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Fußballfieber beim Zahnarzt

Für mich waren Zahnarztbesuche ein Graus als ich ein Kind war. Ich erinnere mich an eine muffelige Sprechstundenhilfe und einen Herrn im weißen Kittel, den ich furchtsam mit Knicks begrüßte. Dennoch fahndete der erbarmungslos nach neuen Löchern in meinen nicht sehr guten Zähnen. Meine Kinder haben’s da besser. In der hochmodernen Zahnarztpraxis hier in Tokio gibt es im Wartezimmer so viele Videogames und anderen Schnickschnack, den sie zu Hause vermissen, dass meine Ältere mitkommt, selbst wenn sie keinen Termin hat. Aber auch im Behandlungszimmer lässt es sich dank reichem Filmangebots gut aushalten. Ganz entspannt liegen meine Töchter dort im Sessel und schauen auf dem in die Decke eingelassenen Monitor „Cinderella“ oder „Marley & Me“.

Gestern überraschte das jugendliche Zahnarztteam uns dann noch mit einem besonders sportlichen Auftritt: Alle trugen das Trikot der japanischen Fußball-Nationalmannschaft. Damit bekam der Besuch beim Zahnarzt endgültig Event-Charakter. Und statt small talk war Fachsimpeln angesagt. Die nette Ärztin, die meiner Jüngsten behutsam die Zähne säuberte, tröstete mich über die bittere Niederlage der Deutschen gegen die Serben hinweg. Um mich abzulenken, erzählte sie von einem weiteren Clou, mit dem die Praxis derzeit ihre Kunden bei Laune hält. Kinder, die eine Spange brauchen, können sich die elastischen Bänder dafür in ihren Nationalfarben aussuchen. Ein Gag, der besonders bei Jungen ankomme. „Gestern war ein deutscher Schüler hier, der hat sich natürlich für  Schwarz-Rot-Gold entschieden“, erzählt die Zahnärztin fröhlich.

Mit meiner guten Laune ist es eine halbe Stunde später vorbei. Das Ergebnis unseres Zahnarztbesuches ist fast so desaströs wie das Spiel der deutschen Elf am Vortag. Die Jüngste hat ein Riesenloch im Zahn, die Ältere braucht – eine Zahnspange. Auf  eine Verschönerung in den Landesfarben wird sie verzichten müssen. Bis sie die Spange bekommt, ist die WM vorbei. Pech gehabt. Und ich kann nicht mal einem Schiedsrichter den schwarzen Peter zuschieben.

    

 

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Gehört so ein Satz auf den Titel?

In Frankreich gibt es extra ein Institut zur Wahrung der französischen Sprache, aber manchmal fragt man sich, zu was das noch gut ist, denn die Sprache scheint zu verkommen. Aktuelles Beispiel: Der Titel der wichtigen Sportszeitung L’Equipe, die mit einem Zitat von Nicolas Anelka, Profifußballer, aufmacht:

Zu deutsch, tja, man mag es kaum schreiben: “Leck Dich am Arsch, du dreckiger Hurensohn.” Diese Worte fielen zur Halbzeit des WM-Matches Frankreich-Mexiko in der Umkleidekabine. Trainer Rainer Domenech hatte es gewagt, den Fußballer von Chelsea zu kritisieren. Anelka wurde ausgewechselt, wie das Spiel ausging ist traurige Geschichte. Dass das Verhältnis zwischen den Spielern innerhalb der französischen Nationalelf nicht gut ist, war bekannt, aber dass in den Kabine solche Worte fallen, schockiert wohl selbst die größten Fußball-Fans.

Die Frage ist nun: Gehört das auf den Titel? Dass L’Equipe damit aufmacht, mag fast schon als investigativer Journalismus durchgehen, denn alle Radiosender hatten am heutigen Samstagmorgen davon berichtet, aber ihre großen Probleme, den Satz nochmals zu wiederholen. 

Man versteht nun, warum Rainer Domenech nach dem Spiel den Tränen nahe war. Die Niederlage allein kann der Grund nicht gewesen sein. Auch wenn mit einem solch peinlichen Spiel seine Karriere als Nationaltrainer endet. Weinte er um den Verfall der französischen Sprache? Um den Verfall der Sitten? 

Fast mag man es glauben, denn erinnern wir uns kurz, was Nicolas Sakorzy immer gerne mal von sich gibt: Im November 2005 bezeichnete das Staatsoberhaupt seine Mitbürger aus den ost-pariser Banlieues als “racailles”, also Gesindel, Gesocks. Das Wort ist inzwischen längst in die Alltagssprache eingegangen. Und wenig später auf der Landwirtschaftsmesse nannte er einen Besucher als “pauvre con”, als armen Depp. Nicolas (liegt es am Vornamen?) Anelka befindet sich also in bester Gesellschaft. 

Foto: Screenshot l’Equipe

 

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Wer hat Angst vorm schwarzen Facebook-Mann?

Am 7. Juni wurde in Alexandria der 28jährige Khaled Said von Polizisten aus einem Internetcafé gezerrt und zu Tode misshandelt. Brutale Polizeiwillkür ist in Ägypten keine Seltenheit. Wie bei anderen Anlässen zuvor, zeigt auch diese Tragödie, dass das Land zu jenen auf der Welt gehört, in denen Facebook als zentrales Protestmedium kaum noch wegzudenken ist. Die Gruppe »Wir alle sind Khaled Said« hat jetzt – nicht mal zwei Wochen nach dem tragischen Tod – 112.000 Mitglieder. Die Gruppe »Ich heiße Khaled Muhammad Said« bringt es auf fast 200.000.

Das Web 2.0 als Plattform des Widerstandes ist kein Novum in Ägypten. Über die Facebook-Gruppe »Mohamed ElBaradei« werden 252.000 Mitglieder in Echtzeit über die Aktionen der Reformkampagne des früheren Chefs der Atomenergiebehörde informiert. Im Fall Khaled Saids konnte der öffentliche Druck übers Web 2.0 bereits einen ersten Erfolg erzielen. Schwierig bleibt es trotzdem, in einem Polizeistaat wie Ägypten den Protest aus dem Internet ins wirkliche Leben zu tragen.

Die Sicherheitsdienste lesen ebenfalls Facebook. Wann immer ein Straßenprotest angekündigt wird, sind sie zur Stelle und ersticken die Aktion im Keim. Wie auch am Freitag um 17 Uhr. Die Facebook-Gruppe »Wir alle sind Khaled Said« hatte zu einem Schweigespaziergang an die Uferpromenaden gerufen – in Kairo an die Corniche am Nil, in Alexandria an jene am Mittelmeer. Aus Protest und Trauer sollten die Leute in in schwarzer Kleidung kommen.

Pünktlich um fünf stand in Kairo auch die Bereitschaftspolizei am Nilufer. Beamte in Uniform oder in Zivil und mit Sprechfunkgeräten schlenderten die Promenade hoch und runter. Viel Resonanz erzeugte der Aufruf nicht, schätzungsweise einhundert junge Leute liefen, schwarz gekleidet, das Ufer entlang oder standen an Brückengeländern und lasen im Koran.

Für die Polizisten eine absurde Situation. Wer protestierte, wer spazierte hier ganz normal an seinem arbeitsfreien Freitag? Immerhin sind schwarze T-Shirts, Jacken oder Abayas in Kairo nicht unüblich. Das Spektakel war an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Wie auf einem Kegelklubausflug zogen Gruppen ziviler Beamte in Bundfaltenhosen und vollgeschwitzten Herrenoberhemden die Promenade entlang und versuchten nervös, alle schwarzgekleideten Menschen wegzuschicken. Wie viel Zeit bleibt einem Regime noch, das solche lächerlichen Szenen produziert? Vieles in Ägypten erinnert mich derzeit an die späte DDR.

 

 

 

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Die Polizei greift durch!

Sie hat meine Bitten erhört, die tschechische Polizei, und kümmert sich endlich um die Sicherheit der Fußgänger. Wenn ich in Prag unterwegs bin, entgehe ich täglich mindestens viermal nur knapp einem Unfall: An Zebrastreifen hält sowieso niemand an und durch die Altstadtgassen wird gerast wie über eine Formel-1-Strecke. Regelmäßig gibt es tödliche Unfälle, weil selbst über vierspurige Straßen oft nur Zebrastreifen führen und nicht etwa eine Ampel – der Fahrer in der ersten Spur hält dann an, neben ihm rast das nächste Auto mit Karacho über den Zebrastreifen. Mich wundert es nicht, dass Tschechien in der Top-Gruppe der europäischen Länder mit den meisten Verkehrstoten dabei ist.

Und die Polizei? Nicht zu sehen. Jetzt aber, endlich, kümmert sie sich um die Sicherheit der Fußgänger. Schwejk lässt grüßen: Einen Strafzettel kriegen jetzt die, die nach dem Ende der Grünphase nicht schnell genug von der Straße runter sind oder bei leerer Straße zwei Sekunden vor dem grünen Ampelmännchen einen Schritt vorwärts tun. Lakonischer Kommentar des Polizisten: “Das ist grad’ eine Aktion, das kontrollieren wir jetzt überall!”

 

 

 

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Fiktion und Wirklichkeit

 

Für einen deutschen Sender sollte ich eine Geschichte über eine mit deutschen Geldern finanzierte KfZ-Lehrklasse für junge Palästinenser in Beit Sahour bei Bethlehem schreiben.  Eine Geschichte mit viel Zukunftsoptimismus und Unternehmergeist. Eine Geschichte über dankbare junge Menschen, die endlich eine Perspektive für ihre Zukunft haben und Aussicht auf ein eigenes Einkommen. Ermöglicht durch einen großzügigen deutschen Automobilkonzern, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. „Mal was Positives aus den Palästinensergebieten“, dachte sich die Redakteurin in Berlin. Eine Geschichte geradeaus erzählt. Ein Termin, zwei oder drei Interviews, aufgeschrieben, produziert, fertig.

Aber es kam anders: Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis überhaupt ein Termin zustande kam. Die Verantwortlichen reisten ins Ausland, wurden krank, zogen um. Schließlich wurde ich aber doch empfangen. An einem Tag im Frühling in der Vertretung eines deutschen Automobilkonzerns in Beit Sahour bei Bethlehem. Um einen großen Konferenztisch saßen der Geschäftsführer der Vertretung des deutschen Automobilkonzerns im Westjordanland mit zwei Mitarbeitern, der deutsche Initiator des Hilfsprojekts und drei Abgesandte der Autonomiebehörde in Ramallah. Sie waren alle zusammengekommen, um einer deutschen Journalistin von erfolgreicher Zusammenarbeit zu erzählen. Es wurden Schokowaffeln und Kaffee in Plastikbechern gereicht. Zucker gefällig?

Es hätte alles so schön sein können. Aber schon nach wenigen Minuten entspann sich ein inner-palästinensischer Streit zwischen den Vertretern der Autonomiebehörde und dem Geschäftsführer des deutschen Automobilkonzerns im Westjordanland. Der nämlich hatte wenige Wochen zuvor weitere Kooperationsprojekte vorgeschlagen. Eine Lehrwerkstatt in Ramallah. Dem Ministerpräsidenten Salam Fayyad persönlich. Der aber verwies an einen untergebenen Mitarbeiter im Finanzministerium, der seinerseits politische Aktien in Dschenin hatte und an einem Projekt in Ramallah kein Interesse. „Verschwenden Sie hier nicht meine Zeit!“, so hatte er seine Gesprächspartner abgewatscht und im Unfrieden entlassen.

Die Vertreter aus dem Arbeitsministerium in Ramallah aber waren an diesem Tag nach Beit Sahour gekommen, um die Wogen zu glätten und den deutschen Automobilkonzern dafür zu gewinnen, sich weiter in der Berufsbildung zu engagieren. Ohne Erfolg allerdings. Das Tischtuch schien fürs Erste zerrissen.

Ich war verwirrt. Wo war nun eigentlich die KfZ-Lehrwerkstatt? Um die sollte es doch eigentlich heute gehen. Und wo waren die Schüler? Nach einem Rundgang durch die hochglanzpolierten Räume der deutschen Autokonzern-Vertretung in Beit Sahour mit wortreichen Erklärungen zur einstigen, inzwischen aber nicht mehr sichtbaren, hochwertigen Ausstattung der Lehrklasse mit Computern, Projektoren und DVD-Playern, wurde ich endlich dorthin gebracht, wo die KfZ-Lehrklasse jetzt lernt: in ein Berufsschulgebäude in Beit Jalla. Heruntergekommen die Klassenräume und das Treppenhaus, unwirtlich die ganze Anmutung des Ortes.

Stolz führten die Vertreter des Arbeitsministeriums in Ramallah mir 17 Lehrlinge vor, die Fenster und Türen für Häuser bauen, 15 Kosmetik-Schülerinnen, die alles über Make-Up und Frisuren lernen und 20 Schülerinnen, die sich mit Computerprogrammen vertraut machen. Aber wo waren die KfZ-Lehrlinge? Schließlich wurde ich in einen kahlen Raum mit 25 Stühlen geführt. Dort erwartete mich einsam und allein: der Lehrer. Die Schüler waren alle in verschiedenen Autowerkstätten, um die gelernte Theorie anzuwenden. Hm. Nicht gerade ideal für einen Beitrag über die Hoffnungen der palästinensischen Jugend. So ganz ohne Jugend.

Der Lehrer führte die kümmerlichen Lehrmittel vor: Alte Autoteile, ein ausgeweideter Seat Ibiza und ein kopierter Hefter. Und dann wurde auf mein Drängen hin mit Mühe ein Absolvent der Lehrklasse herbeizitiert, der auch innerhalb weniger Minuten erschien. Aber immer wenn er auf meine Fragen antworten wollte, fiel ihm der Mitarbeiter aus dem Arbeitsministerium ins Wort. Der junge Mann war im Handumdrehen eingeschüchtert. Kaum ein brauchbarer O-Ton war von ihm zu bekommen.

Aus der Phantasie der Redakteurin in Berlin von einer geradeaus erzählten Geschichte über ein Hoffnung stiftendes deutsches Hilfsprojekt im Westjordanland wurde am Ende eine verwirrende Geschichte über Konkurrenz und verletzte Eitelkeit, Ratlosigkeit und Mangel. 

 

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Keine Chance für Fußball-Muffel in Beirut

Nun ist es also soweit: Nicht genug damit, dass man den Mücken in unserem Haus um diese Jahreszeit nur unterm Moskitonetz vollständig entkommt. Aus dem Wohnzimmer tönt zudem das Geräusch eines Schwarmes tausender heranschwirrender Moskitos – auch wenn es tatsächlich glücklicherweise nur das Konzert dieser Ohren-beleidigenden Vuvuzela-Trompeten ist. Im Wohnzimmer sitzt mein Mann, Schotte, Fußballfan und schaut begeistert den Worldcup, unterbrochen nur vom Ausfall der Satellitenübertragung von Al Jazeera. Das aber regelmäßig.

Nun könnte man meinen, Türen schließen würde helfen. Aber es ist Sommer, die Temperaturen liegen auch am frühen Abend noch bei 30 Grad C und die Luftfeuchtigkeit in Beirut steigt. Da öffne ich persönlich gerne die Fenster. Damit befinde ich mich leider in bester Gesellschaft. Drum schallen eben jene Vuvuzelas sowie die Jubelschreie der Nachbarn, wann immer ein Tor für ihre Lieblingsmannschaft gefallen ist, ungefiltert zu mir herüber. Als Deutschland die australische Mannschaft vorgestern mit 4:0 besiegte, ging es besonders hoch her. Schreie, Freudenschüsse, Knallgranaten und Hupkonzerte – die Libanesen lieferten die ganze Palette.

Denn die deutsche Mannschaft steht hier besonders hoch im Kurs. Zahlreiche Balkone, Autos und ganze Straßen sind mit den deutschen Nationalfarben beflaggt. Gestern stand ich im Stau neben einem Cabrio mit vier libanesischen Fußballnarren. Sie alle trugen samtene Schlapphüte in schwarz-rot-goldenem Karo, einer wedelte mit einer besonders großen deutschen Flagge, der Fahrer hielt eine Attrappe der goldenen WM-Trophäe in der einen Hand, in der anderen zu meiner Erleichterung das Lenkrad. Wenn es nach den meisten Libanesen geht, dann wird die Elf von Trainer Löw auf jeden Fall Weltmeister. Es sei denn Brasilien sticht sie aus. Doch Flip-Flops in den deutschen Nationalfarben sind mit Abstand die beliebtesten, selbst in den Strandclubs gibt es kein Entkommen von der WM.

Bars und Restaurants haben alle ohne Ausnahme große Fernsehbildschirme installiert. Nachbarn in den ärmeren Gegenden haben ihre persönlichen Couchen auf kleinen, freien Plätzen zusammengerückt, einer hat seinen Fernseher zur Verfügung gestellt und so sitzt man eng und kuschelig beieinander, Fähnchen in der Hand, jubelnd oder schimpfend. Das WM-Vergnügen will geteilt sein. Auch mit all denen, die davon gar nichts wissen wollen. Wie ich.

All das übrigens, obwohl die libanesische Nationalmannschaft gar nicht dabei ist in Südafrika. Die Libanesen haben sich seit Jahren nicht mehr für eine WM qualifiziert, was vor allem daran liegt, dass im Zedernstaat trotz enormer Fußballbegeisterung junge Talente nicht systematisch gefördert werden. Der Fußballverband hat kein Geld. Fußball ist seit ein paar Jahren eine Arena für die Austragung politischer und konfessioneller Rivalitäten geworden, woran die libanesischen Politiker maßgeblich die Schuld tragen. 

Also identifizieren sich die Libanesen mit den Nationalmannschaften, denen sie einen Sieg zutrauen. Denn schließlich will man am Ende etwas zu feiern haben. Und feiern tun sie lautstark, hemmungs- und gnadenlos. Bis tief in die Nacht. Der Libanese an sich braucht offenbar nicht sehr viel Schlaf, anders ist es kaum zu erklären, dass er morgens im Service-Taxi auf dem Weg zur Arbeit schon wieder hitzig über die jüngsten Spielergebnisse debattiert. Meine deutschen Gene scheinen mich da anders programmiert zu haben. Drum bin ich mir trotz ohnehin nur verhalten vorhandenem Patriotismus nicht sicher, ob ich mir wünsche, dass die deutsche Mannschaft bis ins Endspiel kommt. Andererseits, wenn es nicht die Deutschen sind, dann sind es eben die Brasilianer. An der Begeisterung und am Lärmpegel in Beiruts Straßenschluchten wird das wenig ändern. Da es kein Entkommen gibt, wird mir nichts anderes übrig bleiben als tapfer durchzuhalten. Inshallah. 

 

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Rundes im Eckigen am frühen Morgen. Und Tröten auf die Ohren

Das Gute an der bösen Niederlage für die Australier heute früh beim Fussballspielen in Südafrika? Nicht sonderlich viel. Aber wir denken hier unten gern positiv, sind eine Sportsnation, leben im Land des fair-go, und auch verlieren muss können, wer mal gewinnen will. Daher nenne ich jetzt rasch die zwei Vorteile des 0 zu 4 aus australischer Sicht- (und Hör)weise:

Erstens haben die meisten Australier das Debakel nicht live ansehen müssen. Um 4.30 Uhr am Montag morgen (Anpfiff) schlafen hier einfach viele. (Auch wenn Queen’s Birthday und damit Montag Feiertag war. Jedenfalls überall außer im Westen Australiens, wo die Queen an einem anderen Tag geboren ist). 

Zweitens haben die meisten das Desaster nicht mit anhören müssen. Weil sie ob des nervigen Getrötes dieser Trompeten kaum die Kommentare geschweige denn was anderes hören konnten und die TVs auf “mute / Stumm” geschaltet hatten. Oder eben aus. (Damit war ich offenbar wenigstens nicht die einzige, der diese Tröten total auf den Keks gehen.) In Australien ist “Soccer” eh ein Randgruppensport und was für Grundschulkinder. Diese seltsam summend penetrante Hörfolter hilft nicht gerade, den Sport ums runde Leder aus der Nische zu locken. 

Ok, wenn jemand die Uhrzeit der Spiele etwas sportlicher gestalten würde und die Australier doch noch ein Tor schössen, könnte sich das ändern. Sogar ohne Ton, eventuell. Wir bleiben dran. 

Ps. happy Birthday, Queen E.!

(PPs: die Autorin ist Exil-Anhängerin des sangesstärksten Vereins der Bundesliga, daher sicher nicht gegen Geräusche auf dem Platz, schon aber gegen blödes Gebrumme, and to be honest: what’s the point?). 

 

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Zensur: Von Deutschland lernen?

Über ein faszinierendes Abkommen zwischen Deutschland und dem Videoportal Youtube berichtet der türkische Telekommunikationsminister Yildirim – faszinierend für mich jedenfalls, denn ich habe davon noch nie gehört: Die deutsche Justiz, so der Minister, sei ständig online mit Youtube verbunden (was ja an sich keine Kunst ist, wenn sie denn Internet-Zugang hat). Über diesen direkten Draht verschicken deutsche Staatsanwälte demnach sofort eine Warnung, wenn ihnen ein Video nicht gefällt; wenn es dann nicht binnen 72 Stunden aus dem Netz verschwinde, werde es von Youtube gesperrt.

Mir kommt das etwas merkwürdig vor, aber ich kann das ebenso schwer nachprüfen wie all die anderen türkischen Internet-Nutzer, denen Yildirim das erzählt, weil Youtube für uns in der Türkei ja schon seit Jahren komplett gesperrt ist. Immerhin können wir uns jetzt denken, was Yildirim von den Youtube-Vertretern verlangen wird, die diese Woche nach Ankara kommen, um die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Blockade zu sondieren – über die 15 Millionen Euro hinaus, die Ankara als Eintrittsgeld verlangt.

Sollte eine Einigung auf das von Yildirim skizzierte Modell hinauslaufen, wird Youtube personell kräftig aufstocken müssen, um all den Zensurwünschen der türkischen Staatsanwälte nachzukommen. Im World Wide Web sind hierzulande tausende Adressen gesperrt, darunter natürlich Dutzende kurdische Medien und linke Webseiten, aber auch allerlei unpolitische Seiten wie das internationale Anzeigenportal www.expatriates.com. Warum, das bleibt wie immer das Geheimnis der türkischen Behörden: Die Adresse sei auf Grundlage des türkischen Internet-Gesetzes vorbeugend geschlossen, lautet der kryptische Standard-Hinweis.

 

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Robert mit den Steinhänden

 

 

 

Die Fähnchen flatterten an jedem Auto. Es gab Auffahrunfälle. Jeder Engländer wollte, musste gestern abend zuhause sein. England-USA!! Die Würstchen zischten auf den Fertiggrills, das Budweiser floss die Kehlen hinunter, das weiß-rote England-Makeup leuchtete in der Abendsonne. Der Guardian hatte für die erste Begegnung der Engländer extra ein Extraheft produziert. Der Sieg war so gut wie in der Tasche. Amerika und Fußball, hahaha!!

 

Dass der Sieg nun an den, so der Daily Mirror, ‘Klumpenhänden’ des tragischen, britischen Torhüters Robert Green scheiterte, wächst gerade zur Staatsaffäre aus. Was, wenn nun das ganze Turnier der Engänder an diesem fatalen Patzer scheitert?

Beim Eurovision Song Contest vor zwei Wochen landete Großbritiannien auf dem letzten Platz. Die Ohrfeige war so schallend, dass sie den Briten, die jede Form von Wettbewerb lieben, nicht einmal mehr weh tat.  War diese qualitative Watschen ein schlechtes Omen für die WM? Hoffentlich nicht, denn je früher England ausscheidet, desto länger muss ich mir die höllische Laune der enttäuschten Engländer antun. Wie immer: Die unterschätzten, heimlichen Besten!

 

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Die Fußball-WM – Business as usual?

Vor genau einem Jahr saß ich mit Kai Schächtele im La Siesta Resort am Roten Meer im Cafe »Cute«. Zusammen mit Dutzenden Ägyptern guckten wir das Confed-Cup-Fußballspiel Ägypten–Italien auf einem Großbildschirm. Ein denkwürdiger Abend. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich mir ein Fußballspiel anschaute, Kai zuliebe, ich wollte ein guter Gastgeber sein. Die Stimmung war hervorragend, Ägypten gewann 1:0.

Jetzt beschäftigt mich Fußball wieder, und wieder ist Kai schuld. Gemeinsam mit Christian Frey präsentiert er täglich Reportagen in Text, Ton & Bild aus Südafrika, die ich einzigartig nennen möchte. Das müssen sie sein, wenn sogar einer wie ich jeden Tag guckt, was es Neues gibt. Unbedingt selbst anschauen: Die WM – ein Wintermärchen.

Während für den Fußball eigentlich verlorene Seelen wie meine vielleicht doch gerettet werden können, haben viele wirkliche Fans in Ägypten das Nachsehen. Der World-Cup-Song, von Nancy Ajram auf Arabisch produziert (bei Youtube hier), stimmt sie auf die WM ein, aber sie können sich die Fußballübertragungen nicht leisten. Bis heute ist mir ein Rätsel, wie ein globales Gesellschaftsereignis, das von der Leidenschaft von Millionen von Menschen lebt, in die Hände solch einer raffgierigen, mitleidslosen Clique wie der FIFA fallen konnte. Auch diese WM ist in Ägypten weitestgehend nur im Pay-TV zu sehen. Detailliert beschreibt das Karim El-Gawhary in seinem Blog.

Vor vier Jahren war es ähnlich. In den Wochen vor der WM 2006 in Deutschland stieg das Fußballfieber in Kairo mit jedem Tag. Dann plötzlich stand fest: Dem staatlichen ägyptischen Fernsehen waren die Übertragungsrechte zu teuer. Während die Welt Fußball guckte, hingen in Kairo die Deutschlandfahnen stumm an den Fenstern. Die WM fand – gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – auf dem arabischen Bezahlsender A.R.T. statt. Ein entsprechendes Abo hatten damals nur eine Million Leute in dem 80-Millionen-Land. Wie weh das tun musste, kann nur ermessen, wer einmal Ägypter beim Fußballgucken beobachtet hat. »Jetzt hat uns der Kapitalismus«, sagte damals ein Taxifahrer in Kairo zu mir, »auch noch den Fußball weggenommen.«

Manch ein Ägypter schaffte es, den Code zu knacken, andere konnten sich den überteuerten Tee in jenen Kaffeehäusern leisten, die die Spiele übertrugen. Dass das allerdings eine Minderheit war, konnte ich HÖREN. Als die WM 1994 in den USA stattfand, wurde noch frei übertragen. Ich wohnte damals in der Kairoer Altstadt, in einem Viertel von Ahmed Normalverbraucher. Wegen der Zeitverschiebung erklang der Jubel bis nachts um vier bei jedem Tor aus den Wohnungen der Nachbarschaft. Eine Stadt voller Fußballnarren vier Wochen lang im Ausnahmezustand. Während der WM 2006 in Deutschland war es anders. Kairo blieb still, kein Jubel, kaum irgendwo. Die deutschen Zeitungen verkündeten stolz, wie sehr die deutschen Gastgeber das Ausland begeisterten. In Ägypten durften viele das nicht erleben, weil sie nicht genug Geld haben.

Es wurde sogar extra die Ausstrahlung von ARD und ZDF über den Hotbird-Satelliten eingestellt. Einen ganzen Monat lang zeigte die ARD das Programm ARD Extra mit aufgewärmten Wiederholungen von irgendwas, und auf ZDF lief der Kanal ZDF Doku mit spannenden Themensendungen über Makramee u. ä. Wenn ich in Kairo auf einem dritten Programm um 20 Uhr die Tagesschau guckte, passierte folgendes. Sobald ein aktueller Kurzbericht von den Spielen vom Tage begann, wurde der Bildschirm schwarz und es erschien der Satz: »Aus lizenzrechtlichen Gründen etc.« Und das alles nur, damit die Schmuddelkinder an den Katzentischen der Welt nicht doch noch kostenlos was von der WM sehen, und sei es nur ein Fünf-Minuten-Beitrag in einer Sprache, die sie nicht verstehen.

In diesem Jahr hat sich der verschlüsselte Sportkanal von Al-Dschasira die Übertragungsrechte für die arabische Welt gesichert. Man will, heißt es, einige Spiele unverschlüsselt bringen. Das Trauerspiel hat damit kein Ende. Am ersten Tag kam das Signal über NILESAT nur verkrüppelt in die Haushalte. Al-Dschasira vermutet Sabotage, wie hauseigene Kanäle berichten. Der Satellit wird von der ägyptischen Regierung betrieben, und der ist Al-Dschasira ein Dorn im Auge.

 

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Was soll nur aus Vater und Mutter werden?

 Die Stadt Bern, so war kürzlich zu lesen, zieht alle Fussgängerstreifen aus dem Verkehr. Zum Glück aber müssen keine Markierungen von den Strassen gekratzt werden, auch künftig können die Berner und Bernerinnen auf den speziell gekennzeichneten Flächen die Strasse sicher überqueren. Diese Orte sollen ab sofort “Zebrastreifen” statt “Fussgängerstreifen” heissen, denn das ist geschlechterneutral und damit absolut politisch korrekt. Die Stadtverwaltung hat ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen, im Amtsdeutsch künftig auf neutrale Formulierungen zu achten.

Die Schweiz hält ihre Neutralität seit Jahrhunderten hoch, jetzt soll auch die Sprache geschlechterneutral werden. Was auf die Berner zukommt haben die Winterthurer schon lange. Dort wird seit bald zehn Jahren auf politisch korrekte Sprache geachtet. In Winterthur heisst es nicht mehr “Anfängerkurs” sondern “Einstiegskurs”, und kein Mitarbeiter und keine Mitarbeiterin käme mehr auf die Idee, in einem “Benutzerhandbuch” nachzuschlagen, denn es gibt ja auch das “Bedienungshandbuch”.

Natürlich fragen sich nun Spötter (und Spötterinnen?), ob da nicht gerade wieder mal Steuergelder sinnlos verprasst werden, und ob sich Frauen durch “Fussgängerstreifen” tatsächlich diskriminiert fühlen.

Tatsächlich aber schreibt auch ein drei Jahre altes Bundesgesetz vor, dass in der Schweiz künftig in Formularen Neutralität zwischen Frau und Mann gewahrt werden muss. Wer ein Auto fahren will, braucht dafür qua Gesetz einen “Fahrausweis” und eben nicht den “Führerausweis”. Eine geschlechterneutrale Sprache ist, wie man – Verzeihung, wie Lesende lesen können, gar nicht so schwierig. Schreibende müssen sich nur daran gewöhnen. Es gibt sogar einen 192-Seiten langen Leitfaden, damit sich alle Beamten und Beamtinnen auf sprachlich und politisch korrekten Terrain bewegen können.

Seltsamerweise wird dort auch empfohlen, “Mutter” und “Vater” durch “Elternteil” oder gar “das Elter” zu ersetzen. Hm, das scheint ein wenig zu weit zu gehen, oder? Und was machen nun wir zum Beispiel mit “Staubsauger”, “Waschmaschine”, “Büstenhalter” oder der “Trinkerleber”. Hoffentlich kümmert sich jemand darum. Bitte um Formulierungsvorschläge…

 

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Fluch und Segen des schwarzen Goldes

Svolvaer, die winzige Inselhauptstadt der Lofoten: Im Konferenzsaal des neuen Thon-Hotels preist Umweltminister Erik Solheim die Schönheit der Landschaft. Die archaische Inselwelt mit ihren gewaltig aufragenden Granitfelsen sei das Schönste, was das Land zu bieten habe. „Ein modernes Land“ im Übrigen, mit zivilisierten Umgangsformen, strengen Gesetzen und dem „weltbesten Verwaltungsplan“ für seine Naturschätze, so der Minister. Die Deepwater Horizon-Havarie gibt dem fortschrittlichen Norweger dennoch zu denken: „Das ist nicht in irgendeinem korrupten Entwicklungsland passiert und betroffen war einer der weltgrößten Energiekonzerne.“ Die Katastrophe hat die Norweger aufgeschreckt, die auf öffentlichen Hearings wie gestern in Svolvaer über die jüngste Konzessionsrunde für die Petrokonzerne beraten. Die Hälfte der zur Erkundung beantragten Fördergebiete liegt in sensiblen Küstengewässern sowie in den arktischen Gewässern der Barentssee.

 

Aus dem fernen Oslo ist reichlich Politprominenz angereist: „Eine gedeihliche Koexistenz von Fischereiwesen und Petroindustrie ist möglich“, sagt Fischereiministerin Lisbeth Berg-Hansen. Sie vertritt die Interessen der zweitwichtigsten Branche des Landes. Um das weltbekannte Gütesiegel „Fisch aus Norwegen“ sorgt sie sich nicht.

Dabei warnt das Meeresforschungsinstitut in Bergen in alarmierendem Tonfall vor dem Vorstoß der Petrokonzerne in die sensiblen Gewässer der Lofoten und Västerålen. Der Kontinentalsockel ist schmal, das Gebiet über viele Monate in Dunkelheit gehüllt und von Stürmen geplagt, mächtige Meeresströmungen würden eine Ölpest weit verbreiten, die Strände wären kaum zu reinigen: Auch aus fast jeder der über 300 Seiten des wissenschaftlichen Berichts von 26 Forschungsinstitutionen zum Verwaltungsplan ließe sich die Botschaft herauslesen: Lasst es bleiben!

Dann geht es hoch her, im Saal wie auf dem Podium: Studien zu den Auswirkungen der seismischen Erkundungen seien manipuliert worden, ruft ein Fischer. Dass die Industrie viel zu großen Einfluss auf die Studien nimmt, kritisieren auch Umweltschützer – und fordern dringend mehr unabhängige Forschung. Einigen der rund 200 Teilnehmer des Hearings drängt sich der Eindruck auf, über die neuen Konzessionen für die Inselgewässer sei bereits entschieden.

„Wir nehmen die Katastrophe im Golf von Mexiko sehr ernst“, entgegnet  Ölminister Terje Riis-Johansen. Konzessionen in der Tiefsee und in sensiblen Küstengewässern würden erst vergeben, wenn die Ursachen für das Desaster restlos aufgeklärt sind.

 

Frederic Hauge meint, diese schon zu kennen: „Alle großen Spieler der Branche versuchen, die Kosten zu senken, Arbeiter werden unter Druck gesetzt, Risiken ignoriert, Leckagen in Kauf genommen“, sagt der streitbare Gründer der Umweltorganisation Bellona.  Auch der Staatskonzern Statoil sei da keine Ausnahme. Mit einer Dokumentation der jüngsten Unfälle und Beinahe-Katastrophen will Bellona verdeutlichen: Eine verheerende Ölpest wäre auch in Nordsee, Norwegischer See und Barentssee jederzeit möglich. Und ihre Folgen würden alles bislang Gesehene in den Schatten stellen.

 

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Wie bleibt man Fußball-WM-Fan in der Fußball-Diaspora USA?

Man rottet sich mit Gleichgesinnten in heruntergekommenen Kneipen zusammen, die die Spiele via Pay-per-View bestellen und das Geld, das sie dafür bezahlen auf die sowieso schon hohen Bierpreise draufschlagen. Oder man schaut sich die Spiele zu Hause auf dem spanisch-sprachigen Fernseh-Kanal an. Das kostet nichts. Man versteht nur leider abgesehen vom GOOOOOOOOOOOOOOAL-Jubel der begeisterten Schnell-Sprecher-Kommentatoren so gut wie nichts.

So war das jedenfalls bei den bisherigen Fussball-Weltmeisterschaften.

Diesmal ist alles anders!

ESPN, der führende Sportkanal der USA überträgt alle Spiele – ALLE SPIELE – der Weltmeisterschaft live. Und dann gibt es am Abend auch noch Wiederholungen und Zusammenfassungen. Schon in der Vorbereitung auf die Spiele gibt es bisher unvorstellbare Höhepunkte der US-Fußball-Berichterstattung, darunter ein Drei-Minüter über Deutschlands Gewinn des WM-Titels 1974 mit Gerd-Müller-Interview!

Trotzdem kommt ehrlich gesagt nicht so richtige WM-Stimmung auf in den USA. Die Nation ist im Basketball-Playoff-Fieber. Los Angeles spielt gegen Boston. Das entspricht was Leidenschaft und Animositäten angeht in etwa den Begegnungen Deutschland – Niederlande! Deshalb sind auch die Lakers auf der Titelseite der Los Angeles Times, ganz vorne und im Sportteil! Kobe Bryant, LA Lakers Star und Fußballfan, tut sich mit seinem Team gegen Boston schwer und so wird zum WM-Auftaktspiel noch kein Sieger der Playoffs fest stehen. Und gegen diese Begegnungen hat selbst das erste Spiel der USA im Turnier gegen England keine Chance was Einschaltquoten angeht. Ganz abgehsehen davon, dass in den USA niemand an einem Samstag um sieben Uhr morgens aufsteht, um Fußball zu sehen?

Halt – niemand? Nicht wahr – in diesen Momenten merkt man wieder, wie wunderbar es ist, in einer Stadt wie Los Angeles zu leben – man muss sich nur das richtige Stadtviertel, die richtige Kneipe aussuchen und schon wird man erfasst vom Fußball-Fieber. Denn wahre WM-Leidenschaft gibt es natürlich überall in den USA – abgesehen von der Mehrheit der Football/Basketball/Baseball-fanatischen US-Bürger – unter allen eingewanderten Volksgruppen. Die spanisch-sprachige Tageszeitung La Opinion ist voller WM-Berichte, Tipps, Portraits, Analysen und anderen überlebensnotwendigen Informationen und Weisheiten zum Thema Fußball-WM. Das WM-Eröffnungsspiel Südarfika gegen Mexiko werden viele wahre Fans deshalb in einer der mexikanischen Kneipen anschauen. Morgens um sieben Uhr! Bei vermutlich völlig überteuertem Corona-Bier … 

 

 

 

 

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Alle Jahre wieder

Es ist wieder Juni und wieder bin ich für eine Konferenz einige Tage in Berlin (siehe meinen EIntrag von Juni 2009 und wenn dieser jenem sehr ähnich ist, ist das gewollt). Diesmal hat man mich im Marriott einquartiert. Das Haus am am Potsdamer Platz gehört zu den nobelsten der Hauptstadt. Im Frühstücksraum angekommen, blickte ich am ersten Morgen in nahezu fieberhafter Erwartung auf das Zeitungsangebot, das mir präsentiert wurde. Zwar habe ich im Kopenhagener Büro zwei deutsche Tageszeitungen, doch kommt die eine stets einen Tag zu spät. Ein solches Hotel aber würde mir sicher die Wahl lassen zwischen den aktuellen Ausgaben von FAZ, FTD, Welt, Handelsblatt, SZ sowie einigen ausländischen und regionalen Blättern.

Eine Wahl, die bei mir meist dazu führt, sich in Flieger und Hotel etwas beschämt mindestens fünffach zu bedienen. Am liebsten würde ich in solchen Fällen immer allen Umstehenden, die sehen, wie ich so viele Zeitungen abgreife, entschuldigend und mit einem Lächeln zuflüstern “Ich bin Journalist”.

Im Marriott war das gar nicht nötig. In der Auslage gab es den Tagesspiegel, USA Today und immerhin eine der überregionalen Qualitätszeitungen: Die Welt.

Mit der Welt war das Marriott schon einmal besser aufgestellt als vergangenes Jahr das im Grunde genommenen noch noblere Swissotel. Aber was heißt es, wenn ein solches Haus es nicht für nötig hält, seinen Gästen mehr als ein großes, überregionales Blatt ohne Spartenfunktion anzubieten? Dass die Berliner Blätter sich als überregionale sehen, ist bekannt. Geteilt wird diese Meinung aber vor allem in der eigenen Redaktion. Ist es also ein Beweis dafür, dass in Berlin die Berliner Medien als die besten angesehen werden (These: überzeugte Berliner)? Oder sind Zeitungen heutzutage so uninteressant, dass die Gäste großer Häuser sich nicht drum scheren, was sie als Lesestoff geboten bekommen (These: Krise des Journalismus)? Oder hat das Hotel einfach eine schlechte Geschäftsführung, ist gar die Branche in Mediendingen unbewandert (These: Krise der Hotellerie)?

Fortsetzung folgt vielleicht im kommenden Jahr.

 

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Schiffbruch unter stolzer Flagge

 

Per Edström am Wrack: Im letzten Herbst ist ihm seine „Pamela“ gekentert.  „Schon seltsam, dass Boote schneller rosten als Menschen“, bemerkt der 81-jährige Theatermacher lakonisch. „Selbst bin ich noch nicht ganz so weit.“ In den guten alten Zeiten waren Edström und seine Kumpane von der „Republikanischen Segelvereinigung“  ein Schrecken der Meere. Sie hielten es schlicht für unwürdig, dass man im schwedischen Musterland den Posten des Staatsoberhaupts vererbt.

 

 

 

 

 

„Die Initiation bestand darin, im feinen Clubhaus der Königlichen Segelgesellschaft auf Sandhamn eine Mütze zu stehlen und das Wappen mit der Königskrone herauszuschneiden“, erinnert sich Edström. Bei republikanischen Regatten wurde so manche Königspuppe guillotiniert. Stets versank das edle Haupt unrettbar tief in dunklen Fluten.

Im Freihafen der Piraten auf der idyllischen lnsel Värmdö in den Stockholmer Schären stapeln sich Oldtimer, Skulpturen, ausgediente Kulissen und rostige Maschinenteile in byzantinischer Fülle. Doch nach einem halben Jahrhundert des vergeblichen Widerstands fühlen die Kämpen von einst kaum noch Wind in den Segeln. „Auch Republikaner können aussterben“, philosophiert Edström über den royalen Klimawandel. Fraglich, ob die gebrechliche Crew noch in der Lage ist, ihr Mutterschiff zu bergen. Dabei war „Pamela“ einst die Königin der Meere, behauptet der betagte Skipper. „Der norwegische Entdecker Fritjof Nansen schipperte mit ihr nach Grönland. Dann ging es einmal um die Welt, 20 Jahre lag sie vor Bali. Und kehrte dann in nordische Gewässer zurück, wo ich sie vor vielen Jahren gekauft habe. Leider habe ich dieses Erbe nicht besser verwaltet.“

 

 

Der Kiel schlug um, das Schiff lief voll. Und nun liegt es ein Fußbreit unter Wasser. Doch Edström hat noch Träume. Bis zur Hochzeit der Kronprinzessin Victoria mit ihrem Fitnesstrainer Daniel bleiben ein paar Tage. Seine “‘Pamela” will er heben. Und Kurs setzen auf das königliche Schloss und auf die Festgemeinde. „Ein wenig Pumpen, ein wenig Ziehen. Dann taucht sie wieder auf – mit unserer stolzen Flagge im Mast.“

 

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DER NACHSCHLAG ZUM KAHLSCHLAG

Die Logik der Belgrader Stadtväter bleibt weiter unverständlich: Sie holzen zuerst fast 500 alte Bäume ab.  Trotz Proteste wüten die Kettensägen, der Polizeischutz schützt nicht die Bäume, sondern die Arbeiter. Das ganze Vorhaben wird mit einem Gutachten begründet: Die Wurzeln der Bäume seien zu breit, die Kronen zu dicht. Kurz um, die Platane sind für Mensch und Tier gefährlich. Also, ab mit denen.

Nur zwei Monate später, vermeldet die Stadtverwaltung stolz: Belgrader, ihr bekommt eure Platanen wieder! Das Gutachten lautet diesmal: Die Platane sind gut geeignet für Mensch und Tier, ihre Wurzelballen werden gebändigt, der Wuchs der Kronen kontrolliert.

Glücklicher Belgrader! In etwa 60 – 70 Jahren werden sie wieder im Schatten der großen Bäume sitzen können.

 

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2 Gründe warum Australien nicht die Eurovision gewonnen hat

1.: Dem Land, in dem Rockstars wie Ex-Midnight-Oil-Sänger Peter Garrett Minister werden, fehlt das musikalische Talent. Eine gewagte Behauptung, zugegeben, wird aber gleich bewiesen: Hören Sie sich mal das neue ‘Aussie-Lied’ an. Nee, nee, halb anhören und dann wieder weg klicken gilt nicht! Schön den Regler auf laut und ganz bis zum Ende durchhalten. Und?

Eben, sag ich doch. Aber für derlei Treffsicherheit im Notenspektrum und für die dazugehörige Kampagne hat die Regierung hier unten grade 150 Millionen australische Dollar (102 Mio Euro) ausgegeben. Mein Tipp: keine douze points.

2.: Australien liegt nicht in Europa. 

 

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Ein Rasen ist kein Rasen

 

Der Andrang war spektakulär: Hunderte drängten sich vergangenen Freitag in der 66. Straße von Manhattan. Und warum? Ein Rasen wurde eingeweiht! In Nullkommanichts nahm die Meute das Fleckchen Grün in Besitz. Exzentrisch gekleidete ältere Damen breiteten Strandmatten aus, Jugendliche übten das Radschlagen, Schulklassen fielen über ihre Sandwichs her. Es war so voll wie im Hochsommer eine Badeanstalt, mit dem Unterschied, dass nicht Bademeister, sondern Polizisten das Treiben überwachte.

Okay, es war auch nicht irgendein Rasen, sondern eine skulptural gestaltete Grünfläche im Lincoln Center, dem großen Opern- und Konzertkomplex an der Upper West Side. Außerdem gab es kostenlose Zitronenlimonade. Trotzdem wäre soviel Bohei um ein bisschen Grün in Stuttgart oder Hamburg undenkbar. In Deutschland ist ein Rasen, nun ja, eben ein Rasen. Doch im hochhausdominierten New York gelten andere Maßstäbe, dort wird jedes Stückchen Natur in Ehren gehalten. Ein Rasen ist hier ein Heiligtum.

 

Nicht nur Rasen – alles, was grün ist, gilt als unantastbar. In meinem ersten New Yorker Sommer ärgerte ich mich über ein paar Zweige, die den Treppenaufgang versperrten. Ich schickte den Vermietern eine Mail und bot an, sie mit der Heckenschere abzuknipsen. Die Antwort kam innerhalb von Minuten, und der Ton war so entsetzt, als hätte ich vorgeschlagen, den gesamten Garten mit Unkraut-Ex zu übergießen. „Christine, PLEASE DO NOT CUT THE TREE!“ Sie würden sich selbst um das Problem kümmern. Das Ergebnis war einige Tage später eine kunstvolle Seilkonstruktion, mit deren Hilfe die Äste hochgebunden wurden.

 

 

 

 

Dabei hat New York viel mehr Grün als gemeinhin bekannt. Über 1700 städtische Grünanlagen gibt es in der Stadt, vom Central Park, den jeder kennt, bis zu winzigen Straßengärten, oft nach einer lokalen Berühmtheit benannt. Für die Pflege ist das „New York City Department of Parks & Recreation“ zuständig, eine riesige Behörde mit rund 10 000 hauptamtlichen Mitarbeitern, die außer den Grünanlagen noch 1000 Spielplätze, 600 Sportplätze und 14 Meilen Strand betreut. Hinzu kommen unzählige private Parks, oft von Millionären oder Grundstücksbesitzern gestiftet und von Freiwilligen bewirtschaftet. Einige sind perfekte Großstadtoasen, wie der Greenacre Park in der 51. Straße, gespendet von Abby Rockefeller Mauzé. Andere sind von einem hohen Zaun umsäumt und, wohl aus Angst vor Randalierern, meistens abgesperrt, wie der LaGuardia Corner Garden im Greenwich Village.

Last not least gibt es 600 000 Straßenbäume, die von Anwohnern liebevoll umsorgt und gegossen werden. Häufig bepflanzen sie die Erde um den Stamm herum mit Stiefmütterchen oder Tulpen. Und wenn der Baum wächst und die Wurzeln die Steinplatten des Bürgersteigs zu heben drohen? Dann kommen Bauarbeiter und schneiden ein größeres Loch in den Beton. In unserer Straße ist der Gehsteig an manchen Stellen so schmal, dass Mütter mit Kinderwagen auf die Straße ausweichen müssen. Aber einen kleinen Umweg nimmt man zugunsten der Natur doch gerne in Kauf.

Und wehe, ein Radfahrer wagt es, sein Gefährt an einen Baum anzuschließen. Das kostet bis zu 1000 Dollar Strafe. “Ketten und Schlösser können die Rinde und die innere Haut des Baums beschädigen”, belehrt die Parkverwaltung. Als eine Kollegin kürzlich abends aus der Kneipe kam, konnte sie gerade noch zwei Männer mit einem riesigen Bolzenschneider davon abhalten, ihr Fahrradschloss zu knacken. Es handelte sich keineswegs um Diebe, sondern um Mitarbeiter des Ordnungsdienstes, die das Fahrrad abschleppen wollten – wegen Parkens an einem Baum.

 

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Bilderbuchholländer

Neulich sass ich für ein Interview bei einem deutschen Facharzt in einem niederländischen Krankenhaus. Immer mehr deutsche Fachärzte zieht es über die Grenze. Nicht allein wegen des Geldes, versicherte mir der junge Deutsche. Ausschlaggebend für ihn war das Klima am Arbeitsplatz und die Mentalität: Die Holländer, so begann er zu schwärmen, seien so schön “locker vom Hocker”….Sie haben mit Hiercharchien nichts am Hut, sagen sofort “Du”, sind pragmatisch und unkompliziert, und sie brüllen auch nicht sofort: ”Das ist verboten!” Holländer sind  kreativ, aufmüpfig, geistreich, flexibel…. der deutsche Facharzt war kaum zu bremsen in seiner Begeisterung. Doch wem sagte er das? Schliesslich war ich selbst lange genug hier, um das alles zu wissen!

Stimmt. Lange genug jedenfalls, um herauszufinden, was Altfussballer Johan Cruijff meinte, als er die legendären Worte sprach: “Ieder voordeel heeft zijn nadeel”- “Jeder Vorteil hat seinen Nachteil.”

Denn manchmal will ich Abstand halten und nicht sofort plump mit “Du” angeredet werden. Manchmal ist locker vom Hocker schlicht unverschämt und rüpelhaft. Und manchmal kommt mir das “Poldern” (sprich: Verhandeln bis zum Umfallen) aus den Ohren heraus und sehne ich mich einfach nur nach einem autoritären Chef, der mit der Faust auf den Tisch schlägt und eine Entscheidung trifft.

Kurzum: Mein Bilderbuchholländer hat Kratzer bekommen. Es ist wie mit einer langjährigen Beziehung: Die Verliebtheit ist vorbei, aber ohne diese Person will man auch nicht mehr sein.

Insgeheim bin ich deshalb überglücklich, dass alle Versuche, meinen Bilderbuchholländer zu zähmen, bislang vergeblich waren: Er pinkelt nach wie vor in die Grachten (ein Delikt, das ‘wildplassen’ heisst und eigentlich mit 60 € Strafe geahndet wird), stellt trotz Parkverbot überall sein “fiets” ab – und er bleibt auf Rolltreppen sowohl links als rechts grundsätzlich stehen und blockiert alles. Im Bahnhof von Leiden läuft derzeit zwar in Pilotprojekt, um ihm deutsche Manieren beizubringen – “rechts staan, links gaan”. Aber wetten, dass man ihn niemals so weit bringen wird? Auch wenn man sich als in Eile befindender Nichtholländer grün und blau darüber ärgert?

Manchmal allerdings muss der Bilderbuchholländer um sein Leben füchten. Zum Beispiel, wenn ihm die heimische Bahn mit drakonischen Strafen das Schwarzfahren abgewöhnen will. Das merkte ich ironischerweise gleich nach meinem Interview mit dem begeisterten jungen deutschen Facharzt auf dem Weg ins Büro. Von wegen flexibel und geistreich! “Oje!” sagte die Schaffnerin mit unheilverkündender Stimme, als sie und ich feststellen mussten, dass ich aus Versehen und Zeitnot im Fahrkartenautomat eine Wochenendrückfahrkarte gekauft hatte – und zwar auch noch eine ohne Datum, weshalb ich sie vor dem Betreten des Zuges hätte abstempeln müssen. Im Preis machte das zwar alles nichts aus, beide Karten kosteten genau dasselbe – aber dennoch, so konstatierte die Schaffnerin: Hier ging es um einen klarer Fall von versuchtem Schwarzfahren. Wie eine griechische Rachegöttin baute sie sich vor mir auf, erst recht, als ich es wagte, sie zu fragen, ob sie nicht ein Auge zudrücken könne….Das ware ja noch schöner, dann würde sie ja den ganzen lieben langen Tag nichts anderes tun als das! “Vorschriften sind Vorschriften!” Deshalb musste ich 35 € Strafe zahlen plus die Kosten für eine korrekte Fahrkarte. “Sie können ja schriftlich protestieren.”

Was ich dann auch tat. Und mein Geld zurück bekam. Was mich allerdings viel Zeit kostete, viel Energie und ellenlange Telefonate. Mein Bilderbuchholländer hing inzwischen am Tropf. Ich plante bereits seine Beerdigung.

Doch dann sass ich wieder im Zug. “Oje!” hörte ich den Schaffner neben mir sagen, als er merkte, dass der Geschäftsmann auf der anderen Seite des Ganges eine falsche Fahrkarte gelöst hatte. Und jetzt? Betreten blickte der Fahrgast zu ihm hoch. Doch der Schaffner stempelte die Karte ohne Zögern ab. “Eigentlich darf ich das nicht tun”, verriet er fröhlich augenzwinkernd. “Aber wir haben zehn Minuten Verspätung, und das gehört sich auch nicht!”

Hurra, er lebte noch – mein Bilderbuchholländer!

 

 

 

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Mondpreise für Wohnungen

Da wir demnächst umziehen, sehe ich auf den Straßen Shanghais nur noch Immobilienmakler. Überall stehen sie, teilen an der Straße Broschüren an vorbeihastende Passanten aus. Oder geleiten junge Paare, Familien, Singles in Apartmentblöcke, alte Villen oder umzäunte, begrünte Wohnanlagen. Junge Typen meist, mit dunklem Anzug, Schlips und weißem Hemd, und einer Klemmmappe unterm Arm. Ich bilde mir ein, selbst bei jungen Männern auf einem Moped zu erkennen, wer ein Makler ist und wer nicht.

Tolle Sachen haben die Wohnungsmakler hier in Shanghai im Angebot. Alte Villen ausländischer Diplomaten oder einstiger Shanghaier Drogenbarone in verwunschenen Gärten zum Beispiel – die sind inzwischen gerne mal für sagenhafte 100 Millionen Yuan zu haben: Gut 10 Millionen Euro. Unrenoviert auch mal für 5 Millionen. Ein echtes Schnäppchen. Sanierte Reihenhäuser in den alten Gassen, Lilongs genannt, kosten mindestens eine halbe Million Euro. Dieses Hochpreissegment zieht auch ganz gewöhnliche Wohnungen in guten Lagen mit. Vier kleine Zimmer in einem weiß gekachelten, 15 Jahre alten Hochhausturm für 480.000 Euro? Gar kein Problem. Irgendwas in Innenstadtlage für 4 Personen, so für 200.000 Euro? Stirnrunzeln. Vielleicht in einem der alten grauen Arbeiterblöcke noch zu haben. Günstige Wohnungen – das war einmal. Wer vor acht Jahren gekauft hat, war klug und ist heute reich.

In vielen Städten Chinas sind die Wohnungspreise allein im vergangenen Jahr um 50 Prozent oder sogar mehr gestiegen. Eigentlich müsste das ein Fest für die Makler sein. Ist es aber nicht. Denn die Preise sind zwar hoch, aber kaum einer kauft.  Eine Maklerin schleust grade jede Woche 30 Interessenten durch ein saniertes Altstadthaus. Vergeblich.”Nur wer wirklich eine Wohnung braucht, kauft heute”, sagt ein Kollege und nestelt an seiner Krawatte. ” Alle anderen, Investoren zum Beispiel, warten ab.” Nur worauf warten sie? Dass die Preise einbrechen? Das erwartet nichtmal der junge Makler. “Zum Jahresende werden die Preise trotz allem noch etwas höher liegen”, ist er sich sicher.

Und wer kann das alles noch bezahlen? Für normale chinesische Mittelstandsfamilien wird der Wohnungskauf immer schwieriger. Ein Drama, für die von Wohneigentum besessenen Shanghaier. Junge Männer, die keine Wohnung besitzen, bekommen keine Frau. “Sie mögen noch das Mädchen rumkriegen, die Schwiegermutter aber auf keinen Fall!” sagt Cindy Su. Sie hat Glück. Sie hat eine Wohnung und einen Mann. Ein Freund von ihr hat aus Verzweiflung gerade eine Wohnung in Kunshan gekauft, einer staubigen Industriestadt vor den Toren Shanghais. Wohnen will er da nicht. Aber es ist billiger, 700 Euro kostet der Quadratmeter. Und er hat den begehrten Trumpf in der Hand: Eine eigene Wohnung, die er zumindest vermieten kann.

Schon geht unter Experten und Politikern die Angst um, dass Chinas Immobilienmarkt eine Blase ist, die bald platzt – so wie 2008 in den USA. In Peking stürzten die Kaufpreise im Frühjahr um 800 Euro pro Monat ab, nachdem die Zentralregierung zuvor Hypothekenkredite verteuert und andere Hindernisse für Wohnungskäufer eingeführt hatte – vor allem für Investoren, die zwei oder mehr Apartments besitzen. Ganz abwürgen will das Land den Sektor aber nicht. Es braucht ihn für die wirtschaftliche Erholung. Und der Bausektor schafft viele Arbeitsplätze. Aber er ist auch anfällig für Korruption. Gerade verbot daher die Kommunistische Partei ihren Kadern, sich “in Bauangelegenheiten einzumischen”.

Wir mieten unsere neue Wohnung, genau wie die alte. Wurden wir dafür früher belächelt, liegen wir dank der Mondkaufpreise heute zunehmend im Trend. Die Mieten immerhin waren in der Krise gesunken. Und auch wenn sie wieder steigen, liegt das Niveau bisher nicht höher als vor der Krise. Und so sind die vielen jungen Makler wohl heutzutage vor allem mit potenziellen Mietern statt Käufern unterwegs. Auch wenn das natürlich viel weniger Kommission bringt. Besser als nichts. “Ich bin doch nicht verrückt und kaufe eine Wohnung”, sagt Jia Kan und lacht sich kaputt. “Bei den jetzigen Preisen bekommt man da nie vernünftige Erträge. Und mit einer Mietwohnung hat man viel mehr Freiheit, wenn man mal umziehen will.”

Seine Freundin hat ihn trotzdem kürzlich geheiratet.

 

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Eurovision in Teuerland

Bis Montag war ich eine Woche in Oslo, trat die Heimreise dann gerade noch rechtzeitig an, um dem goßen Ansturm für den Eurovision zu entgehen. 1500 Journalisten aus 70 Ländern wollen angeblich in der norwegischen Hauptstadt das Finale des europäischen Sängerwettbewerbs verfolgen. Meine Woche in Oslo verbrachte ich hauptsächlich mit Recherchen in Sachen Kunst und Architektur, aber weil alle davon sprechen, hier ein kleiner Vorgeschmack auf das Preisniveau in der norwegischen Hauptstadt:

1 Straßenbahnticket, 1 Stunde gültig: 40 NOK (ca. 5 Euro)

1 Bier, 0,33 l in der Kneipe 68 NOK (ca. 8,50 Euro)

schöne Aussicht und schwimmen im Fjord: unbezahlbar.

Die Schweizer Bank UBS listet Oslo im aktuellen Ranking als teuerste Stadt der Welt auf, Kopenhagen folgt leider schon auf Platz drei (dies gilt, wenn Mieten außen vor gelassen werden – üblich, um die Kosten für Reisende zu vergleichen).

 

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Zum Glück Buddhismus

In zwei Tagen ist Waisak, so heißt das buddhistische Neujahrsfest in Indonesien. Schon jetzt reisen buddhistische Mönche aus aller Welt in die zentraljavanische Sultanstadt Yogyakarta, in deren Nähe der größte buddhistische Tempel der Welt steht: der Borobudur. Die orangenen Kutten fallen als exotisch auf, denn Java ist überwiegend muslimisch und der Borobudur wird das restliche Jahr über als Touristenattraktion und Picknickplatz missbraucht.

Für einen Freund von mir, Yudi, wird dieses Waisak-Fest ganz besonders sein: Der als Muslim geborene Künstler wird zum ersten Mal als Buddhist daran teilnehmen, nachdem er im vergangenen Jahr offiziell die Religion gewechselt hat. Das ist im Grunde nichts Besonderes in einem als säkular geltenden Staat. Auch darf in Indonesien nur heiraten, wer derselben Religion angehört, was per se viele Menschen zu einem Glaubensübertritt motiviert.

In der sozialen Praxis allerdings tritt man nicht so einfach aus dem Islam aus (was nach muslimischem Recht wiederum gar nicht möglich wäre) – und das auch noch aus tatsächlichen Glaubensgründen. Yudi bekam dies zu spüren als er nach seinem zeremoniellen Eintritt in den Buddhismus nun auch seine offiziellen Papiere ändern lassen wollte: Sowohl im Personalausweis als auch in allen Familiendokumenten muss man in Indonesien seine Religion angeben. Auch nach einem Jahr im Kampf mit den Behörden, steht in seinem Personalausweis immer noch „Islam“.

Allmählich wird die Zeit knapp, denn ein neuer Gesetzesentwurf will tatsächlich den Austritt aus dem Islam in Zukunft verhindern – wie es zum Beispiel im Nachbarland Malaysia schon lange Gesetz ist. Yudi sieht es dennoch gelassen, eine Gelassenheit, die er offensichtlich in seiner neuen Religion per Meditation und Yoga findet. Er sieht es als Glück an, dass Buddhismus in Indonesien überhaupt als Religion zugelassen ist – denn außer dem Islam werden hierzulande nur Christentum, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus akzeptiert. Wer einem anderen Glauben angehört, erhält keine Papiere. Wollte er zum Judentum übertreten, müsste er auswandern.

 

 

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Wellenreitende Wolgabrücken und sibirische Schmelzwasserschamanen

Durch Russland fließt viel Wasser. Zum Beispiel die Wolga, mit 3530  Kilometern Europas längster Strom. Und weiter östlich, in Sibrien, der Jenissej, 5960 Kilometer lang, der Welt fünflängster Fluss. Russland meistert seine gewaltigen Flusslandschaften mit viel Schwung: Die erst vergangenen Oktober eröffnete Wolgabrücke von Wolgograd nach Krasnoslobosk ist mit 7,1 Kilometer die längste Straßenbrücke Europas. So wie das Sajano-Schuschensker Wasserkraftwerk am Jenissej mit 6400 Megawatt Leistung das größte Wasserkraftwerk Europas darstellt. Der 240 Meter hoher Staudamm gehört zu den 20 höchsten Staumauern der Welt…

Außerdem managt Russland Krisen verblüffend einfach: Bei einem Frühjahrssturm geriet die längste Brücke über den längsten Fluss Europas kürzlich in so heftige Schwingungen, dass selbst für ihre Nervenstärke berühmte südrussische Steppen- und Straßenhunde weder vor noch zurück wussten. (Russische Bloger machen sich auch noch drüber lustig: http://www.youtube.com/watch?v=aLNQlCVsA9E) Einige Tage rätselte die Öffentlichkeit, ob die Wellen reitende Wolgabrücke nun abbruchreif oder ein besonders flexibles Wunderwerk der vaterländischen Technik sei. Dann beschlossen die Behörden, die Brücke für Fußgänger, Pkw und auch Hunde wieder freizugeben. Wolgograder Pessimisten behaupten allerdings, Hunde seien seitdem auf dem Bauwerk nicht mehr zu sehen.

Den Staudamm von Sajano-Schuschensk und das dazugehörige Kraftwerk hat erst gar niemand dicht gemacht. Obwohl sibirische Wahrsager, aber auch allerlei Physiker und Ingenieure seit Wochen davor warnen, der Staudamm könne unter dem Druck der im Juni anstehenden Schmelzwasserfluten brechen. Diesen Winter fiel in den chakassischen Bergen, durch die der Jenissej fließt, doppelt soviel Schnee wie üblich. Außerdem gilt das Kraftwerk nach einem Wassereinbruch im Turbinenraum, bei dem vergangenen August 75 Techniker umkamen, als unsicher. Zahlreiche Bewohner der Städte flussabwärts sollen nach Angaben des Regionalfernsehens schon für alle Fälle das Weite gesucht haben. Die Energiegesellschaft „Rushydro“ aber, Europas größter Wasserkraftwerksbetreiber, rettete die Lage mit ethnologischer Rückbesinnung: Sie platzierte in ihrem Firmenblog einen Videoauftritt 5 sibirischer Schamanen. Die posieren in Pelzmützen und Volkstrachten am Fuß der Staumauer und verkünden, sie hätten seit Dezember die Geister beschworen, das Tauwasser langsamer fließen zu lassen. Die über- und unterirdischen Kräfte  hätten positiv geantwortet, die Überschwemmung falle aus. Man werde die Geister aber für alle Fälle weiter anrufen. (Im Originalton: http://www.youtube.com/user/RusHydro)

Pech für die gerade vom Hochwasser heimgesuchten Polen, dass Geister beschwörende  Medizinmänner bei ihnen ausgestorben sind. Ganz zu schweigen von noch westlicheren Europäern. Uns bleiben nur die Gummistiefel.

 

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Bleib im Hotel, stell keine Fragen, verbreite Panik

 Es ist das Schicksal der Südsee, dass sie außerhalb Ozeaniens nur als putziges Postkartenklischee stattfindet. Ist Berlusconis Italien „ein Traum“ oder gar „Paradies“, nur weil es dort Strände gibt? Sieht man in Belgien nichts als Kinderschänder und in Holland überall Gouda?  Wenn ja, dann sollte man vielleicht nicht über Italien, Belgien oder Holland berichten. Auch wenn man Dozentin für Journalistik ist, so wie Dr. Pia Heinemann. Aber leider darf sie dort, wo sie sich am wenigsten auskennt, verbale Panik verbreiten. Armes Fidschi.

Was immer die Redakteurin der WELT nach Melanesien geführt hat, bleibt ein Rätsel. Umso schlimmer liest sich der Skandal. Druckerpresse anhalten: Fidschi ist kein Robinson Club. Heinemann bemerkte auf ihrer Stippvisite mit scharfem Reporterblick, dass die Schiffe im Hafen rosten. Unerhört! Dunkelhäutige Menschen starrten sie auf der Straße an. Beängstigend! Fazit: „Die Insel ist ein Traum. Ein Wimpernschlag, und sie wird zur Hölle.“ Die Hölle liest sich so: „Kein Vogel ruft, kein Frosch quakt“, aber „ein Raubvogel hustet wie ein Hund“. Nicht nur die Natur ist gespenstisch. Weil das Gefängnis in Suva von außen ziemlich abgewrackt wirkt, weiß Panik-Pia, ohne je einen Fuß hinein gesetzt zu haben: Es ist „Grauen erregend“. Grauen erregend ist, dass so etwas abgedruckt wird. Aber bei den kleinen, fernen Ländern kommt’s ja nicht so genau drauf an. Da geht auch krasser Unfug: „Manchmal schießen die Milizen einfach so.“ Fliegen Sie besser nicht nach Bangkok, Frau Heinemann. Dort checkt vielleicht jemand Ihre Behauptungen gegen.

Tatsache ist: Fidschi ist ein faszinierendes, entspanntes und umwerfend freundliches Land. Leider ist es seit dem letzten Putsch auch eine Militärdiktatur und deshalb aus dem Commonwealth geflogen. Ob solche Sanktionen sinnvoll sind, darüber kann man streiten. Die Presse wird zensiert, es hat Repressalien, Verhaftungen und Ausweisungen gegeben, die Verfassung ist abgeschafft. Darüber muss man berichten. Hat das ‚Amnesty Journal‘ zum Beispiel getan. Dafür muss man aber ein paar Fragen stellen, selbst als Frau von WELT. Doch Heinemanns Recherche geht so: „Stell keine Fragen. Nimm niemanden mit. Halte nirgendwo an. Keine Fotos. Bleib im Hotel. Geh nicht in die Stadt.“

Suva, wie so manche Hauptstadt außerhalb Europas, ist nachts durchaus gefährlich. Kriminelle gibt es auch dort, wo die „Zykaden knattern“ und „Mangroven trotzen“. Also sucht die rasende Reporterin, offensichtlich tropenblind, nonverbal nach Informationen: „Die Menschen starren auf die Straße. (…) Ich kann ihr Gesicht nicht lesen. Sie lesen meines nicht. Fahr einfach weiter, halt nicht an, steig nicht aus.“

Vielleicht macht sie das ja auch in anderen Ländern so, wo es mit der Pressefreiheit hapert: Immer schön im Mietwagen bleiben und unter verschärften Bedingungen (getönte Scheiben? Regen?) den Passanten ihr Grauen erregendes Schicksal und die permanente Bedrohung vom Gesicht ablesen. So geht das. Ängstlich hingespürt, geschluckt, verdaut, ausgeschieden. Und dabei wichtige Randnotizen aufgeschnappt: „Die Schlaglöcher werden größer.“

Was größer wird, ist die Armut in Fidschi, weil Touristen sich von solchen Zerrbildern verschrecken lassen und den Menschen dort Unrecht tun. Was größer wird, ist die Dummheit der Eurozentristen. Was noch kleiner in den Köpfen der Leser wird: Die Südsee.

 

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Zum Champions-League-Finale: Höllenqualen für die italienischen Reporter

Wer glaubt, der größte Kampf im Champions-League-Finale fände auf dem Rasen statt, weiß noch nichts von den eigentlichen Dramen, die dieses Spiel bereithält. Unten mögen die Spieler rennen, doch schwitzen wird
man oben auf der Tribüne, dort, wo die Reporter des in Rom ansässigen Staatssenders “Rai” sitzen. Denn sie müssen am Samstagabend schreckliche Dinge sagen, Dinge wie “Swains-Taigere”, “Bats-Tubere” oder “Miullere”. Und das womöglich über 120 Minuten.

Deutsche Mannschaften sind von Italienern manchmal, deutsche Namen nie zu besiegen. Also werden sich die Reporter mühsam mit der Vokalmachete durch undurchdringliche Konsonanten schlagen –  um am Ende doch auf
ein völlig unbesiegbares Wortmonster zu stoßen wie “Hans-Jörg Butt”. Ich werde es mit Genuss verfolgen

Es klingt gehässig und ist auch so gemeint. Denn ich und meine Name, wir haben in vier Jahren in Rom genug eingesteckt. Schon in der Heimat wurde ich regelmäßig durch ein illegal einwanderndes “n” zum Grenzbeamten (“Zöllner”), in Italien wurde alles noch schlimmer. Vor allem mein geliebtes “ö” wurde komplett ignoriert. Es fing an mit Namenskärtchen, die auf einen gewissen “Martin Zella” hinweisen sollten und fand seinen Höhepunkt, als ich die Nennung meines Namens mit einem freilich unnötigen “Äh” begann –  worauf mir in aller Freundlichkeit eine Mappe mit der Aufschrift “Emartin Solar” übergeben wurde. “Emartin Solar”, so werden einmal in 50 Jahren  Putzmittel für Solarzellen heißen.

Ich gewöhnte mir also an, meinen Namen überdeutlich auszusprechen. Bevor ich ihn aussprach, schluckte ich, feuchtete meine Lippen an, drückte die Zähne auf einander um ihn dann in maximaler Deutlichkeit herauszustoßen. Das Ergebnis ließ zu wünschen übrig, die Menschen schauten mich ängstlich an. Sie glaubten, ich hätte sie auf teutonisch verflucht und warteten auf die Nennung des eigentlichen Namens nach dem so eben verklungenen, schrecklichen Geräusch.

Ich erhöhte die Trefferquote, nachdem ich mir das italienische Buchstabiersystem besorgt hatte.  Lässig rasselte ich dann die passenden Städte herunter:   “Zara Otranto Empoli Livorno Livorno Empoli Roma”. Je nach vermuteter Klugheit meines Gegenübers ließ ich “Empoli” weg und sagte: “Auf Otranto noch zwei Punkte”.  Es war ein großer Schritt. Das “ö” kam langsam zu seinem Recht.

Dass ich wieder weitgehend Frieden mit meinem Namen geschlossen habe, liegt aber an einem fußballbegeisterten Pizzaliferanten. Soeben hatte ich Hausnummer und Namen   – also die Reihe an Städtenamen – genannt, als aus dem Hörer kam: “Also wie Rudi Völler nur mit Z?” Ja genau, bestätigte ich, genau, “wie Völler nur mit Z”. Das “ö” hatte sich durchgesetzt – in Italien!

Seitdem führe ich mich überall als zweiter Rudi ein und es funktioniert immer, zumal Völler in Rom spielte. Mit seiner Hilfe wird mein Name nun korrekt geschrieben und obendrein eröffnet dies häufig eine angenehme Fußballdiskussion.

Am Samstagabend nun haben die Spieler des FC Bayern die Möglichkeit, ihre Namen für die italienischen Ohren unvergessen zu machen. Tausende Zweinsteigers, Zabstubers, van Zommels die einmal in Italien leben
wollen, werden ihnen danken. Nur Herr oder Frau Zutt sollten trotz allem ihre Namen weiter vorsichtig aussprechen, wenn sie sich auf “Ans-Jorge” Butt berufen. Denn “Zutt!”, das klingt schon wieder wie
ein teutonischer Fluch.

 

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Paris hinter den schicken Mauern

Paris ist sicherlich einer der glanzvollsten Städte der Welt. Aber nur wenige wissen, dass Paris auch eine der am dichtesten besiedelten Städte in Europa ist. Hunderttausende sind jedes Jahr bedroht, ihre Wohnung zu verieren, und viele leben zusammen gedrängt auf engsten Raum. Diesen Leuten hilft die Fondation Abbé Pierre, die mit einem eindrucksvollen Werbeplakat seit Monaten in der Métro um Aufmerksamkeit bittet.

Übersetzt: Man spricht viel vom Quadratmeterpreis. Und von den Leuten auf den Quadratmetern?

Das Plakat hat einen Preis gewonnen. Verdient, wie ich finde.

Foto: abfotografiert von der Metro von B. Markert

 

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Schnäppchenpreis

Dass Japan ein teures Land ist und die Lebenshaltungskosten insbesondere in der Hauptstadt Tokio außerirdische Dimensionen haben, ist nicht wirklich das, was man als “breaking news” bezeichnen würde. Ich will trotzdem drüber schreiben. Weil ich selber staune, wie leicht der Mensch – damit meine ich mich – sich an horrende Preise gewöhnen kann.

Als wir letztes Jahr nach Tokio zogen, waren meine ersten Einkäufe geprägt von, hm, nennen wir es ruhig Fassungslosigkeit. Der Käse kostet grob zwischen 2,50 Euro und 5,50 Euro – pro 100 Gramm. Macht für ein ordentliches Stück Parmesan mal eben 20 Euro. Einen Laib Brot, sollte er eine festere Konsistenz als Marshmallows haben, gibt es ab etwa fünf Euro. Für einen Liter Milch muss man 1,50 Euro oder mehr berappen. Über Preise für Öko-Produkte wollen wir gar nicht reden.

 

Inzwischen ist meine Einkaufswelt wieder halbwegs im Lot. Denn a) ist der Mensch (= ich) ein Gewohnheitstier, siehe oben. Es schmerzt nicht mehr ganz so, wenn die junge Japanerin an der Supermarktkasse einem mit bezaubernden Lächeln 100 Euro für ein mäßig gefülltes Einkaufskörbchen abknöpft. Und b) habe ich natürlich längst herausgefunden, wo es wann was etwas günstiger gibt.

Vor zwei Tagen habe ich mich dennoch bei der Lektüre des “Daily Yomiuri”  beinahe an meinem Frühstücksbrot verschluckt. Am Seitenende stand in einer unscheinbaren Meldung, dass für ein Paar Cantaloupe-Melonen bei einer Auktion in Sapporo sage und schreibe 1,5 Millionen Yen bezahlt wurden. Wow, mehr als 13.000 Euro für zwei Melonen! Für verderbliche Ware also, nicht für ein Gemälde oder eine tolle Kinderzimmereinrichtung oder einen Kleinwagen. Welch ein Irrsinn. Und dann stand da noch, dass der Rekordpreis von 2008 leider nicht übertroffen werden konnte: Vor zwei Jahren berappte jemand gar 2,5 Millionen Yen (22.000 Euro) für zwei sicherlich absolut perfekt aussehende Melonen.

Was war ich froh, als ich eine Stunde später in einem der Geheimtipp-Märkte Honigmelonen fand, die im Sonderangebot waren. Nur 200 Yen habe ich für eine halbe Frucht bezahlt. Das Triumphgefühl war perfekt, als meinen Kindern abends der süße Saft das Kinn runterlief, während sie nach mehr verlangten.

Preisfrage: Kann eine Melone, die das xxxxx-fache kostet, wirklich sooooo viel besser schmecken?     

 

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War das was?

Manche Leute glauben ja tatsächlich, Journalisten hätten ein aufregendes Leben.Die haben vermutlich noch keinen Staatsbesuch erlebt. Horst Köhler in China zum Beispiel. Im chinesischen Radio wird über Ba La Ke diskutiert, Michael Ballacks Verletzung. Wir Korrespondenten stehen vor der Großen Halle des Volkes und schauen zu wie der rote Teppich geputzt wird.

 

 

 

 

 

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Der Wahlkampf der Vorurteile

Irgendwie ist die Geschichte in ihrer Tragik beinahe entlarvend.

Endlich, dachte ich, kommt es in der Slowakei zu einem Aufstand der Anständigen, wie ich ihn in meinen Jahren in dieser Gegend noch nicht erlebt habe.

 

 

Hintergrund: Auf einem Wahlplakat sitzt ein beleibter junger Mann, der erkennbar zur Roma-Minderheit gehört. Den Oberkörper tätowiert, um den Hals eine dicke Goldkette. „Damit wir nicht die füttern, die nicht arbeiten wollen“, steht in großer Schrift darunter, dazu das Logo der berüchtigten Slowakischen Nationalpartei. Diese Rechts-Außen-Kraft, muss man wissen, sitzt seit vier Jahren mit einem linkspopulisten Premierminister in einer bizarren Regierungskoalition und profiliert sich vor allem mit Kampagnen gegen Minderheiten.

Es dauerte einen halben Tag, bis die Wellen der Empörung schwappten. Menschenrechtler protestierten, Politiker verwahrten sich gegen den Rassismus, Journalisten bombardierten die Parteizentrale mit kritischen Anfragen und die Plakat-Firma überklebte auf eigene Kosten sämtliche der aufgehängten Fotos.

Der einzige, der sich nicht aufregt, ist der Mann auf dem Bild. Rasch machten die slowakischen Kollegen ihn ausfindig. Er habe Geld gebraucht, also habe er dem Fotoshooting zugestimmt, erzählt er ihnen. Einen tätowierten Rom habe die Partei gesucht. Die Goldkette und ein paar zusätzliche Tatoos hat schließlich der Grafiker noch am PC mit auf das Bild montiert, fertig war die Kampagne.

Sein Kommentar zu dem Vorfall: Er habe nur 75 Euro Honorar bekommen für das Bild, und jetzt werde es überall groß plakatiert. Wenn die Nationalpartei noch einmal nachzahle, wolle er allerdings gerne über alles andere hinwegsehen.

 

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Rechts-Links-Schwäche

 

Vor der israelischen Mittelmeerküste planscht in diesen Tagen ein Grauwal umher. Die israelische Öffentlichkeit ist berückt, die hiesigen Wissenschaftler fassungslos.

Aviad Scheinin, der Leiter des israelischen Meeressäugetierforschungszentrums, spricht von einem „unglaublichen Ereignis“ und „einer der bedeutendsten Beobachtungen von Meeressäugetieren überhaupt“. Im Nord-Atlantik sei die Population von Grauwalen schon seit dem 18. Jahrhundert ausgestorben. Im Mittelmeer seien noch nie Wale gesichtet worden.

Der Grauwal ist 12 Meter lang und 20 Tonnen schwer. Der Meeresriese scheint sich auf der Suche nach Futter vom kühlen Pazifik in das badewannenwarme Mittelmeer verirrt zu haben. Angeblich soll er sich im Oktober so langsam vom nordöstlichen Pazifik aus auf den Weg zum Golf von Kalifornien gemacht haben. Eigentlich hätte er dort links abbiegen sollen, erklärt das israelische Forschungszentrum. Stattdessen steuerte er auf die Straße von Gibraltar zu und bog dann ins Mittelmeer ab. Ein klarer Fall von Rechts-Links-Schwäche.

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