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Der Tod auf dem Teller

 

 

Man weiß ja, dass Feinschmeckern Exklusivität so wichtig ist wie Geschmack. Da frühere Statussymbole wie Trüffelhobel und französische Austern inzwischen sogar in Studentenhaushalten auftauchen, ist es für Gourmets schwerer geworden. Wer Feinschmecker sein will, braucht heute Todesmut. Kürzlich war ich bei meinem spanischen Freund Juan eingeladen, einem langjährigen Restaurantkritiker. Es sollte ein besonderer Abend werden. „Ich weiß, wo wir Fugu bekommen können“, sagte Juan ein paar Tage vor unserer Verabredung am Telefon. Er klang sehr aufgeregt.

Fugu ist eine japanische Delikatesse, lernte ich, außerhalb Ostasiens nur Insidern vorbehalten, die über gute Kontakte zu japanischen Restaurantbesitzern verfügen. Fugu ist hochgiftig. In vielen Ländern ist der Fisch verboten. Bei falscher Zubereitung stirbt man innerhalb von 24 Stunden. „Der Fugu kommt mit dem Flieger direkt aus Japan“, sagte Juan. Ich schlug im Lexikon nach. Fugu heißt auf Deutsch Kugelfisch. Seine Organe enthalten ein Gift, das 1000 Mal stärker ist als Cyanid. In „Liebesgrüße aus Moskau“ überlebt James Bond knapp den Fugu-Anschlag eines russischen Exekutionskommandos.

Ein kleiner falscher Schnitt kann den ganzen Fisch vergiften. Es gibt in Japan nur ein paar hundert Fugu-Köche. Sie müssen eine spezielle staatliche Lizenz mit theoretischer und eine praktischer Prüfung erwerben. Man muss ein Führungszeugnis der Polizei vorlegen. Die Fugu-Reste werden in Spezialbehältern entsorgt, wie Giftmüll.

Juan ist vor zwei Monaten Vater geworden. Seine Frau Christina werde den Fisch nicht probieren, hatte er gesagt. „Wer soll sich denn um unsere Kleine kümmern, falls wir beide sterben?“ Er meinte das ernst.

Das Abendessen: Kerzenlicht, Weißwein, vorweg eine Suppe. Dann servierte Juan das Hauptgericht. „Hier kommt der Tod“, sagte er. Lachen, Nervosität. Der Fugu kam auf einem flachen Teller, Muskelfleisch in dünnen Scheiben. Wir aßen langsam und mit Stäbchen. Das Fleisch war von synthetisch-elastischer Konsistenz und so schmeckte es auch. Im Gesichtsausdruck der anderen Gäste konnte ich erkennen, dass auch sie den Höhepunkt des Festessens als Gummihappen erlebten. Keiner traute sich in dem Moment, das offen auszusprechen. Was für ein fantastischer Fisch! Juan glaubte, im Mund ein leichtes Taubheitsgefühl zu spüren. Auch das Fleisch enthalte noch Spuren des Gifts. Aber das war vielleicht nur eine Einbildung.

Ich kann rückblickend nicht sagen, dass mir das importierte Gummi-Giftfleisch besser geschmeckt hat als Hering oder Tunfisch. Aber nur beim Genuss von Fugu spürt man dieses eigenartige Gefühlsgemisch aus Adrenalin, Angst, Erleichterung, Todesmut und Draufgängertum – Russisches Roulett zum Hauptgericht. Für den Fisch ist das traurig: Eigentlich sollte das Gift ihn schützen. Heute wird er nur deshalb verspeist. Unser japanischer Fugu-Dealer hatte uns mit dem Fisch auch ein Geschenk geliefert: vier weiße T-Shirts mit dem fettgedruckten Schriftzug „Ich habe Fugu überlebt.“ Das neue Statussymbol der Feinschmecker.

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