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Gay und glücklich

In der Food Coop, in der ich immer einkaufen gehe, habe ich einen Lieblingskassierer. Er trägt sein Haar lang und offen und lackiert seine Fingernägel mal rot, mal gold – viel schöner, als ich das jemals könnte. Vergangenen Montag fiel mir auf, dass er ungeheuer müde aussah. „Die Hitze…?“ fragte ich, denn übers Wochenende hatte das Thermometer mit 42 Grad einen Rekordstand erreicht. Er lächelte nachsichtig und sagte: „Viel geschlafen habe ich jedenfalls nicht.“ Ich realisierte, dass ich irgendwas nicht mitbekommen hatte.

 Als ich rausging, fiel es mir ein. Natürlich – während ich übers Wochenende ins kühle Vermont geflohen war, hatte halb New York die Nächte durchgefeiert. Denn hunderte Schwule und Lesben dürften endlich heiraten, nachdem der Senat des Bundesstaates New York im Juni die „Gay Marriage“ legalisiert hatte. Es war ein langer Kampf gewesen. Doch am Ende hatten alle Demokraten dafür gestimmt, mit Ausnahme des 68jährigen Ruben Diaz Senior aus der Bronx, der sagte, das gehe gegen seine religiöse Überzeugung. Obwohl seine Enkelin Erica eine bekennende Lesbe ist und deshalb sogar vom Militär ausgeschlossen wurde.

Doch der ganz überwiegende Teil der Metropole, in der die Schwulenbewegung nach einer brutalen Polizeiaktion in der Christopher Street 1969 ihren Ausgang nahm, ist in Sachen Homosexualität heute selbstverständlich tolerant. An einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt, der High Line, wirbt die Lagerfirma Manhattan Mini Storage mit einem riesigen Plakat, das diese Einstellung auf den Punkt bringt: „Wenn du gegen die Schwulenehe bist, dann heirate eben keinen Schwulen.“ So linksliberal-lakonisch ist, außer vielleicht noch San Francisco, wohl kaum eine Stadt in den USA. Ein anderer Werbespruch der Firma lautet denn auch: „Remember, If You Leave the City, You’ll Have to Live in America“ – Denk dran, wenn du diese Stadt verlässt, musst du in Amerika leben.

Auch vier Republikaner waren von der Parteilinie abgewichen und hatten für das Gesetz gestimmt. Dass dies geschah, ist der umsichtigen Verhandlung des neuen Gouverneurs Andrew Cuomo zu verdanken – sowie hohen Geldspenden für die Abweichler. Unter den Gebern: New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein engagierter Verfechter der Schwulen-Ehe. Er bedachte jeden der vier Republikaner mit 10 300 Dollar, dem zulässigen Höchstbetrag für eine Spende. Das sei Bestechung, denken Sie? In den USA, wo Politiker Wahlkämpfe überwiegend auf Spendenbasis bestreiten und die Einflussnahme von Gebern zum System gehört, wird das anders gesehen: Da klar ist, dass die Senatoren in ländlichen konservativen Gebieten des Bundesstaates Stimmeinbußen bei den nächsten Wahlen zu befürchten haben, erhalten sie Geld, um zum Ausgleich besser Werbung für sich machen zu können. So einfach kann die Welt sein.

Als ich nun gerade auf den Anfang dieses Blog zurückblickte, fragte ich mich übrigens, ob ich meinem Lieblingskassierer furchtbar unrecht getan habe, indem ich ihn wegen seiner mädchenhaften Erscheinung kurzerhand dem Umfeld der Schwulen- und Lesbenszene zugerechnet habe. Womöglich ist der Mann stockkonservativ, oder er wäre beleidigt, weil ich ihn als Mann bezeichnet habe. Als Hetera befürchte ich bei solchen Fragen ständig, ins Fettnäpfchen zu treten, zumal den USA, wo jedwede Diskriminierung tabu ist. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blog. 

Foto: Christine Mattauch

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