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“We want Jürgen!” US-Fußball-Fans in Klinsmann-Euphorie

Klinsi-Ultra-Fan

Seit Juli 2011 ist Jürgen Klinsmann Coach der US-Nationalmannschaft. Sein Anfang war etwas holprig, voller Experimente und deshalb auch mit einigen schwachen Spielen. Doch im Gegensatz zum Rest der Welt, wo das zur Ruck-Zuck-Entlassung des Trainers geführt hätte, bekam in den USA kaum jemand was mit vom schwachen Start. Die Stadien waren halb leer, nur eine Handvoll Reporter – davon mehr als die Hälfte von hispanischen Medien – berichtete darüber und die raren Fernsehübertragungen der Spiele schaltete sowieso kaum jemand ein. Trotzdem gab es einen Spieleraufstand – die alteingesessenen Profis fühlten sich übergangen und US-Spieler insgesamt ungerecht benachteiligt gegenüber Neuzugängen mit doppelter Staatsbürgerschaft aus Zentralamerika und Europa.

Doch jetzt ist alles anders und viel besser im US-Fußball, der hier ‘soccer’ genannt wird. 16 Mal haben die USA während der WM-Qualifikation gewonnen, davon zwölf sogar in Serie am Stück. Das gab’s noch nie in der Verbandsgeschichte. Sie haben den Gold Cup gewonnen und sich frühzeitig für die WM qualifiziert. Halb leere Stadien gibt es nicht mehr. Dafür sorgen die ‘American Outlaws’ – eine Fanorganisation, die vor ein paar Jahren von 40 Fans in Nebraska gegründet wurde. Ländlicher als Nebraska geht’s eigentlich nicht mehr. Football mag man da und NASCAR-Autorennen. Fußball? Das ist was für Weicheier! Deshalb auch der Name ‘Outlaws’ – Außenseiter ja! Weicheier nein! Zu jedem Spiel der Nationalelf reisen sie, inzwischen zu Tausenden. Insgesamt haben sie über 17 tausend Mitglieder in rund 150 Ortsverbänden. Gemeinsam marschieren sie von der Vor-Party auf dem Parkplatz in die Stadien, singen stehend 90 Minuten lang patriotische Fußballsongs – und LIEBEN Jürgen Klinsmann.

https://soundcloud.com/soundslikerstin/we-want-j-rgen-us-soccer-coach

Beim ausverkauften Freundschaftsspiel gegen Süd Korea hab ich das selber miterlebt. Mehr Stimmung gibt’s auch in deutschen Stadien nicht. Von den Fans, die ich dort getroffen habe, werden mehr als 600 nach Brasilien reisen, um das Team bei der WM anzufeuern. Die Outlaws haben Flugzeuge gechartert und Hotelzimmer reserviert, um der Nationalelf gemeinsam zu folgen. Auch das ist eine absolute Neuheit für den US-Sport. Das gab’s noch nie im Fußball und gibt es in keiner anderen Disziplin. Football, Basketball, Baseball, Eishockey haben starke lokale Fanclubs. Bei Olympischen Spielen können Basketball und Eishockey Patriotismus wecken, aber rund ums Jahr einer Nationalmannschaft hinterherreisen? Das gibt’s sonst nirgendwo.

Klinsi Fans

Dass es so gut aufwärts geht mit dem US-Fußball hat auch viel mit dem Trainer zu tun, da sind die Fans sicher. Klinsmann öffnet Türen – zu Spielen auf höchstem internationalem Niveau, zu Spielern im Ausland, die ins US-Nationalteam wollen und zu Veränderungen im System, die Nachwuchs fördern. Deshalb lieben sie ihn.

Am 26. Juni trifft Klinsmanns Elf auf die von seinem ehemaligen Ko-Trainer Joachim Löw. Klinsi sagt: er wird beide Hymnen singen aber danach ist für 90 Minuten Schluß mit der Freundschaft. Er will nichts lieber, als an dem Tag Deutschland besiegen.

 

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Mitleid mit Santa

IMG_0634Generell wird Santa (australisch kurz für: Weihnachtsmann) hier auch bei derzeit 26 ºC in seine traditionelle Kluft gesteckt: langer Mantel, Mütze und Fellstiefel. Er muss hinterm Bart in Filz und Fell vor Shoppingzeilen schwitzen und legt sogar volle Montur an, wenn er im Lifesaver-Boot übers blaue Meer zum jährlichen “HoHoHo” an den Strand gefahren wird. Um so erleichterter war ich, eben im Frisörladen ums Eck zu sehen, dass jemand Mitleid mit dem Herrn der Geschenke hatte und ihm eine jahreszeitlich etwas passendere Uniform erlaubt. Steht ihm gut finde ich.

 

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Olympiade 2020: Kampf der greisen Giganten

Schon jetzt fliegen die Fetzen. Zwar bekrittelt niemand öffentlich (noch nicht), dass die gebürtige Irakerin „Dame“ Zaha Hadid das Stadion in Tokio bauen wird (siehe Blog 9. September 2013), doch Unmut über Grösse und Location wird lauter.

Befürworter des protzigen Projekts ist der ehemalige Boxer, Pritzker Preisträger und Beton-Purist Tadao Ando,72. Er hat als Jurymitglied die Entscheidung massgeblich beeinflusst und letzten November Hadids Sieg verkündet. Sein Gegenspieler, Fumihiko Maki, 85, sieht in dem Projekt Geldverschwendung und Umweltzerstörung. Deshalb schart der suave Harvard Absolvent – ebenfalls ein Pritzker Preisträger – eine Protestgruppe japanischer Architekten um sich. Unter anderem gehören ihr Toyo Ito, Kengo Kuma, Taro Igarashi und Sou Fujimoto an.

Am Wochenende bin ich durch das zuküftige Olympia-Viertel spaziert.

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Last Tange: Für die olympischen Spiele 1964 baute Kenzo Tange (1913-2005) zwei Stadien im Yoyogi Park. Auch 2020 sollen sie zum Einsatz kommen. Doch der Hadid Bau wird sie erdrücken.

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Lachend in die Zukunft? Yoyogi ist eine der wenigen grünen Lungen Tokios und mit seinen angrenzenden Vierteln Harajuku, Aoyama und Shibuya Freizeitspielplatz der Jugend. Grünanlagen werden dem Hadid-Bau zum Opfer fallen. Die Skyline hinter den beiden Gebäudespitzen von Kenzo Tange dominiert dann das neue Stadion.

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Der Kritiker: Fumihiko Maki will retten was zu retten ist. Er prangert Grösse, Umweltbelastung und fehlendes Einfühlungsvermögen an. Hadids Stadion wird ca. eine Milliarde Euro kosten (Umrechnungskurs 130 Yen) und drei mal so gross werden, wie das Hauptstadion bei den Spielen in Londen. „Viel können wir nicht mehr ändern“, gesteht Maki, „aber zumindest verkleinern. 85,000 Sitzplätze sind nicht notwendig.“ In der Yomiuri Shinbun warnt ein Beamter davor, dass die Kosten explodieren würden. Korruption ist aber nicht auf Japan beschränkt, wie wir das bei den Flughäfen Berlin und Wien gesehen haben.

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Fahrradhelm im CG-Grün: Hadids Olympia Stadion täuscht vor, friedlich in der Natur eingebettet zu sein. Zu sehen sind aber weder die geopferten Grünflächen, noch die breitspurigen Auswirkungen auf das Gesamtstadtbild. Hadid hat 400 Angestellte und Projekte in 55 Ländern, einige davon Diktaturen. (Einen interessanten Fotobericht von Hadids Heydar Aliyev Center in Baku, Aserbaidschan, gab es am 11. Oktober 2013 in der New York Times. Heydar Aliyev war der ehemalige KGB-Chef des Landes. Am Ende des Artikels betont die Times, dass die Fotos von Hadid zwar beauftragt, aber nicht von ihr vor Veröffentlichung abgesegnet wurden.)

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Habt acht beim Strippenzieher: Tadao Ando findet, dass Hadids Design Japans Zukunft interpretiert. Er war in Osaka immer schon ein kompromissloser Einzelkämpfer gewesen, dem die Elite in Tokio suspekt erschien. Die internationale Olympia-Ausschreibung für 2020, wo hochkarätige japanische Architekten aus Tokio teilgenommen haben (Toyo Ito und das SANAA Team), wirkt unter diesem Blickwinkel unglaubwürdig. Zudem hätte der Wettbewerb – meiner Meinung nach, ohnehin nur unter japanischen Architekten stattfinden sollen. Japan ist nicht China, dass mit Leuten wie Koolhaas und Co. Anerkennung im Ausland erheischen muss.

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Obdachlosen-Architektur: Die bisher stillschweigend geduldeten Zeltlager im Yoyogi Park werden ebenfalls dem Hadid Stadion weichen müssen.

 

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Finale der Oblehrer – “Vaidenfellere” und andere deutsche Monster

Es war Ende April und schlimmer konnte man es sich nicht vorstellen: keine italienische Mannschaft im Halbfinale der Champions-League, und dazu auch noch zwei deutsche! Nicht nur, dass damit die Euro-Krisen-Oberlehrer nun auch noch als Fußball-Oberlehrer herumstrebten; vor allem hatte man an vier Spielen mit Wortmonstern wie “Vaidenfellere” und “Emullere” zu kämpfen. Ganz zu schweigen von Obermonster „Esvainstaigere“.

Und doch, es geht noch schlimmer. Die Steigerung erleben wir am heutigen Abend. 90 Minuten ein Spiel mit der maximal denkbaren Anzahl von deutschen Nachnamen auf dem Platz und drumherum! Ein Albtraum. Die Folge: Ich bekomme seit Tagen Anrufe von Sportjournalisten. Denn früher gab es die Radio- und Fernsehübertragung in der „RAI“ und später auf „SKY“. Heute gibt es unzählige Wettanbieter und Regionalradios, die vom Fernsehbild aus das Spiel kommentieren. Meistens kommen die Kollegen ohne Umschweife rasch zur Sache:”Come cazzo si pronuncia questi nomi?”, etwas geglättet übersetzt mit: „wie zum Teufel spricht man diese Namen aus?” „Allora“, „also“, sage ich dann und stelle mich auf eine gute halbe Stunde Deutschkurs ein, ich baue von Zeit zu Zeit Eselsbrücken: „Neuer“, spreche man aus wie „Noia“, „Langeweile“, sage ich dann. Die Eselsbrücke? Neuer sei im Vergleich zur Bestie Oliver Kahn vergleichsweise langweilig. Konstruiert? Wirksam! Beim Dortmunder „Weidenfeller“ muss das Lautbild „Vaidenfellere“ dagegen buchstabiert werden: „V“ wie „Venezia“, „A“ wie „Ancona“, „I“ wie „Imola“, „D“ wie „Domodossola“, „E“ wie Empoli, „N“ wie „Napoli“….und so weiter. Jedesmal eine kleine Italienreise. Ein kleiner Urlaub, allein durch die Wörter.

Doch die Kollegen denken nicht weit genug: Denn beim Champions-League-Finale geht es ja nur zum Teil um diesen silbernen Pokal. Es geht ja auch um das „sich präsentieren“: Jeder, der in den 90 Minuten des Finales zu sehen ist, und sei es der Vize-Masseur auf der Trainerbank, muss damit rechnen, vom Fleck weg von einem Groß-Club verpflichtet zu werden. Steht nach den „Legionären“ von Lothar Matthäus bis Thomas Doll jetzt die nächste Wanderung über die Alpen an? Um nicht zu weiterer Verunsicherung bei den geschätzten Radiokollegen zu sorgen, habe ich dieses Szenario bisher nicht erwähnt. Sollen sie erst einmal den Samstagabend ohne Zungenkollaps überleben! Die Fans sind da schon deutlich weiter. Auf einem Fan-Blog von „Lazio Rom“ findet sich der schöne Eintrag eines gewissen „Lucio“: „Thomas Hitzelsberger ist 2010 gegangen und ich weiß immer noch nicht, wie man ihn schreibt oder ausspricht. Wenn irgendwann einmal Schweinsteiger kommen sollte, buona notte, gute Nacht.“

Um den Kollegen ein positives Gefühl zu geben, nenne ich zum Schluß immer den Namen des bayerischen Abwehrspielers „Dante“. Auf die Wirkung ist stets Verlass: „Dante Alghieri! Göttliche Komödie!“, kommt dann sofort und ein Kollege aus Palermo fing sogar an, einen Vers aufzusagen: “Nel mezzo del cammin di nostra vita…“ Und schon ist man als Italiener wieder obenauf. Weltgeschichtlich bleibt auf lange Sicht von Italien einfach die Kultur. Von den Deutschen nur die Wortmonster.

 

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Die EM in Australien

Ob wir “hier unten” (gemeint ist Australien) denn auch im EM-Fieber sind? werde ich dieser Tage häufig gefragt. Manche sind vorsichtiger und fragen: “Bekommt ihr von diesem Weltereignis viel mit?”
Auf beide Fragen antworte ich hier stellvertretend mit zwei Bildern, die ja bekanntlich mehr sagen als viele Worte. Oben Seite 10 aus der Sportbeilage vom Sydney Morning Herald von heute, 18. Juni 2012. Oben Damenhandball, dazwischen ein bisschen Cricket und, ja genau ganz unten rechts die Ergebnisse der European Championship im Football. (Genauer: es sind die Ergebnisse vom letzten Freitag und  Vortagen…). Naja, sagen Sie jetzt, wer braucht Ergebnisse, wenn er die Spiele ansieht? (Und jetzt jammert bloß nicht wieder über Zeitverschiebung und unchristliche Sendeplätze, denn die habt ihr euch selbst zuzuschreiben).
Auch dazu ein kurze Klarstellung: Niemand hier unten sieht die Spiele. Auf jeden Fall nicht in mir bekannten Fernsehsendern. Nicht zu komischen Uhrzeiten oder am nächsten Tag als Aufzeichnung, nein, das australische Fernsehen zeigte die Vorrunden-Spiele in diesem Jahr überhaupt mal gar nicht. Mag sein, dass sie auf irgendeiner teuren Bezahl-Station von Rupert Murdoch laufen. Aber Menschen mit normalem Fernsehkabel sehen den Fussball nicht. Nicht die Deutschen oder die Dänen oder die Griechen. Ja wir können Highlights auf Youtube angucken. Und sehen wie Jogi Löw einem Balljungen das Runde aus dem winkligen Arm stösst. Macht das Spass? Hm, Nein. Ach ja, Sie hatten gefragt, ob hier unten irgend jemanden die Europameisterschaft interessiert. Die Antwort ist: Njet, No, Nicht Die Bohne.

 

 

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Besser als gedacht – mit dem Fahrrad in Los Angeles

 

Die gepunkteten Satteltaschen aus Berlin sind der Hit in Los Angeles – ob ich sie vor dem Supermarkt mit Lebensmitteln und Klopapier fülle, am Strand Handtuch und Proviant raushole oder einfach nur durch mein Viertel fahre – Kommentare sind mir sicher. Meistens gehen sie in die Richtung:’These are soooooo coool’. ‘Wow, where did you get THOSE?’ und wenn ich dann sage, dass sie aus Berlin sind kommt oft der Hinweis, ich solle sie importieren und ein BIG BUSINESS draus machen!

 

Ein Problem bei der Idee ist, dass die wenigsten Fahrräder hier Gepäckträger haben. Das größere Hindernis dürfte sein, dass Los Angeles milde formuliert nicht wirklich Fahrradfahrer-freundlich ist mit seinen ineinanderverschobenen Freewaylabyrinthen und der am Auto orientierten Architektur und Infrastruktur.

Ich hab allerdings inzwischen festgestellt, dass ich erstaunlich viel mit dem Rad erledigen kann. Einkäufe mache ich weder in Beverly Hills noch in Compton, die Hitze hält mich meist davon ab, mich in Richtung Wolkenkratzer nach Downtown zu bewegen und Hollywood überlasse ich gerne Touristen, Paparazzi und Star-Imitatoren. Also nutze ich inzwischen aus, was ich anfangs etwas öde fand: wo ich wohne besteht Los Angeles im Grunde aus einer Aneinanderreihung von Vororten – Culver City, Santa Monica, Marina del Rey und da kann man auf Seitenstraßen hervorragend dem Verkehr ausweichen. Es gibt sogar Fahrradwege! Zum Beispiel den Ballona Creek Bike Path  am Kanal entlang zum Meer, kein Auto nirgendwo! Und im Frühling jede Menge wunderbare Wildblumen am Wegesrand!

Und dann natürlich den kurvigen Fahrradweg am Meer entlang, Mehr als 35 Kilometer, vorbei am Santa Monica Pier, an Muscle Beach, wo Arnie sich die Muskeln zum Mister Universe Titel antrainiert hat, vorbei an Schlagzeug-Zirkeln, an einem Skateboardpark … 

Die Devise ist: Cruisen, nicht rasen. Weil es viel zu sehen gibt, aber auch weil immer wieder Touristen plötzlich auf den Weg latschen, die irgendwie vergessen haben, dass man auch im Urlaub erst nach rechts und links schauen sollte bevor man einen Fahrradweg betritt. Und dann sind da auch noch sehr entspannte Patienten frisch vom Besuch beim Marihuana-Doktor für die natürlich Vorfahrtschilder für Fahrradfahrer Ausdruck einer sehr beschränkten Weltsicht sind, an die sich Wesen mit ausgedehntem Bewusstsein nicht halten können.

Wem nach all der entspannten Idylle am Strand das urbane Gefühl fehlt, sollte weiter Richtung Süden radeln: dort sorgen eine Kläranlage am Wegesrand und die Fahrt unter der Einflugschneise des Internationalen Flughafens dafür, dass man nicht vergisst, wo man ist. Wer das nicht unbedingt sehen will, kann direkt an der Marina umdrehen und im Biergarten einkehren. Im Waterfront Cafe gibt es sogar ein Radler.  

 

 

 

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Prohibition auf australisch

Freunde des Trink- und Motorsports müssen sich dieses Wochenende in Australien schwer zusammenreissen. Vor allem in Bathurst, einem Bergort westlich von Sydney. Dort findet zum 50. Mal ein beliebtes Autorennen statt: Die Bathurst 1000: (Die Fahrzeuge umkreisen dabei den Mount Panorama so lange bis sie 1000 Kilometer geschafft haben). Für Zigtausende ist dies ein beliebter Anlass, rund um die Rennstrecke zu campieren und zu picknicken. Traditionell missachten dabei einige ihre zulässige Trinkgeschwindigkeit und anschließend Gebote der Höflichkeit. Deshalb griffen Behörden zu – runder Geburtstag hin oder her – DRASTISCHEN Maßnahmen: Die Alkoholmitnahme für Besucher wurde reglementiert, die Einhaltung des Limits kontrollieren Polizisten! Viele! Und die kennen kein Pardon: Erlaubt ist nur ein slab Bier. Genauer: 24 Dosen normalen Biers, 30 Dosen Leichtbier (was aber in Australien schwer zu kriegen ist), oder eine Flasche Hochprozentiges oder vier Liter Wein. Dieses Limit gilt übrigens pro Person, pro Tag. Harte Bandagen, fürwahr! 

Heute tröstet der örtliche Abgeordnete via Zeitung die Pissköppe: “Leute können auch mit w e n i g Alkohol noch eine Menge Freude haben.” Wobei das wenig nicht in Anführungszeichen gesetzt war. (“There’s been a review of that so certainly we’re finding that suddenly people can deal with less alcohol and still have a good time.”) Fast zynisch ist natürlich angesichts derlei radikaler Prohibition, wenn man auf einem von einer Biermarke gesponsorten Zeltplatz campen muss oder gar im von einer Whiskey-Marke finanzierten Eventbus zum Rennen fährt. Ich hoffe, die V8-Fans haben trotzdem ein schönes Wochenende. Happy Birthday Bathurst!

 

 

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Neuer Job für Paul

Die meisten Indonesier sind abergläubisch und fast alle sind fußballverrückt. Der wahrsagende Tintenfisch Paul aus Oberhausen wurde daher im Inselstaat auf der anderen Seite der Welt zur willkommenen Sensation: Am Ende der Fußball-WM verging keine indonesische Nachrichtensendung ohne eine Meldung über „Gurita Paul“.

Doch während sich der Fußballrausch in Indonesien allmählich wieder gelegt hat, saugt sich der achtarmige Wahrsager weiterhin hartnäckig in den hiesigen Medien fest. Auf diversen Websites wird diskutiert, ob Paulchens Vorhersagen ausreichten, um auch politische oder religiöse Führer zu ersetzen.

Am vergangenen Samstag zeichnete der Karikaturist der englischsprachigen Tageszeitung „The Jakarta Post“ Paul zum Beispiel als Schiedsrichter in einem aktuellen Steuerhinterziehungsfall: Auf der Zeichnung verschwinden der korrupte Finanzbeamte Gayus sowie ein der Unterschlagung beschuldigter Polizeibeamter als gierige Kraken hinter Gittern, während die International Corruption Watch verwundert zusieht.

Beliebt ist auch der Vergleich mit „Gurita Cikeas“ – also dem Kraken von Cikeas: Dieser Ausdruck stammt aus einem populären Buch über die angebliche Vetternwirtschaft unter dem indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono, der in Jakartas Vorort Cikeas residiert.

Die Botschaft an den Tintenfisch: Wenn die Deutschen Paulchen tatsächlich schon in Rente schicken wollen – in Indonesien gibt es noch viel für ihn zu tun!

 

 

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Japan in der Sinnkrise

Was ist nur mit Japan los? Nicht genug damit, dass es in der Politik drunter und drüber geht und ein Premierminister nach dem anderen zurücktritt. Die wirtschaftliche Entwicklung ist auch nur noch eine lahme Ente. Und nun erschüttern auch noch Skandale ohne Ende die Sumo-Szene.

Diese ur-japanische Sportart, eigentlich eine Bastion nationaler Traditionen, scheint kurz vor dem Ableben zu stehen. Seit geraumer Zeit macht Sumo nur noch negative Schlagzeilen. Vor wenigen Monaten musste der Großmeister Asashoryu nach einer Schlägerei im Suff seinen unehrenhaften Abschied nehmen. Ein Vorbild als besoffener Haudrauf, das ziemt sich nicht. Aber jetzt kommt’s richtig dicke. Die schwergewichtigen Ringer haben sich mit den schwerkriminellen Yakuza eingelassen, so wurde bekannt. Das japanische Pendant der italienischen Mafia hat den dicken Männern geholfen, fette Gewinne bei illegalen Wetten zu machen. Das stürzt so manchen Japaner in eine Sinnkrise. Nichts scheint mehr heilig zu sein im Land der aufgehenden Sonne. Die Idole im Ring sind in Wahrheit Halunken, die sich in der Halbwelt herumtreiben. Nippon liegt im Staub, Rettung ist nicht in Sicht. Fehlte nur noch, dass sich im Kaiserpalast Unerhörtes zutragen würde. Aber das wollen wir den Japanern nicht wünschen. Sie haben es derzeit schon schwer genug. 

 

 

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Wetten, dass …

Sie wetten, wie schnell Krabben linksseitig in einen Kreis laufen, sie wetten auf Pferde, Hunde, Boxer, Würfel und zur Not die Flugrichtung der Fliege im Outbackpub  – Australier sind Weltmeister im Wetten. Im 21. Jahrhundert läuft das meiste Gewette natürlich online. Nicht ganz so romantisch wie einst Scheine wedelnd und mit Wettschein, but well. Aber wetten, dass Sie nicht wissen, worauf derzeit online und in anderen Wettbüros ebenfalls spekuliert wird? Ok. Hier kommt’s: Man setzt Geld auf den Termin der nächsten Wahl.

Nicht auf den Ausgang, das wär’ ja irgendwie noch sportlich. Gewettet wird, welchen TAG die neue Premierministerin Julia Gillard wohl für die Wahl festsetzen wird. Spannend was? Macht mir auch keinen echten Blutdruck, aber so isses. Irgendwo zwischen Cycling und Darts wird etwa bei sportingbet oder bei centrebet der Election date getippt. Theoretisch kann der übrigens an jedem möglichen Samstag bis 16. April 2011 sein. Nach der Entmachtung von Kevin Rudd im Juni wird aber gemunkelt, dass es eher früher als später an die Urnen geht. Nur $ 1,75 gibts daher pro Dollar, wenn man als Wahltag den letzten Augustsamstag vorhersagt. Für besonders unwahrscheinlich hält die Zockergemeinde den letzten Samstag im November (derzeit über 100 $ Gewinn pro Dollar). Ich wüsste ja zu gerne, ob die neue Staatschefin da auch ein paar Wetten laufen hat … 

 

 

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Kein Team kam aus China – aber Yingli, Kondome, Jabulani und Vuvuzelas

Die Weltmeisterschaft ist vorbei, wir werden das Vuvuzela-Getute aus dem Fernseher vermissen – aber noch gibt es aufregende Neuigkeiten im Nachklapp des Geschehens. Nicht nur, dass Thomas Müller bester Jungkicker des Turniers wurde. Auch aus China gibt es News: Das Land war zwar selbst nicht bei der WM dabei – jedenfalls nicht mit einem Team – aber irgendwie doch. Heute durften wir erfahren, dass das Land für die WM 100 Millionen Kondome nach Südafrika verschifft hat, wie die Beijing Evening News berichtet. Also hat China wenigstens ein bisschen dran verdient. Oder auch ein bisschen mehr.

Auch der WM-Ball Jabulani stammt, wen wunderts letztlich, aus einer Fabrik in China, die der Hongkonger Firma Longway gehört. Noch weniger überrascht es da, dass auch die allseits beliebten Vuvuzelas aus China stammen. Einfache Plastikwannen made in China finden sich in der ganzen Welt, und eine Vuvuzela ist ja irgendwie nichts anders als eine langgezogene Plastikwanne. 90 Prozent aller WM-Tröten kamen aus China, schreiben chinesiche Zeitungen, die meisten davon aus der Küstenprovinz Zhejiang, einer Hochburg privater Leichtindustriefabriken. Die Guangda Toy Factory – sonst ein harmloser Trillerpfeifenproduzent – etwa produzierte mehr als eine Million der Plastiktrompeten; und die Chefin glaubt fest an einen Post-WM-Boom. Ebenfalls über eine Million vertickte Jiying Plastic Products. Verdient haben daran aber vor allem Händler und Importeure, wenn man dem Chef, Wu Yijun, Glauben schenkt: Fabriken wie seine kriegten pro Tröte umgerechnet nur sieben bis 30 Cents. ‘Unsere Marge liegt bei unter 5 Prozent.’ Auch die Chinesen selbst rissen sich um die Vuvuzelas: Mehr als 400 Tröten-Shops gingen während der WM auf Chinas E-Bay-Pendant Taobao.com an den Start.

Sichtbar für alle war während der WM aber eine ganz andere Firma, und das bei jedem Match für volle acht Minuten: Yingli Solar – und das auch noch prominent platziert direkt neben ‘I’m loving it’ und dem großen gelben M. Der Solarzellenproduzent aus dem nordchinesischen Baoding ist die erste chinesische Firma, die jemals zum WM-Sponsor aufstieg. ‘Die WM ist eine sehr gute Plattform, die sofort unsere Marke in jedem potenziellen Markt weltweit bekannt macht’, freute sich Yingli-Vizepräsident Jason Liu. Womit er vielleicht sogar recht hat.

Wen stört es da schon, dass Chinas eigene Mannschaft da in der Qualifikation schmählich versagt hatte – sollte man denken. Doch weit gefehlt. In China möchte man kein männlicher Kicker sein. Die Fußball-Liga ist korrupt bis ins Mark, das Nationalteam nur selten beim Asien-Cup halbwegs erfolgreich. Chinesen betonen bei jeder Gelegenheit wie wenig das eigene Team tauge. Und das erst recht jetzt, wo sogar Nordkorea dabei war. Während der WM geisterten daher auch Vorschläge durchs Netz, die Mannschaft doch am besten gleich aufzulösen. Aber die nächste Chance kommt bestimmt: Nach der WM ist vor der WM.

 

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Wir waren Weltmeister

 

Ach, es war schön, wenn auch tief in der Nacht. Der Rausch ebbt langsam ab. Als Neuseeland drei Mal beinahe Weltmeister wurde, hatten die Fans daheim zwar mit der Zeitverschiebung und nassem Winterwetter zu kämpfen, aber von innen wärmte sie die Siegersonne: Nichts als eitel Freude, Stolz und Gloria in den letzten zwei Wochen. Die unscheinbaren Kiwis, 78 auf der Weltrangliste, unentschieden gegen Italien – das fühlt sich fast so gut an wie damals 1953, als Edmund Hillary als erster Mensch den Mount Everest erklomm.

Neuseeland hat schon wesentlich größere sportliche Erfolge eingeheimst, wie den America’s Cup und den Rugby World Cup (reden wir nicht darüber, dass letzterer schon 23 Jahre her ist – geschenkt). Aber keine olympische Goldmedaille hat den gleichen Mediendonner bewirkt wie das das Eins-zu-Eins der All Whites letzte Woche. Alle, die Fußball lieben, lieben die Kiwis. Er tut gut, der Ritterschlag der großen Welt. Wie sagte unser – jawohl, unser, schließlich bekam ich noch gerade rechtzeitig den Doppelpass ausgehändigt – Kapitän Ryan Nelsen so richtig: „Neuseeland ist jedermanns Lieblingsmannschaft, nach der eigenen.“

Und alle Kiwis lieben plötzlich Fußball. Mehr als ein Vierteljahrhundert durften sie nicht dabei sein, dann traten sie quasi über Nacht die Nachfolge Prinzessin Dianas an und wurden Könige der Herzen. Für einen kurzen, aber historischen Moment ist Rugby zum Mauerblümchen im nationalen Psychogramm geschrumpft. Selbst erzkonservative Traditionalisten schätzen, dass ‚Footy‘ seit diesem Juni einst so beliebt werden könnte wie Rugby, auch wenn es zwei Generationen dauert. Eine weiße Revolution.

Premierminister John Key schickte Trainer Ricki Herbert vor dem Spiel in Rustenburg sechs SMS-Nachrichten und erwog, einen Nationalfeiertag auszurufen. Medienstrategen rechnen bereits aus, wie viele hundert Millionen Dollar es der Marke Neuseeland gebracht hat, bis in die Favelas Brasilien gebeamt zu werden. Allein auf Facebook bekannten sich nach dem Spiel gegen die Slowakei Tausende als neue Fans von Aotearoa, dem Land der langen weißen Wolke und der kurzen weißen Überraschung.

Die aus den Safariparks zurückgekehrten Spieler werden gefeiert, bejubelt und in den Schulen herumgereicht. Jede Stadt ist stolz auf ihren persönlichen All White. Jeder kennt jemanden aus dem Team über zwei Ecken, sogar wir: Die Zwillingsschwester einer Freundin ist die Mannschaftsärztin, und wir trinken regelmäßig im Haus von Ryan Nelsen einen Milchkaffee – als Besucher der dort ansässigen deutschen Mieter. Auch die Australier, die bereits die Urheberschaft der Pavlova-Torte, Schauspieler Russell Crowe und Pop-Oldies Crowded House an sich gerissen haben, konnten es mal wieder nicht lassen und kassierten die Heldentat des kleinen Rivalen einfach für sich ein. Unglaublich – 4:0 gegen Deutschland im Eröffnungsspiel verloren, aber dann frech titeln, so wie der Sydney Morning Herald: „Australasia 1, Slovakia 1“. Ach, wir sehen das gelassen.

 

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Fußballfieber beim Zahnarzt

Für mich waren Zahnarztbesuche ein Graus als ich ein Kind war. Ich erinnere mich an eine muffelige Sprechstundenhilfe und einen Herrn im weißen Kittel, den ich furchtsam mit Knicks begrüßte. Dennoch fahndete der erbarmungslos nach neuen Löchern in meinen nicht sehr guten Zähnen. Meine Kinder haben’s da besser. In der hochmodernen Zahnarztpraxis hier in Tokio gibt es im Wartezimmer so viele Videogames und anderen Schnickschnack, den sie zu Hause vermissen, dass meine Ältere mitkommt, selbst wenn sie keinen Termin hat. Aber auch im Behandlungszimmer lässt es sich dank reichem Filmangebots gut aushalten. Ganz entspannt liegen meine Töchter dort im Sessel und schauen auf dem in die Decke eingelassenen Monitor „Cinderella“ oder „Marley & Me“.

Gestern überraschte das jugendliche Zahnarztteam uns dann noch mit einem besonders sportlichen Auftritt: Alle trugen das Trikot der japanischen Fußball-Nationalmannschaft. Damit bekam der Besuch beim Zahnarzt endgültig Event-Charakter. Und statt small talk war Fachsimpeln angesagt. Die nette Ärztin, die meiner Jüngsten behutsam die Zähne säuberte, tröstete mich über die bittere Niederlage der Deutschen gegen die Serben hinweg. Um mich abzulenken, erzählte sie von einem weiteren Clou, mit dem die Praxis derzeit ihre Kunden bei Laune hält. Kinder, die eine Spange brauchen, können sich die elastischen Bänder dafür in ihren Nationalfarben aussuchen. Ein Gag, der besonders bei Jungen ankomme. „Gestern war ein deutscher Schüler hier, der hat sich natürlich für  Schwarz-Rot-Gold entschieden“, erzählt die Zahnärztin fröhlich.

Mit meiner guten Laune ist es eine halbe Stunde später vorbei. Das Ergebnis unseres Zahnarztbesuches ist fast so desaströs wie das Spiel der deutschen Elf am Vortag. Die Jüngste hat ein Riesenloch im Zahn, die Ältere braucht – eine Zahnspange. Auf  eine Verschönerung in den Landesfarben wird sie verzichten müssen. Bis sie die Spange bekommt, ist die WM vorbei. Pech gehabt. Und ich kann nicht mal einem Schiedsrichter den schwarzen Peter zuschieben.

    

 

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Keine Chance für Fußball-Muffel in Beirut

Nun ist es also soweit: Nicht genug damit, dass man den Mücken in unserem Haus um diese Jahreszeit nur unterm Moskitonetz vollständig entkommt. Aus dem Wohnzimmer tönt zudem das Geräusch eines Schwarmes tausender heranschwirrender Moskitos – auch wenn es tatsächlich glücklicherweise nur das Konzert dieser Ohren-beleidigenden Vuvuzela-Trompeten ist. Im Wohnzimmer sitzt mein Mann, Schotte, Fußballfan und schaut begeistert den Worldcup, unterbrochen nur vom Ausfall der Satellitenübertragung von Al Jazeera. Das aber regelmäßig.

Nun könnte man meinen, Türen schließen würde helfen. Aber es ist Sommer, die Temperaturen liegen auch am frühen Abend noch bei 30 Grad C und die Luftfeuchtigkeit in Beirut steigt. Da öffne ich persönlich gerne die Fenster. Damit befinde ich mich leider in bester Gesellschaft. Drum schallen eben jene Vuvuzelas sowie die Jubelschreie der Nachbarn, wann immer ein Tor für ihre Lieblingsmannschaft gefallen ist, ungefiltert zu mir herüber. Als Deutschland die australische Mannschaft vorgestern mit 4:0 besiegte, ging es besonders hoch her. Schreie, Freudenschüsse, Knallgranaten und Hupkonzerte – die Libanesen lieferten die ganze Palette.

Denn die deutsche Mannschaft steht hier besonders hoch im Kurs. Zahlreiche Balkone, Autos und ganze Straßen sind mit den deutschen Nationalfarben beflaggt. Gestern stand ich im Stau neben einem Cabrio mit vier libanesischen Fußballnarren. Sie alle trugen samtene Schlapphüte in schwarz-rot-goldenem Karo, einer wedelte mit einer besonders großen deutschen Flagge, der Fahrer hielt eine Attrappe der goldenen WM-Trophäe in der einen Hand, in der anderen zu meiner Erleichterung das Lenkrad. Wenn es nach den meisten Libanesen geht, dann wird die Elf von Trainer Löw auf jeden Fall Weltmeister. Es sei denn Brasilien sticht sie aus. Doch Flip-Flops in den deutschen Nationalfarben sind mit Abstand die beliebtesten, selbst in den Strandclubs gibt es kein Entkommen von der WM.

Bars und Restaurants haben alle ohne Ausnahme große Fernsehbildschirme installiert. Nachbarn in den ärmeren Gegenden haben ihre persönlichen Couchen auf kleinen, freien Plätzen zusammengerückt, einer hat seinen Fernseher zur Verfügung gestellt und so sitzt man eng und kuschelig beieinander, Fähnchen in der Hand, jubelnd oder schimpfend. Das WM-Vergnügen will geteilt sein. Auch mit all denen, die davon gar nichts wissen wollen. Wie ich.

All das übrigens, obwohl die libanesische Nationalmannschaft gar nicht dabei ist in Südafrika. Die Libanesen haben sich seit Jahren nicht mehr für eine WM qualifiziert, was vor allem daran liegt, dass im Zedernstaat trotz enormer Fußballbegeisterung junge Talente nicht systematisch gefördert werden. Der Fußballverband hat kein Geld. Fußball ist seit ein paar Jahren eine Arena für die Austragung politischer und konfessioneller Rivalitäten geworden, woran die libanesischen Politiker maßgeblich die Schuld tragen. 

Also identifizieren sich die Libanesen mit den Nationalmannschaften, denen sie einen Sieg zutrauen. Denn schließlich will man am Ende etwas zu feiern haben. Und feiern tun sie lautstark, hemmungs- und gnadenlos. Bis tief in die Nacht. Der Libanese an sich braucht offenbar nicht sehr viel Schlaf, anders ist es kaum zu erklären, dass er morgens im Service-Taxi auf dem Weg zur Arbeit schon wieder hitzig über die jüngsten Spielergebnisse debattiert. Meine deutschen Gene scheinen mich da anders programmiert zu haben. Drum bin ich mir trotz ohnehin nur verhalten vorhandenem Patriotismus nicht sicher, ob ich mir wünsche, dass die deutsche Mannschaft bis ins Endspiel kommt. Andererseits, wenn es nicht die Deutschen sind, dann sind es eben die Brasilianer. An der Begeisterung und am Lärmpegel in Beiruts Straßenschluchten wird das wenig ändern. Da es kein Entkommen gibt, wird mir nichts anderes übrig bleiben als tapfer durchzuhalten. Inshallah. 

 

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Rundes im Eckigen am frühen Morgen. Und Tröten auf die Ohren

Das Gute an der bösen Niederlage für die Australier heute früh beim Fussballspielen in Südafrika? Nicht sonderlich viel. Aber wir denken hier unten gern positiv, sind eine Sportsnation, leben im Land des fair-go, und auch verlieren muss können, wer mal gewinnen will. Daher nenne ich jetzt rasch die zwei Vorteile des 0 zu 4 aus australischer Sicht- (und Hör)weise:

Erstens haben die meisten Australier das Debakel nicht live ansehen müssen. Um 4.30 Uhr am Montag morgen (Anpfiff) schlafen hier einfach viele. (Auch wenn Queen’s Birthday und damit Montag Feiertag war. Jedenfalls überall außer im Westen Australiens, wo die Queen an einem anderen Tag geboren ist). 

Zweitens haben die meisten das Desaster nicht mit anhören müssen. Weil sie ob des nervigen Getrötes dieser Trompeten kaum die Kommentare geschweige denn was anderes hören konnten und die TVs auf “mute / Stumm” geschaltet hatten. Oder eben aus. (Damit war ich offenbar wenigstens nicht die einzige, der diese Tröten total auf den Keks gehen.) In Australien ist “Soccer” eh ein Randgruppensport und was für Grundschulkinder. Diese seltsam summend penetrante Hörfolter hilft nicht gerade, den Sport ums runde Leder aus der Nische zu locken. 

Ok, wenn jemand die Uhrzeit der Spiele etwas sportlicher gestalten würde und die Australier doch noch ein Tor schössen, könnte sich das ändern. Sogar ohne Ton, eventuell. Wir bleiben dran. 

Ps. happy Birthday, Queen E.!

(PPs: die Autorin ist Exil-Anhängerin des sangesstärksten Vereins der Bundesliga, daher sicher nicht gegen Geräusche auf dem Platz, schon aber gegen blödes Gebrumme, and to be honest: what’s the point?). 

 

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Die Fußball-WM – Business as usual?

Vor genau einem Jahr saß ich mit Kai Schächtele im La Siesta Resort am Roten Meer im Cafe »Cute«. Zusammen mit Dutzenden Ägyptern guckten wir das Confed-Cup-Fußballspiel Ägypten–Italien auf einem Großbildschirm. Ein denkwürdiger Abend. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich mir ein Fußballspiel anschaute, Kai zuliebe, ich wollte ein guter Gastgeber sein. Die Stimmung war hervorragend, Ägypten gewann 1:0.

Jetzt beschäftigt mich Fußball wieder, und wieder ist Kai schuld. Gemeinsam mit Christian Frey präsentiert er täglich Reportagen in Text, Ton & Bild aus Südafrika, die ich einzigartig nennen möchte. Das müssen sie sein, wenn sogar einer wie ich jeden Tag guckt, was es Neues gibt. Unbedingt selbst anschauen: Die WM – ein Wintermärchen.

Während für den Fußball eigentlich verlorene Seelen wie meine vielleicht doch gerettet werden können, haben viele wirkliche Fans in Ägypten das Nachsehen. Der World-Cup-Song, von Nancy Ajram auf Arabisch produziert (bei Youtube hier), stimmt sie auf die WM ein, aber sie können sich die Fußballübertragungen nicht leisten. Bis heute ist mir ein Rätsel, wie ein globales Gesellschaftsereignis, das von der Leidenschaft von Millionen von Menschen lebt, in die Hände solch einer raffgierigen, mitleidslosen Clique wie der FIFA fallen konnte. Auch diese WM ist in Ägypten weitestgehend nur im Pay-TV zu sehen. Detailliert beschreibt das Karim El-Gawhary in seinem Blog.

Vor vier Jahren war es ähnlich. In den Wochen vor der WM 2006 in Deutschland stieg das Fußballfieber in Kairo mit jedem Tag. Dann plötzlich stand fest: Dem staatlichen ägyptischen Fernsehen waren die Übertragungsrechte zu teuer. Während die Welt Fußball guckte, hingen in Kairo die Deutschlandfahnen stumm an den Fenstern. Die WM fand – gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – auf dem arabischen Bezahlsender A.R.T. statt. Ein entsprechendes Abo hatten damals nur eine Million Leute in dem 80-Millionen-Land. Wie weh das tun musste, kann nur ermessen, wer einmal Ägypter beim Fußballgucken beobachtet hat. »Jetzt hat uns der Kapitalismus«, sagte damals ein Taxifahrer in Kairo zu mir, »auch noch den Fußball weggenommen.«

Manch ein Ägypter schaffte es, den Code zu knacken, andere konnten sich den überteuerten Tee in jenen Kaffeehäusern leisten, die die Spiele übertrugen. Dass das allerdings eine Minderheit war, konnte ich HÖREN. Als die WM 1994 in den USA stattfand, wurde noch frei übertragen. Ich wohnte damals in der Kairoer Altstadt, in einem Viertel von Ahmed Normalverbraucher. Wegen der Zeitverschiebung erklang der Jubel bis nachts um vier bei jedem Tor aus den Wohnungen der Nachbarschaft. Eine Stadt voller Fußballnarren vier Wochen lang im Ausnahmezustand. Während der WM 2006 in Deutschland war es anders. Kairo blieb still, kein Jubel, kaum irgendwo. Die deutschen Zeitungen verkündeten stolz, wie sehr die deutschen Gastgeber das Ausland begeisterten. In Ägypten durften viele das nicht erleben, weil sie nicht genug Geld haben.

Es wurde sogar extra die Ausstrahlung von ARD und ZDF über den Hotbird-Satelliten eingestellt. Einen ganzen Monat lang zeigte die ARD das Programm ARD Extra mit aufgewärmten Wiederholungen von irgendwas, und auf ZDF lief der Kanal ZDF Doku mit spannenden Themensendungen über Makramee u. ä. Wenn ich in Kairo auf einem dritten Programm um 20 Uhr die Tagesschau guckte, passierte folgendes. Sobald ein aktueller Kurzbericht von den Spielen vom Tage begann, wurde der Bildschirm schwarz und es erschien der Satz: »Aus lizenzrechtlichen Gründen etc.« Und das alles nur, damit die Schmuddelkinder an den Katzentischen der Welt nicht doch noch kostenlos was von der WM sehen, und sei es nur ein Fünf-Minuten-Beitrag in einer Sprache, die sie nicht verstehen.

In diesem Jahr hat sich der verschlüsselte Sportkanal von Al-Dschasira die Übertragungsrechte für die arabische Welt gesichert. Man will, heißt es, einige Spiele unverschlüsselt bringen. Das Trauerspiel hat damit kein Ende. Am ersten Tag kam das Signal über NILESAT nur verkrüppelt in die Haushalte. Al-Dschasira vermutet Sabotage, wie hauseigene Kanäle berichten. Der Satellit wird von der ägyptischen Regierung betrieben, und der ist Al-Dschasira ein Dorn im Auge.

 

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Eisfieber

 

 

   Es ist jedes Jahr dasselbe: Sobald es mehr als drei Nächte hintereinander friert, macht sich in den Niederlanden das Eisfieber breit – eine Epidemie, die – egal, ob gross oder klein – in einem angsterregendem Rekordtempo die gesamte Nation erfasst und auch die Sprache drastisch beeinflusst. Ist doch auf einmal von Eistransplantationen die Rede, von Eismeistern – und vom Elfstedentocht, jenem heroischsten Schlittschuhlauf der Welt, auch „Lauf der Läufe“ genannt, gut 220 Kilometer lang entlang der elf friesischen Städte. Zehntausende nehmen teil, auch wenn es einige immer ein paar abgefrorene Zehen oder Finger kostet und sich viele erst weit nach Mitternacht mehr tot als lebendig über die Ziellinie schleppen.

Dank Klimawandel wird vielen diese Peinigung erspart, der letzte Elf-Städte-Lauf fand im Januar 1997 statt. Aber gehofft wird halt jedes Jahr, auch jetzt wieder. Immerhin könnte der plötzliche Wintereinbruch den Niederländern Bilderbuchweihnachten bescheren. Die ganze Nacht hat es geschneit, auch heute vormittag noch. Momentan liegt hier an der Nordseeküste bei Leiden mehr Schnee als zuhause bei meinen Eltern in Baden-Württemberg. Ich habe die Wohnzimmertür in den Garten kaum aufgekriegt, das hat es noch nie gegeben. Und vor der Haustür, auf den Kanälen, haben sich schon gestern die ersten aufs Eis getraut, bei blitzeblauem Himmel.

Beim Anblick solch fröhlicher Eislaufzenen werde ich von einer geradezu hemmungslosen Liebe zu meinem Wahlheimatland erfasst. Sämtliche Kritik, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hat, schmilzt wie Schnee in der Sonne. Erstens scheint das schatsen, wie das Schlittschuhlaufen auf nederlands heisst,  das Beste im Holländer zum Vorschein zu bringen, denn auf einmal sind alle überaus freundlich, hilfsbereit und so richtig gut drauf – bei Temperaturen über Null wartet man darauf zuweilen vergeblich.  Zweitens geht es hier dann zu wie auf den Gemälden Alter Meister, die schon im Goldenen 17. Jahrhundert das bunte Treiben der Eisläufer verewigt haben – und daran kann ich mich nicht sattsehen: Genauso wie vor 400 Jahren schieben Ungeübte auch heute noch einen Esszimmerstuhl vor sich her, um nicht dauernd hinzufallen. Kinder nehmen ihre Schlitten mit aufs Eis, Jugendliche spielen Hockey oder flitzen um die Wette, rechts und links am Rand machen sich Buden mit Glühwein oder warmer chocolademelk breit. Am schönsten ist das alles im Grachtengürtel altholländischer Städte wie Leiden oder Amsterdam, vor der Kulisse historischer Grachtenhäuser aus dunklem Backstein, die mit ihren prächtig verzierten weissen Giebeln alle aussehen wie Lebkuchen mit Zuckerguss. So manche Kneipe rollt dann einen Läufer aus, damit die Schlittschuhläufer auf Kufen in die Kneipe stolpern können, um sich bei einem borrel aufzuwärmen.

 Weniger glücklich sind die Hausbootbesitzer. Beim letzten strengen Elfstedentocht-Winter 1997 lagen ihre schwimmenden Heime so fest im Eis, dass sie sich vorkamen wie Entdeckungsreisende auf Nova Zembla. Auch müssen sie sich, sobald es friert,  auf ungebetene Gäste gefasst machen: Viele Schlittschuhläufer schauen ungeniert bei ihnen durchs Fenster rein. Manche setzen sich sogar ganz dreist oben aufs Deck, um sich die Schlittschuhe anzuziehen. Und Anfänger nutzen die Boote als Halt oder  höchst willkommene Notbremse.

 Allerdings hat das Eis auch seine Vorteile: 1997 konnten die Hausbootbewohner wochenlang um ihr Heim herumspazieren, um in aller Ruhe die Fenster zu putzen oder längst fällige Reparaturarbeiten zu erledigen. Normalerweise müssen sie das von einem schwankenden Beiboot aus erledigen. Und je tiefer die Temperaturen, desto wämer das nachbarschaftliche Verhältnis: Man trifft sich viel häufiger mit den Hausbootbewohnern vom anderen Ufer.  

 So wie der Rest der Nation wünscht sich deshalb auch so mancher Hausbootbesitzer inbrünstig, dass es nach 13 Jahren Warten endlich wieder zu einem Elfstedentocht kommt – und der Eismeister nach wiederholtem Messen der Eisdicke wie immer auf friesisch die drei erlösenden Worte sprechen kann:  „It giet oan – es kann losgehen!“

 

 

 

 

 

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Kinder kicken fürs örtliche Bordell

Vor einem Monat sorgte eine Reihe Fotos aus den Arkaden von Barcelonas berühmtem Altstadt-Markt Boquería für einiges Aufsehen. Da hatte sich ein Tageszeitungsfotograf am Wochenende sehr früh morgens auf die Lauer gelegt und ein paar Prostituierte beim ambulanten Sex mit nachtschwärmenden Touristen abgelichtet. Das war zwar nicht wirklich auf offener Straße, aber doch weit genug im öffentlichen Raum, um erneut eine Diskussion über die Grenzen des guten Willen und der Toleranz zu entfachen. Wenn die Huren – hieß es fast überall – ihrem Geschäft wenigstens in Bordellen etc. nachgehen würden! Allerdings hatte die Stadt, die periodisch von einem Ordnungswahn befallen wird, der sich immer als civisme (in etwa: Bürgersinn) ausgibt, erst vor wenigen Jahren verfügt, keine Bordelle mehr zu erlauben, die näher als 200 Meter an Wohnhäusern oder Schulen lägen. Das bedeutete im Radius der engen Altstadt ganz einfach: keine Bordelle mehr – was logischerweise gewisse Engpässe provozierte. Jetzt ist Barcelonas (damals wie heute sozialistischer) Bürgermeister entschlossen, die Bedingungen für neue Konzessionen zügig zu vereinfachen. Das Thema soll sogar Eingang in den nächsten Wahlkampf finden. Allerdings nicht unter der Leitlinie: Wir machen den Weg frei für neue Bordelle!, sondern eher als: Wir schaffen die Huren von der Straße! Denn wer möchte schon für Bordelle werben …

Andererseits kann ein Bordell in Katalonien durchaus ein „Modellbetrieb“ sein. Der (bürgerlich-nationalistische) Bürgermeister des 2000-Seelen-Ortes Bellveí jedenfalls lässt auf den Club Estel in seiner Gemeinde nichts kommen. Gleich zwei Mal betonte er auf der jüngsten Gemeinderatsversammlung, besagter Club sei „das beste Unternehmen unseres Industriegebiets“ (eine sozialistische Abgeordnete forderte aus Gründen „strenger demokratischer Hygiene“ einen sofortigen Widerruf, jedoch vergeblich). Anders als andere Unternehmer hilft der Clubbetreiber nämlich kräftig bei der Finanzierung der örtlichen Stadtfeste mit. Und er kümmert sich sogar um die Jugendarbeit: Dem Fußballnachwuchs von Bellveí (zwischen 4 und 14 Jahre alt) hat er Sweatshirts und Trainingsanzüge mit Clublogo und -Schriftzug gestiftet. Manche Kinder wissen kaum, für welche Firma sie werben, während sie kicken, aber die Eltern spüren offenbar wenig Erklärungsbedarf und freuen sich stattdessen über die milde Gabe.

Bisher hat Barcelonas Bürgermeister das Beispiel Bellveí noch nicht aufgegriffen und etwaigen Start-up-Bordellen attraktive Werbeflächen oder Sponsorendeals angeboten. Womöglich muss sich erst noch mal ein Fotograf auf die Lauer legen.

 

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Togo in Brüssel

Seit einem Jahr verbringe ich meine Samstage auf den Straßen von Brüssel und Flandern. So im Umkreis von 20 Kilometern. Wenn Sie jetzt auf Radfahren tippen, liegen Sie völlig falsch. Wir sind mit dem Auto unterwegs. Stundenlang. Unsere wöchentliche Herausforderung besteht darin,  Sportplätze zu finden. Die Adressen, die unser Sohn von seinem Verein für die Auswärtsspiele bekommt. sind zwar sehr detailliert, helfen aber bestenfalls bis zur Ortseinfahrt.Belgische Fußballclubs scheinen es darauf anzulegen, die Gegner schon vor dem Spiel zu narren. Vielleicht wollen sie den Heimvorteil ausbauen. Jedenfalls gibt es immer wieder Mannschaften, die zu spät oder unvollständig eintreffen. In Uccle sind beim letzten Mal zwei Spieler und auch der Schüler-Trainer nie angekommen. Die angegebene Straße gibt es zwar tatsächlich, aber sie ist sieben Kilometer lang und der Platz liegt hinter den Häusern versteckt in einem Waldstück. Der Platzwart von Uccle war sichtlich überrascht, dass überhaupt jemand hingefunden hat: „Eigentlich verfahren sich hier alle.“ Auf die Idee, ein Schild aufzustellen oder die Wegbeschreibung zu verfeinern, kam trotzdem keiner:  „Hier kann man doch jeden fragen, wo unser Sportplatz ist.“ Sollte man aber nicht auf französisch machen, das mögen die Flamen nicht und schicken einen dann gern in die falsche Richtung. Ein Bekannter hat sich nur für die Rettung seiner Samstage ein GPS angeschafft. Half letzten Samstag aber auch nichts, weil es rund um Brüssel ungefähr 27 Brüsselse Steenwege gibt, an denen mindestens 54 Fussballplätze liegen und der KV Eizer leider nicht übermittelt, auf welchem er seine Heimspiele austrägt. Eine junge Belgierin hat mir kürzlich erzählt, dass sie in Togo in Afrika aufgewachsen ist und dass dort nur die geteerten Straßen Namen haben, die anderen nicht. Wer an einer ungeteerten Straße wohnt, muss seine Briefe bei der Post und seine Besucher bei der nächsten geteerten Kreuzung abholen. Am Samstag werde ich vorschlagen, dass belgische Fussballclubs einen ähnlichen Abholservice einrichten sollten. Aber die würden wahrscheinlich lieber den Sportplatz teeren, damit er auf der Karte einen eigenen Namen bekommt. 

 

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Auf Pferde wetten oder Beten?

 

Angeblich ist fast jeder vierte Australier Katholik, und diese Gruppe damit Down Unders zahlenstärkste Glaubensgemeinschaft. Soweit die Statistik. Die gefühlte Katholikendichte scheint deutlich geringer. Käme das nur mir so vor, würde ich tippen, dass das an meiner Jugend in Münster liegt. (Das ist eine sehr katholische Stadt, von der es heißt “Entweder es regnet, oder es läuten die Glocken; passiert beides, ist Sonntag”). Also, nicht nur habe ich in sieben Jahren Sydney noch nie Sonntags Glockenläuten gehört, hier ist auch nicht mal Pfingsten frei. Aber egal. Zahlen sind Zahlen, und mit denen werden wir gut einen Monat vor Papstbesuch und World Youth Day (WYD) geradezu überschüttet (fühlt sich fast an wie Sonntag in Münster): Das größte religiöse Großereignis in der Geschichte Australiens! 125 .000 Gläubige und internationale Besucher! 8.000 Helfer werden helfen. 2.000 Priester beten. 700 Kardinäle und Bischöfe zelebrieren. 3.000 bis 5.000 Medienvertreter die Medien vertreten. 3,5 Millionen Mahlzeiten werden all diese Leute essen… Ah, es ist herrlich, ich könnte endlos weiter zählen.

Mit den meisten dieser Nummern kommen die meist toleranten Einwohner Sydneys auch gut klar. Selbst darüber, dass die Stadt im Juli gut eine Woche dank einer Art Lock-Down voller Straßenblockaden (300 Straßensperren = 263 000 $ an Parkuhr-Einnahmen-Verluste) unbefahrbar wird, murren wenige.

Nur die WYD-Dollar-Zahlen, die stimmen viele, insbesondere die 75 Prozent Nicht-Katholiken, eher unfröhlich. Mindestens 150 Mio Australische $ (90 Mio Euro) wird die Glaubenswoche die Steuerzahler kosten. Nicht inbegriffen: die 40 Millionen, die der Australische Jockey-Club, Besitzer der Rennbahn Randwick, für den WYD bekommt. Diese Zahl muss ich vielleicht erklären: Australier sind Pferde(- und Wett)besessen. Viele glauben fest, dass das Glück der Erde eher auf dem Rücken der Pferde als sonstwo liegt. Melbourne Cup Day, ein Pferderennen im November, etwa ist Feiertag. Pfingsten nicht. Und Papst Benedikt zelebriert die WYD-Riesenmesse ausgerechnet auf einer Rennbahn im Stadtteil Randwick. Na und? Nix na und. Das kommt einer Katastrophe gleich. Mindestens aber einem finanziellen Desaster der Pferdeindustrie: Wochenlang wird der Platz unbenutzbar, Wetteinnahmen in schwindelnder Höhe werden schwinden, Pferde träge und Rasenflächen häßlich werden. Doch die 40 Millionen $ werden es schon richten. Dass die Jockeys entschädigt werden müssen, sieht in Sydney auch jeder ein. Gemurrt wird, dass nicht anderswo gebetet wird – etwa im Olympia-Stadium, das war doch teuer genug. Ach ja, seufzen verstohlen jene der 25% katholischen Sydneysider, denen Pferdewetten weniger heilig sind: “Fronleichnam ist Fremdwort, Heiligabend Haupt-Einkaufstag – vermutlich höchste Zeit, dass der Papst nach Australien kommt.”

 

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Impressionen von den Pariser Schauen: All blacks

In Paris prallen derweil zwei Welten aufeinander: die Rugby-Fans der WM (www.france2007.fr) und die Fashion-Fans der Modewoche. Doch wie man sieht, sind sie sich gar nicht zu unähnlich. Alle sind ganz in Schwarz. Siehe die neuseeländische Mannschaft All Blacks – und die Dior-Gäste…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Keine Arme, kein Bootcamp

Kiwis pflücken Äpfel und scheren Schafe? Von wegen. Kiwis segeln, surfen, fahren Ski, wandern, rennradeln, mountainbiken, klettern Felsen hoch, paddeln Flüsse hinab, joggen, kajaken, springen Bungy und Fallschirm. Täglich.

Wenn dann noch Zeit bleibt, gehen sie arbeiten. Da ich von diesen Sportarten nur fünf leidlich beherrsche – wandern mit eingerechnet –, befinde ich mich im Landesdurchschnitt in der untersten Abteilung: Stubenhocker/Invalide.

Werfe auf einer Stehparty das Wort „Fahrradrennen“, „vereiste Piste“ oder „Monster-Welle“ in die Runde, und du kannst die nächsten zwei Stunden ungehindert die Weinvorräte plündern, denn der Rest der Gästeschar ist beschäftigt. Ab und zu mal reinlauschen – „bei 97 Kilometer ging mir dann die Puste aus, aber ich hab Adrenalin-Ampullen dabei“, „den Platten habe ich geflickt, während ich freihändig auf der Felge weiterfuhr“ – nicken und davon träumen, auf Menschen zu treffen, die auch mal ein Buch lesen.

Da ich leider nicht im Alter von fünf Jahren in Rugby-Montur gesteckt wurde oder mit sechs auf meinem ersten Surfbrett stand, habe ich ein echtes Bewegungsdefizit. Nachzüglern wie mir bleibt nur eine Chance, um doch noch an die stolzeste Sportnation des Pazifiks anzudocken: Das Bootcamp.

Nicht nur der Name ist den Ausbildungslagern der amerikanischen Marines entliehen. Bootcamp bedeutet: Mit Marschgepäck rennen, durch den Schlamm robben und stramm gestanden. Kein Rumgesteppe in rosa Aerobic-Stretch, sondern knallharter Drill, der dich ins Schwitzen bringt. Morgens früh um 6 im Stadtpark, dreimal die Woche, egal ob’s regnet oder dämmert, und am Wochenende geht es raus ins Gelände. Fünf Wochen lang.

Versprochen werden T-Shirt, Rucksack und „Steigerung des Fitness-Levels ums Doppelte“. Bootcamp könne „mein Leben verändern“ und mich „der Gruppe näher bringen“. Im Matsch kriechen verbindet. Was will ich mehr – ich mache eine Probestunde. Drei paramilitaristische Trainer, vier Damen mittleren Alters. „Rekruten“ heißen wir, müssen gerade stehen, dann marschieren. Kniebeugen, rennen, hinwerfen, aufspringen, wieder Kniebeugen.

30 Sekunden bleiben uns, um Wasser zu fassen. „Los, schneller!“ bellt der Trainer, Daumen in den Bund der Army-Hose gehakt. Dann 30 Liegestütze, fünf Mal hintereinander. Ich presse und beiße mir auf die Zähne. Jetzt bloß nicht die Pazifistin raushängen lassen. „Ellenbogen nach hinten!“ schreit der Trainer, dessen Bizepsumfang den seines kahlrasierten Kopfes schlägt. Ich warte darauf, dass er mir gleich eine Kapuze überstülpt, meine Hände fesselt und Guantanamo Bay mit uns spielt, aber nein: Wir haben’s überlebt.

Am nächsten Tag will ich mir die Haare kämmen, komme mit den Händen aber nur bis knapp vors Gesicht. Der Trizeps ist eine einzige verhärtete Krampfzone. Ich bin horizontal dank Extrem-Muskelkater gelähmt. Zähneputzen, Gabel halten: Äußerst mühsam bis schmerzhaft. Nach oben greifen, zum Beispiel ins Lebensmittelregal: Ausgeschlossen. Meine nächsten Angehörigen, die mich Krüppel pflegen und füttern sollten, haben kein Mitleid: „Keine Arme, keine Kekse“. Vielleicht sollte ich schießen lernen. Ist auch ein Sport.

 

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Fußballfieber in Indonesien

Jakarta. Ohne Stau. Es ist acht Uhr abends und man kann die Hauptausfallstraße fast ohne Stocken hinunterrasen. Falls man das Glück hat, ein Taxi zu finden – die sind auf einmal auch ziemlich rar geworden. Ein Wunschtraum? Nein: Es ist Fuballzeit.

Fern vom Fußball taumelnden Deutschland hatte ich die Hoffnung, dem Weltmeisterschaftsfieber weitgehend zu entkommen – in einem Land, das noch nie eine Mannschaft im Wettbewerb hatte. Welch naive Vorstellung. Die Indonesier sind nicht einfach nur Fußballfans, sie sind absolute Worldcup-Fanatiker.

Angefangen bei meinen Mitbewohnern. Seit drei Jahren teilen wir ein Haus, doch bislang waren keine Anzeichen von schleichendem Fußballfieber zu erkennen. In diesen Tagen kriechen sie auf einmal mitten in der Nacht auf dem Dach herum, um neue Fernsehantennen zu installieren. Ganz nebenbei, dieses orange-silberne Modell, das auf einmal von jedem zweiten Haus in Jakarta schimmert.

Bei einer anderen Freundin steht plötzlich ein riesiger neuer Flachbildschirm auf der Veranda, die sich in den letzten Wochen zum Dauertreffpunkt aller Fußballfreunde der Umgebung entwickelt hat. Wie kommt es, dass plötzlich jeder zum Fan mutiert? „Das ist nicht einfach Fußball, das ist die Weltmeisterschaft, das musst doch gerade Du als Deutsche verstehen“, so die Antwort.

Okay, die die Indonesier sind wirkliche Fußball-Liebhaber. Das ist keine wirklich neue Nachricht. Da ist zum Beispiel dieser Hausmeister aus Timor, der sich immer den Wecker stellt, um zu den unmöglichsten Zeiten die Live-Übertragungen der deutschen, englischen oder italienischen Liga-Spiele anzusehen. Oder unser Klempner, der den Lebenslauf jedes Spielers herunterbeten kann, der an den letzten zehn Weltmeisterschaften teilgenommen hat. Und da sind diese Taxi-Fahrer, die einem Fahrgast sofort die neuesten Ergebnisse seines Heimatvereins entgegenschleudern, sobald sie die Herkunftsfrage geklärt haben. Für all diese Menschen bedeutet der Worldcup absoluter Ausnahmezustand.

Dennoch blieb es für mich zunächst ein Geheimnis, warum plötzlich selbst die steifen Beamten aus der Ausländerbehörde oder die aufgedonnerten Mädels aus den exklusivsten Shopping-Malls sich mitten in der Nacht in überfüllte Cafes drängen, wie Pingpong-Bälle auf und ab hüpfen und schrille Töne von sich geben, nur weil sich gerade irgendein Spieler aus Ghana oder Ecuador dem Tor genähert hat. Bei den Mädels fand sich die Erklärung schnell, als sie bei jedem mäßig ausgestatteten Lateinamerikaner oder Südamerikaner vor der Kamera anfingen zu quietschen: „Guck mal, ist der nicht süß!“

Die Hauptmotivation der restlichen Fans verstand ich dann auch recht bald: Wetten. Den ganzen Tag und die ganze Nacht lang. Mit Kollegen im Büro, mit den Freunden daheim, mit anderen Passanten am Straßenkiosk. Keine Glücksspielrazzia des neuen Saubermanns an der Spitze der indonesischen Polizei konnte daran irgendetwas ändern. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die indonesische Wirtschaft in den vergangenen Wochen noch nicht komplett zusammengebrochen ist bei all den schlafwandelnden, augenberingten Verkäufern, Kellnern und Sachbearbeitern, die sich durch den Tag zum nächsten Spiel mitten in der Nacht schleppen.

Am Ende fiel es mir ziemlich schwer, mich dem indonesischen Fußballfieber zu entziehen. Der Hang der Indonesier, immer das schwächere Team zu unterstützen, zeigt den sympathischen Zug eines Volkes, das selbst noch nie am größten Sportereignis der Welt teilnehmen konnte. Genauso dass sie einfach bei jedem Tor mitjubeln, egal wer es schießt – Hauptsache es kommt Leben in die Bude. Und mal ehrlich: Wer will schon allein zu Hause bleiben, wenn da draußen ein ganzes Land eine riesige Party feiert?

Mehr über Fußball in Indonesien:
www.aboutaball.co.uk/html2/countries/indonesia.php
en.wikipedia.org/wiki/Football_Association_of_Indonesia

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