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Weltreporter-Forum 2016 – hier ist das Programm!

Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

Wir freuen uns mit unseren internationalen Gästen auf einen spannenden Sommer-Nachmittag auf dem Land. Das Programm des Weltreporter-Forums 2016 in Raiding/Burgenland steht!

 

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Wikileaks – oder: Wir sagen jedem was er hören will

Es waren schon knackige Zitate, die Wikileaks vorzuweisen hatte. Vor allem von arabischen Herrschern gegen den Iran. Doch man sollte dabei nicht vergessen, dass es eine Spezialität arabischer Politiker ist, jedem zu sagen was er gerade hören will. Auch und vor allem amerikanischen Diplomaten.

Beispiel Saad Hariri: „Irak war unnötig, aber Iran ist nötig“, sagte demzufolge der heutige libanesische Premier im August 2006 mit dem Zusatz, dass die Amerikaner im Falle des iranischen Nuklearprogramms bereit sein sollten, die Sache bis zum Ende durchzuziehen, falls nötig.

Heute in Teheran Saad mal ganz anders: Der Libanon werde sich nicht am internationalen Druck gegen Teheran in der Nuklearfrage beteiligen. Außerdem habe der Iran ein Recht auf friedliche Nutzung von Nuklearenergie. Gestern betonte er – ebenfalls in Teheran – der Libanon habe bis jetzt Widerstand gegen das zionistische Regime geleistet und werde diesen Widerstand fortsetzen. So hört sich das an, wenn man in der Islamischen Republik zu Besuch ist. Aber wie gesagt, mit solcher levantinischer Flexibilität steht Hariri in der arabischen Welt keineswegs alleine da.

 

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Brütende Hitze und kein Strom

Es hat schon Tradition, dass man im Irak im Sommer auf den Dächern schläft. Wenn das Thermometer über 50 Grad steigt und die Schwüle nicht mehr aus den Häusern weicht, bleibt einem nichts anderes übrig. Nur in den schlimmsten Terrorjahren 2006/2007 wurde es gefährlich. Mörsergranaten und Sprengsätze töteten die Menschen zuweilen im Schlaf. Mit der verbesserten Sicherheitslage hatten nun viele gehofft, dass auch dieser Sommer besser wird und etwas Normalität in ihr Leben bringen werde. Doch darin fühlen sie sich getäuscht. Nach wie vor kommt nur wenig Strom aus der Steckdose, manchmal tagelang gar nichts. Zum Betreiben von Klimaanlagen reicht es kaum. Die Menschen müssen wieder auf ihren Dächern schlafen, um wenigstens in den Morgenstunden eine leichte, erfrischende Brise einatmen zu können.

Doch die Iraker wollen sich das nicht mehr gefallen lassen. Der Stromnotstand führt zu immer stärkeren Protesten. Besonders im Süden Iraks, wo derzeit Temperaturen von bis zu 55 Grad Celsius herrschen, gingen schon Tausende wütend auf die Straße. Es gab Tote und Verletzte. Der Energieminister trat zurück, nachdem Demonstranten in Basra, Nassarija und auch Bagdad dies gefordert hatten. Der noch amtierende und um sein politisches Überleben kämpfende Premierminister Nuri al-Maliki rief seine Landsleute zu Geduld auf und machte seinen Ölminister nun auch verantwortlich für den Strom. Dieser drehte kurzerhand den Saft für die Reichen und Begünstigten ab. Seitdem hat die schwer bewachte Grüne Zone, Ministerquartiere und westliche Botschaften nicht mehr Strom als alle anderen in der Hauptstadt auch – nämlich weniger als sechs Stunden am Tag. Zur Begründung sagte Hussein al-Scharistani, dass die dort Wohnenden genug Möglichkeiten hätten, ihren Bedarf mit Generatoren zu decken.   

Jedoch beheben die temporären Maßnahmen die Misere nicht wirklich. „Das Elektrizitätsproblem ist nicht innerhalb von ein, zwei Tagen zu lösen“, hat Premier Maliki realistisch erkannt. „Die Kraftwerke, die von Siemens und General Electric gebaut werden, sind in frühestens zwei Jahren fertig“,  sagte er am Wochenende im staatlichen Fernsehsender Iraqia mit Hinweis auf die Arbeiten der Deutschen und Amerikaner, um die Stromversorgung endlich zu verbessern. Gleichwohl konnte der Regierungschef bis heute nicht die Korruptionsvorwürfe ausräumen, die sein Regierungspartner, die Schiitenallianz INA, gegen den Energieminister erhoben hatte. Demnach sollen in den letzten vier Jahren seiner Amtszeit Millionen von Dollar in finstere Kanäle anstatt in die Stromversorgung geflossen sein. Die US-Administration hat seit dem Einmarsch vor sieben Jahren 4,6 Milliarden Dollar in die Elektrizität gesteckt, 40 Prozent ihrer gesamten Wiederaufbaukosten für den Irak. Im irakischen Staatshaushalt sind dieses Jahr rund drei Milliarden Dollar eingeplant, etwa ebensoviel wie vergangenes Jahr. Nicht alles kann dem Terror zugeschrieben werden, der zwar vieles verwüstete und den Aufbau erheblich behinderte. Dass es aber selbst während des Kuwait-Krieges Anfang der 90er Jahre und in der gesamten Zeit des Embargos danach mehr Strom gab als heute, leugnet im Irak derzeit niemand.

 

 

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Bagdads neue Freiheit

Die Maschine setzt in gleichmäßigem Flug zur Landung in Bagdad an. Vorbei sind die Zeiten, wo die Flughöhe bis über dem Flughafengelände beibehalten wurde und der Pilot dann spiralenförmig nach unten drehte. Dies war notwendig geworden, weil immer wieder Flugzeuge von den Aufständischen-Hochburgen Ramadi und Falludscha aus beschossen wurden. Flugzeuge, die aus dem Norden oder aus Jordanien die irakische Hauptstadt ansteuerten, waren besonders gefährdet. Für die Piloten war dies eine enorme Herausforderung. Aber auch für die Passagiere. Hatte man etwas gegessen, kam die Brechtüte zum Einsatz. Die weiche Landung lässt eine Verbesserung der Sicherheitslage erahnen. Und tatsächlich: Die Flughafenstraße sei jetzt eine der sichersten Straßen Bagdads, behauptet der Taxifahrer stolz. Nachdem in den schlimmsten Jahren des Terrors täglich bis zu zehn Sprengsätze am Straßenrand explodierten, herrscht derzeit fast Friedhofsruhe. Auch die Schilder an den amerikanischen Militärfahrzeugen, die die nachfolgenden Autos zum Abstandhalten aufforderten, sind verschwunden. Die Anschläge am Wahltag vor drei Wochen sind schon fast vergessen. Allerdings befürchten viele ein Wiederaufkeimen der Gewalt, sollte es nicht gelingen, die Fehden zwischen den Politikern beizulegen. Der noch amtierende Premierminister Nuri al-Maliki will das Wahlergebnis nicht anerkennen, das ihn knapp hinter seinem Rivalen, Ex-Premier Ijad Allawi ausweist.

 Bagdads Flughafen ist zweigeteilt, in einen zivilen und einen militärischen Teil. Während ich im Herbst 2004 mit einer der ersten kleinen Propellermaschinen auf dem damals noch komplett militärisch belagerten Airport landete und nur zwei Zivilmaschinen pro Tag abgefertigt wurden, sind es heute schon zehn Mal so viele. Mittlerweile fliegt Iraqi Airways in fast alle arabischen Nachbarstaaten. Die türkische Fluggesellschaft hat ein Stadtbüro in Bagdad eröffnet und bedient die Kunden in der schwer zerbombten Sadun-Straße. Auch Lufthansa plant, ab Herbst von Frankfurt nach Bagdad zu fliegen.

 Die Sadun-Straße führt am Ostufer des Tigris vom Firdous-Platz, wo am 9. April 2003 Saddams Bronzestatue vom Sockel gerissen wurde, zum Tahrir-Platz, dem Platz der Befreiung. Unzählige Anschläge haben die Straße zu einem Schlachtfeld verkommen lassen. Vor fast zwei Jahren, als der Terror seinen Höhepunkt erreichte, wurde das Viertel zur Geisterstadt. Alle Geschäfte waren geschlossen. Jetzt wird nahezu täglich ein Laden wieder eröffnet. Die Alkoholhändler sind als erste zurückgekommen. Auch nach Einbruch der Dunkelheit sind ihre kleinen Buden noch hell erleuchtet. Demonstrativ gehen die Menschen hinein und suchen sich die Flaschen aus. Befreiung hat viele Gesichter.

 

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Ausgangssperre und Abaja zum Wahltag in Bagdad

An zwei Dinge kann ich mich nicht gewöhnen, obwohl ich schon seit fast sieben Jahren im Irak arbeite. Ausgangssperren und die schwarze islamische Kleidung sind mir nach wie vor ein Gräuel. Über vier Jahre lang herrschten in Bagdad permanente Sperrstunden, deren Anfang je nach Sicherheitslage nach hinten verschoben wurde. Sie begannen um 19 Uhr, 20 Uhr oder im besten Falle um 22 Uhr und galten immer bis morgens um sechs. Hinzu kamen monatelange Ausgangssperren am Freitag Vormittag. Man musste sich also immer informieren , wann man das Haus verlassen konnte, ob zu Fuß oder mit dem Auto. Irgendwann hatten die Bagdader entschieden, dass sie grundsätzlich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straßen gingen. Die Stadt war am Abend ausgestorben. Totale Ausgangssperren jedoch waren das schlimmste. Sechs Millionen Menschen blieben dann tagelang vollkommen eingesperrt. Niemand durfte sich auf den Straßen blicken lassen, außer Soldaten, Panzern und Militärfahrzeugen. Bagdad wurde zum Gefängnis. Offiziell wurden die Ausgangssperren letztes Jahr aufgehoben, doch nach den schweren Terroranschlägen im November und Dezember gelten sie wieder ab Mitternacht. Fünf nach zwölf ist Bagdad tot. Zu den Wahlen am 7. März soll es nun auch tagsüber wieder ruhig sein. Die Regierung will ein Fahrverbot verhängen. Man diskutiert noch, ob diese Maßnahme nur einen oder gar zwei Tage vor dem Urnengang verhängt wird. Die Kinder freuen sich schon. Denn dann können sie Fußball spielen auf den sonst hemmungslos verstopften Straßen der Hauptstadt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Outfit der Frauen. Aus Angst vor den radikalen Islamisten, die sich zum Ziel gesetzt hatten, aus Irak eine islamische Republik zu machen, hüllten sich die Irakerinnen in Abaja und Hijab, dem langen schwarzen Mantel und dem alle Haare verdeckenden, ebenfalls schwarzen Tuch. Flugblätter, die in den einzelnen Stadtvierteln Bagdads verteilt wurden, forderten die Frauen dazu auf, islamische Kleidung zu tragen. Bei Zuwiderhandlungen drohe ihnen eine harte Strafe. Einige Frauen wurden erschossen. Fortan verhüllten sich auch Christinnen, die traditionell keine Kopfbedeckungen tragen. Auch ich legte Mantel und Schleier an, wenn ich das Haus verließ – zum Selbstschutz. Bei den hohen Temperaturen, die fast das ganze Jahr im Irak herrschen, ist dies eine Tortur. Der Schweiß läuft in Bächen den Rücken hinunter, schwarz zieht die Hitze besonders an und niemand kann mir erzählen, dass es angenehm sei, sich so zu kleiden. In den letzten Monaten konnte man verstärkt Frauen ohne Kopfbedeckung auf den Straßen Bagdads erblicken. Doch wenn Ausgangssperre herrscht, werden die Schleier wieder aus dem Schrank geholt.

 

 

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Hilferuf aus Bagdad

Hilferuf aus Bagdad

 

Manchmal spielt der Technikteufel Streiche und transportiert nicht das, was man abschickt. So auch der untenstehende Hilferuf der Organisation für die Verteidigung der Pressefreiheit im Irak für einen Journalisten-Kollegen in Not. Ich bekam den Notruf gestern und hatte ihn postwendend in den WR-Blog überstellt. Heute nun musste ich feststellen, dass der Hilferuf auf der Webseite nicht ankam. Also deshalb nochmals, hoffentlich mit Erfolg.

Die Organisation für die Verteidigung der Pressefreiehit im Irak ist nach dem Sturz Saddams gegründet worden und überwacht seitdem die durch die US-Administration eingeführte Pressefreiheit im Zweistromland. Dabei muss sie in den letzten Monaten immer mehr Verstöße feststellen. Nach wie vor ist der Irak eines der gefährlichsten Pflaster für Journalisten auf diesem Planeten. Es werden immer noch Kollegen bedroht, angegriffen, angeschossen und ermordet. Laut “Reporter ohen Grenzen” ist einzig die Situation in Somalia für uns Medienvertreter schlimmer als im Irak. Deshalb erscheint es mir wichtig, den Kollegen in Not zu helfen. Ich tue was ich kann, um das Schicksal von irakischen Kollegen publik zu machen und Hilfe zu organisieren. Mit diesem Blog möchte ich in die Welt fragen, ob jemand Rat weiß, damit Ibrahim al-Katib wieder als Journalist arbeiten kann.

Hier der Hilferuf aus Bagdad im Wortlaut:  

Seit ca. neun Monaten leidet einer unserer Kollegen an einer Querschnittlähmung
infolge eines Terroranschlags. Da er weder Geld noch die erforderlichen Beziehungen hat, liegt er seither im Bett und wartet auf die Gnade Gottes.
Der staatliche TV-Sender Iraqiya, für den er als Korrespondent gearbeitet hatte, sah
es nicht als erforderlich an, unserem Kollegen Ibrahim Al-Katib zu helfen oder gar
ins Ausland zur Behandlung zu schicken.
Die Gesellschaft für die Verteidigung der Pressefreiheit und seine Kollegen haben
keinen Weg gescheut, um Hilfe für ihren Kollegen zu bitten. Sie haben leider nur
leere Versprechen geerntet.
 
Verstehen Sie/ Versteht bitte diese Zeilen als einen Appell!
 
Helfen Sie/ helft uns, unseren Kollegen einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen,
damit er wie früher seinem Land und Volk durch das freie Wort dienen kann!
Wir suchen nach einer humanitären Hilfsorganisation.
 
Ende des Aufrufs.

Wer Rat weiß, wende sich bitte an mich – Svensson@weltreporter.net

 

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Traumstädte mit Strom und Wasser

Mein neues Zuhause liegt im English Village, im englischen Dorf, eines der unzähligen Neubauviertel, die im nordirakischen Erbil derzeit wie Pilze aus dem Boden wachsen. Während Dream City, das amerikanische Dorf, die New Zealand City oder wie sie sonst alle heißen noch mehr einer Baustelle gleichen, ist das English Village bis auf einige Häuser fast fertig. Wie Stadtvillen sehen die eng aneinander stehenden Gebäude aus. Innen sind sie geräumig, nach oben offen, einstöckig. Ein von der Hitze des Herbstes ausgebrannter Rasen zieht sich wie ein Handtuch um jede Villa. Eine englische Baufirma war hier federführend und hat dem Ensemble einen Vorstadtcharakter gegeben. Doch mit der gewohnten britischen Vorstadtidylle hat das British Village in Erbil nicht viel gemein. Hinter der Umzäunung wachsen wilde Müllkippen, die ein vermehrtes Fliegen- und Mückenaufkommen hervorbringen. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten im Dorf, nicht einmal ein Pub. Trotzdem zieht es immer Menschen hierher, denn der ausschlaggebende Punkt hier zu wohnen, ist ein in Europa zur Selbstverständlichkeit gewordenes Phänomen: Es gibt 24 Stunden Strom und ausreichend Wasser.

Wer in den letzten Jahren im Irak gelebt hat, weiß dies zu schätzen. Mehrere Stunden werden täglich nur damit verbracht, Generatoren in Gang zu halten, das zuweilen rare Diesel auf dem Schwarzmarkt zu besorgen, Ersatzteile für die verschleißten Maschinen zu beschaffen und jemanden aufzutreiben, der den Generator zum fünfundzwanzigsten Mal repariert, bevor man sich einen neuen leistet. Nirgendwo im Irak gibt es derzeit eine lückenlose Stromversorgung. Mit Wasser sieht es nicht besser aus. Erbil, die Hauptstadt der drei nordöstlichen Provinzen, die schlechthin als Irak-Kurdistan gelten und weitgehende Autonomie genießen, ist seit dem Sturz Saddam Husseins um fast das Doppelte gewachsen. Heute wohnen hier 1,3 Millionen Menschen. Der rasante Zuzug vor allem aus dem vom Terror geplagten Bagdad und den an die Hauptstadt angrenzenden Provinzen, hat die Stadtplaner vor schier unlösbare Probleme gestellt. Strom und Wasser wurden aufgeteilt und in einigen Vierteln so knapp, dass eine Welle des Protestes über die Stadtväter hereinbrach. Inzwischen ist ein neuer, privater Stromerzeuger aufgetreten und ans Netz gegangen. Doch die technischen Voraussetzungen für die alten Stadtviertel müssen erst noch geschaffen werden, um die Zufuhr zu gewährleisten. Für die neu entstehenden „Traumstädte“ ist dies schneller wahr zu machen.

 

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Iraks zerplatzte Hoffnungen

Iraks zerplatzte Hoffnungen

 

Und wieder ist eine Hoffnung zerplatzt. Nach fast sechs Jahren Bomben und Terror, glaubte ich, mal über etwas anderes als nur Zerstörung und Tod aus dem Irak berichten zu dürfen. Die Anschläge haben sich seit Anfang des Jahres merklich reduziert, die Einwohner Bagdads schöpften Zuversicht. Die Provinzwahlen im Januar waren als Meilenstein für die weitere Entwicklung Iraks betrachtet worden. Sie verliefen weitgehend friedlich und unproblematisch. Anders als in Afghanistan, scheint die Wahlkommission im Irak gute Arbeit zu leisten. Zwar gab es einige Beschwerden und Betrugsvorwürfe. Denen ist aber akribisch nachgegangen worden unter Oberaufsicht der Uno. Der Leiter der Wahlkommission musste sich vor dem Parlament verantworten. Die Parlamentarier haben ihn reichlich „gegrillt“. Das scheint eine wirksame Methode gegen einen ungehemmten Auswuchs von Korruption und Betrügereien. Gleichwohl steht auch der Irak auf der Liste von Transparency International als einer der korruptesten Staaten auf diesem Erdball.

 

Mit dem Argument der Verbesserung der Sicherheitslage zogen sich die Amerikaner Ende Juni aus den Städten zurück. Die Iraker jubelten und Premierminister Nuri al-Maliki ließ sich im allgemeinen Freudentaumel zu dem Satz hinreißen, man werde die Amerikaner nicht von ihren Stützpunkten zurückholen. „Das mit der Sicherheit schaffen wir alleine!“ Nun haben sich die Iraker seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten 2003 an Explosionen gewöhnt und reagierten teilweise gelassen, wenn nur wenige Meter vor ihnen wieder ein Sprengsatz gezündet wurde. Doch wenn man Hoffnungen schürt und diese enttäuscht, ist es etwas anderes. Die koordiniert gezündeten Autobomben vor den Ministerien Mitte August und jetzt am 25. Oktober wiegen schwerer als alle anderen vordem. Jetzt ist bei vielen auch noch die letzte Hoffnung gestorben.

 

Was die Berichterstattung dieser Ereignisse betrifft, so kann man in den westlichen Medien ebenfalls nur von zerplatzten Hoffnungen sprechen. Der Krieg im Irak ist erklärtermaßen nicht Obamas Krieg. Die Medienkarawane ist längst nach Afghanistan und Pakistan weitergezogen. Irak schaffte es in den letzten drei Monaten kaum über die Randspalten der Zeitungen hinaus. Von durchaus positiven Ansätzen der Entwicklung einer Zivilgesellschaft, von der Neuorientierung der Parteinlandschaft, von der Demokratisierung der Provinzen wollte kein Redakteur etwas wissen. Erst die Bomben, die interessieren wieder. Fast kommt es mir vor, als sei der Irak zum Terrorland abgestempelt und verdammt worden – so wie Afrika der ewige Hungerkontinent ist.

 

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Arabische Feministinnen rechnen mit dem Westen ab

Wie stellen Sie sich arabische Feministinnen vor? Frauen, die sich den Schleier herunter reißen? Die für Abtreibungsrechte, offene Partnerschaften und das Recht auf Beruf statt Kind kämpfen? Weit gefehlt. Die arabischen Feministinnen sind anders. Sie betonen ihre Weiblichkeit, Kinder zu haben ist in diesen Gesellschaften ein zentraler Wert  – auch in den Augen der Frauen. Ein Zeichen der Emanzipation ist hier beispielsweise, sich am politischen Widerstand gegen israelische oder westliche Besatzung zu beteiligen. All das verstünden die westlichen Schwestern nicht, drum könne man auch auf ihre wohlgemeinte Unterstützung verzichten, man müsse einen eigenen Weg gehen.

Drei Tage lang debattierten mehr als 50 arabischen Frauenrechtlerinnen und Feminismusforscherinnen, in welche Richtung sie sich in Zukunft bewegen wollen. Es war ein emotionales Treffen an der Amerikanischen Universität Beirut . Es wurde gestritten, man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und es wurden viele Fragen gestellt. Vorne weg diese: Welches ist der richtige Platz für Feminismus in einer Umgebung, die wie die unsere durch Kriege, Bürgerkriege, Armut, autoritäre Regime, ein Fehlen der Bürgerrechte, durch militärische Angriffe und Umsturzversuche aus dem Ausland geprägt ist?

Weil ihr Lebensraum so aussieht, bewegen diese Feministinnen andere Themen als die Frauen im Westen: Das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Arbeit, das Recht, einen Pass zu beantragen ohne den Vater oder Ehemann fragen zu müssen, das Recht, die eigene Staatsbürgerschaft an die Kinder weiterzugeben, das in den meisten Ländern dem Mann vorbehalten ist. Es geht um Scheidungsrecht, Erbrecht, um den Schutz gegen Gewalt, die Diskussion um den Hijab (Schleier), um Sexualität und auch, aber nicht an erster Stelle, um politische Rechte. Letztere würden häufig als Folge westlichen Drucks zugestanden, dabei handele es sich dann aber nur um ein Feigenblatt, um zu verdecken, was eigentlich im Argen liege, meinte Mai al-Nakib von der Kuwait University. Sie legte dar, dass die kuwaitischen Frauen zwar im Vergleich zu anderen Golfstaaten mehr Freiheit und vor allem das Wahlrecht haben. Das bedeute jedoch keinesfalls, dass die Frauen in dem ölreichen pro-westlichen Emirat deshalb wesentlich emanzipierter seien als ihre Geschlechtsgenossinnen in den Nachbarstaaten. Al-Nakib:„Die meisten Frauen in Kuwait sind vollkommen apathisch. Der Islam, ein konservativer Moralkodex sowie die Moschee dominieren ihr Leben.“ Und das akzeptierte die Mehrheit.

In Saudi-Arabien, so konnte man auf dem Kongress lernen, erwacht so langsam ein Bewusstsein unter den Frauen für ihre enorme Unterdrückung. Aber eine richtige feministische Bewegung gibt es schon allein deshalb nicht, erklärte Hatoon al-Fassi  von der Universität Riyadh, weil die Frauen sich nicht in der Öffentlichkeit treffen dürften, um über solche Dinge zu reden. Noch dürften sie eigene Publikationen herausgeben. So bliebe es bei privaten Treffen von Einzelkämpferinnen. Sie selbst könne die Missstände nicht detaillierter beschreiben, weil sie sonst fürchten müsse, nicht mehr zurück nach Saudi-Arabien gelassen zu werden. Ein ernüchterndes Statement, das deutlich macht, gegen welche Windmühlen diese Frauen ankämpfen müssen – falls sie es denn überhaupt wollen. Denn die Mehrheit der Frauen in der arabischen Welt betrachte Feministinnen doch immer noch als ein wenig geistesgestört, schimpfte Noha Bayoum von der Libanesischen Universität Beirut .

Aber auch von den westlichen Frauen fühlen sich die arabischen Feministinnen missverstanden. Sie wehren sich gegen deren Bevormundung, sie bräuchten keinen Ideenimport, denn sie hätten ihre eigenen, betonte eine Rednerin nach der anderen. „Das einzige, worauf wir uns einigen können, ist, dass wir beide die Gleichberechtigung der Frau wollen“, sagte mir eine Aktivistin. Doch darüber, wie wir uns diese Rechte im Einzelnen vorstellten, könnten wir uns schon nicht einigen. Das sei Fakt und deshalb wolle sie auch nicht weiter mit mir diskutieren. Sagte es und verließ erregt den Raum.

Der Westen habe den arabischen Frauen sehr viel Leid angetan durch Invasionen wie im Irak und Afghanistan, die Unterstützung von Kriegen und Besatzung wie im Libanon und in Palästina. All das habe die Frauenrechte um Jahre zurückgeworfen, lautete der Tenor. Die US-Invasion und die nachfolgende Besatzung hätten die irakischen Frauen in die 30er Jahre zurück katapultiert, erklärte die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana  wütend. „Zwar sitzen nun in unserem Parlament 25 Prozent Frauen. Aber was tun sie dort? Kümmern sie sich um die Belange der Frauen? Nein.“ Dafür habe das Land nun den höchsten Anteil an Witwen weltweit.

Kaum positiver beschreibt die Frauenforscherin Elahe Rostamy-Povey von der Universität London die Lage afghanischer Frauen nach dem Versuch der Vertreibung der Taliban durch westliche Truppen: „Krieg und militärische Konflikte verschärfen immer männliche Vorherrschaft in der Gesellschaft. Die afghanischen Frauen sind heute keineswegs befreit.“ Das Leben sei jetzt anders als unter den Taliban, aber nicht besser.

Es war viel Provokatives zu hören auf dem Beiruter Feministinnenkongress und ich habe vieles über arabische Frauen gelernt. Es war ein Privileg, diese teils mutigen und engagierten Frauenrechtlerinnen kennen zu lernen. Auch wenn sie an viele Dinge ganz anders herangehen. Sie haben Recht damit, weil sie tatsächlich in einer anderen Welt leben. Doch kann ich mich nicht damit abfinden, dass wir unfähig sein sollten, miteinander in einen Dialog zu treten. Radikale Abgrenzung bringt keinen weiter. Wir westlichen Frauen können jedenfalls von unseren arabischen Schwestern einiges lernen, vor allem was Solidarität und das Annehmen der eigenen Weiblichkeit angeht.

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