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“Angenehm, Herr Muskel” Über das unverkrampfte Verhältnis der Römer zu Gift

Ich wachte auf, und der weiße Nebel schob sich schon in mein Wohnzimmer. Oh Gott, ich war auf dem Sofa eingeschlafen! Panisch hielt ich die Luft an, sprang auf, drückte die Terrassentür zu, rannte aus meiner Wohnung und atmete erst wieder, als ich im obersten Stockwerk des Hauses vor der Wohnungstür meines Nachbarn und Freundes Andrea stand.  Endlich in Sicherheit! Als er öffnete und mich einließ, sagte ich nur: “Sie sind wieder da”.

“Sie” das sind gewaltige weiße Maschinenwägen der römischen Stadtverwaltung, die sich derzeit jede Woche durch mein Stadtviertel drängen und weißen Nebel aussprühen: Gegen die sogenannten “Zanzare Tigre”, die “Tigermücken”, besonders angriffslustige und durstige Mücken. Natürlich, ich bin grundsätzlich froh, dass die Stadt etwas unternimmt, misstraue aber den Mitteln. Da kann Andrea noch so oft mit dem Faltblatt der Stadt Rom wedeln, wo etwas von “natürlichen Wirkstoffen” bei der Mückenbekämpfung steht. “Keine Sorge”, sagt er dann. Und warum steht in dem gleichen Faltblatt auch:  “Signori e Signore, bitte Fenster und Türen geschlossen halten?”. 

Ich bin überzeugt, der weiße Nebel besteht aus Batteriesäure oder DDT. Denn die Römer haben ein sehr unverkrampftes Verhältnis zu Brachial-Mitteln, sie sind so, wie wir vielleicht in den 70er Jahren. So war es eben auch Andrea, der mir, als mal mein Waschbecken verstopft war, umgehend “Mr. Muscolo” in den Ausguss schüttete, einen Abflussreiniger, der übersetzt “Herr Muskel” heißt.

Das giftgrüne Gel schob sich zischend und dampfend in mein Waschbecken hinein.  Das Problem löste er nur kurz: Als einige Wochen später wieder der Ausguss verstopft war und ich im Fachhandel nach einer Pumpe fragte, verkaufte mir sie der Händler nur widerwillig. “Ich empfehle aber Mr. Muscolo”. In jeder Putzmittelabteilung eines Supermarkts bekäme ein Despot eines Schurkenstaats leuchtende Augen, angesichts des dortigen Chemiewaffenarsenals. Aus dem bedient sich übrigens leider auch die Putzfrau im Büro. Sie wischt den Boden mit einem Ammoniakreiniger, der so in der Nase beißt, dass mir zuweilen die Augen tränen. Hmm. Lassen sich durch den Ammoniakreiniger auch die Ticks jener Kollegen erklären, die hier schon seit zehn oder mehr Jahren arbeiten? Das seltsame Kichern des Spaniers? Das einem Wolfsheulen ähnelnde Räuspern des Engländers?

Am Montag ist wieder weißer-Nebel-Vormittag, ich werde Fenster und Türen diesmal rechtzeitig schließen. Gut möglich, dass die Tigermücken schon längst immun sind gegen das Spray. Ich rechne jeden Tag mit der Nachricht in der Zeitung, der römische Stadtrat habe beschlossen, in Zukunft “Mr. Muscolo”-Gel versprühen zu lassen.

 

 

Ach ja. Mein Vermieter nahm das von “Mr. Muscolo” verätzte Waschbecken übrigens auf die leichte Schulter. Ich erzählte vom verstopften Ausguss und dem Gegenmittel meines Nachbarn Andrea, und mein Vermieter sagte. “Va be, Mr. Muscolo è cosi”. So sei Mr. Muscolo eben nun mal.

 

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