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Blindes Vertrauen

Starker Andrang altbackener Medien auf WikiLeaks-Boss Julian Assange, der sich im Norden vom Verfolgungsdruck des Pentagons entspannt. Die Militärs hätten ihm statt der angefragten Hilfe bei der Sichtung der über 90.000 Dokumente des kürzlich veröffentlichten  „Afghan War Diary“ eine Liste von Forderungen übersandt, klagt der Australier: Er möge das bereits munter zirkulierende Material löschen, auf künftige Publikationen von als geheim gestempelten Dokumenten verzichten und generell die Zusammenarbeit mit Informanten im Dienst der US-Streitkräfte einstellen.

Dass die Namen “unschuldig Beteiligter“ an die Öffentlichkeit gerieten, will Assange nicht ausschließen. Solche Fehler seien auch bei “vergleichbar voluminösen Projekten” wie etwa der “Aufarbeitung der Stasi-Akten” unterlaufen. Für die kritisierte Veröffentlichung von Klarnamen gäbe es allerdings auch gute Gründe, wehrt sich Assange. Wenn sich etwa örtliche Journalisten oder Offizielle vom US-Militär bestechen ließen, hätten die Afghanen ein Recht darauf, dies zu erfahren.   

Die publizistische Sorgfaltspflicht nehme man durchaus ernst. Aus diesem Grund würden in Kürze auch 15.000 weitere Dokumente mit besonders sensiblen Hinweisen auf die Quellen nachgereicht. Dieses Material habe seine kleine, wenn auch rapide wachsende Organisation nämlich erst einmal Zeile um Zeile auf denkbare Gefährdungen abklopfen müssen.

Auch die Sicherheit der eigenen Informanten wird WikiLeaks nicht garantieren können, solange die Internetplattform einen Großteil ihres traffics über schwedische Server abwickelt, warnen indessen Rechtsexperten wie Anders Olsson. Um vom legendären Quellenschutz im selbst ernannten Musterland der Pressefreiheit  zu profitieren, müsse die flüchtige Organisation nämlich erst einmal einen Verantwortlichen mit fester Adresse benennen.

Er sei bemüht, solche Zweifel auszuräumen, sagt Assange mit sanfter Stimme. Ohnehin sei man auf den Umgang mit Organisationen eingestellt, die sich von Recht und Gesetz traditionell kaum beeindrucken ließen. Man darf vermuten, dass ihm die Tunneldienste schwedischer Hacker-Kollegen mehr Vertrauen einflößen als Schwedens stolzes Presserecht aus dem Jahre 1766.

 

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Korruption in Afghanistan oder: Gemüsesuppe ohne Gemüse

Viele meiner Leser wissen vermutlich nicht, dass ich schon vor Beginn der Medienkrise meine Geschäftsbasis diversifiziert habe. Sprich: Ich bin Partnerin im Kabuler Restaurant ‘Sufi’,

das wir 2004 gegründet haben. Das ist eine schöne Sache und macht Spaß, ist aber auch nicht ohne Schwierigkeiten – vor allem wenn die Inhaber längere Zeit nicht da sind. So mancher Manager ist schon mit den Einnahmen eines guten Abends auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

 

Gestern jedoch mussten wir feststellen, dass die Korruption in Afghanistan ungeahnte Ausmaße angenommen hat. Wir bestellten abends als Vorspeise eine Gemüsesuppe (Persisch’ ‘Shorba-e-tarkari’) doch was uns der Kellner servierte war eine klare Brühe. Wir blickten uns ratlos an. ‘Wo ist das Gemüse’, fragten wir den Mann, der peinlich berührt zu Boden schaute. Wir schickten ihn in die Küche zurück, damit er die Brühe um die übliche Einlage (Karoffeln, Karotten und Koriandergrün) ergänze.

Es war noch recht früh am Abend und das Restaurant war nicht voll. Eigentlich hätte man den Auftrag in wenigen Minuten erledigen können, doch es dauerte 20 Minuten bis der Kellner zurückkam. In der Suppe schwammen einige winzige Stückchen Kartoffeln und man schmeckte deutlich, dass diese nicht in der Brühe gekocht worden waren, sondern in Wasser. Deshalb hatte es so lange gedauert.

Nun wurde es uns zu bunt. Wir riefen den Oberkellner, der etwas beschämt an unseren Tisch trat. Er druckste rum. Schließlich rückte er mit der Wahrheit raus: ‘Das Gemüse hat der Koch selbst gegessen.’ Wir mussten laut lachen. Warum sollte es uns anders ergehen als den internationalen Geldgebern mit der Regierung Karzai. Man muss seinen Leuten schon regelmäßig auf die Finger schauen wenn man ein schmackhaftes Mahl serviert bekommen will.

 

 

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Der Auslandskorrespondent als Hochleistungssportler

Normalerweise ziehe ich gut dreimal pro Woche beim Joggen meine Runden. Letzte Woche war es lediglich ein Spurt auf dem Rotterdamer Bahnsteig, um in allerletzter Sekunde doch noch den Zug nach Den Haag zu erwischen. Dennoch kam ich mir vor wie ein Hochleistungssportler – mit dem Unterschied, dass Auslandskorrespondenten Allrounder sein müssen und sich besser nicht spezialisieren sollten.

Das liegt nicht nur an Hollands Eislaufstar Sven Kramer, der in Vancouver bei den 10 Kilometern von seinem Trainer auf die falsche Bahn geleitet und disqualifiziert wurde, obwohl er Olympischen Rekord gelaufen war – ein menschlicher Fehler mit allen Ingredienzen einer griechischen Tragödie, die die gesamte Nation tagelang in Schockzustand versetzte. Jetzt lieben alle Kramer noch viel mehr als zuvor, denn der Sportler hat echte Grösse bewiesen und seinem Trainer verziehen.  

Für die Auslandskorrespondenten in den Niederlanden war dieser falsche Wechsel ein kurzer Zwischensprint, den wir unerwartet einlegen mussten – zwischen dem Platzen der Regierungskoalition, der am Wochenende zuvor die zweite Verlängerung der Afghanistanmission zum Verhängnis geworden war, und den Kommunalwahlen  am kommenden Mittwoch – beides eher mittellange Abstände.

 Die Afghanistanmission selbst hingegen beschäftigt uns schon seit Jahren und ist eher als Marathon einzustufen. Was auch für Geert Wilders gilt von der islamfeindlichen Partei für die Freiheit PVV. Wobei ein Ende des „Wilders-Marathons“ noch lange nicht in Sicht ist: Glaubt man den Umfragen, feiert die PVV nicht nur bei den Kommunalwahlen am 3. März Triumphe, sondern auch bei den Neuwahlen am 9. Juni.

 Wie sehr sich ein Land ändern kann, das merkte ich auch bei einer Arbeitsmarktreportage in Oss und Rotterdam (wo ich dann fast den Zug verpasst hätte): Denn bei Hartz IV-Empfängern kennen die Niederländer kein Pardon mehr: In neun von 10 Gemeinden müssen sie etwas tun für ihr Geld: „Voor wat hoort wat“, lautet das Motto, „keine Leistung ohne Gegenleistung“. Und deshalb falten niederländische Hartz IV-Empfänger Kartons, halten Grünanlagen instand oder montieren Antennen: „Irgendwas kann jeder“, so das Motto von Rotterdams Dezernenten für Soziales Dominic Schrijer.

Ach ja, und dann haben wir uns letzte Woche auch noch auf den Karadzic-Prozess vorbereitet, der nach mehreren Unterbrechungen am Montag endlich richtig losgehen soll. Auch das eher ein Endlos-Marathon. Aber noch ist nicht Montag. Und deshalb gehe ich jetzt erstmal joggen. Endlich.

 

 

 

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Verlogen

Ehrlich gesagt: Ich habe die Nase voll von Politikern, die sich mit der Aussage hervortun, man könne Afghanistan nicht in eine “Musterdemokratie” verwandeln. Verteidigungsminister Guttenberg ist nur der (vorerst) Letzte in einer Reihe, die zu dieser Erkenntnis kommen. Sie ist zumeist gepaart mit dem dringenden Wunsch, mit den Taliban zu reden.

Was ist wohl eine “Musterdemokratie”? So eine Art platonische Idee, oft versucht – nie erreicht?

Sollen sie doch sagen, dass Demokratie und Menschenrechte in Afghanistan ihnen völlig egal sind, solange sie nur endlich die Truppen abziehen können.

Aber der Musterpolitiker, der sich traut seinen eigenen Zynismus offen zu legen, muss wohl noch geboren werden.

 

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Angriff in Abu Dhabi

Ich arbeite ja am ‘gefährlichsten Ort der Welt’ (so Bill Clinton über Pakistan). Und man darf getrost Afghanistan einschießen wie der von US-Strategen erfundene Begriff ‘AfPak’ nahelegt. Da wird man natürlich oft gefragt, wie das so sei und ob man keine Angst habe. Hier kommt eine der Begebenheiten, mit denen ich in Zukunft Familie und Freunde davon überzeugen werde, dass es anderswo viel gefährlicher ist (Neben der indischen Verkehrsopfer Statistik: Allein in Neu-Delhi sterben taglich (!) im Durchschnitt sieben Menschen im Straßenverlehr – und trotzdem sind immer alle froh, wenn ich wieder aus Kabul oder Islamabad hierhin zurückkehre…).

Ich war letzte Woche auf Urlaub in den Vereinigten Arabischen Emiraten (bekannt für Strände, 7-Sterne-Hotels und Einkaufszentren in der Größe deutscher Kleinstädte). Als ich mich am Wochenende mit einem Freund in Abu Dhabi auf den Weg in einen Jazz-Club machte, wurden wir allen Ernstes auf einmal von einer Motorrad-Gang bedrängt. Ich hielt das zunächst für ein Privatrennen einiger Halbstarker im James-Dean-Stil. Dass es mehr war, merkte ich erst als mein Freung Hector aus Nicaragua, der in seiner Jugend bereits Somoza bekämpft hat, das Steuer blitzartig herum riß und auf einen Parkplatz neben der Staße fuhr. Als ich mich vom abrupten Aufprall gegen das Handschuhfach erholt hatte, merkte ich, dass nicht nur Hektor das Auto im Kreis um den Parkplatz jagte, sondern dass uns ein Auto Stoßstange an Stoßstange folgte und die gesamte Gang aus sieben Motorradfahrern mit ihm. Plötzlich schnitt uns einer der Ledermänner von vorn den Weg ab.

Das war nun nicht mehr witzig. Ich fürchtete schon, dass gleich jemand eine Waffe ziehen würde und wollte mich bereits wegducken, als der Motorradfahrer uns mit einer schnellen Handbewegung signalisierte, dass wir vom Tatort verschwinden sollten.

Ich weiss nicht, was danach mit dem Mann passierte, den die Gang verfolgt hat. Aber ich muss sagen, dass ich weder in Afghanistan noch in Pakistan jemals einen solchen Moment der Angst erlebt habe. Hector hatte die ganze Nach Alpträume. Ich hingegen habe gut geschlafen – ich war ja im Urlaub.

 

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Notwendige Korrektur

Ich habe gerade gelesen dass Brian Katulis, Senior Fellow am Center for American Progress, einem Think Tank in Washington mit engen Verbindungen zur Obama-Regierung behauptet, man solle sich in Afghanistan nicht “an das Klischee der freien und fairen Wahlen klammern”. Ich wusste gar nicht, dass freie und faire Wahlen ein Klischee sind.

Ein Klischee ist laut Duden eine “überkommene Vorstellung”, ein” eingefahrenes Denkschema”, eine “abgedroschene Redensart”, eine “vorgeprägte Ausdrucksweise”, ein “überbeanspruchtes Bild”.

Und ich dachte immer sie sind eine wichtige Grundlage der Demokratie. Danke Herr Katulis für diese Klarstellung!

 

 

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Die beste Currywurst…

…zwischen Berlin und Bangkok macht noch immer Boris, Chef des Lapis Lazuli Guesthouses in Kundus. Danke Boris, dass Du seit fünf Jahren einen entscheidenden Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans leistest, auch wenn dieser von den Afghanen (wie inzwischen einiges) nicht geschätzt wird!

 

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Philosophie in Kabul

Gestern fand an der Mediothek in Kabul eine Diskussion zum Thema „Moderne und Postmoderne“ statt. Ich will mich nicht weiter zu der Frage äußern, ob dies ein sinnvolles Thema in einem Land ist, das zu 90 Prozent in der Prä-Moderne lebt. Philosophie ist das Opium der Intellektuellen. Darüber sind sich die Afghanen selbst bewusst genug. Beim Abendessen nach der Konferenz entspann sich folgendes Gespräch: Frage: „Wer ist denn nun der Löwe der Postmoderne (Persisch: Sher-e-Postmodern)?“ Antwort: Wir sind alle sind Löwen des Quatschens (Sher-e-gap mezanan)“.

Einig waren sich die afghanischen Intellektuellen darin, dass im Iran sowohl Michel Foucault als auch Jacques Derrida falsch übersetzt worden sind. Leider reichte mein Persisch nicht aus, um die Argumente im Einzelnen nachzuvollziehen. Aber ich bin fasziniert von dem Gedanken, dass das ganze Schlamassel im Iran daran liegen könnte, dass Präsident Ahmadineschad die französischen Poststrukturalisten falsch verstanden hat.

Dabei hatte ich eher den Eindruck, dass er zumindest den mittleren Foucault sehr gut verstanden hat. Weshalb der ganze Iran einem Gefängnis gleicht. Hierin sehe ich mich übrigens durchaus einig mit einem anderen bedeutenden Foucault-Interpreten unserer Tage: George W. Bush, obwohl dieser sich in der Praxis eher auf den frühen Foucault konzentriert hat, weshalb die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren einem Irrenhaus glichen. (Ich weiß, dies wird wieder meine Freude von David’s Medienkritik auf den Plan rufen. Siehe meinen Blog vom 23.Mai 2007. Go ahead, guys!)

Wirklich interessant wird es, wenn man Ahmadineschads Reden als Interpretationen Derridas liest. Der ganze Nonsens macht auf einmal Sinn! Offenbar scheint der iranische Präsident den Holocaust als einen Text zu betrachten, den es zu dekonstruieren gilt. Ob er dazu Atomwaffen braucht, ist unklar, aber es ist verständlich, dass Israel nicht begeistert ist. Hätte man doch bloß die Übersetzug Derridas ins Persische einem Afghanen überlassen!

 

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Wir Antiamerikaner

Das Internet ist eine faszinierende Welt. Gerade habe ich wieder einmal beim Surfen eine Site namens „Davids Medienkritik“ entdeckt. Die ist mir schon im Vorjahr aufgefallen, weil der Verfasser damals einen erbosten Leserbrief an die Financial Times Deutschland geschrieben hatte, der sich auf einen von mir verfassten Kommentar bezog.

Damals schrieb ich nach gewalttätigen Ausschreitungen in Kabul, bei denen ein Bordell abgebrannt wurde, dass es sich dabei um ein „von Amerikanern betriebenes Bordell“ handelte. (Siehe dazu auch meinen Blog-Beitrag auf dieser Site „Burn, brothel, burn!“). Der Schreiber warf mir vor, ich unterstelle der amerikanischen Regierung, sie betreibe Bordelle, was ich weder getan noch beabsichtigt habe. Wenn ich schreiben würde, Franzosen betreiben Restaurants in Kabul, meinte ich ja auch nicht die Regierung von Herrn Sarkozy. Aber damit nicht genug. Der Autor argumentierte auch noch, dass es unmöglich sein könne, dass Amerikaner Bordelle in Afghanistan betreiben, weil darüber noch nie an anderer Stelle berichtet wurde, und warf mir deshalb Antiamerikanismus vor. Seitdem tobt auf eben jenem Blog eine heftige Diskussion über meinen angeblichen Antiamerikanismus.

Dazu möchte ich hier kurz Stellung nehmen: Ich kenne die Betreiber dieses Bordells persönlich, weil sie meine Nachbarn waren und ich mich mehrmals bei ihnen über die laute nächtliche Musik beschwert habe. Ich habe ihnen damals gesagt, es sei mir egal, welche Art von Etablissement sie betreiben, aber dass ihr auffälliges Verhalten eine Gefahr für die gesamte Nachbarschaft darstellt, weil früher oder später Islamisten darauf aufmerksam würden. Genau so ist es gekommen! Die zwölf chinesischen Prostituierten flohen damals vor dem Feuer in unseren Garten, von ihren Chefs keine Spur. Da ich noch immer in Kabul arbeite, sehe ich jeden Tag die völlig ausgebrannte Ruine eines der beiden Gebäude. In dem anderen finden noch immer gewisse Aktivitäten statt, nun aber ohne dröhnende Disco-Musik. Das Schild am Eingang wurde entfernt. Auch die damaligen Chefs habe ich lange nicht mehr gesehen.

Wenn die einfache Benennung einer Realität heute schon Anti-Amerikanismus ist, dann bekenne ich mich hier ausdrücklich dazu. Dies ist die Pflicht eines jeden Journalisten.

 

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Die Schnorrer

Seit ich in Afghanistan arbeite, bin ich Zeugin eines merkwürdigen Phänomens: Ich habe offenbar jede Menge Freunde, von denen ich noch nie zuvor gehört habe. Die melden sich zumeist, dann, wenn es mal wieder kracht, so wie am Wochenende in Kundus. Da kommen dann Fernsehproduktionsanstalten auf mich zu und bitten mich um Kontakte zu Bundeswehrsoldaten, die aus Afghanistan zurückgekehrt sind. Oder es tauchen Journalistenkollegen auf, die mich fragen, ob ich ihnen zufällig die Telefonnummer von Minister XY geben könnte, oder ob ich ein Zimmer frei habe. Ich rede hier nicht von alten Freunden und Kollegen, die ich lange kenne, und denen ich gern mit Rat und Tat zur Seite stehe, sondern von wildfremden Menschen und Medien, von denen ich noch nie einen Auftrag bekommen habe. Diese Kollegen haben offenbar noch nie davon gehört, dass die Kontakte das Kapital eines Journalisten sind, besonders eines freien. Ich habe schon hin und wieder überlegt, ein Hotel mit angeschlossenem Auskunftsbüro zu eröffnen. Aber ich fürchte, das würde sich nicht rentieren, denn Schnorren ist billiger.

 

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Katharsis verweigert

Seit fünf Tagen erhalte ich nun Anfragen zu Interviews und Artikeln über diesen unappetitlichen Schädelskandal der Bundeswehr in Afghanistan. Ich habe mich auch schon reichlich dazu geäußert, obwohl ich gestehen muss, dass es eigentlich nicht viel zu sagen gibt. Denn wie groß die Aufregung in Deutschland auch sein mag – hier in Afghanistan ist sie es nicht.

Weder in Kabul noch in Jalalabad, wo ich zurzeit sitze, hat das Thema Wellen geschlagen. Über die Gründe dafür wurde genug spekuliert. Was ich momentan viel spannender finde ist die Beharrlichkeit, mit der die deutsche Öffentlichkeit in Form der anrufenden Kollegen darauf wartet, dass es hier endlich kracht. Wütende Mobs, brennende Puppen der Bundeskanzlerin, abgefackelte NGO-Büros, Bombenattentate auf Bundeswehrkonvois – das alles wurde offenbar erwartet. Und dann? Einfach nichts.

Eine echte Enttäuschung diese afghanischen Islamisten. Wie können sie es wagen, unsere Erwartungen nicht zu erfüllen? Sie verweigern uns einfach die Katharsis, die Reinigung für den reuigen Sünder, nach der wir Deutschen uns doch so sehnen. Kennen sie denn nicht die Theorie Hegels, wonach der Straftäter erst durch die Strafe seine Würde zurückerhält? Doch statt uns eine kräftige Lektion zu erteilen, lassen sie uns allein mit unserer Schuld.

Undankbar, irgendwie. Wenn das kein Grund ist, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen!

 

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Burn Brothel burn!

Die Financial Times Deutschland erhielt neulich eine Reihe von Beschwerden aus den USA nachdem sie einen Kommentar aus meiner Feder veröffentlich hatte, der darauf hinwies, dass der Massenbetrieb von Bordellen in Kabul bei der Bevölkerung für Unmut sorgt.

Diese werden nämlich nicht von Afghanen unterhalten und frequentiert, sondern von amerikanischen Söldnern, die sich mit viel Alkohol und chinesischen Prostituierten die Zeit am Hindukusch versüßen.

Für all jene Leser, die der Meinung sind, dass Amerikaner niemals Bordelle betreiben oder besuchen würden, aber auch für alle, die am Alltag in Afghanistan interessiert sind, erzähle ich deshalb diese Geschichte, die in meinem Kommentar nicht näher ausgeführt werden konnte.

Ich war Nachbarin jenes Bordells, das bei den Unruhen am 29. Mai dieses Jahres in Kabul bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde.

Als ich letzte Woche wieder einmal in meiner alten Wohnung in Kabul war, hörte ich nach Sonnenuntergang plötzlich haarsträubende Schreie. Und da es zu den Erfahrungen des Lebens in einem Krisengebiet gehört, nicht an das nahe Liegende zu glauben, dache ich zunächst, dass dort ein Kind gequält würde. Ich ging zum Fenster und sah die schwarze Ruine dessen, was einmal das Nachbarhaus gewesen war. Irgendjemand hatte mitten in der Asche eine rot leuchtende Glühbirne platziert. Sie und das nicht enden wollende Gejaule ließen mich zum ersten Mal seit langem wieder an die Gespenster-Geschichten denken, die ich in meiner Kindheit vorzugsweise nachts unter der Bettdecke verschlugen hatte.

Aber es waren dort nur zwei Katzen beim Liebesspiel. Sie werden auf absehbare Zeit die Letzten sein, die an diesem Ort von der Öffentlichkeit nicht unbemerkt vögeln können. Der Besitzer des zerstörten Hauses hat bereits angekündigt, dass er ein Business Center dort bauen will, nachdem er jahrelang Schulter zuckend erklärt hatte, dass niemand ihm eine so hohe Mieten zahlen könne, wie die amerikanischen Bordellbetreiber. Aber wie jeder Spekulant weiß: Hohe Renditen lassen sich nur mit einem hohen Risiko erzielen.

Auf die Gefahr hin, altklug zu wirken: Ich habe darauf immer hingewiesen. Sicher, vor allem aus Eigeninteresse, aber immerhin. Ein Jahr lang habe ich neben diesem Bordell gewohnt. Mein Schlafzimmerfester direkt auf der anderen Seite der Mauer, die unser Kulturzentrum von dieser ebenfalls kulturellen Einrichtung trennt. Jede Nacht laute Discomusik. Ein Jahr lang konnte ich nur mit Ohrenstöpseln schlafen. Statt Schäfchen zählte ich Huren. Zwölf war die Höchstzahl. Alles Chinesinnen, die Kunden Amerikaner. Vielleicht waren auch andere Nationalitäten dabei, aber die haben dann nicht so laut herumgebrüllt.

Das Wort „Chinesin“ ist im Bewusstsein der Kabuler Bevölkerung inzwischen zu einer Art Synonym für „Prostituierte“ geworden. Ich hoffe, dass jetzt keine Beschwerden aus Peking kommen. Ich weiß, dass die meisten Frauen in China anständig sind und hart arbeiten. Bitte, ich beschreibe nur die Wirklichkeit, ich bin nicht für sie verantwortlich. Jeder US-Bürger, der an der Existenz dieser Art von Bordellen in Kabul zweifelt, darf gern einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster werfen. Ich kann das arrangieren, auch wenn ich jetzt in Delhi lebe.

Als ich noch in Kabul wohnte, hatte ich eher daran gedacht, das strategisch günstig gelegene Fenster einem netten Islamisten zur Verfügung zu stellen. Man hätte von dort wirklich zielsicher eine Bombe werfen und dann schnell und unverdächtig wieder das Weite suchen können. Aber nach all den Do-no-harm Workshops und zivilgesellschaftlichen Initiativen zur gewaltfreien Konfliktlösung habe ich es dann doch vorgezogen, mir nach einem Jahr zermürbendem Streits eine andere Wohnung zu suchen.

Eine Nacht ist mir noch immer in düsterer Erinnerung. Ich hörte plötzlich Schüsse. „Verdammt nah dran“, dachte ich, und schlich mich seitlich zu dem Fenster, das Milchglasscheiben hatte, weil zumindest mein eigenes Schlafzimmer nicht zum Ort öffentlichen Ärgernisses werden sollte. Ich öffnete einen Spalt. Was ich sah, verschlug mir den Atem. Gut gelaunte Amerikaner standen da mit Gewehren in der einen und Bierdose in der anderen Hand im Garten und feuerten in die Luft.

Mir wurde bewusst, dass die bloß ihr Gewehr ein bisschen schräg halten brauchten, um mitten durch mein Fenster zu schießen. Ich legte mich flach auf mein Bett und wartete, bis der Spuk vorbei war.

Der letzte große Streit war weniger gefährlich als unerfreulich. Es war wie immer mitten in der Nacht. Trotz Oropax konnte ich nicht schlafen, weil die Bässe aus der Anlage so wummerten. Ich hatte am nächsten morgen wichtige Termine. Ich war wütend und riss das Fenster auf. Einem Gast im Garten rief ich zu, ich wolle den Betreiber sprechen. Es kam einer der Amerikaner, mit denen ich mich schon öfters über die Lautstärke der Musik gestritten habe. Ich schrie ihn an, er solle endlich die Musik leiser machen. Dies sei eine Wohngegend und er gefährde das Leben der Anwohner, weil sein Lokal früher oder später zum Ziel von Islamisten werden würde.

Er bellte, dass ihn meine Meinung nicht interessiere. Empört warf ich das Fenster zu. Doch die Genugtuung, meine Wut heraus gelassen zu haben dauerte keine Sekunde. Die Scheibe zerbrach und klirrte in Scherben zu Boden – noch nicht einmal in den Nachbargarten, sondern in mein eigenes Zimmer. Nun war ich nicht nur der Musik sondern auch der herbstlichen Kälte schutzlos ausgeliefert.

Es musste etwas geschehen. Am nächsten Tag griff ich zum Telefon und rief den stellvertretenden afghanischen Innenminister an. Ein Bekannter von mir. Wie der Innenminister selbst hatte er lange in den USA gelebt. Er freute sich über meinen Anruf: „Wir planen seit längerem, gegen die Bordelle vorzugehen.“ Schon am nächsten Tag war Ruhe im Nachbarhaus, die Polizei hatte den Laden geschlossen. Ich konnte es kaum glauben. So effektiv hatte ich mir das afghanische Innenministerium nicht vorgestellt.

Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. Drei Tage später machte der Laden wieder auf: neuer Name, altes Spiel. Nur ein Schild an der Tür wies das Etablissement jetzt als Privatclub aus, nur für Mitglieder, Zugang für Afghanen verboten. Hatte etwa jemand daran gezweifelt, dass die afghanische Regierung in Afghanistan nichts zu sagen hat?

Ich gab auf. Zermürbt von schlaflosen Nächten und beunruhigt über die Sicherheit zog ich um. Eineinhalb Jahre später sollte ein aufgebrachter Mob das Haus abfackeln. Ich war am 29. Mai in Delhi, aber unsere Mitarbeiter erzählten mir am Telefon, dass die verängstigten Prostituierten in unseren Garten geflohen waren. Die Polizei suchte später die Whiskyvorräte zusammen. Von den Betreibern ließ sich niemand blicken.

Ja, ich gestehe, dass mich beim Hören der Nachricht eine klammheimliche Freude überkam. Aber ich fürchte, das wird nicht anders werden als mit der Fensterscheibe: Am Ende fällt uns alles auf die Füße.

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