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Weltreporter-Forum 2016 – hier ist das Programm!

Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

 

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Freedom Rocks – Berliner Mauer Fragmente in Los Angeles

Berliner Mauer Los Angeles

Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
fragment rebecca
In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.

“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”

Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks

 

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Conchita ist es Wurst

Wieder einmal findet der European Song Contest in Nordeuropa statt und wie letztes Jahr kümmere ich mich ein paar Tage nur am Rande um Wirtschaft und Hochkultur, sondern widme mich vor allem Europas größter Fernsehshow und allem, was drumherum so passiert. Besonders telegen ist die Österreichische Teilnehmerin Conchita Wurst. Groß, Wespentaille und Riesenwimpern – da spielt jemand mit dem Klischee des (Barbie-)Püppchens.

Wurst ist die weibliche Rolle von Tom Neuwirth und nicht nur in Kopenhagen, um zu singen, sondern auch, um für Toleranz zu werben – eigentlich seit langem ESC-Tradition. Einigen Osteuropäern missfällt das und womöglich auch einigen Westeuropäern. Es kam zu Boykottaufrufen, weil die sexuelle Orientierung als nicht telegen angesehen wurde.

Conchita Wurst lässt sich davon nicht allzu sehr berühren. Morgen tritt sie im zweiten Halbfinale auf. Ich habe Conchita Wurst schon einmal in Kopenhagen getroffen und für The Wall Street Journal interviewt. Den Text und sogar ein Video gibt es hier. In dem Film erklärt sie übrigens, was es mit ihrem Namen auf sich hat und was ihr Wurst ist.

 

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Presseurop adé?

Wir Journalisten in Brüssel treffen uns jeden Tag im Pressesaal der EU-Kommission, zum “Midday Briefing” um 12 Uhr. Oder auf der Seite von “Presseurop” – einem Internet-Portal mit den besten Artikeln aus der europäischen Presse.

Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Denn die Kommission dreht den Geldhahn für “Presseurop” zu. Schon am 22. Dezember läuft die Finanzierung aus, kurz vor Weihnachten wäre dann Schluss.

Das wäre nicht nur schade für die EU-Korrespondenten, die “Presseurop” für ihre tägliche Arbeit nutzen. Ich habe es sogar auf meinem eigenen Blog “Lost in EUrope” integriert, und zwar hier (Seite 2)

Es wäre vor allem schlecht für die vielen Leser außerhalb des “Raumschiffs Brüssel”, die da draußen im wirklichen Leben. Denn nur auf “Presseurop” können sie sich einen Überblick über die wichtigsten Presseartikel verschaffen – in ihrer eigenen Sprache.

Besonders empörend ist, dass dieser wichtige Dienst ausgerechnet jetzt platt gemacht wird, kurz vor der Europawahl im Mai. Die Redaktion hat daher einen Aufruf zur Rettung gestartet. Wer mithelfen will, findet ihn hier

 

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Mein Nationalfeiertag

Am 26. Oktober war ich nicht in Japan, besuchte mit Architekt Terunobu Fujimori Raiding. Der Geburtsort von Franz Liszt befindet sich im Burgenland – unweit vom ehemaligen Eisernen Vorhang. Die Vortragsscheune war alt, das Architekturthema modern. Zur gleichen Zeit feierte Österreich – wie jedes Jahr, seine wiederhergestellte Souverenität: mit Panzerparaden und Rekruten auf der Wiener Ringstrasse. Und deshalb fiel mir folgende Geschichte mit meinem Armeepullover ein.

roland bundesheer 1974

Sturmgewehr vorn. Pullover nach hinten: Auch ich war einmal Rekrut.

1973 diente ich meiner Heimat, wie man so schön sagt. Während der sechs Monate als Wehrpflichtiger in der Kaserne Leobersdorf bei Wien lernte ich, dass eine Handgranate aus 3000 Splittern besteht und über den Kopf geworfen werden muss – damit sie nicht in den eigenen Reihen explodiert. Das Sturmgewehr konnte ich in stockdunkler Nacht zerlegen, putzen und wieder zusammenbauen. Panzer eleminierte ich mit einem langen Brett, einer Schnur und einer Mine. Kurz vor Eintreffen des „Russen“ zog ich das Brett vom Versteck aus über die Fahrbahn. Bummmm! Heute heisst sowas IED – Improvised Explosive Devise, und die Taliban verwenden statt der Schnur ein Handy. Ausserdem lernte ich, dass es besser ist, den olivgrünen Pullover mit dem V-Ausschnitt nach hinten zu tragen. Das schützt den Hals besser vor Gegenwind. Nach dem Abrüsten durfte ich diesen Pullover, sowie eine Hose – und ich glaube, auch eine lange Unterhose in Tarnfarbe, behalten – für den Ernstfall, sollte der Russe doch noch kommen. Ich nehme an, dass es bei einer Mobilisierung Zeit spart: Kein Armeeunterhosenanziehen in der Kaserne, sondern schon auf dem Weg dorthin. Der Schnitt und die Farbe des Pullovers passte perfekt zu meinen Jeans, und so war er noch Jahre nach meinem aktiven Heimatdienst fester Bestandteil von Disko- und Ausstellungseröffnungsbesuchen – bis er sich irgendwann von selber auflöste.

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Pullover und Unterhose, 30 Jahre alt, für €36.34

Wie gross meine Überraschung, als ich dreissig Jahre später vom Militärkommando eine eingeschriebene Drohung erhalte – getarnt als Grosszügigkeit. Wird der Pullover samt Unterhose nicht retourniert, geht’s vor’s Gericht. Die Grosszügigkeit bestand darin, dass „in Anerkennung meiner geleisteten Dienste“ die Möglichkeit besteht, den dreissigjährigen Pullover und die Unterhose für €36.34 zu erwerben.

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Dank an die Sovietunion für die Befreiung von der Naziherrschaft: Das „Russendenkmal“ auf dem Schwarzenbergplatz in Wien. Heute dient es als Kulisse für russische Musikvideos.

Ob die Betriebsversorgungsstelle des österreichischen Militärkommandos mit der Armeebekleidung immer noch so umgeht, das heisst, im Jahr 2043 zurückverlangt? Wer ist heute der imaginäre Feind? Es muss ihn geben, denn sonst würden am Nationalfeiertag in Wien keine Panzer rollen. Oder ist der Feind unsichtbar, die Militärparade ein Ausdruck der Hilf- und Nutzlosigkeit? Ist der Feind vielleicht sogar einer, der aus meinem Blog Schlüsselwörter wie IDE, Taliban und Handgranate filtert?

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Verfallener Schweinestall im Burgenland: Bauern versteckten hier ihre Frauen während der zehnjährigen russischen Besatzungszeit.

 

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Attacke auf die Sommerferien

Ihr Ende naht, Anfang September ist Schluss. Aber noch dauern die Sommerferien in Frankreich an. Noch sind die Strände voll, die Campingplätze auch. Noch steht an den Türen vieler Geschäfte “Fermeture annuelle” wegen ihres wochenlangen Jahresurlaubs – und ein Hinweis an den Briefträger, was er mit der Post tun soll. Die „grandes vacances“ dauern in Frankreich so lange, dass Schüler anderer EU-Staaten neidisch werden können: zwei Monate. Doch viele Franzosen fragten sich in den vergangenen Wochen: Wie oft werden wir diesen großen Ferienblock noch erleben?

Für Aufregung sorgte ein Interview des sozialistischen Erziehungsministers Vincent Peillon. Sechs statt acht Wochen Sommerferien seien genug, sagte der Minister, der selbst eine Lehrerausbildung hat. Peillon hat gerade eine Schulreform durchgesetzt. Sie sieht unter anderem vor, dass ab dem kommenden Schuljahr viele Grundschulen von der Viertage- zur Viereinhalbtage-Woche wechseln – der schulfreie Mittwoch gehört dann der Vergangenheit an. Als der Minister auch noch verkürzte Sommerferien ins Spiel brachte, ging das Gezeter los: Schüler, Lehrer, Tourismusbranche und Politiker, sie alle meldeten sich sorgenvoll zu Wort.

Les grandes vacances – die großen Ferien, sie sind aus dem Jahreszyklus kaum wegzudenken. Sie gelten als Teil des schönen Lebens in Frankreich. Das Land schaltet einen Gang herunter. Für Schüler sind diese Ferien eine richtige Auszeit. Ihr Ende ist eine Zäsur wie ein Sommersilvester: Kein Wunder, dass danach im September die „Rentrée“ ansteht, die Rückkehr in den Schul- und Arbeitsalltag. Schon gibt es in den Nachrichten die ersten Beiträge über die neuesten Trends der Schulranzen.

Diese lange Ferienzeit hat historische und wirtschaftliche Gründe im 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, mit ihr wurde den Wünschen der Bevölkerung entsprochen. Denn die Landwirte brauchten für die Ernte auf den Feldern und in den Weinbergen jede helfende Hand, auch die ihrer Kinder. 1950 arbeiteten noch 49 Prozent der Franzosen in der Landwirtschaft. In den 1960er Jahren dauerten die Ferien noch zehn Wochen. Doch die Gesellschaft wandelte sich, die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe wurden weniger. Anfang der 1980er Jahre verkürzte die Regierung die Sommerferien auf derzeit acht bis achteinhalb Wochen.

Warum jetzt noch mehr Tage streichen? Die Schüler müssten mehr Zeit fürs Lernen haben, sagt Peillon. Zurzeit stünden sie zu sehr unter Druck. Französische Schüler haben ein sehr kurzes Schuljahr, aber zu lange Schultage, kritisieren Experten schon lange. Nirgendwo in Europa sind die Schultage derart vollgepackt. In den meisten EU-Staaten gehen die Kinder durchschnittlich 180 Tage im Jahr zur Schule. In Frankreich sind es nur 144 Tage. Peillon ist übrigens nicht der erste Minister, der dieses heiße Eisen anpackt. Bereits der konservative Minister Luc Chatel setzte 2010 eine Kommission ein, die Vorschläge ausarbeiten sollte, wie der Schulrhythmus verbessert werden könne. Tausende Schüler gingen damals zum Demonstrieren auf die Straße. Es blieb letztlich bei den acht Wochen.

Auch Erziehungsminister Peillon musste nach seinem Interview erst einmal zurückrudern. Im Erziehungsministerium betont man auf Anfrage vehement, dass das Thema grandes vacances nicht Teil der aktuellen Schulreform sei. Aber Peillon hat bereits ein Datum fallen lassen: 2015 soll die Ferienreform debattiert werden. Während die Sechs-Wochen-Befürworter ein besseres Gleichgewicht im Jahresschulzyklus erhoffen, betonen Psychologen, wie sinnvoll diese lange Auszeit ist: Die Kinder könnten sich wirklich erholen von dem Schuljahr, neue Freunde finden und in der Freizeit andere wichtige Dinge lernen.

Immer mehr Franzosen können sich aber mit Peillons Vorstoß anfreunden. Nach Umfragen sind 43 Prozent den Verkürzungsplänen zugeneigt – vor allem die Eltern. Sie haben natürlich nicht so viel Urlaub. Viele können meist nur zwei Wochen mit den Kindern wegfahren – manche wegen der Wirtschaftskrise gar nicht. Sie haben damit zu kämpfen, ihre Kinder acht Wochen unterzubringen oder zu beschäftigen. Glück haben die Mütter und Väter, die ihre Kinder bei Oma und Opa abgeben können. Oder die genug Geld haben, um die Kleinen in ein Feriencamp zu schicken.

Von der langen Auszeit profitieren übrigens in Frankreich einige Verlage: Viele Eltern kaufen ihren Kindern Aufgabenhefte, die „Cahiers de vacances“. Darin können die Kinder Übungen machen, um den Lernstoff des vergangenen Jahres zu wiederholen. Die Hefte sind ein Renner: Sechs Millionen solcher Hefte werden jährlich verkauft.

 

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Von Freiheit, Glück und der Bombardierung Dresdens

Angela Thompson erzählt gerne aus ihrem Leben und aus dem ihrer Mutter. Über die hat sie sogar ein Buch geschrieben: “Bleib immer neben mir”. Es ist die Geschichte eines Frauenlebens im 20. Jahrhunderts mit eindrücklichsten Schilderungen unter anderen von der Bombardierung Dresdens, von überraschend wertvollen Päckchen die die in den Westen geflüchtete Familie von der in Dresden zurück gebliebenen Omi bekam, von im Rückblick verrückt erscheinenden Entscheidungen der Mutter, schwer zu ertragendem Verhalten des zurück kehrenden Vaters und Andeutungen des neuen Freiheitsgefühls der Autorin, als sie in Kalifornien ankommt und studieren kann.

In Deutschland haben viele längst genug von diesen Geschichten und ich dachte ich gehöre zu dieser Gruppe, die nichts mehr hören mag vom Krieg, von Flucht, von Hitler, von Bomben und dem Kampf ums Überleben. Bis ich Angela traf und sie mir mit Gefühl, Humor und Wissen aus ihrem Leben und dem ihrer Mutter erzählte. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass US-Bürger diese Geschichten hören und lesen, um zu verstehen, was in den Menschen vorging, auf die die Bomben ihrer Helden fielen. Sie selbst hat sich in den 70er Jahren von Los Angeles aus für politische Gefangene in der DDR eingesetzt, unter anderen mit dem damaligen Gouverneur Ronald Reagan als Verbündeten. Sie fuhr mit dem Auto quer durchs Land um in Washington mit Kongressabgeordneten und Senatoren über Unterdrückung im Osten Deutschlands zu sprechen und machte heimliche Besuche bei den Familien der Gefangenen.

Für Radio/Audio-Enthusiasten-Truppe ‘Listen Up Los Angeles’ hat Angela einen Teil dieses interessanten Lebens erzählt. Weil heute der Jahrestag der Bombadierung von Dresden ist hier der entsprechende Ausschnitt aus meinem Interview.

 

 

 

 

 

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Mit Kleister und Trillerpfeife

Überlebensgrosse Portraits von Menschen, die kurz vor dem Verlust ihrer Wohnung stehen, Trillerpfeifenkonzerte und eine Postkartenaktion, bei der sich jeder Passant persönlich für einen “Hypothekengeschädigten” einsetzen konnte: So haben letzte Woche in Barcelona Hunderte gegen Zwangsräumungen und die schuldnerfeindliche Bankengesetze protestiert, hier vor der Zentrale der Sparkasse Caixa Catalunya.

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Spanien hält einen traurigen Rekord: Über 126.000 Zwangsvollstreckungen wegen nicht bedienter Kredite wurden im letzten Jahr verhängt. Und wer aus seiner Wohnung geworfen wird, ist deswegen noch lange nicht schuldenfrei. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern wird die Schuld in Spanien nicht dadurch getilgt, dass die Wohnung an die Bank zurückfällt. Nachdem im letzten Jahr eine Reihe von Selbstmorden die Öffentlichkeit erschütterte, hat die Regierung Rajoy Zwangsräumungen in besonders prekären Fällen zwar gestoppt, an der Situation an sich hat sich allerdings kaum etwas geändert.

Die landesweiten “Plattformen der Hypothekengeschädigten” (P.A.H., Plataforma de Afectados por la hipteca) haben daher für kommende Woche zu Protesten aufgerufen. Am 24. Januar wollen Vertreter dem Parlament 750.000 Unterschriften für eine Gesetzesänderung übergeben, für den 16. Februar sind Grossdemonstrationen geplant.

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Zumindest die Plakataktionen scheinen ihr Ziel zu erreichen: Nachdem vor einer anderen Filiale wochenlang das Portrait eines Schuldners prankte und Aktivisten unter den Passanten Postkarten mit der Kurzfassung seines Falls verteilten, rückte die Bank von der Zwangsvollstreckung ab und hat die Rahmenbedingugnen des Kredits geändert. Die Plakatkampagne ist eine Initiative des Künstlerkollektivs Enmedio, über dessen Arbeit ich am Sonntag im Neonlicht von Deutschlandradio Kultur berichte.

 

 

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Scheidung noch mal verschoben?

Viele Journalisten lieben markige Statements oder eine holzschnittartige Darstellung der Welt. Schwarz und Weiß. Als wären Grautöne unverdaulich. Da Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Hollande nicht als politisches Liebespaar bekannt sind, ist dann schon mal schnell von einer bevorstehenden Scheidung die Rede. So auch gestern wieder in den Hauptnachrichten des französischen Fernsehsenders France 2. Da wurden ernste Gesichter aus Brüssel gezeigt, Merkel und Hollande hätten nicht einmal ein höfliches Lächeln füreinander übrig gehabt. „Steht nun die Scheidung bevor“, fragte daraufhin der Moderator den Brüssel-Korrespondenten.

Die Überzeichnung der inhaltlichen sowie der persönlichen Differenzen zwischen Hollande und Merkel sind in Deutschland wie in Frankreich bei einigen Medien besonders beliebt. Von einem tiefen Einblick in die deutsch-französischen Beziehungen zeugt das nicht. Denn die vor knapp 50 Jahren von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle formal besiegelte deutsch-französische Freundschaft hat inzwischen eine Tiefe und institutionelle Verwebung auf ganz unterschiedlichen Ebenen erreicht, sie würde überleben auch wenn Merkel und Hollande sich abgrundtief hassten und sich politisch überwärfen. Für letzteres sind beide viel zu klug und viel zu diplomatisch.

Dass Berlin und Paris immer mal wieder in politischen Fragen ganz unterschiedlicher Meinung sein werden, tut beiden Seiten und Europa gut. Denn es trägt zu einer fruchtbaren Kompromisskultur bei. Auch zum Innehalten und Überdenken der eigenen Position – falls man dazu Zeit findet. Dass die politischen Überzeugungen selbst bei einer diplomatischen Annäherung der Positionen in Brüssel im Grunde mitunter sehr weit von einander entfernt bleiben, ist schon aus historischen Gründen nicht überraschend. Das staatliche Selbstverständnis und damit auch die Staatsräson Deutschlands und Frankreichs sind keineswegs identisch. Das gilt sowohl für innen- wie außenpolitische Aspekte. Aber es gibt genügend gemeinsam Interessen, die eine Annäherung in der Politik immer wieder lohnend machen.

Bei jedem politischen Schlagabtausch oder jeder Missstimmung zwischen Kanzler(in) und Präsidenten (auf eine französische Präsidentin brauchen wir leider in absehbarer Zeit noch nicht zu hoffen) die „Scheidung“ heraufzubeschwören, ist deshalb reine Effekthascherei, dumm und ermüdend.

 

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Kaltes, klares Wasser

Sparen, sparen, sparen – wohl selten sind diese Worte so häufig gehört worden wie derzeit. Die Euro-Krise soll bewältigt werden und Ausgabenkürzungen scheinen da vielen unabdingbar. Ähnlich sieht das auch die dänische EU-Ratspräsidentschaft. Nur 35 Mio. Euro sind für die kommenden sechs Monate veranschlagt – weniger als ein Drittel des Budgets von Vorgängerland Polen. Symbolisch für die dänische Sparwut steht kaltes klares Wasser. Statt Mineralwasser aus teuren Minifläschchen gibt es “postevand” (Leitungswasser) aus der Karaffe. Dazu heute aktuell ein Artikel in Die Welt und natürlich auch online.

 

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Unsere Diktatoren dürfen das

Ist der Ruf erst ruiniert… Vielleicht denken sie das wirklich. In Washington, in Riyadh und in Manama. Die amerikanische Regierung ruft zu „Zurückhaltung“ auf in Bahrain. Während 1200 saudische Militärs und 800 Polizisten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten einrollen, um – wie es heißt – strategisch wichtige Gebäude und die Interessen der Königsfamilie zu schützen. Sie kommen auf Einladung von König Hamad, versteht sich. Eine hübsche kleine Golf-Party wird das werden.

Tommy Vietor, der Sprecher des Weißen Hauses, sagte, die Partner der USA im Golfkooperationsrat sollten die Rechte der Menschen in Bahrain respektieren und mit all ihren Handlungen zum Dialog ermuntern. Das wird bestimmt gelingen mit all den bewaffneten, gepanzerten Fahrzeugen, bemannt mit grimmig drein schauenden Soldaten. Wir dürfen gespannt sein, wie Vietor ein befürchtetes Blutvergießen in Manama schön reden wird. Denn anders als bei dem ohnehin verhassten Muammar Gaddafi handelt es sich bei Bahrains König Hamad um einen wichtigen Partner am ölreichen Golf und einen bislang treuen Alliierten gegen den Iran. Der Schutz von Zivilisten vor militärischer Übermacht steht da gar nicht erst zur Diskussion.

In Nordafrika und selbst in Ägypten kann man, wenn alles nicht mehr hilft, schon mal ausgediente Diktatoren fallen lassen. Aber dort, wo die Energieversorgung auf dem Spiel steht, wo die 5. Flotte der USA vor Anker liegt und wo man die wichtigsten Partner im Machtkampf mit dem Iran ausmacht, dort gelten andere Regeln. Es gilt das Primat der eigenen Interessen vor irgendwelchen demokratischen Idealen oder gar Menschenrechten. Da muss man zusammenhalten, koste es was es wolle.

Die Saudis sind extrem nervös. Sonst hätten die Meister der Scheckbuchdiplomatie nicht plötzlich auf ihr eigenes Militär gesetzt. Das ist ungewöhnlich. Und ging schon vor mehr als einem Jahr im Nordjemen schief, als Riyadh in den Konflikt Sanaa’s mit den Houthis im Grenzgebiet eingriff. Daraus hätte man lernen können. Aber man muss nicht. Das Protestpotential im eigenen Land halten die Saudis noch mit einem massiven Polizeiaufgebot, der Verbreitung islamischer Fatwas gegen Protestkundgebungen sowie mit Schmiergeldern unter Kontrolle. Jedoch die unkalkulierbaren Entwicklungen im benachbarten Bahrain sowie im Jemen machen den von Krankheit und Alter angegriffenen saudischen Herrschern zu schaffen.

Die Verbündeten in Washington werden vermutlich beide Augen zu drücken solange es geht. Denn hier steht eindeutig zu viel auf dem Spiel: Die Ölpreise, die eigene militärische Machtprojektion in die Region sowie der Kampf gegen den Iran. Prognosen möchte man in diesen Tagen in der arabischen Welt nicht mehr wagen. Zu viele Dinge sind im Fluss, alte Regeln gelten nicht mehr, neue sind noch nicht etabliert. Aber wenn dieser von den USA geduldete, saudische Militäreinmarsch in Bahrain zu einem Blutbad führt, dann könnten am Ende diesseits und jenseits des Atlantiks ganz viele Verlierer stehen. Europäer inbegriffen, denn auch wer schweigt, macht sich schuldig. Der Begriff „politische Glaubwürdigkeit“ scheint aus dem Lexikon der modernen Politik gestrichen. Ersatzlos. Wie bedauerlich.  

 

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Die Sehnsucht ist geweckt

Die westlichen Demokratien haben sich bei der tunesischen wie der ägyptischen Revolution gründlich blamiert. Sie hinkten hinter den Ereignissen her, wanden sich in Schmerzen mit vorsichtigen Statements. Ging es doch schließlich darum, den Diktatoren und Unterdrückern die Unterstützung zu entziehen, die sie seit Jahrzehnten in ihren Palästen gehalten hatte. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass man in politischen Sonntagsreden immer mehr Demokratie im Nahen Osten forderte. Aber das versteht sich von selbst.

Als es gar nicht mehr anders ging, forderten US-Präsident Barack Obama und seine europäischen Mitläufer einen schnellen aber geordneten Übergang zu einer wirklich demokratischen Regierungsform. Aha. Damit behalten sie sich vor, darüber zu urteilen., was ‘wirklich demokratisch’ ist. Und im gleichen Atemzug drängt man auf die Einhaltung internationaler Verträge und Verpflichtungen. Da nämlich liegt, wenn es um den Nahen Osten geht, für die meisten westlichen Politiker der Hase im Pfeffer: Fast alles darf passieren, aber die beiden Friedensverträge mit Israel (mit Ägypten und Jordanien) dürfen nicht angetastet werden. Außerdem dürfen keine Islamisten an die Macht kommen, wobei am liebsten alle islamistischen Gruppierungen in einen großen Topf geworfen werden. Wie man es in Washington, Berlin und Paris damit hält, wenn demokratische Wahlen Islamisten an die Macht bringen, das haben wir beim Urnengang in den Palästinensergebieten 2006 gesehen. Als die Hamas den Sieg davon trug, brach man schlicht die Beziehungen mit der von ihr geführten Regierung ab.

Die westlichen Regierungen – nicht nur die amerikanische – haben in der arabischen Welt schon längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Menschen in der Region verstehen, dass es nicht um Werte wie Demokratie, Selbstbestimmung und Freiheit geht sondern um politische Interessen. Vornehmlich um solche, die sich mit israelischen Interessen decken. Auch wenn man in vielen Fällen trefflich darüber diskutieren kann, ob sich diese Interessen tatsächlich decken. Oder ob wir uns nicht selbst ins Knie schießen, gerade weil wir dazu tendieren, die Region ausschließlich durch die israelische Brille betrachten.

Auch deshalb können die Ägypter auf gute Ratschläge aus dem Westen derzeit verzichten. Ihnen ist nicht entgangen, dass Washingtons Lieblingskandidat für die Nachfolge Mubaraks sein Geheimdienstchef Suleiman war. Also jemand, der mit Leib und Seele für das alte System stand und steht. Die Armee ist nun die zweitbeste Wahl, arbeitet ihre Führung doch sehr eng mit amerikanischen Militärs zusammen, die eine Finanzhilfe von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich beisteuern. In dem Preis dürfte inbegriffen sein, dass keine Politik erlaubt wird, die den ohnehin kalten Frieden mit Israel einfrieren könnte.

Interessant wird es, wenn eine wirklich demokratische zivile Regierung in Kairo an der Macht ist. Ihr werden vermutlich die ägyptischen Moslembrüder angehören, auch wenn die Menschen auf dem Tahrir-Platz deutlich gemacht haben, dass die Islamisten keine Mehrheit im Land haben.Ein weiterer Schleier ist gefallen: Die Alternative zu autokratischen oder diktatorischen Systemen im Nahen Osten heißt nicht automatisch Chaos und Islamismus. Es dürfte den Regierenden in Washington und Berlin in Zukunft schwer fallen, mit dieser Gleichung zu argumentieren, wenn es um die Unterstützung repressiver Regime in der Region geht, die Menschenrechte verachten aber Stabilität und Kampf gegen Terrorismus versprechen.

Unsere westlichen politischen Moralapostel stehen plötzlich ohne Kleider da. Sieht ganz so aus, als stünden sie auf der Verliererseite nach den erfolgreichen Volksaufständen in Tunis und Kairo. Gemeinsam übrigens mit ihren Erz-Feinden, den islamischen Extremisten aus der Al Qaeda-Ecke. Denn der Sieg der friedfertigen Menschen gegen ein brutales, vom Westen unterstütztes System, nimmt diesen Terroristen den Wind aus den Segeln. Die Jugendlichen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo den Sturz Mubaraks gefeiert haben, haben es nicht mehr nötig, sich solchen Bewegungen aus Protest oder dem Gefühl der Ohnmacht anzuschließen. Sie haben sich selbst befreit und ermächtigt, sie haben ihren Stolz und ihre Menschenwürde zurück erobert.

Nachdem ich mehr 15 Jahre lang dem politischen Stillstand, der Demütigung und der Entmündigung der Menschen in der Region zugesehen habe, habe ich nun wieder Hoffnung. Auch wenn wir alle wissen, dass die Revolutionen noch nicht gewonnen oder vollendet sind. Aber es wäre schön, noch mehr solch befreite, lachende oder vor Freude weinende Gesichter in Arabien zu sehen. Die Sehnsucht ist geweckt, hoffentlich wird sie nicht in Blutvergießen ertränkt.

 

 

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Truthahn statt Hering

 

Ganz Leiden bereitet sich schon darauf vor, bald ist es wieder soweit. Dann gibt es Jahrmarkt, Feuerwerk und viel Musik. Dann teilt unser Bürgermeister vormittags gratis Hering und Weissbrot aus. Und wer auf sich hält, tischt seiner Familie zum Abendessen „Hutspot“ auf, ein Eintopf aus Rüben, Zwiebeln und Kartoffeln mit einem Stück Rindfleisch. Es schmeckt besser als es klingt.

Einen noch warmen Kessel mit diesen Ingredienzen, so will es die Legende, soll ein Waisenjunge aus Leiden während der Belagerung der Stadt im 80Jährigen Krieg gefunden haben. Der Topf hing ausserhalb der sicheren Deiche, von denen die Stadt umgeben war, über einer erloschenen Feuerstelle im Lager der spanischen Truppen – als triumphierender Beweis dafür, dass der Feind tatsächlich wie beabsichtigt Hals über Kopf flüchten musste, um nicht jämmerlich in den Nordseefluten zu ersaufen. Denn um dem spanischen Erzfeind, der ihnen die Religionsfreiheit nehmen wollte, das Fürchten zu lehren, hatten die Holländer einen anderen Feind eingesetzt, der zwar noch viel grösser war, den sie aber im Laufe der Jahrhunderte zu bändigen gelernt hatten: das Wasser.

So endete am 3. Oktober 1574 die Belagerung von Leiden – ein Ereignis, das jedes Jahr im grossen Stil gefeiert wird. Immerhin hätten die Spanier die Bürger von Leiden fast ausgehungert. Doch die hielten dank ihres heldenhaften Bürgermeisters durch. Der sprach ihnen immer wieder Mut zu und bot ihnen am Ende sogar seinen eigenen Körper zum Aufessen an: „Snijdt het aan stukken en deelt ze om“, rief er, „schneidet ihn in Stücke und teilt diese aus!“

Soweit brauchte es glücklicherweise nicht zu kommen, statt dessen kamen die niederländischen Widerstandskämpfer, die so genannten Geuzen, auf die Idee, weiter rheinabwärts Richtung Rotterdam die Deiche zu durchbrechen. Petrus stand auf ihrer Seite: Er beglückte sie nicht nur mit einem handfesten typisch holländischen Sturmtief, sondern sorgte auch dafür, dass der Wind aus der richtigen Richtung kam und die Nordsee-Wassermassen Richtung Leiden trieb. Dem Feind jedenfalls blieb noch nicht einmal Zeit, sein Abendessen zu beenden.

Über den genauen Inhalt des Kessels, den der Waisenjunge fand, scheiden sich die Geister zwar, immerhin war Krieg, auch die Spanier konnten nicht allzuviel zu essen gehabt haben. Vermutlich bestand der Hutspot bloss aus Rüben und Zwiebeln und haben die Holländer – um das Ganze dann doch etwas schmackhafter zu gestalten – Kartoffeln und Fleisch hinzugefügt. Am nächsten Morgen jedenfalls, so die Legende, fuhren die Geuzen auf mit Hering und Weissbrot vollbeladenen Schiffen über das überflutete Land Richtung Leiden, um mit den hungrigen Bürgern die Befreiung zu feiern.

   

Die durften als Belohnung für ihr Durchhaltevermögen zwischen einer Universität und einer drastischen Steuersenkung wählen und entschieden sich natürlich – Legenden sind einfach zu schön! – für die Universität. So kommt es, dass Leiden heute eine der ältesten und renommiertesten Unis der Niederlande hat, selbst Königin Beatrix und ihr Kronprinz Willem Alexander haben hier die Hörsaalbänke gedrückt. Wobei sich Willem in Leiden den Beinamen Prins Pils verdiente: Das Studentenleben gefiel ihm so gut, dass er mit dem Auto auch mal in der Gracht landete.

Ob er am 3. Oktober zusammen mit seiner Maxima Hutspot kocht, weiss ich nicht. Zu meinen Lieblingsgerichten jedenfalls gehört es nicht unbedingt. Auch den Hering lasse ich lieber stehen. Die amerikanische Variante ist mir da schon lieber.

Für die haben die Pilgrim Fathers gesorgt, die legendären Gründerväter Amerikas. Diese Glaubensflüchtlinge aus England liessen sich nämlich zunächst in Leiden nieder, wo sie ihren Glauben problemlos ausüben durften. Nach einigen Jahren allerdings fanden sie die lockeren Holländer dann doch etwas zu liberal und gottlos und beschlossen, in die Neue Welt weiterzuziehen: Nach einem Zwischenstopp in Plymouth, wo sie auf die Mayflower umstiegen, landeten sie an der amerikanischen Ostküste – im Reisegepäck viele Sitten und Gebräuche aus Leiden. Auch den dritten Oktober feierten sie weiterhin, nun allerdings als Erntedank- statt Befreiungsfest. Bis Abraham Lincoln diesen Thanksgiving Day auf den vierten Donnerstag im November verlegte. Dass dabei nicht mehr Hering mit Weissbrot gereicht wird, hat mit der Fauna Neuenglands zu tun: In der Neuen Welt gab es Truthahn im Überfluss.

 

 

 

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Regierungsringen

Beim Einkaufsbummel durch Den Haag komme ich regelmässig bei Eisverkäufer Martijn vorbei. Sein Eiswagen steht direkt vor Paleis Noordeinde, dem Arbeitpalast von Königin Beatrix. Wenn auf dem Dach die rot-weiss-blaue Flagge weht, sitzt die Monarchin hinter ihrem Schreibtisch.

 Für die Bürger von Den Haag ist Martijns Eiswagen zu einer festen Institution geworden. Sein Vater hat hier schon vor 20 Jahren Eis verkauft. In den letzten Wochen allerdings erkundigen sich viele Kunden beim Eiskaufen nicht nur über das Angebot sondern auch den letzten Stand der Koalitionsverhandlungen. Denn der fröhliche junge Holländer behält alles gut im Auge, er weiss genau,wer die Treppen zum Palast raufläuft und wer wieder rauskommt.

 „Das ist hier momentan ein Kommen und Gehen“, erzählt er. Da haben sich nicht nur die Fraktionsvorsitzenden der wichtigsten Parteien die Klinke in die Hand gegeben, sondern auch die so genannten Informateure. Die untersuchen im Auftrag der Königin, welche Koalitionspartner sich am ehesten zusammenraufen könnten.

 Bei Martijn hinter der Scheibe hängen Fotos der ehemaligen Ministerpräsidenten und Eiskunden Wim Kok und Jan Peter Balkenende. Ganz links, über dem Schokoladeneis, prangt bereits ein Schnappschuss von Mark Rutte – für den Eisverkäufer der nächste Premierminister der Niederlande. 

 Noch allerdings ist es nicht soweit: Zwar hat Rutte mit seiner rechtsliberalen VVD-Partei die Wahlen gewonnen – aber nur ganz knapp vor den Sozialdemokraten. Eigentlicher Wahlsieger ist Geert Wilders: Seine islamfeindliche „Partei für die Freiheit“ PVV konnte die Zahl ihrer Sitze fast verdreifachen und ist nun drittstärkste Kraft im niederländischen Abgeordnetenhaus – noch vor den Christdemokraten, die erdrutschartige Verluste hinnehmen mussten. Diese vier Parteien haben alle zwischen 20 und 30 der insgesamt 150 Parlamentssitze ergattert.

 Folge: Die Koalitonsverhandlungen gestalten sich enorm schwierig, fast sieben Wochen nach den Wahlen ist immer noch kein neues Kabinett in Sicht.

Doch die Niederländer sind einiges gewöhnt: Für eine stabile Mehrheit sind immer mindestens drei Parteien nötig, dieses Mal vielleicht sogar vier. Deshalb üben sich alle in Geduld – und stehen für alles offen: Denn was auf das Land zukommt, weiss keiner. Wobei sich die Informateure wie Fussballtrainer vorkommen müssen: Mal versuchen sie es über die rechte Flanke, dann über die Linke. Auch in der Mitte war kein Durchkommen. Mal ist Wilders mit dabei, mal ist er im Abseits. Wobei sich die Niederländer nicht sicher sind, ob er nun wirklich mitspielen will oder doch lieber auf der Oppositionsbank sitzen bleibt.

Inzwischen allerdings ist Ruud Lubbers als Informateur auf dem Spielfeld erschienen, politisches Schwergewicht und Vertrauter von Königin Beatrix. Er hat alle zur Ordnung gepfiffen und an den Teamgeist appelliert – vor allem an den der Christdemokraten, die sich bislang zierten und nicht so richtig mitspielen wollten. Die Berührungsängste mit Wilders waren zu gross: Mit einer Partei, die an der Religionsfreiheit rüttelt, Kopfttücher verbieten und die ethnische Herkunft eines jeden Niederländers registrieren lassen will, so betonte der christdemokratische Fraktionsvorsitzende Maxime Verhagen, mit so einer Partei setze er sich nicht in ein Boot.

Doch nun hat Lubbers ein Machtwort gesprochen, seit Montagnachmittag finden an einem geheimen Ort erste informelle Gespräche zwischen Christdemokraten, Wilders und den Rechtsliberalen statt. Mehr weiss keiner, selbst Eisverkäufer Martijn nicht.

 Der bleibt trotz allem zuversichtlich: „Wir liegen ja noch gut im Rennen.“ Denn durchschnittlich dauern Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden immer gut zwei Monate. Der Rekord war 1977, da vergingen fast sieben Monate, bis das Land eine neue Regierung hatte. „Aber“, so erinnert sich ein älterer Herr lachend, bevor er mit einer grossen Kugel Erdbeereis weiterläuft:  „Das haben wir damals ja auch überlebt. Das Leben ging einfach weiter.“

 

 

 

 

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Blühendes Wunder

 

An meiner Wahlheimat Holland habe ich nach 20 Jahren einiges auszusetzen und die rosarote Brille längst abgesetzt. Aber jedes Jahr im Frühling um diese Zeit verliebe ich mich wieder hemmungsvoll in dieses Land. Dazu reicht eine Zugfahrt vom Leiden nach Haarlem und ein Blick aus dem Fenster über die blühenden Felder der Blumenzwiebelregion: Die gesamte Landschaft gleicht einem gigantischen Mondriangemälde. Gelbe, rote und blaue Blumenbahnen aus Tulpen, Narzissen oder Hyazinthen so weit das Auge reicht….angesichts dieses hinreissenden Farbenrausches muss man einfach kapitulieren!

Als Korrespondentin habe ich es natürlich nicht beim Anschauen belassen, inzwischen weiss ich eine Menge über die Blumenzwiebelzucht, insbesondere über die Tulpe. Ist sie doch nicht nur Hollands Nationalsymbol, sondern auch noch eine erfolgreiche Immigrantin mit einer überaus steilen Karriere: Im botanischen Garten der alten Rembrandtstadt Leiden bohrte sie sich erstmals durch europäischen Boden, allerdings lange bevor Rembrandt geboren wurde, nämlich schon 1594.

Ursprünglich stammt die Tulpe aus Kazachstan. Über die Türkei gelangte sie nach Europa. Ihr Mäzen hiess Carolus Clusius, auch „Erasmus der Botanik“ genannt. Er war Ende des 16. Jahrhunderts in Leiden Aufseher des Hortus Botanicus. Clusius verkörperte das Idealbild des Gelehrten aus der Renaissance: hungrig nach Wissen, ein besessener Sammler, ständig kreuz und quer durch Europa auf Pflanzenjagd.

Die ersten Tulpenzwiebeln bestellte er beim Botschafter des österreichischen Kaisers in der Türkei, Ogier Ghislan de Busbec, einem Flamen. Der hatte sich in seinen Briefen immer wieder bewundernd über jene geheimnisvolle Blume ausgelassen, die von den Osmanen wie ein Kleinod behandelt wurde und auch den Sultan so bezauberte, dass er regelmässig rauschende Tulpenparties hielt.

Auch die ersten Tulpen im Leidener Hortus Botanicus wurden 1594 wie ein Weltwunder gefeiert und von den Schaulustigen fast zertrampelt. Aus der anfänglichen Begeisterung wurde schnell Besessenheit: Die so genannte Tulpenraserei begann, eine Zeit, in der ein einziger ‚bol’, wie die Zwiebel auf niederländisch heisst, bis zu 13.000 Gulden einbrachte, umgerechnet 6.000 Euro  – genausoviel wie Rembrandt für sein Haus an der Jodenbreestraat gezahlt hatte, das heutige Rembrandthaus. Der Tulpenhandel wurde Big Business: Reiche-Leute-Söhne schmückten mit dem vergänglichen Juwel das Décolleté ihrer Geliebten. Es war teurer als ein Diamant. Da das Angebot bei weitem nicht der Nachfrage entsprach, wurden bollen zum beliebtesten Spekulationsobjekt. Einer der wenigen, der einen kühlen Kopf bewahrte, war der Maler Jan Brueghel der Jüngere: Auf seiner Persiflage einer Zwiebelauktion stellte er alle Beiteiligten als Affen dar.

Als der Markt am 6. Februar 1637 einstürzte, gehörte auch sein Kollege, der Landschaftsmaler Jan van Goyen zu den Opfern. Noch Jahre nach seinem Tod wurden seine Witwe und die Kinder von seinen Gläubigern verfolgt. Dieser 6. Februar 1637 ging als erster Börsenkrach der Welt in die Geschichte ein.

 Der Beliebtheit der Tulpe allerdings konnte dies keinen Abbruch tun. Dafür sorgten der schon damals sprichwörtliche Handelsgeist der Niederländer – und der durchlässige Sandboden zwischen Haarlem und Leiden, auf dem es der Tulpe ausserordentlich gut gefiel. Wieder wurde sie big business – jetzt als Massenprodukt: Jedes Jahr überrollen die Niederländer die Welt mit 10 Milliarden bollen. Inzwischen taucht die Tulpe als Nationalsymbol im Logo niederländischer Banken und Fluggesellschaften auf. Firmen benennen sich nach ihr, und nicht umsonst bekam Altfussballer Ruud Gullit in Italien den Beinamen „Schwarze Tulpe“. Willig liess sie alles mit sich anstellen, sei es mit gefülltem Blütenkelch oder mehrfarbig gestreift im Fransenlook.

 900 verschiedene Tulpensorten gibt es inzwischen, allein dieses Jahr werden rund 20 neue Sorten auf den Markt gebracht, darunter die Papageientulpe Irene Parrot, eine Wuschelkopf-“Punktulpe” mit fransigen Rändern. Den Tulpenzüchtern ist es sogar gelungen, die Zahl ihrer Chromosomen von 24 auf 48 zu verdoppeln. Bei diesen Sorten fällt alles doppelt so stark und kräftig aus.

 Allerdings müssen Tulpenfreunde immer noch 25 Jahre warten, bis eine neue Sorte in der Blumenvase steht. Allein 20 Jahre dauert es, bis sie veredelt ist und einen Namen bekommen hat. Ausserdem hat die Tulpe im Gegensatz zu den meisten anderen Blumen eine Jugendphase von bis zu 5 Jahren. Erst dann blüht sie zum ersten Mal. In den ersten 5 Jahren sieht man überhaupt nichts, da wird die Geduld  der Züchter auf eine harte Probe gestellt.

 Auch der Name fällt am Ende meistens anders aus als erwartet: Von zehn fallen neun weg, weil sie schon besetzt sind oder zu ähnlich klingen. Dieses Jahr ist eine Tulpe auf den Markt gekommen, die eigentlich “Alexandra of Denmark” heissen sollte, doch das ging nicht, die Alexandra war schon besetzt. Jetzt heisst sie nur noch “Denmark”- obwohl sie rot-gelb ausgefallen ist und nicht rot-weiss.

 

 

 

 

 

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Papa, was ist eigentlich Globalisation?

Nun, mein Junge, es heisst Globalisierung, und Globalisierung ist, wenn in Island ein Vulkan ausbricht, und ich hier in Afrika kein Hotelzimmer finde, weil massenweise Urlauber nicht in ihre Heimatlaender reisen koennen. Deren Rueckfluege wurden naemlich gestrichen.

Die Hotelbetreiber in Hurghada, wo ich heute zwangsweise eintraf, weil ich was recherchieren muss, also diese Hotelbetreiber in dieser Pauschaltouristenhoelle sagen ihren Gaesten, sie sollten nun selber sehen, wo sie bleiben, weil man den Touristen, die aus Russland jetzt ankommen, ihre gebuchten Zimmer nicht verweigern koenne. Deren Fluege wurden ja nicht gestrichen.

So fuehrt der Vulkanausbruch auf Island zu einem Touristenstau in Afrika. Und zu einer Preisexplosion bei den Zimmerpreisen, denn dieselben Hotelbetreiber haben angesichts der zwangsgestiegenen Nachfrage flugs die Raten um schaetzungsweise 30 Prozent erhoeht, gepriesen seien die Naturgewalten. Man kann also sagen, dass mein Geldbeutel in Afrika duenner wird, wenn auf Island ein Vulkan ausbricht. Das ist Globalisierung – oder besser die noch etwas unausgereifte Beta-Version davon.

Ganz zu schweigen davon, dass ich diesen Blogeintrag hier im Internetcafe nahezu blind auf einem kyrillischen Keyboard schreibe.

 

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BLOGGEN ODER NICHT BLOGGEN?

Es geschieht schnell. Ich meine, das mit dem Blogschreiben. Oder mit dem Nicht-Schreiben des Blogs. Den ganzen Monat tickt es im Hinterkopf „Am 1. des Monats bist du dran“ und „mach was Witziges“ und „Achtung! Bald ist es so weit“. Und dann ist, oh Wunder, wieder das Ende des Monats da und die ultimative Meldung im Hirn heißt: „Scheiße, du hast es vergessen“. Dann bricht Panik aus, die Finger fliegen auf der Tastatur und es ist gerade noch geschafft. Und warum das menschliche Wesen (in diesem Falle ich) alles in letzter Sekunde erledigen muss, das wird mir in diesem Leben ein Rätsel bleiben.

In diesem Monat haben alle Warnsysteme versagt. Blogschreiben? Schlicht vergessen. Und wenn nicht Ruth aus Tel Aviv per E-Mail gemahnt hätte („Wo bleiben die Blogschreiber?“)  hätte ich weiterhin sorglos die Ostertage mit meinen Freunden verlebt. Die aus allen Himmelsrichtungen nach Belgrad eingeschwebt sind.

Da war zuerst Bora Sajtinac aus Paris. Der geniale Zeichner, der jahrelang für DIE ZEIT und den STERN die deutsche Gegenwart beobachtet hat, bekam in Belgrad den Preis für sein Lebenswerk. Als wir über gestern und heute in einem Stadtcafé redeten, knipste ein Pressefotograf Boras verkehrte Welt: wir zwei Hübschen sind im Deckenspiegel zu sehen.

Dann kamen Emilija, Mirjana und Aaron und all die Tage haben wir viel gegessen, viel geredet, nett getrunken und Fotos vor der Kathedrale gemacht.

Meine Gäste waren genau das, was Belgrad suchte: Kurzreisende, die schön Geld in der Stadt lassen. Nur: als sie Belgrad von der Donau aus begucken wollten, immerhin 20 Euro pro Person hätten sie bezahlt, hieß es: Sorry, die Saison beginnt erst in einer Woche.

Wie clever. Dann sind alle Touristen weg.

 

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DER KAHLSCHLAG VON BELGRAD

Belgrader längste Straße ist sieben Kilometer lang und  heißt Boulevard des König Alexander. Seit 90 Jahren ist der Boulevard die schönste Allee der Stadt. So lange säumten 500 dicke, schattenspendende Platanen die breite Straße. Bis gestern.

 

 

 

 

Die Stadtverwaltung, die jahrelang die Kronen der Bäume gekappt hat, („zu hoch, zu gewaltig“) hat im Zuge der Umgestaltung des Boulevards beschlossen die Platanen abzuholzen. Weil sie krank seien – so die Erklärung. Die Ursache: die vorherige, unsachgemässe Beschneidung der Kronen.

Die Meldung wird in der Tagespresse veröffentlicht, zuerst ohne Resonanz. Dann melden sich namhafte Intellektuellen, Studenten und Schauspieler umarmen die Bäume, alle verlangen noch ein Gutachten. Die Presse schweigt. Die Pressekonferenzen der neugegründeten Bürgerinitiative gegen den Kahlschlag werden nicht beachtet. Über den Protest erfährt man nur in der Rubrik „Leserbriefe“ der Tagespresse.  Blogs und Facebook bieten die Plattform, auf der tausende von Unterschriften gesammelt werden. Am Ende ist der Druck so groß, dass die Stadtverwaltung einen neuen Gutachter beruft, der prompt erklärt, „nicht jeder Baum ist krank, nicht jeder Baum muss weg“. Es schien, als ob eine Einigung möglich wäre: nur kranke Bäume sollen ersetzt werden. An diesem Montag (1. März) sollte die endgültige Lösung gefunden werden.

Trotzdem werden  an diesem Wochenende a l l e Bäume, 500 dicke, 90 Jahre alte Platanen abgesägt.

Auf dem nassen Asphalt liegen gelbe, goldene, gesunde Stumpfe. In meiner Wohnung, im 4. Stockwerk mache ich laute Musik an, um nicht den bohrenden Ton der elektrischen Sägen zu hören. Eine Nachbarin weint, ich weine mit. Die Aktivisten umarmen die Bäume, erfolglos. Sie werden abgeschleppt, die Bäume abgesägt. Die Vogelnester klatschen auf den nassen Asphalt.

Für ein Land, das erst vor einem Jahr ein Umweltschutzgesetz verabschiedet hat, für ein Land das in Müll, Abgasen und qualmenden Deponien erstickt, stehen Bäume auf der Prioritätenliste weit unten.

Ich bin in meiner tiefsten Seele traurig. Mit diesen Bäumen ist ein Teil meiner Kindheit verschwunden.

Felix Serbia. Felix Belgrado.

Ohne Stadtvögel, ohne Bäume, mit Autos bepflastert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Der Auslandskorrespondent als Hochleistungssportler

Normalerweise ziehe ich gut dreimal pro Woche beim Joggen meine Runden. Letzte Woche war es lediglich ein Spurt auf dem Rotterdamer Bahnsteig, um in allerletzter Sekunde doch noch den Zug nach Den Haag zu erwischen. Dennoch kam ich mir vor wie ein Hochleistungssportler – mit dem Unterschied, dass Auslandskorrespondenten Allrounder sein müssen und sich besser nicht spezialisieren sollten.

Das liegt nicht nur an Hollands Eislaufstar Sven Kramer, der in Vancouver bei den 10 Kilometern von seinem Trainer auf die falsche Bahn geleitet und disqualifiziert wurde, obwohl er Olympischen Rekord gelaufen war – ein menschlicher Fehler mit allen Ingredienzen einer griechischen Tragödie, die die gesamte Nation tagelang in Schockzustand versetzte. Jetzt lieben alle Kramer noch viel mehr als zuvor, denn der Sportler hat echte Grösse bewiesen und seinem Trainer verziehen.  

Für die Auslandskorrespondenten in den Niederlanden war dieser falsche Wechsel ein kurzer Zwischensprint, den wir unerwartet einlegen mussten – zwischen dem Platzen der Regierungskoalition, der am Wochenende zuvor die zweite Verlängerung der Afghanistanmission zum Verhängnis geworden war, und den Kommunalwahlen  am kommenden Mittwoch – beides eher mittellange Abstände.

 Die Afghanistanmission selbst hingegen beschäftigt uns schon seit Jahren und ist eher als Marathon einzustufen. Was auch für Geert Wilders gilt von der islamfeindlichen Partei für die Freiheit PVV. Wobei ein Ende des „Wilders-Marathons“ noch lange nicht in Sicht ist: Glaubt man den Umfragen, feiert die PVV nicht nur bei den Kommunalwahlen am 3. März Triumphe, sondern auch bei den Neuwahlen am 9. Juni.

 Wie sehr sich ein Land ändern kann, das merkte ich auch bei einer Arbeitsmarktreportage in Oss und Rotterdam (wo ich dann fast den Zug verpasst hätte): Denn bei Hartz IV-Empfängern kennen die Niederländer kein Pardon mehr: In neun von 10 Gemeinden müssen sie etwas tun für ihr Geld: „Voor wat hoort wat“, lautet das Motto, „keine Leistung ohne Gegenleistung“. Und deshalb falten niederländische Hartz IV-Empfänger Kartons, halten Grünanlagen instand oder montieren Antennen: „Irgendwas kann jeder“, so das Motto von Rotterdams Dezernenten für Soziales Dominic Schrijer.

Ach ja, und dann haben wir uns letzte Woche auch noch auf den Karadzic-Prozess vorbereitet, der nach mehreren Unterbrechungen am Montag endlich richtig losgehen soll. Auch das eher ein Endlos-Marathon. Aber noch ist nicht Montag. Und deshalb gehe ich jetzt erstmal joggen. Endlich.

 

 

 

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In größter Not

Wer einmal am eisigen Mahlstrom des Dettifoss oder am kalbenden Gletscher Vatnajökull stand, der weiß, was Naturgewalten sind.  Die Isländer sind es gewohnt, den Elementen hilflos ausgeliefert zu sein. Doch ihr Tanz auf dem Vulkan fand mit dem Finanzbeben im Herbst 2008 ein jähes Ende.  Sturmfluten wurden ausgelöst, die nun über die 320 000 Insulaner hinweg rollen.  Die roten Brandfackeln der Demonstranten vor dem Amtssitz ihres Präsidenten  Ólafur Ragnar Grimson sind Zeichen der größten Not. Viele verloren Arbeit und Altersgelder, müssen um Haus und Auto bangen, weil sie hoffnungslos überschuldet sind.

Das Volk möge nun entscheiden, ob der vom Parlament beschlossene Plan zur Entschädigung ausländischer Kunden der Internetbank Icesave Bestand haben soll. Eines steht fest: Islands Banken – und notfalls die Regierung – müssen für die Pleite haften. Und die Gläubiger haben alle Trümpfe in der Hand. Verweigern sich die Isländer der Rückzahlung, stehen weitere Teilzahlungen des Hilfspakets in Frage. Und auch der Beitritt des Landes zur Europäischen Union.

Wenn nun der Souverän über den künftigen Kurs bestimmen soll, dann ist das auch eine Bankrotterklärung der Politik. Konservative und Fortschrittspartei hätten den Rückzahlungsplan um ein Haar schon im Parlament zu Fall gebracht. Ausgerechnet jene schüren jetzt die Massenproteste, die Island an den Rand des Abgrunds brachten. Indem sie junge Banker einfach machen ließen, mit denen sie einst die Schulbank teilten.  Vetternwirtschaft, Korruption und Mauschelei zwischen Politik und Hochfinanz sind das eigentliche Übel. Mit dem Plan, die rot-grüne Regierung zu stürzen, ist wohl auch die Hoffnung verbunden, von der Aufklärung dieser Machenschaften verschont zu bleiben. 

Regierungschefin Johanna Sigurdadottir betont, Island werde sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ihr muss es nun gelingen, das revoltierende Volk bis zum 20. Februar von den bitteren Notwendigkeiten zu überzeugen. Gelingt es ihr, steht sie stärker da als je zuvor. Die Abrechnung in Island könnte endlich beginnen.

 

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Eisfieber

 

 

   Es ist jedes Jahr dasselbe: Sobald es mehr als drei Nächte hintereinander friert, macht sich in den Niederlanden das Eisfieber breit – eine Epidemie, die – egal, ob gross oder klein – in einem angsterregendem Rekordtempo die gesamte Nation erfasst und auch die Sprache drastisch beeinflusst. Ist doch auf einmal von Eistransplantationen die Rede, von Eismeistern – und vom Elfstedentocht, jenem heroischsten Schlittschuhlauf der Welt, auch „Lauf der Läufe“ genannt, gut 220 Kilometer lang entlang der elf friesischen Städte. Zehntausende nehmen teil, auch wenn es einige immer ein paar abgefrorene Zehen oder Finger kostet und sich viele erst weit nach Mitternacht mehr tot als lebendig über die Ziellinie schleppen.

Dank Klimawandel wird vielen diese Peinigung erspart, der letzte Elf-Städte-Lauf fand im Januar 1997 statt. Aber gehofft wird halt jedes Jahr, auch jetzt wieder. Immerhin könnte der plötzliche Wintereinbruch den Niederländern Bilderbuchweihnachten bescheren. Die ganze Nacht hat es geschneit, auch heute vormittag noch. Momentan liegt hier an der Nordseeküste bei Leiden mehr Schnee als zuhause bei meinen Eltern in Baden-Württemberg. Ich habe die Wohnzimmertür in den Garten kaum aufgekriegt, das hat es noch nie gegeben. Und vor der Haustür, auf den Kanälen, haben sich schon gestern die ersten aufs Eis getraut, bei blitzeblauem Himmel.

Beim Anblick solch fröhlicher Eislaufzenen werde ich von einer geradezu hemmungslosen Liebe zu meinem Wahlheimatland erfasst. Sämtliche Kritik, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hat, schmilzt wie Schnee in der Sonne. Erstens scheint das schatsen, wie das Schlittschuhlaufen auf nederlands heisst,  das Beste im Holländer zum Vorschein zu bringen, denn auf einmal sind alle überaus freundlich, hilfsbereit und so richtig gut drauf – bei Temperaturen über Null wartet man darauf zuweilen vergeblich.  Zweitens geht es hier dann zu wie auf den Gemälden Alter Meister, die schon im Goldenen 17. Jahrhundert das bunte Treiben der Eisläufer verewigt haben – und daran kann ich mich nicht sattsehen: Genauso wie vor 400 Jahren schieben Ungeübte auch heute noch einen Esszimmerstuhl vor sich her, um nicht dauernd hinzufallen. Kinder nehmen ihre Schlitten mit aufs Eis, Jugendliche spielen Hockey oder flitzen um die Wette, rechts und links am Rand machen sich Buden mit Glühwein oder warmer chocolademelk breit. Am schönsten ist das alles im Grachtengürtel altholländischer Städte wie Leiden oder Amsterdam, vor der Kulisse historischer Grachtenhäuser aus dunklem Backstein, die mit ihren prächtig verzierten weissen Giebeln alle aussehen wie Lebkuchen mit Zuckerguss. So manche Kneipe rollt dann einen Läufer aus, damit die Schlittschuhläufer auf Kufen in die Kneipe stolpern können, um sich bei einem borrel aufzuwärmen.

 Weniger glücklich sind die Hausbootbesitzer. Beim letzten strengen Elfstedentocht-Winter 1997 lagen ihre schwimmenden Heime so fest im Eis, dass sie sich vorkamen wie Entdeckungsreisende auf Nova Zembla. Auch müssen sie sich, sobald es friert,  auf ungebetene Gäste gefasst machen: Viele Schlittschuhläufer schauen ungeniert bei ihnen durchs Fenster rein. Manche setzen sich sogar ganz dreist oben aufs Deck, um sich die Schlittschuhe anzuziehen. Und Anfänger nutzen die Boote als Halt oder  höchst willkommene Notbremse.

 Allerdings hat das Eis auch seine Vorteile: 1997 konnten die Hausbootbewohner wochenlang um ihr Heim herumspazieren, um in aller Ruhe die Fenster zu putzen oder längst fällige Reparaturarbeiten zu erledigen. Normalerweise müssen sie das von einem schwankenden Beiboot aus erledigen. Und je tiefer die Temperaturen, desto wämer das nachbarschaftliche Verhältnis: Man trifft sich viel häufiger mit den Hausbootbewohnern vom anderen Ufer.  

 So wie der Rest der Nation wünscht sich deshalb auch so mancher Hausbootbesitzer inbrünstig, dass es nach 13 Jahren Warten endlich wieder zu einem Elfstedentocht kommt – und der Eismeister nach wiederholtem Messen der Eisdicke wie immer auf friesisch die drei erlösenden Worte sprechen kann:  „It giet oan – es kann losgehen!“

 

 

 

 

 

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Über fietsen und Teilzeit

Die Leichtigkeit, mit der sie sich auf den Rücksitz eines Rades schwingen – seitlich, wohlgemerkt, mit elegant wippenden Beinen – das fasziniert mich noch immer. Und keine Frage: Sobald sie ein Kind bekommen haben, landet auch das auf dem fiets. Holländische Frauen sind wahre Akrobaten auf dem Sattel. Noch ein Kind? Einkaufstaschen? Alles kein Problem: Der Nachwuchs sitzt ganz hinten und ganz vorne, die Einkaufstaschen baumeln rechts und links – und schon stürzt sich die holländische Mutter kühn und unerschrocken in den Verkehr, vorzugsweise zu den Stosszeiten, denn die kleintjes müssen ja zur Schule gebracht und abgeholt werden. 

Inzwischen macht zwar das bakfiets Furore, das so genannte Wannenrad, in dem neben Sprösslingen und Einkaufstaschen auch noch problemlos der Weihnachtsbaum Platz findet. Aber dennoch stehen insbesondere deutschen Müttern allein bei der Vorstellung vor Grauen alle Haare zu Berge: Erstens ist der Nachwuchs Auspuffgasen ausgesetzt, zweitens setzt man sich grundsätzlich nur mit Helm auf ein Rad. Und drittens, so finden auch andere Nicht-Holländerinnen, mutet die Rollenverteilung aus emanzipatorischer Sicht etwas seltsam an: manlief, wie der Ehemann liebevoll genannt wird, begibt sich majestätisch im dicken leeren Auto zur Arbeit, vrouwlief, wie die Gattin heisst, lässt sich samt kids und Einkäufen mit dem fiets abspeisen. „Wäre es“, gab meine kolumbianische Freundin Evelyn einst zu bedenken, „umgekehrt nicht logischer?“

 Neulich musste ich an ihre Worte zurückdenken. Da sah ich einen Mann auf dem fiets, der sämtliche akrobatischen Sattel-Künste der holländischen Frauen in den Schatten stellte: Auch er hatte ein Kleinkind vorne, eines hinten, Einkaufstaschen rechts und links, aber er setzte noch eins drauf, denn er hatte auch noch einen Hund an der Leine, der fröhlich neben dem fiets trabte.

 Sollte man diesen Mann nun als Symbol eines fortgeschrittenen Emanzipationsprozesses sehen? Guten Willen kann man Hollands Männern schliesslich nicht absprechen, sie arbeiten sogar Teilzeit, sonst könnten sie sich mit dem Nachwuchs ja nicht mitten in der Woche aufs Rad schwingen. Zwar könnten es ruhig mehr sein, aber ein Anfang ist gemacht, in den Nachbarländern sind es weit weniger. Wahrscheinlich, weil ein Arbeitnehmer in den Niederlanden ein Recht auf Teilzeit hat, im Ausland hingegen oft gar nicht erst vor diese Wahl gestellt wird.

 Womit wir bei einem Thema wären, über das ich mich mit meinen niederländischen Freundinnen jedes Mal in die Haare kriege. Nämlich die Tatache, dass die Niederländerinnen Weltmeister im Teilzeitarbeiten sind, obwohl das bekanntlich eine Karrierebremse ist. Mit der Folge, dass sie ihrem Image als moderne, emanzipierte Frauen bei weitem nicht gerecht werden und – was Führungspositionen anbelangt – sich auf dem selben Niveau befinden wie die Frauen in Pakistan oder Botswana.

 Bloss: Sie finden das gar nicht weiter schlimm, selbst meine beste Freundin Ina nicht: „Wir können unseren Einfluss auch indirekt geltend machen, wir brauchen nicht direkt an den Knöpfen der Macht zu drehen“, pflegt sie zu. Sie droht mir bei solchen Gesprächen regelmässig die Freundschaft zu kündigen, weil ich gerne nachfrage, inwieweit das vielleicht etwas mit Bequemlichkeit oder mangelndem Ehrgeiz zu tun haben könnte.

 Denn Teilzeit ist ja schön und gut und die beste Erfindung auf der Welt, solange es darum geht, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Aber in den Niederlanden arbeiten auch Frauen, deren Kinder längst aus dem Haus sind oder die überhaupt keine Kinder haben, vorzugsweise Teilzeit. Finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann – nur eine kleine Minderheit von Hollands Frauen ist wirtschaftlich  selbständig – scheinen sie freiwillig in Kauf zu nehmen. Weil das Leben viel angenehmer und stressfreier ist, wenn man zwei oder sogar Tage für seine Hobbies hat und für seine Freundinnen. „Viel leuker“, sagt Ina. Trotz abgeschlossenen Hochschulstudiums, aus dem man eigentlich viel mehr hätte machen können.

 Ist das schlimm? Und stimmt es, was meine holländischen Freundinnen behaupten:  dass auch deutsche Frauen ohne Kinder, die erzogen werden müssen, sofort auf ihre Karriere und Unabhängigkeit pfeifen und reihenweise Teilzeit arbeiten würden, wenn sie es denn nur könnten?? Würde mich echt interessieren….

 

 

 

 

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Vom Schweigen der Fische

Das Bücherschreiben gilt ja gemeinhin als brotlose Kunst. Allen darbenden Literaten sei zum Trost die folgende wundersame Geschichte der Isabella Lövin ans Herz gelegt: Die kernige Schwedin, Jahrgang 1963, schrieb in ihrem Journalistenleben für das Boulevardblatt Expressen über Umwelt und Naturschutz. In ihren Kolumnen im Feinschmecker-Magazin Allt om mat lässt sie sich über die fragwürdige Herkunft unserer Lebensmittel und das lasterhafte Verhalten des gemeinen Konsumenten aus.  

Eine Pressemitteilung der schwedischen Fischereibehörde lässt sie 2005 aufhorchen: der Aal, ein von allerhand Mythen und Fabeln umranktes Urzeitwesen, Wanderer zwischen den Weltmeeren, Meister der Metamorphose, ist in Schweden und in den Ländern rund um die Ostsee akut vom Aussterben bedroht. Auch der Dorsch bzw. Kabeljau ist in Skagerrak und Kattegatt so gut wie ausgerottet, kaum besser sind die Aussichten für den liebsten Speisefisch der Schweden in der Ostsee und in der Irischen See. Die alarmierenden Zahlen sind Forschern und Funktionären seit Jahren bekannt, doch in den Debatten werden noch immer überwiegend diffuse Umweltgifte, Emissionswerte und Belastungen durch Stockstoff und Phosphor aus der Landwirtschaft für die Krise der Weltmeere verantwortlich gemacht.

Dabei liegt das Problem auf der Hand: Europas überdimensionale Fischereiflotte zieht alles Leben aus dem Wasser, ohne Rücksicht auf die Bestände. Mit immer schnelleren Trawlern rüsten die Fischer auf, mit Echolot und ausgeklügelten Kühlsystemen. Die EU subventioniert auch den Schiffsdiesel und garantiert die Abnahme der Quoten. Mit dem Beitritt zur Union verdreifachten sich in Schweden die Staatsausgaben für die bedrohte Spezies der Küstenfischer, zugleich zweifeln immer mehr Kapitäne am wirtschaftlichen Sinn ihrer Arbeit. Ein Großteil ihres angelandeten Fangs wird zu Tierfutter verarbeitet. Die sonst so umweltbewegten Schweden machen sich für Treibnetze stark und stimmen im Rat regelmäßig für weitaus höhere Quoten als von den Forschern der ICES empfohlen.

Lövin gräbt sich weiter durch die Statistiken. 2007 erscheint ihr überaus spannendes und faktenreiches J´Accuse. „Tyst hav“ (Das stille Meer) wird in Schweden völlig unerwartet zum Bestseller, Lövin tingelt durch die Talkshows, ein Preisregen geht auf sie nieder. Die schwedischen Grünen tragen ihr einen Listenplatz in der gutbürgerlichen Stockholmer Vorstadt Nacka an. Die Journalistin triumphiert in der Europawahl und zieht ins Europaparlament ein, wo sie sich fortan gegen die verheerende Förderpolitik und ausbeuterische Handelsabkommen sträuben will.

Mehr noch als die prestigevolle Ratspräsidentschaft führen Alltagshelden wie Lövin den Schweden vor Augen, wie verbandelt ihre nordische Heimat längst mit dem scheinbar so fernen „Kontinent“ ist. Unlängst haben sogar Schwedens Grüne – notorische Europa-Muffel –  ihre traditionelle Forderung nach einem Austritt aus der Union kassiert. Auf ihre furchtlose Streiterin in Brüssel und Straßburg sind sie sogar ein wenig stolz.

Die so Gepriesene haut sich nach einer harten Sitzungswoche gern mal einen Fisch in die Pfanne. Vom Angeln nimmt die Naturfreundin Abstand. Sie findet das niederträchtig. Und womöglich fehlt ihr auch die Geduld.

 

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Mannsbilder hinterm Deich

 

 Wenn ich Pech habe, träume ich noch von ihnen. Ich sehe es bereits genau vor mir: Die hochblond gefärbte Mozart-Haartolle des islamophoben Politikers Geert Wilders verschwimmt langsam ins Gräuliche und verwandelt sich in die weissgrauen Zotteln von Radovan Karadzic. Die glätten sich dann auf wunderbare Weise, um – versehen von einer kastanienbraunen Tönung – einen akuraten Seitenscheitel zu formen, unter dem auf einmal das bubenhafte Antlitz des niederländischen Premierministers Jan Peter Balkenende auftaucht, möglicherweise der erste Ständige Ratspräsident Europas.    

 Wilders, Karadzic, Balkenende – um diese drei Männer dreht sich in den letzten Tagen in den Poldern alles. Um Wilders nicht nur, weil er Umfragen zufolge mit seiner fremdenfeindlichen Partei der Freiheit PVV nach wie vor der Grösste werden würde, wenn jetzt Wahlen wären. Er schlug auch wieder einmal mit derben Beschimpfungen wild um sich:   Nachdem es andere Politiker gewagt hatten, ihn als Rechtsextremisten,  Rassisten und Gefahr für den Rechtsstaat zu bezeichnen, nahm Wilders es sich heraus, seine Kritiker als Handlanger von Mohammed Bouyeri zu bezeichnen, des Mörders von Theo van Gogh – und zwar gerade noch rechtzeitig zum fünften Todestag des ermordeten islamkritischen Regisseurs.

 Um Karadzic, weil er sich – einer verwöhnten Diva gleich – erst an seinem dritten Prozesstag dazu herabliess, vor den Richtern zu erscheinen, um dann – ebenfalls wie eine Diva – ausführlichst darüber zu jammern, dass er angesichts seiner Prozessvorbereitungen noch nicht einmal mehr Zeit habe, frische Luft zu schöpfen, geschweige denn, Sport zu treiben. Und obwohl er Tag und Nacht durcharbeite (er gähnte selbst ein paar Mal wirkungsvoll), brauche er einfach noch mehr Zeit, um angemessen seine Verteidigung auf sich nehmen zu können. Was ja auch kein Wunder ist, schliesslich hatte der ehemalige Führer der bosnischen Serben Besseres zu tun: Seit seiner Überstellung nach Den Haag im Juli 2008 haben er und seine mehr als 30 Mann starke Armada aus Juristen und Rechtsberatern das Jugoslawientribunal mit mehr als 240 Anträgen regelrecht bombardiert – ein absoluter Rekord, alle Achtung, das hat noch kein anderer Angeklagter vor ihm geschafft, wobei viele dieser Anträge von den Richtern als reine Schikane empfunden wurden. Ob Karadzic doch noch gegen seinen Willen einen Pflichtverteidiger bekommt, ist offen: Ende der Woche wollen die Richter bekanntgeben, in welcher Form der Prozess, der gestern nach eineinhalb Stunden abgebrochen wurde, weitergehen soll.

 Vielleicht steht bis dahin auch schon fest, ob der niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende Den Haag gegen Brüssel eintauschen kann. Schliesslich fühlt er sich dort viel wohler als zuhause hinter den Deichen, wo ihm seine Landsleute das Leben zunehmend schwer machen. Balkenende muss aufpassen, nicht als unbeliebtester und farblosester Premierminister in die Geschichte der Niederlande einzugehen. Er gilt als blitzgescheit und brav, als tüchtig und vertrauenswürdig – aber eben auch als langweilig und grau. Ein Mann ohne Tatkraft und ohne Charisma. Wen wundert es da noch, dass ihn 57 % aller Niederländer, so ergab eine Umfrage, nicht vermissen würden! Aber ob sie ihn tatsächlich so schnell loswerden, bleibt abzuwarten. Dass da Skepsis angebracht ist, fand auch einer meiner Kollegen hier in Den Haag: So schlecht, meinte er, sei Europa nun auch wieder nicht, dass es Balkenende verdiene.

 

 

 

 

 

 

 

 

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sorry, Holland

 

Europa ist ja schon ein schwieriger Ort. Finden wir auf jeden Fall hier unten in Ozztralija. Ok, dass das United Kingdom eine Insel ist und daher irgendwie nicht so richtig dazu gehört, Tony Blair als EU-Boss hin oder her, ist ja halbwegs logisch. Aber Holland? Ist da bei Euch auch schon Land unter, Kerstin? Laut meinem Supermarkt jedenfalls seid ihr draußen: Klare Sache, ihr dümpelt jenseits der Eurozone irgendwo zwischen Indien, Libanon und Kosher… (die Honigwaffeln waren by the way lecker – ob nun europäisch, dutch oder made in Poland).

 

 

 

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Von “bad news” zu schönen Geschichten..

Was hatte ich damals für Sorgen, als es im Januar 2007 in Moskau ans Kofferpacken ging. Nach knapp sieben aufregenden und bewegenden Jahren als freier Korrespondent in Moskau und ganz Russland sollte ich in die Schweiz wechseln, noch dazu in eine Festanstellung zu ‘cash TV‘, einem privaten Wirtschaftsfernsehmagazin.

 In Moskau hatte ich mich schnell daran gewöhnt, dass jederzeit weltbewegendes passieren kann: Katastrophen, Krieg, Attentate und so weiter. Ich hatte im August 2000 noch nicht die Koffer ausgepackt, da soff schon das Atom-U-Boot ‘Kursk’ mit 118 Mann Besatzung ab und hielt mich und die Weltöffentlichkeit tagelang auf Trab. Nachts liess ich all die Jahre das Handy eingeschaltet neben meinem Bett, allzeit bereit für die nächsten Einsätze. Und es folgten einige.

 Die vielen ‘bad news’ und der menschenverachtende Umgang mit dem Volk durch die Obrigkeit hatten mich zynisch werden lassen in all den Jahren; ‘wo man auch hinschaut, man packt in Scheisse’, sagte mir eine deutsche Kollegin bei meinem letzten Besuch in Moskau in diesem Sommer. Recht hat sie.

 Dennoch war damals meine Sorge gross, in der ruhigen, gemütlichen und reichen Schweiz journalistisch zu veröden. Schliesslich gibt es in der Schweiz keine wirklich harten politischen Auseinandersetzungen; in der Schweiz regieren Konsenz und Mittelmass. Es gibt – und das mag seltsam klingen – in der Schweiz kaum herausragende Persönlichkeiten, aber das ist von den Eidgenossen durchaus so gewollt. Überragende Persönlichkeiten, ob negativ oder positiv, sind verdächtig. Die Schweizer schätzen eben – grob gesagt – das Durchschnittliche. Das macht das Land sympathisch, aber für Aussenstehende auch ein bisschen langweilig. Die Schweiz, ein Land ohne Schlagzeilen, wenn einmal von der Verhaftung von Starregisseur Roman Polanski absieht.

 Dennoch waren meine Sorgen im Nachhinein unbegründet. Die Schweiz steckt voller schöner und auch skurriler Geschichten. Die Eidgenossen waren und sind noch immer ein sehr findiges und innovatives Völkchen. Immerhin haben die Schweizer unter anderem das Alphorn, den Klettverschluss oder auch den Closomat, ein WC mit integrierter Dusche für den Popo erfunden…

 Meist weiss man nur wenig über die klugen Köpfe hinter solch bahnbrechenden Erfindungen. Als ich von dem Kartoffelbauer Ueli Maurer hörte, der seit zehn Jahren (!) damit beschäftigt ist, den perfekten Pommes-Frites-Automaten zu entwickeln, wurde ich neugierig und ging der Sache nach.

 Hier ist seine Geschichte:

 Es ist eine typisch schweizerische Geschichte.

 

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Sonntags nie

 

Sonntags wählen ist in den Niederlanden ausgeschlossen, für sowas Profanes darf der Tag des Herrn aus Rücksicht auf strenggläubige Kalvinisten nicht missbraucht werden. Doch das Interesse an den Bundestagswahlen ist so gross, dass man fast meinen könnte, dass heute nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden gewählt wird: Merkel und Steinmeier prangen auf den Titelseiten der Zeitungen, gleich darf ich zu einer grossen Wahlparty in Den Haag aufbrechen, und mehrere Zeitschriften und Nachrichtenmagazine analysieren diese Woche in ihren Aufmachern ausführlichst den deutschen Wahlkampf.

Dabei wundern sich die Niederländer vor allem über eines: Dass in der deutschen Parteienlandschaft weit und breit kein rechtspopulistischer Geert Wilders zu entdecken ist, der Islam im Wahlkampf kein Thema war und auch kein Moslem-bashing stattfindet. Ganz einfach, weil es unanständig ist und man sich dafür eigentlich schämen sollte. Das jedenfalls erfährt der Leser im Meinungsblatt Vrij Nederland, das nach acht Seiten Analyse zu dem Schluss kommt, dass die Niederlande für die Deutschen ein Beispiel dafür sind, wie man es nicht machen sollte.

So können sich die Zeiten ändern. Als ich in den 90er Jahren hierher kam, war es genau umgekehrt: Die Niederländer galten als vorbildlich an allen Fronten, und darüber schrieben wir Korrespondenten uns die Finger wund. Egal, ob Drogenpolitik, Toleranz, Integration oder Sterbehilfe: „Bei uns ist alles besser“, lautete das Motto, mit dem sich die Niederländer nur allzu gerne brüsteten, um dem Rest der Welt zu zeigen, worin ein kleines Land ganz gross sein kann – vor allem dem dicken Bruder im Osten, den Deutschen.

Inzwischen schlagen die Niederländer leisere Töne an. Und sie sind nicht bloss bescheidener geworden, sie gucken auch nicht mehr verächtlich über die Grenze, sondern – man halte sich fest – bewundernd! Dass ihr Deutschlandbild nicht mehr ausschliesslich vom Zweiten Weltkrieg und der deutschen Besatzungszeit geprägt ist, liegt nicht nur an Schüleraustauschprogrammen und neuem Unterrichtsmaterial für die Geschichtsstunde. Höchst effektiv für die wundersame Wandlung war auch der WM-Effekt 2006: „Toll, wie ihr das hingekriegt habt!“ heisst es noch heute. Dass sich damals einige deutsche Fussballfans ein niederländisches Oranje-Trikot übergezogen haben, hat die Niederländer sogar regelrecht aus der Fassung gebracht. Ein Oranjefan in einem deutschen Trikot wurde bislang zwar noch nicht gesichtet, aber deutsche Tugenden wie Fleiss und Ausdauer stehen inzwischen so hoch im Kurs, dass sich immer mehr niederländische Unternehmer in Deutschland niederlassen. Auch im Grenzgebiet zieht es immer mehr Niederländer auf die deutsche Seite, vor allem wegen der Höflichkeit und der guten Umgangsformen, ergab eine Umfrage. Ist es zu fassen? Da könnte man als Deutscher vor Verlegenheit ja glatt rot werden!

Wer’s nicht glauben will, dem zeige ich als Beweis gerne immer wieder jenen Artikel aus der angesehenen Tageszeitung Volkskrant,  der auf einer ganzen Seite erklärt, warum in Deutschland alles besser ist – angefangen bei den Brötchen über die Taxifahrer bis hin zu den Debatten im Parlament. Auch die Sonderbeilage „Duitsland is ok“ hab’ ich mir aufgehoben, schon allein wegen der 45 Tipps, die darin gegeben werden. Kleine Kostprobe: „Trinke deutschen Wein, trage Birkenstock und kaufe bei Tchibo.“

 

 

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Im Herzen der Finsternis

Kaddisch im Wald von Paneriai. Fania Brantsovskaya reicht dem Reporter bis zum Bauchnabel. Die alte Dame, Jahrgang 1922, überlebte die Auflösung des Wilner Ghettos 1943, ging als Partisanin in die Wälder. Sie hat ein vergilbtes Foto mitgebracht. Von ihrer Familie ist nichts geblieben als die Erinnerung. 70 000 Menschen haben die deutschen Besatzer in Ponar, rund 20 Kilometer südwestlich der litauischen Hauptstadt Vilnius, erschossen, in Gruben aufgeschichtet und verbrannt.

Vor dem Einmarsch der Nazis war fast jeder zweite Bewohner der Stadt jüdischen Glaubens. „Vilne“ ein Zentrum jüdischer Kultur, das es so in Nordeuropa kein zweites Mal gab. Litauens jüdische Emigranten, die Litvaken,  sind noch einmal zurückgekehrt ins Herz Europas, wollen die Erinnerung an dieses litauische Jerusalem mit seinem weltberühmten Gaon wieder aufleben lassen. Aber sie sprechen auch ein Thema an, das in der jungen Republik tabuisiert wird: Mit bestialischen Greueltaten beteiligten sich Litauer als willige Helfer der Nazis am Judenmord.

Unterdessen mühsame Spurensuche in der barocken Altstadt. Kein Schild, kein Hinweis. Im offiziellen Programm der Kulturhauptstadt findet das jüdische Erbe kaum statt. Kritiker halten Vilnius ohnehin für unwürdig, weil es bis heute Streit um die Rückgabe jüdischen Eigentums gibt. Frostig sei der Umgang mit der Minderheit, klagt der rastlose Simon Gurevičius von der Gemeinde (3 000 sind sie noch): Litauische Staatsanwälte ermittelten gegen jüdische Partisanen um Brantsovskaya. Neonazis durften vor der Synagoge aufmarschieren.

Immerhin, im Streit um den ehmaligen jüdischen Friedhof von Vilnius lenkte das Kulturministerium in diesen Tagen ein. Auf den von den Sowjets eingeebneten Flächen darf eine Bebauung nur nach Zustimmung der Gemeinde erfolgen. Auch in den Verhandlungen um Entschädigung für geraubten Besitz im Zuge der Enteignung und Arisierung gibt es Bewegung. Allerdings liegen die gegenseitigen Vorstellungen vom Umfang der Zahlungen noch weit auseinander.

 

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Unter schwarzer Flagge

Schwedens Piratenpartei ist stolze Siegerin der Europawahlen. Erstaunlich eigentlich, denn zu den meisten politischen Themen haben die Rebellen der Generation Internet keine Meinung. Dennoch holten sie aus dem Stand  7,1 Prozent der Stimmen. Unter großer Anteilnahme der jugendlichen Zielgruppe wollen die Freibeuter um Rick Falkvinge und Christian Engström nun auch auf dem Kontinent für Bürgerrechte und gegen immer neue Abhörgesetze, Spitzeltrojaner und Softwarepatente streiten. Die Partei entstand im Umfeld der Raubkopierer-Plattform „The Pirate Bay“ und hat allgemein ein Problem mit dem geistigen Eigentum.  Beobachter in Schweden rätseln nun, ob es sich nur um einen kurzweiligen Erfolg oder vielmehr um eine nachhaltige Protestbewegung handelt.

 

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Helm ab zum Gebet

In Griechenland gibt es eine neue Art landestypischer Unfälle. So kann es einem auf der Autobahn jederzeit passieren, dass der Vordermann plötzlich die Warnblinkanlage einschaltet und mit Vollbremsung auf den Seitenstreifen schleudert. Beim erstenmal dachte ich an einen schweren Motorschaden, Kolbenfresser oder so. Ein griechischer Bekannter hat mich aufgeklärt: Die griechische Regierung hat die Strafen für Handytelefonieren-am-Steuer auf 400 Euro angehoben. Und seit die Polizei die Rekordstrafe gelegentlich auch verhängt, ziehen viele Griechen den schnellen Boxenstopp vor, um am Randstreifen hastig auf Empfang zu gehen. Wer die Reihenfolge Warnblink-Bremsen-Telefonieren einhält, riskiert zwar sein Leben, aber keinen Strafzettel.  Allerdings glaubt die griechische Regierung selbst nicht so recht, dass die 400 Euro auch bezahlt werden. Schließlich kennt jeder Grieche jemanden, der jemanden kennt, der in der Polizei oder in der Verwaltung einen guten Bekannten hat.  Da lässt sich meist was machen, jedenfalls kann man es probieren. Deshalb gibt die griechische Regierung 50 Prozent Skonto, wenn das Knöllchen innerhalb von zwei Wochen beglichen wird. Ungewöhnlich scharfe Drohungen wie auch drastische Rabatte deuten in der Regel auf gewisse Schwächen bei der Durchsetzung von Gesetzen hin. Das kann man in vielen Ländern beobachten, aber nirgends so schön wie in Griechenland. Athen kämpft bei der EU seit Jahren für die Erlaubnis, die Mehrwertsteuer auf Motorradhelme senken zu dürfen. In der Hoffnung, dass dann endlich jeder Biker einen kauft. Denn trotz drastischer Strafen halten viele griechische Motorradfahrer ihren Kopf nach wie vor ungeschützt in den Fahrtwind. Dass das nicht immer gut geht, kann man an den Unfallstatistiken ablesen. Die EU drängt deshalb auf stärkere Kontrollen. Doch die Griechen halten sich lieber an eine andere Instanz: Autobahnen und Landstraßen sind gesäumt von kleinen Votivkapellen, jede ein Dankeschön für den Schutzengel, wenn es gerade noch mal gut gegangen ist. Die Heiligen sollen wissen, dass es sich lohnt, ihre Hand über helmlose griechische Köpfe zu halten.

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