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Mein Papa ist nicht korrupt!

Derzeit wird viel diskutiert über das Internet in China – das viele inzwischen Chinternet nennen, weil es sich dank der Paranoia gestrenger Propagandazaren zusehends abkapselt gegen geistige Verschmutzung aus dem Ausland. Youtube und Twitter müssen draußen bleiben. Doch Google bleibt vielleicht drin im Chinternet, sie verhandeln gerade mit der Regierung – und immer noch kann man bei der chinesischen Version der Suchmaschine google.cn auch Fotos vom Tiananmen-Massker 1989 finden. Wir wissen also nicht, wie es weitergeht.

 

 

Aber, ein kleiner Trost vielleicht, auch im Chinternet tauchen immer mal wieder interessante Blogs auf, die etwas bewegen und nicht sofort von den Zensoren getilgt werden. Blogger und Tausende aufgebrachte User bewirkten etwa kürzlich den Freispruch einer jungen Hostess in einem Provinzstädchen, die vor ein paar Monaten in Notwehr einen zudringlichen Parteifunktionär erstochen hatte. Derzeit aber findet mal ein ganz anderer Blog überraschende Aufmerksamkeit. Durch die chinesischen Medien geistern Berichte über einen Blog der 22-jährigen Wu Fangyi aus der Kleinstadt Shaoying in der Provinz Hunan. In den “Halt durch, Papa!” betitelten Einträgen verteidigt sie ihren Vater, ehemaliger Parteichef eines ländlichen Kreises von Shaoyang. Der steht wegen Korruption und Machtmissbrauch vor Gericht. Er sei aber unschuldig, sagt die Tochter. Er gehe nie in teure Restaurants oder zur Fußmassage und lebe in einer bescheidenen Beamtenwohnung. Um das zu beweisen, zeigt Wu Bilder ärmlicher Behausungen, die der Familie gehören sollen. Und sagt: “Ich habe immer wieder seine Tasche untersucht, und nie was anderes als Dokumente und Notizbücher darin gefunden.” Ihr eigenes Handy koste nur 200 Yuan, gut 20 Euro. So weit so gut. Das verblüffende: Nicht nur lasen bereits 830.000 User den Blog. Viele davon drückten der jungen Frau auch ihre Unterstützung aus, wie die lokalen Zeitungen schreiben. Dabei hassen die meisten Chinesen korrupte Offizielle. Es ist wohl mehr der Familiensinn, der Mitgefühl auslöst, die Sorge einer Tochter um ihren Papa kann jeder irgendwie verstehen.

Genauso viele andere sind laut den Berichten aber skeptisch: Die Fotos seien Fakes, der Mann wäre ja wohl kaum verhaftet worden, wenn es keine Beweise gebe. Das gleiche sagen auch Offizielle, bei denen die Parteizeitung China Daily nachgefragt hatte. Auch die Mutter der 22-Jährigen, eine Dorflehrerin, saß sechs Monate hinter Gittern und konnte sich mit 185.000 Yuan freikaufen. Die seien aus Familienersparnissen sagte sie der China Daily. Aha.

Keiner der Zeitungsberichte schreibt, auf welcher der tausenden chinesischen Bloghosts Wu Fangyi ihren Papa verteidigt. Den Blog selbst habe ich also nicht gefunden und kann daher seine Existenz nicht verifizieren und auch nicht sagen, ob ich Wu Fangyi glaubwürdig finde oder nicht. Was sagt uns das ganze also? Dass Korruption eines Familienvaters die ganze Familie korrumpiert? Dass es eigentlich nichts bringt, korrupt zu sein, wenn man das ganze schöne Geld versteckt und trotzdem in einer kleinen Butze haust? Oder dass Korruptionsvorwürfe im heutigen China ein prima Mittel für Denunzianten sind, unschuldige Familienväter hinter Gitter zu bringen? Wir wissen auch das nicht. Aber interessant wars.

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