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Absurdes Theater auf dem Platz des Himmlischen Friedens

„Den Pass bitte!“ Die junge Polizistin streckt fordernd die Hand mit dem weissen Handschuh aus. Neben mir strömen die Menschen durch die Sicherheitskontrolle auf den Platz des Himmlischen Friedens im Herzen Pekings. Nur der Mann vor mir in der Schlange darf auch nicht weiter. Aus seiner Aktentasche fischen die Beamten engbeschriebene Papiere. Ob er die auf dem Platz etwa verteilen wollte, fragt der Polizist barsch. Der Mann schüttelt irritiert den Kopf.

Der 4. Juni ist in China ein heikler Tag. Weil sich die Niederschlagung der Demokratiebewegung heute zum 20. Mal jährt, sind die Sicherheitsbehörden besonders nervös. Die junge Polizistin entdeckt das Journalistenvisum in meinem Pass. „Guck mal“, sagt sie triumphierend und reicht das Dokument an ihren Vorgesetzten weiter. Der studiert minutenlang meinen Pass, schreibt sorgfältig alle Details in eine große Liste und schickt mich dann zurück. Ohne Sondergenehmigung dürfen Journalisten heute nicht auf den Platz, heißt es.

Ein Begründung gibt es nicht. Denn der 4. Juni ist ja kein offizieller Gedenktag. Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere, behaupten die Behörden. Dass man vor 20 Jahren den „konterrevolutionären Aufstand“ der Studenten mit Panzern und scharfer Munition niederschlug, soll das Land am liebsten vergessen. Dennoch ist man überall in der Stadt in Alarmbereitschaft. Besonders am Tiananmen. Keiner soll demonstrieren oder versuchen, in irgendeiner Form der hunderten, vielleicht tausenden von Toten vor 20 Jahren zu gedenken.

Ich mache mich auf ins „Verwaltungsbüro für den Platz des Himmlischen Friedens“ und bitte dort um eine Genehmigung, um den Platz als ausländische Journalistin betreten zu drüfen. „Gar nicht nötig“, lacht der Beamte dort. „Du hast ja gar keine Fernsehkamera dabei.“ Und dann der Rat, es doch am besten an einem anderen Eingang zu versuchen. Dort seien die Beamten freundlicher.

Diesmal halten mich an der Sicherheitsschleuse, wo alle Taschen wie am Flughafen durchleuchtet werden, nicht drei, sondern zehn Polizisten auf. „Wo ist Deine Sondergenehmigung“, kommt schon wieder die Frage. Wieder wird der Pass studiert, diesmal auch mein Mikrofon und Aufnahmegerät gefilzt. Erst als ich verspreche, dass ich auf dem Platz mit niemandem sprechen werde, darf ich passieren.

Interviews hätte man heute sowieso nicht machen können. Auf dem Platz sind vor allem Sicherheitsleute unterwegs: Gruppen von Polizisten, Soldaten der Nationalen Volksbefreiungsarmee und junge Männer in Zivil. Viele tragen einen Knopf im Ohr und ein Mikro am T-Shirtkragen. Fast alle haben Anstecknadeln mit der chinesischen Flagge dabei – und gleichfarbige Sonnenschirme. Die sollen offenbar vor der brutalen Hitze schützen, können aber auch jederzeit vor die Linsen der Fernsehkameras (mit Genehmigung, versteht sich) gehalten werden. Man spaziert über den Platz und gibt sich gelassen. 4. Juni. War da was? Ist doch ein Tag wie jeder andere auch.

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