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Blizzard in Brooklyn

Während meine deutschen Freunde von weißen Winterlandschaften berichteten, war New York bitterkalt, aber Schnee gab es nicht. Aber dann, ein Blizzard!

Am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags ging es los. Es schneite und stürmte und hörte gar nicht mehr auf. Am anderen Morgen waren mehr als 60 Zentimeter Neuschnee gefallen.

Die Stadt lag in Agonie. Der Verkehr war komplett zum Erliegen gekommen. Alle Flughäfen waren geschlossen. Es fuhr kein einziger Bus und keine U-Bahn. Auf den Straßen standen gestrandete Autos und Busse.

Es war Montag, aber als ich mich vermummt und in Schneestiefeln gegen 10 Uhr zu unserer Viertelshauptstraße durchkämpfte, waren alle Läden dicht, auch die Post. Nur der Hardwarestore Tarzian hatte seine kompletten Vorräte an Schneeschippen bereit gestellt.

 

 

Die Preise waren über Nacht rasant gestiegen – ein Beutel tierfreundliches Salz kostete 30 Dollar. Als ich die Frau hinter der Kasse fragte, wie sie überhaupt zur Arbeit gekommen war, lachte sie und deutete nach oben: „Ich wohne über dem Laden!“ Ein Hoch auf die Neighborhoodstores.

Für Pendler, die teilweise Stunden in liegengebliebenen Bussen und Bahnen verbrachten, war der Blizzard eine Katastrophe. Wir mussten nicht reisen und fanden den Schnee gemütlich. Da keine Autos fuhren, war es still wie nie zuvor. Der gesamte Alltag schien entschleunigt. Weder Zeitungen noch Post wurden zugestellt. Auch die Müllabfuhr kam nicht durch. Der Gang zum Supermarkt dauerte doppelt so lang wie üblich. Trotzdem schienen die Menschen guter Laune zu sein. Väter, die nicht zur Arbeit konnten, bauten mit ihren Kindern Schneemänner, Treppen und Straßen verwandelten sich in Rodelbahnen. Bürgermeister Mike Bloomberg präsentierte sich in rustikaler Lederjacke souverän vor Reportern und versprach, die Stadt habe die Lage im Griff.

 

Von wegen. Nach drei Tagen sind viele Nebenstraßen immer noch nicht geräumt, und die ungeduldigen New Yorker finden das absolut inakzeptabel. Der lokale Fernsehsender New York One berichtet von einer Hochschwangeren auf Staten Island, die von ihren Nachbarn freigeschaufelt werden musste, und von Supermärkten in Queens, denen Brot und Milch ausgegangen ist. Es gibt Rücktrittsforderungen gegen den Bürgermeister, der inzwischen wieder im Anzug und nicht mehr ganz so gut gelaunt vor die Mikrofone tritt. 

Aber Sylvester soll die Temperatur auf vier Grad steigen und die Sonne scheinen, dann taut der Schnee sowieso. Zwar fällt dann vermutlich wieder die U-Bahn aus, die auf größere Wassermengen notorisch empfindlich reagiert. Aber für die ist Mike Bloomberg nicht verantwortlich.

Fotos: Christine Mattauch

 

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Interreligiöse Perspektiven

„Selamat Natal – Frohe Weihnachten und Friede und Wohlstand für uns alle“ – diese Wünsche schickten mir in vielfacher Form Freunde aus Indonesien ins kalte Deutschland. Nicht etwa Christen, sondern vor allem muslimische Bekannte bedachten uns mit Rundmails und individuellen SMS.

Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt und ja: Es findet eine schleichende Islamisierung statt, die allen anderen Religionsanhängern in dem Vielvölkerstaat unheimlich ist. Dennoch ist Indonesien immer noch ein säkularer Staat, in dem die wichtigsten Feiertage der großen, anerkannten Religionen zugleich nationale Feiertage sind. So bleiben Schulen und Behörden nicht nur am muslimischen Opferfest und an Weihnachten geschlossen, sondern auch am buddhistischen oder hinduistischen Neujahrsfest.

Das ist mehr religiöse Toleranz als wir zum Beispiel in Deutschland zeigen: Der Anteil der muslimischen Bevölkerung bei uns ist größer als der von Buddhisten und Hindus in Indonesien. Dennoch wünscht hier kaum ein Nicht-Muslim alles Gute zum Idul-Fitri-Fest am Ende des Ramadan, geschweige denn bekommen die muslimischen Bürger für ihre religiösen Feierlichkeiten frei.

In dieser angeblichen Zeit der Besinnung sollten wir einmal mehr über unseren Tellerrand und die geballte westliche Angst vor dem Islam hinausschauen und erkennen, dass es auch im anderen Teil der Welt tolerante und offene Menschen gibt, an denen wir uns ein Beispiel nehmen können.

 

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festliches braten und trinken in Bondi

 

“Und, wie ging Weihnachten so in Bondi Beach?” fragt sich die Blogleserschaft ungeduldig. Sonnig, warm und randvoll mit Menschen. Der Strand war weitgehend ausgebucht. In den umliegenden Parks tranken sich Backpacker an die Grenzen der Besinnungslosigkeit.

Fröhlich prostend saß man unter “Alcohol-free Zone” Schildern mit Kühlboxen voller Wein und Bier. Abgemahnt wurde kaum jemand, die Schilder sind offenbar mehr dekorativ und ideell gedacht. Die Polizei behielt die Mengen im Auge, und dann kollabierten alle gemeinsam zu einer decibel dröhnenden Rave-party.

 

 

Und all das, weil vor gut 2000 Jahren in Bethlehem little Baby Jesus geboren wurde!  

ho-holy night, silent night…  

 

 

 

 

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6000 Passagiere hängen am Charles-de-Gaulle Airport fest, ich bin wieder heim

Das Brat-Hühnchen hatten wir den Clochards gegeben und die Heizung auf ECO gestellt. 12 Stunden später sind wir wieder daheim. Unser Ausflug ging zum Flughafen Paris CDG und eigentlich sollte es in den Weihnachtsurlaub gehen. Doch 7-10 cm Schnee verhinderten das. Als wir um 9 Uhr am Airport ankamen, war er gesperrt. Bis 11 Uhr. Und dann noch mal bis 12 Uhr. Um 12.40 saßen wir alle brav im Flieger, das Gepäck war drinnen und wir warteten. Bis zur Durchsage: “Annuliert, bitte alle wieder aussteigen.” Und dann das Versprechen: “Draußen wartet jemand, der sie weiter leitet.” Ach, wie erleichternd. Doch leider war da niemand. Eingestiegen sind wir in 2D und dann mit dem Bus zu 2F. In der Gepäckhalle von 2F stellten wir alle fest, dass nicht nur unser Flug, sondern ALLE Flüge storniert worden waren und dass dort sehr viele Koffer stehen. Nur unsere nicht! Und wo ist nun das Gepäck?

Die Fragen stellten sich viele Menschen und keiner bekam eine Antwort. Tatsache war: Wir mussten zu Fuß zurück zu 2D. Und dann? Dann sollten wir alle ein neues Ticket kaufen. Nur Sonntags haben alle Ticketschalter gschlossen, bis auf die 2F und 2E. Auf dem Weg zurück zu 2F (von dort waren wir gerade gekomen) sahen wir eine Schlange. Nein, nicht die am Getränkeautomaten, nicht die bei der Kofferverluststelle, nicht die vor der Bäckerei, sondern die vor der Billetterie. Sie war geschätzte 100 m lang und ganz vorne stand ein Soldat und erklärte mir, der mit dem Baby auf dem Arm, dass diese viele Menschen umsonst warten, weil nämlich gleich die Ticketverkaufsstelle zumacht. Wir sollten es bei 2E probieren.

Dort auch war auch schon alles zu und beim Air France Service Center trafen wir auf eine aufgelöste Chinesin, die fragte, ob man ihr denn ihr Gepäck nach China nachsenden würde. Die Antwort: “Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht und dann müssen Sie nach Frankreich zurück kommen, um ihr Gepäck abzuholen.” Zu uns war der Air France-Mitarbieter dank Baby-Bonus gnädiger: “Ticket kaufen? Probieren Sie es per Telefon: 3654.”

Ok, das Baby musste mal wieder essen, wir hatten die Nahrungsaufnahme angesichts der Schlangen aufgegeben, und konnten dabei telefonieren. Wir klingelten ins Leere und wurden mehrmals aus der Leitung geschmissen. Fazit: nach 12 Stunden nahmen wir ein Taxi zurück nach Hause. Auch zuhause war an ein Durchkommen bei Air France nicht zu denken.

Was gibt es für Alternativen? Alle Züge nach München sind ausgebucht bis 24.12.2010. Alle Flüge, egal welche Airline, sind morgen , am Montag, sind ausgebucht. Außerdem sind weitere Schneefälle angekündigt. Ab Dienstag zahlt man bei Airberlin für den einfachen Hinflug nach Bayern 400 Euro und bei Lufthansa darf man mit dem letzen Flieger mit und muss um 6.30 Uhr zurück, wenn man nicht 500 bis 600 Euro ausgeben will.

Kurzum: Das ist ein Winter endlich mal wieder ein Winter und was passiert? Er legt Europa lahm. Am CDG in Paris hängen heute 6000 Passagiere fest. Air France hat 2500 Hotelbetten gebucht. ich will gar nicht wissen, wie lange die Schlange an der Hotelbetten-Verteilung ist. Ich bin wieder zuhause, konnte online was für Dienstag blocken. Morgen gehe ich zu Fuß zur Air France Verkaufsstelle und hoffe. Denn noch ist nicht 100% sicher, dass wir überhaupt hier vor Heilig Abend wegkommen.

Ach ja: Ein Tipp für alle, die meinen morgen gebe es eine Chance. Nein, vergessen Sie es. Alles ist überbucht und man kann den Leuten nur raten, ein Auto zu mieten oder den Paris-Aufenthalt zu verlängern. Viel Glück! Und ich esse jetzt mal was.

 

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Und nun: zum Wetter …

Hart ist für Auslandsdeutsche in Australien in den letzten zehn Jahren vor allem eines gewesen: Sie durften nicht über Wetter meckern. Vor allem nicht über Regen, denn das gehört sich einfach nicht, wenn ein Kontinent die “schlimmste Dürre aller Zeiten” durchlebt.  

Australier, die nebenbei gesagt auch ganz gern mal die Witterung besprechen (vor allem wenn Regen länger dauert als einen Nachmittag) mussten sich ebenfalls beherrschen. Schauer oder Güsse durften zehn Jahre lang bestenfalls mit “oh, how lovely!” oder “let’s hope it falls where the dams are /on farmland” (hoffe es regnet die Dämme voll / auf Farmland) kommentiert werden.

 

Nörgeln und Jammern indes: komplett Tabu!

Inzwischen ist alles anders. Die Dürre ist vorbei. Während ich bei sehr blauem Himmel (es regnet schließlich nicht überall und immer) in Sydney dem Laptop per Ventilator eine Extraration Luft zublase, schüttet es jenseits der blauen Berge. Seen, die jahrelang riesige Sandkästen waren sind wieder beschiffbar, unsere Trinkwasser-Dämme schwappen über, Pläne für neue, milliardenteure Entsalzungsanlagen sind den Politikern plötzlich insgeheim ein bisschen peinlich.

Denn es nässte stellenweise heftig. Farmer, die sich nach staubtrockenen Leidenszeiten auf die erste feiste Ernte freuten, strahlten uns knöcheltief im Wasser watend via TV an: Glückliche Gesichter unter tropfnassen Akubrahüten aus einstigen Krisenzonen in Neusüdwales, Erleichterung sogar bei Gemüsebauern in Victoria und im besonders gebeutelten Südaustralien.

Dann allerdings war Schluss mit lustig. Denn es hörte einfach nicht wieder auf, das heiß ersehnte Geregne. Die Farmer zogen Stiefel höher und Hüte tiefer ins Gesicht, das Wasser stieg zur Hüfte, die Ernte ersoff. Letzte Woche wurde in einem meiner Lieblingsorte, Wagga Wagga, der Parkplatz zum Schwimmbad, Gunnedah drohte Evakuierung.

“Drei Wochen Sonne und Wärme”, so Archie Kennedy, ein Landwirt in der Überschwemmungszone, bräuchte er nun, um seine Ernte retten zu können. Und dann sagte er das Unsagbare: Die Dürre sei ihm lieber.

Zum ersten Mal erlebe ich also den eigentümlichen Zustand, dass deutsche Weihnachtsferien-in-Australien-Touristen vom Niederrhein exakt das gleiche wollen wie australische Landwirte: Sonne satt. Über Regen nörgeln ist plötzlich nicht nur okay, sondern ein Akt der Solidarität und endlich erlaubt!

Ob Archies Wünsche erhört werden? Not sure. Das australische Bureau of Meteorology verspricht: Mit 75 % Wahrscheinichkeit wird Sydney dieses Jahr deutlich höhere Regenfälle als in anderen Sommern erleben. 

Daher für alle Reisenden noch rasch der Expertentipp aus dem Strandbüro: Mückenspray nicht vergessen! 300 der weltweit 2700 Moskito-Arten sind in Australien heimisch, und die brüten derzeit um die Wette.

 

 

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Auf der Kirmes trainiert fürs Leben

Meine Freundin, gebürtige Kongolesin, die im Alter von elf Jahren nach Deutschland kam, hatte das größte und gescheiteste Mundwerk des Ruhrgebietes. Wie ich fühlte auch sie sich in regelmäßigen Abständen magisch hingezogen zu Veranstaltungen und Orten der Prollkultur. Wir liebten die Kirmes, den Marktplatz stereotyper, rassistischer Bräuche, und immer, wenn wir am Süßwarenstand einen ‘Eis-Neger’ wollten, salmonellenhaltiges Softeis mit Schokosauce, schrie meine Freundin der fülligen Verkäuferin entgegen: ‘Guten Tag! Einen Eis-Nazi, bitte!’

Es war eine Mutprobe und jedes Mal der Höhepunkt unseres Aufenthalts. Wir machten aus dem rassistischen Stumpfsinn kurzerhand noch stumpfere Performancekunst. In Teenie-Agitprop waren wir irgendwann richtig gut, denn unsere mittelgroße Stadt war voll von diesen fremdenfeindlichen Stilblüten.

Als ich mit neunzehn durch die Fußgängerzone schlurfte, fragte mich eine Verkäuferin von Abonnements der regionalen Westdeutschen Zeitung strahlend: ‘Sie sprechen Deutsch? Deutsch lesen vielleicht sogar? Interessiert an einem Abo der WAZ?’ ‘Nein, fällt mir schwer zu lesen’, war meine Antwort, und die war nicht mal gelogen. Es fiel mir tatsächlich schwer, die WAZ zu lesen, weil ich sie schlicht unerträglich fand.

Dass ich dort zu dem Zeitpunkt auch noch ein Praktikum absolvierte, habe ich erst gar nicht erwähnt. Es war mir einfach zu anstrengend, dieser furchtbar harmlosen Dame mitten am Tag einen kleinen Exkurs in Rassismustheorie zu geben. Heute würde ich ihr den Exkurs wahrscheinlich dezidiert und charmant lächelnd reindrücken.

Kürzlich las ich in der britischen Sunday Times eine Titelgeschichte, die sich dem Thema Rassismus in England widmete. Der Autor erzählte, wie es sich anfühlt, als Weißer mit einer schwarzen Britin und vier gemeinsamen Kindern die turbo-tolerante Metropole London hinter sich zu lassen und aufs englische Land zu ziehen. Der Mann heulte sich auf sechs Seiten aus. Aber so richtig. Er klagte, dass Leute die krausen Haare seiner Tochter lustig finden. Oder, dass sein Sohn von einem Klassenkameraden ‘farbig’ genannt wurde. Heul doch! In Deutschland benutzen dieses Wort selbst die Lehrer! Und fühlen sich besonders emanzipiert, weil sie endlich eine Alternative zu ‘Mulatte und Co.’ gefunden haben.

Ich las den Artikel durch und hatte den Eindruck, hier erzählt Spongebob von seinen Comic-Problemen. Dabei weiß dieser Autor gar nicht, wie verwöhnt er ist! Eingebettet in eine britische Kultur, die durch die eigene Kolonialgeschichte ein geradezu sensibilisiertes Vokabular in den Köpfen der Briten installieren konnte. Die Extralight-Diskriminierungen, von denen der Autor nun in seinem Kaff klagte, passieren Deutschen mit Migrationshintergrund in jeder größeren deutschen Stadt jeden Tag! Der Gute sollte mit seiner ganzen Familie einmal zu uns kommen. Und da muss es noch nicht einmal gleich Stralsund oder Chemnitz sein. Berlin-Mitte reicht schon.

Mitten im liberalen Berliner Wellnessparadies, dem Weinbergspark, beobachtete ich kürzlich einen kleinen Jungen, der ein afrodeutsches Mädchen mit ‘Du bist eine Negerin!’ beschimpfte. Und der Vater? Stand daneben in seinem frisch gebügelten FC-St.-Pauli-Kaputzenpulli und las die SZ! Diese Situation war gruseliger als jeder Horrorfilm. Denn immerhin befand man sich im Epizentrum der Toleranz. Toleranter als hier wird’s nicht. Wer hatte dem Kleinen in diesem liberalen Umfeld überhaupt gesteckt, dass es dieses Wort gibt? Unser britischer Autor hätte den St.-Pauli-Vater wahrscheinlich direkt am Kapuzenpulli vor Gericht gezerrt. Und ein schwarzer Brite, der in London von Abo-Damen angesprochen wird, ob er Englisch spreche, würde höchstens entgegnen: ‘Geht so. Ich komme aus Wales.’

 

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Russland lacht über WikiLeaks

WikiLeaks ist richtig witzig. Finden zumindest die Russen. Hier amüsiert man sich über die Enthüllungen der Website. Auch wenn sie das Vaterland betreffen: Die Nato rüstete sich erst Anfang dieses Jahres, um einen angeblich drohenden Angriff der russischen Streitkräfte auf das Baltikum abzuwehren. Haha, russische Panzer schaffen es vor lauter Motorpannen sowieso nie bis Riga. Bei Hochzeiten im Kaukasus flattern 100-Dollarnoten. Hihi, ist doch klar, die sind viel weniger wert als 5000-Rubelscheine. Und Russland, ist ein Mafiastaat, korruptionsgetränkt, mit einem Boss namens Putin, der Milliarden Schwarzgelddollar beiseite geschafft haben soll. Hoho, was für Dollarmilliarden, wenn die doch schon alle im Kaukasus auf den Hochzeiten herumflattern.

Die Russen nehmen WikiLeaks nicht ernst. „Und zum Schluss veröffentlicht WikiLeaks eine neue Mickey Mouse-Geschichte“, spottet Radio “Echo Moskwy”. Auch im Kreml wird gelacht. Ein Topbeamter hat WikiLeaks-Chef Julian Assange sogar inkognito für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Russland weigert sich glatt, all die Russland-Sensationen ernst zu nehmen, mit der WikiLeaks die Weltöffentlichkeit seit Wochen füttert. Schon aus dem banalen Grund, dass diese Sensationen zum größten Teil schimmeln. Dass auf Putins Geheimkonten über 30 Milliarden Dollar liegen sollen, verkündeten russische Oppositionelle schon vor Jahren. Dass laut Transparency International in Russland jährlich 300 Milliarden Dollar Schmiergeld fließen, gilt in Moskau eher als Untertreibung. Aber WikiLeaks und seine aufgeregte Kundschaft ignorieren bei ihren  Sensationen, dass, wenn wirklich Fakten dahinter stehen, diese  längst öffentlich jedermann zugänglich sind. Halbwegs informierte Moskauer Botschafter finden bei WikiLeaks nur einen Verdacht bestätigt: Die Jungs von der US-Botschaft, deren Schriftverkehr WikiLeaks unter anderem enthüllt, können zum Teil durchaus Russisch lesen, zum Teil studieren sie zumindest die einzige englischsprachige Zeitung vor Ort, die „Moscow Times“, gründlich.

Und immerhin erstaunt die sprachliche Kraft, mit der die Gesandten ausdrücken, was sie ahnungsvoll vermuten. Putin und seinen Gehilfen Medwedew mit Batman und Robin zu vergleichen – eine kühne metaphorische Leistung. WikiLeaks, die Literatur-Seite? Dazu sind Bilder wie Batman Putin und Robin Medwedew leider zu wenig erbaulich und belehrend. Es sei denn, in der Moskauer US-Botschaft besitzt man doch intimste Informationen über das Tandem Putin-Medwedew. Und bemüht den kulturellen Code der heimischen Schwulenszene, um sie ganz raffiniert zu verschlüsseln: Batman und Robin?! Russland, wollen die Amerikaner ja vielleicht sagen, wird von einem Pärchen Gays regiert! Die Topsekrete, die WikiLeaks absondert, sind wirklich ungeheuerlich.

 

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Hassliebe – Weihnachtsrituale in Kalifornien

 

Die Sonne scheint, Surfer warten auf die perfekte Welle und Palmblätter glitzern silbrig unter wolkenlosem Himmel. Alles wie immer im Süden Kaliforniens. Wäre da nicht die üppige Weihnachtsdekoration des Nachbarn, die unsere Küche seit Halloween jeden Abend in ein blinkendes Lichtermeer verwandelt. Peters Stromrechnung steigt jedes Jahr im November auf das Doppelte, doch das stört den begeisterten Hobby-Dekorateur nicht. Jedes Jahr hängen ein paar Lichterketten mehr an Dach, Treppengeländer und Fenstern. Die wahren Höhepunkte seiner Weihnachtsstimmungs-Kreationen hebt sich Peter für die Woche vor Heilig Abend auf: erst dann wird permanent Heissluft in einen Vier Meter hohen Schneemann im grünen Vorgarten geblasen und es dreht sich eine in Regenbogenfarben blinkende Rentier-Familie neben der Einfahrt. Peter ist nicht nur ein Weihnachts-Lichterketten-Deko-Enthusiast, er arbeitet auch furchtbar gerne am Computer. Ich wette, er arbeitet daran, seine Lichterkreationen mit dem von ihm geliebten Latino-Rap zu synchronisieren. Bald wird er uns mit einer ganz neuen Stufe von Lichter-Glück überraschen, den Verkehr im Viertel lahm legen und das Heimvideo seines Christmas-Lighting-Raps zu dem anderem Christmas-Deko-Wahnsinn ins Internet stellen. 

Ohne Peter würde sich hier gar nichts wie Weihnachten anfühlen. Musikberieselung und Schoko-Sonderangebote im Supermarkt reichen da nun wirklich nicht aus. Manchmal stöhne ich zwar über die seltsamen US-Weihnachts-Rituale, vom Tannen-kranz auf der Kühlerhaube bis zum unvermeidlichen, surfenden Santa Claus, aber im Grunde finde ich das alles ziemlich grossartig. Bis ich wieder in meiner gnadenlos blinkenden Lichterlandschaft in der Küche stehe. 

 

 

 

 

 

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Beredtes Schweigen

Als kritischer Untertan frage ich mich gelegentlich, ob die schwedische Königsfamilie gut beraten ist. Das legendäre Pressegespräch des Königs im Wald von Trollhättan war zwar erfrischend ehrlich aber sicher kein Musterbeispiel für gelungene Krisenprävention. Auch seine leidensfähige Gattin Silvia gab keine Figur ab, als sie wenige Wochen vor der Hochzeit ihrer ältesten Tochter Victoria ein Team des Stockholmer Senders TV 4 zur Audienz empfing. Die Frage nach der NSDAP-Mitgliedschaft ihres verstorbenen Vaters Walther Sommerlath kam sicher nicht unerwartet. Gleichwohl druckste die 1943 in Heidelberg geborene Silvia herum. Ihr Vater sei der brasilianischen Auslandsorganisation der NSDAP in einem Überlauf der Gefühle beigetreten, aus Freude über die „Wiedergeburt des Vaterlandes“, das sich damals „aus der Asche erhob“.

Ein erster Proteststurm nach der Ausstrahlung im Mai ging alsbald im Taumel der Traumhochzeit unter. Doch Mats Deland ließ nicht locker. Im brasilianischen Domizil der Familie Sommerlath forschten der Historiker und seine Kollegen vom Politmagazin “Kalla fakta” den strammen Nazi-Kumpanen des Patriarchen nach. In Berliner Archiven stieß er auf die brisanteste Spur. Sie führt zum jüdischen Fabrikanten Efim Wechsler, der 1939 seinen lukrativen Betrieb für einen Spottpreis an Walther Sommerlath verkauft haben soll. Der Vater der Königin – ein Profiteur der „Arisierung“. 

Im zweiten Teil der Dokumentation, der am Sonntag ausgestrahlt wurde,  spürten die Autoren der Verwandtschaft Wechslers in Israel nach. Die Zwangslage ihres Onkels Efim habe sie sich nie richtig klar gemacht, sagte Daniella Wexler nun dem Boulevardblatt Expressen. Ihre Mutter habe stets von einem Tauschgeschäft gesprochen. Die Mutter sei der Königin sogar einmal auf einem Empfang begegnet, erinnert sich die pensionierte Richterin. Die Frauen hätten sich sehr nett unterhalten. Auch Wexler urteilt milde über die nunmehr schweigende Silvia: „Sie ist von diesen Enthüllungen vermutlich genauso überrascht wie ich.“

 

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Alterssitz für Riff-Raff

 

It’s astounding. Time is fleeting. Madness takes its toll! Darf ich hier so viele englische Sätze schreiben? Da sie jeder mitsingen kann, der die Achtziger Jahre mit Reis und Konfetti im Haar erlebt hat, wird so viel Anglizismus schon okay – ich meine, in Ordnung – sein. Ich werde auch ganz sicher nicht einmal das Wort ‚Kult‘ verwenden, I promise. Dabei war Riff-Raff aus der Rocky Horror Picture Show damals fast so berühmt wie heute Harry Potter, wenn auch mit deutlich mehr Potential für den Christopher Street Day. Und jetzt das!

Es ist in der Tat verblüffend, die Zeit rennt davon, und der Wahnsinn greift um sich: Der Mann, der uns das beste Transen-Musical unserer Jugend bescherte, kämpft wie der Leibhaftige darum, endlich ein ganzer Kiwi werden zu dürfen. Richard O’Brien heißt der Erfinder und Darsteller des buckligen Butlers, der den durchnässten Hochzeitsreisenden Brad und Janet an einem stürmischen Abend mit dem Dreizack in der Hand die Türe öffnet. Wie ein verlorener Tourist im Regen vor einem transsylvanischen Schloss muss der 68jährige Schauspieler sich nun selber vorkommen. Denn das Land, das die Brutstätte seines subversiven Schaffens war, das lässt ihn nicht als Staatsbürger einreisen.

Mit zehn Jahren kam der kleine Richard aus den englischen Cotswolds auf die Südhalbkugel, wo sein Vater eine Schaffarm in Tauranga kaufte. O’Brien – damals hieß er noch Smith – lernte reiten und bekam seine erste Rolle als Stuntman beim Film. Im Städtchen Hamilton arbeitete er später fünf Jahre in einem Frisörsalon, bevor er 1964 nach London zog. Dort betonte er stets, wie sehr ihn die Erlebnisse in Aotearoa beeinflusst hätten. Einige der Lieder aus Rocky Horror entstammen der Haarspray- und Schafzucht-Periode. So stolz waren die Neuseeländer auf ihren berühmten Sohn, dass sie zur Freude der örtlichen Schwulenszene und aller durchreisenden Touristen ein bronzenes Riff-Raff-Denkmal in Hamilton aufstellten – an der Stelle des ehemaligen Kinos, in dem der Transgender-Star einst so viele inspirierende B-Movies guckte.

O’Brien besitzt Land in seiner alten Heimat, zwei seiner Geschwister und sein Sohn leben dort, und jetzt wollte auch er auf seine alten Tage wieder zurück zu den Wurzeln. Doch die Behörden spielten nicht mit. Richard O’Brien hatte nämlich nie die neuseeländische Staatsbürgerschaft. Um sich als Rentner im Land der langen weißen Wolke zur Ruhe zu setzen, muss man eine halbe Million auf der hohen Kante haben oder 750.000 Dollar investieren. Riff-Raff is not amused. „Sie bauen eine Statue für mich und feiern mich als Neuseeländer, aber jetzt muss ich auf die Knie sinken und alles Mögliche versuchen.“

„Dammit, Janet!“ ruft da nicht nur Brad aus, sondern jeder, der mal Fan war. Facebook-Kampagnen wurden gestartet. Es war ein Sprung nach links, und dann ein Schritt nach rechts, und dann endlich doch ein Happy End: Der böseste Butler aller Zeiten bekommt zumindest Daueraufenthalt im freundlichsten Land der Welt. Let’s do the time warp again.

 

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Die Macht des Kohlrabi

Gestern abend entdeckte ich in unserem Lebensmittelladen eine Rarität: Kohlrabi. Nicht die verkümmerten, radieschengroßen Köpfe wie sonst gelegentlich, sondern richtig große Prachtexemplare. Ich freute mich. Und kaufte. Als ich später in der Küche stand und das Gemüse schälte, dachte ich sehnsüchtig an all die guten Dinge, die es in der alten Heimat gibt. Graubrot zum Beispiel und deftige Leberwurst. Ach, Deutschland!

Alle mir bekannten Auslandsdeutschen leiden unter Lebensmittel-Nostalgie. Sie kriegen leuchtende Augen, wenn sie über Magerquark und weißen Spargel reden, was sie übrigens sehr häufig tun. In New York gibt es Quark nur in ausgewählten Supermärkten. Er wird in Pennsylvania oder Vermont hergestellt, ist teuer wie eine Delikatesse und schmeckt trotzdem nicht annähernd so gut  wie ein 99-Cent-Quark von Rewe. Weißen Spargel gibt es überhaupt nicht, grünen Spargel hingegen im Überfluss. Weshalb das so ist, konnte mir bisher keiner erklären. Ich staunte, als ich diesen Herbst in einem Brooklyner Bioladen weißen Spargel entdeckte. Er kam aus Peru.

Wenn es stimmt, dass Liebe durch den Magen geht, dann, ja dann sind die Deutschen in New York die größten Patrioten. Wir fahren stundenlang mit der U-Bahn, um bei Schaller und Weber an der Upper East Side ein kleines Glas Essiggurken der Marke Kühne für 4,99 Dollar zu erstehen, und tauschen Adressen von Kneipen, in denen es deutsches Bier vom Fass gibt. Wir riskieren hohe Geldstrafen, wenn wir Schwarzwälder Schinken und Limburger Käse durch den Zoll schmuggeln, und verpassen keine der Vernissagen im deutschen Generalkonsulat, weil da ein wirklich guter Riesling ausgeschenkt wird und nicht das zuckersüße Zeug, das die Amerikaner mögen.

In Deutschland sind mir die unschätzbaren Vorzüge von Kohlrabi, Spargel und Essiggurken nie richtig aufgefallen. Lebensmittel-Patriotismus entwickelt sich wohl nur in der Ferne. Ein guter Grund, weiter in New York zu bleiben.

 

Foto: Christine Mattauch

 

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Wikileaks – oder: Wir sagen jedem was er hören will

Es waren schon knackige Zitate, die Wikileaks vorzuweisen hatte. Vor allem von arabischen Herrschern gegen den Iran. Doch man sollte dabei nicht vergessen, dass es eine Spezialität arabischer Politiker ist, jedem zu sagen was er gerade hören will. Auch und vor allem amerikanischen Diplomaten.

Beispiel Saad Hariri: „Irak war unnötig, aber Iran ist nötig“, sagte demzufolge der heutige libanesische Premier im August 2006 mit dem Zusatz, dass die Amerikaner im Falle des iranischen Nuklearprogramms bereit sein sollten, die Sache bis zum Ende durchzuziehen, falls nötig.

Heute in Teheran Saad mal ganz anders: Der Libanon werde sich nicht am internationalen Druck gegen Teheran in der Nuklearfrage beteiligen. Außerdem habe der Iran ein Recht auf friedliche Nutzung von Nuklearenergie. Gestern betonte er – ebenfalls in Teheran – der Libanon habe bis jetzt Widerstand gegen das zionistische Regime geleistet und werde diesen Widerstand fortsetzen. So hört sich das an, wenn man in der Islamischen Republik zu Besuch ist. Aber wie gesagt, mit solcher levantinischer Flexibilität steht Hariri in der arabischen Welt keineswegs alleine da.

 

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Oh Tannenbaum…

Um es gleich vorwegzunehmen: diese Geschichte wird keinen brisanten Inhalt haben. Sie dreht sich um etwas Banales – um unseren Weihnachtsbaum. Da wir erstmals seit Jahren Weihnachten zu Hause feiern werden, muss natürlich auch ein Christbaum her. Nur: ein solcher ist im Land der Bonsais eigentlich nicht erschwinglich.

Selbst ein spindeldürres Bäumchen ist in Tokio nicht unter 80 Euro zu haben. Stattliche Christbäume gibt’s zwischen 100 und 500 Euro. Mit einer Ausnahme: IKEA bietet japanische Nadelbäume zu europäischen Preisen an. Solange der Vorrat reicht. Und das ist nicht lange, nach zwei Tagen sind sie alle weg.

Am 17. November war es soweit, auf ihrer Internetseite warben die Schweden mit einem Sonderverkauf für 20 Euro pro Stück. Eigentlich viel zu früh, mehr als fünf Wochen vor Heilig Abend. Gemeinsam mit einigen Dutzend Japanern – die Weihnachten ja eigentlich gar nicht feiern – stand ich auf einem mächtig zugigen Platz vor dem blau-gelben Möbelhaus und fahndete nach dem perfekten Exemplar. Eine halbe Stunde später schob ich mit triumphierendem Blick den in Zeitungspapier gewickelten und gut verschnürten Weihnachtsbaum zum Lieferservice. Doch die zeigten keine Gnade mit autolosen Kunden: Pflanzen grundsätzlich nicht, sorry.

Und so kam es, dass ich Mitte November mit einem Weihnachtsbaum über der Schulter die einstündige Bahnfahrt nach Hause machte. Da entgleisten doch so manchem Japaner die sonst unbeweglichen Gesichtszüge und pubertierende Schülerinnen versuchten erst gar nicht, ihr Kichern zu verbergen. Prekär wurde die Situation beim Umsteigen, als sich die Spitze meines stacheligen Gefährten in den langen Haaren einer Japanerin verfing.

Das letzte Stück des Weges legte der Baum dann liegend auf meinem alten Fahrrad zurück, dass ich fluchend und schwitzend durch die vollen Straßen unseres Wohnviertels schob.

Jetzt steht der grüne Kamerad im Garten zwischen Bambus und japanischem Ahorn. Er genießt ein Fußbad und ich dusche ihn jeden Tag mit dem Gartenschlauch und rede ihm gut zu, nur ja durchzuhalten. Bis zu seinem großen Auftritt sind es immerhin noch einige Wochen.

Von meiner Schwägerin kam inzwischen eine ermutigende email: „Wenn die Nadeln bis Heilig Abend braun sind, sprühst du den Baum einfach mit Goldspray an.“

 

 

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Nicht unter Geiern, aber nah genug dran

 

150 Kilometer von mir, einmal über den Bergpass hinüber, ist die raue, einsame Westküste, wo die Nachfahren von Goldwäschern und Pionieren leben. Da sagen sich Hase und Igel gute Nacht (und legen sich dann in eine der illegalen Marihuana-Plantagen schlafen). An der West Coast hat sich in den letzten Tagen ein immer größeres Drama abgespielt, das gestern seinen traurigen Höhepunkt fand: 29 Bergleute starben nach einer zweiten Explosion in einer Kohlemine. Seit Freitag waren sie vermisst, ihre Leichen sind noch immer unter Tage. Es ist die größte nationale Tragödie seit über 30 Jahren – das ganze Land trauert. Normalerweise überlasse ich die Katastrophennachrichten den Agenturen. Aber ich halte das Telefon frei, da Live-Schaltungen zu deutschen Sendern geplant waren, und habe seit dem Wochenende wie vor einer Niederkunft die gepackte Tasche im Flur, falls ich doch noch die vier Stunden bis Greymouth fahren muss. In dem kleinen Küstenort wimmelt es von den „Geiern“, wie meine Kollegen jetzt wieder tituliert werden. Die australischen Journalisten machten sich besonders unbeliebt, weil sie den Chef der Einsatzleitung einen „country cop“, also Dorfpolizisten, nannten. Unter Geier komme ich jetzt doch nicht. Nur, wenn die Bergleute nach einer gebührend langen Zeit im Stollen überlebt hätten, wäre das eine weltweit einmalige Nachricht gewesen – ein zweites ‚Wunder von Chile‘. So war es aus internationaler Sicht nur ein weiteres Minenunglück.

 

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Crisis? What Crisis?

Bei 29 Grad Celsius im Sporting Club ganz entspannt in die Sonne gucken, einen Drink zu sich nehmen, ab und zu mal ins Meer oder in den Pool springen. Die Beiruter lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Von wegen Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Sollen doch die Medien spekulieren. Auch gerne über eine unmittelbar bevorstehende Übernahme der Kontrolle durch die Hisbollah. Was soll’s.

Erst am Donnerstag hatte Hisbollah-Chef Nasrallah gedroht, denjenigen, die Hisbollah-Mitglieder mit dem Hariri-Mord in Verbindung bringen wollen oder sie gar verhaften wollen, die Hand abzuschlagen. In Washington, Paris und London beteuert man indessen hektisch und immer wieder die Unterstützung für das Hariri-Sondertribunal. Minister und Sondergesandte fliegen rasch nach Beirut, essen und trinken gut, genießen das schöne Wetter und fliegen wieder nach Hause. Die Partei Gottes bemüht sich ungeachtet dessen, das Tribunal auszuhebeln oder wenigstens seine Glaubwürdigkeit so sehr zu erschüttern, dass die erwartete Anklageerhebung ohne große Folgen sein wird.  

Der politische Schaukampf um den Einfluss im Zedernstaat zwischen dem Westen und der so genannten Achse des Bösen (Iran, Syrien, Hisbollah, Hamas) geht in die nächste Runde. Doch die Beiruter ficht das nicht an. Jedenfalls nicht an einem so schönen Sonntagnachmittag, an dem man das Leben genießen kann. So oder so sind am Montag wieder die Zeitungen voll mit: A sagt, B kontert und C droht. Und D? D hat klammheimlich alle seine Förmchen aus dem Sandkasten geworfen und will nicht mehr mitspielen. Jetzt sind wir gespannt, was die anderen machen.

 

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Potenzpille ist besser als Teflonlächeln – unerträgliche US-Wahlkampfspots

 

Halleluja! Amerika hat gewählt! Am Dientag abend war mir schon total egal, wer gewinnt. Ich dachte nur noch: bitte erlöst mich von den unerträglichen Wahlkampfspots! Endlich wackeln keine schwarz-weiss Bilder von hässlichen Männern und Frauen mehr in mein Wohnzimmer, zu denen düstere Stimmen vor unerträglichen Steuererhöhungen warnen, vor Gewerkschaften, die in den USA den Sozialismus einführen wollen, vor herzlosen Milliardären oder am besten gleich vor dem Ende der Welt. Hätte ich noch einen Spot mit Meg Whitmans Teflon-Lächeln ertragen müssen, hätte ich wahrscheinlich meine Terminator-Actionfigur in den Fernseher geworfen. Über 140 Millionen Dollar vom eigenen Konto hat die Ex eBay-Chefin mit Vorliebe für Hosenanzüge und Perlenketten in ihren Wahlkampf gesteckt und Kalifornien eine Schlacht um den Gouverneursposten geliefert, wie sie der sonnige Westküstenstaat noch nie erlebt hatte. Auf spanisch und englisch warb sie in jeder freien Fernsehminute mit einer Mischung aus mildem Grinsen und stahlblauem Blick für ihre Erfahrung als Unternehmerin, versprach bessere Schulen, mehr Jobs und eine Immigrationsreform. Vergeblich hoffte Whitman, dass Kaliforniens Latinos, die immerhin 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen, vergessen, was sie noch im Vorwahlkampf sagte: ‘Illegale Immigranten sind nur das – illegal. ich werde knallhart gegen sie vorgehen!’. Falsch kalkuliert, ihr cleveren und teuren Politikberater! Nach hinten losgegangen ist auch Whitmans Entscheidung, zu Beginn der politischen Karriere ihre Angestellte zu feuern, die seit neun Jahren ohne Papiere im Haushalt der Unternehmerin gearbeitet hatte. War doch klar, dass die andere Seite Nanny Nikki ausgraben würde – eine Geschichte, die selbst Latinos, die gar keine Lust hatten zu wählen, gegen die eiserne Lady mit dem unverwüstlichen Lächeln aufbrachte. Nun soll der 72jährige Demokrat Jerry Brown Kalifornien aus dem absoluten Tief holen: 20 Milliarden Haushaltsdefizit, 12,4 Prouzent Arbeitslosigkeit, zerstrittenes Parlament. Viel Glück! Im Januar tritt er sein Amt an. Im Fernsehen ist unterdessen kalifornische Normalität eingezogen. Ich wusste gar nicht, wie erholsam Werbespots für Pillen gegen Potenzstörungen sein können, die dazu raten, im Falle einer vierstündgen Erektion den Arzt aufzusuchen. 

 

 

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Jagdglück im Sündenpfuhl

 

Noch eine Erfolgsmeldung aus der Reihe “Bücher, die sich verkaufen”: Nachdem der König bei seiner Elchjagd die neue Skandal-Biographie “Den motvillige monarken” zwar eigentlich nicht, dann aber doch (und erfrischend zweideutig) rezensierte, geht das Werk ab wie ein Zäpfchen. Das Autoren-Trio grub tief in der Unterwäsche der Bernadottes. Thomas Sjöberg ist der bekannteste der drei Sudelfinken. Seine unverlangt eingesandten Porträts sind Legende. Er hat Nationalheiligtümer wie den IKEA-Boss Ingvar Kamprad und die Regie-Legende Ingmar Bergman zur Strecke gebracht. Hat er diesmal einen kapitalen Zwölfender geschossen, wie Beobachter in Stockholm munkeln, oder doch nur einen Bock? Auf ein Wort dazu auf NDR und WDR.

 

 

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Ein Bißchen Spaß muss sein …

In Italien tanzt man nicht mehr den Waka Waka, sondern Bunga Bunga, wenn auch auf dieselbe Musik.

Der Hintergrund:

Eine junge Marokkanerin will mehrmals in der Villa von Berlusconi gewesen sein und dort beim “Bunga Bunga” mitgemacht haben. Was immer das auch sei, – die Untersuchungsrichter ermitteln, denn Ruby ist noch keine 18 Jahre alt – gibt es eine bessere Vorlage für eine Parodie, wie diese von Elio e le Storie Tese in einer satirischen Mitternachtssendung?

http://tv.repubblica.it/copertina/il-waka-bunga-di-elio-e-le-storie-tese/55544?video=&ref=HREA-1

 

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New Yorker Geisterstunde

Als ich in Deutschland lebte, fand ich es albern, wenn Ende Oktober in den Supermärkten Plastik-Skelette lagen und Freunde zu Geisterpartys einluden. Halloween? Ich? Niemals. Und jetzt? Im Schrank hängen das Hexen- und das Joe-the-Plumber-Kostüm. Mein Mann kauft gerade Candy für die Kinder der Nachbarschaft, und ich habe einen winzigen, sehr gefährlich dreinblickenden Kürbis erstanden, der unseren Hauseingang bewacht.

Halloween erfasst New York wie eine Welle, der man nicht ausweichen kann. Es ist wie in Köln mit dem Karneval – trotz allem Kommerz ein authentisches Fest, und die Menschen fiebern seinem Beginn entgegen. Schon Wochen vorher beginnen unsere Nachbarn, ihre Hauseingänge zu dekorieren. Zäune werden mit künstlichen Spinnweben drapiert, in den Bäumen hängen kleine Gespenster und in den Haustüren Fledermäuse und Sensenmänner. In manchen Vorgärten stehen gar künstliche Grabsteine. Viele morbide Kulissen sind liebevoll selbst gebastelt, an manchen sind offenbar ganze Hausgemeinschaften beteiligt.

 

 

 

 

 

 

 

Dann ist, am 31. Oktober, endlich Halloween, und man sieht nur noch Hexen, Piraten und Vampire auf den Straßen. Und unkostümierte Touristen, die nicht gewusst haben, dass New York am Vorabend von Allerheiligen einem uralten keltischen Brauch huldigt. Kinder ziehen durch die Viertel und sammeln Süßigkeiten, wie beim deutschen Martinsabend. Nur dass sie rücksichtsvoller sind. In meinem ersten Jahr habe ich mich gewundert, dass bei uns keiner klingelte. Und ich war ärgerlich, weil sich zu meinen vielen ungelösten Problemen ein Topf voller Snickers gesellte. Im nächsten Jahr kaufte ich nichts mehr. Erst im dritten Jahr bekam ich mit, dass die Kinder an überhaupt keiner Haustür klingeln, weil die spendierfreudigen Nachbarn mit ihren Bonbontöpfen in den Vorgärten oder auf dem Treppenaufgang sitzen. So müssen die Kinder nicht in fremde Wohnungen, und wer zu arm oder zu knauserig zum Geben ist, wird in Ruhe gelassen. Ich hoffe nur, dass es nicht zu kalt wird, wenn wir morgen den Platz auf unserer Treppe einnehmen.

Abends gibt es in Manhattan eine große Parade durchs West Village. Das sei aber nur etwas für Erwachsene, warnt unser Vermieter, weil da „Nudisten“ zu sehen seien. Auch ein schöner Ausdruck. In den Stadtteilen hingegen finden kleine, familiäre Umzüge statt. Es ist, bis auf die Nudisten, wirklich wie in Köln, mit dem großen Rosenmontags- und den kleinen Schull- und Veedelszöch. Noch ein Unterschied: In New York darf kein Alkohol auf der Straße getrunken werden.

Und was macht man nach Halloween mit den ganzen Süßigkeiten, die man zwar begeistert gesammelt hat, aber gar nicht mag? Ein paar Straßen von uns entfernt bietet Fußarzt Dr. Rinaldi eine Lösung, mit seinem „Halloween Candy Buy Back Program“: Pro Pfund zahlt er einen Dollar. „Die Süßigkeiten werden unseren Truppen in Irak und Afghanistan gespendet“, heißt es in seiner E-Mail, die mich über Umwege erreicht. Ein Brooklyner Fußpfleger, der sich berufen fühlt, eine Massenverschickung von Bonbons und Schokoriegel für amerikanische Soldaten zu organisieren? Ich glaube an einen Witz. Aber mein Mann sagt: „Beim Militär verstehen die Amerikaner keinen Spaß.“ Ich muss wohl mal mein Hühnerauge untersuchen lassen. Irgendwie hat mich Dr. Rinaldi neugierig gemacht.

 

Fotos: Christine Mattauch

 

 

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“Wir lassen keine Kremlzwerge ran!”

Ukrainische Feministinnen können ähnlich schamlos sein wie Pin Up-Girls anderswo. Dieser Tage protestierten in Kiew Aktivistinnen der Frauengruppe „FEMEN“ mit entblößten Oberkörpern gegen einen Besuch des russischen Premierministers Wladimir Putin. 

Ihre Parole lautete: „Die Ukraina ist nicht Alina“, eine politisch ziemlich unkorrekte Anspielung auf Gerüchte über Putins Affäre mit der russischen Olympiasiegerin Alina Kabajewa. Wie Anna Kuzop, Leiterin von „Femen“ in einem Blog schreibt, gaben die Feministen ihren Unmut über das „freche russische Eindringen in den politischen, ökonomischen, kulturellen und nationale Raum der Ukraine“ kund. Putin solle aufhören, die Ukraine mit der Kabajewa zu verwechseln.

http://www.echo.msk.ru/ua/blog/721734-echo/

Die halbnackten Patriotinnen schwenkten ukrainische Fähnchen und Plakate mit weiteren deftigen Sprüchen: „Wir lassen keine Kremlzwerge ran!“ Oder: „Uns nagelst du nicht!“ Einen Versuch der Polizei, sie festzunehmen, wehrten die frechen Feministinnen mit vereinten Kräften ab. Zivilcourage auf ostslawisch.

 

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Der Hüter des Vulkans

Immer wenn in Indonesien eine Naturkatastrophe passiert, die groß genug ist, um es in die deutschen Medien zu schaffen, klingeln bei uns die Telefone. Geht es Euch gut? Weißt Du schon Genaueres? Meistens erfahre ich erst durch diese Anrufe, dass irgendwo wieder die Erde gebebt hat oder ein Vulkan ausgebrochen ist – oft Tausende von Kilometern entfernt.

Seit gestern Nachmittag jedoch pustet der Merapi, einer der aktivsten Vulkane der Welt, heiße Gaswolken und Asche in die Luft – und das nur 30 Kilometer nördlich von Yogyakarta, wo ich zurzeit wohne. Seltsamerweise spürt man dennoch hier in der Stadt gar nichts vom Ausbruch des spirituell bedeutsamen Berges. Nur die Anspannung ist fast greifbar: Beim letzten (kleineren) Ausbruch des Merapi vor vier Jahren kam es fast zeitgleich zum größten Erdbeben in Yogyakartas Geschichte mit rund 6000 Toten.

 

In solchen Situationen wenden sich die Bewohner der Sultansstadt gern an den Hüter des Merapi, den 83-jährigen Mbah Maridjan, der angeblich im direkten Kontakt mit dem Berggeist steht. So lange er es für sicher hält, lassen sich auch die Menschen in den gefährdeten Bergdörfern nur widerstrebend evakuieren – immer wieder eine Herausforderung für die Sicherheitskräfte, die den Alten beim letzten Ausbruch weder mit Drohungen noch mit dem Angebot, in einem Fünf-Sterne-Hotel zu übernachten, von seinem Berg locken konnten. Damals wurde das Dorf von Maridjan sowie der heilige Stein, an dem er meist betete, nur um wenige Meter verschont – so wie es der Weise vorhergesagt hatte. Dank seiner spirituellen Macht wurde der rüstige Urgroßvater so nicht nur zum gesuchten Berater von Politikern und anderen Persönlichkeiten, sondern auch zum Werbestar für einen potenzsteigernden Energy-Drink.

 

Doch diesmal scheint Maridjan den Kontakt zum Berggeist verloren zu haben. Durch sein Dorf fegte gestern Abend eine tödlich heiße Gaswolke, bevor es komplett evakuiert war. Die Rettungskräfte entdeckten heute Morgen 15 verkohlte Leichen, darunter Helfer, die den alten Mann wegbringen sollten, sowie einen Journalist, der ihn interviewen wollte. Auch im Schlafzimmer des Berghüters fand sich ein menschlicher Körper. Noch ist nicht bestätigt, ob es sich bei dem Toten um Mbah Maridjan handelt. Sollte dies der Fall sein, stehen Yogyakarta – das glauben zumindest die Einheimischen – schlimme Zeiten bevor: Die Stadt liegt genau auf der Mitte einer spirituellen Linie, die den nun entfesselten Berggeist mit seiner mindestens genauso wilden Geliebten, der Göttin des Südmeeres, verbindet. Werden sie nicht mehr gehütet und regelmäßig besänftigt, schicken sie sich gegenseitig Lava und Tsunamis als Geschenke.

 

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Vaterländisches Pinup-Girl

In Russland wird es mal wieder peinlich. Am vergangenen Montag zeichnete Präsident Dmitri Medwedew im Kreml die Spione aus, die im Juni in den USA aufgeflogen waren. Unter strenger Geheimhaltung. Die Moskauer Öffentlichkeit rätselt darüber, mit welchen Orden sie beehrt wurden? Und für welche Verdienste? Schließlich hat die Affäre um die 10 im Juni ausgehobenen und später ausgetauschten „Maulwürfe“ den russischen Auslandsgeheimdienst weltweit bis auf die Knochen blamiert.

 Anna Chapman aber, die jüngste, fotogenste und deshalb berühmteste der verhinderten Meisteragenten, ließ sich außerdem für das Moskauer Männermagazin „Maxim“ fotografieren. Die 28jährige enthüllte den Lesern der Novembernummer augenzwinkernd einen Großteil ihrer Weichteile. (Die Fotos sind auch im Internet zu bestaunen:

http://www.mk.ru/photo/politics/1219-chapman-snyalas-dlya-zhurnala-maxim.html?page=1&img_id=17503)

Fehlte nur, dass der Orden „Für Verdienste vor dem Vaterland Erster Klasse“ zwischen ihren jungen Brüsten baumelte.

„Maxim“ aber behauptete, Anna habe mehr für Russland geleistet als die Fußballnationalmannschaft oder die Rakete „Bulawa“. Stimmt. Die Nationalelf wurde nach ihrem blamablen Scheitern in der WM-Qualifikation vergangenen Herbst als Versager des Jahres geschmäht, der „Bulawa“-Flugkörper gilt nach mehreren Bruchlandungen gar als Blindgänger des Jahrzehnts. Die Chapman aber hat bewiesen, dass sie zumindest als Pin Up-Girl durchaus brauchbar ist.

 

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Taifun, kein Taifun

Zwei Tage lang sah es so aus, als käme Taifun Megi nach Hongkong. Die Prognosen auf den Wetterkarten ließen keinen Zweifel zu. Den Hongkongern wurde das Herz schwer.

 

 

 

 

Ein Super-Taifun, hieß es in der Presse. Der schlimmste seit vielen Jahren. Mit seinem Auge direkt über der Stadt! Hongkongs Katrina!! 225 km/h!!! Zeitungen zeigten Verwüstungsfotos vom letzten „direct hit“ eines Taifuns 1979 und vom ganz schlimmen 1962, als über 100 Menschen starben.

Irgendwann begriff ich, dass das wohl berichtenswert wäre. Eine freudige Erregung machte sich breit. Nicht dass ich den Hongkongern eine Katrina wünschen würde. Aber ich sah mich schon in meiner wind- und sinftlutumtosten Wohnung souverän Live-Gespräche mit Radio- und TV-Sendern führen, nebenbei mit einer Hand das Fenster gegen den Druck von außen zuhaltend. Ich sah mich mit Mikrofon durch menschenleere Straßenfluchten hechten, immer im letzten Moment den umherfliegenden Objekten ausweichend. Ich sah mich am Tag danach bei der Pressekonferenz der Stadtregierung kritische Fragen zum Katastrophenschutz stellen. Ich sah mich schon ganz groß rauskommen. Und dann das:

Und DAS!!!

 

 

Megi bog ab. Stunde für Stunde wurden die Verlaufsprognosen korrigiert. Stunde für Stunde rückte Megi weiter nach Osten, weg von Hongkong. Da saßen wir nun mit unserer aufgeputschten Katastrophenstimmung und sahen die Katastrophe davonziehen! Das war eine Art Enttäuschung, wie ein Advent ohne Weihnachten, nur in Gruselform. Während ich hier schreibe, hätte Megi draußen wüten sollen. Ich habe heute keine journalistischen Heldentaten vollbracht, sondern im Sonnenschein Kaffee getrunken.

Am Ende hat Megi dann in Fujian und Taiwan gewütet. Dort sind mehrere Menschen bei Erdrutschen ums Leben gekommen. Taifune sind nichts zum Drauffreuen.

 

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Erst ein Koffi, dann ein Drillere

Ein sehr naher Verwandter von mir in Deutschland ist militanter Gegner von Anglizismen, also englischen oder pseudo-englischen Ausdrücken. Deshalb vermeidet er sie unbedingt: Wenn er etwa von seinem Handy-Vertrag bei „T-Mobile“ spricht, sagt er „T-Mobile“, als würde er von einem unlängst gebastelten, dann aufgehängten und jetzt schief hängenden Mobile sprechen. Vor diesem Hintergrund überrascht nicht mehr, dass er für „O2“„Oh Zwei“ sagt und für „Vodafone“ zuweilen mit diebischer Freude „Mannesmann.“ Affig, so sagt er, seinen Anglizismen. Schrullig, sagte ich, seien militante Anglizismus-Vermeider. 

Ich habe meine Meinung mittlerweile geändert: Wenn es im Deutschen auch nur halb so schlimm klingt, wie im Italienischen, dann sind Anglizismen ganz und gar affig. Zum Beispiel gibt es jetzt immer mehr Leute in Rom die, aus welchen Gründen auch immer „Koffi“ bestellen – und das sind nicht Anzugträger mit Knopf im Ohr, die sich dann irritiert umblicken, merken, dass sie in Rom sind und peinlich berührt erklären: „Oh, ich dachte ich wär noch in New York“. Nein, es ist zum Beispiel mein Mopedreparateur, der jeden Morgen mit schon dann völlig ölverschmierter Latzhose in meine Kaffeebar geschlurft kommt, sich müde an die Theke hängt und auf eine cowboymäßige Art einen „Coffee“ verlangt. Ich sehe dabei in seinen Zügen stets große, aber lässig kaschierte, Befriedigung und versuche, sie zu deuten: Träumt er davon, einmal auf der Route 66 Harley-Davidsons zu reparieren und sagt deshalb „Koffii“? Küsste er vor 40 Jahren eine englische Touristin in einem Tanzlokal? Als ich wieder einmal mein Moped zu ihm brachte, fragte ich ihn. „Warum, Koffiii oder Caffè, kann man doch beides sagen, für mich ist das kein Unterschied“, meinte er.  

Die Mutter meines Freundes Giulio pflegt eine Liebesbeziehung zu einem anderen Anglizismus, er heißt „optional“, sie sagt „obtschonale“. Alles, was man tun, aber auch lassen könnte, ist ein „obtschonale“, insbesondere Kinoprogramme und Speisekarten sind natürlich ein Paradies der Möglichkeiten. Aber jedes Wort, das auf „-zion“ endet, bekommt von den Römern derzeit ein englisches „schhhhhhh“ verpasst. So wurde ich kürzlich bei einem Fußballspiel darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich in einer Notfall-„situeyschon“ an einem bestimmten Punkt einfinden sollte – zum Glück wurde das aber nicht nötig. Und in den Nachrichten sah ich ein Gespräch mit einem Oppositonspolitiker, der eine große „manifesteyschon“ ankündigte, die natürlich auch auf „Dwittere“ und „Feysbukke“ zu verfolgen sei. Lange verstand ich auch nichts, als ich  kürzlich in einem Telefonladen ständig vor die Wahl gestellt wurde, „Flatte“ oder „keine Flatte“, bis ich feststelle, das es um „unbegrenztes Telefonieren zum Festpreis“, ging. Zur Erholung ging ich in die Videothek bei mir in der Straße und lieh mir einen vom Chef empfohlenen, besonders spannenden „Drillere“ aus.  

 

 

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Voll daneben

Neulich hab‘ ich mich wieder total daneben benommen. Am 11. Oktober war’s, dem „Tag des Sports“ in Japan. Das Feiertagswetter war fantastisch, warme 26 Grad. Perfekt für eine Wanderung im Gebiet des Mt.Takao, Tokios Hausberg. Schweißtreibend war die Bergtour, Kalorien haben wir ordentlich verbrannt beim steten Auf und Ab.

Die Zeit haben wir auch ein wenig vergessen und daher den Zug zurück nach Tokio nur durch einen beherzten Sprint erreicht. Mir hat das den Rest gegeben. Hungrig und durstig kramte ich im Rucksack, holte eine Mandarine raus und begann sie zu schälen, in Gedanken noch im lichtdurchfluteten Bergwald.  „Ich setz‘ mich gleich weg“, maulte da mein Mann und holte mich grob zurück in die japanische Wirklichkeit. Und da herrscht nun mal Zucht und Ordnung im Öffentlichen Nahverkehr. Will heißen: Lautes Unterhalten, Telefonieren oder Musikhören sind ein Tabu. Essen und Trinken ebenso.

 Gosh, da saß ich nun tatsächlich in diesem Vorortzug, und hantierte mit der Mandarine so heimlich wie ein Pennäler bei der Klassenarbeit mit seinem Spickzettel. Schuldbewusst dachte ich daran, wie meine Japanisch-Lehrerin wenige Tage vor meinem Sündenfall empört auf den Verfall der Sitten in Tokios U-Bahnen zu sprechen gekommen war. „Seit einigen Jahren“ hatte sie geseufzt, „benehmen sich die Leute immer schlechter. Die jungen Mädchen schminken sich ungeniert oder quatschen laut. Und telefoniert wird auch immer öfter.“

Ich konnte da nur halbherzig zustimmen. Hatte ich im Sommerurlaub doch oft genug gedacht, wie super gesittet es in japanischen Zügen zugeht. Während sich in Frankfurt oder München jeder so benimmt, wie es ihm passt und manche U-Bahnen nach der Rushhour fahrenden Mülltonnen gleichen, sind Tokios Züge immer tipp topp sauber und 99 Prozent der Fahrgäste verhalten sich tadellos.

Und nun saß ich selber da, fühlte mich ertappt und steckte hastig das letzte Mandarinenstückchen in den Mund. Mein Mann hat sich zwar nicht weggesetzt. Aber die saftige Frucht, auf die ich mich so gefreut hatte, die hat irgendwie sauer geschmeckt.  

 

 

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Sind das noch Kirchen?

Das habe ich mich gestern gefragt bei der Besichtigung von Notre-Dame in Paris. Ich war in der Kirche seit Jahren nicht mehr. Aber dann kam mein Vater zu Besuch. Er war in den 50ern drin gewesen und wollte rein. Draußen stand ein Schild, dass Kinderwagen und Rollkoffer aus Sicherheitsgründen nicht mit in die Kirche genommen werden können. Die Dame vor mir hatte einen Koffer. “Wohin damit?”, fragte sie und der Kontrolleur zuckte mit den Achseln. Ja, klar, an so einen Tourispot lässt man eben den Koffer und den Kinderwagen einfach so vor der Tür stehen. Wer nach der Besichtigung beides noch vorfindet, hat dann vielleicht den Glauben an Gott und das Gute im Menschen zurückgewonnen.

 

 

Drinnen geht es weiter: Für alle, die schon lange nicht mehr in der Kirche waren, gibt es den Hinweis, dass man in christlichen Kirchen die Kopfbedeckung abnehmen sollte. Na, da finde ich schon wieder gut. Dann folgt man – wie in der Sicherheitskontrolle an den amerikanischen Flughäfen – den Absperrungen, die einen sukzessive durch die Kirche führen. Man kommt zu dieser Abzweigung: Messe oder Visite? das ist die Frage!

 

 

Wer die Visite nimmt, darf auf Teppich laufen, die anderen dürfen den Marmorboden betreten.

Wer nun müde ist und sich hinsetzen will, der muss über eine Absprerrung klettern. Kurze Zeit später steht er vor diesem Schild: “Eintritt für Treue”.

 

 

Was für Treue? Treue Gläubige oder treue Besucher der Kirche? Ich bin nicht nur ratlos, sondern auch leicht angewidert.

Beim Rausgehen (über zwei Absperrungen geklettert) mache ich nicht einmal ein Kreuzzeichen. Für mich ist das keine Kirche mehr. Aber mir wurde auch bewusst, wie der Massentourismus christliche Stätten entheiligt und zerstört. Alles sehr traurig!

Fotos: Barbara Markert

 

 

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Helden des Alltags: Mein Elektriker

 

Es reicht! Das ständige Flackern des Halogen-Strahlers in meiner Küche treibt mich in den Wahnsinn. Ich weiß nicht, ob der ungleichmäßige Stromfluss in Tel Aviv daran Schuld ist oder der letzte Stromausfall, ich weiß nur, dass es mir reicht. Ich rufe Nissim an. Nissim ist mein Retter. Er löst jedes noch so knifflige Elektrizitäts-Problem. Und darum gebührt ihm eine Hommage. 

Zunächst möchte ich die Glanzpunkte seiner Leistungsbilanz hervorheben: Nissim hat meinen Kühlschrank dazu gebracht, nach mehr als zwei Jahren das Ablassen penetranter Wasserlachen aufzugeben. Er hat meine uralte Spülmaschine so einfühlsam bearbeitet, dass sie nicht mehr überläuft. Auch die Klimaanlage überschwemmt nicht länger den Boden, wenn sie länger als eine halbe Stunde kühlt. Und ganz nebenbei hat Nissim noch ungezählte verkohlte Stecker und Steckdosen erneuert. 

Wenn ich nicht mehr weiter weiß, rufe ich Nissim an. Es dauert zwar manchmal ein paar Tage und meist viele Telefonate bis es soweit ist, er aus Petah Tikva hierher ins Tel Aviver Zentrum kommt und am Ende auch einen Parkplatz für seinen Pickup vor meiner Haustür gefunden hat, aber er kommt. Und wenn Nissim kommt, kann ich sicher sein, er geht nicht, bevor sich nicht all meinen Sorgen in Wohlgefallen aufgelöst haben. Und wenn es darüber halb zehn abends wird.

Nissim ist nicht einfach nur Elektriker. Nissim ist leidenschaftlich. Er will jedes Problem bis auf den Grund durchdringen und gibt nicht auf bevor ihm das gelungen ist. Ich habe in meinem Leben noch nie so ausführliche und detailreiche Vorträge über Spannung, Wechselstrom und Fehlerstromschutzschalter gehört, mich bislang – wie konnte ich so ignorant sein! – auch nie besonders dafür interessiert.

Nissim ist aber nicht nur leidenschaftlich, er ist auch empathisch: Er hält Vorträge über die Welt der Kontakte und Leitungen, die ein schlichtes Drähtchen als eigenständige Persönlichkeit mit guten und weniger guten Charaktereigenschaften erscheinen lassen. Dank Nissim ist mir jetzt klar, dass diese Art von Empathie unerlässlich ist, wenn man Kontaktstörungen dauerhaft heilen will.

Nissim ist ein leuchtender Stern am Tel Aviver Handwerkerhimmel, der ansonsten ziemlich verhangen ist mit wirren Gestalten, die souverän hohe Rechnungen schreiben, aber wenig mehr als Ratlosigkeit zurücklassen. Zum Beispiel Eran. Nissims Vorgänger im Amt. An den denke ich heute nur noch mit Kopfschütteln: Wenn Eran zu mir kam, hatte er zwar immer seine Pistole im Gürtel, den Schraubenzieher aber lieh er sich von mir. 

 

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Mein Freund der Baum

Vielleicht nennt man sie demnächst die Achse der grünen Männchen. Nicht, dass sie vom Mars kämen. Obwohl man schon mitunter das Gefühl hat, sie leben auf einem anderen Planeten. Dabei sind sie mitten unter uns. Die Baumpflanzer. Die Rede ist von Hisbollah-Chef  Nasrallah und Irans Präsident Ahmedinejad. Ja, sie sind unter die Ökos gegangen. Ganz öffentlich. Der nebenberufliche Chef der Schiitenmiliz hat den biblischen Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen“ selbst in die Tat umgesetzt. Er kam tatsächlich aus seinem Versteck, wo er sich vor israelischen Attentatsdrohungen schützt, ins pralle Sonnenlicht und pflanzte den  Millionsten Baum der Aufforstungskampagne der Hisbollah-Wiederaufbauorganisation Jihad al Bina. Direkt vor seinem Haus steht das Bäumchen jetzt. Wer es gießt, ist unbekannt.

In einer langen Rede, der erstaunlicher Weise selbst die libanesischen Medien keinerlei Beachtung schenkten, erklärte der Chef der „Partei Gottes“, die Aufforstung des Libanon sei Teil der nationalen Sicherheitsstrategie. Nicht nur, weil Guerrillakämpfer sich unter diesen Bäumen prima verstecken können (nicht umsonst haben die israelischen Besatzer im Südlibanon tatsächlich zahlreiche Bäume gefällt und erst im August kam es zu einem Zwischenfall an der Grenze, weil israelische Militärs neuerlich einen Baum entfernen wollten). Sondern auch weil Nasrallah als einziger libanesischer Politiker erkannt hat, dass der Klimawandel eine der größten Bedrohungen nicht nur für die Libanesen sondern für die ganze Welt ist.  

Weil der gute Nasrallah sich nun mit seinem grünen Finger hervorgetan hatte, dachte der iranische Präsident vermutlich: „Was der kann, kann ich schon lang“. Kaum hatte Ahmedinejad sein ausgedehntes Mittagessen mit dem libanesischen Präsidenten Suleiman beendet, stürzte er in Suleimans Garten und bestand darauf, auch einen Baum zu pflanzen. Zuerst dachte ich, es wird wohl ein Kaktus gewesen sein. Aber nein, Ahmedinejad wählte eine Zeder. Wie originell! Eine Freundschaftszeder, wie er es nannte. Nur zu dumm, dass Zedern in Beirut gar nicht überleben können – hier ist es zu warm. Sie gedeihen nur in den Bergen, wo im Winter auch Schnee fällt.

Kann man nur hoffen, dass dies kein schlechtes Omen für den Bestand der Freundschaft ist. Aber derzeit muss man da wohl keine Angst haben. Denn dass ein großer Teil der Libanesen feurige Anhänger Ahmedinejads sind, stellten sie während seines Besuches mehrfach unter Beweis. Aber so richtig überwältigt war der Mann aus Teheran während einer Willkommensfeier am Abend in der Dahiyeh, den südlichen Vororten Beiruts. Dort flogen ihm die Herzen zehntausender jubelnder Menschen nur so zu, eine Hisbollah-Band spielte ein eigens für diesen Besuch komponiertes Willkommenslied – und der Präsident aus dem gefährlichen I-Land wischte sich verstohlen die Tränchen aus den Augen. Es war geradezu rührend. Zu Hause dürfte ihm das in diesen Tag nicht so häufig passieren. Aber im Libanon ist er unter Freunden. Jedenfalls in den südlichen Gefilden des Landes.

Wir dürfen nun gespannt sein, ob Ahmedinejad nach seiner Heimkehr auch eine Aufforstungskampage ausruft. Weil er auch gerne öfters dem Vorbild Nasrallahs folgend wie ein Rockstar gefeiert werden möchte. Bäume statt Nuklearanlagen. Meinetwegen auch für die nationale Sicherheit. Das wär doch mal was.

 

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Schweigsame Gelehrte

Bis heute sieht sich das Nobelkomitee am Karolinska Institutet (KI) nicht in der Lage, auf meine Anfragen zum Skandal um die Bekanntgabe des diesjährigen Nobelpreises für Physiologie oder Medizin zu antworten. Gewöhnlich wird man unter der Woche mit gefühlten zwei Dutzend Pressemitteilungen aus der Stockholmer Uniklinik bombardiert. Doch diesmal schweigen die Gelehrten vielsagend. Das Leck in ihren Reihen ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Preisvergabe. Bereits im Juni hatten sich die sechs Mitglieder des Nobelkomitees  auf den Briten John Edwards als Preisträger geeinigt, die Abstimmung im Kollegium der Nobelversammlung am Morgen der Verkündung ist eine Formalität. Den Kreis der Insider schätzt Karin Bojs, erfahrene Wissenschaftsjournalistin der Zeitung Dagens Nyheter daher auf gerade einmal 10 Personen. Die Motive für den Verrat sieht sie in anhaltenden Konflikten an der Klinik, die dem Fachblatt Nature bereits im Sommer eine Geschichte wert waren. Während sich die Konkurrenz vom Svenska Dagbladet für den gelungen Scoop auf die Schulter klopft, fürchtet Bojs um den guten Ruf der Nobelstiftung. Selbst hätte sie keine Sekunde gezögert, das Geheimnis auszuplaudern, sagte sie mir. Sie legt aber Wert drauf, dass sie einen anderen Stil pflege. Kollegen bewundern sie für ihre Einsichten in die Forscherwelt. Mit ihren Spekulationen über die Preisträger hat sie immer wieder richtig gelegen. Keine Zauberei, versichert sie mir, sondern Früchte eines fleißigen Studiums offener Quellen. Sie liest die Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und die Kommentare, lauscht den Symposien. Von Forschern lässt sie sich höchst ungern beeinflussen. Und Pressemitteilungen sind so launisch wie der Herbstregen in Schweden (s.o.).

 

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Prohibition auf australisch

Freunde des Trink- und Motorsports müssen sich dieses Wochenende in Australien schwer zusammenreissen. Vor allem in Bathurst, einem Bergort westlich von Sydney. Dort findet zum 50. Mal ein beliebtes Autorennen statt: Die Bathurst 1000: (Die Fahrzeuge umkreisen dabei den Mount Panorama so lange bis sie 1000 Kilometer geschafft haben). Für Zigtausende ist dies ein beliebter Anlass, rund um die Rennstrecke zu campieren und zu picknicken. Traditionell missachten dabei einige ihre zulässige Trinkgeschwindigkeit und anschließend Gebote der Höflichkeit. Deshalb griffen Behörden zu – runder Geburtstag hin oder her – DRASTISCHEN Maßnahmen: Die Alkoholmitnahme für Besucher wurde reglementiert, die Einhaltung des Limits kontrollieren Polizisten! Viele! Und die kennen kein Pardon: Erlaubt ist nur ein slab Bier. Genauer: 24 Dosen normalen Biers, 30 Dosen Leichtbier (was aber in Australien schwer zu kriegen ist), oder eine Flasche Hochprozentiges oder vier Liter Wein. Dieses Limit gilt übrigens pro Person, pro Tag. Harte Bandagen, fürwahr! 

Heute tröstet der örtliche Abgeordnete via Zeitung die Pissköppe: “Leute können auch mit w e n i g Alkohol noch eine Menge Freude haben.” Wobei das wenig nicht in Anführungszeichen gesetzt war. (“There’s been a review of that so certainly we’re finding that suddenly people can deal with less alcohol and still have a good time.”) Fast zynisch ist natürlich angesichts derlei radikaler Prohibition, wenn man auf einem von einer Biermarke gesponsorten Zeltplatz campen muss oder gar im von einer Whiskey-Marke finanzierten Eventbus zum Rennen fährt. Ich hoffe, die V8-Fans haben trotzdem ein schönes Wochenende. Happy Birthday Bathurst!

 

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