltweit.

Kaum positiver beschreibt die Frauenforscherin Elahe Rostamy-Povey von der Universität London die Lage afghanischer Frauen nach dem Versuch der Vertreibung der Taliban durch westliche Truppen: „Krieg und militärische Konflikte verschärfen immer männliche Vorherrschaft in der Gesellschaft. Die afghanischen Frauen sind heute keineswegs befreit.“ Das Leben sei jetzt anders als unter den Taliban, aber nicht besser.

Es war viel Provokatives zu hören auf dem Beiruter Feministinnenkongress und ich habe vieles über arabische Frauen gelernt. Es war ein Privileg, diese teils mutigen und engagierten Frauenrechtlerinnen kennen zu lernen. Auch wenn sie an viele Dinge ganz anders herangehen. Sie haben Recht damit, weil sie tatsächlich in einer anderen Welt leben. Doch kann ich mich nicht damit abfinden, dass wir unfähig sein sollten, miteinander in einen Dialog zu treten. Radikale Abgrenzung bringt keinen weiter. Wir westlichen Frauen können jedenfalls von unseren arabischen Schwestern einiges lernen, vor allem was Solidarität und das Annehmen der eigenen Weiblichkeit angeht.

 

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Kein Klima für Wäscheleinen

Wäscheleinen führen zu Slumbildung. Und Trockner sind eine Supersache. Wussten Sie nicht? Im Land der fleißigsten CO2-Verursacher ist derlei sonnenklar.

Zwar war es ein Australier, der die Wäschespinne (Hills Hoist) erfunden hat, beliebt ist Open Air Wäsche im Südhalbkugelwind trotzdem nicht. In Gärten darf Buntes (noch) flattern. Auf Balkonien nicht, jedenfalls nicht in Neusüdwales, (hier wohnen die meisten Australier), auch im “Sunshinestate” Queensland und in Westaustralien ist derlei per Mietergesetz verboten. Wofür gibt es schließlich Wäschetrockner! Die sind umweltpolitisch etwas gestrig? Pah, ein neunseitiger Behördenreport hat hier unten gerade herausgefunden: Leute verbrauchen fast mehr Strom mit Standby-Fernsehern und ähnlichem Gerät als mit Trocknern. Fazit: Es ist völlig okay, Wäsche weiter im Trockner zu trocknen, und es auf Balkonen verbieten.

 

Was genau jene leinenfeindliche Australier nun gegen die Balkonwäsche haben, ist nicht sooo einfach zu erklären. Besagter Neunseitenreport hat ermittelt, dass es vor allem um Ängste geht: Furcht Nr. 1: Immobilienpreise wackeln (“Sieht ja hier aus wie bei Hempels in Neapel! Das senkt den Marktwert der Wohnung!”), um soziale Ängste (“erinnert an Slums in Hong Kong”) und um die Angst vor Entblößung: (“Wer will schon des Nachbarn G-String sehen?”). 
Ich habe übrigens noch nicht mal einen Balkon, meine Hinterhofleine stört offenbar das Immobilengefüge nicht, und ich könnte daher eigentlich die Klappe halten. Aber seit klar ist dass Australien die USA als größte CO2 Pro-Kopf-Verursacher überholt hat, fallen mir ständig derlei Absurditäten auf. 20,5 Tonnen Treibhausgase verursacht jeder Aussie im Jahr, doppelt so viel jeder Deutsche. Zwar heizt Sydney weniger als Stuttgart. Aber die Regierung liebt nun mal Kohlekraftwerke. Und sie hat Zeit für Gesetze, die Wäsche auf Balkonen verbieten. Halleluja.
Ich stimme Premierminister Rudd zu, der neulich in seinem Blog (ja, hier unten bloggt selbst der PM) meinte: ‘Viel mehr muss getan werden, wenn wir erfolgreiche Vereinbarungen bei der Konferenz in Kopenhagen erziehen wollen.’  Ich kanns kaum erwarten.

 

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Architekt und Vagabund

Gestern beim Architekten Hiroshi Hara in Shibuya. Ich zwänge mich in das Studio des 73-jährigen wie in eins der altertümlichen Dörfer, die er seit dreissig Jahren auf allen Kontinenten durchforscht.  Eng wie die Strassen der Steinfestung von Hajjarah in Yemen ist der Eingangsschacht. Ruhe und Geborgenheit folgen, erinnern an die chinesische Erdfestung Tian Luo Keng. Hier hält sich  Hara einen Privatdschungel, eine kleine verwilderte Herzkammer, die er vor sich hinpumpen lässt, als wollte er der Natur all das zurückgeben, was er ihr über die Jahrzehnte in Japan amputiert und abgewürgt hatte – mit Wolkenkratzern, Sportstadien und Bahnstationen.

Hara sitzt am Schreibtisch. Zwischen uns ein Schlachtfeld aus Skizzen, Bleistiften und Büchern. Er zündet sich eine Zigarette an und der Rauch klettert seine weissen Haare hoch, verleiht ihm die Würde eines Jetztzeit-Schamanen – oder eines gut gereiften Hollywood Stars. An der Wand hängt eine kleine Arbeit von seinem Freund Christo. Der wollte ursprünglich was viel Grösseres verpacken: Haras Umeda Sky Building in Osaka, samt 40-stöckigen Zwillingstürmen. Das notwendige Geld liess sich nicht auftreiben, und so verschnürte Christo einfach Haras Telefon.

Ich zeige dem Japaner neue Fotos von Raiding im Burgenland, Geburtsort von Franz Liszt. Auch Hara will dort bis 2011 – zum 200. Geburtstag des Komponisten – einen kleinen experimentellen Bau gestalten. „Vielleicht nenne ich ihn Pollenhaus,“ sagt er und zeigt mir mikroskopische Ansichten von einem Blütenstaub, der Jahrhunderte überlebt hat. „Pollen treibt dahin, um die Welt, lässt sich nieder, wartet, und dann wird irgendwann was aus ihm, eine Form, eine Farbe, die wir vielleicht schon längst vergessen haben.“ Zusammen mit  Hara wollen sich auch andere japanische Architekten am Raiding Projekt beteiligen: Kengo Kuma zum Beispiel, Jun Aoki, Terunobu Fujimori und Kazuyo Sejima.

 Immer noch amüsiert sich Hara darüber, dass er – ein Kinder der 60er Jahre – in Japan gigantomanische Bauten verwirklichen durfte, die Kyoto Station zum Beispiel oder den Sapporo Dome. Aber ein Nomade, ein Dritte-Welt-Vagabund ist er trotzdem geblieben. Sein Herumreisen hat nur bestätigt, was er immer schon geahnt hat: wenn heutzutage eine Metropole versagt, dann deshalb, weil das Wissen um antike Dorfstrukturen ignoriert wurde. Und so tun ihm nun auch einige seiner eigenen Bauten leid. „Heute würde ich nicht mehr zulassen, dass die Kyoto Station die Stadt zerteilt!“ Über die Amerikaner kann der Schamane nur lachen. In den 50er Jahren, als ihre Spionagesatelliten die 700 Jahre alten Strukturen des Tian Luo Keng fotografierten, erkannte der CIA eindeutig chinesische Atomreaktoren.

 

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Von “bad news” zu schönen Geschichten..

Was hatte ich damals für Sorgen, als es im Januar 2007 in Moskau ans Kofferpacken ging. Nach knapp sieben aufregenden und bewegenden Jahren als freier Korrespondent in Moskau und ganz Russland sollte ich in die Schweiz wechseln, noch dazu in eine Festanstellung zu ‘cash TV‘, einem privaten Wirtschaftsfernsehmagazin.

 In Moskau hatte ich mich schnell daran gewöhnt, dass jederzeit weltbewegendes passieren kann: Katastrophen, Krieg, Attentate und so weiter. Ich hatte im August 2000 noch nicht die Koffer ausgepackt, da soff schon das Atom-U-Boot ‘Kursk’ mit 118 Mann Besatzung ab und hielt mich und die Weltöffentlichkeit tagelang auf Trab. Nachts liess ich all die Jahre das Handy eingeschaltet neben meinem Bett, allzeit bereit für die nächsten Einsätze. Und es folgten einige.

 Die vielen ‘bad news’ und der menschenverachtende Umgang mit dem Volk durch die Obrigkeit hatten mich zynisch werden lassen in all den Jahren; ‘wo man auch hinschaut, man packt in Scheisse’, sagte mir eine deutsche Kollegin bei meinem letzten Besuch in Moskau in diesem Sommer. Recht hat sie.

 Dennoch war damals meine Sorge gross, in der ruhigen, gemütlichen und reichen Schweiz journalistisch zu veröden. Schliesslich gibt es in der Schweiz keine wirklich harten politischen Auseinandersetzungen; in der Schweiz regieren Konsenz und Mittelmass. Es gibt – und das mag seltsam klingen – in der Schweiz kaum herausragende Persönlichkeiten, aber das ist von den Eidgenossen durchaus so gewollt. Überragende Persönlichkeiten, ob negativ oder positiv, sind verdächtig. Die Schweizer schätzen eben – grob gesagt – das Durchschnittliche. Das macht das Land sympathisch, aber für Aussenstehende auch ein bisschen langweilig. Die Schweiz, ein Land ohne Schlagzeilen, wenn einmal von der Verhaftung von Starregisseur Roman Polanski absieht.

 Dennoch waren meine Sorgen im Nachhinein unbegründet. Die Schweiz steckt voller schöner und auch skurriler Geschichten. Die Eidgenossen waren und sind noch immer ein sehr findiges und innovatives Völkchen. Immerhin haben die Schweizer unter anderem das Alphorn, den Klettverschluss oder auch den Closomat, ein WC mit integrierter Dusche für den Popo erfunden…

 Meist weiss man nur wenig über die klugen Köpfe hinter solch bahnbrechenden Erfindungen. Als ich von dem Kartoffelbauer Ueli Maurer hörte, der seit zehn Jahren (!) damit beschäftigt ist, den perfekten Pommes-Frites-Automaten zu entwickeln, wurde ich neugierig und ging der Sache nach.

 Hier ist seine Geschichte:

 Es ist eine typisch schweizerische Geschichte.

 

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Produktionsprozess

Wenn zwei bislang verfehdete Staaten eine historischen Durchbruch erzielen, sich auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einigen und die Öffnung der geschlossenen Grenze ins Auge fassen, dann sollte man als Korrespondent in Erfahrung bringen, was die Bevölkerung an dieser Grenze davon hält. Auf geht es also an den seit 16 Jahren geschlossenen Grenzübergang Alican zwischen der Türkei und Armenien. Weil der Flughafen Agri seit Monaten geschlossen ist, geht es mit dem Flugzeug nach Kars und dann mit dem Auto weiter. Obwohl es noch September ist, sieht das Wetter in Kars bereits so aus:

 

 

Auf der 150 Kilometer weiten Fahrt durch die Berge ist nicht nur mit dem Wetter zu rechnen und mit Lastwagen, die auf ihrem Weg aus Iran oder nach Georgien grundsätzlich auf der falschen Spur entgegen kommen, sondern auch mit vierbeinigen Verkehrsteilnehmern:

 

 

In der Tiefebene von Igdir ist das Wetter wärmer, die Straße schlängelt sich parallel zum Grenzfluss Aras dahin bis zur gleichnamigen Provinzhauptstadt Igdir am Fuße des Berg Ararat.

 

 

 

Am Ortsausgang von Igdir steht das türkische Völkermordsdenkmal, das die türkische Sicht der Ereignisse von 1915 symbolisiert – ein Ensemble von fünf Schwertern, die sich vor dem Ararat fast 45 Meter hoch in den Himmel recken:

 

 

 

Hinter Igdir ist die Türkei bald zu Ende: Rechts geht es hier zu der aserbaidschanischen Enklasve Nakhitschewan, links zum geschlossenen Grenzübergang nach Armenien:

 

 

 

Nur ein paar Kilometer sind es jetzt noch bis Alican, doch da haben es zwei Lastwagen doch noch geschafft: Vollsperrung der Überlandstraße.

 

 

 

Mit freundlicher Unterstützung der Landbevölkerung geht es über Feldwege weiter zum Ziel. Warme Abendsonne beleuchtet den Besuch in Unter-Alican, das grenznächste Dorf auf der türkischen Seite:

 

 

 

Beim Besuch im Nachbardorf Ober-Alican dämmert es bereits:

 

 

 

Was die Bewohner der Grenzdörfer gesagt haben, das ist hier nachzulesen und hier nachzuhören.

Und von der türkisch-armenischen Grenze aus gesehen, sieht der Berg Ararat so aus:

 

 

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Selbstversorgung deluxe

Vergangene Woche war ich zum Abendessen im feinen Londoner Westen eingeladen. Der Gastgeber servierte ein deftiges Rüben-Risotto und verkündete, dass er das Wurzelgewächs selbst anbauen würde. Offenbar war ich Zeuge einer neuen Form von Selbstversorgung. Überlebenskunst de luxe! Oder will man hier einfach nur ein bisschen Arbeitermilieu nachspielen? Bis vor wenigen Monaten konnte dieser Bekannte nicht einmal seine allabendliche Take-Away-Bestellung vom Thai nachwürzen. Nun gehörte er plötzlich zu jenen Londoner Gutverdienern, die das Abenteuer Selbstversorgung zu ihrem neuen After-Work-Hobby ausbauen und sich auf die Penthouse-Terrasse oder den akkurat verwilderten Garten zurückziehen. Und wer die jahrelangen Wartezeiten mit einer größeren Spende bestechen konnte, sitzt jetzt sogar im eigenen Schrebergarten, mitten in der Stadt und von den Quadratmetern so groß wie die Toilette in einem Wohnmobil. Und tatsäclich herrscht um diese urbane Unterwelt des kleinen Mannes momentan ein Interesse wie vor fünfzig Jahren. Nur sind es nun IT-Experten, Designerinnen oder Betriebswirte, die im Erntesegen eine verwachsene Kartoffel nach der anderen ans Licht befördern, wie kleine Gehaltserhöhungen.
Diesen Neo-Landwirten geht es beim hemmungslosen Gärtnern nur am Rande darum, in Zukunft den Gang zum Biomarkt zu sparen. Die Befriedigung gedeiht tief im Kartoffelbeet: In Zeiten, in denen Londons Unternehmen eine Kündigungsrunde nach der anderen einläuten, ernten Citybanker vielleicht keine Boni mehr, dafür nun aber die Früchte der realen Arbeit. Hier ist der Schmutz ehrlich. Dünger und Saat als Wertanlage, die Ernte als bodenständiges Ereignis in Form gut gewachsener Schlangengurken, Tomaten, edler Salate und eben auch der guten, alten Rübe, Heldin der harten Zeiten. Krisenkochshows und Aufmacher in Guardian bis Times zeigen, wie man das Retro-Gemüse raffiniert verarbeitet, ohne ihren Arme-Leute-Charme gänzlich auszukochen. Zum Rüben-Risotto gab es an erwähntem Abend übrigens Rosé-Champagner, und mein Bekannter war auf seine inszenierte Klassen-Mélange ziemlich stolz. Auch halten im Augenblick angeblich über eine halbe Millionen Haushalte in Großbritannien eigene Hühner, und in vielen der neuen Rezessionsgärten stehen stromlinienförmige Hühnerhäuser, die aussehen wie das Gehäuse eines ausrangierten iMac. Das Design-Gehege wurde entworfen von einer britischen Firma und wird seit Monaten tausendfach ausgeliefert, samt zwei glücklichen Hühnern und Futter.
Das Rüben Risotto schmeckte übrigens etwas erdig, doch auf dem Heimweg kam mir eine geniale Idee. Ist die Schrebergartenparzelle am Ende sogar Londons Immobilienlösung? Zentral gelegen, dennoch mitten im Grünen, bodenständig und beruhigend. Wenn sich gut verdienende Briten demnächst dazu entschließen sollten, die neue Bescheidenheit nur noch von ihren aufgemotzten Schrebergartenparzellen aus zu zelebrieren, stehen plötzlich viele, edle Immobilien leer. Und ich komme doch noch an mein exklusives Stadtappartement im gediegenen South Kensington.

 

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Italienisches Inkasso

 

Dieses Forum gibt mir die Möglichkeit, eine Schuld abzutragen, weil auch heimgekehrte Weltreporter mitbloggen dürfen und sollen. – Als ich im Juli mal wieder länger in Rom war, wartete Post auf mich: Für fünf mal falsch Parken (übrigens „nur“ einen Motorroller) sollte ich mit Mahngebühren etc. insgesamt 1200 (i.W.: zwölfhundert) Euro zahlen. Absender war das im Staatsauftrag tätige (und auch ungefähr zur Hälfte der Republik Italien gehörende) Inkasso-Unternehmen Equitalia, und ich beschloss, über dieses Unternehmen und sein Mahnwesen einen Radio-Beitrag zu machen. Abgesehen von Interviews in der Warteschlange an den Schaltern, die diese Firma in Rom unterhält – in denen mir die Wartenden entgegen meiner Erwartung sagten, dass sie es ganz normal fänden, erst nach zwei Stunden an die Reihe zu kommen; das lief dem Italien-Klischee zuwider, das wir alle so gern bedienen – wandte ich mich auch an die Presse-Abteilung der Equitalia und bekam fast sofort (schon wieder klischee-widrig, diese Effizienz!) zwei Interviews (i.W.: 2) vermittelt: mit dem römischen Verantwortlichen dieses föderativ aufgebauten Unternehmens, und mit dem Generaldirektor der italien-weiten Holding. Letzteres konnte ich in meinem Beitrag gar nicht unterbringen, weil der Rom-Chef schon alles Wichtige gesagt hatte (und es natürlich mal wieder nur drei Minuten werden sollten). Das allerdings hat den Pressesprecher, der mir das Interview verschafft hatte, in Schwierigkeiten gebracht, weil er, mit Hilfe eines elektronisch übermittelten „Belegexemplars“ meines Dreiminüters, seinem obersten Chef Rechenschaft ablegen musste, ob denn das Interview mit dem deutschen Journalisten irgendwas gebracht, irgendeinen Niederschlag gefunden habe. Und das hatte es eben nicht. Daher möchte ich auf diesem Wege mitteilen, dass Equitalia ein sehr sympathisches Unternehmen ist (soweit das bei einer Inkasso-Firma der Fall sein kann), dass sie ihren Online-Service und auch den an den real existierenden Schaltern laufend verbessern, und dass sie eine sehr hilfreiche Pressestelle haben. Und sehr auskunftsfreudige Direktoren. Jawohl. – Meine fünf Parkzettel im Wert von je 240 Euro waren übrigens, wie nach zwei mal zwei Stunden Schlangestehen für mich herausgefunden wurde, alle verjährt. Was bei Ordnungswidrigkeiten aus dem Jahre 2003 auch nicht wirklich verwunderlich war. Caro Giuseppe, questo lo puoi far vedere al direttore Cuccagna. Spero che sia soddisfatto…

 

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Gennadis Jackett

Wer kennt das nicht? Die KraWatte sitzt falsch, der Anzug ist zu warm, das Aufnahmegerät fällt aus. Schreckminuten in einem Interview. Je schlimmer, desto wichtiger der Gesprächspartner. Eine Toleranzbreite allerdings gibt es immer. Doch ohne Krawatte geht’s nun einfach nicht, wenn man als männlicher Vertreter des Gewerbes zu Friedenszeiten ein Interview mit der Macht anpeilt. In Polen half mir einmal der Fotograf mit seiner Zweitkrawatte aus der Patsche. Und die Sache blieb unter uns. Die Geschichte von Gennadis Jackett aber wird die abchasische Politszene wohl bis zum Präsidentschaftswahlkampf im Dezember beschäftigen.

 

Dabei begann alles ganz harmlos mit einem Hintergrundgespräch in einem verrauchten Cafe von Suchum (vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 1999 eher unter dem georgischen Namen Suchumi bekannt), der Hauptstadt Abchasiens (http://www.therepublicofabkhazia.org/). Ich traf dort einem der wichtigsten Oppositionspolitiker des ausser von Russland, Nicaragua und Venezuela von niemandem anerkannten Zwergstaates. Gennadi Alamia (http://abkhasia.kavkaz-uzel.ru/articles/82870) heisst der Mann, wie so viele Politiker in Abchasien eigentlich ein Dichter von Beruf. Alamia sitzt mir im schwarzen Anzug und weissem Hemd – aber ohne Krawatte – gegenüber, ich ihm in Jeans, T-Shirt und Reporterjacke. Einzig von der Statur her ähneln wir uns.

 

Als ich ihm zum Abschluss einer heftigen geopolitischen Diskussion erzähle, dass ich am nächsten Tag den Staatspräsidenten, Sergej Bagapsch (http://www.abkhaziagov.org), interviewe, beginnt der Intellektuelle sich auszuziehen. Zuerst das Handy, dann die schmale Brieftasche und schliesslich das ganze fein gewobene Jackett. „Hier nimm dieses und gibs mir bei Gelegenheit wieder zurück“, sagt Alamia, den ich gerade das erste Mal getroffen habe.

 

Das Präsidenten-Interview in den Kleidern seines schärfsten Kritikers lief übrigens hervorragend. Und tags darauf kannte schon halb Suchum die Geschichte von Gennadis Jackett im Präsidentenpalast. Wären wir Diplomaten statt Journalisten, wer würde solch hilfsbereiten Menschen das Recht auf Selbstbestimmung absprechen? 

 

 

 

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Berliner Nächte

Wenn Journalisten feiern, auch sich selbst, sind Politiker meist nicht weit. Die gegenseitige Abhängigkeit zwingt zu einer Symbiose, die freundschaftlicher ist als es viele Schlagzeilen vermuten lassen. Beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen der Bundespressekonferenz war denn auch die politische Prominenz zahlreich gekommen. Als erster FDP-Chef Guido Westerwelle, der zum abendlichen Abschieds-Essen des schwarz-roten Kabinetts zwei Häuser weiter im Kanzleramt nicht eingeladen war. Dass sich auch die Kanzlerin kurz die Ehre gab, überraschte sogar den Bundespräsidenten. Der vermutete, man habe ihn nur deshalb als Festredner eingeladen, weil die ‘journalistische Stammkundschaft’ derzeit anderweitig beschäftigt ist.

Das hat ihn offenbar zu Höchstform auflaufen lassen. Jedenfalls hielt Horst Köhler eine der besten Reden seiner bisherigen Amtszeit.  Eine, bei der er mit den bundespolitischen Berichterstattern hart ins Gericht ging. Wer aufklären wolle, brauche zuerst eine Haltung, mahnte Köhler, die vermisse er bei vielen Journalisten. Ernsthaftigkeit, Leidenschaft, Ahnung haben, das könnte mal wieder in Mode kommen, meinte er. Und dass die Krise im Qualitätsjournalismus nicht nur mit fehlendem Geld zu tun habe, sondern auch damit, dass sich die Leser und Zuhörerinnen mit uns (unseren Artikeln) langweilen.

Wer von Berufs wegen Fragen stellt, sollte die auch an sich selbst stellen, meint Köhler. Mal abgesehen davon, dass auch der Bundespräsident in vielen Reden seine Zuhörer schon gelangweilt hat, frage ich mich: sind wir als Journalisten wirklich so wenig selbstkritisch, dass wir uns von Politikern einen Spiegel vorhalten lassen müssen?

 

 

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Schwarzenegger im Rausch der grünen Revolution

Ich sitze in einem von der Klimaanlage in einen Kühlschrank verwandelten Saal eines Nobelhotels in Beverly Hills und kann es nicht fassen: das schafft wirklich nur einer – in einer ernsthaften Diskussion vor hochrangigen Gästen aus aller Welt die Worte Klimawandel und ‚Saturday Night Fever’ in einem Satz unterzubringen: Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Beim zweiten von ihm initiierten Klimagipfel in Los Angeles sitzt er auf dem Podium mit dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair. Und während vor dem Veranstaltungsort Demonstranten lauthals gegen Kürzungen in Krankenversorgung, Schulprogrammen, Parks und Gefängnissen protestieren, die Schwarzenegger unterschrieben hat, spricht der drinnen enthusiastisch von der grünen Revolution, die von ganz unten kommen muss. Von der Basis. Von Städten. Von Regionen. Von Kalifornien. Von Schwarzenegger.

Mal staatsmännisch nachdenklich nickend, mal zufrieden grinsend sitzt Schwarzenegger vor Flaggen aus aller Welt, begrüßt Vertreter von mehr als 70 Nationen und Regionen, von der UN und von der Regierung in Washington. Und alle, die sprechen, loben den Mann aus Österreich als Vorreiter der US-Klimapolitik, ja der Weltklimapolitik: US-Umweltministerin Lisa Jackson, Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, Tony Blair und weil bei einem Schwarzenegger-Ereignis muskulöse Prominenz aus Hollywood nicht fehlen darf, spricht auch Hollywood-Star Harrison Ford und lobt natürlich ebenfalls den Gouvernator, der ‘seinen Hintern hochkriegt und mitmischt im Umweltpolitikspiel’.

Wie er sich da sonnt im Schweinwerferlicht wird ganz schnell klar – Schwarzenegger hat seine nächste Rolle gefunden. Er sitzt den Rest seiner Amtszeit genauso gelassen aus wie Rekordtiefstände seiner Beliebtheit und Anti-Arnold-Demonstrationen. Er macht gerade den nächsten Karriere-Schritt seines unglaublichen Lebenslaufs, den Schritt nach ganz oben: vom österreichischen Landei über Mister Universum, Action-Filmstar und Gouverneur des bevölkerungsreichsten US-Bundesstaates zum Welt-Klima-Zar.

Ach ja – und wie passen Saturday Night Live und Klimawandel in einen Satz? Ganz einfach. Umweltbewusstsein kann heute so hip sein wie es Discos in den 70ern waren. John Travolta und die Bee Gees starteten eine Tanz-Revolution. Mit Arnold Schwarzenegger kommt die grüne Revolution von unten.

Ich sammel schonmal fleißig Töne, damit ich beweisen kann, daß ich dabei war und berichten kann davon, wie alles begann. 

 

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Zum Glück gibt es die Toskana.

Kurz vor seinem Tod im Jahr habe man den italienischen Komponisten Luciano Berio gefragt, warum er überhaupt noch in der Toskana lebe anstatt irgendwo anders auf der Welt, was doch viel anregender sei. Seine Antwort: man esse in der Region eben sehr gut. Würde man ihn heute fragen, antworte er sicherlich:  Menomale che la Toscana c‘è.  Zum Glück gibt es die Toskana.

Mit dieser Anekdote eröffnete Francesco Giomi von Tempo Reale, dem Institut  für elektronische Musik in Florenz, das Luciano Berio vor fast 25 Jahren gründete, in der letzten Woche eine Pressekonferenz.

Der Musiker wollte damit auf die zahlreichen bemerkenswerten Initiativen und Projekte in der Toskana aufmerksam machen, die dazu beitragen, dass sich die Region wohlwollend vom Rest Italiens unterscheidet. Wird anderswo das knappe Kulturbudget dazu verwendet, Affirmatives zu prämieren, verstärkt man in der traditionell „roten“ Toskana das Netz für zeitgenössische und innovative Kunst und Kultur; wappnen sich landauf, landab Bürgerwehren, um gegen die vermeintlich kriminelle Energie der Migranten  Front zu machen,  haben die Bürger von Florenz so genannte „Sentinelle della bellezza“  gebildet – Gruppen, die dafür sorgen wollen, dass die direkte Umgebung bewusst gestaltet und verschönert wird.

Am liebsten wäre ich aufgestanden und Francesco Giomi für diesen Diskurs um den Hals gefallen. Denn er hat mir nicht nur ein „Leitmotiv“ für meine zukünftige Berichterstatterinnen-Arbeit aus Italien auf den Weg gegeben. Ganz nebenbei offerierte er mir auch eine gute Vorlage für die passende Reaktion auf die ständig wiederkehrenden, ungläubigen Fragen: Was ist eigentlich mit Italien los? Wieso unterstützen die Italiener immer noch diesen unsäglichen Polit-Clown Berlusconi? Sind die eigentlich alle so leicht manipulierbar? Um nicht zu sagen dumm?

Meine Antworten fielen bisher oft ziemlich vage aus. Doch schon ganz andere journalistische Kaliber sind in dieser Situation in Erklärungsnotstand geraten:  ja also – was soll ich sagen – ehm – eigentlich ist alles ja ganz anders –  viel komplizierter – man darf das nicht so  eindimensional sehen …

Menomale che la Toscana c‘è.  Jetzt kann ich mich also ruhigen Gewissens zurücklehnen und zugeben:  Ja. Es ist wirklich alles ganz fürchterlich! Viele Italiener sind und bleiben ewige Opportunisten. Sie wählen ihn, weil sie so sind wie er oder weil sie gern so sein würden. Verstehen tue ich das auch nicht. Aber zum Glück lebe ich lebe ja in einem ganz anderen Italien – in der Toskana.

Jetzt muss ich dies alles nur noch irgendwie den RedakteurInnen in deutschen Medien verständlich machen, von denen ein Teil lieber Storys über die Defekte von Berlusconi und Co bzw. Mafiageschichten einkaufen, als Berichte über ungewöhnliche und manchmal sogar zukunftsweisende Initiativen aus diesem widersprüchlichen Land.

 

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Womit haben wir das verdient?

Alles im Leben hat seinen Preis. Am liebsten vergeben ihn die Schweden. Weil sie so oft gelobt werden, neigen sie ihrerseits dazu, der bösen, rückständigen Welt Rezepte auszustellen. Zum Ritual gehört zwingend der Auftritt eines Blaublüters und eine Preissumme, die so schwindelnd hoch ist, dass ein Raunen durch die Menge geht. Die unbescheidene Summe von einer Million Dollar hat sich im Kreise der Selbstlosen als feste Größe etabliert. Soviel sollte einem die noble Sache schon wert sein.

Birgit Nilsson, schon zu Lebzeiten bekannt für theatralische Abgänge, hat das gewusst. Und hinterließ bei ihrem Tod 2005 ihre eigene wohl ausgestatte Stiftung und laut Selbstanpreisung den „biggest price in the history of classical music“. In einem versiegelten Kuvert erwählte die Diva  den geschätzten Sangeskollegen Plácido Domingo zum ersten Jubilaren. Wozu der noch Ruhm und Geld braucht, weiß man auch beim Stiftungsrat um den ehemaligen VW-Finanzmanager Rutbert Reisch nicht so genau zu sagen. Immerhin sorge sich der Maestro um den musikalischen Nachwuchs.

Mit Pauken und Trompeten kämpft auch Abba-Manager Stig Anderson posthum gegen das Vergessen an. Ende der 80er Jahre hatte er ein paar seiner vielen Millionen in einen Musikpreis gesteckt, um sein Plattenimperium Polar in strahlenden Publicity-Glanz zu tauchen. Seither werden alternde Künstler wie Gilberto Gil, Bob Dyllan und Dietrich Fischer-Dieskau zur Preisvergabe nach Stockholm zitiert.

Lygia Bojunga, Maurice Sendak, Christine Nöstlinger – der im idyllischen Vimmerby verkündete Alma-Preis für Kinder- und Jugendliteratur schmückt sich mit großen Namen aus der Welt der kleinen Leute. Astrid Lindgren ging beim Nobelpreis zwar leer aus. Doch wenige Tage nach ihrem Tod im Januar 2002 schwang sich die damalige sozialdemokratische Regierung selbst zum Stifter auf, angeblich um das Andenken an die so schnöde übergangene Schwedin wach zu halten.

Solch Gezänk ist der ewige Club der Schwedischen Akademie gewöhnt. Am Donnerstag wird der erlauchte Zirkel wieder eine dem belesenen Normalbürger völlig unbekannte Geistesgröße zum vermeintlich unvergänglichen Literaten küren. Peter Englund, Novize im Amt des ständigen Sekretärs und eigentlich ein geselliger Typ, der leidenschaftlich gern blogt und in seiner Freizeit Rezensionen von Computerspielen schreibt, gibt sich in diesen Tagen schmallippig. Denn Kerstin Ekman, die 1984 im Protest auszog, weil die Akademie zum Todesurteil gegen Salman Rushdie keine Worte fand, stochert wieder in alten Wunden: Bis heute hätten die Sprachwächter keine rechte Traute, sich für die Meinungsfreiheit einzusetzen, so lässt sich die Kritik der zornigen alten Dame zusammenfassen.

Im norwegischen Oslo darf sich auch der Historiker Geir Lundestad, oberster Zeremonienmeister des Friedensnobelpreises, seit bald 20 Jahren die Vorwürfe von Neidern anhören, die seinem Findungskomitee abwechselnd eine falsche Auslegung des Testaments, die Hofierung mächtiger Institutionen oder den Kotau vor Supermächten ankreiden. Von einem „politischen Preis“ spricht Jakob von Uexkull. ,„Wir haben Wangari Maathai, Muhammad Yunus und Monika Hauser entdeckt“, rühmt sich der Philatelist im gleichen Atemzug. Seinen alternativen Right Livelihood Award will er als Protest an der  Vergabepolitik des Komitees verstanden wissen.

Als Reporter im Norden nehm ich solche Eitelkeiten mit Gelassenheit. Ein wenig Glanz, so weiß ich doch, fällt auch auf die Journaille ab. Wann sonst darf man sich zur besten Sendezeit fachsimpelnd über die erfrischende Wirkung der Telomerase auslassen, über das musikalische Nachbeben der Formation Led Zeppelin oder die psychologischen  Abgründe im Werk von Sonya Hartnett? Auch wir Reporter genießen die kleinen Fluchten aus dem oft so mausgrauen Alltag. Und fragen uns am Ende eines langen Preisreigens: Womit haben wir das verdient?

 

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Alle Jahre wieder

Das Leben im Norden Europas kann recht angenehm sein – die Natur ist sauber, das Meer selten weit und trotz der ein oder anderen Horrormeldung (hier ein Text meines ehemaligen Praktikanten) muss man nicht viel Angst vor Kriminalität haben. Auf der Negativliste stehen neben den trüben Monaten extrem hohe Lebenshaltungskosten und ebensolche Steuern. Dafür wird das ein oder andere geboten, wie beispielsweise kostenlose Ausbildung der Kinder, wenn man denn welche hat.

Ein weiteres nordisches Phänomen trübt die Lebensqualität in regelmäßigen Abständen erheblich ein: die Nichtexistenz eines klassischen Wohnungsmarktes. In Nordeuropa ist es üblich, Immobilien zu kaufen und der ein oder andere mietet auch. Doch wer denkt, dass diese Handel überwiegend auf einem gewöhnlichen, allen leicht zugänglichen Markt vorgehen, irrt.

Nehmen wir das Beispiel Kopenhagen. Ein großer Teil der Hauptstädter wohnt in einer so genannten Andelsbolig, am ehesten mit der deutschen Genossenschaftswohnung vergleichbar. Man kauft sich einen Anteil an der Gesellschaft, die das Haus besitzt und darf dann gegen eine relativ geringe Miete eine bestimmte Wohnung nutzen, eine Zweizimmerwohnung in zentraler Lage ist so durchaus für eine monatliche Belastung von unter 800 Euro zu haben. Doch die Genossenschaftsanteile werden üblicherweise nicht frei gehandelt, sondern sind einerseits preisreguliert und werden andererseits nur an jene verkauft, die schon jahrelang auf der Warteliste der Andelsboligselskab stehen. Klar, dass hier Neuzuzügler – ob aus dem Ausland oder anderen Teilen Dänemarks – das Nachsehen haben. Schließlich haben sie nicht zehn Jahre vor dem Umzug geahnt, dass sie einmal in Kopenhagen landen würden und sich dementsprechend nicht früh genug auf eine solche Liste gesetzt.

Mittlerweile gibt es zwar einige Anteile im offenen Angebot, doch die sind erheblich teurer und zudem gibt es sehr enge Vorschriften, die regeln inwieweit eine solche Wohnung im Falle eines Auslandsaufenthaltes untervermietet werden darf. Wer also wegzieht, riskiert, zu einem schlechten Zeitpunkt zum Verkauf gezwungen zu werden, weil er nicht länger untervermieten darf.

Bleibt also der Mietmarkt. Teilweise wirklich günstig sind die Angebote auf der Seite der größten Wohnungsgesellschaft: Im gutbürgerlichen Stadtteil Østerbro beispielsweise gibt es Dreizimmerwohnungen ab 400 Euro Kaltmiete. Doch Priorität hat, wer ohnehin schon in dem Haus wohnt. Also heißt es, erst einmal mit einer Einzimmerwohnung anfangen und hoffen, dass bald etwas Größeres frei wird. Die Einzimmerwohnungen kosten gerade einmal zwischen zwei- dreihundert Euro monatlich. Der Haken an der Sache: mal eben kurz in die Miniwohnung und dann in die große geht nicht. Alleine für die Einzimmerwohnung beträgt die Wartezeit ‘mere end 20 år’, mehr als zwanzig Jahre. Da fragt man sich, wer sich überhaupt auf eine solche Warteliste setzen lässt – mit 15 drauf, mit 35 in der 20 Quadratmeterwohnung in Hoffnung darauf, vielleicht sieben Jahre später in eine größere wechseln zu dürfen, vielleicht auch schon nach drei Jahren, vielleicht aber auch nie? Leider ist dieses Beispiel exemplarisch. Kurze Wartezeiten gibt es in erster Linie aus sozialen Gründen, dazu zählt auch, dass die klassische weiße Mittelklasse die Wartezeit verkürzt bekommt, wenn sie bereit ist, in Einwandererbezirke mit hoher Arbeitslosigkeit zu ziehen.

Standardlösung ist deshalb vor allem für Zugezogene sich von Untermiete zu Untermiete zu hangeln. Denn, wer einen Genossenschaftsanteil besitzt, vermietet diesen womöglich mal unter, z.B. wegen eines Auslandsaufenthalts (s.o.). Maximale Mietdauer ist in solchen Fällen aber zwei Jahre, Standard ein Jahr oder noch weniger. Deshalb heißt es für viele neu Kopenhagener wieder und wieder alle Jahre wieder: Wohnungssuche und Umzug. Die Kaste der Nichtseßhaften ist gefühlt so groß wie der Stimmanteil von Linkspartei und FDP zusammen bei der Bundestagswahl in diesem September.

Es gibt nur zwei Alternativen: eine klassische Eigentumswohnung oder eine klassische Mietwohnung. Immerhin, in jüngster Zeit wird beides angeboten, allerdings überwiegend in Betonburgen am Stadtrand. Die haben zwar hochklassige Architekten entworfen, doch es sind reine Schlafstädte, die vielleicht einen Supermarkt um die Ecke haben, aber weder Cafés, noch Gemüse- oder Blumenläden. Und die Preise? München, Innenstadtlage (mit Café, Gemüse- und Blumenladen um die Ecke) plus 30 Prozent.

Berlin, wir kommen!

 

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Leben auf Raten

Der Tag begann außergewöhnlich: schlaftrunken legte ich beim Betreten des Badezimmers den Lichtschalter um und – das Licht ging an. Das ist dieser Tage bei weitem nicht normal in Kenia. Ein zweiseitiger, eng bedruckter Plan der kenianischen Elektrizitätswerke legt derzeit dar, wann wer mit Strom rechnen darf. Mindestens drei Mal pro Woche bleibt die Steckdose kalt: so will es die Stromrationierung.

Damit umzugehen will gelernt sein. Frische Milch kaufen wir jetzt nur noch am Vorabend eines Stromtags, wenn die Kühlregalkälte (große Supermärkte genießen dank eigener Generatoren Strom rund um die Uhr) noch bis zum nächsten Morgen vorhält. Das gleiche gilt für andere verderbliche Waren. Das Eisfach ist sowieso längst leergeräumt, und im Regal daneben sind Pakete mit Kerzen gestapelt, die so eifrig gehamstert werden, dass sie oft schon ausverkauft sind. Denn eigentlich soll zumindest nachts der Strom wieder angehen – doch das klappt bei weitem nicht immer. 

Wäsche machen wir nur noch Mittwochs, denn von Freitag bis Montag gibt es kein Wasser: auch das ist wegen ausgebliebener Regenfälle rationiert. Weil die Waschmaschine Strom, aber eben auch Wasser braucht, läuft sie Mittwochs von früh morgens bis spät abends. Das Telefon schließlich ist schon lange rationiert, wenn auch leider nicht so vorhersehbar: im Schnitt funktioniert es fünf Tage im Monat, was daran liegt, dass es in Nairobi zuviele Nummern für zu wenige Anschlüsse gibt. Wer sich beschwert, bekommt seiner Nummer einen neuen Anschluss zugewiesen, der wiederum einer anderen Nummer abgezogen wird. Der Besitzer dieser Nummer beschwert sich wieder, und so geht es munter weiter wie bei der Reise nach Jerusalem.

Das ist nicht alles: der bei Kenianern so beliebte Zucker ist rationiert, weil die Zuckermühlen keinen Strom haben. Das gleiche gilt für Mineralwasserabfüller, deren Geschäft andernfalls derzeit boomen würde. Immer mehr Generatoren schließlich bleiben ausgeschaltet, weil Diesel knapp ist, denn die einzige Raffinerie des Landes klagt ebenfalls über Blackouts. Wann es besser wird? Wenn es regnet, glauben alle. Doch die Meteorologen haben für den Fall, dass es regnet, bereits Überschwemmungen vorhergesagt. Die Folgen dürften ähnliche sein.

 

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Der Weg ist das Ziel…

Ich verbringe gerade mal wieder deutlich mehr Zeit auf Flughäfen und Bahnhöfen, als mir lieb ist. Irgendwann fand ich das ja mal spannend, dieses Rumgondeln zwischen den Welten. Inzwischen gilt: Augen zu und durch bzw. Augen auf und Laptop auf die Knie.

Daraus wurde diesmal nix. Emirates-Flug von Dubai nach London: Babygeschrei überall, hysterische Mütter – und ein herrenloser Koffer an Bord, der wieder rausgeräumt werden muss. Noch während des Steigflugs übergibt sich das nette kleine Kerlchen vom Schoß nebenan und tränkt meine Jeans mit angewärmter Milch. Sowas nimmt man als Frau im gebärfähigen Alter ja noch mit Fassung… Schwieriger wird es schon, als ich nach der Landung meine Laptoptasche aus dem Gepäckfach nehme, die sich mit Wasser aus der geplatzten Flasche des japanischen Geschäftsmanns von schräg gegenüber vollgesaugt hat. Well, auf zur Passkontrolle! – einer fensterlosen Halle, in der sich ein paar hundert Passagiere aus aller Welt im Laufe von ein, zwei Stunden mit Zähnen, Klauen und quengelnden Kindern an der Hand irgendwie an drei Schalter vorkämpfen und dabei besorgte Blicke auf die überall angebrachten Schweinegrippewarnungen werfen. (Es gibt noch andere und wahrscheinlich relevantere Plakate: Die warnen vor gewalttätigen Übergriffen auf die britischen Beamten…)

Einen Tag später dann auf dem Weg zum Billigflieger nach London Stansted. Am Bahnhof stellt sich heraus: Die Zugverbindung zum Flughafen ist unterbrochen, eine irgendwie koordinierte Alternative gibt es nicht. Am Check-In von AirBerlin angekommen darf ich für knapp zwei (!) Kg zu viel Übergepäck zahlen, dann bei der Sicherheitskontrolle noch brav die Schuhe ausziehen und mein Gepäck nach den ewig verdächtigen Mikrophonen durchwühlen lassen. Fünf Minuten vor Abflug habe ich nach einem beherzten Spurt zum Gate meine Bordkarte in der Hand.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl, denke ich, die Götter wollen mich nicht da oben. Und Zugfahren ist ja auch viel umweltfreundlicher. Also buche ich für den Rückweg von Dresden nach London das “London-Special” der Deutschen Bahn. Bis Berlin läuft alles ganz wunderbar. Doch dort steht statt des ICE ein ausrangierter Interregio auf dem Bahnsteig, der trotz größter Anstrengungen pro Stunde eine Viertelstunde Verspätung einfährt. Dazu ein ungeplanter Zugwechsel in Hamm, und schwupps: Ab Köln sind alle Anschlusszüge weg. Mit zwei Stunden Verspätung sitze ich endlich, endlich im leise durch die Nacht schnurrenden Eurostar von Brüssel nach London. Aufatmen. Bis sich plötzlich draußen nichts mehr bewegt. Wir hätten gerade in Ashford unplanmäßig gehalten, verkündet die Zugchefin. Sie wisse auch nicht, warum. Kurz darauf wird klar: Im Londoner Bahnhof St. Pancras ist der Strom weg – und das kann dauern. Tief in der Nacht erreiche ich (stehend und in eher zombiehaftem Zustand) in einem Vorortszug London. Und bin, was künftige Reiseplanungen angeht, mit meinem Latein am Ende. Scotty, beam me up…!!

 

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Kinder kicken fürs örtliche Bordell

Vor einem Monat sorgte eine Reihe Fotos aus den Arkaden von Barcelonas berühmtem Altstadt-Markt Boquería für einiges Aufsehen. Da hatte sich ein Tageszeitungsfotograf am Wochenende sehr früh morgens auf die Lauer gelegt und ein paar Prostituierte beim ambulanten Sex mit nachtschwärmenden Touristen abgelichtet. Das war zwar nicht wirklich auf offener Straße, aber doch weit genug im öffentlichen Raum, um erneut eine Diskussion über die Grenzen des guten Willen und der Toleranz zu entfachen. Wenn die Huren – hieß es fast überall – ihrem Geschäft wenigstens in Bordellen etc. nachgehen würden! Allerdings hatte die Stadt, die periodisch von einem Ordnungswahn befallen wird, der sich immer als civisme (in etwa: Bürgersinn) ausgibt, erst vor wenigen Jahren verfügt, keine Bordelle mehr zu erlauben, die näher als 200 Meter an Wohnhäusern oder Schulen lägen. Das bedeutete im Radius der engen Altstadt ganz einfach: keine Bordelle mehr – was logischerweise gewisse Engpässe provozierte. Jetzt ist Barcelonas (damals wie heute sozialistischer) Bürgermeister entschlossen, die Bedingungen für neue Konzessionen zügig zu vereinfachen. Das Thema soll sogar Eingang in den nächsten Wahlkampf finden. Allerdings nicht unter der Leitlinie: Wir machen den Weg frei für neue Bordelle!, sondern eher als: Wir schaffen die Huren von der Straße! Denn wer möchte schon für Bordelle werben …

Andererseits kann ein Bordell in Katalonien durchaus ein „Modellbetrieb“ sein. Der (bürgerlich-nationalistische) Bürgermeister des 2000-Seelen-Ortes Bellveí jedenfalls lässt auf den Club Estel in seiner Gemeinde nichts kommen. Gleich zwei Mal betonte er auf der jüngsten Gemeinderatsversammlung, besagter Club sei „das beste Unternehmen unseres Industriegebiets“ (eine sozialistische Abgeordnete forderte aus Gründen „strenger demokratischer Hygiene“ einen sofortigen Widerruf, jedoch vergeblich). Anders als andere Unternehmer hilft der Clubbetreiber nämlich kräftig bei der Finanzierung der örtlichen Stadtfeste mit. Und er kümmert sich sogar um die Jugendarbeit: Dem Fußballnachwuchs von Bellveí (zwischen 4 und 14 Jahre alt) hat er Sweatshirts und Trainingsanzüge mit Clublogo und -Schriftzug gestiftet. Manche Kinder wissen kaum, für welche Firma sie werben, während sie kicken, aber die Eltern spüren offenbar wenig Erklärungsbedarf und freuen sich stattdessen über die milde Gabe.

Bisher hat Barcelonas Bürgermeister das Beispiel Bellveí noch nicht aufgegriffen und etwaigen Start-up-Bordellen attraktive Werbeflächen oder Sponsorendeals angeboten. Womöglich muss sich erst noch mal ein Fotograf auf die Lauer legen.

 

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SCHNURLOS UND STROMLOS IN BELGRAD

„Bring mal das grüne Telefon mit“, sagte Mutter, „diese hier rauschen nur, man hört nichts“. Die Mutter, die in Belgrad lebte, war zu Besuch in Hamburg, wo ich lebte. Auf dem Speicher hat sie das längst vergessene Kommunikationsgerät entdeckt. Das Objekt ihrer Begierde war eines dieser pummeligen grünen Geräte,erkennbar an einer Wählscheibe, einem Hörer und einem schwarzen, rundgewickelten Kabel. Es war das Einheitsmodell der Deutschen Bundespost, die im letzten Jahrhundert das Monopol am Verkauf jeglicher Telefone hatte.

Ich telefonierte schon längst schnurlos, das grüne Exemplar gammelte auf dem staubigen Speicher, als Mutter es entdeckte. Das Angebot ihr ein schnurloses Telefon zu schenken, schlug Mutter entschieden ab. Sie wollte nur dieses  Telefon und kein anderes. Erstens wusste sie wo welche Ziffer sich befand – sie konnte nicht mehr gut sehen – und außerdem könne sie in Belgrad immer mit diesem Gerät telefonieren, sagte sie. Erst später sollte ich erfahren, warum man mit diesem Telefon „immer“ telefonieren konnte.

Lange ist es her, dass Mutter ihr grünes Telefon bekam.

Nun lebe ich in Belgrad, hege und pflege das Grab meiner Mutter, so oft ich kann  und habe in der Belgrader Wohnung drei Telefone. Zwei mal schnurlos und einmal grün und pummelig. Nicht, dass ich gerade an dem grünen Gerät aus der Monopolzeit  der Deutschen Post hänge, der Grund ist viel banaler. Das Belgrader Stromnetz ist oft überlastet und bricht auch im 21. Jahrhundert regelmäßig zusammen. Wann und wo der Strom ausfällt wird täglich in Belgrader Zeitungen angekündigt. Dann bleibt nicht nur die Küche kalt, auch die Verbindung zur Außenwelt gibt es nicht mehr: kein Fernseher, kein Radio – und kein Telefon. Die teuren, mit Gott und Welt kompatiblen Schnurlosen bleiben stumm. Denn, sie hängen am Strom, den es nicht gibt, und sind somit nicht zu gebrauchen.

Nicht so das grüne Wunder der Deutschen Post. Es braucht keinen Strom. Und da ich kaum etwas anderes tun kann, – es wird telefoniert, bis der Strom kommt. In solchen Tagen vergöttere ich das kleine grüne Monster und danke meiner Mutter und der Deutschen Post. Und fühle mich, auch stromlos, wohl in Belgrad.

Manche Telefongespräche verlaufen aber eher merkwürdig, ob mit Strom oder ohne. Zum Beispiel dieses:

Es klingelt.

„Guten Tag, hier ist Herr Jovanovic“

„Guten Tag“.

„Ich möchte wissen, ob mein Vater angekommen ist.“

„Nein, Ihr Vater ist nicht angekommen.“

„Liegt mein Vater nicht bei Ihnen?“

„Nein, Ihr Vater liegt nicht bei mir.“

„Wieso, er müsste schon längst angekommen sein.“

„Tut mir leid, dem ist nicht so“.

„Ist das die Gerichtsmedizin?“

„Nein, das ist nicht die Gerichtsmedizin, das ist ein Privatanschluss.“

„Habe ich mich verwählt?“

„Das wird so sein.“

„Tja. Dann weiß ich noch immer nicht, ob mein toter Vater in der Gerichtsmedizin liegt.“

„Unter dieser Nummer werden Sie es auch nicht erfahren.“

„Das ist aber schade.“

„Was ist schade? Dass Sie mich gestört haben oder dass Ihr Vater nicht hier ist.“

„Beides“.

Verwählt hat sich in den letzten Jahren nicht nur Herr Jovanovic. Auch die Herren und Damen Petrovic, Popovic, Milosevic und Mikic haben ihre verblichenen Verwandten vergeblich bei mir gesucht.

PS: Das „grüne“ Monster wird heute noch online verkauft. (http://www.telefon.de)  . Es heißt HDK Nostalgietelefon FeTAp 611 (W611), wird als „Kultig wie die 60iger und 70iger (W61) mit Wählscheibe“ angepriesen und kostet 74,90.

 

 

 

 

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Kekse für meine Spione

Wer als Journalist in China arbeitet, wird regelmäßig dezent vom Staat daran erinnert, dass man hier nie wirklich alleine ist – irgendjemand hört immer zu, schaut zu, guckt rein, weiß Bescheid.

Vor ein paar Tagen schickte der Shanghaier Foreign Correspondent’s Club eine Warnmail an seine Mitglieder. Etliche ausländische Medien hatten gleichzeitig verdächtige E-Mails erhalten, die zunächst wie Anfragen aus dem heimischen Hauptquartier aussahen. In der angehängten PDF-Datei war ein kleines Java-Programm eingebettet.

Niemand hat bisher rausgefunden, was der Trojaner macht. Genauso unbekannt ist, wer hinter der Attacke steckt. War das der „chinesische Bundestrojaner“? Patriotische chinesische Hacker? Sicher ist nur, dass solche Cyberattacken in den letzten Monaten zugenommen haben. Mit der Digitalisierung  ist die chinesische Stasi deutlich unsympathischer geworden.

Als ich 2000 in Peking studierte, haben wir uns noch über die Bespitzelung totgelacht. Damals bezahlte die Uni unsere chinesischen Mitstundenten, um unsere Telefongespräche abzuhören und zu übersetzten.

In meiner ersten China-Woche saß ich beim meinem Freund Robert, als das Telefon klingelte. „Du hast Post“, sagte der Anrufer, „ein Paket von deiner Mutter.“ Robert freute sich natürlich. Und wahrscheinlich wollte der Herr von der Campusverwaltung seine Vorfreude auch nur noch etwas weiter anstacheln. Er sagte: „Es sind Kekse drin.“ – „Oh“, sagte Robert, „danke für die Information“.  Jedes Paket wurde geöffnet und überprüft. Und wenn Kekse aus dem Ausland drin waren, konnte die Spione manchmal nicht widerstehen, auch davon zu probieren.  

 

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Alles muss raus

Der Hammer fällt, die Masse drängt. Eines der ersten Objekte, die am Nachmittag im Stockholmer Auktionshaus Bukowskis aufgerufen werden, ist ein 30 Jahre alter Plüschsessel in Moosgrün mit Schafsfellkissen. Ein bleicher Cineast im Strickpullover begehrt das Requisit. Zu seiner Verzweiflung sind 3000 Euro geboten. Für ein hölzernes Modell des Musentempels Dramaten wird wenig später gar der Rekordpreis von über 100 000 Euro gezahlt.

Ingmar Bergman gab sich im Leben unnahbar. Der Regisseur hauste zuletzt auf der einsamen Ostseeinsel Fårö. Mit seinem verbeulten Geländewagen fuhr er allabendlich hinüber in sein privates Kino, wo er sich vergessene Streifen ansah, aus den Zeiten als die Bilder laufen lernten. Penibler als jedes Bühnenstück wurde der Alltag inszeniert, mit handschriftlichen Regieanweisungen an die Haushälterin. Der Augenmensch umgab sich daheim mit gelber Auslegeware, roten Sofas und Kiefernholz. Seine Leibspeise waren Fleischklopse mit Preiselbeeren.

In seinem Haus starb der Filmemacher im Juli 2007 im Alter von 89 Jahren. Eigensinnig und rätselhaft bis zum Schluss hatte der Meister in seinem Testament verfügt, dass sein irdischer Nachlass und alle seine Besitzungen auf der Schafsinsel „an den Höchstbietenden“ zu verkaufen seien.

So bat man heute neben allerhand Hausrat auch Szenen-Skizzen, Reisekoffer und Pokale feil. Eine Standuhr aus dem 18. Jahrhundert schmückt den Fundus, ein seltener Munch und eine hübsche Laterna Magica. Kulturhistorisch wertvoll sind auch die Schachfiguren, mit denen Max von Sydow 1957 in „Das siebente Siegel“ gegen den Tod um das Leben spielt.

Als einziges von acht lebenden Bergman-Kindern müht sich die norwegische Schriftstellerin Linn Ullman, zumindest Wohnhaus und Kino vor dem Ausverkauf zu bewahren. Auch der frühere Ministerpräsident Ingvar Carlsson spricht sich für die Errichtung eines Künstlerzentrums auf Fårö aus. Doch auf Staatshilfe dürfen die Filmfans nicht hoffen. Wie schon bei Volvo und Saab hat die marktliberale Regierung kein Problem damit, das nationale Kleinod auf dem Basar zu verhökern. Man habe sich bereits bei der Digitalisierung alter Bergman-Streifen engagiert, betont Henrik Toremark vom Kultusministerium. „Wir können doch nicht mit Steuergeldern ein Haus kaufen und bei Auktionen mitbieten. Das ist nicht unsere Aufgabe.“

 

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Der Kieferorthopäde vom Khan El-Khalili

»Good price, only today, nur gucken«, das sind Floskeln, die so manchem Ägypten-Reisenden noch Monate lang im Ohr klingeln. Kein Schritt über den Khan El-Khalili in Kairo, der Mutter aller Basare, der nicht einem Spießrutenlauf durchs Spalier ganzer Händlergroßfamilien gleicht. Onkel, Neffen und der Bruder vom besten Freund des Ladenbesitzers, und alle beherrschen jene Floskeln in einem halben Dutzend Sprachen, mindestens. Wer in einen ihrer Läden schaut, hat schon verloren. Egal, was er kauft, er hat das zu einem völlig überhöhten Preis getan. Abgesehen davon, dass es meistens sowieso Tinnef ist.

Dann steigt der Tourist in ein Taxi und zahlt ein Vielfaches von dem, was ein Ägypter bezahlen würde. Er holt sich eine Flasche Mineralwasser am Kiosk und wird auch dort ausgenommen. Das Gefühl, der Abzocke hilflos ausgeliefert zu sein, nervt – selbst mich, der ich nach über zehn Jahren in Kairo die wirklichen Preise kenne und mich (meistens) wehren kann.

Viele lieber würde ich mich den Nervereien widmen, die wirklich unvermeidbar sind, statt Taxifahrer an der Gurgel zu haben oder von einem angefahren zu werden, der den Rückwärtsgang einlegt, wenn ich aussteige, um mich wütend mit seiner Heckstange umzunieten. Nur weil ich den von ihm geforderten Fahrpreis nicht zahlte. So etwas passiert mir immer wieder.

Gern beobachte ich deutsche Freunde, die hier zu Besuch sind. Über Europäer, die von den Gebräuchen in Kairo völlig überfordert sind, schrieb Ali Bey al-Abbassi schon vor 200 Jahren: »Aus der Fassung gebracht gleichen sie dann in ihrem exaltierten Dahinschreiten Wahnsinnigen.« Feilschen gehört nicht zu den deutschen Gebräuchen meiner Freunde. Wenn sie es dennoch tun müssen, verkrampfen sie und kriegen einen starren Blick. Man muss natürlich nicht überall im Kairoer Alltag feilschen, schon gar nicht als Ägypter, aber überall dort, wo Touristen unterwegs sind.

Das Blöde ist, ich kann diese Abzocke verstehen. Der Taxifahrer, der sich einmal im Monat glücklich schätzen kann, einen Ausländer zu befördern, und ihn dann übers Ohr haut, ist danach immer noch arm und hat höchstens eine Fleischmahlzeit mehr. Er nimmt halt, was der Markt hergibt. Anders ist das in Deutschland ja auch nicht. Wenn ich mit deutschen Redakteuren ums Honorar feilsche, habe ich inzwischen, wenn ich gut feilschte, am Ende auch nur eine Fleischmahlzeit mehr. Davon, dass diese Redakteure für diese Verhandlungen ganz offensichtlich auf dem Khan El-Khalili geschult werden, ganz zu schweigen.

Kürzlich war ich mit meinem elfjährigen Sohn in Berlin beim Kieferorthopäden. In der Praxis schicker Designerbeton, Edelstahltreppengeländer, raffinierte Lichtinstallationen, Mineralwasser kostenlos aus dem Spender. Alles sah sehr teuer aus. Mein Junge braucht eine Zahnspange. Ich dachte: Was kann schon passieren, wir sind ja krankenversichert.

Der Kieferorthopäde guckte kurz in seinen Mund rein und überschwemmte mich dann mit Kostenvoranschlagsvarianten. 500 Euro hier, 1400 dort, und ohne 165 Euro gleich am Anfang könne erst gar nicht begonnen werden. Fehlte nur noch, dass er sagte: Good price, only today! Mir brummte der Schädel, ich war außerstande zu beurteilen, was medizinisch notwendig war und was nicht. Der Orthopäde beschwor mich so eindringlich, dass ich fürchtete, mein Sohn müsse den Rest seines Lebens ganz ohne Zähne verbringen, wenn ich knauserig sei. Wer möchte schon an der Gesundheit seines Kindes sparen.

Ich wollte das alles erst mal durchdenken, sagte ich. Beim Rausgehen, aus der Fassung gebracht, das Edelstahltreppengeländer fest im Griff, glich ich in meinem exaltierten Dahinschreiten einem Wahnsinnigen.

 

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Sonntags nie

 

Sonntags wählen ist in den Niederlanden ausgeschlossen, für sowas Profanes darf der Tag des Herrn aus Rücksicht auf strenggläubige Kalvinisten nicht missbraucht werden. Doch das Interesse an den Bundestagswahlen ist so gross, dass man fast meinen könnte, dass heute nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden gewählt wird: Merkel und Steinmeier prangen auf den Titelseiten der Zeitungen, gleich darf ich zu einer grossen Wahlparty in Den Haag aufbrechen, und mehrere Zeitschriften und Nachrichtenmagazine analysieren diese Woche in ihren Aufmachern ausführlichst den deutschen Wahlkampf.

Dabei wundern sich die Niederländer vor allem über eines: Dass in der deutschen Parteienlandschaft weit und breit kein rechtspopulistischer Geert Wilders zu entdecken ist, der Islam im Wahlkampf kein Thema war und auch kein Moslem-bashing stattfindet. Ganz einfach, weil es unanständig ist und man sich dafür eigentlich schämen sollte. Das jedenfalls erfährt der Leser im Meinungsblatt Vrij Nederland, das nach acht Seiten Analyse zu dem Schluss kommt, dass die Niederlande für die Deutschen ein Beispiel dafür sind, wie man es nicht machen sollte.

So können sich die Zeiten ändern. Als ich in den 90er Jahren hierher kam, war es genau umgekehrt: Die Niederländer galten als vorbildlich an allen Fronten, und darüber schrieben wir Korrespondenten uns die Finger wund. Egal, ob Drogenpolitik, Toleranz, Integration oder Sterbehilfe: „Bei uns ist alles besser“, lautete das Motto, mit dem sich die Niederländer nur allzu gerne brüsteten, um dem Rest der Welt zu zeigen, worin ein kleines Land ganz gross sein kann – vor allem dem dicken Bruder im Osten, den Deutschen.

Inzwischen schlagen die Niederländer leisere Töne an. Und sie sind nicht bloss bescheidener geworden, sie gucken auch nicht mehr verächtlich über die Grenze, sondern – man halte sich fest – bewundernd! Dass ihr Deutschlandbild nicht mehr ausschliesslich vom Zweiten Weltkrieg und der deutschen Besatzungszeit geprägt ist, liegt nicht nur an Schüleraustauschprogrammen und neuem Unterrichtsmaterial für die Geschichtsstunde. Höchst effektiv für die wundersame Wandlung war auch der WM-Effekt 2006: „Toll, wie ihr das hingekriegt habt!“ heisst es noch heute. Dass sich damals einige deutsche Fussballfans ein niederländisches Oranje-Trikot übergezogen haben, hat die Niederländer sogar regelrecht aus der Fassung gebracht. Ein Oranjefan in einem deutschen Trikot wurde bislang zwar noch nicht gesichtet, aber deutsche Tugenden wie Fleiss und Ausdauer stehen inzwischen so hoch im Kurs, dass sich immer mehr niederländische Unternehmer in Deutschland niederlassen. Auch im Grenzgebiet zieht es immer mehr Niederländer auf die deutsche Seite, vor allem wegen der Höflichkeit und der guten Umgangsformen, ergab eine Umfrage. Ist es zu fassen? Da könnte man als Deutscher vor Verlegenheit ja glatt rot werden!

Wer’s nicht glauben will, dem zeige ich als Beweis gerne immer wieder jenen Artikel aus der angesehenen Tageszeitung Volkskrant,  der auf einer ganzen Seite erklärt, warum in Deutschland alles besser ist – angefangen bei den Brötchen über die Taxifahrer bis hin zu den Debatten im Parlament. Auch die Sonderbeilage „Duitsland is ok“ hab’ ich mir aufgehoben, schon allein wegen der 45 Tipps, die darin gegeben werden. Kleine Kostprobe: „Trinke deutschen Wein, trage Birkenstock und kaufe bei Tchibo.“

 

 

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Brennende Barrikaden

Pakistan hat ja ein schlechtes Image. Terroristen, Taliban und so. Dabei steht der üble Leumund im seltsamen Kontrast zu dem was die meisten Leute denken, die das Land kennen. Weibliche Korrespondenten in Delhi schwärmen sehr zum Ärger der indischen Freunde regelmäßig von der Höflichkeit der pakistanischen Männer, männliche Besucher schätzen die gute Luft in Islamabad und die fleischreiche Küche. Selbst die Mullahs sind gar nicht so übel.

Aber seit gestern weiß ich wie es zu diesem Kontrast kommt. Ich will gar nicht den Medien die Schuld geben. Als ich mich von meinem Guesthouse in Islamabad auf den Weg zum “Jinnah Super Market” – einer Art offener Shopping Mall – machte, um mir eine neue Telefonkarte zu kaufen und etwas essen zu gehen, hörte ich auf einmal Geschrei. Als ich mich dem Ort des Geschehen näherte sah ich auch schon einen Haufen Männer, der Parolen skandierte und die vierspurige Straße mit Barrikaden blockiert hatte. “Sieht nach Ärger aus”, dachte ich und fürchtete bereits auf Telefonate und Abendessen verzichten zu müssen.

Doch dann fiel mein Blick auf einen Verkehrspolizisten, der seine Hauptaufgabe offenbar darin sah den herannahenden Autofahrern zu erklären, dass sie wieder umdrehen müssten. “Sie sehen ja”, so konnte man seine ausladende Handbewegung auf die brennenden Barrikaden deuten, “es geht hier nicht weiter”. Dass da Demonstranten gegen die Straßenverkehrsordnung verstießen und vermutlich auch gegen das Demonstrationsrecht und die Umweltschutzverordnung, indem sie unermüdlich neue Äste von den Bäumen rissen und diese anzündeten, schien ihn nicht weiter zu stören.

“Ist ja lässig dieser pakistanische Ordnungshüter”, dachte ich mir, “dann kann es ja wohl nicht so schlimm sein” und überquerte die Straße. Der Besitzer des Telefonkarten-Ladens versicherte mir, dass die Demo ganz harmlos sei. Der Manager des Bazaars sei aus unbekannten Gründen ins Gefängnis gekommen und die Ladenbesitzer solidarisierten sich mit einem Streik.

Streik? Nachdem ich eine Telefonkarte gekauft hatte ging ich in mein Lieblingsgeschäft, in dem ich mich immer mit gefakten DVDs eindecke. Ich kaufte zehn Stück für umgerechnet zehn Euro. Der Einkauf dauerte etwas länger, weil der Besitzer zwischendurch immer wieder das Licht abschaltete, damit man von außen nicht sehen konnte dass sein Laden voller Kunden war.

Merke: In Pakistan wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird. Aber darüber schreibt ja nie einer.

 

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Bye Bye Bicycle!

Gerade habe ich sie gesehen. Wie die in Tokio allgegenwärtigen Krähen sich auf den Müll stürzen, so haben es diese Männer auf Fahrräder abgesehen. Der Tatort: eine Straßenecke im hippen Stadtteil Shibuya. Im unauffälligen Kleinlaster fahren drei Männer vor, schnappen sich alle hier abgestellten Räder und hieven sie auf die Ladefläche. Passanten lassen sich von dem Vorgang nicht irritieren –  der Radklau ist legal. Wer seinen Drahtesel hier länger als eine Stunde auf öffentlichen Plätzen oder Gehwegen stehen lässt, muss damit rechnen, dass dieser mit offizieller Genehmigung abtransportiert wird.

 Das hat mir der nette Mann im Bikedepot erklärt, wo ich vor zwei Wochen mein entführtes Rad gegen Zahlung von 2000 Yen, etwa 15 Euro, auslösen durfte. Als gerade Zugezogene hatte ich keine Ahnung, dass man sein Rad nicht einfach überall abstellen darf. Und so fand ich nach getätigtem Großeinkauf statt meines “Mama Chari”, wie die mit voluminösen Körben ausgestatteten Fahrräder hier heißen, lediglich einen Zettel vor. Mit Klebeband war er auf dem Gehweg befestigt und verkündete auf Japanisch, dass mein fahrbarer Untersatz nur gegen Zahlung von Lösegeld  wieder mir gehören würde.

Zu verstehen ist das alles nicht so richtig. Hatte nicht Japans neuer Ministerpräsident Yukio Hatoyama gleich nach seinem Wahlsieg Ende August ehrgeizige Klimaschutzziele  angekündigt? Die Industrienation werde 2020 um 25 Prozent weniger Treibhausgase produzieren als 1990, versprach Hatoyama. Eigentlich müsste Japans neuer starker Mann doch jedem dankbar sein, der statt mit Autoabgasen die Luft zu verpesten lieber in die Pedalen tritt.

 Was ohnehin im Trend liegt, glaubt man dem Stadtmagazin “tokyojournal”.  In seiner Sommerausgabe titelt das Heft “Bike Boom in Japan” und widmet dem Thema elf Seiten. Tatsächlich sind auf Tokios Straßen und Gehwegen (für Radwege ist im engen Tokio kein Platz) alle Spielarten von Rädern unterwegs, vom U-Bahn geeigneten Klapprad über angesagte Single Speed Bikes bis hin zu den unzähligen behäbigen “Mama Charis”. Und die Nachfrage steigt: Ein großes Kaufhaus hat gerade die Pflanzenabteilung in ein oberes Stockwerk verbannt, um im Erdgeschoss die zweirädrigen Verkaufsschlager anbieten zu können. Kein Wunder, steht man im Auto doch ohnehin im Stau. Und in der vollgepackten U-Bahn holt man sich nur das Schweinegrippe-Virus.

Aber was nutzt das alles, wenn man sein Rad zwar fahren, aber nicht sicher abstellen kann? Ich habe meine Lehre gezogen und halte mich momentan brav an die Ein-Stunden-Parkzeit, was dann doch etwas Gutes hat. Mein Einkäufe beschränken sich auf das Nötigste. Ausgedehntes Bummeln Shoppen mit Ausgaben auf extravagantem Tokioter Preisniveau fällt flach. Radfahren ist eben doch eine preiswerte Art sich fortzubewegen.

 

     

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