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Mein erstes Jahr in Kalifornien – und das als Buch

Ich bin ja jetzt schon eine ganze Weile in Kalifornien, angekommen als ARD-Radio-Korrespondentin und inzwischen als selbständige Journalistin mit allen Höhen und Tiefen, die das freischaffende Leben so mit sich bringt.
Zu den Höhen zählt eindeutig, dass es nun das erste Buch von mir gibt. Ein Jahr in Kalifornien!
Als der Herder-Verlag mich fragte, ob ich Lust auf das Projekt hatte, war ich sofort neugierig. Schon lange träumte ich davon, ein Buch zu schreiben. In der Grundschule habe ich des sogar schonmal gemacht. Selbstgebundene und illustrierte Abenteuer eines Mädchens, frei erfunden mit starken autobiographischen Zügen. Der Dackel meiner Freundin hat das gute Werk leider vernichtet bevor es zum Bestseller werden konnte.
Jetzt also ein neuer Versuch. “Ich finde das Jahr, in dem ich mich selbständig gemacht habe spannender als mein erstes Jahr in Kalifornien”, sagte ich beim Treffen mit dem Lektor. Der antwortete diplomatisch, das sei sicher auch sehr interessant, aber in der Serie gehe es mehr darum, wie das so ist, wenn man in einem neuen Land ankommt, die Bürokratie ist anders, die Menschen und das Wetter sowieso.
Ja, wie war das damals eigentlich? Ich versuchte mich zu erinnern und mir fiel einiges ein – wie am roten Teppich die Prominenz einfach an mir vorbei ging, wie ich durch die erste Führerscheinprüfung gefallen bin, den ersten prall gefüllten Waffenschrank gesehen habe, wie ich mit Aktivisten Wasser in die Grenzwüste gebracht habe, und wie ich staunend in der Gischt der Wasserfälle von Yosemite stand. Und natürlich wie wunderbar es nach 14 Jahren Berliner Winter war – und noch immer ist – dass so oft die Sonne scheint.
Jetzt ist es raus in der Welt, mein erstes Buch. Bei mir ist allerdings noch keins angekommen, obwohl der Verlag das Paket mit Belegexemplaren schon vor einer Weile abgeschickt hat. Auch das ist so eine kalifornische Erfahrung: transatlantische Post kostet zwar ein Vermögen, bewegt sich aber im Tempo der Postkutschen-Zeit.
Ob das ins nächste Buch passt? Eher nicht. Ich glaube, das wird eine erfundene Geschichte mit nur ein paar autobiographischen Zügen.

 

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Frühkindliche Erziehung in der Manege

Spanien kommt aus der Bluthochdruckzone gar nicht mehr raus. Ein Skandal jagt den anderen, Oberthema: Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Klingt schrecklich langweilig, ist aber ein echter Aufreger, zumindest wenn die Protagonisten ein Stierkämpfer und eine Podemos-Abgeordnete sind.
Fran Rivera, genannt Paquirri, hat ein Foto von sich und seiner jüngsten Tochter gepostet. Es zeigt ihn beim Training, in der heimischen Arena, mit einer Jungkuh, und zwar in dieser Pose:

Daneben der Text: “Carmens Debüt – Sie gehört zur fünften Generation einer Stierkämpferfamilie. Mein Großvater zeigte das gleiche meinem Vater, mein Vater mir, ich meinen beiden Töchtern…”
Innerhalb weniger Stunden war die Debattennation zweigeteilt, in den Talkshows liefen die Mikrofone heiß, Verfechter (“Tradition”, “Weitergabe von Werten”) und Gegner (“Angeber”, “unverantwortlich”, “Tierquälerei”) warfen sich alle Nettigkeiten zwischen “Banause” und “Mörder” an den Kopf. Und natürlich wurde sogleich die Parallele zu diesem Skandal gezogen:

Podemos-Abgeordnete Carolina Bescansa hatte doch tatsächlich zur ersten Parlamentssitzung ihr Baby mitgebracht. Die Parlamentspräsidentin höchstpersönlich wies die Neue darauf hin, dass es auch eine KiTa im Parlament gäbe und ließ sich dann lang und breit in einer Talkshow darüber aus, ob ein “geschlossener Raum mit 400 Erwachsenen” tatsächlich das richtige Ambiente für einen Säugling wäre. Auch da verliefen tiefe Fronten zwischen Befürwortern (“Biologie ergo Mutter-Kind-Bindung”, “Zeichen setzen für arbeitende Eltern”) und Gegnern (“Populismus”, “unverantwortlich”). Man könnte jetzt lang und breit tatsächliche und mutmaßliche Gesundheitsrisiken für die jeweiligen Säuglinge analysieren oder untersuchen, wo denn nun genau die diskursiven Unterschiede zwischen Tradition/Biologie einerseits und Populismus/Angeberei einerseits liegen, interessant bei der Debatte ist, dass diejenigen, die sich über Bescansas Baby echauffierten Paquirris Baby beklatschen. Und umgekehrt natürlich.
Eine ganz ähnliche Debatte gab es übrigens zum Oberthema Angemessene Bekleidung.

 

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Freedom Rocks – Berliner Mauer Fragmente in Los Angeles

Berliner Mauer Los Angeles

Der längste zusammenhängende Mauerstreifen außerhalb von Deutschland ist – in Los Angeles, auf einer Wiese neben dem Wilshire Boulevard, einer Hauptverkehrsstrecke zwischen West und Ost, gegenüber vom Los Angeles County Museum of Art. Mittags parken hier ein halbes Dutzend Food Trucks, oft sind einer mit Bratwurst und die Currywurst-Konkurrenz dabei.
Die zehn Originalsegmente aus Berlin hat das Wende Museum zum 20. Jahrestag des Mauerfalls nach Los Angeles gebracht. Inzwischen gab es davor Demonstrationen und Picknicks, Konzerte und Hochzeiten.
Viele Fragmente der Berliner Mauer sind in Nordamerika gelandet. Zwei kanadische Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest einen Teil von deren Geschichte aufzuspüren und zu dokumentieren. Ihr Projekt heißt Freedom Rocks. Letzte Woche haben Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick dafür Station im Goethe Institut von Los Angeles gemacht.
Vor schlichter Kulisse von Klappstuhl und Tisch mit schwarzer Decke stellten sie Kamera und Scheinwerfer auf. Dann kamen die Besitzer von Mauerfragmenten und erzählten ihre Geschichten.
Die Künstler stellen immer dieselben Fragen: Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Woher hast Du die Mauerstücke? Wo bewahrst Du sie auf? Was bedeuten sie heute für Dich?
Sie filmen nur Hände, die die Fragmente halten und haben festgestellt, dass die meisten Geschichten weniger mit dem Kalten Krieg als mit persönlichen Erinnerungen zu tun haben.
fragment rebecca
In Los Angeles erzählt ein Deutschprofessor, wie er 1990 mit Studienkollegen in einer Regennacht Stücke selbst abklopfte. Ein Künstler berichtet, wie er einen Teil der Mauer in Kreuzberg 1987 bemalte, ganau zwei Jahre bevor die Grenze geöffnet wurde. Eine Teilnehmerin ist nicht sicher ob ihre Teile echt sind. Sie hat sie in einem Baumarkt für 20 Dollar gekauft. Einer Germanistin aus Dresden steigen Tränen in die Augen, als sie erzählt wie sie eine Woche nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal im Leben durch das Brandenburger Tor ging und von dort Mauerstücke mit nach Los Angeles nahm.

“Solange die Fragmente in Bewegung ist wird sich ihre Geschichte verändern,” fassen die Künstler zusammen. “Wie wir uns an Geschichte erinnern und ihr Denkmale setzen bleibt nie gleich.”

Meine Geschichte für den Deutschlandfunk können Sie hier nachhören: Freedom Rocks

 

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Sama Wareh – Hoffnung und Kunst für syrische Kinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Sama liest Brief der Flüchtlingskinder

Ich fahre durch die Dunkelheit in ein schmales Tal in den Bergen südlich von Los Angeles: Silverado Canyon. Die Wegbeschreibung endete mit einem Hinweis auf eine große rote Scheune. Ohne Straßenbeleuchtung sind Größe und Farbe der wenigen Gebäude am Straßenrand kaum zu erkennen. Endlich finde ich die Scheune, im Haus gegenüber leuchtet hinter einem Fenster warmes Licht. Ich bin bei Sama Wareh angekommen: Künstlerin und Aktivistin, Kalifornierin mit Wurzeln in Syrien. Bis zum Kriegsausbruch hat sie regelmäßig Familie und Freunde in Damaskus besucht.
Der Krieg hat sie so beschäftigt, dass sie einmal auf eigene Faust an die türkische Grenze reiste, um Flüchtlingen mit Decken, Heizkörpern, Medizin und Mietzahlungen zu helfen. Ein Jahr später machte sie sich wieder auf den Weg, diesmal mit der Mission, ein nachhaltiges Projekt zu initiieren und dabei ihre Stärken zu nutzen: Kunst und Pädagogik. Sie entwickelte ein Curriculum: “Kunsttherapie für Kinder in Kriegsgebieten” und zog los. Vor ein paar Wochen kam sie zurück und erzählt mir nun, was sie erlebt hat.

“Möchtest Du Linsensuppe?” fragt sie mich zur Begrüßung. Die köchelt vor sich hin, füllt die kleine Wohnung mit Wärme und dem Duft einer starken Gewürzmischung. Wir setzen uns auf ein niedriges Sofa und Sama beginnt zu erzählen.
Im November reiste sie zu einer Schule im Libanon, nördlich von Tripolis. Dort hatte sie nach langer Recherche einen Direktor gefunden, der Schülern die selben Werte vermitteln wollte wie sie: Teamwork, Kreativität und Gleichberechtigung über Religion, Geschlecht, Herkunft, Alter und Rasse hinweg – ein Vorbild für die Zukunft Syriens. Die Schüler hatten den Namen der Schule selbst gewählt: Vögel der Hoffnung.
Sama kaufte von Spenden, die sie in Kalifornien gesammelt hatte und vom Einkommen aus dem Verkauf ihrer Bilder Material und begann ihr Kunstprogramm: Sie ließ die Kinder ihre Träume und Hoffnungen malen und gestaltete mit allen Schülern, Lehrern und dem Direktor ein Wandgemälde. Die steckten der kalifornischen Künstlerin jeden Morgen Briefe und Zeichnungen zu: Blumen und Herzen, Monster, Bomben, blutende Bäume und zerstörte Städte.
“In Kunst drücken Kinder aus, worüber sie nicht sprechen können,” erzählt Sama von ihrer Zeit mit den 350 ‘Vögeln der Hoffnung’. Ein Junge sang jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn auf der Schultreppe ein Lied von der Schönheit Syriens und von Trauer um die Zerstörung des Landes. Der Abschied fiel ihr schwer, weinend ermutigte sie die Kinder, weiter zusammen zu arbeiten, zu reden und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Die gesammelten Spenden finanzieren nun einen Kunstlehrer, der ihr Projekt fortführt. Er schickt ihr Videos von den Fortschritten. Sie zeigt mir eines auf dem Computer und holt aus ihrem Schlafzimmer Briefe und Zeichnungen der Kinder. Sie erinnern sie an traurige und glückliche Momente in der Schule. “Nichts kann mich mit so viel Glück und Freude füllen, wie das Lächeln der Flüchtlingskinder und die Konzentration und Ruhe auf ihren Gesichtern während sie zeichnen.”
Aus Videoaufnahmen ihres Abenteuers an der Schule produziert sie einen Dokumentarfilm. Einnahmen aus Vorführungen werden direkt zu den ‘Vögeln der Hoffnung’ geschickt. “Jeder kann etwas Positives bewirken in der Welt,” sagt sie während wir Linsensuppe löffeln. “Ich bin Künstlerin, ich hab nicht viel Geld aber jetzt haben die Kinder diese neue Freude im Leben, nur weil ich mich angestrengt habe. Das ist das beste Gefühl der Welt!”

 

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Cornelia Funke spukt im Getty Museum

Es begann bei einer Party, erzählt mir Cornelia Funke bei einem Espresso im Büro von Thomas Gaehtgens, dem Leiter des Getty Research Centers. Einer Party, zu der sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil die super erfolgreiche Schriftstellerin gar nicht auf Hollywood-Partys steht. Aber sie ließ sich überreden.
“Und wen sehe ich als Erstes kaum komme ich zur Tür rein?” Der Ton legt nahe, dass es sich um ein dreiköpfiges, schielendes, sabberndes Monster am Buffet handeln muss. Wenn nicht schlimmer!
“Brad Pitt!”
“Aha!” denke ich, ich habe Cornelia missverstanden. Sie war dann doch froh, dass sie zur Party gegangen ist. “Nein!” widerspricht sie und verdreht die Augen. Dieser Anblick bestätigte nur dass es eine Feier genau der Sorte sein würde, der sie möglichst aus dem Weg geht. “Aber Brad Pitt sieht ja auch tatsächlich von Nahem sehr gut aus und ist auch sehr nett!” fügt sie dann noch hinzu.

Cornelia Funke und Thomas Gaehtgens

Cornelia Funke und Thomas Gaehtgens

Viel wichtiger war aber die Begegnung mit Gaehtgens. Mit dem sprach sie über ihre Bücher und deren Charaktere aus verschiedenen Jahrhunderten, über Projekte, Inspirationen und Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Leiter des Research Institutes lud sie sofort ein, das Getty-Archiv zu nutzen. Das Institut ist offen für jede Form der Recherche.
Mehrere Notizbücher hat sie inzwischen gefüllt mit Fotos von Charakteren des Getty-Archivs: furchterregend, verführerisch, geheimnisvoll, bucklig, zart, klein, kostümiert, nackt… Sie alle erweckt sie in ihren Büchern zu neuem Leben. Wann immer Funke ins Institut kommt, liegen da schon neue Bücher bereit. Als Dank für Offenheit und Hilfe des Instituts erfand Cornelia Funke den Piraten William Dampier. Genauer gesagt: Dampier lebte tatsächlich von 1651 bis 1715. Dank Funke spukt er jetzt als Geist durch die weiße Getty-Festung über dem Pazifik. Sie hat eine Piraten-Geschichte erfunden rund um Landkarten, Sternenkarten, Silbermünzen, Muscheln und Mumien für die jungen Besucher der neusten Ausstellung des Instituts: ‘Connecting Seas – A Visual History of Discoveries and Encounters’. Die folgt Reisenden, Neugierigen, Abenteurern, Erfindern, Aufschneidern, Wissenschaftlern, Kolonialisten und Ausbeutern über die Weltmeere vom 17. Jahrhundert bis heute.
Mir gaben die beiden eine Tour durch die Ausstellung. Ziemlich beeindruckend! Nicht nur, was ich da zu sehen bekam sondern auch, wie die beiden ganz unkompliziert und unbürokratisch mit Hilfe von mehreren Kuratoren das Projekt auf die Beine gestellt haben.
Der Geist von Pirat Dampier soll auch in Zukunft durch Austellungen spuken und Kinder in den Bann von Forschung und Geschichte ziehen. Die Broschüre mit seiner Geschichte liegt kostenlos aus und auch Erwachsene nehmen sie gerne mit.
Die Show zur Erkundung des Globus über die Weltmeere ist noch bis zum 13. April offen.

 

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Gayet-Gate: Alle reden drüber aber kaum jemand ist beeindruckt

Seit Tagen berichten alle Medien drüber: Präsident Hollandes angebliche Affaire mit der Schauspielerin Julie Gayet. Derzeit ist sie eines der beliebtesten Klatsch-Themen in Frankreich. Nicht, dass sich jemand wirklich darüber aufregte. Denn eine gelegentliche Affaire gehört für den französischen Mann eigentlich zum guten Ton. Zumindest ist sie nichts moralisch Verwerfliches. Aber es ist eben eine „histoire de cul“. Darüber tratscht man gerne. Drum konnte das People-Magazin „Closer“ mit der Geschichte seine verkaufte Auflage seit vergangenen Freitag glatt verdoppeln.

Hollande hat sich entrüstet über die Einmischung der Medien in sein Privatleben, dementiert hat er die Affaire nicht. Einer Umfrage des „Journal du Dimanche“ zufolge hat die mutmaßliche Affaire für 84% der Befragten ihre Meinung über den Präsidenten nicht verändert. 77% der Franzosen halten es für seine Privatangelegenheit. Damit würde die Story vermutlich schnell im Sande verlaufen. Hätten wir nicht bald Kommunalwahlen in Frankreich. Und natürlich versuchen die Opposition und die ihr nahestehenden Medien die Nummer auszuschlachten. Hat der Präsident für seine sexuellen Begierden seine Sicherheit aufs Spiel gesetzt? Oder hat er sich mit einer Bande von Mafiosi eingelassen, weil er deren Wohnung als Liebesnest benutzt hat?

Während sich die regimetreuen Medien Gedanken machen, ob es sich hier nicht um ein politisches Komplott gegen François Hollande handeln könnte. Hat vielleicht ein immer noch Sarkozy-treuer Sicherheitsmann des Elysée die Geschichte durchsickern lassen?

Eigentlich leid tun kann einem nur Valérie Trierweiler, Hollandes offizielle Partnerin. Sie wird in einem Pariser Krankenhaus wegen eines nervösen Schocks behandelt. Ihr Pech ist es, dass sie nie eine große Sympathie-Trägerin war. Sonst würden sich jetzt zumindest ihre Fans aufregen. So erhält sie von nur wenigen sehr verhaltenes Mitleid. Dass ihr diese ganze Medienkampagne sehr viel mehr zusetzt als Mr. Le Président, darüber scheint sich niemand Gedanken zu machen. Ob man sie nun mag oder nicht, ich stelle es mir schrecklich vor, wenn man erst als gestandene Journalistin plötzlich „première dame“ wird und sich deshalb vom Protokoll und den Pressekollegen gründlich zurecht stutzen lassen muss. Und nachdem sie das mit mehr oder weniger Haltung überlebt hat, erfährt sie nun eine öffentliche Degradierung und Schmach, weil „le président normal“ eben ganz normal war und sie betrogen hat.

Schon zerreißen sich die Klatschspalten die Mäuler darüber, ob sie jetzt auch ganz normal sein darf und ihn in den Hintern treten darf. Oder ob sie staatsfraulich mit Hollande nach Washington reisen muss, um sich beim Damenprogramm von Michelle Obama bemitleiden zu lassen.

Während die französischen Medien weiter schmutzige Wäsche waschen, hat die Mehrzahl der Franzosen ganz andere Sorgen. Um die sollte sich der Präsident kümmern. Nicht um Croissants für seine Geliebte, wenn es sie denn wirklich gibt (und vieles deutet darauf hin). Oder um die Verteidigung seiner Privatsphäre. Da darf man sich nicht wundern, dass das jüngste Stimmungsbarometer des Forschungszentrums Cevipof herausfand: 87 % der Franzosen sind der Ansicht, die politischen Verantwortlichen kümmerten sich nicht um sie und ihre Belange. Und 69 % der Franzosen meinen, die Demokratie funktioniere nicht mehr richtig.

Das sollte den Politikern und den Medien in Frankreich zu denken geben. Wenn sie es ernst nähmen, hätten sie vermutlich gar keine Zeit mehr für Affairen dieser Art.

 

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Los Angeles – soviel mehr als Hollywood

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Jedes Jahr am 31. Dezember wandere ich mit Freunden auf eine Hügelkuppe in den Bergen von Los Angeles. Von dort schauen wir beim Picknick vom glitzernden Pazifik im Westen über Wolkenkratzer von Downtown bis zu schneebedeckten Bergen im Osten. Es ist immer eine gute Gelegenheit, mich an Menschen und Orte zu erinnern, die ich im vergangenen Jahr getroffen und entdeckt habe. Wieviel ich selbst nach zehn Jahren in Los Angeles noch zu entdecken habe wurde mir bei meinem letzten Interview im Jahr 2013 mal wieder sehr bewusst. Für Reporter Corps, ein Projekt der USC Journalismus Schule ging ich mit einer Studentin durch das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist: Watts. Im Süden der Wolkenkratzer gelegen, ist es vor allem bekannt für die Rassenunruhen, die dort 1965 ausbrachen, Bandenkriege und Schießereien über die die Abendnachrichten berichten. In alternativen Reiseführern werden außerdem die Watts Towers erwähnt, das Kunstwerk eines italienischen Einwanderers, der in jahrelanger Arbeit aus Fundstücken Türme schuf, die sich bis heute dem blauen Himmel entgegen strecken.
Shanice, die Studentin, zeigte mir ein anderes Watts: einen Park, in dem Pärchen auf Bänken sitzen, Mütter ihre Kinder auf Schaukeln und Rutschen beobachten und Teenager Baseball spielen; daneben eine Bibliothek und ein Beratungszentrum für Jugendliche, zwei Künstler, IMG_3708 die eine Wand des Jugendzentrums mit bunten Symbolen für Freundschaft und Verständigung verschönern und ein stolzer hispanischer Vater, dessen Kinder in Watts aufgewachsen sind und ihren Uniabschluß gemacht haben.
“Ich lebe gerne in Watts” sagt die 22 jahre alte Shanice. “Hier ist immer etwas los, die Leute sind meistens freundlich und helfen einander. Viele hier haben es nicht leicht und erreichen trotzdem viel! Viele starke Menschen leben in Watts!”
Shanice über das Leben in Watts

Es gibt so viele Geschichten zu erzählen, die zeigen: Los Angeles hat unendlich mehr zu bieten als Hollywood. Ich freu mich schon auf die Entdeckungsreisen im neuen Jahr!

 

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Zerstörte Träume und schlaflose Nächte – die US-Haushaltsblockade

Gerade habe ich im Radio gehört, dass weltweit kein großes Interesse am schlechten Schauspiel der Haushaltsblockade von Washington besteht. Kein Wunder. Ich kann auch kaum noch die Stimmen der üblichen Verdächtigen ertragen, die sich gegenseitig die Schuld zu schieben. Die müssen doch mindestens genausoviele Geschichten von Betroffenen gehört haben wie ich!

Ich habe Touristen am Flughafen von Los Angeles getroffen, die ihren gesamten Ferienplan umstellen mussten weil sie nicht in Nationalparks kommen. Eine Rentnerin war auf dem Weg zum Trip ihres Lebens mit Schulfreundinnen – Wildwasserrafting im Grand Canyon. Aus der Traum!
Ich traf einen Vater, der die Hypothek für sein Haus und Studiengebühren für seine Töchter nicht bezahlen kann, weil er im Zwangsurlaub ist. Irgendwann soll er sein Gehalt bekommen. Bis dahin stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Verzugsgebühren. Er schläft nicht gut.

Am meisten beeindruckt aber hat mich die Geschichte von Shanice, einer Studentin aus dem nicht gerade idyllischen Viertel Watts in Los Angeles. Das ist berühmt vor allem für Rassenunruhen in den 60ern und für die Türme aus Recycle-Material. “Ich weiss nicht, was derzeit unser größtes Problem ist – Gangs oder Teen-Mütter,” erzählte sie mir. Shanice will den Kreislauf durchbrechen und hat ein Studium angefangen. Sie schrieb sich ein für Soziologie und Kommunikation an einem relativ preiswerten College. 1000 Dollar zahlt sie im Jahr für Studium und Studienmaterial. Das stieß bei Freundinnen auf großes Unverständnis. “Warum wirst du nicht einfach schwanger, dann bekommst Du Geld für Essen und Wohnung?” haben die gefragt.
Die 21 jährige lebt bei ihrer Großmutter. Sie hat sechs Geschwister. Die leben bei der Mutter. Der Vater hat sich nie um sie gekümmert. Shanice bekommt etwa 10 tausend Dollar im Jahr aus verschiedenen Töpfen des Bundeshaushalts. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit so wenig Geld in Los Angeles leben und studieren kann! “Ich bin total von finanzieller Hilfe abhängig. Ich zahle alles davon – das Busticket, die Bücher, mein Essen, die Gebühren, meine Kleidung, Zuschuss zur Miete.” erzählte sie mir. Und das ist die Verbindung zur Haushaltsblockade.
Vor gut acht Wochen wäre eine Zahlung an Shanice fällig gewesen, etwa 1500 Dollar. Wegen Kürzungen an den Unis noch vor der Blockade hat sich die Zahlung verzögert. Wegen der Streits in Washington wurden nun zusätzlich Stellen am College gestrichen und Shanice fürchtet, dass sie das Geld gar nicht mehr bekommt. Bei der Beratungsstelle sind die Schlangen endlos. Dort arbeiteten einmal drei Angestellte, nur eine Stelle ist geblieben. “Wenn ich am Ende des Monats keine Überweisung bekomme, kann ich mir den Bus nicht mehr leisten. Wenn ich nicht zur Schule komme, kriege ich schlechte Noten. Mit schlechten Noten bekomme ich keine finanzielle Förderung mehr.” Shanice will ein Vorbild sein, ihren Geschwistern zeigen, dass auch Kinder aus Watts einen Collegeabschluss machen können. Momentan fürchtet sie, dass die Schulfreundinnen recht behalten und es einfacher ist, eine Teen-Mutter zu sein als zu studieren.

 

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Mindestlohn Japan: Hello Work, Robot Cafe und Tepco

First Lady Eleanor Roosevelt hatte recht: Verdammt, wenn du’s tust, verdammt, wenn nicht. Bleibt der Mindestlohn gleich, fressen ihn nächstes Jahr Mehrwertsteuererhöhung, steigende Energie- und Sozialkosten auf. Verteilt Premierminister Shinzo Abe die Brosamen am Ende der Nahrungskette zu grosszügig, riskiert er den Verlust seiner Power Base – Japans Wirtschaftskapitäne. Nun sind 2 Prozent Erhöhung angedacht. Der landesweite Durchschnitt (es gibt regionale Unterschiede) beträgt dann 763 Yen/5.80 Euro pro Stunde (Umrechnungskurs 1€=130Yen).

Wie lebt man in der Welt des Minimums? Yumi Kimura, 32, (Name gändert) erzählt:

Robot Cafe Tokyo

VIDEO: Roland besucht Robot Cafe (nicht ganz am Ende der Nahrungskette)

Ich bin ausgebildete Grafikerin, ledig und seit zwei Jahren arbeitslos. Der Boss meiner Firma war eines Tages verschwunden. Seitdem gehe ich regelmässig zu „Hello Work“, so heisst in Japan das Arbeitsamt. Dort sitzen viele, die selber einmal arbeitslos waren und zu Hello Work gegangen sind. Sie arbeiten für die Stadt und deshalb nur von acht bis fünf. Sind sie krank, können sie zu Hause bleiben. Bei Privatfirmen ist das schwierig. Zudem arbeitest du dort jeden Tag unbezahlt vier, fünf Überstunden. Fahrkosten übernimmt der Betrieb.

Nach jeder Jobvermittlung von Hello Work gibt es ein Vorstellungsgespräch. Die Fragen sind immer gleich. Was haben Sie studiert, wer sind Ihre Eltern, was haben Sie vorher gemacht, was ist Ihr Lieblingshobby? Nur einmal war ich überrascht, als der Personalchef fragte: „Was würden Sie tun, wenn neben Ihnen im Büro jemand ausflippt, agressiv wird, attackiert?“ Ich habe gesagt, ich war noch nie in so einer Situation, gehe aber oft zu Parties mit Ausländern, und mit denen komme ich immer klar.“ Der Personalchef hat wissend genickt. „Ach so, wenn Sie mit Ausländern umgehen können, ja dann…“

Die meisten Hello Work Berater engagieren sich, sind freundlich. Es gibt aber immer welche, die werfen dir ein Magazin mit Jobangeboten auf den Tisch. Und das war‘s. Die vermittelten Jobs zahlen etwas mehr als den Mindestlohn, dauern zwei, drei Monate. Für diese Teilzeitarbeit sagen wir alubaito, haben das Wort aus dem Deutschen übernommen. Eine Statistik behauptet, dass 40 Prozent der Japaner von arubaito leben. Ich denke dann an meine Freundinnen. Sie wohnen bei den Eltern oder bei den Eltern vom Mann und leben von deren Ersparnissen. Hello Work bietet auch Ausbildingskurse an: Massage, Kosmetik, Haarbehandlung, Blumenarrangieren – kannst du alles nicht brauchen, ausser zum Zeittotschlagen.

Einmal fragten sie mich bei Hello Work, wo ich die letzten drei Monate war. Und ich habe geantwortet, ich wollte über mein Leben nachdenken, wollte Ruhe. Die Beraterin hat geschwiegen, was sollte sie auch sagen, war sicher selber mit dieser Frage beschäftigt. Dass ich im Robot Cafe im Rotlichtviertel von Shinjuku aufgetreten bin, habe ich verschwiegen, obwohl das kein Sexklub ist, sondern ein Theater mit Manga-inspirierten Shows – für Angestellte nach der Arbeit, für Männer, Frauen und Touristen. Jeden Abend gibt es drei Vorstellungen, dauern insgesamt drei Stunden. Ich musste winken, tanzen, lachen, schlank sein – das war alles. Ich habe einen schillernden Bikini getragen, bin mit riesigen Robotern herumspaziert, auf einem Panzer gesessen und habe 76€ die Stunde erhalten. Gäste durften uns nicht berühren, Hande schütteln war Ok. Zum Abschluss sassen wir immer auf einem Sessellift und schwebten über den Köpfen der Besucher. Das hat mich etwas an eine Fleischfabrik erinnert, mit Haken am Fliessband. Nach drei Monaten kam ein jüngeres, schlankeres Girl, und so bin ich wieder zu Hello Work.

Für meine 20 Quadratmeter-Wohnung mit Dusche, Toilette und Kochnische zahle ich 650€. Ein ehemaliger Arbeitskollege übernachtet dagegen seit Monaten im Internet-Cafe. Es gibt dort Duschen, Computerkojen und du darfst unter dem Tisch schlafen. Sex ist aber nicht erlaubt.

Einmal vermittelte mir eine Privatagentur einen streng geheimen Job. Als er zu Ende war, ging ich zu Hello Work. Wie immer wollte die Beraterin wissen, wie das Arbeitsklima gewesen sei. „Streng geheim,“ habe ich gesagt. „ Ich musste im Regierungsviertel eine Geheimhaltungspflicht unterschreiben!“ Die Hello Workerin hat nicht weiter nachgefragt. Der Geheimjob war im Abrechnungszentrum der Tokyo Electric Power Corporation, wo ich Belege für Schadensansprüche überprüfte. 8 Uhr abends bis 6 Uhr früh. In der Halle sassen tausend Menschen. Unsere Mobiltelefone mussten wir in Schliessfächern deponieren, Privatsachen durften wir zum Arbeitsplatz mitnehmen – in durchsichtigen Plastiktüten. Die tausend Mindestlohnmenschen haben alle nicht gesprochen. Es war totenstill. Und wenn ich auf die Toilette wollte, bin ich aufgestanden, habe den Arm nach oben gestreckt und gewartet, bis der Grupplenleiter kam. Ich teilte ihm den Wunsch mit und durfte zur Toilette. Wir mussten Zahlungsquittungen der Atomflüchtlinge prüfen und speichern. Kühlschrank, Futon, Staubsauger, Decken, Kinderspielzeug – das war alles Ok, wurde rückerstattet, aber nicht 55-Zoll-Bildschirme.

Mein Gruppenleiter hiess Murata. Bei Fragen setzte er sich zu mir, mit einem abstehenden kleinen Finger, was mir zunächst nicht auffiel. Wenn er sich aber zum Bildschirm vorbeugte, drückte der Finger gegen meine Hüfte. Ich dachte, vielleicht ist er gelähmt oder so. Am nächsten Tag sass Murata wieder neben mir und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. Ich habe ganz laut gesagt: „Murata-san!“ In der totstillen Halle haben alle tausend Menschen auf mich gestarrt. Murata ist aufgestanden und kam nie wieder.

Ein paar Monate später, ich war schon wieder woanders beschäftigt, bekam ich morgens einen Anruf von der Polizei. „Sind Sie Yumi-san?“ Das hat mich irritiert, denn in Japan wirst du nur mit Familiennamen angesprochen. Der Mann stellte sich als Inspektor vor. „Wir haben Ihren Vornamen gefunden mit Telfonnummer, im Notizbuch von einem Herrn Murata. Kennen Sie Herrn Murata? Und warum hat er Ihre Telefonnummer?“ Wieder habe ich gezögert. Wer ist Murata? Und dann fiel mir der Gruppenleiter ein. „Ja, er war mein Vorgesetzter bei Tepco. Für den Notfall haben dort alle die Telefonnummern der Angestellten“, habe ich gesagt, und dabei vergessen, dass die Sache streng geheim ist. Der Inspektor erklärte, dass Herr Murata in der U-Bahn verhaftet worden sei. „Hat er sich Ihnen gegenüber auffällig verhalten?“ wollte er wissen. „Chotto, ein wenig“, habe ich gesagt. „Sonst noch etwas?“ „Nein, sonst nichts“, habe ich geantwortet und dann hat er aufgelegt.

 

 

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Bei Waldbrand mit der Plane in den Pool

Ginger Harold hat in den 70 er Jahren mit Freundinnen vor dem Rathaus Büstenhalter geschwenkt und für Gleichberechtigung demonstriert. Sie hat eine Tochter verloren, Erdbeben und eine schwere Krebserkrankung überlebt. Wenig kann sie noch beeindrucken – und bestimmt nicht die dicken weißen Ascheflocken, die vom Buschfeuer am Berg hinter ihrem Haus auf sie niederregnen oder das gespenstisch gelb-rote Leuchten der Flammen, das durch eine dicke graue Rauchwolke scheint. Die 74 Jahre alte Naturliebhaberin wird diesen Berg hinaufsteigen sobald Asche und Rauch, die ihn jetzt komplett verdecken verschwunden sind. Bestehende Evakuierungspläne hält sie für einen Witz, für völlig veraltet. Sollten die Flammen doch den Mini-Bunglow erreichen, in dem sie alleine wohnt oder Funken die ausgetrocknete Eiche erfassen, deren Äste über sein Dach hängen, wirft sie sich eine Plane über und springt in den Pool. Das ist ihr Plan. Gepackt hat Ginger nichts für den Ernstfall. “Ich wüsste nicht was ich packen sollte. Nichts ist wichtig und alles ist wichtig,” sagt sie, zuckt mit den Achseln, lacht und rückt die Atemmaske über Mund und Nase zurecht.
Ginger ist der Typ, den Feuerwehr und Polizei in Kalifornien fürchten und dem sie allzu oft begegnen: sture Senioren, die ihre Häuser trotz Evkuierungsaufforderungen nicht verlassen. Müssen sie gerettet werden, bringen sie andere in Gefahr und stehen möglicherweise vor der gewaltigen Aufgabe, ohne Hab und Gut ganz von vorne anfangen zu müssen. Eine Prognose, die Ginger nicht erschreckt. Sie ist sicher: die Flammen werden ihr Häuschen nicht erreichen. Warum? Oben auf den Hügeln wohnen die Superreichen auf riesigen Anwesen mit Pferdekoppeln und privaten Wanderwegen. “Sie rufen den Gouverneur an und schon bald werden hier so viele Wasserflugzeuge am Himmel sein, dass sie den Flugverkehr regeln müssen.” Sie lacht wieder. “Das ist wahr. Ich hab es schon oft erlebt. Und Gott sei Dank dafür!”

 

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Frauen – Macht ja, Meinung weniger

Interressant: Frauen haben im vermeintlichen Kumpel-Kontinent Australien politisch zwar die Top-Jobs, in den Medien allerdings sind sie eher still. Staatsoberhaupt ist nach wie vor Her Majesty Queen Elisabeth II, daneben lenken Premierministerin Julia Gillard, Generalgouverneurin Quentin Bryce ( das ist die Stellvertreterin, wenn QEII in England gebraucht wird) und Sydneys Bürgermeisterin Clover Moore. Selbst die Staatsfinanzen regelt eine Lady, Penny Wong, und falls Macho-Stralja noch einen braucht, selbst Penny’s Partner ist eine Frau. Von Gina Rinehart, der mit Milliarden Abstand reichsten Frau des Landes mal ganz zu schweigen.

In der Medienwelt, hält sich die Stimmkraft der Frauen indes seltsamerweise in Grenzen. Die Kollegen vom online-Magazin New Matilda haben gezählt, gepunktet und gewertet und eine extrem umfangreiche Studie über Frauen als Meinungsmacher in den Medien zusammengestellt. Ein paar Ergebnisse sind auch jenseits Australiens interessant: Von 26 Tages- und Wochenzeitungen (stattliche 17 davon gehören übrigens Herrn Murdoch) hat nicht eine einzige eine Chefin. Den Sydney Morning Herald leitete mit Amanda Wilson bis letztes Jahr eine Chefredakteurin, die erste in 180 Jahren auf vergleichbarem Posten. Seit sie ging, herrscht wieder Kerle-Country. In der Meinungsecke sieht’s wenig anders aus, laut new-matilda-Studie stammen nur ein Drittel aller Kommentare in den 26 Zeitungen von Frauen, Wirtschaft und Sport wo sie noch deutlich geringer punkten nicht mal mitgezählt.
Die deutsche Frauen-in-die-Medien-Initiative Pro Quote hätte auf der Südhalbkugel also noch gut zu tun.

 

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Der Tag, als sie Daddy abgeholt haben

“Rund 5000 Kinder leben in den USA ohne Eltern, weil die ohne Papiere ins Land gekommen sind und abgeschoben wurden.” Dieser Satz eines Aktivisten für Immigrationsrechte veranlasste mich, eine Familie zu suchen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Sie zu finden war schwieriger als erwartet. Niemand wollte reden.

Der Pressesprecher einer Bürgerrechtsorganisation schlug mir schließlich vor, Norma und ihre Tochter Jessica zu treffen. Die Familie passe zwar nicht ganz in mein Konzept, Norma sei legal im Land, doch ihr Mann Jose seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die drohende Abschiebung reisse die Familie auseinander, besonders die Tochter leide darunter, dass sie ihren Vater nur noch im Gefängnis sehen kann, umziehen musste und auf eine neue Schule geht. “Der Fall ist nicht einfach, nicht schwarz und weiß,” erklärte mir der Sprecher. Jose habe eine Drogenstrafe von früher und sei schonmal abgeschoben worden. Aber: Jessica und ihre Mutter seien bestimmt gute Interviewpartner und hätten eine eindrückliche Geschichte zu erzählen.

Er hatte Recht. Ich traf Jessica und Norma in ihrem neuen zu Hause – sie leben jetzt in einem kleinen Zimmer bei den Eltern von Norma. Zum Gespräch kam auch Joses Mutter dazu. Als der von den Immigrationsbeamten abgeholt wurde war es sechs Uhr morgens. Norma wollte ihn gerade zur Arbeit fahren. “Vier Streifenwagen haben uns eingekreist, Polizisten mit gezogenen Waffen sind auf uns zugerast, haben gebrüllt und auf die Windschutzscheibe geschlagen. Jose war angeschnallt, sie haben ihn aus dem Wagen gezerrt, ihm Handschellen angelegt und weggefahren”, erzählt sie. Jessica hat alles aus dem Fenster ihres Kinderzimmers beobachtet. Wenn sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Sie vermisst es, mit ihrem Vater ans Meer zu gehen, zum See zu radeln, Pizza zu essen und am meisten, dass sie ihn nicht umarmen kann. Wenn sie ihn besuchen, ist eine Glasscheibe zwischen Jose und den Frauen. Norma und Jessica wissen, dass Jose vielleicht wieder abgeschoben wird. Zum ersten Mal geschah das 1994 nachdem er mit Drogen erwischt wurde, sagt Norma. Damals sei er noch am selben Tag zurück gekommen. Es sei leicht gewesen, die Grenze zu überqueren. 2010 wurde Jose bei der Arbeit aufgegriffen und abgeschoben. Diesmal war es schwieriger, zurück zu kommen, doch er schaffte es – und wurde ein paar Monate später wieder verhaftet. Jessica versteht bis heute nicht, warum ihr Vater nicht wie sie und ihre Mutter einen Pass bekommen und bei ihr bleiben kann.

Meine Nachfrage bei der Einwanderungsbehörde ergibt eine nüchterne Antwort: Die Behörde sei dazu da, illegale Einwanderer wie Jose so schnell wie möglich aus dem Land zu weisen. Mit Drogendelikt und mehrfacher illegaler Einreise sei er eine Priorität auf der Abschiebeliste. Ohne Erlaubnis ins Land einzureisen könne mit einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.

Ich gebe diese Email nicht an Norma und Jessica weiter. Die Geschichte ist tatsächlich sehr kompliziert. Im Moment weiß ich noch nicht, wie ich sie am besten erzählen kann.

Hören Sie hier, wie die beiden beschrieben, wie Jose abgeholt wurde, was sie an ihm mögen und was sie für die Zukunft hoffen: Norma and Jessica

 

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Von Freiheit, Glück und der Bombardierung Dresdens

Angela Thompson erzählt gerne aus ihrem Leben und aus dem ihrer Mutter. Über die hat sie sogar ein Buch geschrieben: “Bleib immer neben mir”. Es ist die Geschichte eines Frauenlebens im 20. Jahrhunderts mit eindrücklichsten Schilderungen unter anderen von der Bombardierung Dresdens, von überraschend wertvollen Päckchen die die in den Westen geflüchtete Familie von der in Dresden zurück gebliebenen Omi bekam, von im Rückblick verrückt erscheinenden Entscheidungen der Mutter, schwer zu ertragendem Verhalten des zurück kehrenden Vaters und Andeutungen des neuen Freiheitsgefühls der Autorin, als sie in Kalifornien ankommt und studieren kann.

In Deutschland haben viele längst genug von diesen Geschichten und ich dachte ich gehöre zu dieser Gruppe, die nichts mehr hören mag vom Krieg, von Flucht, von Hitler, von Bomben und dem Kampf ums Überleben. Bis ich Angela traf und sie mir mit Gefühl, Humor und Wissen aus ihrem Leben und dem ihrer Mutter erzählte. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass US-Bürger diese Geschichten hören und lesen, um zu verstehen, was in den Menschen vorging, auf die die Bomben ihrer Helden fielen. Sie selbst hat sich in den 70er Jahren von Los Angeles aus für politische Gefangene in der DDR eingesetzt, unter anderen mit dem damaligen Gouverneur Ronald Reagan als Verbündeten. Sie fuhr mit dem Auto quer durchs Land um in Washington mit Kongressabgeordneten und Senatoren über Unterdrückung im Osten Deutschlands zu sprechen und machte heimliche Besuche bei den Familien der Gefangenen.

Für Radio/Audio-Enthusiasten-Truppe ‘Listen Up Los Angeles’ hat Angela einen Teil dieses interessanten Lebens erzählt. Weil heute der Jahrestag der Bombadierung von Dresden ist hier der entsprechende Ausschnitt aus meinem Interview.

 

 

 

 

 

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Ruhe vor dem Sturm – das jährliche Oscar-Theater

Am Donnerstag ist es mal wieder so weit – in Hollywood gehen zu unchristlicher Zeit Lichter und Fernseher an, weil die Oscar-Akademie um halb sechs morgens bekannt gibt, wer in diesem Jahr für die goldenen Männchen nominiert ist. Warum tut sie das um diese frühe Zeit, wenn selbst in Kalifornien noch nicht die Sonne scheint? Damit die Live-Übertragung auch zur besten Sendezeit im Frühstücksfernsehen an der Ostküste (der Westküste drei Stunden voraus) für hohe Einschaltquoten sorgen kann.

Daniel Day-Lewis braucht nicht den Fernseher einzuschalten. Er hat eine Nominierung sicher für seine Lincoln-Darstellung in Steven Spielbergs Bürgerkriegs- und Sklaverei-Geschichtsschinken. Michael Haneke für sein ‘Amour’ genauso. Spannender ist, ob die Akademiemitglieder auch Quentin Tarantinos Version der Sklavengeschichte ‘Django Unchained’ mit Nominierungen ehrt. Humor und Gewalt des blutigen Spaghetti-Western mit Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einer Hauptrolle neben Jamie Fox, Kerry Washington und Leonardo DiCaprio dürfte für manche schwer verdaulich sein.

Auch spannend: ob die einzige Frau, die jemals einen Regie-Oscar gewonnen hat wieder eine Chance bekommt. Kathryn Bigelow löst nach ‘Hurt Locker’ mit ihrer Leinwandversion Osama bin Laden-Jagd ‘Zero Dark Thirty’ Kontroversen um Medienkooperation des CIA sowie um Sinn und Zweck von Folter aus. Ich wette, sie bekommt eine Nominierung.

Scheinbar ist auch sicher, dass das Kino-Musical ‘Les Miserables’ von den Akademiemitgliedern mit Nominierungen geehrt wird. Ich habe das Kostüm- und Gesangspektakel noch nicht gesehen. Singende Schauspieler sind einfach nicht meine Sache. Angeblich hat es das Zeug, den Erfolg von ‘Chicago’ von vor zehn Jahren zu wiederholen.

Heftig die Daumen drücke ich neben Christoph Waltz Quvenzhane Wallis. Die neunjährige Hushpuppy stiehlt in der wunderbren Mischung aus Realität und traumartigen Sequenzen ‘Southern Beasts of the Wild’ allen die Schow. Bekommt Quvenzhane eine Nominierung wird sie eindeutig der Liebling auf und um jeden roten Teppich.

Leider werde ich am Tag der Oscar-Verleihung, dem angeblichen Höhepunkt des Hollywood-Kalenders am 24. Februar, dank der zahllosen Nominierungen, Preisverleihungen und Ehrungen wie jedes Jahr komplett erschöpft und vor allem froh sein, wenn der letzte Oscar für den besten Film vergeben ist.

Neugierig wer gewinnt, bin ich trotzdem. Noch.

 

 

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Piano-Konzert im Wald. Nur in der Ariège.

Die Vögel singen sich ein. Die letzten Sonnenstrahlen scheinen durch das satte Grün der Bäume auf die kleine Lichtung zwischen den beiden alten Steinhäusern. Noelle kommt uns lächelnd entgegen – sie hat Bordeneuve zum Leben erweckt und sich ihren Traum erfüllt: Ein Rückzugsort für Künstler aus aller Welt am Fuße des Schlosses Castelbon. Heute Abend eröffnet die amerikanische Pianisten Lisa Lanza, die zehn Tage in Bordeneuve zu Gast war, die Konzertsaisont. Der Beginn eines künstlerischen Sommers voller Überraschungen.

Es ist Noelle Thompsons Sieg, die Stunde ihres Triumphs, den sie sehr nachdenklich lebt. Mitunter mit Tränen in den Augen. Die Mittdreißigerin hat diesen wunderbaren Ort buchstäblich mit ihren eigenen Händen geschaffen. Jedenfalls in den letzten zwei Jahren, nach dem plötzlichen Krebstod ihres Mannes David 2009. Denn begonnen hatte David Thompson die Verwandlung einer Scheunenruine in ein aus Holz und Natursteinen gebautes Haus mit zwei großen, offenen Räumen. Nachdem Noelle den Schock seines Todes halbwegs überwunden hatte, widmete die mutige Flötistin sich wieder dem gemeinsamen Traum. Sie betonierte Böden, verlegte Fliesen, bepflanzte den Garten, kümmerte sich um jedes Detail. Kein Stein, kein Stück Holz, das nicht in ihren Händen gelegen hätte. Hände, mit denen sie sich oft den Schweiß von der Stirn wischte oder sich die blonden, wuschelig-krausen Haare raufte, wenn wieder einmal nichts wie geplant klappen wollte. Aber auch Hände, die elegant über Klaviertasten gleiten können und einer Flöte die süßesten Töne entlocken.

Lisa Lanza, eine kleine, etwas rundliche Frau mit dunklem lockigen Haar und lachenden Augen, spielt die Rolle des ersten Gastes in der Künstlerpension. Wenn auch nur kurz, denn schon nach ein paar Tagen gehört sie quasi hier her. Welch eine wunderbare Kombination! Zwei besondere Frauen, ein bemerkenswerter Ort und die Musik.

Im ersten Stock der ehemaligen Scheune sitzen rund 20 Gäste auf einfachen Holzstühlen. Durch die großen, offenen Fenster hören wir die Vögel zwitschern. Lisa trägt ein schwarzes Kleid, eine dünne schwarze Wolljacke, die von einem goldenen Schmetterling gehalten wird. Die Brosche ist ein Erbstück ihrer kürzlich verstorbenen Mutter. Einer der Gründe, warum Lisa sich 10 Tage in Bordeneuve gegönnt hat: Um sich von der Mutter zu verabschieden und sich auf eine Konzertserie in den USA vorzubereiten.

Lisas Mutter gehört zu denen, deren Anwesenheit deutlich zu spüren ist, obwohl sie für das Auge nicht sichtbar sind. „Ich freue mich sehr, heute Abend hier spielen zu dürfen“, sagt Lisa und geht mit entschlossenen Schritten auf den Steinway-Flügel zu. Liszt, Debussy und Brahms stehen auf dem Programm. „Und ich freue mich jetzt schon noch mehr auf den Rotwein und die selbstgemachten Tapas von Noelle“, flüsterte Lisa mir kurz vor Beginn des Konzerts Augen zwinkernd zu.

Die ersten Töne verzaubern die ehemalige Scheune. Noelle sitzt neben mir auf dem Holzboden in ihren hellen Shorts und weißer Bluse. Barfuß, wie meistens. Sie blickt versonnen aus dem Fenster, hält sich tapfer. Denn dass David bei uns ist, darauf weist nicht nur sein in weißer Farbe auf einen Notenständer gepinselter Name hin. Die Verstorbenen sind nicht tot, sie bleiben bei uns, solange wir es erlauben und ihnen Raum geben. Auf ganz subtile Weise ist dieser Piano-Abend, später noch von dem begabten katalanischen Cellisten Nabi Cabestany bereichert, eine Überwindung des Verlustes durch den Tod. Für Noelle und David wie für Lisa und ihre Mutter. Aber auch für die wenigen Eingeweihten, die gelegentlich feuchte Augen bekommen. Die übrigen Gäste spüren nur eine große Intensität, der weite, luftige Raum, der von dem schweren, hölzernen Dachgebälk überspannt wird, knistert vor Emotionalität.

Als Lisa und Nabi sich zum dritten Mal verneigen, verlangen die Zuhörer weitere Zugaben. Ich glaube, wir wollen alle nicht, dass der Zauber, den die beiden verbreiten – unterstützt von den Vögeln  – ein Ende findet. Lisa löst die Spannung mit einem witzigen Tango über verrückten französischen Käse. Danach will sie aber wirklich ihren Rotwein. Sie hat sich ihn mehr als verdient.

Bei Wein und exquisiten Häppchen perlen die Gespräche zwischen all diesen unterschiedlichen, sehr ungewöhnlichen Menschen, die es auf die ein oder andere Weise in die Ariège verschlagen hat, mit großer Leichtigkeit. Unterbrochen von dem ein oder anderen schallenden Lachen. Franzosen, Amerikaner, Briten, ein Israeli, eine Deutsche, eine spanische Familie – Lisa, Nabi und Noelle haben sie miteinander verbunden.

Wir tauschen Bruchstücke unserer persönlichen Geschichten aus. Und lachen über die banale Erkenntnis, wie klein die Welt ist. Es ist stockdunkel, als alle die gegangen sind, die noch eine lange Fahrt vor sich haben, um an ihre eigenen, weit entlegenen Heimatorte irgendwo in den Pyrenäen oder am anderen Ende der Ariège zu gelangen. Auch die Vögel schlafen schon. Aber der Rotwein ist noch nicht leer und ein paar Oliven glänzen verlockend in einer Tonschale. Ein paar Träume und Erfahrungen gilt es noch zu teilen.

Lisa will sich irgendwann endlich einen eigenes Grand Piano kaufen, auch wenn sie nicht weiß, wo sie es Zuhause hinstellen soll. Oder woher das Geld dafür kommen soll. Noelle weiß nicht, ob sie einer Klasse junger amerikanischer Flötisten – die nächsten Gäste – Wein zum Abendessen anbieten darf oder nicht. Legal sei das nämlich nicht, jedenfalls nicht in den USA. Und die Lehrer tränken auch nicht, wendet sie ein. Aber Südfrankreich und Noelles exzellente Küche ohne Rotwein – das geht gar nicht, entscheiden wir. Außerdem debattieren wir, ob die große, dunkle Schlange, die ich kürzlich im Gemüsegarten fand, eine giftige Viper war oder eine harmlose Blindschleiche.Und wir machen Pläne für weitere Konzerte.

Kaum zu identifizierende Tierschreie zerreissen die Stille der Nacht. Füchse. Noelle sagt, das sei normal, das seien Fuchskämpfe im Wald. Wie beruhigend. Mit einer Taschenlampe ausgestattet stapfen wir über einen dicht belaubten, kaum erkennbaren Pfad steil nach oben zum Schloss Castelbon. Dort steigen wir ins Auto und fahren in die Nacht. Immer noch verzaubert. Nur in der Ariège.

 

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Vier First Ladies

„Verwitwet, geschieden, verheiratet und verlobt – unser Präsident ist all das gleichzeitig!“ twittert ein Südafrikaner. Selbst Hugh Hefner würde da vor Neid erblassen, schreibt ein Kolumnist. Jacob Zuma sei die Elisabeth Taylor unter den Staatspräsidenten. Doch angesichts der präsidialen Hochzeit Nr.6 an diesem Wochenende sind nicht alle am Kap der guten Hoffnung zum Scherzen aufgelegt. Polygamie ist in Südafrika zwar legal, doch langsam stößt die Nation an ihre Toleranzgrenze. Präsident Zuma heiratet zum dritten Mal in vier Jahren. Das Land hat nun also vier First Ladies. Getreu nach seinem Motto: „Viele Politiker haben Geliebte und tun nur so als seien sie monogam. Ich bin lieber offen. Ich liebe alle meine Frauen und Kinder.“

Es ist ein protokollarischer Alptraum: Zuma nimmt mal die eine, mal die andere mit zu Staatsbesuchen ins Ausland, zu offiziellen Veranstaltungen in seiner Heimat gern auch alle seine Ehefrauen. Viele Südafrikaner finden das einfach nur peinlich oder unmoralisch. Andere fragen sich, wer die ständig wachsende Präsidentenfamilie, denn zu den vier Frauen kommen noch mindestens 20 Kinder, finanzieren soll. Da hilft auch die Beschwichtigung des Präsidialamtes nicht, Zuma würde seine Hochzeit natürlich aus eigener Tasche bezahlen und seine Frauen wohnten allesamt in Privathäusern. Denn alle wissen: Der Steuerzahler muss trotzdem für Sekretariate, Sicherheitsleute und Reisen der First Ladies aufkommen.

Jacob Zuma selbst kratzt das alles nicht. Auf die Frage, ob dies denn nun seine letzte Hochzeit sei, antwortete er schmunzelnd: „Ja, wahrscheinlich.“ Skepsis ist angebracht, schließlich bleibt der polygame Präsident noch bis 2014 im Amt, Zeit für mindestens zwei weitere Hochzeiten wäre also noch. Verlobt ist er bereits, First Lady Nr.5 steht schon in den Startlöchern.

 

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Auf der Jagd nach einem Interview-Coup

 

Mein Herz machte im Garten des schweizerischen Generalkonsuls einen kleinen Freudensprung. Ein Kurator des LACMA-Museums hatte mir gerade erzählt, dass er für das ganz Südkalifornien umfassende Kunstprojekt Pacific Standard Time die Filminstallation einer deutschstämmigen Künstlerin betreut. Endlich hatte ich einen Ansatz für meinen Bericht gefunden, der ihn von den Geschichten der Kolleginnen und Kollegen über das Giga-Kunstereignis unterscheiden würde. Der Kurator versprach, am Tag der Pressevorschau den Kontakt mit Maria Nordman herzustellen. Seinen nächsten Satz hätte ich etwas ernster nehmen sollen: “Ich habe schon mit vielen komplizierten Künstlern gearbeitet. Maria schießt den Vogel ab!”

Ein paar Tage vor dem Pressetermin bekam ich eine Email von der Künstlerin. Sie bat mich darum, ihr etwas von mir zu erzählen. Eigentlich gebe sie keine Interviews, könnte sich aber bereit erklären wenn wir uns etwas besser kennenlernen könnten. Ich schrieb ein wenig und schickte den link zu meiner webseite. Maria antwortete, sie freue sich darauf, mich bei der Pressevorschau näher kennenzulernen. 

Auf den ersten Blick schien sie eine sehr freundliche, in ihrem weiten weißen Mantel und der Spiegelbrille nur leicht extravagante Künstlerin zu sein. Maria schüttelte meine Hand zur Begrüßung überschwenglich und bat, zunächst etwas mit ihr zu essen damit wir uns dabei besser kennenlernen könnten. Sie bat mich, mein Aufnahmegerät vorerst wieder einzupacken. Beim Essen sprach Maria mit jedem, der in unsere Nähe kam, aber kaum mit mir. Nach einer Stunde bat ich darum, mit ihr zur Installation ihres Films gehen zu können. Ihre Antwort: “Wir müssen uns erst noch ein bißchen besser kennenlernen.” Ihr Vorschlag: ein kleiner Spaziergang, um sich dem Werk von der besten Seite, vom Boulevard vor dem Museum, anzunähern. 

An anderen Tagen hätte ich diese leichte Exzentrik sicher als wunderbaren Ausdruck eines Künstlercharakters empfunden, der sich nicht üblichen Konventionen beugt. An diesem Tag war ich unter Druck einer Deadline, schleppte eine schwere Tasche voller Papiermaterial über das Kunstprojekt mit mir herum und hatte noch nichts von den umfangreichen Ausstellungen gesehen, von denen Marias Werk nur ein minimaler Teil ist. Ich wurde nervös und packte mein Aufnahmegerät aus, um sie während des Gehens zu interviewen. Sie schaute mich leicht tadelnd an. “Aber wir müssen uns doch noch ein wenig besser kennenlernen.” 

Wiederum eine Stunde später hatte Maria viele interessante Dinge erzählt, von denen ich nichts aufnehmen durfte, und mit jedem an uns vorbei kommenden Passanten, Kuratoren und Journalisten gesprochen. Auf meine Frage, was sie denn gerne über mich wissen wolle, antwortete sie vage, dass sie mich einfach nur ein wenig besser kennen lernen wolle. Sie stellte keine einzige Frage. Endlich kamen wir vor der Tür des Raumes an, in dem ihr Film gezeigt wird, wo sie sofort wieder mit einer Besucherin zu reden begann. Ich packte mein Aufnahmegerät aus.

Gerade als ich anfangen wollte, ihr Fragen zu stellen, erklärte sie, dass sie wirklich keine Interviews gebe, nur Gespräche führe. “Fein!” sagte ich etwas schnippisch. “Dann führen wir ein Gespräch.” “Ich müsste sie aber noch ein wenig besser …” bevor Maria den Satz beendet hatte kam ein Kollege in den Vorraum der Filminstallation, nahm sein Aufnahmegerät und hielt Maria ein Mikrofon unter die Nase. “Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen zu Pacific Standard Time und Ihrer Arbeit?”

Sie kennen die Antwort. Doch der Kollege blieb hartnäckig. “Nein, ganz einfache Fragen, ganz schnell.” Maria sah zwischen mir und dem Kollegen hin und her. “Ich weiß nicht, ich mach das eigentlich nicht… Und eigentlich habe ich Kerstin hier …”

Auf dieses Stichwort stand ich auf. “Kein Problem. Macht was Ihr wollt. Ich geh!” Ohne mich noch einmal umzusehen verließ ich den Austellungsraum. In meinem Bericht kam Maria mit keinem Wort vor, obwohl ihr schwarz-weiß-Film aus dem Jahr 1967 wirklich sehenswert ist. 

Sie schrieb mir noch am selben Tag eine Email wie nett es gewesen sei, mich kennen zu lernen und welch gute Diskussionen wir geführt hätten. Jetzt könnte es auch mit einem Interview klappen. Sie habe mit dem netten Kollegen schonmal geübt.   

 

 

 

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Ausverkauf libanesischer Frauen?

In Beirut hat die Badesaison begonnen. Seit dem Wochenende aalen sich die Bikinischönheiten in den Strandclubs,

eingeschmiert mit sonnenverstärkenden Ölen, denn die knackige Bräune muss ganz schnell her. Schließlich will Frau in den Nachtclubs und auch auf der Strasse bald viel Haut zeigen. Ich werde schon seit langem das unangenehme Gefühl nicht los, dass die Libanesinnen es zumindest zum Teil selbst Schuld sind, dass sie in den Augen dieser Macho-Gesellschaft weitgehend zum Objekt sexueller Begierde degradiert wurden. Viele Frauen identifizieren sich so sehr mit ihrer Rolle als verführerische Kätzchen, wenn sie nicht gerade als Hausfrau und Mutter eingespannt sind, dass sie zur zweiten Natur geworden ist.

Doch dass das Tourismusministerium in seiner neuesten Werbekampagne auf die Vermarktung der legendären libanesischen Schönheiten setzt, das geht zumindest für einige Libanesinnen nun doch zu weit. In dem Werbespot „Lebanon Blues“ für den US-Markt kann sich ein junger Amerikaner nicht mehr auf seine Arbeit im Büro konzentrieren, weil ihm die Libanesinnen, die ihm den letzten Urlaub versüßten, nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Dieser Clip brachte das Fass zum Überlaufen, schimpft die 21jährige Leen Hashem. Eine Gruppe junger Feministinnen setzte sich zusammen und verfasste einen Protestbrief an den Minister. Es sei inakzeptabel, dass die libanesische Regierung versuche, die Körper der Libanesinnen zu verkaufen, damit viele Touristen ins Land kommen, heißt es darin. Wie könne das Ministerium es wagen, die Frauen feil zu bieten, die auf der anderen Seite vom Gesetz benachteiligt würden und die vor gewaltsamen Übergriffen durch Männer auf keine Weise geschützt seien?

Und was sagt darauf der Minister? Die jungen Aktivistinnen sollten sich schämen, so unpatriotisch zu sein! Das sei doch alles völlig übertrieben, der Spot zeige ine Frau im Bikini lediglich für 30 Sekunden. Aber er ist unmissverständlich anzüglich – ohne große Worte. Davon will Minister Aboud nichts wissen. Jedenfalls war ihm nicht nach einer Entschuldigung zumute. Die Feministinnen wollen nun selbst einen Videoclip veröffentlichen, in dem sie die Diskriminierung gegen libanesische Frauen zur Schau stellen. Sie würden diverse Werbekampagnen weiter kritisch beobachten, sagt Leen Hashem.

Man kann den Libanesinnen nur wünschen, dass sie langfristig mit ihrer Kritik Erfolg haben. Denn bald fallen sie wieder ein, die feisten Männer aus den arabischen Golfstaaten sowie die lüsternen Geschlechtsgenossen aus dem Westen. Ihr Blick spricht Bände – hier geht es nur um eines. Und es ist mit nur wenig Hülle aber viel Fülle zu haben im Zedernstaat.

 

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Selbes Land, andere Welt!

Die Fahrtbeschreibungen zu meinen Gesprächspartnern in Wyoming beinhaltet Ölbohrstationen, Heuhaufen, Warnungen vor Schneestürmen und den Tipp, einen guten Reservereifen mitzunehmen, weil es auf den 20 Meilen unbefestigter Straße keinen Handyempfang gibt und das Satellitentelefon auf der Rinderfarm, zu der ich fahre nur sporadisch funktioniert. Je nachdem, wie der Satellit steht. Ich kann es kaum erwarten, mich auf den Weg zu machen!

Ich fahre ewig entlang endloser Felder und roter Felsformationen. Kein Haus, kein Auto, keine Stromleitung, kein Mensch in Sicht. Am nächsten Morgen sitze ich nicht in meinem Cabrio im mehrspurigen Berufsverkehr von Los Angeles, sondern mit Mutter Gwen, ihren zwei Kindern Kody und Kiley bei Sonnenaufgang im Geländewagen. Wir fahren 45 Minuten auf einem unbefestigten Feldweg zur Haltestelle des Schulbusses, in dem die Kinder nochmal 25 Minuten zum Unterricht unterwegs sind. Statt sich Yoga, Meditation, Jogging oder anderen in Kalifornien beliebten Aktivitäten zu widmen steigt Gwen nach der Rückkehr auf den Heu-Laster, fährt mit Ehemann Reno zur Wiese, wo rund 1400 Kühe mit ihren Kälbern auf Futter warten.

Hier werden keine Sinnfragen gestellt. Es wird getan, was getan werden muss. Alle haben ihre Aufgaben. Auch die acht australischen Hütehunde, die im Sommer unverzichtbar sind, wenn mehr als 3000 Kühe auf höher liegende Bergwiesen getrieben werden. Kiley und Kody wissen: wenn sie sich über Langeweile beklagen, werden sie durch den eisigen Wind zur Scheune geschickt zum Sattel ölen, Kälber füttern oder Hundehaus säubern. Vater Reno fordert mich beim Abendessen mit Rinderbraten, Kartoffelbrei und Pekannuss-Pie auf, meinen Freunden in Kalifornien zu sagen, sie sollen Republikaner wählen und die verrückten Demokraten aus dem Amt scheuchen. Die würden Geld verschwenden an die angeblich Armen, die in Wirklichkeit nur zu faul zum Arbeiten seien. „Kaum jemand will so hart arbeiten, wie wir!“ sagt der Farmer und hat wahrscheinlich Recht. Er schiebt hinterher: „Nur die Latino-Immigranten! Die wollen auch nur ein besseres Leben für ihre Familien, wie wir alle! Die nehmen dafür jede Arbeit an!“ Für eine lange Diskussion bleibt keine Zeit. Reno schaut in den Stall. Sein Gespür hat den Bauern, der auf einer Rinderfarm ohne Strom aufgewachsen ist nicht getrogen: eine kranke Kuh kalbt, die Geburt ist kompliziert. Ich erlebe am nächsten Morgen  den Höhepunkt meines Land-Ausflugs: Gwen drückt mir eine Flasche mit warmer Milch in die Hand und fordert mich auf, das frisch geborene Kalb zu füttern. Kaum angekommen, habe auch ich schon eine Aufgabe bekommen.

 

 

 

 

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Die Kunst der Namensgebung

Es ist Zeit für eine Enthüllung. Ich heiße gar nicht Christine Mattauch. Juristisch gesehen jedenfalls. Das hätte mich vergangenen Freitag fast die Einreise in die USA gekostet.

Schuld daran ist mein Eigensinn. Als vor vier Jahren der beste aller Männer um meine Hand anhielt, sagte ich nicht nur Ja, sondern beschloss zugleich, seinen Namen anzunehmen und damit alles Frauenrechtlertum über Bord zu werfen. Halt – nicht alles. Natürlich wollte ich weiter unter meinem Mädchennamen schreiben, der nach über 20 Jahren im Journalismus so etwas wie eine Marke geworden war. Das lieferte der Frauenrechtlerin in mir den perfekten Grund, den alten Namen irgendwie doch beizubehalten. Ich verfiel auf die Idee, ihn im neuen Pass als Künstlernamen eintragen zu lassen. Liebende Frauen müssen nicht logisch sein.

Der Beamte auf dem deutschen Konsulat in New York staunte nicht schlecht. „Den Mädchennamen als Künstlernamen? Wieso wollen Sie das denn, vorne wird ‚geborene Mattauch’ eingetragen, da sieht doch jeder, dass Sie mal so geheißen haben.“ Ich erklärte. Er verstand trotzdem nicht. Ich hatte keine Lust mehr zu erklären und wurde formal: „Aber es geht doch?“ – „Es geht. Allerdings nicht mehr lange.“ – „Aber jetzt geht es noch?“ Pause. Dann gab er auf: „Ja.“

Formal heiße ich also seit dreieinhalb Jahren Christine Piper, aber im Berufsalltag spielt der Name so gut wie keine Rolle. Viele Leute wissen überhaupt nicht, dass ich sozusagen doppelnamig bin. Im vergangenen Jahr saß ich bei einem festlichen Dinner an einem großen runden Tisch, an dem ein Platz unbesetzt blieb. Die Gastgeberin verteidigte ihn unverdrossen gegen Neuankömmlinge: Die Dame würde bestimmt kommen, das habe ihr der Ehemann heute noch versichert. Irgendwann wurde ich so neugierig auf die fehlende Person, dass ich mir die Platzkarte ansah. Da stand: Mrs. Piper.

Sonst sorgt mein heimliches Frauenrechtlertum für bemerkenswert wenig Turbulenzen, zumal Amerikaner in Namensangelegenheiten traditionell großzügig sind (wir hätten bei den Eheschließung sogar unsere Namen zusammenziehen können, etwa zu Pipermat, oder einen komplett neuen Namen beantragen können). Nur bei internationalen Flügen muss ich aufpassen, der strengen Sicherheitskontrollen wegen. Und da habe ich diesmal geschlafen und bei der Online-Flugbuchung meinen Mädchennamen eingegeben. Erst in der Subway zum Flughafen JFK fällt mir das auf. Mir schwant Böses.

Doch die amerikanische Bodenstewardess stutzt nur kurz und stellt umgehend die Bordkarte aus, auf Christine Mattauch. Ich interveniere: „Können Sie den Namen nicht ändern, ich heiße eigentlich Piper, und ich möchte nicht…“ – „Honey, das sieht doch jeder, dass das Dein Mädchenname ist“, unterbricht sie mich freundlich und wedelt mich in Richtung Sicherheitsausgang.

Sie kennt ja nicht das deutsche Bodenpersonal in Hamburg. Das Einchecken für den Rückflug läuft genauso alptraumartig ab, wie ich es mir vorgestellt habe. Die misstrauische Frage nach der Namensdifferenz. Das bedenkliche Gesicht nach meiner Erklärung. Der Griff zum Telefonhörer: „Ich habe hier einen Passagier, bei dem stimmen die Namen nicht überein…“ Ich schwitze. Ich bete. Ich verfluche die Frauenrechtlerin in mir. Die Bodenstewardess blättert in meinen Unterlagen und spricht in den Hörer: „Das Visum? Das ist auf den Mädchennamen ausgestellt…“ Endlich legt sie auf, sieht mich ernst an. Ich sehe mich bereits heimatlos in Hamburg. Dann sagt die Stewardess: „Das ist dann diesmal okay“, in einem Ton, der verrät, dass es natürlich ganz und gar nicht okay ist. Aber das ist mir egal. Auch, dass ich am Gate ganz besonders gründlich gecheckt werde.

Nochmal Panik, als ich beim Umsteigen in Düsseldorf ausgerufen werde. Ängstlich nähere ich mich dem Desk: „Es ist bestimmt wegen des Namens, nicht wahr? Mattauch ist mein Mädchenname und Piper…“ – „Das habe ich mir schon gedacht“, entgegnet ein vergnügter Rheinländer, blättert in meinen Papieren und entlässt mich mit einem Lächeln.

Den Künstlernamen hat in dem ganzen Kuddelmuddel kein Mensch beachtet, und ich war zugegebenermaßen froh drum. Vermutlich hätte der mich erst recht verdächtig gemacht. Denn wer kommt schon auf die absurde Idee, seinen Mädchennamen als Künstlernamen eintragen zu lassen?

 

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Wetten, dass …

Sie wetten, wie schnell Krabben linksseitig in einen Kreis laufen, sie wetten auf Pferde, Hunde, Boxer, Würfel und zur Not die Flugrichtung der Fliege im Outbackpub  – Australier sind Weltmeister im Wetten. Im 21. Jahrhundert läuft das meiste Gewette natürlich online. Nicht ganz so romantisch wie einst Scheine wedelnd und mit Wettschein, but well. Aber wetten, dass Sie nicht wissen, worauf derzeit online und in anderen Wettbüros ebenfalls spekuliert wird? Ok. Hier kommt’s: Man setzt Geld auf den Termin der nächsten Wahl.

Nicht auf den Ausgang, das wär’ ja irgendwie noch sportlich. Gewettet wird, welchen TAG die neue Premierministerin Julia Gillard wohl für die Wahl festsetzen wird. Spannend was? Macht mir auch keinen echten Blutdruck, aber so isses. Irgendwo zwischen Cycling und Darts wird etwa bei sportingbet oder bei centrebet der Election date getippt. Theoretisch kann der übrigens an jedem möglichen Samstag bis 16. April 2011 sein. Nach der Entmachtung von Kevin Rudd im Juni wird aber gemunkelt, dass es eher früher als später an die Urnen geht. Nur $ 1,75 gibts daher pro Dollar, wenn man als Wahltag den letzten Augustsamstag vorhersagt. Für besonders unwahrscheinlich hält die Zockergemeinde den letzten Samstag im November (derzeit über 100 $ Gewinn pro Dollar). Ich wüsste ja zu gerne, ob die neue Staatschefin da auch ein paar Wetten laufen hat … 

 

 

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Ausgangssperre und Abaja zum Wahltag in Bagdad

An zwei Dinge kann ich mich nicht gewöhnen, obwohl ich schon seit fast sieben Jahren im Irak arbeite. Ausgangssperren und die schwarze islamische Kleidung sind mir nach wie vor ein Gräuel. Über vier Jahre lang herrschten in Bagdad permanente Sperrstunden, deren Anfang je nach Sicherheitslage nach hinten verschoben wurde. Sie begannen um 19 Uhr, 20 Uhr oder im besten Falle um 22 Uhr und galten immer bis morgens um sechs. Hinzu kamen monatelange Ausgangssperren am Freitag Vormittag. Man musste sich also immer informieren , wann man das Haus verlassen konnte, ob zu Fuß oder mit dem Auto. Irgendwann hatten die Bagdader entschieden, dass sie grundsätzlich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straßen gingen. Die Stadt war am Abend ausgestorben. Totale Ausgangssperren jedoch waren das schlimmste. Sechs Millionen Menschen blieben dann tagelang vollkommen eingesperrt. Niemand durfte sich auf den Straßen blicken lassen, außer Soldaten, Panzern und Militärfahrzeugen. Bagdad wurde zum Gefängnis. Offiziell wurden die Ausgangssperren letztes Jahr aufgehoben, doch nach den schweren Terroranschlägen im November und Dezember gelten sie wieder ab Mitternacht. Fünf nach zwölf ist Bagdad tot. Zu den Wahlen am 7. März soll es nun auch tagsüber wieder ruhig sein. Die Regierung will ein Fahrverbot verhängen. Man diskutiert noch, ob diese Maßnahme nur einen oder gar zwei Tage vor dem Urnengang verhängt wird. Die Kinder freuen sich schon. Denn dann können sie Fußball spielen auf den sonst hemmungslos verstopften Straßen der Hauptstadt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Outfit der Frauen. Aus Angst vor den radikalen Islamisten, die sich zum Ziel gesetzt hatten, aus Irak eine islamische Republik zu machen, hüllten sich die Irakerinnen in Abaja und Hijab, dem langen schwarzen Mantel und dem alle Haare verdeckenden, ebenfalls schwarzen Tuch. Flugblätter, die in den einzelnen Stadtvierteln Bagdads verteilt wurden, forderten die Frauen dazu auf, islamische Kleidung zu tragen. Bei Zuwiderhandlungen drohe ihnen eine harte Strafe. Einige Frauen wurden erschossen. Fortan verhüllten sich auch Christinnen, die traditionell keine Kopfbedeckungen tragen. Auch ich legte Mantel und Schleier an, wenn ich das Haus verließ – zum Selbstschutz. Bei den hohen Temperaturen, die fast das ganze Jahr im Irak herrschen, ist dies eine Tortur. Der Schweiß läuft in Bächen den Rücken hinunter, schwarz zieht die Hitze besonders an und niemand kann mir erzählen, dass es angenehm sei, sich so zu kleiden. In den letzten Monaten konnte man verstärkt Frauen ohne Kopfbedeckung auf den Straßen Bagdads erblicken. Doch wenn Ausgangssperre herrscht, werden die Schleier wieder aus dem Schrank geholt.

 

 

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\”Nehmt ihn fest und erschiesst ihn!\” – wenig Sympathie für Roman Polanski in den USA

 

Auf der Berlinale wird Roman Polanskis neuster Film ‘The Ghost’ am Dienstag Weltpremiere feiern. Hollywoodstars und Filmschaffende aus aller Welt haben sich für die Freisprechung des Regisseurs ausgesprochen und dafür, die Diskussion um eine Tat, die 32 Jahre zurück liegt, zu beenden.

In den USA geht die Stimmung im \’Fall Polanski\’ in die entgegengesetzte Richtung. Besonders seit Ausschnitte aus den Gerichtsprotokollen von 1978 veröffentlicht wurden. 

Die Los Angeles Times beispielsweise berichtete basierend auf den Protokollen detailliert über die Begegnung des 43 jährigen Regisseurs mit dem 13 jährigen Mädchen im Whirlpool von Jack Nicholson. Davon, wie Polanski ihr Drogen gab, wie das Mädchen mehrfach ‘nein’ sagte zu Aufforderungen, sich auszuziehen, ‘nein’ sagte zu verschiedensten Formen von Sex und der Regisseur doch bekam, was er sich wünschte.

Diese Informationen brachten nicht nur den links-gerichteten Talkshow Moderator Bill Maher in Rage. Maher erklärte in seiner Show, er verstehe nicht, wie Filmschaffende, die er für ihre Arbeit bewundere, Polanksi mit dem Hinweis verteidigen können, die Tat sei vor 32 Jahre geschehen. Er verstehe dagegen, warum ein Muslim, der hört, dass Hollywood den Regisseur verteidigt, die USA in die Luft sprengen wolle. Selbst die üblicherweise besonnen argumentierende politische Kommentatorin Cokie Roberts verlor beim Thema Polanski die Contenance und sagte in einem ABC-Interview: ‘Roman Polanski ist ein Verbrecher. Er hat ein Kind vergewaltigt und ihm Drogen gegeben, dann ist er geflüchtet bevor er verurteilt wurde. Wenn es nach mir ginge, würde er gefasst und erschossen!’

Seit Ende der 70er Jahre hat sich die Einstellung der US-Gesellschaft zu Sex mit Minderjährigen deutlich verändert. Haftstrafen für Sexualstraftaten sind heute im Durchschnitt mindestens viermal so lang wie 1978, als Polanski vor der gerichtlichen Verfolgung ins Ausland floh. Es wäre heute höchst unwahrscheinlich, dass in einem ähnlichen Fall die Staatsanwaltschaft alle Klagepunkte wegen gewalttätiger Handlungen fallen ließe. Auch wenn es nicht schaden kann, dass reiche und mächtige Peronen aus der Filmwelt sich für den Regisseur einsetzen, stärkt dieser Einsatz in manchen Teilen der Bevölkerung die Überzeugung, dass Hollywoodstars in einer Welt weit entfernt von Realität und Werten der Durchschnittsbürger leben.  

Wenn Polanski zurück in die USA kommen muß, erwartet ihn neben der scharfen Kritik ein stark veränderter Medienmarkt. Paparazzi werden ihm am Flughafen, vor Gericht, Hotels und Restaurants auflauern und ihn gnadenlos verfolgen. Kabelfernsehen, Blogger und Komiker das Thema rund um die Uhr kommentieren. Er wäre vermutlich besser beraten gewesen, sich vor 32 Jahren dem Gericht und der Öffentlichkeit in den USA zu stellen.         

 

 

 

 

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Alles eine Frage der Einstellung

Das ist eine Filiale der französischen Supermarktkette Carrefour in Paris und das sind die Einkaufswagen, die direkt an einer mehrspurigen Kreuzung stehen, langsam vor sich hinverdrecken und von Passanten als willkommenes Abfalllager genutzt werden (siehe der Müll im zweiten Wagen).

Und nun die Frage: Würden Sie ihr Kind in diesen Kindersitz setzen? Nein? Dann sind wir schon beim Thema, denn eine Französin würde es. “Et hopp, hinein und los gehts zum Einkaufen!” Denn alles ist eine Frage der Einstellung und das bekomme ich gerade am eigenen Leib zu spüren bei meinem wöchentlichen Besuch in der Geburtsvorbereitung im bayerischen Oberland, südlich von München.

Nicht nur, dass ich mit weitestem Abstand die Älteste im Kurs bin, nein, ich bin auch die, die am ehesten entbinden wird. Denn ich habe viel zu spät mit dem Kurs angefangen und es kann mir passieren, dass ich ihn auch nicht zu Ende führen werde, weil das Baby vorher kommt. Ich bin auch die einzige, die noch arbeitet. Obwohl das liegt daran, dass Selbstständige sich einfach keinen Mutterschutz leisten können. Bei 13 Euro am Tag von der Krankenkasse ist man eben nicht in der komfortablen Situation einer Gehaltsempfängerin. Meine Mithecheler im Kurs sind zum Großteil Angestellte und die meisten sind, weil sie beim Tierarzt oder im Kindergarten arbeiten, auch schon seit Monaten aus Ansteckungsgefahren von der Arbeit frei gestellt. Haben die es gut. Ich beneide sie.

Doch was sie für die Zeit danach planen, wundert mich. Die meisten wollen nach der Geburt zwei bis drei Jahre mit dem Kind zuhause bleiben. Und das mit Ende 20 oder Anfang 30 und diversen Eltern und Großeltern in Reichweite. Wenn ich dann erzähle, dass ich mir das gar nicht leisten kann und in Frankreich es eh üblich ist, dass das Kind nach drei Monaten in fremde Hände gegeben wird, dann kommt immer die gleiche Reaktion: “Ja, in Frankreich gibt es ja auch so viele Krippenplätze und für alles ist gesorgt.” Wenn die Damen wüssten. Das Ganze ist ein großes Märchen. Die Kinder-Rundherum-Versorgung in Frankreich ist ein Vorurteil, das sich in Deutschland hartnäckig hält nach dem Motto: Woanders ist es besser. Doch leider schaut die Realität anders aus: Krippenplätze sind Fehlanzeige – wenigstens in Paris. Ich kenne keine, ich wiederhole keine, die je einen Krippenplatz bekommen hätte. Alle organisieren sich selbst, mit Kinderfrauen, Familienkrippen, Eltern-Babysitting etc. Was bitte ist sonst organisiert? Gar nichts. Während man hier in Deutschland Kindergeld bekommt und das nun sogar auf über 180 Euro im Monat erhöht werden soll, gibt es in Frankreich fürs erste Kind gar nichts. Null Euro. Erst ab dem zweiten gibt es was und das liegt weit unter dem Betrag von Deutschland. Elterngeld? Auch das Fehlanzeige. Unterstützung für Väter? Fehlanzeige.

Schon in der Schwangerschaft müssen die Französinnen blechen: Ein Ultraschall in Deutschland kostet um die 30 Euro, in Frankreich 100 Euro. Wer nicht in Frankreich versichert ist, der ist schnell mit fast 2000 Euro dabei, wenn er eine “normale” Schwangerschaft durchlebt. So wie ich. Was zu ewigen Diskussionen mit meiner deutschen Krankenversicherung führt, die mir bis dato GAR NICHTS zurückerstattet hat. Wahrscheinlich denken die das Gleiche wie meine Schwangerschaft-Kolleginnen: In Frankreich ist doch alles eh rund um Geburt und Kinderbetreuung geregelt, was braucht die dann noch Geld zurück.

Ach, träumt nur alle weiter und ich setze inzwischen dann mein Baby in den Carrefour-Einkaufswagen. Aber wahrscheinlich erst nachdem ich in typisch deutscher Gründlichkeit ihn mit einem feuchten Tuch abgewischt habe. Denn alles ist wirklich nur eine Frage der Einstellung und irgendwie kann man wohl doch nicht aus seiner deutschen Haut.

Foto: Barbara Markert

 

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Frauensache

Langweilig ist es in Kenia auch anderthalb Jahre nach Ende der schwersten Krise, die das Land je erlebt hat, nicht. Präsident Mwai Kibaki und Premierminister Raila Odinga, Garanten des Burgfriedens, der die Gewalt beendete, reden vor allem durch die Zeitungen miteinander. 10 Millionen Kenianer hungern, auch deshalb, weil ein Minister die Nahrungsmittelreserven für Notfälle – tausende Tonnen Maismehl – ins Ausland verschachert haben soll, um sich zu bereichern. Der Staat selbst ist unterdessen nahezu pleite. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs droht seinen Besuch an, doch im Kopf haben die Politiker dennoch nur das eine: Sex.

Davon jedenfalls sind die Aktivistinnen überzeugt, die kürzlich zum Sex-Boykott aufgerufen haben. Große Entscheidungen, so ihr Argument, werden immer auch im Bett diskutiert. Vor allem Politikergattinnen sollen sich verweigern und stattdessen fragen: ‘Honey, was kannst Du für Kenia tun?’ Eine tolle Idee findet das Ida Odinga, die Frau des Premiers, und verspricht, dabei zu sein. Auf die Frage, ob auch die Frau des Präsidenten mitmacht, wollte Odinga hingegen nicht antworten.

Kein Wunder, denn Lucy Kibaki genießt den Ruf eines Racheengels. So stürmte sie Kenias führendes Medienhaus, nachdem sie – aus ihrer Sicht – in einer der Zeitungen verunglimpft worden war und kündigte einen Sitzstreik an. Als der scheidende Weltbankchef (Kibakis Nachbar) eine Abschiedsparty gab, stürmte sie im Nachthemd sein Haus und drehte ihm die laute Musik ab.

Wer weiß, ob sich ähnliche Szenen nicht auch im Schlafzimmer des Präsidenten abspielen. Der 77-jährige (äußerst pressescheu) sah sich jedenfalls vor nicht langer Zeit genötigt, eine Pressekonferenz abzuhalten, die mit den Worten begann: “Ich habe nur eine Frau.” Und auch nur die vier Kinder, die Lucy ihm geschenkt habe, fuhr Kibaki fort. Die ‘First Lady’ stand währenddessen nur eine Armlänge entfernt. Da hatten Zeitungen geschrieben, dass es da doch eine zweite Frau gibt, was innerhalb von Kibakis Kikuyu-Ethnie nichts ungewöhnliches ist. Aber Kibaki ist auch Katholik, vielleicht deshalb die deutlichen Worte. 

In den Straßen wunderte man sich über den Aufstand. Aufsehenerregend, so sagt ein Zeitungsverkäufer, sei doch allenfalls, wenn Lucy einen zweiten Mann habe – das ist auch bei den Kikuyu nicht üblich. Kibakis Pressekonferenz könnte unterdessen einmalig bleiben. derzeit wird das Eherecht reformiert, die neue Fassung genehmigt die Vielehe. Glaubt man den Frauen, dann wird zumindest dieses Gesetz das Parlament schnell passieren.

 

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Arabische Feministinnen rechnen mit dem Westen ab

Wie stellen Sie sich arabische Feministinnen vor? Frauen, die sich den Schleier herunter reißen? Die für Abtreibungsrechte, offene Partnerschaften und das Recht auf Beruf statt Kind kämpfen? Weit gefehlt. Die arabischen Feministinnen sind anders. Sie betonen ihre Weiblichkeit, Kinder zu haben ist in diesen Gesellschaften ein zentraler Wert  – auch in den Augen der Frauen. Ein Zeichen der Emanzipation ist hier beispielsweise, sich am politischen Widerstand gegen israelische oder westliche Besatzung zu beteiligen. All das verstünden die westlichen Schwestern nicht, drum könne man auch auf ihre wohlgemeinte Unterstützung verzichten, man müsse einen eigenen Weg gehen.

Drei Tage lang debattierten mehr als 50 arabischen Frauenrechtlerinnen und Feminismusforscherinnen, in welche Richtung sie sich in Zukunft bewegen wollen. Es war ein emotionales Treffen an der Amerikanischen Universität Beirut . Es wurde gestritten, man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und es wurden viele Fragen gestellt. Vorne weg diese: Welches ist der richtige Platz für Feminismus in einer Umgebung, die wie die unsere durch Kriege, Bürgerkriege, Armut, autoritäre Regime, ein Fehlen der Bürgerrechte, durch militärische Angriffe und Umsturzversuche aus dem Ausland geprägt ist?

Weil ihr Lebensraum so aussieht, bewegen diese Feministinnen andere Themen als die Frauen im Westen: Das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Arbeit, das Recht, einen Pass zu beantragen ohne den Vater oder Ehemann fragen zu müssen, das Recht, die eigene Staatsbürgerschaft an die Kinder weiterzugeben, das in den meisten Ländern dem Mann vorbehalten ist. Es geht um Scheidungsrecht, Erbrecht, um den Schutz gegen Gewalt, die Diskussion um den Hijab (Schleier), um Sexualität und auch, aber nicht an erster Stelle, um politische Rechte. Letztere würden häufig als Folge westlichen Drucks zugestanden, dabei handele es sich dann aber nur um ein Feigenblatt, um zu verdecken, was eigentlich im Argen liege, meinte Mai al-Nakib von der Kuwait University. Sie legte dar, dass die kuwaitischen Frauen zwar im Vergleich zu anderen Golfstaaten mehr Freiheit und vor allem das Wahlrecht haben. Das bedeute jedoch keinesfalls, dass die Frauen in dem ölreichen pro-westlichen Emirat deshalb wesentlich emanzipierter seien als ihre Geschlechtsgenossinnen in den Nachbarstaaten. Al-Nakib:„Die meisten Frauen in Kuwait sind vollkommen apathisch. Der Islam, ein konservativer Moralkodex sowie die Moschee dominieren ihr Leben.“ Und das akzeptierte die Mehrheit.

In Saudi-Arabien, so konnte man auf dem Kongress lernen, erwacht so langsam ein Bewusstsein unter den Frauen für ihre enorme Unterdrückung. Aber eine richtige feministische Bewegung gibt es schon allein deshalb nicht, erklärte Hatoon al-Fassi  von der Universität Riyadh, weil die Frauen sich nicht in der Öffentlichkeit treffen dürften, um über solche Dinge zu reden. Noch dürften sie eigene Publikationen herausgeben. So bliebe es bei privaten Treffen von Einzelkämpferinnen. Sie selbst könne die Missstände nicht detaillierter beschreiben, weil sie sonst fürchten müsse, nicht mehr zurück nach Saudi-Arabien gelassen zu werden. Ein ernüchterndes Statement, das deutlich macht, gegen welche Windmühlen diese Frauen ankämpfen müssen – falls sie es denn überhaupt wollen. Denn die Mehrheit der Frauen in der arabischen Welt betrachte Feministinnen doch immer noch als ein wenig geistesgestört, schimpfte Noha Bayoum von der Libanesischen Universität Beirut .

Aber auch von den westlichen Frauen fühlen sich die arabischen Feministinnen missverstanden. Sie wehren sich gegen deren Bevormundung, sie bräuchten keinen Ideenimport, denn sie hätten ihre eigenen, betonte eine Rednerin nach der anderen. „Das einzige, worauf wir uns einigen können, ist, dass wir beide die Gleichberechtigung der Frau wollen“, sagte mir eine Aktivistin. Doch darüber, wie wir uns diese Rechte im Einzelnen vorstellten, könnten wir uns schon nicht einigen. Das sei Fakt und deshalb wolle sie auch nicht weiter mit mir diskutieren. Sagte es und verließ erregt den Raum.

Der Westen habe den arabischen Frauen sehr viel Leid angetan durch Invasionen wie im Irak und Afghanistan, die Unterstützung von Kriegen und Besatzung wie im Libanon und in Palästina. All das habe die Frauenrechte um Jahre zurückgeworfen, lautete der Tenor. Die US-Invasion und die nachfolgende Besatzung hätten die irakischen Frauen in die 30er Jahre zurück katapultiert, erklärte die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana  wütend. „Zwar sitzen nun in unserem Parlament 25 Prozent Frauen. Aber was tun sie dort? Kümmern sie sich um die Belange der Frauen? Nein.“ Dafür habe das Land nun den höchsten Anteil an Witwen weltweit.

Kaum positiver beschreibt die Frauenforscherin Elahe Rostamy-Povey von der Universität London die Lage afghanischer Frauen nach dem Versuch der Vertreibung der Taliban durch westliche Truppen: „Krieg und militärische Konflikte verschärfen immer männliche Vorherrschaft in der Gesellschaft. Die afghanischen Frauen sind heute keineswegs befreit.“ Das Leben sei jetzt anders als unter den Taliban, aber nicht besser.

Es war viel Provokatives zu hören auf dem Beiruter Feministinnenkongress und ich habe vieles über arabische Frauen gelernt. Es war ein Privileg, diese teils mutigen und engagierten Frauenrechtlerinnen kennen zu lernen. Auch wenn sie an viele Dinge ganz anders herangehen. Sie haben Recht damit, weil sie tatsächlich in einer anderen Welt leben. Doch kann ich mich nicht damit abfinden, dass wir unfähig sein sollten, miteinander in einen Dialog zu treten. Radikale Abgrenzung bringt keinen weiter. Wir westlichen Frauen können jedenfalls von unseren arabischen Schwestern einiges lernen, vor allem was Solidarität und das Annehmen der eigenen Weiblichkeit angeht.

 

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Im Herzen der Finsternis

Kaddisch im Wald von Paneriai. Fania Brantsovskaya reicht dem Reporter bis zum Bauchnabel. Die alte Dame, Jahrgang 1922, überlebte die Auflösung des Wilner Ghettos 1943, ging als Partisanin in die Wälder. Sie hat ein vergilbtes Foto mitgebracht. Von ihrer Familie ist nichts geblieben als die Erinnerung. 70 000 Menschen haben die deutschen Besatzer in Ponar, rund 20 Kilometer südwestlich der litauischen Hauptstadt Vilnius, erschossen, in Gruben aufgeschichtet und verbrannt.

Vor dem Einmarsch der Nazis war fast jeder zweite Bewohner der Stadt jüdischen Glaubens. „Vilne“ ein Zentrum jüdischer Kultur, das es so in Nordeuropa kein zweites Mal gab. Litauens jüdische Emigranten, die Litvaken,  sind noch einmal zurückgekehrt ins Herz Europas, wollen die Erinnerung an dieses litauische Jerusalem mit seinem weltberühmten Gaon wieder aufleben lassen. Aber sie sprechen auch ein Thema an, das in der jungen Republik tabuisiert wird: Mit bestialischen Greueltaten beteiligten sich Litauer als willige Helfer der Nazis am Judenmord.

Unterdessen mühsame Spurensuche in der barocken Altstadt. Kein Schild, kein Hinweis. Im offiziellen Programm der Kulturhauptstadt findet das jüdische Erbe kaum statt. Kritiker halten Vilnius ohnehin für unwürdig, weil es bis heute Streit um die Rückgabe jüdischen Eigentums gibt. Frostig sei der Umgang mit der Minderheit, klagt der rastlose Simon Gurevičius von der Gemeinde (3 000 sind sie noch): Litauische Staatsanwälte ermittelten gegen jüdische Partisanen um Brantsovskaya. Neonazis durften vor der Synagoge aufmarschieren.

Immerhin, im Streit um den ehmaligen jüdischen Friedhof von Vilnius lenkte das Kulturministerium in diesen Tagen ein. Auf den von den Sowjets eingeebneten Flächen darf eine Bebauung nur nach Zustimmung der Gemeinde erfolgen. Auch in den Verhandlungen um Entschädigung für geraubten Besitz im Zuge der Enteignung und Arisierung gibt es Bewegung. Allerdings liegen die gegenseitigen Vorstellungen vom Umfang der Zahlungen noch weit auseinander.

 

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Zurück in die Siebziger

Im Herbst 1976 geboren kann ich mich an die 70er natürlich nicht mehr wirklich erinnern. Am vergangenen Wochenende fühlte ich mich trotzdem in die damalige Zeit zurückversetzt. Wie fast jeden Samstag begab ich mich ins Café Blanc, das mit FAZSZWeltAftenposten, Dagens Nyheter und sicher zwanzig weiteren internationalen Tageszeitungen die wohl beste Zeitungsauswahl Kopenhagens hat. Im Feuilleton der FAZ dann "Das kommende Geschlecht" – ein Portrait der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, geschrieben von Julia Voss, die wohl nur ein paar Jahre älter ist als ich. Schwarzer hat – mal wieder – ein Buch geschrieben.

"Die Antwort" heißt es: "Das sind zwölf Kapitel zu zwölf Fragen, die plötzlich wieder im Raum stehen. Seit einem Jahr erscheint fast jeden Monat ein neues Buch, in dem es um Familienpolitik geht, um Krippenplätze, Rollenverhalten, Berufsbilder, Väter, Mütter, Magersucht oder die Stellung von Frauen im Islam", schreibt Voss. Kurz, es geht um Gleichstellung, Emanzipation, Feminismus. Gähnend langweilig, wie ich finde. Die Benachteiligung der Frau? Das gibt es doch kaum noch! Heutzutage schieben Männer wie selbstverständlich Kinderwagen vor sich her, verabschieden sich ein paar Monate vom Job, um sich dem Nachwuchs zu widmen, ohne dass die Kollegen darüber die Nase rümpfen oder die Karriere verbaut ist und in den meisten Familien sind längst beide Ehepartner berufstätig. Wer will denn da noch das Buch von der Schwarzer kaufen, das die Frage der Gleichberechtigung angeht, als sei in den vergangenen Jahrzehnten kaum was geschehen, ja, als seien wir noch in den 1970ern?

Voss schreibt über Schwarzer: "'Wir brauchen keinen neuen Feminismus', urteilt sie mit Blick auf die Gegenwart: 'Was wir brauchen, ist ein neuer Elan für den bestehenden Feminismus. Und Frauen, die öffentlich sagen: Ich bin stolz, eine Feministin zu sein.' Die Definition ist klar: gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten." Ja, muss so eine Selbstverständlichkeit noch in der FAZ stehen? Demnächst kommt noch jemand und fordert in "Bilder und Zeiten" die Abschaffung des Klassenwahlrechts – alles Dinge, die doch längst erledigt sind!

Erst da geht mir auf: Kinderwagenschiebende Männer, die sich Elternzeit nehmen, kenne ich doch vor allem aus Schweden. Ich gehöre gewiss nicht zu den Leuten, die den Norden Europas idealisieren, aber in manchen Dingen ist die Region Deutschland um einiges voraus. Was die Gleichstellung angeht, sind die 1970er in Skandinavien längst vorbei. Das geht soweit, dass sich selbst in der neuen liberal-konservativen Regierung von Schweden der männliche Finanzminister als Feminist bezeichnet (Barbie für seine Töchter kauft er trotzdem). Peer Steinbrück übernehmen Sie!

 

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Frankreich vor den Wahlen

Die Zeitschrift Liberation macht Politik für Ségolène Royal. Dabei ist Ségolène bereits allgegegnwärtig…

 

 

 

 

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Die Frauen haben gewonnen

Es ging ganz schnell, eine Revolution, die uns überraschte. Die düsteren Bars mit Dartscheiben an den Wänden verschwanden zuerst. Es kamen Friseure und Nagelstudios. Wo früher Fußball gespielt wurde, treten heute Boygroups auf. Autohändler verwandelten sich über Nacht in Spa-Paläste. Was Männer mochten verschwand. Was Frauen mögen entstand. Es hat nur wenige Monate gedauert.

Seit 15 Jahren boomt Shanghai. Seitdem arbeiten die Männer jedes Jahr mehr. Wirtschaftsreformen und Rekordboom haben Shanghai zu einer wohlhabenden Stadt gemacht. Den Menschen geht es gut. Doch die Männer haben sich in Fabrik- oder Büroroboter verwandelt.

Auch die Frauen machen in Shanghai Karriere. Aber sie haben den Spaß nicht vergessen. Und während die Männer immer beschäftigter und immer grauer wurden, nehmen sich die Frauen immer mehr Freizeit – und haben in kurzer Zeit die ganze Stadt für sich erobert. Weil die Frauen die einzigen sind, die noch Zeit zum Geldausgeben haben, hat sich das komplette öffentliche Leben inzwischen ihren Bedürfnissen angepasst. Wir Männer wurden versklavt und die meisten merken es nicht einmal.

Als Mann muss man inzwischen die verrücktesten Sachen machen, wenn man einer von diesen Frauen gefallen will. Wir tragen ihnen beim Einkaufen die Handtaschen hinterher, sitzen geduldig wartend in Schuhgeschäften herum und schälen ihnen vor dem Fernseher die Weintrauben, weil sie es so am liebsten mögen. Man kann sich an sehr vieles gewöhnen. Seit der Machtübernahme der Frauen ist Shanghai entspannter geworden, schöner auch und vor allem bunter.

Shanghai ist die Stadt der Frauen. Das ist – und das sage ich hier nicht nur um zu gefallen – gar nicht mal so schlecht.

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